Reise ins Ungewisse ab Juli 2020 – Im Corona-Sommer
11.7.2020
Deutschland:
Bodensee, Campus Galli und Heiligenberg
Nachdem unsere urspruenglichen Plaene, die es immerhin zumindest im Ansatz gab, sich nicht umsetzen liessen, haben wir nun aufgegeben, zu planen. Wollten eigentlich Anfang April schon los in die Welt – nach unserer Sri Lanka-Oman-Jordanien-Arbeitsreise nur mal sechs Wochen lang ein paar Dinge zu Hause erledigen. Dann kam Corona, und, wie die ganze Welt mit uns, fielen wir in einen Dornroeschenschlaf. Naja, eigentlich machten wir das, was die meisten in Deutschland machten: Wir brachten Haus und Hof auf Vordermann, machten Holz fuer die kommenden drei Winter, renovierten eine Fassade am alten Haus in Beuren, bauten bei einem Mieter eine Dachbodentreppe ein, etc. Langweilig war uns nicht, aber es draengelte uns raus.
Mitte Juni endlich wollten wir also nach einer Woche bei unserer Simone in Duesseldorf weiter nach Zeeland in Holland, unsere Freunde aus meiner Uni-WG, Suse und Stefan, in ihrem Ferienhaus ein bisschen belagern. Danach sollte es nach Hamburg gehen. Dort werden gerade in Babas Wohnung neue Tueren eingebaut, und wir wollten danach schauen, vorrangig aber Bine und Meli mal wieder knuddeln, auch nach Mamas Grab in Buchholz gucken. In und um Berlin hatten wir auch noch ein paar Leute zu sehen: Onkel Uli und seine Familie, meine einzigen deutschen Verwandten; Patrick und Renata, ebenfalls Freunde aus der Uni-WG und aus unseren gemeinsamen Jahren in Dubai; Guenter und Andrea aus dem Havelland, die wir als Hochschwangere mit Zwillingen in Steissendlage ueber Airbnb bei uns zu Gast hatten; und schliesslich Patrice und seine Familie. Unsere beiden Vaeter waren engste Studienfreunde in den 1960’er Jahren in der DDR. Sein Vater ist Syrer, seine Mutter Deutsche. Wir kennen uns als Kinder aus jener Zeit in der DDR, sind uns viel spaeter, 1981, in Syrien begegnet, als unser beider Familien dort lebten und wir sie in Aleppo besuchten, dann noch einmal in Zagreb, wo Patrice sturdierte und Heide und ich einen Pausetag einlegten, als wir 1986 mit ihrem Suzuki Swift, mit ihren Kinden Hannah und Heiko fuer ein Auslandssemester nach Palaestina fuhren. Patrice hat mich vor Kurzem ueber Linkedin gefunden und wir haben ein paarmal hin- und hergeschrieben. Es waere so schoen, gewesen, ihn wiederzusehen.
Nun, all das muss jetzt warten. Denn nach einer Woche Grosspapa- und Grossmamaspielen in Duesseldorf verstarb unsere liebe Emmi, Josefs Mama. Wir hatten es schon lange erwartet und haben deshalb unsere Reisen im vergangenen Jahr so unternommen, dass wir relativ leicht wieder nach Hause kommen. Nun war es also so weit, und sie ist endlich erloest. Fuhren alle nach Hause und blieben fast drei Wochen.
Nun sind wir vorgestern das zweite Mal los, haben nun den Norden ausgelassen, allen vesprochen, dass wir unsere Besuche nachholen, uns direkt gen Sueden gewendet, uns mit Bruder Masin und Ursel zum Abendessen am Bodensee verabredet, wo Masin uns einen schoenen Uebernachtungsplatz auf einem gemuetlichen Grasplatz unter einer uralten Walnuss und nur 100m vom See empfahl. Ursel und ich sind direkt in den See gehuepft, haben danach in einem der in der ganzen Republik aus dem Boden spriessenden arabischen Restaurants gegessen. Gemuetlicher Garten mit armenischen Fliesenmosaikbildern an der Umfassungsmauer, aber an Service und Portionsgroesse muessen sie noch arbeiten. Haben wie die Murmeltiere geschlafen . Morgens eine fuer mein Knie therapeutsiche Radrunde gedreht, uns anschliessend im See erfrischt und dann aufgemacht zum „Campus Galli“, einam Projekt nahe der Stadt Messkirch, wo im Wald ein mittelalterliches Staedtchen entsteht, das beinahe vollstaendig und ausschliesslich mit mittelalterlichen Mitteln entsteht. Josef hatte vor Ewigkeiten darueber gelesen und wollte es schon lange besuchen. Es waren wenige Besucher da, und die Leute, die dort stilecht in mittelalterlichen Gewaendern herumlaufen und haupt- wie ehrenamtlich arbeiten, sehr auskunfstfreudig. Wollten erst dort auf dem P uebernachten, sind dann jedoch wieder Richtung Bodensee und oberhalb von Salem im ueberaus huebschen Heiligenberg gelandet. Dort thront weithin sichtbar das nach wie vor von der Familie Fuerstenberg bewohnte Schloss . Von irgendwoher hallte nette Musik, und obwohl wir schon muede waren von unserem langen Tag, sind wir ja doch neugierig wie 17-jaehrige und machten uns auf mitten ins Dorf, wo wir die Live-Musik aus dem ersten Stock einer alten Scheune orteten. Man liess uns jedoch nicht ein, denn die fuer 300 Menschen gedachte Halle ist dank Corona nur mit 99 Stuehlen (Wieso 99? Wieso nicht 100?) zu bestuhlen. Vor der Halle waren schon einige andere, die dem Konzert „schwarz“ lauschten und ambulant ihre Pizza assen. Wir kamen ins Gespraech und beschlossen, es ihnen gleich zu tun. Ich bestellte Pizaa im Restaurant nebenan, und Josef holte Wein und Glaeser fuer alle aus dem Womo. Wir sassen auf dem Maeuerle und leerten das Flaeschchen mit einem Lehrerin / IT- Pirat-Ehepaar (also nicht so ein Bandit der Meere, sondern ein Parteigenosse) und einem wild hochstapelnden Monteur, der uns abwechselnd mit obstrusen Dingen zutextete. Ein sehr gelungener erster Reisetag!
Es hat die ganze Nacht geregnet, und nun scheint die Sonne wieder! Auf, auf!
Monag, 13.7.2020
Bad Toelz, Chiemsee
Sind am Samstag, den 11. bis Bad Toelz gekommen, ueber Landstrasse immer parallel zu den Alpen durch das Allgaeu fahrend, aber es war so verhangen, dass wir von der Pracht suedlich von uns, den hohen Gipfeln, nichts sahen. Die Fahrt war entsprechend unspektakulaer. Die Stadt Bad Toelz ebenfalls. Der staedtische WoMo-Stellplatz zwar eigentlich schoen gelegen, direkt an der Isar und nur 10 Min von der Innenstadt, jedoch rappelvoll, so dass zwischen uns und unserem Nebenmann rechts gerade mal so viel Platz war, dass wir die Tuer oeffnen konnten. Linker Hand der ueberquellende Muellcontainer und gleich daneben malerisch die Guellestation, wo die WoMos Schlange standen, um ihr Schwarzwasser loszuwerden. Ich fand es bisschen ekelig. Aber war ja nur fuer eine Nacht. Machten eine Runde durch die etwas ausgestorben wirkende Altstadt – auch unspektakulaer.
Gestern sind wir dann nach einer kurzen, ebenfalls unspektakulaeren, und eher fuer mein Knie therapeutischen Radrunde, weiter gefahren Richtung Chiemsee, wo ich uns endlich bei Volker anmeldete. Er ist der Vater von Basti, Faris‘ Mitbwohner. Die beiden waren schon oft gemeinsam hier und haben uns immer vorgeschwaermt von der Gaertnerei, der tollen Lage, ueber der Strasse vom See und meinten immer, wir muessten mal hierher, wir wuerden uns gewiss gut verstehen mit ihnen. Da wir gestern, am Sonntag Mittag, ankamen, waren die beiden wandern gegangen, hiessen uns jedoch ueber whatsapp herzlich willkommen und gaben uns genaue Instruktionen, wo wir das Womo hinstellen koennen, etc. Haette ich mal richtig gelesen! Ich habe die Einfahrt verpasst und Josef an der Gaertnerei vorbei navigiert. Dann wollteer auf dem engen Zufahrtsweg einem entgegenkommenden Fahrzeug ausweichen, machte einen eleganten Schlenker in die Wiese und wollte gleich drehen; allein, die Wiese stand unter Wasser und schwuppdiwupp das WoMo bis zum Hals im Schlamm. Da steckte es nun und tat keinen Zucker. Klasse! Welch ein Anfaengerfehler. Da hilft auch kein 4-Wheel und kein Luftrauslassen. Die Wiese ist einen halben Meter tief durchgeweicht. Nur ein Traktor wuerde uns hier rausziehen koennen. Aber woher nehmen. Wir signalisierten dem ersten PKW, der vorbei kam, zu halten, aber die Frau machte nur einen weiten Bogen um uns herum. Beim zweiten hatten wir mehr Glueck: der herzige Max fackelte nicht lange, lud uns in sein Auto und fuhr zum naechsten Hof, klingelte den mega-genervten Bauer raus, erklaerte ihm unterwuerfig und in fliessendem bayrisch, dass „die Herrrrschaften sich im Ackerr festgefahrrren haben und wuerd err uns bittscheen wieder herrausi ziege“. Ungern unterbrach der unwirsche Bauer seinen Sonntag, kam aber dann flugs zu uns. Unser Max verabschiedete sich freundlich, wollte partout kein Geld, meinte, so eine gute Tat muesse man einfach bringen. Der unwirsche Bauer hingegen gab unser Abschleppseil erst frei, als wir ihm 20 EUR gegeben hatten. Josef waere gewillt gewesen, ihm mehr zu geben, aber er war gar zu sehr ein Stinkstiefel, grummelte staendig herum ob unserer Dummheit. Ich entschuldigte mich mehrfach wortreich und gab ihm recht, was ihn jedoch nicht freundlicher stimmte. Dann nicht!
Nun hatten wir ja tiefe Graeben in die Wiese gezogen, was der Bauer gemeinhin nicht schaetzt. Mussten also, um Volkers guten Ruf im Dorf nicht zu schaedigen, dem Eigentuemer noch irgendwie Bescheid geben. Morgen!
Fuhren mit den Raedern 20 km am Ufer des Chiemsees entlang von unserem Dorf Seebruck ganz im Norden, bis Chieming am Ostufer und zurueck. Der blaue See mit weissen Segeln getuepfelt, tiefblauer Himmel mit huebschen Wolken, dahinter die erste Gipfelkette der Alpen, gemuetliche Sommerferienstimmung, viele Ausfluegler und Urlauber auf den kleinen Liegewiesen und Kiesstraenden, in den Cafes und Restaurants, aber alle sehr gelassen und entspannt. Nebenbei lernen wir, dass rund um den Chiemsee Kelten und Roemer hausten. Roemische Zeugnisse ueberall. Gegenueber der Gaertnerei ist ein Strassenbaumodell in Originalgroesse aufgebaut…hoechst imposant, ueber welche Strassenbaufaehigkeiten die Roemer verfuegten. Sie haben, neben diversen anderen Lagen, 8m lange Eichenstaemme dicht an dicht quer gelegt. Man stelle sich mal vor, wieviel Eichen in ganz Europa dem roemischen Strassenbau zum Opefer fielen! Der Mensch hat schon immer Raubbau betrieben und wird es solange tun, bis es nichts mehr zu rauben gibt auf dieser Erde.
Trafen gleichzeitig mit Volker und Steph wieder am Haus ein, und nach kurzer Kennenlernrunde kam Basti aus Aich angerauscht. Steph und ich holten Gruenfutter aus dem Garten, Fleisch und Fisch hatten wir besorgt. Grillten gemeinsam; es war leicht, mit ihnen warm zu werden. Steph hat gerade grosse Sorgen um ihren juengeren Sohn, und es war gut, dass sie offen darueber sprach. So konnten wir auch offen sein.
Heute frueh bissel im Garten gechillt und mit Steph die Gaernterei besichtigt. Volker hat sich auf Funkien spezialisiert, ein Pflanzenname, den ich voher nie gehoert hatte. Er hat wohl Hunderte von Sorten und hat sich auf den Online-Handel spezialisiert.
Danach haben wir wenigsten einen kleinen Teil der obligatorischen Touristenrunden gedreht: mit dem Fahrrad nach Chieming, mit dem Schiff auf die Fraueninsel uebergesetzt (Alle auf dem Schiff mit obligatorischer Corona-Maske!), mit hunderten von anderen Touristen zu Fuss eine Runde um die sehr huebsche, kleine Insel. Es gibt hier weder Strassen, noch Autos, nur Fusswege und viele, viele, kleine private Bootsanlegestellen mit schmalen, erhoehten Rasenflaechen dazwischen, die den gluecklichen Hauseigentuemern als Liegewiese dienen. Alles sehr malerisch, aber sicherlich mega-nervig mit dieser staendigen Voelkerwanderung im Sommer. Dabei ist hier dieses Jahr wahrscheinlich, wie ueberall, wenig los, weil die Leute ob Corona gar nicht wegfahren und die auslaendischen Toursiten fehlen. Eine Spezialitaet hier ist geraeucherter Chiemseefisch. Haben fuer die Mannschaft eingekauft und Essen gemacht. Steph ist dankbar. Ihr Kopf ist ganz woanders, die Arme. Heute nicht ganz so lange sitzen geblieben. Alle sind muede, und die Muecken sind eine echte Plage.
Obwohl wirklich alles sehr huebsch ist hier, laesst es uns eher kalt. Hoffen, das wird anders, wenn wir auf weniger ausgetretenen Pfaden wandeln (so es die hier in Europa ueberhaupt gibt).
14.7.2020
Oesterreich
Salzburg, Gaisberg
Morgens noch ein bisschen um’s WoMo herum geproettelt, alles aufgeraeumt, uns von Steph und Volker verabschiedet, in Traunstein noch mit Reisefuehrern fuer Ungarn, Albanien, Griechenland und Rumaenien eingedeckt und dann Richtung Salzburg gefahren. Gleich an der ersten Tankstelle in Oesterreich wollten wir pruefen lassen, ob unser LKW-Mautgeraet, das wir vor zwei Jahren mit unseren 4,5 Tonnen kaufen mussten, noch aktiv ist. Die Dame entsprach zu 100% dem Vorurteil, den Deutsche gegen Oesterreicher haben. Den tuerkischen Fernfahrer vor mir duzte sie und ignorierte seine Versuche, Englisch mit ihr zu sprechen. Als wir an der Reihe waren, war sie dermassen unfreundlich und unhoeflich, dass ich haeufig tief durchatmen musste. Welcome to Austria! Hatten in mehreren Foren gelesen, dass es in AU super nervig ist mit WoMo. Stimmt! Parkten mitten in Salzburg und tippelten durch die schoene und mondaene, K und K-Atmosphaere atmende Stadt. Beeindruckende, riesige Plaetze, viele schoene barocke Bauwerke, ueber allem die weisse Burg thronend. Ein einziges Highlight sahen wir oberflaechlich: den St. Peter-Friedhof unterhalb der Burg, mit seinen fruehchristlichen Katakomben, die nicht in die Erde, sondern erhoeht in den Felsen gebaut sind. Tranken noch einen ueberteuerten Kaffee auf einem huebschen Platz, weil wir der Violinmusik einer Strassenmusikerin lauschen wollten. Leider kam die Polizei und komplimentierte sie weg. Sie hatte wohl keine Erlaubnis. Als Josef das Parkticket zahlte, zog ihm der Automat fuer etwas ueber zwei Stunden 14 Euro von der EC-Karte ab. Er schaute erst danach, was die Stunde kostet, da es ihm dann doch ein wenig teuer vorkam, und es haetten max. 9 EUR sein sollen. Keiner fuehlte sich zustaendig, weder der Parkhauswart, noch die Dame am Notrufknopf. Ich habe das Parkticket abfotografiert und an die Parkhausfirma geschrieben. Da bin ich mal gespannt! (Es hat sich mittlerweile geklaert. Sie waren im Recht. Mit ueber 2,50m Hoehe zahlen wir das Doppelte. Aha! Mehr Parkflaeche haben wir dadurch eigentlich nicht gebraucht. Egal!)
Josef waere am liebsten gleich weiter Richtung Steiermark, unserem naechsten Ziel. Aber ich hatte in der von Masin empfohlenen App „Park4Night“ einen schoenen Parkplatz weit oberhalb von Salzburg auf dem Gaisberg entdeckt, und wir zirkelten in Serpentinen hinauf. Es hat sich gelohnt. Stehen jetzt hier mit beinahe 360-Grad-Rundumblick, um uns herum viele Radfahrer (Uff! Wie die hier rauf gekommen sind!), andere Womos und einige PKW, die hier den Sonnenuntergang bewundern. Auf der anderen Seite, Richtung Ebene, sind pausenlos Gleitschirmflieger gestartet. Haben ihnen lange zugeschaut, ich immer die Luft angehalten, wenn sie lufttretend abgehoben sind. Anschliessend haben wir vor diesem herrlichen Salzkammergut-Panorama fein auf der Parkbank zu Abend gegessen, bis es uns zu kalt wurde.
16.7.2020
Totes Gebirge, Aussee, Grundlsee, Goessl, Toplitzsee
Sind gestern die Landstrasse von Salzburg Richtung Bad Ischgl gefahren. Mich zog der Name „Totes Gebirge“ an. Ich glaube, es ist der noerdliche Teil des Salzkammergutes. Wir fuhren durch Bad Aussee zum noerlichen Ende des Grundlsees. Da stehen wir nun seit gestern Abend in schoener Bergkulisse. Mussten auf einen Campingplatz, denn um den See herum ist es in normalen Sommern offenbar so voll und so eng, dass man nirgends frei stehen darf. Aber ist auch mal nett, ausgiebig duschen zu koennen. Der Platz ist eine grosse Grasflaeche, so dass man rundum einen freien Blick hat. Wollten eben zu einem Spaziergang aufbrechen, als ein recht altes Ehepaar aus Hameln verzweifelt versuchte, mit seinem WoMo aus einer Matschpfuetze in der Wiese heraus zu fahren. Es ging ihm wie uns am Chiemsee. Nun waren wir dran mit der guten Tat. Holten unser Abschleppseil heraus und zogen dass gut Stueck raus. Alles gut. Er schenkte uns zum Dank einen meiner „Lieblingsweine“: Lemberger-Trollinger! Sein Hauswein. Trotzdem sehr nett!
Dann liefen wir weiter in das in einer Sackgasse endende Tal hinein bis zum Toplitzer See, ein Spaziergang, mehr nicht. Der ueber 100m tiefe See schimmerte geheimnisvoll dunkelgruen zwischen den ringsherum hoch aufragenden Bergen. Tafeln neben dem See waren woller Zeitungsausschnitte ueber einen Nazischatz, der angeblich hier in in den Felsen unter Wasser gesprengten Hoehlen lagert. Unzaehlige sind hier schon herum getaucht, mit Hightech-Ausruestung und ohne (ein Taucher ertrank bei einer nicht genehmigten, von Neonazis finazierten Tauchaktion und wurde nie gefunden), haben bisher jedoch keinen Schatz geborgen, sondern u.A. eine Seemine, Torpedos und andere Waffen, die hier wohl ausprobiert wurden von den Nazis, ferner einen Duesenjaeger, angeblich Hitlers letzter Pilot in geheimer Mission, der hier abgeschossen wurde und sich an einer Steilwand unter Wasser in den Morast gebohrt hat, so dass die Leiche, seine Lederuniform und sein Helm gut erhalten waren; dann noch eine riesige Menge falscher britischer Pfundnoten, mit denen in der „Operation Bernhard“ die britische Wirtschaft geschwaecht werden sollte. Aber einen echten Schatz hat hier noch keiner gefunden. Der See ist nach wie vor voller Geheimnisse.
Schlenderten zurueck und begegneten wieder unserem Ehepaar aus Hameln, das auch rasch die Nieselpause genuetzt hat, um sich ein bisschen die Fuesse zu vertreten. Sie hatten keine Jacke mit, und als es anfing zu regnen, gaben wir ihnen unsere Regenjacken fuer den Rest des Wegs. Schon zwei gute Taten heute! Wenn das mal nicht Gummipunkte im Himmel gibt!
Haben gegessen, noch ein trostloses Bier im einzigen Lokal am Platz getrunken und dann ab ins Bett. Wollten eigentlich heute frueh Richtung Steiermark weiterfahren, in den Ort, an dem Josef als Neunjaehriger mal mit seiner Patentante Isolde war, eine Reise, die seine Liebe zu den Bergen begruendet hat. Aber als wir gefruehtueck hatten, lugt gerade die Sonne kurz raus, so dass wir motiviert waren, eine „kleine“ Wanderung zu unternehmen. Sind also 900 Hoehenmeter zur leider unbewirtschafteten Goessler Alm hinauf und wieder hinunter gelaufen (war uns nicht so ganz klar, dass es gar so weit hoch geht), hatten, ausser einer Flasche Wasser, nichts dabei, haben aber Gott sei Dank fuer das Abendessen ein paar Sommersteinpilze gefunden, die wir nun gerade vertilgt haben. Das Wetter blieb uns hold. Es fing erst an zu regnen – und zwar sofort und seitdem ununterbrochen – als wir wieder gemuetlich und trocken im Womo sassen. Ach ja: Und ich hatte das Fernglas dabei und habe zweimal (!) Gemsen entdeckt!! Ganze sechs andere Wanderer und ein eine kleine Kuhherde, die mitten im Wald Mittagsruhe hielt, sind uns begegnet in den 6 Stunden.
Samstag, 18.7.2020
Mariazell, Neuberg an der Muerz
Haben gestern frueh nach dem Fruehstueck wiederum eine kleine Radrunde gedreht, um die Knochenscharniere ein bisschen zu schmieren und waren puenktlich mit Einsetzen des Regens wieder am Womo und sind aufgebrochen Richtung Mariazell, was in der groben Richtung von Neuberg liegt, Josefs Kindheits-Berge-Schluesselerlebnisort. Mariazell ist eines der wichtigsten Pilgerziele Oesterreichs und, gemessen an der Anzahl und Groesse der umgebenden Parkplaetze normalerweise der reinste Ameisenhaufen. Nicht so gestern und wahrscheinlich dieses ganze vermaledeite Corona-Jahr. Es herrscht gaehnende Leere. Wir teilten uns einen der riesigen Parkplaetze mit genau einem Womo. Draussen wollte es partout nicht aufhoeren zu regnen, so dass wir erst einmal einen Tee tranken und abwarteten. Allein, es half nichts. Haben uns also mit Anorak, Wanderstiefeln und Regenschirm ausgestattet und uns in die graue Trostlosigkeit und Kaelte gestuerzt. Das Staedtel ist Gott sei Dank nur fuenf Minuten Fussweg entfernt und sehr ueberschaubar. Die Basilika, welche das Objekt der Anbetung zahlloser Pilger beherbert, eine etwas in die Jahre gekommene (aus dem 12 Jahrhundert) und drum schon etwas abgeschabte hoelzerne Marienstatue mit Jesuslein auf dem Arm, ist eine interessante architektonische Mischung: man hat die urspruenglich gothische Kirche irgendwann erweitert und barockisiert, jedoch den gothischen Turm stehen lassen und links und rechts jeweils eine barocken Turm hinzugefuegt. Der Grund hierfuer war wohl politischer Natur. Denn die gothische Kirche hatte ein ungarischer Koenig gebaut aus Dankbarkeit ueber seinen Sieg ueber die Tuerken. Die spaeteren Habsburger Machthaber wollten die Ungarn nicht veraergern und liessen den gothischen Turm stehen. Wir drehten eine kurze Runde durch die Basilika, wo gerade ein abendlicher Gottesdienst stattfand (Es wird mir ewig ein Raetsel sein, woher der geneigte katholische Kirchengaenger weiss, wann er was auf den Singsang des Pfarrers antworten muss!), trafen zufaellig auf den Messner, der sehr freundlich war, mir eine Maske aus seinem Funduns gab, weil hier in der Kirche Maskenpflicht herrscht, obwohl in Ladengeschaeften und Restaurants nicht, uns dann noch von sich aus die Sakristei zeigte, Schubladen oeffnete, uns den Inhalt erklaerte. Unter Anderem gab es da Gewaender, die er der Marienstatue und dem Jesuskind anzieht. Es gibt wohl Tausende dieser Gewaender, und die Statue ist, ausser zweimal im Jahr zu besonderen Anlaessen, immer bekleidet. Es erinnnerte mich spontan an den Jade-Buddha im Tempel von Bangkok, dem groessten Heiligtum dort. Dieser kleine Buddha sitzt, aehnlich wie die Maria hier, auf einem Sockel hoch oben ueber den Glaeubigen und wird auch alle Naselang umgezogen. Mythen!
Der Messdiener empfahl uns, am naechsten Tag, also heute, nochmals zu kommen, um uns die Schatzkammern der Basilika anzuschauen – es lohne sich. Wir nahmen es uns vor und empfahlen uns, suchten nach einem Restaurant mit Hausmannskost, fanden auch eines und bekamen echtes Siedfleisch mit Meerrettichcreme und Semmelknoedel und ein Bierchen dazu. Sehr lecker! Der Wirt meinte auf unsere Frage hin, er habe durch Corona keine Verluste erlitten. Im Gegenteil, in Krisenzeiten kaemen mehr Pilger als sonst. Ist zwar schluessig, was er sagt, aber die Stadt ist gaehnend leer. Wir liefen durch die verwaiste, dunkle, verregnete Stadt und trollten uns in unser gemuetliches Womo.
Es regnete die ganze Nacht hindurch, und auch heute frueh gingen wir wacker durch den Regen wieder zur Basilika. Es begegnete uns eine klatschnasse Pilgergruppe, die dennoch froehlich „Hosianna“ sang, und wir liefen gemeinsam mit ihnen bis zur Kirche. Dort war heute frueh immerhin ein bisschen mehr los, vielleicht um die 100 Glaeubige drinnen zum Gottesdienst. Wir lauschten eine Weile, passten dann die Pause bis zum naechsten Gottesdienst ab, um die unglaublich heilige Statue aus der Naehe zu sehen und gingen dann hinauf zur Schatzkammer, die sich auf der Empore ueber den Seitenschiffen der Kirche erststreckt. Sehr spannend: Unten die lithurgischen Gesaenge, das Orgelspiel, die Gebete des Pfarrers, das Murmeln der Betenden, hier oben die Waende voller Votivtafeln, bis zu 500 Jahre alt und mit den interessantesten Darstellungen von Krankheiten, Unfaellen, Katastrophen, Feuersbruensten, etc. die Glaeubige ueberlebt haben, wofuer sie der Maria von Mariazell danken. In einem Rahmen hing ein Granatsplitter aus dem 2. Weltkrieg, der wohl einen Soldaten knapp verfehlt hatte, wofuer er dankte. Eine Plexiglassaeule enthielt abgebetete Rosenkraenze als Opfergabe, eine andere Brautschleier als Fuerbitte fuer eine glueckliche Ehe, wieder eine andere Fotos von Verstorbenen, um deren Seelenheil gebeten wurde; eine ganze Wand war voller Rahmen mit Haaren von Frauen, die diese geopfert hatten fuer irgendeine wichtige Sache, etc….. Es ist schon immer wieder faszinierend, woran Menschen so glauben koennen, und vor Allem auch auf wie aehnliche Weise sich dieser Glaueb ueberall und in allen Religionen manisfestiert. Das Prinzip der Opfergabe ist wohl das, was alle vereint.
Genug Geistliches! Wir kauften noch eine Postkarte und ein kreditkartenartiges Bildchen der Maria fuer Christina in Sri Lanka, weil sie sich ueber derlei katholische Devotionalien immer freut, erstanden dann noch ein paar suesse Stueckchen und machten Teatime im Womo. Anschliessend machten wir uns auf nach Neuberg.
Die Fahrt ueber eine schmale Landstrasse fuehrte durch die enge Schlucht der Muerz mit links und rechts hoch aufragenden Felsen und der vom Regen ueppig gefuellten Muerz, die immer abwechselnd links und recht der Strasse maeandert. In Neuberg angekommen, konnte sich Josef nach fast 60 Jahren tatsaechlich noch an die Strasse und das Haus erinnern. Wir liefen um das Haus herum und fanden dort einen Mann, der Josef nicht kannte. Wir erklaerten, wer wir sind, und er lief hinein, seine Lebensgefaehrtin Eva zu holen, die damals ein sechsjaehriges Maedchen gewesen war. Sie wusste sofort, wer Josef ist. „Der Forkl-Sepp, na klar“. Sie bat uns herein, kochte uns einen Kaffee, und wir tauschten uns aus. Ihr Bruder, Hans, der so alt waere wie Josef, habe sich im Januar das Leben genommen. Das war eine traurige Nachricht. Die Patentante Isolde, die damals mit Josef hierher kam, war eine Freundin der Familie und kam alle zwei Jahre zu Besuch. Man nannte sie die Teck-Tante, weil sie in Weilheim/Teck lebte. Sie und Evas Mutter waren auf dieselbe Fachschule im Sudetenland gegangen. Daher die Verbindung. Als wir langsam los wollten, kam der Lebensgefaehrte noch einmal dazu, zeigte uns seine Fischteiche im Garten und haette wohl gern noch laenger geplaudert. Aber Eva hatte, glaube ich, zu tun. So verabschiedeten wir uns. Der Teil des Dorfes, wo die Familie lebt, ist ein isolierter Ortsteil, eine einzelne Strasse (mit vielleicht zehn Haeusern auf auf recht grossen Grundstuecken), die in ein Tal hinein fuehrt, das recht bald am steilen Berg Schneealpe endet. Wir gingen bis zum Ende des Tales und liefen dann zurueck. Da das Wetter ein wenig aufklarte, konnten wir die Berge endlich sehen und beschlossen, ueber Nacht zu bleiben, fragten den Eigentuemer des letzten Hauses, ob wir gegenueber von ihm stehen duerfen ueber Nacht, plauderten nett mit ihm, holten uns ein paar landeskundliche Informationen und blieben also. Er bot uns an, an seinem Brunnen unser Trinkwasser aufzufuellen.
Hoffen, dass wir morgen auf die Schneealpe klettern koennen. Das hatte man Josef damals vor 60 Jahren versprochen, und er hat den ganzen Urlaub vergeblich gewartet.
23.7.2020
Rechnitz
Ungarn
Koeszeg, Budapest, die Matra, Eger
Leider war es am 19. morgens verhangen und hat ununterbrochen genieselt, so dass wir die Schneealpe sausen lassen musste. Schade! Hatten uns auf die Wanderung gefreut, wenngleich es wieder viele, viele Hoehenmeter gewesen waeren. Also fuhren wir weiter Richtung ungarische Grenze, liessen die Alpen hinter uns und fuhren ueber Landstrasse durch ein Tal, das uns sehr an unser Aichtal Richtung Waldenbuch erinnerte, nach Rechnitz. Auf dem Weg ueberquerten wir noch einen Hoehenzug, hielten kurz im Wald an und fanden zu unserer grossen Freude ein paar Pfifferlinge!
Wir hatten vor einiger Zeit das Buch „Was hat das mit mir zu tun?“ gelesen. Ein Reporter der Neuen Zuericher Zeitung namens Sacha Batthyany, Nachfahre des gleichnamigen Adelsgeschlechts, recherchiert den Massenmord an 180 juedischen Zwangsarbeitern in dem kleinen Grenzort zu Ungarn im Maerz 1945, begangen von lokalen Nazigroessen als „kleine Unterbrechung“ eines grossen Festes auf dem Rechnitzer Schloss, mit Wissen und Billigung der Gastgeberin, einer Grosstante des Reporters. Das Verbrechen wurde totgeschwiegen – so erfolgreich totgeschwiegen, dass unser Reporter tatsaechlich ueberhaupt nichts davon wusste. Zwei Hauptbelastungszeugen wurden schon 1946 umgebracht, die Hauptschuldigen nie zur Rechenschaft gezogen, das Massengrab, trotz mehrfacher Suche, nie gefunden. Wir mussten eine ganze Weile suchen, bis wir zumindest eine Gedenkstaette fanden. Es gab nur ein einziges Hinweisschild, woraus wir schlossen, dass man bis heute nicht gern daran erinnert wird.
Von Rechnitz aus uberquerten wir die Grenze, fanden erst nach der ersten elektronischen Mautstelle heraus, dass wir die Maut online zahlen koennen. Das erste im Reisefuehrer genannten Highlight war das Staedtchen Koeszeg, unser Ziele fuer diese Nacht. Hier, wie ueberall im Ungarn, begegnete uns zum ersten Mal das Trauma der Eroberung Ungarns durch die Tuerken im 16. Jahrhundert (!) mit der einhergehenden Zerstoerung und Gewalt. Es wird ueberall thematisiert. Koeszeg hat eine kleine Festung und eine recht huebsch hergerichtete Altstadt, in der wir mit vielen ungarischen Touristen flanierten. Wir schliefen gut im Schatten der Burg auf einem oeffentlichen Parkplatz, flanierten am 20. nochmal eine Rrunde durch das Staedtchen, drehten dann mit den Fahrraedern eine Runde um einen kleinen Stausee, dann durch einen Wald. Hier hatten Waldarbeiter eine grosse Lichtung in den Wald geschlagen, richtigen Kahlschlag, wie man es bei uns sicherlich nur bei Sturmschaeden oder krankheitsbefall tun wuerde. Wir konnten uns ein wenig verstaendigen (Unsere Beorbachtung ist, dass die Aelteren eher Deutsch, die Juengeren eher Englisch sprechen.), und ein Mann erklaerte uns, die Fichten wuerden an die oesterreichische Papierindistrie geliefert, waehrend die Eichen fuer Moebel und als Feuerholz genuetzt wuerden. Wir machten uns dann auf in nordoestlicher Richtung zum Schloss Esterhazy, suedlich vom Neusiedler See, verzichteten auf eine Fuehrung im Inneren, umrundeten mit den Raedern das als Versailles von Ungarn bezeichnete Schloss und fuhren durch den weitlaeufigen Schlosspark. Wir wunderten uns ein wenig ueber den bei naeherem Hinsehen doch eher vernachlaessigten Zustand des Schlosses. Google erklaerte uns dann, das Schloss wurde verstaatlicht zur kommunistischen Zeit und den Esterhazys nie zurueck gegeben. Teile der Innenraeume und des Parks wurden fuer den Tourismus retauriert und der Rest beherbergt u.A. eine Fachschule.
Wir radelten vom Schloss aus noch ein bisschen durch die platte, etwas nichtssagende Landschaft und machten uns dann zielstrebig auf Richtung Budapest. Die Einfahrt in die Stadt, von Westen kommend, war unspektakulaer und wie jede beliebige Grossstadt. Die von Masin empfohlene App Park4Night schickte uns auf einen oeffentlichen Parkplatz im Stadtpark, nahe des Zentrums, und nach einigem Umrunden und Rangieren fanden wir auf der gegenueberliegenden Seite des Parks, gleich neben dem Siegesplatz , einen geeigneten Platz, wo wir dann auch zwei Naechte blieben. Wir fuhren mit den Raedern durch die herrlichen Andrassy-Strasse, die Champs Elysees Budapests, gesaeumt von Prunkvillen und herrlichen Stadthaeusern aus der Zeit von 1850 bis 1920, Richtung Donau. Ich musste sehr aufpassen, mich nicht tot zu fahren, vor lauter Hans-Guck-in-die-Luft-Spielen. Man hat die Budapester Innenstadt sehr fahrradfreundlich gestaltet, so dass man fast immer eine eigene Spur hat. Ausserdem ist es platt wie Holland, so dass Fahrrad fahren wirklich Spass macht. An der Donau angekommen fanden wir eine Bar direkt an der beruehmten Kettenbruecke. Die Abendstimmung ueber der Donau mit dramatischen Gewitterwolken und wunderschoenem Abendlicht war postkartenhaft! Wir kamen mit einem jungen Paar, Edna und Zoltan, ins Gespraech – oder eigentlich mehr ins Geschrei, weil eine Liveband ziemlich gruseligen Heavy Metal spielte. Waere sicher spannend gewesen, mit den beiden in stillerer Umgebung zu diskutieren. Josef fragte die beiden, was sie von der EU halten. (In den USA kurz vor der Wahl 2016 hatte er alle Gespraeche mit der Frage „Who is going to be your next President?“ angefangen, was auch immer fuer lebhfate Gespraeche sorgte!) Die Idee sei gut, sagte Zoltan, der mich an den Mann meiner Cousine Yasmin erinnerte, die Umsetzung jedoch nicht so sehr. Woran er das festmacht, konnte er nicht recht ausdruecken. Er hatte ein interessantes Demokratieverstaendnis, meinte, man solle die abgegebenen Waehlerstimmen unterschiedlich gewichten, je nach Alter, Erfahrungs- und Bildungsgrad der Waehler. Hmm…
Wir schliefen sehr gut, parkten nach dem Fruehstueck fuer den Tag um an die Donau. Dort standen zwei Angler und zogen einen 4-kg-Wels aus dem Wasser! Wir fuhren ueber die Donau, machten die obligatorische Runde um den Palast herum, schauten einer Wachabloseung zu, die mich an mit Zinnsoldaten spielende Jungen erinnerte, radelten zurueck zum Womo, um nochmals die Parkzeit zu verlaengern (man kann in der Innenstadt max 3 Std. bezahlen), fuhren dann nochmals los, um das juedische Viertel zu finden, fanden nach einigem Hin-und-Her-Gegurke endlich die Grosse Synagoge mit Toraschule und Diversem anderen und das Geburtshaus des Oberzionisten Theodor Herzl. Alles war jedoch abgesperrt, und der davor patroullierende Polizist wusste nicht zu sagen, ob und wann man sie besichtigen kann. Ansonsten war das juedische Viertel nicht als solches erkennbar. Wir mussten wieder Geld nachwerfen, aber mittlerweile waren wir von unseren vielen Fahrradkilometern in der Hitze so platt, dass wir das Womo wieder zurueck in den Stadtpark brachten, damit es morgens nicht in der prallen Sonne stehen wuerde, und dort eine Siesta hielten. Aßen auch gleich zu Abend, denn unsere Essengehversuche waren bisher nicht so prickelnd verlaufen. Erfrischt radelten wir wiederum zur Donau hinunter und belohnten uns fuer den anstrengenden Tag mit einer feinen Flasche Wein bei Live-Musik von einer Sinti- oder Romakapelle. Offenbar sind diese Musiker die einzigen dieser immerhin 10% der Bevoelkerung ausmachenden Minderheit, die von der Mehrheit akzeptiert sind. Es gibt wohl sonst kaum Beruehrungspunkte, was man sich kaum vorstellen kann. Und auch diese Kapellen gibt es immer weniger. Waehrend wir den Abend genossen mit herrlichem Ausblick auf Schloss, Kettenbruecke und Fischerbastion auf der anderen Donauseite, tobte ein Gewitter ueber uns hinweg. Wir liessen und jedoch nicht vertreiben, harrten aus , bis es vorueber war; die Kellner haetten uns am liebsten verabschiedet, aber wir wollten, 1. unser gutes Flaeschchen in Ruhe trinken, und haetten 2. ohnihn nur im Regen gestanden. Also blieben wir unter der schuetzenden Markise sitzen, die die Kellner ab und zu mit einem Besenstil von ihrer Wasserlast befreiten und wurden nachher noch mit einem Privatstaendchen der kleinen Kapelle belohnt. Diese wiederum liess sich ihr Staendchen mit einer voellog ueberteuerten CD belohnen. Naja, man lernt nie aus.
Wir genossen die Fahrt durch die menschenleere, naechtliche Andrassy-Strasse zurueck zum Womo und schliefen wie die Murmeltiere.
Nach dem Fruehstueck drehten wir eine Runde durch den Stadtpark. Hier steht ein Schlosss, das Paradebeispiel ist fuer den Budapest praegenden Architekturstil aus Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts, den Eklektiszismus, eine Mischung aus allen moeglichen Architekturstilen – Klassizismus, Gothik, Barock,… – zusammengebastelt zu manchmal beinahe kitschig anmutenden Resultaten. Ein Besucher schrieb im Internet, gerade dieses Schloss erinnere ihn an Walt Disney World. Ein Highlight in Ungarn sind die vielen Thermalbaeder, und davon eines der bekanntesten ist das Széchenyi-Bad im stadtpark, dieses durchgaengig in Barock gebaut, keine 2 Minuten von unserem Schlafplatz entfernt. Packten also unsere Badesachen ein und verbrachten vier sehr entspannte Stunden in diesem fuenf Aussen- und mindestens 10 Innenbecken umfassenden Erholungtempel, der fuer alle Sinne schoen ist: das warme Wasser, das sanfte Gemurmel der Gaeste, die wunderhuebsche Architektur, … Alles fuehlt sich an wie aus einer anderen Zeit.
Nach unserem Bad und einer kleinen Pause im Womo machten wir uns auf Richtung Nordosten – durch den Matra-Hoehenzug nach Eger. Wir fuhren bewusst die Serpentinenlandstrasse, weil wir uns huebsche Ausblicke erhofften. Zunaechst hielten wir am Fuss der Matra in Gyöngyäs. Kauften den ersten ungarischen Wein in einer offenbar alten Winzerei – das schoene alte Gebaeude so heruntergekommen, dass ueberall Netze verhindern sollen, dass einem irgendwelche Fassadenteile auf den Kopf fallen. Gyöngyäs fuehlte sich sehr sozialisitisch an . Angesicht dessen sind wir sehr gespannt, was uns in Rumaenien erwartet.
Beim Hinausfahren aus der Stadt verpassten wir die Zufahrt zur Landstrasse und kammen an einem Kohletageabbau vorbei, eine wirklich riesige Wunde in der Landschaft. Wir wir da, von Kameras bewacht, am Rand standen und hinunter guckten in den endlosen Krater, wurde im nahegelegenen Braunkohle-E-Werk der Ofen angeworfen und hustete eine derart grosse, kohlrabenschwarze Wolke in den Himmel, dass uns ganz anders wurde. Wir fuhren zurueck zum Ausgangspunkt der Landstrasse durch die Matra, fuhren nun jedoch die ganze Zeit duch Wald und sahen fast gar nichts, ausser hier und da immer wieder einen Augenblick lang den schwarz russenden Schornstein des Kraftwerks.
Eger ist ein huebsches Staedtchen, nett zurecht gemacht fuer den Tourismus, der sich, wie schon in Budapest, angesichts Corona auf Einheimische beschraenkt. Wir sind wohl die einzigen Auslaender hier. Fanden gestern Abend wieder dank der Park-App einen oeffentlichen Parkplatz unter schattenspendenden Baumen, gingen ins sehr belebte Staedtel, fanden auf einem gemuetlichen Platz ein Restaurant mit netter Live-Musik von einem einzelnen Violine spielenden Sinti/Roma und liessen es uns gut gehen. Am Nebentisch sass eine sehr lustige und trinkfeste Familie aus Slowenien, mit denen wir ein wenig ins Gespraech kamen. Eine der Frauen fragte uns, was wir von Corona hielten, ob es die Krankheit wirklich gebe oder alles nur eine Erfindung sei. Was sagt man dazu? Ich ging dann eine rauchen (darf man in Speiselokalen selbst draussen nicht) und dachte so bei mir, dass ich zwar keinen einzigen Menschen persoenlich kenne, der an Corona erkrankt ist, aber dass es wohl unwarscheinlich sei, dass sich saemtliche Regierungen und Medien dieser Erde zusammengetan haben koennten, um der ganzen Menschheit Kranke und Tote vorzugaukeln, die es gar nicht gibt. Dann koennte man auch behaupten, 9/11 habe nie stattgefunden, sei eine reine Fiktion. Die ganze Welt eine „Truman Show“.
Wir schliefen gut, besichtigten heute Vormittag die Burg ueber dem Staedtchen. Alle, wirklich alle historischen Staetten wurden / werden mithilfe der EU restauriert. Leider sind dennoch Informationen in Englisch oder Deutsch so gut wie nicht vorhanden – nirgends.
Wir liefen parallel zu einer Gruppe etwa 10-jaehirger Maedchen in Begleitung zweier Frauen. Man sah den Maedchen an, dass sie aus aermlichen Verhaeltnissen stammen. Wir sprachen irgendwann die Begleiterin an, die leider nicht viel Englisch konnte; jedoch erfuhren wir, dass sie fuer die Kirche arbeitet. Wir vermuteten, es handelte sich um Sinti/Roma-Kinder und bei dem Ausflug um eine karitative Aktivitaet.
Wir gingen anschliessend in die riesige Basilika, wo wohl mittags immer Orgelspiel stattfindet. Es empfing uns ohrenbetaeubender Baustellenlaerm, und die halbe Basilika ist innen mit einer schwarzen Folie komplett abgesperrt. Aber peunktlich um 12:00 machten die Arbeiter Pause, und der Organist spielte eine halbe Stunde lang – allerdings selbst fuer unsere kulturbanausigen Laienohren eher schlecht.
Eigentlich wollten wir noch in das erzbischoefliche Lyzeum, die Bibliothek besichtigen. Aber wir konnten nicht heraus finden, wo es ist! Ungarn ist einfach kein grosses Touristenland, ausser dem Plattensee und Budapest, und es ist gar nicht einfach, Informationen zu bekommen. Wir haben in Deutschland tatsaechlich in mehreren Buchlaeden nur einen einzigen Reisefuehrer fuer Ungarn gefunden – und da auch nur den sehr knappen Polyglott. Gegenueber der Basilika befindet sich ein weiterer riesiger Bau – ein Lyzeum, das ein paar spannende Bewertungen hat. Aber hier war es ganz unmoeglich, zu erfahren, was es zu sehen gibt, da weder die Damen im Foyer besonders auskunftfreudig waren, noch eine Broschuere auf Englisch zu haben war. Und das hier, wo in normalen Sommern vielleicht doch einige Touristen unterwegs sind. Wir gaben es auf, schlenderten noch ueber den Markt, kauften ein wenig Obst und machten Mittags- bzw. Schreibpause im Womo. Jetzt wollen wir eine Runde schwimmen gehen im Schwimmbad gleich neben unserem Womo.
When in Rome, do as the Romans do. Das ist richtig gut gelungen! Neben uns sind das Thermalbad von Eger, ferner ein reines Trainingsbad und dann noch ein Hallenbad, das ebenfalls z.T. fuer Trainingszwecke genuetzt wird. Alle haben 50m-Becken. Wir haben naemlich gelernt, dass die Ungarn nicht nur ihre Thermalbaeder lieben, sondern auch grosse Wasserballspieler sind, ja, sogar die besten auf der Welt. Eben liest Josef mir vor, dass ihre Olympiamannschaft schon 1932 die Medaille in Los Angeles geholt hat, und das mit einem Spieler, dem das linke fehlte, der also heute nur bei den Paralympics mitspielen duerfte. schon einige internationale Preise, auch bei Olympia, geholt haben. Bietet sich bei den vielen, vielen heissen Quellen hier im Land an. Wir mussten Badekappen kaufen; sie sind in allen Schwimmerbecken Pflicht. Sind also unsere endlosen Bahnen geschwommen, waehrend man um uns herum ganz dezent und voellig unaufgeregt die Halle fuer’s Training umgestaltet hat, ohne uns aus dem Becken zu werfen oder laute Durchsagen zu machen. Wir Schwimmer hatten dann das halbe Becken fuer uns und schwammen fortan quer. Als wir genug hatten, entdeckten wir zu unserer Freude auch noch einen grossen Whirlpool mit herrlich warmem Wasser, in das wir uns hinein luemmelten und dabei den Kids beim Training zuschauten. Anschliessend trainierten junge Frauen. War sehr spannend, zuzuschauen – und natuerlich eine Augenweide noch dazu, wie man neidlos zugeben kann.
Josef kocht die Pfifferlinge! Yum!
Sonntag,26.7.2020
Hortobagyi / Puszta, Debrecen
Rumaenien
Rumaenien ist beinahe quadratisch in seinen Ausenabmessungen, hat 20 Mio Einwohner und beinahe die Flaeche Deutschlands ohne Bayern. Der Ring des Karpatengebirges ist wie ein riesiger Kraterrand beinahe um das ganze Land herum, mal flacher mal hoeher. Aussen liegen flache Ebenen, ganz im Osten das riesige Donau-Delta, in der Mitte des Kraters Transsylvanien und in desssen Mitte wiederum Siebenbuergen.
Baia Mare
Wir hatten debattiert, ob wir in Ungarn noch einen Ausschlag weiter in den Norden machen sollten, zur Lippizanerzucht im Buekkgebirge oder nach Miskolc in das Hoehlenthermalbad, entschieden uns jedoch stattdessen ein wenig mehr von der Puszta zu sehen. Wie diese einst groesste Grasssteppe Europas entstanden ist, geht nicht so recht aus unserem Reisefuehrer oder dem Internet hervor. Mal wird gesagt, es sei einst die wohlhabendste Ecke des ungarischen Koenigreichs gewesen, bis die tuerkischen Invasoren es im 16. Jahrhundert verwuestet haetten, mal wird geschrieben, die Trockenheit des Karpatenbeckens, in Verbindung mit den Feldzuegen der Mongolen im 12. und 13. Jahrhundert haetten es verursacht. Diese ist zwar offenbar, bis auf zwei Nationalparks, mittlerweile zu einem einzigen riesigen Acker umgewandelt, aber immerhin gibt es noch die zwei Nationalparks. Wir fuellten unsere diversen leeren Flaschen noch mit dem Heilwasser der Thermalquelle gleich neben unserem Parkplatz. Dort stehen immer Menschen aus Eger mit ihren Behaeltnissen und warten mehr oder weniger geduldig, bis eines der Auslaufrohre frei ist. Plauderten noch nett mit einer Frau und ihrem Sohn, die die heilenden Qualitaeten des Wassers ruehmten. Ich lobte das Englisch des Sohnes, aber als seine Mutter begann, seine vielen Talente anzupreisen, war es ihm sehr peinlich.
Wir machten uns auf in Richtung Hortobagy. Unser Reisefuehrer hat schon einen Vogel, muss ich sagen. Ungarn hat wirklich nicht so viel richtig Spektakulaeres, und der Polyglott neigt dazu, die Dinge, die es so gibt, ein wenig aufzublasen: Am Dorfeingang gibt es ein flaches Brueckchen mit neun Boegen oder so, und der Polyglott macht daraus ein mittleres Weltwunder! So ging es uns nun schon mehrfach hier in Ungarn. Schwamm drueber! Irgendwie muessen sie ja die Seiten fuellen und die Leute von A nach B lotsen.
Es gibt hier einen riesigen Grasparkplatz, an dem man ablesen kann, was hier in einem normalen Sommer los ist, wenn nicht Corona die Leute davon abhaelt, zu reisen. Vorgestern standen keine zehn Fahrzeuge dort, und die Nacht verbrachten wir mutterseelenallein. Ein paar Verkaufsstaende versuchten Kruschtelchen an die Frau / den Mann zu bringen, und wir aßen unsern ersten Langos mit saurer Sahne. Will ich schon, seit wir in Ungarn sind. In einer etwas ausgestorben wirkenden Touristeninformation erklaerte man uns, dass wir nicht einfach so in die Puszta laufen koennten, es sei alles gesperrt, weil ja Naturschutzgebiet. Wir koennten nur hinter dem Dorf vom Gestuet aus mit einem Pferdewagen rausfahren. Aha! Sind also mit unseren Raedern die paar KM hinaus geradelt. Auf dem Weg auf einer Bruecke ueber dem Hortobagyfluss standen zwei Maenner und fischten mit einem starken Magnet an einem langen Seil im Fluss nach Metall, in der Hoffnung auf Kostbares, wie tuerkische Muenzen, usw. Auch eine Art, seine Zeit zu verbringen. Wir meldeten uns fuer die naechste Planwagenfahrt um 16:00 an, strolchten derweil durch die Staelle, guckten uns direkt benachbart ein verwaistes, offenbar mal recht schoenes Hotelgelaende mit lauter kleinen Haeuschen an und traten dann schliesslich unsere Touri-Kutschfahrt an. Drei Wagen zuckelten also los, eine junge Dame eskortierte uns und erklaerte zweisprachig, was uns da jeweils begegnete: die beruehmen Puszta-Reiter mit ihren neckischen blauen Roeckchen, die ihre Peitschen knallen lassen wie Pistolenschuesse, die Pferde dazu bringen, sich flach hinzulegen (frueher im kniehohen Pusztagras der einzige Schutz vor Entdeckung durch herannahende Feinde), mit jeweils einem Fuss auf zwei Pferden stehend halsbrecherisch im Kreis um uns herum reiten; spaeter die so genannten Zackelschafe mit Endlosmaehne und Korkenzieherhoernern in grossen Staellen; schliesslich eine Graurinderherde mit ihren imposanten Hoernern an einer Wasserstelle mit traditionellem Brunnen (und Benzinpumpe, die in Wirklichkeit das Wasser hochpumpt); zum Schluss noch ein Gruppe Wasserbueffel, die hier einst mit indogermanischen Einwanderern vor 1000 Jahren aus Indien mitgebracht wurden. Um alles herum die endlos flache Grasssteppe mit dem herrlichen endlosen Himmel darueber. Obwohl das Ganze fuer uns Touristen gestellt ist, war es wirklich sehr schoen. Und das Gestuet leistet einen wichtigen Beitrag zum Schutz und zur Wiederaufzucht dieser vom Aussterben bedrohtenTierarten.
Als wir wieder am Womo ankamen, waren die Verkaufstaende verwaist und die grosse Grasflaeche um uns herum gaehnend leer. In der schoenen Abendstimmung wollten wir noch nicht recht hinein ins Womo. Also nahmen wir das Fernglas und machten noch einen ausgedehnten Spaziergang, sahen den vielen Storechen zu. Sie begleiten uns schon die ganze Zeit hier in Ungarn! Ueberall gibt es Nester, und die Jungvoegel machten erste Flugversuche ueber dem Nest.
Wir aßen draussen vor dem Womo, aber die Mosquitos machten uns bald den Garaus. Eine erwischte mich, und obwohl ich sie erschlagen habe, schwoll meine Hand an wie nach einem Wespenstich.
Gestern frueh regnete es ohne Unterlass. Wir liessen uns jedoch nicht beirren, fuhren im grossen Bogen weg vom offiziellen Zugang zum Naturpark, fanden auf maps.me eine kleine Strasse mitten in die Praerie hinein, stellten das Womo dort ab und liefen bis zu einem Hof am Ende der Strasse. Die Bauern dort winkten uns freundlich durch, so dass wir doch noch zu einem Spaziergang in der Puszta kamen. Eine Schafherde begleitete uns einen Teil des Wegs. Wir fanden drei riesige Wiesenchampignons, die wir dann als Trophaee mitnahmen und im Kuehlschrank verstauten.
Genug Puszta! Wir setzten unserer Fahrt Richtung Osten und Rumaenien fort. Unser naechstes Ziel: Debrecen (das von der Debreciner Wurst). Wir kamen gestern Abend dort an, und unsere gute Park4Night App wies uns einen netten Parkplatz im Nagyerdei-Park an, wo wir dann auch blieben. Sattelten unser Fahrraeder und fuhren ins Staedtel, das wie ausgestorben dalag. Waren recht verwundert: Samstag Nachmittag, Downtown in der zweitgroessten Stadt Ungarns mit 200.000 Einwohnern, davon 50.000 Studenten. Wo waren die alle? Wir fuhren alles ab, was unser duerftiger Polyglott zu bieten hatte, Zwei seiner sogenannten Insider-Tips gab es gar nicht mehr. Ich habe es gemailt. Aber ob die das interessiert? Ansonsten ist Debrecen wie die meisten Staedte: Ein zentraler Platz, um den herum sich ein paar schoene, alte Haeuser und Kirchen gruppieren, unter mehr oder weniger Sanierungsstau leidend, in ein paar anderen Ecken auch noch ein paar alte Sachen. Der Rest eher nichtssagend. Allerdings befanden sich auf dem Weg zwischen unserem Nachtquartier und der Stadt einige altehrwuerdige Villen, die den Kommunismus auch ueberlebt haben.
Ab 18:00 fuellte sich die Stadt zusehends, und zwar so, dass wir ein Problem hatten, einen Tisch zum Abendessen zu finden. Was Ungarisches konnten wir nicht bekommen! Am Ende begnuegten wir uns mit einer Pizza. Aber wir sassen sehr schoen, direkt im Gewusel.
Heute Vormittag machten wir noch eine recht ausgiebige Radfahrt um den Park, der eigentlich mehr ein Wald ist, und machten uns auf Richtung Rumaenien. Ich war tatsaechlich ein wenig aufgeregt. Was wuerde uns hier erwarten? Rumaenien ist ein wenig das Enfant Terrible der EU. Wir identifizieren die Bettelbanden in Deutschland mit Rumaenien (vielleicht zu Unrecht), haben die Berichte ueber Korruption und ueber grausame Lebensbedingungen in Waisenhaeusern im Ohr,… Ich wuenschte mir zum wiederholten Male, dass unser Womo zumindest von aussen unscheinbarer, aelter und haesslicher aussehe – nicht nur, damit es nicht Objekt der Begierde boeser Buben werde, sondern auch, weil es mir peinlich ist, mit so einem Luxustrumm durch arme Gebiete zu fahren.
Wie immer, haben wir uns im Vorfeld nicht wirklich vorbereitet, was zum Einen daran liegt, dass wir ohnehin nicht gern im Voraus planen, zum Anderen jedoch auch MEthode hat: Wir wollen mit staunenden Kinderaugen all das Neue bewundern und nicht schon alles im Voraus wissen und auf Fotos und Filmchen gesehen haben.
Da sind wir nun in Baia Mare, ganz im Nordwesten, und sind jetzt schon ueberrascht. Man versteht wieder etwas, was schon klasse ist! In Ungarn kamen wir uns vor wie taubstumme Analphabeten. Hier kann man also zumindest das Geschriebene ganz gut ableiten. Das erste Pferdefuhrwerk und die erste Kuhherde haben wir schon die Strasse ueberqueren sehen. Ersteres die wirklich schnell und viel befahrene Bundesstrasse. So weit, so gut und den teilweise auch positiven Vorurteilen entsprechend. Was uns mehr ueberraschte: Alle Ketten sind hier: Penny, Lidl, Kaufland, MacDonald’s, Decathlon, Auchan! Also muss es hier ja viel Kaufkraft geben. Ausserdem sahen wir viele neue und auch schoen renovierte Haeuser. Nun ist das ja erst der Anfang. Baia Mare, das einst unter Ceausescu ein megahaessliches Entlein war, ausgebeutet und verdreckt ob seiner Gold- und Silbervorkommen, im Jahr 2000 Opfer eines schrecklichen Ungluecks (dazu spaeter mehr), ist jetzt schmuck und wohlhabend. Es fahren flotte Autos herum, und wir stehen oberhalb der Stadt, unter uns, das eher einfache Stadion, aber auch ein cooler Skaterpark, ein liebevoll gestaltetes Freilichtmuseum, daneben so eine Art Volkskundemuseum in einem sehr schoen sanierten, klassizistischen Bau, etc. Mit anderen Worten: Zumindest dieser nordwestliche Teil Rumaeniens ist eindeutig in der EU angekommen. Was fuer die Menschen hier gewiss sehr gut ist, fuer uns Reisende jedoch die Exotik missen laesst. Alles ist Einheitsbrei, alles den EU-Normen unterworfen; selbst der Spielplatz und die weiche Jogging-Strecke durch den Park koennten mitten im Schwabenlaendle sein. Was diesen Eindruck noch verstaerkt, ist, dass wir hier (endlich) die platte Ebene Ungarns zurueck gelassen haben und um uns herum bewaldete Anhoehen sind, wie jedes Mittelgebirge in Deutschland.
Wir kamen hier in Baia Mare gerade richtig zum Ausklang eines Stadtfestes hier im Park neben uns an und tummelten uns gleich unter’s Volk, das uebrigens ueberall brav Corona-Abstand voneinander hielt, waehrend alles Personal, das irgendwelche Getraenke oder Essen verkaufte, aber auch viele Kunden mit Masken ausgestattet waren. An einer Ecke ein Baptisten-Gospelkonzert (Ja, die Evangelikanen gibt es hier auch, wenngleich nicht viele.); weiter hinten im Park sang eine Schlagersaengerin vom alten Schlag mit richtig Haltung und Dauerlaecheln im Gesicht „I did it My Way“. Bei den hoeheren Tonlagen stellte sie um auf Kopfstimme und wurde zur Sopranistin. Nach ihr war irgendwie Schichtwechsel, und wir hatten Hunger. Mussten ins Womo, unsere Champignons aus der Puszta zubereiten, damit sie nicht kapputt gehen, sind aber rasch wieder los, um nichts zu verpassen. Allerdings hatte sich die Menschenmenge schon wieder ziemlich dezimiert, und nur auf dem kleinen Konzertplatz waren noch ein paar Zuhoerer eines Volksmusikgesangwettbewerbs von lauter huebschen Maedchensolistinnen in Tracht, begleitet von einer traditionellen Kapelle in Tracht. Ein kleines Maedchen im spaerlichen Publikum, wahrscheinlich in der Hauptsache die stolzen Muetter der kleinen Solistinnen, tanzte so hingebungsvoll zur Musik, dass ich sie filmen musste, was ja in Deutschland mittlerweile verboten ist. Es hat nach einer Weile ein bisschen in den Ohren geschmerzt, so dass wir uns dann zu einem Bierstand in schallvertraeglichem Abstand verfuegten, wo wir mit einem Mann ins Gespraech kamen, der von hier stammt, jedoch in Bayern lebt. Er war sichtlich erfreut, Menschen aus Deutschland zu treffen und erzaehlte uns seine ganze Lebensgeschichte Wir wurden dann auch gleich ein paar unserer Fragen los, z.B. ob der Nordwesten mit seinem Wohlstand eher Ausnahme oder eher Regel sei. Wir haben gelesen, dass, aehnlich wie in Polens Fall, 20% der rumaenischen Berufstaetigen im Ausland arbeiten, und er sagte, dass gerade diejenigen, die wir fuer besonders ausgebeutet halten, also die Spargelbauern und Schlachthofarbeiter, sich hier mit dem Geld Palaeste bauten, wir wuerden noch staunen, was wir noch zu sehen bekaemen. Das glaubten wir ihm gern, aber ist ja gut, dass sich die Buckelei fuer die Menschen lohnt. Wenigsten koennen sie damit ihren Kindern eine Grundlage schaffen. Wir haben mittlerweile einige Menschen getroffen, die ihr Geld anderswo in der EU verdienen und hier Haeuser bauen, Wohnungen kaufen, ihre Kinder ausbilden, etc. Das ist der Verteilungseffekt der EU, und wir freuten uns, dass es offenbar funktioniert.
Morgens hoeren wir zu Josefs Mueslifruehstueck immer Nachrichten auf Deutschlandfunk. Offenbar zeichnet sich wieder ein Anstieg der Neuinfektionen ab – wahrscheinlich eine Mischung aus dem vermehrten Testen und Egebnis der Lockerungen. Wir wissen nicht, was uns noch erwartet. Immer mal wieder beschleicht uns ein schlechtes Gewissen, einfach so unterwegs zu sein. Aber in unserem Womo sind wir genauso sicher wie zuhause. Beim Einkaufen tragen wir, wie alle, Maske und waschen uns danach stets die Haende. Grosse Menschenansammlungen vemeiden wir. Mehr an Prophylaxe koennen wir zuhause auch nicht tun. Die Dinge veraendern sich taeglich, und wir haben mittlerweile ein Update vom Auswaertigen Amt abonniert. Wir werden sehen. Es koennen uns noch Grenzschliessungen bluehen oder, dass wir im Womo Quarantaene machen muessen. Waere alles ok. Im Wald sieht keiner, ob wir spazienen gehen. Das Problem ist nur, dass wir dann auch nicht einkaufen gehen koennten. Und bevorraten koennen wir im Womo nur bedingt…
Der Himmel war morgens recht verhangen, aber wir liessen uns nicht beirren, fuhren mit den Raedern in Richtung Altstadt hinunter, obwohl es nur ein Katzensprung war. Meinem Knie tut es jedoch besser. Ausserdem kann man mit dem Rad ganz anderer Strecken in so einer Stadt zuruecklegen und ist herrlich frei und unabhaengig.
Als erstes stiessen wir auf einen kleinen Eisenwarenmarkt, der schon beinahe ein wenig an Marokko erinnerte. Waehrend wir dort herum schauten, fing es an zu schuetten. Wir retteten uns unter ein Vordach. Neben uns harrte ein sehr dekorative Zigane-Familie aus: die Frau und ihre zwei halbwuechsigen Toechter trug einen weite, sehr fein plissierte, kunterbunte und bodenlange Roecke. Die Mutter trug Kopftuch, die Maechen ihre Haare sehr liebevoll frisiert zu jeweils zwei langen Zoepfen mit bunten hineingeflochtenen Baendern. Herrlich anzusehen! Sie waren sehr wohlerzogen und zurueckhaltend und hoerten auf’s Wort. Wir sahen noch einige andere auf dem Markt. Auch unter ihnen erkennt man ganz klare Unterschiede. Die weniger Traditionellen tragen bevorzugt enge T-Shirts und auch die langen weiten Roecke im „Animal Look“, faerben sich die Haare blond, wirken ein wenig nuttig; die Maenner sind ungepflegt. Auf dem anschliessenden Gemuesemarkt, den wir in einer Regenpause umrundeten, gab es lokales Gemuese und Obst und viiieele Pilze. Die meisten kannten wir nicht.
Den naechsten Guss warteten wir in einer kleinen Bar neben dem Markt ab, schauten dem Treiben zu, gaben schliesslich die Hoffnung auf, dass es aufhoeren koennte, zu regnen, flohen ins Womo und wurden schliesslich doch recht nass. Das Herumgammeln tat gut; die Sonee kam wieder heraus, und wir machten uns wieder auf, diesemal direkt in die ALtstadt. Kreisten ein wenig um den Freiheitsplatz, dem grossen, zentralen Platz der Stadt, der schon ein wenig an die Piazze in Italien erinnerte. In einer Gasse waren Arbeiter in einem Hof mit Sanierungsarbeiten an einem der alten Haueser beschaeftigt. Wir schauten interessiert zu und sie luden uns ein, von innen zu schauen. Dort waren Hausstand, eine intakte Kueche und Betten aufgebaut. Die Arbeiter wohnten offenbar hier. Der Mann, mit dem wir sprachen, ihr Kapo, sprach ganz wenig Deutsch und gar kein Rumaenisch. Es stellte sich heraus, dass sie zur kleinen Minderheit der Ungarnrumaenen in Siebenbuergen, Suedtransylvanien, gehoerten, die also beinahe in der geographischen Mitte Rumaeniens leben und Sprachautonomie geniessen.
Anschliessend fuhren wir noch auf ein weiteres Plaetzchen in der Stadt, an dem als einziger Rest von einer mittelalterlichen Kirche noch der Glocken- bzw. Wehrturm steht. Auf der anderen Seite des Platzes steht eine frisch renovierte Barockkirche aus dem 19. Jahrhundert, und waehrend der Sanierungsarbeiten rund um den Platz wurden Reste von drei weiteren Kirchen gefunden, eine davon fast 1000 Jahre alt. Man sieht die Mauerreste in etwa 3 – 4 m Tiefe durch in den Boden eingelassene Panzerglasscheiben. Eine unscheinbare Treppe fuehrt unter den Platz; dort ist die Touristeninormation zwar hell, aber eben unterirdisch, untergebracht. Die arme Mitarbeiterin! Sie war eine sehr freundliche und auskunftsfreudige junge Frau, die in Kanada Politik und Verwaltung und in England Mikrobiologie studiert hatte, nun also hier sass. Sie erzaehlte uns, dass das Leben in England sehr schwierig war fuer sie, weil die Vorurteile und der Rassismus gegen Rumaenen sehr ausgepraegt sei. Wi r konnten es uns gut vorstellen. Sie sagte, auch hier sei es schwierig, einen guten Job zu bekommen, man brauche Beziehungen. Das ist bei uns ja nicht ganz unaehnlich. Nur muss man sich am Ende eben doch beweisen. Hier wohl nicht. Hier koennen auch Trottel jahrzehntelang auf einem Posten sitzen bleiben.
Vom Womo aus sahen wir links im Stadtpanorama einen endlos hohen Schornstein in den Himmel ragen. Wir vermuteten, dass er Zeugnis des Ungluecks ist, das Baia Mare vor 20 Jahren ereilt hatte. Damals wurden hier mithilfe von irgendwelchen fuerchterlichen Giften Gold und Silber aus Erz gewonnen, und die dabei entstehende Schlacke jahrelang in einem offenen Auffangbecken gesammelt. Schlendrian und Dauerregen haben den Damm zerstoert und Millionen von Kubikmetern dieser Schlacke in die zwei angrenzenden Fluesse gespuelt, alles Leben dort zerstoert und mit Sicherheit auch weitreichende Folgen fuer die Donau, den Muendungsfluss der beiden, gehabt. Die Firma gehoerte damals zu 51% einem australischen Konzern und zu 49% der rumaenischen Regierung. Es wurden nie Entschaedigungen gezahlt, noch wurde das Firmenareal saniert oder rueckgebaut.
Wir radelten also aus der schmucken Stadt, eben noch durch nette und gepflegte Wohngebiete, in Richtung dieses Riesenschornsteins, als ploetzlich vor uns ganz schrecklich vernachlassigte Plattenbauten auftauchten. Ehe wir es uns versahen, wurden wir von halbwuechsigen Jungs mit unreifen Birnen beworfen. Wir hielten in sicherer Entfernung und sagten den Uebeltaetern, sie sollten zu uns kommen. Sie trauten sich nicht. Wir konnten uns nicht wirklich in Ruhe umsehen, weil die Situation etwas bedrohliches hatte und wir nicht warten wollten, bis sich noch mehr von ihnen sammeln und einen Mob bilden wuerden. Wir waren auf den ersten Zigane-Slum gestossen. Gelesen hatten wir darueber allenthalben, ueber ihr Leben am Rande der Gesellschaft, hier, in Ungarn, sicher auch in Bulgarien. Angeblich sind es hier nur 3,1% der Bevoelkerung, in Ungarn sind es 10%. Victor Orban sagte ueber sie, sie seien ein Uebel, mit dem man leben muesse! Und hier sei die tatsaechliche Zahl wohl doppelt so hoch, aber viele wuerden aus Angst vor Repressalien und Nachteilen ihre Herkunft verleugnen. Wuerde ich an ihrer Stelle auch tun! Als im Zuge der Fluechtlingkrise 2015 der Rassismus in Deutschland erstarkte, hatte ich versucht, den Nachnamen der Kinder von Amer Mahmud auf nur Amer zu aendern, weil ich auch ahne, dass sie es in Zuknunft schwer haben koennten (hoffentlich nur) bei Wohnungs- und Jobsuche. Allein, sie sind beide hellhaeutig und blauaeugig. Die Zigane koennen ihre Herkunft oft nicht verleugnen.
Ein Teil der Wohnblocks war zumindest aussen renoviert. Ob auch drinnen was gemacht wird? Wieviel Kraft muss es kosten, hier Sozialarbeit zu leisten? Wir fluechteten, sind noch immer ganz schockiert von diesem ganz kurzen Einblick, haetten gern mehr erfahren, trauten uns aber nicht, zu bleiben, fuhren weiter durch das hier angrenzende Industriegebiet mit dem Areal mit dem Schornstein. Die Natur holt sich die Industrieanlage langsam zurueck. Aber darunter schlummert mit Sicherheit das Gift, das bei Wind staubfein ueberall hingetragen wird. Es kuemmert niemanden. Hier war ein wenig von dem Rumaenien zu sehen, das wir erwartet hatten. Sehr traurig.
Wir umfuhren auf mein Draengen die Wohnblocks in weitem Bogen und in die Stadt zurueck, hatten mittlerweile Hunger, suchten uns ein Restaurant und aßen ein spaetes Mittag- bzw. fruehes Abendessen: die fuer hier typischen tellergrossen Schafskaesepasteten. Am Nebentisch sass ein Ehepaar, sie Rumaenin, er Franzose. Sie leben hier etwas ausserhalb von Baia Mare und nach kurzem franzoesisch radebrechendem (meinerseits) Plausch mit ihr gab sie mir ihre Telefonnummer und lud uns zu sich nach Hause ein, meinte, wir sollten doch mal gegen Abend kommen, weil sie tagsueber auf dem Feld seien. Wie freundlich die Menschen hier sind!
Wir trollten uns in unser Womo, Josef machte ein Nickerchen, waehrend ich draussen auf einer Treppe sitzend dem Fussballtraining und den Skatern unterhalb von unsererm herrlichen Stellplatz zuschaute. Wir hatten fuer heute genug Eindruecke, radelten noch einmal kurz in die Stadt, um an einem Brunnen, den ich vorher erspechtet hatte, unserer Trinkwasserflaschen aufzufuellen (Oh! Eben fiel mir beim Schreiben all das Gift ein, das hier im Grundwasser sein koennte. Vielleicht sollten wir das doch nicht trinken?). Wir schauten dann auf ARD zum zweiten Mal den herrlichen Film „Three Billbords for Ebbing“ an, der an Aktualiaet nichts eingebuesst hat, wenn man sich die „Black Lives Matter“- Proteste in den USA anschaute.
- 7. 2020 Maramures, Sapanta
Morgens war das Wetter wieder sonnig und klar, und wir machten uns auf Richtung Norden in die Maramures-Berge, die noerdlichen Auslaeufer der Karpaten, die bekannt sind fuer ihre noch recht urspruengliche Lebensweise und vor Allem ihre Holzkirchen. Wir peilten zuerst das westlichste Ziel, Sapanta, direkt an der ukrainischen Grenze an, um den „Froehlichen Friedhof“ zu besichtigen, der in ganz Rumaenien bekannt ist, weil hier ganz einzigartig ein Holzschnitzer Grabkreuze mit der Lebensgeschichte der Verstorbenen verziert hat – das ganze in schrillen Farben. Ganz Sapanta profitiert von diesem Holzschnitzer; es waren gestern richtig viele Touristen unterwegs: meistenteils Rumaenen, jedoch auch Niederlaender und ein paar wenige Deutsche. Es gab Dutzende Staende, die lokale Handarbeiten, Schnitzereien und Trachtenkleidung, verkaufen. Die Niederlaender kamen im grossen Tross mit lauter dreckbespritzen Jeeps. Spaeter radelten wir hinaus aus dem Dorf Richtung Berge, kamen zuerst an einer Brettsaege vorbei, von der Josef meinte, so in etwa muesse wohl die Brettsaege seiner Grosseltern im Sudetenland ausgesehen haben. Wir schauten eine Weile zu, wie aus Staemmen Balken wurden, fuhren weiter und kamen an einer sehr schoen gelegenen Wiese vorbei, auf der Platz fuer Camper und Womos ist, fragten bei den Eigentuemern nach, ob wir spaeter kommen koennten zum Uebernachten. Der Platz ist mit Allem ausgestattet, so dass wir spaeter Waesche waschen konnten. Zunaechst jedoch fuhren wir die schmale Asphaltstrasse, spaeter Schottweg, etwa 5km immer leicht bergauf in den Wald hinein, weiter und weiter. Es kamen uns allerlei schwer mit langen Fichtenstaemmen beladene Fahrzeuge entgegen, auch Pferdewagen. Wir wunderten uns ein wenig ueber die Holzmengen, die hier abtransportiert wurden, und ich mutmaßte, dass es hier sicherlich kein regelrechtes Forstmanagement gibt, dass jeder rausholt, was er kann und braucht, oder was die Brettsaege kauft, die wir gesehen hatten.
Ausserdem kamen uns diverse sehr leistungsstarke, hoeher gelegte 4-Wheeler mit franzoesischen, niederlaendischen, polnischen und rumaenischen Kennzeichen entgegen. Auch das ist hier offenbar noch nicht verboten, so dass das hier ein Eldorado fuer diese Hobby-Offroadfahrer ist. Habe es spaeter gegoogelt, und siehe da: es gibt sehr viele Anbieter fuer Offroad-Touren durch die gesamten Karpaten. Auch der Holzkahlschlag ist kein Geheimnis. Im Internet finden sich seit 10 Jahren und mehr viele, viele Artikel, Berichte und Filme dazu. Josef war geneigt, zu glauben oder zu hoffen, dass die Mengen, die wir gesehen haben, noch nachhaltig wenig seien. Aber dem ist nicht so. Die Karpaten werden gnadenlos abgeholzt und das illegal geschlagene Holz von der Holzmafia in die ganze Welt verscherbelt, u.A. an IKEA. Wahrscheinlich haben die Umweltschuetzer bei uns Rumaenien noch nicht auf dem Schirm, oder es ist zu weit weg von Westeuropa, als dass man sich darum kuemmern wuerde.
Wir hatten gehofft, auf einer Lichting oder Alm heraus zu kommen, aber irgendwann wurde es uns zu steil, und wir machten kehrt, schauten im Wald noch erfolglos nach Pilzen, kamen dann gluecklich und erledigt zum Womo zurueck und fuhren auf unseren Campingplatz, wo wir gestern Nacht tatsaechlich die Einzigen waren! Es gab Krautwickel mit Polentakloeßen. Sehr lecker. Die Wirtsleute haben eigene Fischteiche, Gemuesegarten und Huehner. Ohne all das waeren sie wohl kaum heil durch die Corona-Zeit gekommen.
Heute frueh radelten wir an der Strasse entlang, immer parallel zur ukrainischen Grenze und dem Grenzfluss Tisa. Einmal war die Strasse wirklich direkt am Fluss, und wir konnten drei ukrainischen Damen auf der anderen Seite am Fluss beim Sonnenbaden zuschauen! Auf einem Grenzpfosten auf unserer Seite des Ufers war noch die russische Fahne zu sehen – wohl aus der Zeit, als die Ukraine noch zu den GUS-Staaten gehoerte. Es erinnerte uns an die polnisch-ukrainische Grenze letztes Jahr. Dort wurden sehr viele Zigaretten in die EU geschmuggelt. Hier mit Sicherheit auch. Habe es spaeter gegoogelt und meine Vermutung bestaetigt gefunden.
Wir kamen an einem Haus vorbei, wo die traditionellen Produkte zum Verkauf feilgeboten wurden, kauften ein paar Schaffellsocken fuer mich und erhielten dafuer eine „Schlossfuehrung“. Die Wirtin war geschaeftstuechtig, wollte uns wahlweise eines ihrer Fremdenzimmer oder ihre selbstgewebten Teppiche schmackhaft machen. Ihr Mann merkte, dass wir wohl nichts mehr kaufen wuerden, jedoch sehr interessiert waren an Allem, zeigte uns dann voller Stolz das Wohnzimmer des Gaestehauses, dass ganz traditionell und sehr farbenpraechig dekoriert war, seine gut eingerichtete Schreinerwerkstatt, den Webstuhl seiner Frau, den kleinen Tante-Emma-Laden im Hof, seinen riesigen Garten, der sich fast bis hinunter zum Fluss Tisa zog, ein geraeumiges Baumhaus mit flaechendeckendem Strohbett im Garten, eine grosse, mit Allem ausgestattete Aussenkueche im Garten (fuer Camping-Gaeste?), einen umgeleiteten Bach, in den er einen grossen Holzbottich versenkt hat, wo sie ihre Teppiche waschen koennen (offenbar auch eine Tradition hier- wir haben es in einer unserer Broschueren wiedergefunden), viele Obstbaeume, den obligatorischen Gemuesegarten,… Uns fiel auf, dass die meisten Grundstuecke hier in Rumaenien, wie schon vorher in Ostungarn, schmal und lang sind, das Wohnhaus mit den dahinter angegliederten Wirtschaftsraeumen sich, angepasst an die Grundstuecksform, ebenfalls endlos lang nach hinten in den Garten zieht. Wir bedankten uns wortreich und verabschiedeten uns.
Die ganze Fahrt entlang der Haupststrasse hingen Teppiche zum Trocknen ueber Zaeunen und Mauern. Offenbar nuetzt man die stabile Waerme und Trockenheit dafuer, alle Teppiche zu waschen. Wir entdeckten ein Hinweisschild auf einen juedischen Friedhof, „Cemeterio ebraic“ oder so aehnlich, klopften an einem Gebaeude, das wir fuer das Rathaus hielten, was sich jedoch als Schule herausstellte. Die Dame, die uns oeffnete, zeigte auf das Haus neben dem Friedhof und sagte, sie haetten den Schluessel. Also guckten wir dort ueber das Gartentor, und dort saßen auf einer Gartenbank im Schatten ein Ehepaar: er mit schlohweissem, langen Bart, sie typisch maramurisch in Rock, Schuerze und Kopftuch. Er begleitete uns zum Tor und oeffnete, fragte, ob ich Juedin sei, und ich sagte ihm, dass ich Palaestinenserin bin. Er war ein wenig erstaunt. Ich fragte daraufhin ihn, ob er Jude sei. Nein, sagte er. Er se Messianer, der Shabbat sei sein Feiertag. Hmm… Wir sahen uns die alten Grabsteine auf der steilen Wiese an. Die meisten waren schon sehr verwittert, standen krumm und schief herum, waren teilweise schon in der Wiese verschwunden. Jahreszahlen konnten wir nicht entdecken. Sie waren alle ausschliesslich hebraeisch beschriftet.
Nach ca. 15 km an der Strasse entlang, bis fast in die nordwestlichste Ecke des Landes, immer wieder rauf und runter, bei fast 30 Grad und Schwuele,haeufig von halsbrecherisch fahrenden LKW ueberholt, drehten wir um und machten uns auf den Rueckweg. Bis wir wieder am Womo waren, hat es uns dann beiden auch wirklich gereicht.
Freitag, 31.7.2020
Sapanta, Iza-Tal, Ieud, Prislop-Pass
Morgens war unsere Wiese ploetzlich voll: zwei Motorradfahrer mit Zelt, zwei 4-Wheeler ohne Zelt, ein 4-Wheeler mit Dachzelt. Alles Rumaenen. Haben noch unser Womo versorgt, dann so gegen 9:00 den Chef rausgeklingelt, um unsere Rechnung zu bezahlen und machten uns dann auf den Weg nach Sighetu Marmatiei, Grenzort zur Ukraine und Schmugglerposten ersten Ranges. Der Buergermeister beklagt sich wohl immer wieder beim Buergermeister auf der anderen Seite der Grenze. Aber der findet das nicht so schlimm. Man schmuggele ja schliesslich weder Menschen noch Waffen – nur Zigaretten. Hier in Sighet leben, wie ueberall entlang der Grenze, viele ethnische Ukrainer, aber wohl auch Ungarn und Juden. Die Stadt ist nicht besonders schoen, jedoch auch nicht ganz haesslich, auf jeden Fall lebendig und echt. Unser Ziel war das Gefaengnismuseum, das uns die junger Frau in Baia Mare an der Touristen-Info sehr ans Herz gelegt hatte. Hier wurde den Opfern des Ceseauocescu-Regimes eine Gedenkstaette geschaffen. Ich hatte schon schlimmste Befuerchtungen, weil mich das S21-Folter- und Todesgefaengnis der Khmer Rouge in Kambodscha so sehr betroffen gemacht hatte. Aber hier waren die Dinge Gott sei Dank nicht ganz so drastisch dargestellt. Die Texte waren leider ausschliesslich in rumaenischer Sprache, aber man gab uns eingangs eine zusammenfassende Broschuere auf Deutsch mit. Es war uns nicht ganz wohl beim Rundgang, weil hier fuer Corona-Verhaeltnisse eindeutig zu viele Menschen drin waren. Wir mieden die Raeume, in denen viele Menschen waren, wollten aber doch auch nicht einfach durchbrausen. Es war schon sehr interessant gemacht.
Das zweite Ziel war das Geburtshaus von Elie Wiesel, dem Holocaust-Ueberlebenden, Schriftsteller und Philosoph. Von den 40% Juden, die einst in Sighet lebten, 13000 Menschen, ueberlebten nur ca. 100, und Elie Wiesel war einer von ihnen. Wir gingen nicht ins Haus, waren nur im Garten, aßen von den Mirabellenbaeumen, die sicherlich noch von damals sind. In diesem Stadtteil standen lauter eingeschossige, recht huebsche, aber einfache alte Haeuser, und ein paar Ecken weiter fanden wir die sehr stattliche, noch intakte, jedoch leider geschlossene Synagoge. Offenbar war dieser Teil der Stadt der juedische Teil. Wir schlenderten noch ueber einen Markt und kauften ein wenig Obst- es gibt fast ueberall nur lokales Obst und Gemuese: Aprikosen, Pfirsiche, Weintrauben, Nektarinen, Zwetschgen und Pflaumen; Auberginen, kleine Gurken, viele verschieden Tomatensorten, Weisskohl, immer mal wieder Pilze und Blaubeeren. Viele Menschen laufen in T-Shirts herum, die mit ihren deutschen Aufschriften eindeutig aus deutschen Altkleidersammlungen stammten. Wir sahen auch immer wieder Laeden, die mit Secondhand-Ware aus Deutschland warben.
Von Sighet aus zuckelten wir durch das Iza-Tal, das bekannt ist fuer seine Holzkirchen und Holztore. Die Landschaft wellt sich in sanft huegeligen Wiesen, im Hintergrund aufragende, bewaldete Berge. Immer wieder sahen wir Menschen beim Heuwenden und zu Heuschobern um einen senkrecht stehenden Pfosten oder auf Harpfen aufschichten. Frauen in ihren recht kurzen und huebschen Trachtenroecken mit Schuerze und Kopftuch liefen oder radelten die Strasse entlang. Alle moeglichen Leute saßen auf Baenkchen vor ihren Haeusern, was ich sehr schoen und kommunikativ fand! Immer wieder beobachteten wir Storchennester auf den Strommasten neben der Strasse. Laut unserem Baedeker gibt es hier irgendwo eine uraltes, bildschoenes Holzkirchlein. Wir suchten HinweisschiIder und fanden uns schliesslich im griechisch-orthodoxen Kloster von Barsana wieder, das erst 1993 geweiht wurde, einem wirklich grossen Gelaende mit sehr schoenen, wenn eben auch neuen Holzgebaeuden. Offenbar ist Barsana einer der wichtigsten Pilgerorte Rumaeniens, und hier auf diesem Klosterhuegel finden grosse Gottesdienste im Freien statt. Bewohnt wird die riesige Klosteranlage von gerade mal 10 Ordensschwestern, wie mir eine davon erklaerte. Eine andere versuchte verzweifelt, eine Stihl-Motorsense zum Laufen zu bringen und nahm dankbar Josefs Angebot an, sie anzuwerfen. Es waren recht viele Touristen hier, soweit wir erkennen konnten, nur Rumaenen. Leider fanden wir von all den im Reisefuehrer angepriesenen uralten Kirchen, teilweise UNESCO-Weltkulturerbe, nur eine einzige versteckt auf einem Friedhof, und die war abgeschlossen, sodass wir die einzigartigen Fresken nicht bewundern konnten. Nun ja…
Irgendwann bogen wir von der Hauptstrasse entlang der Iza ab und fuhren hinauf Richtung Ieud, fanden zwar das angepriesene alte Holzkirchlein nicht, dafuer jedoch eine schmale Asphaltstrasse, die spaeter in Schotter ueberging und hinauf in den Wald fuehrte. Fanden ein schoenes Plaetzchen am Bach zum Uebernachten, waren etwas ueberrascht ob der vielen Fahrzeuge, die noch an uns vorbei furhen, aber natuerlich war dies auch wieder ein Weg fuer die „Foerster“, die an dieser Stelle die Staemme aus dem Wald holten – wie schon in Sapanta.
Gleich nach dem Fruehstueck machten wir uns auf in den Wald, zuerst ganz wacker mit den Raedern, aber irgendwann wurde es gar zu steil und unwegsam, so dass wir sie stehen liessen und zu Fuss weiter gingen. Es hatte wohl in der Nacht viel geregnet. Der Weg war total aufgeweicht und von den schweren Holzfahrzeugen voellig zerfurcht. Und wir in Sportschuhen! Liefen denn auch wie die Stoerche durch’s Salatbeet. Entdeckten eine Pfifferlingskolonie direkt neben dem Weg und markierten die Stelle mit einem Steinmanderl, um sie auf dem Rueckweg fuer’s Abendessen zu ernten. Es begegneten uns nur zwei Spaziergaengerinnen aus dem Dorfund ein Kuhhirte mit seiner Herde, mit der wir uns die sich oberhalb vom Weg auftuende Alm teilten. Endlich hatten wir Ausblicke auf die umliegenden Berge. In der Ferne hoerten wir Stimmen der Waldarbeiter, jedoch keine Saegegeraeusche. Machten uns auf den Rueckweg, da der Himmel sich zusehends mit dicken Wolken verdunkelte, und holten die Pfifferlinge. Kurz vor dem Womo begeneten wir einer wanderden Familie, die uns auf eine Schlange aufmerksam machten, die ueber den Weg schlaengerte. Sie reagierten recht aengstlich und wunderten sich ueber unsere Gelassenheit und Neugier. Einer der Maenner meinte, es sei eine Viper. Wir schafften es knapp zum Womo zurueck, bevor es anfing, zu schuetten. Die Familie wird wohl klatschnass geworden sein. Waehrend wir uns mit Tee und den mitgebrachen Mohnroellchen staerkten, schwoll der Bach neben uns zu einem tosenden, braunen Fluss an, der dann auch ueber unseren Schotterweg floss. Ich war unruhig, fuerchtete, es koennten einen Erdrutsch geben und den Weg unpassierbar machen. Als wir eben los wollten Richtung Tal zurueck, kam uns ein Kleinwagen entgegen. Entwarnung! Wenn der es hier hinauf geschafft hatte, wuerden wir es auch hinunter schaffen.
Wir zuckelten weiter durch das Iza-Tal, die Strasse hier teilweise in schlechterem Zustand als unser Schotterweg von vorher. Orientierten uns weiter in Richtung Osten und fuhren bis hinauf zum Prislop-Pass auf 1400m Hoehe. Hatten erst in Borsa gehalten, der Talstation, wo uns ein freundlicher Polizist in den Parkplatz einwies. Aber hier war es eher trist und verbaut, mitten drin einer der vielen Lost Places hier, ein Hotel aus der Ceaucescu-Aera, die ehemalige Bar mit langen Samtsofas voller Glasssplitter, die Holzdecke in Fetzen herunter haengend. Man konnte sich vorstellen, wie die Parteibonzen hier ihre privelegierten Winterurlaube machten, waehrend das Volk verhungerte. Der Sessellift war noch von der alten Sorte, ging nicht in den Leerlauf, sondern rauschte mit unverminderter Geschwindigkeit weiter, so dass die Fahrgaeste nur dank des beherzten Griffs zweier Helfer rechtzeitig raus und aus dem Weg gehoben wurden. Man sah den Touristen ihre Erleichterung an, wenn sie es heil auf sicheren Boden geschafft hatten.
Fuhren also weiter hinauf zum Pass und bauten uns in Rundumaussichtslage mit den grasbedeckten Gipeln um uns herum fuer die Nacht auf, drehten noch eine Feierabendrunde zu Fuss, fanden einen Schaefer, der gerade seine Herde heim begleitete; auf der Veranda seine Huette hingen Baumwollsaecke mit gegorener Schafsmilch,um daraus den guten Schafskaese zu machen, den es hier ueberall gibt. Bis zur Dunkelheit waren hier recht viele Leute unterwegs. Wir freuten uns auf eine Wanderung am naechsten Tag!
Auch hier auf dem Pass haben sie in ihrer unersaettlichen Kirchenbauwut eine riesige Kirche mit Kloster gebaut. Sieht auch eher ungenuetzt aus. Wenn man die vielen Kloester hier sieht, muesste man meinen, das halbe Volk bestehe aus Nonnen und Moenchen. Allein, man sieht nie welche. Leider hat man direkt hinter das recht huebsche Bauwerk einen Sendemast gebaut, so dass es sich nicht einmal als Fotomotiv eignete.
Sonntag, 2.8.2020
Prislop-Pass, Vatra Dornei
Blue + !! Jeden Morgen schaut einer von uns aus dem Fenster…blau ist Blue +. Der grosse Schotterplatz ist schon mit den ersten Ausflueglern besetzt. Dankenswerterweise sind die Rumaenen meinen arabischen Landsleuten recht aehnlich: Sie fahren zum jeweiligen touristischen Ziel, lassen sich dort gegenseitig ablichten und trollen sich wieder. Keiner laeuft ohne Sinn und Zweck durch die Landschaft. So bleibt diese einsam und unberuehrt. Als wir uns gerade auf den Weg machen wollten, kam ein aelteres Paar, packte drei Kisten aus dem Auto und liess an die 30 Tauben fliegen. Vielleicht Brieftauben? Vielleicht auch ein religioeses Opferritual? Wir haben in Asien mehrfach gesehen, wie Glaeubige gleich neben den Templen irgendwelche lebenden Tiere gekauft und dann freigelassen haben.
Auf einem Grasplateau etwa eine halbe Stunde spaeter, sahen wir einen VW-Bus mit deutscher Nummer. Wir waren neugierig und gingen hin. Es waren zwei junge Frauen: Andrea und Marie. Marie versteckte sich zunaechst, hatte vielleicht Angst, dass sie Aerger kriegen koennten, weil sie dort mitten in der Pampa standen. Ich glaube, Josef mit seinem Turban machte die Leuten hier schon ein bisschen unsicher. Sie waren dann erleichtert und sehr aufgeschlossen. Andrea arbeitete bei Mercedes in Stuttgart in der Fertigung und Marie war Altenpflegerin. Sie hatten beide lange gespart und dann gekuendigt, um reisen zu koennen und sind seit Oktober 2019 unterwegs, mussten wegen Corona ihre Rucksacktour durch Asien abbrechen, sassen eine Weile in Sri Lanka fest, bis sie einen Rueckflug finden konnten und harrten dann auch so lange in Deutschland aus wie sie mussten – wie wir. Nun haben sie eine aehnliche Route wie wir. Wer weiss, vielleicht begegnen wir ihnen nochmal.
Unsere Wanderung war ganz herrlich. Liefen sechs Stunden lang in luftiger Hoehe auf dem grasbedeckten Grat in weitem Bogen um das Tal herum, das wir am Vortag in Serpentinen hinauf gefahren waren. Ausser der kleinen Talstation Borsa war weit und breit kein Dorf zu sehen, nur hier und da versprengte Hoefe. So trafen wir, ausser Kuehen und einem einzigen rumaenischen Wanderpaar niemanden. Die Aussicht war durchgaengig grandios (ausser der Anblick zweier gnadenlos abgeholzter Haenge, aus dem nur abgestorbene weiss leuchtende Baumstuempfe ragten, wie Gerippe).
Josef meinte, er habe sehr lange keine so schoene Wanderung unternommen.
Gestern frueh fuhren wir vom Pass aus auf der anderen Seite hinunter mit Ziel Vatra Dornei. Wir hatten ganz offensichtlich mit dem Pass die Maramures hinter uns gelassen und waren nun in der Bukovina, dem „Buchenland“. Hier war ploetzlich alles ein bisschen anders. Wir fuhren immer parallel zur Bistrita, der allmaehlich von einem Bach zu einem Fluss heran wuchs. Ploetzlich sahen wir neben dem Fluss recht herunter gekommenen menschliche Behausungen. Immer wieder 15 bis 20 Huetten oder Baracken. Es waren Zigane. Die Trostlosigkeit, die Schaebigkeit erinnerten an die Beduinenlager in Palaestina zwischen Jerusalem und dem Toten Meer. Auch die haben ihre Nomadentradition aufgegeben zugunsten eines erbaermlichen sesshaften Lebens. Irgendwann hoerten die Behausungen auf, und nach ein paar Kilometern Pufferzone (Es gibt da offenbar keine Beruehrungspunkte, und wir fragten uns, ob die vielen Kinder, die wir sahen, wohl zur Schule gehen) kamen wieder die schmuckeren Doerfer der „Mehrheitsbevoelkerung“. Diese sahen deutlich anders aus als vorher in der Maramures. Die vordere Fassade der Haeuser verputzt und mit Ornamenten verziert, die Seiten aus Holz. Die Holzkirchen wichen hier verputzten Steinkirchen mit mehreren Tuermen. In vielen Gaerten standen hier Brunnen in eigens dafuer gebauten, meist huebsch mit Tuermchen versehenen Haeuschen. Die Frauen liefen nicht in Tracht. Schliesslich erreichten wir Vatra Dornei, was uebersetzt „Doras Herz“ heisst, weil einst ein Edelmann, anstatt eines Hirsches, hier ausversehen seine liebste Dora erschoss und daraufhin an ihrem Grab wachte, bis er selbst vor Gram starb. Vatra Dornei wurde im Baedeker als lieblicher Wintersport- und Luftkurort beschrieben, eingebettet zwischen den bis zu 2000 m hohen Bergen des Calimani-Nationalparks. Nun ja, der gute Baedeker neigt zur Uebertreibung – zumindest am Abend stellte es sich nicht ganz so attraktiv dar. Wir fanden einen Parkplatz an der Sesselliftstation, die jedoch im Sommer ausser Betrieb ist, so dass wir, bis auf eine Gruppe junger Leute, die dies zu ihrem Treffpunkt erkoren hatten, allein waren. Wir plauderten ein wenig mit ihnen, nicht zuletzt, um rauszuhoeren, ob wir das Womo dort allein stehen lassen koennten, um ein wenig den Ort zu erkunden. Sie waren sehr freundlich und offen, wie alle Menschen hier bisher, und drei von ihnen sprachen recht passabel Englisch, so dass wir wieder ein paar Fragen loswerden konnten. Z.B. nach den Zigani vorher im Tal. Sie meinten, die wuerden dort immer leben – zumeist von der Regierung und nicht ganz legalen Aktivitaeten. Aber es gaebe durchaus auch andere, die ihre Kinder zur Schule schicken. Sie selbst haetten Zigani Schulkameraden. Aber leicht haetten diese es nicht. Einer von ihnen sagte, er habe keine Ambitionen, Rumaenien zu verlassen. Er fuehle sich sehr wohl hier. Seine Freundin schien offener fuer Neues und Fremdes, nahm auch Privatenglischunterricht. Josef konnte wieder anbringen, wie wichtig die EU ist. Das haben sie auch bejaht. Wenn nicht Rumaenien, wer dann? Ueberall sahen wir die EU-Schilder, an den unterschiedlichsten Projekten. Staendig trafen wir Menschen, die jahrelang in irgendeinem EU-Land gearbeitet hatten und sich hier wirklich etwas aufgebaut haben von ihren Erspanissen. Die jungen Leute schimpften auch sehr ueber die Korruptheit der Regierung.
Wir gingen durch den angrenzenden Park hinunter Richtung Stadt. Hier gab es allerlei Fressbuden, so dass wir nicht ins Retaurant gingen, sondern uns unter’s Volk mischten und fuercherlich ungesunde, aber leckere Sachen assen und mit lokalem Bier beschlossen.
Heute frueh fuellten wir zuerst unsere leeren Wasserflaschen mit dem Heilwasser, das hier aus dem Berg sprudelt, nachdem wir den Leuten mit ihren leeren Flaschen gefolgt waren, um den Brunnen zu finden. Dann machten wir einen Spaziergang durch das sonntaegliche Vatra Dornei, folgten den Klaengen der Gottesdienste, die wegen Corona alle mit Maske und im freien stattfinden und kamen ins Gespraech mit einem jungen Mann und seiner Mutter, die speziell fuer den Gottesdienst angereist waren. Wir sprachen erst ihn an, weil wir wissen wollten, ob die ganzen Cafes und Restaurants wegen des Sommers geschlossen seien, also nur in der Ski-Saison geoeffnet seien, und er sagte, dass sei so wegen Corona. Normalerweise waere die Stadt voller Sommerurlauber um diese Zeit. Corona sei fuer alle hier eine Katastrophe. Wie fuer die ganze Welt. Sie sprachen Deutsch, und die sehr lebendige 80-jaehrige Mama freute sich, mal wieder Deutsch, ihre Muttersprache sprechen zu koennen. Sie erzaehlte, sie sei eines von 8 Kindern. Nach dem Krieg habe man die (vor 400 Jahren hier angesiedelten) Deutschstaemmigen entweder vertrieben oder in die russische Verbannung geschickt. Ihr Vater war wohl Schlachter gewesen, und Rumaenen boten ihm an, hierher in die damals sehr entlegenen Berge zu kommen, da man ihn hier brauchen wuerde und keiner fragen wuerde, woher er kommt. So sind sie und ihre Familie also immer hier gewesen. Sie leitete so eine Art Vereinigung fuer Deutschstaemmige, sagte jedoch, kaum einer spraeche noch Deutsch. Sehr spannende Geschichte. Dann erzaehlte sie uns noch voller Freude und uns ihre schmutzigen Fingernaegel zeigend, dass sie und ihr Sohn ganz viel Mirabellenschnaps ansetzen mussten, weil schwerer Hagel vor ein paar Tagen alle Fruechte von den Baeumen geschlagen hatte und sie sie nun ganz schnell aufsammeln und verarbeiten mussten. 125 L Schnaps wuerde sie machen und verkaufen (und natuerlich selbst trinken, sagte sie verschmitzt).
Dieser Sonntag stand wirklich ganz im Zeichen der Gottesdienste: Nachdem wir bei zwei Kirchen dem rumaenisch-orthodoxen Open-Air-Ritual gelauscht hatten (In der einen stand der Pfarrer ganz dicht am umgebenden Zaun, und wir konnten sehen, wie ihm der Messner Zettel von den Glaeubigen zusteckte, Fuerbitten wahrscheinlich, die er dann in ein Gebet einfliessen liess), fuhren wir in Richtung der hohen Berge des Nationalparks, von denen im Baedeker stand, dass sie die Stadt umgeben. Ganz so war es dann nicht. Wir sahen sie nicht. Wir liessen das Womo irgendwo hinter einem Dorf namens Panaci an der Strasse stehen, fuhren dann erst einmal 10km mit den Raedern weiter ins Tal hinein Richtung Coverca, immer leicht bergauf, um mein Knie nach der Wanderung gestern zu entspannen (toi, toi, toi; bisher alles gut). Vor einer grossen Kirche am Strassenrand, auch nagelneu, waren lauter schwarz Gekleidete, aber es war offenbar keine Trauerfeier. Irgendwann wurde es dann gar zu steil, und wir drehten um. Auf dem Rueckweg fiel uns in Coverca eine eingeruestete Kirche auf, und wir wollten wissen, ob sie neu ist oder gerade saniert wird, ob wir eventuell sehen wuerden, wie sie die Aussenfresken malen. Dafuer sind die Kirchen in dieser Gegend bekannt. Anderswo in dieser Gegend hatten wir an einer Kirchenaussenwand eine Hoellenszene eingehend bewundert. Da waren Alkoholtrinker, Frauen in leichter Kleidung, Drogenabhaengige, Menschen mit Buendeln von Geld, etc. abgebildet, mit der jeweiligen Definition des Lasters dazu, und sie alle standen bis zum Bauch im Hoellenfeuer, unter ihnen der Schlund eines teuflischen Wesens. Herrlich anschaulich! Kinderreligion, wuerde unsere Freundin Heide sagen.
Wir hoerten aus dem Inneren der eingeruesteten Kirche lithurgische Gesaenge; Glaeubige gingen ein und aus mit Brot oder Aehnlichem in der Hand. Dann kamen etwa 15 Glaeubige, die Maenner teilweise schoen geschnitzte Holzkreuze tragend, wie in einer Prozession aus der Kirche, allen voran der Pfarrer im bodenlangen, gerade geschnittenen, schwarzen Talar. An den Kreuzen hingen in der Mitte zusammengebunden Tuecher und Beutel mit runden Hefekuchen . Sie gingen von Grab zu Grab, der Pfarrer sang jeweils, die Glaeubigen antworteten. Als es vorueber war, verschwanden sie alle wieder in der Kirche. Der Pfarrer gruesste uns sehr freundlich im Vorbeigehen. Nach ein paar Augenblicken kam er wieder aus der Kirche heraus und winkte uns heran. Wir dachten, er wolle uns in die Kirche einladen, aber er gab uns Tueten in die Hand mit irgendwelchen essbaren Dingen. Einen Hefezopf konnte ich erkennen. Wir bedankten uns sehr artig, standen dann noch ein bisschen vor der Kirche herum, als die Glaeubigen, jeder mit seiner Tuete in der Hand und dem Tuch, das vorher um das Holzkreuz gebunden war, hinaus lief. Ich fragte eine Frau, ob sie Englisch spreche. Sie verneinte, bedeutete uns jedoch zu warten und ging hinein, ihren Sohn zu holen. Mit ihm, Andrei, unterhielten wir uns recht lange. Er war erst furchtbar nervoes und unsicher, beruhigte sich jedoch allmaehlich, und ich hatte den Eindruck, er haette gern noch laenger gesprochen. Er erklaerte uns das Ritual: Offenbar ein Gedenktag an die Toten, was wohl jeweils drei Moante und sechs Monate nach dem Verscheiden des geliebten Menschen veranstaltet wird. Was es mit der „Opfergabe“ auf sich hat, konnten wir nicht richtig herausfinden, freuten uns jedoch spaeter daran. War richtig reichhaltig, auch ein warmes Essen aus Kohlrouladen und Gemuesebratlingen dabei!
Es stellte sich heraus, dass er der Sohn des Pfarrers war, die Frau, die wir ansprachen, seine Mutter. Also duerfen rumaenisch-orthodoxe Priester heiraten. Laut Wikipedia ist die Kirche an Rom angegliedert, folgt aber den Ritualen der griechisch-orthodoxen Kirche und hat ihren eigenen Patriarchen in Bukarest, berichtet also wohl nicht an den Papst. Seltsame Mischung. Haben sich vielleicht die Rosinen rausgepickt?
Andrei studierte in Iasi an der moldavischen Grenze Elektrotechnik,war EU-Befuerworter, freute sich ueber das Geld, das ins Land kommt, beklagte aber, wie alle hier, die Korruptheit der Regierung, sagte, das Geld verschwinde in den Taschen der Bonzen. Als wir uns verabschieden wollten, draengte seine Mutter, wir sollten doch noch mit reinkommen, Kaffee trinken. Wir bedankten uns jedoch artig und gingen, haetten sicherlich ihr Sonntagsrutial gestoert.
Unser „Kleinster“, Sohn Faris, hatte mir per whatsapp einen Uebersetzungsauftrag des Landgerichts Stuttgart geschickt, den ich auch gern gemacht haette. Aber ich haette dafuer WLAN gebraucht, und wir verbrachten den restlichen halben Tag damit, eine Pension oder ein Hotel zu finden, wo ich wuerde schreiben koennen, wollten uns irgendwo ueber Nacht hinstellen dafuer und morgen noch einmal hier in die Berge im Nationalpark wandern. Aber wir fanden tatsaechlich nirgends Internet – zum ersten Mal auf dieser Reise. Wir gaben schliesslich auf. Josef wollte nun weiter, obwohl ich mit gut haette vorstellen koennen, noch einen Tag hier zu wandern. Wir verliessen den Nationalpark und fuhren weiter an der Bistrita entlang, teilweise durch enge, sehr spannende Schluchtabschnitte, Richtung Sueden. Auf der anderen Flussseite sind immer wieder ein paar Haeuser. Aber dort drueben gibt es keine Zufahrtstrasse durch die Berge, so dass immer wieder Haengebruecken notwendig sind, die aussehen wie Marke Eigenbau und sehr, sehr wackelig sind. Haben eine ueberquert. Klasse! Wir fanden einen Platz direkt am Fluss. Wunderbar!
Mittwoch, 5.8.2020
Borsec, Bilbor, Bistrita
So recht koennen wir uns offenbar nicht losreissen von dieser noerdlichen Ecke der Ostkarpaten. Sind vorgestern nach dem Fruehstueck, von unserem Schlafplatz am Fluss aus, ein Seitental hinauf durch’s Dorf geradelt und dann durch den Wald in Serpentinen nach sechs KM und 300 Hoehenmetern (Ich gebe zu, an ganz steilen Stellen geschoben, aber wir waren die Einzigen ohne Auto dort oben!) am Kloster Rarau angekommen, das auf den ersten Blick nichts Besonderes hatte: einige vertreute Gebaeude aus verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Stilen gebaut. Was wir hier nun jedoch zum ersten Mal sahen, war ein aktives Kloster mit Moenchen, die tatsaechlich arbeiteten, alles selbst machten. Es gab einen Zimmermann, den man nur an seiner Kopfbedeckung und an seinem langen, weissen Rauschebart als Moench erkannte, eine Schreinerwerkstatt, eine Aussenkueche, wo zwei Moenche kochten, eine Kaeserei, etc. Alles einfach und funktional, aber eben aktiv. Ich kam ins Gespraech mit einer Frau und ihren beiden kleinen Soehnen (Mirella, Andrei und Matei). Sie sprachen sehr wenig Englisch aber waren sehr bemueht, erklaerten uns schliesslich, man koenne bei den Moenchen fuer eine kleine Spende Mittag essen, und das sei in alles Kloestern so. Im Kloster kann man auch uebernachten – wahrscheinlich im Schlafsaal, auf jedenf Fall nach Geschlechtern getrennt. Wir sahen diverse Leute mit all ihrem Kram in Plastiktueten und ueberlegten, ob sie wohl dort uebernachtet hatten. Sie sagte auch, das Kloster sei ein sehr beliebtes Pilgerziel und es sei schon 500 Jahre alt, was an der Bausubstanz nicht zu erkennen war. Ihr 8-jaehriger versuchte immer wieder, mit Google Translate zu helfen, aber wir hatten nach wie vor kein Netz. Sie nahmen uns mit in die Messe, und so saßen wir mit mit ihrem Mann (Dan) und den beiden Jungen an einem einfachen ueberdachten Aussenplatz mit langen Sitzbaenken und Holztischen. Wir bekamen endlich die beruehmte Gemuesesuppe Ciorba (auf Arabisch heisst Suppe auch Schoraba!), die uns schon mehrfach ans Herz gelegt wurde, ferner einen dicken Kartoffel- und Pfifferlingseintopf, laut unserer Begleiterin mit Sojafleisch, dazu Krautsalat, Brot und Wasser aus Borsec, das beruehmteste Mineralwasser Rumaeniens. Es war ein einfaches Gericht, richtig Hausmannskost und fuer uns ein tolles Erlebnis. Wir leisteten unsere Spende, bedankten uns artig und herzlich und verabschiedeten uns. Die Familie war ueberigens beeindruckt, dass wir mit normalen Raedern den Berg hinauf gefahren waren. Wir waren mittlerweile auch ganz begeisert ob unserer immer besser werdenden Fahrradkondition!
Wieder am Womo zurueck nach einer sehr entspannten, brausenden Fahrt den Berg hinunter, tranken wir in der Dorfbeuz, direkt an der Hauptstrasse mit den vorbeirasenden Autos noch einen Kaffee, weil die Wirtin so freundlich war. Leider sass der Dorf-Alki neben uns und lallte immer wieder Josef an.
Unser naechstes Ziel war Borsec, die Mineralwasserquelle. Ueber die Nationalstrasse 15 parallel zum Fluss Bistrita, der uns schon seit dem Prismolpass begleitet, spaeter parallel zum Fluss Mures gelangten wir hin. Die Stadt hiess frueher Bad Borseck, ist schon seit Jahrhunderten beruehmt wegen ihres Heilwassers, und Kaiser Franz Josef I. hatte es zum besten Mineralwasser des Reiches erklaert. Die Stadt waere eine echte Perle, wenn all die wunderschoenen Baudenkmaeler je saniert wuerden. Es tut richtig in der Seele weh, zu sehen, wie diese Pracht langsam verfaellt. Die Stadt ist im Dornroeschenschlaf, an manchen Stellen schon huebsch hergerichtet, und wartet ganz dringend darauf, wach gekuesst zu werden. Wir fuellten unsere leeren Wasserflaschen an einer der Heilquellen. Jede der vielen Quellen ist fuer etwas anderes gut und jede huebsch ueberdacht mit einem rundumverglasten Holzpavillion. Unser Wasser ist nun besonders gut fuer den MAgen- und Darmtrakt. Eine Dame sagte uns auf Deutsch, wir sollten es in kleinen Mengen trinken, da sont Durchfall drohe. Sie erzaehlte auch, die Stadt habe nun nach und nach all die baufaelligen Gebaeude gekauft und werde sie sanieren. Hier waere EU-Geld gut aufgehoben.
Wir fuhren noch ein bisschen weiter, obwohl man hier gut haette ueber Nacht stehen koennen. Aber es war noch recht frueh. Fuhren dann irgendwann von der Nationalstrasse ab in eine Nebenstrasse, auf der Suchen nach einem Stellplatz fuer die Nacht, fuhren lange durch dichten Wald immer bergauf, wieder auf das Massiv zu, das wir schon von Norden erkundet hatten und kamen in Bilbor raus, einem zersiedelten Ort in einem weiten, offenen Hochtal. Sprachen einen Mann an, ob wir auf seinem grossen geschotterten Platz stehen duerfen und er dirigierte uns freundlich auf die andere Strassenseite auf einen ebenfalls geschotterten Platz. So standen wir zwischen LKW, Heuharpfen und Schaeferwagen, direkt neben uns eine Brettsaege, um uns herum in der Ferne die bewaldeten Hoehen. Wirt hatten auf dem Weg immer wieder mit Heu beladene Pferdefuhrwerke ueberholt. Sie kamen nun alle langsam vorbei defiliert an unserem Platz. Unser Wirt kam noch mit drei Flaeschchen Bier vorbei, aber wir waren eben am essen, und er wollte nichts, fuehlte sich offenbar nicht ganz wohl bei uns im Womo und trollte sich recht bald wieder.
Morgens radelten wir das weite Dorf ab – immer rauf und runter, erst den Friedhof, dann die Wohngebiete und die verstreuten Hoefe. Herrliche Stimmung. Ueberall waren die Menschen am Heuen, und ich wunderte mich zum wiederholten Male, waum wir keine Kuehe draussen sahen. Wieso ließ man sie nicht einfach draussen auf den Wiesen grasen, anstatt ihnen das muehsam geerntete Heu zu geben? So kann nur ein naturfremder Staedter fragen. Wir fanden endlich eine Frau, die genug Englisch sprach, uns zu erklaeren, dass die Kuehe den ganzen Sommer ueber oben in den Bergen auf der Alm sind. Natuerlich, ich Trottel! So war das nun auch endlich geklaert.
Vor der grossen Kirche an der Hauptstrasse stand der Pfarrer im langen Talar mit Bibel in der Hand und sah aus, als warte er auf irgend etwas. Wir bauten uns dezent auf der anderen Strassenseite auf und warteten mit ihm. Und siehe da, da kam ein schicker Leichenwagen. Ein kleiner Trauerzug baute sich dahinter auf, der Pfarrer sagte ein paar salbungvolle Worte, schwang Kreuz und Bibel, Glockengelaeut setzte ein, und der Trauerzug setzte sich in Bewegung Richtung Friedhof: Der Pfarrer an der Spitze, dann der Leichenwagen und dahinter paar Trauernden.
Direkt gegenueber der Kirche war ein abgezaeuntes Areal mit lauter gleich aussehenden Holzhaeusern, alle ausgerichtet mit ihrer Giebeleseite und der Eingangstuer zu einem Kopfsteinpflasterweg in ihrer Mitte. Es erinnerte uns beide an die Vernichtungslagerbaracken, die wir in Polen gesehen hatten. Den Schildern entnahmen wir, dass es ein Behindertenheim sei. Unwillkuerlich kam uns die Erinnerung an die schaurigen Berichte ueber Waisenhaeuser zur Ciacesciu-Zeit, wo die Kinder gehalten wurden wie Tiere. Hier sah alles gepflegt und ordentlich aus, Vorhaenge mit Kindermotiven in den Fenstern, der Zaun durchlaessig, das Gartentor offen. Die gleiche Frau, die uns das Mysterium der auf den Weiden fehlenden Kuehe erklaert hatte, erzaehlte uns, es handele sich um eine Schule fuer geistig leicht behinderte Kinder, und es wuerden nun etwas ueber 30 Kinder hier leben. In den 1980’ern waren hier 3000 Kinder eingepfercht!! Also lagen wir ganz richtig mit unserem Gefuehl. Wir haben es spaeter gegoogelt. Zu genau diesem Heim in Bilbor fanden wir nichts, jedoch die Info, dass es 41 solcher Heime in ganz Rumaenien gab, dass es zumindest bist Anfang der 2000’er Jahre noch immer Kinder und Jugendliche gab mit leichter geistiger Behinderung gab, die man in Psychiatrien aufbewahrt hat. Ob das nun wirklich mittlerweile alles anders ist, wissen wir nicht.
Wir fuhren wieder aus unserem Hochtal hinunter auf die Nationalstrasse 15 Richtung Westen, die bewaldeten hohen Berge gingen ueber in sanfte, Huegel, meist abgeerntete, vertrocknet wirkende Kornfelder und Weiden. Bogen dann in Reghin nochmals nach Norden ab, um das Staedtchen Bistrita zu sehen. Dort haben wir nun uebernachtet. Sind gestern noch mit Reisefuehrer bewaffnet durch die Stadt gegangen und haben uns die paar Highlights angesehen. Und ich war beim Friseur und habe nun wieder richtig kurze Haare, die fuer die WoMo-Dusche tauglicher sind als meine Angela-Davis-Matte. Haben in gegessen, aber es hat uns nicht recht begeistert. Sie ist in Teilen huebsch hergerichtet, hat auch eine nette Fussgaengerzone; Charm haben auch die vielen schmalen Fussweggaesschen, die zwischen den Haeusern verlaufen und Verbindungen zwischen den breiteren Strassen bilden. Abends war auch richtig was los. Ich war danach jedoch irgendwie niedergeschlagen, wusste aber erst spaeter so richtig, warum: es liefen zwei etwa 5-jaehrige Roma-Zigane-Kinder zwischen all den Tischen in den Strassenlokalen herum und bettelten. Das Maedchen war ein bisschen pummelig, hatte fast noch Babyspeck, war braun gebrannt, hatte blitzblaue Augen, ihre verfilzten, von der Sonne blond ausgeblichenen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ihr Gesichtsausdruck changierte zwischen Langeweile, Abgeschlagenheit und Desillusioniertheit, jedenfalls hatte er nichts Kindliches mehr. Sie kassierte dreimal soviel wie ihr nicht ganz so huebscher Bruder. Was wuerde aus ihr werden??? Ich mag mir gar nicht ausmalen, wieviel Missbrauch diese Kinder ausgesetztz sind, ob im eigenen Umfeld oder durch die sogenannte Mehrheitsgesellschaft, die die Zigane nicht einmal ansatzweise als gleichwertige Menschen sieht.
Montag, 10.8.2020
Cluj, Turda-Saline, Turda-Schlucht, Siebenbuergen, Dracula-Stadt Sighisuara (Schaessburg)
Eigentlich wollten wir von Bistrita wieder zurueck Richtung Reghin und auf halbem Wege nach Osten Richtung Cluj-Napoca auf eine im Atlas als landschaftlich reizvoll markierte Strasse abbiegen. Aber ich war noch mit meinem moralischen Haenger beschaeftigt, mochte nicht hinaus gucken in die vertrocknete Landschaft und liess den Navi das tun, was er soll: navigieren. So fuhren wir also falsch. Aber bis ich es merkte, war es zu spaet, und wir beliessen es dabei.
In Cluj hatten wir das erste Mal ein Problem, einen Parkplatz zu finden. Die Stadt liegt in einem Talkessel an der Somes, und nachdem wir in der Stadt erfolglos gekreist waren, fuhren wir wieder den Berg hinauf raus aus der Stadt, auf der Suchen nach einem Campingplatz, den der Navi gefunden hat. Das war auch nix: voll besetzt und viiiiel zu eng. Ich fand dann mit Google unten am Fluss einen Park und eine Sporthalle, und die Satellitenbilder sahen nach grosser Parkflaeche davor aus. So war es denn auch. Standen dann direkt am Fluss und hatten es mit dem Fahrrad nur 10 Minuten in die Innenstadt, die wir dann sogleich erkundeten. Cluj ist mit ueber 300.000 Einwohnern die zweitgroesste Stadt Rumaeniens und hat eine ausgedehnte und sehr schoene Altstadt mit viel herrlicher Bausubstanz. Wir kreisten ueber die riesigen Plaetze,besahen die Kirchen und lasen in unserem Reisefuehrer dazu. In der St. Michael-Kirche war ein reges Kommen und Gehen der Glaeubigen. Es gab keine Sitzbaenke, nur vereinzelt herumstehende Stuehle, die sich die Glaeubigen nahmen und hinstellten, wo immer sie gerade beten wollten. Alle betraten die Kirche mit Maske, desinfizierten sich brav die Haende, rissen sich dann die Maske runter, um inbruenstig alle dieselbe Ikone zu kuessen! Und keiner hielt sie davon ab. Na, dann! Happy Corona! Wir hielten uns fern. Auf dem Vorplatz standen auch etliche Glaeubige, die der spaeter ueber Lautsprecher uebertragenen Lithurgie lauschten, sich immer wieder bekreuzigten und bei ihren jeweiligen Einsaetzen prompt Inputs lieferten. Auf dem „Platz der Einheit“ wurde gerade fuer das Filmfestival TIFF eine riesige aufblasbare Leinwand aufgebaut. Wegen Corona durften sie nicht viele Karten verkaufen und alle Karten fuer die 21:00-Vorstellungen waren schon vergriffen. Wir fuhren noch einmal zum Womo, zogen uns etwas Warmes an, assen etwas und machten uns dann noch einmal auf. Die Stadt war nun, da die Hitze vorbei war, deutlich voller. Auf dem grossen Platz sollte der sozialkritische und koreanische Film „Parasit“ gezeigt werden, der beinahe als Comedy anfaengt, sich dann jedoch fast zu einem Psychothriller entwickelt und im Blutrausch endet. Wir hatten ihn schon im Kino gesehen und konnten ihn nun zwar nur von einer Kneipe auf dem Platz so halb verfolgen, waren dennoch wieder ganz gefangen in der Handlung, und unsere Rueckfahrt durch die nun stiller gewordenen Strassen war nachgerade unwirklich. Um unser Womo herum war noch ein bisschen Halligalli: wir hatte wieder einmal zielstrebig den Jugendtreffpunkt gefunden. Aber wir haben ja einen gesunden Schlaf.
Tueddelten morgens noch recht lange im Schatten einer Linde direkt vor dem Womo herum, machten einen Spaziergang am Fluss entlang, genossen die Stimmung der vorbei defilierenden Mamas mit ihren Kindern, Radfahrer, Jogger, Inlinerfahrer, etc. und machten uns schliesslich wieder auf dem Weg nach Turda, nur etwa 30 km sueoestlich von Cluj. Hier gibt es eine riesige Saline, die man besichtigen kann. Ich liebe Hoehlen aller Art und konnte nicht widerstehen, obwohl ich hier schon im Vorfeld wusste, dass es ein Touristen-Hotspot ist. Von aussen sah man lediglich eine Art Glaskuppel, den Eingangsbereich. Von dort aus ging man einen abschuessigen Gang hinab bis zu einem schnurgeraden 1-km langen Stollen, der die einzelnen Salzkammern miteinander verbindet und in dem frueher Loren auf Schienen die Salzbrocken abtransportierten. Die Saline gab es schon in der Antike und wurde bis 1930 durchgaengig als solche genuetzt. 200 Jahre lang wurde ernsthaft Salz abgebaut. Die Maenner arbeiteten sich durch Loecher mit vielleicht 10m Durchmesser in die Erde vor. Als sie auf Salz stiessen, schlugen sie mit kleinen, primitiven Aexten riesige Loecher in die Erde. Perfekt kreisrund, nach unten immer breiter werden, bis das Loch schliesslich wie eine unterirdische Kathedrale war, mit einer Tiefe von 120 m und einem Durchmesser von 75 m! Unten ist durch hereinsickerndes Wasser ein 8m tiefer Salzwassersee entstanden, in dessen Mitte durch herabgeworfenen Ausschuss eine Insel, um die man mit Ruderbooten herum paddlen kann. Und diese war nur eine von vier Salinen hier. Die benachbarte hat die Form eines Trapezes. Im oberen Drittel sind sie durch einen breiten Durchgang miteinander verbunden. Ganz unglaublich! Die Muster an den Waeden, die Riefen der Axtschlaege, die nadelduennen Salzstalagtiten, alles eine Augenweide. Wir waren ungeheuer beeindruckt! Die Betreiber haben einen etwas anderen Geschmack als wir und haben die Hallen mit seltsamen Formen der Unterhaltung gefuellt: Einem Riesenrad, Tischtennisplatten und einer Bowlingbahn. Jedem das Seine. Coronasicher ist das alles nicht, weil man sich zumindest auf einer der Treppen viel zu eng begegnet. Und die meisten sind zu faul, die vielen Treppen hinauf und hinab zu steigen und quetschen sich in den Aufzug, vor dem sie lange Schlange stehen – auch nicht mit genug Abstand. Es tragen zwar alle Masken, und wir desinfizieren die Haende nach Beruehrung der Treppengelaender, aber hier wurden die Hygieneregeln definitiv nicht eingehalten. Zwei der Salinen sind nicht zugaenglich. Die eine sieht man eigentlich nicht…sondern hoert man nur: Man kann ganz oben stehen und das Echo seiner Stimme 20-fach hoeren. Ich konnte nicht widerstehen und sang „Dona nobis pacem“. Aber, ausser Josef, ohne Publikum. Die vierte Saline ist ganz gesperrt. Erst auf mein Fragen hin erfurhen wir, dass es sie gibt und dass sie geschlossen sei, weil man hier jahrhundertelang tote Tiere hinein geworfen habe (und wahrscheinlich Menschen) und es noch immer stinke. Uuuuhhh! Schoen gruselig!
Als wir heraus kamen aus der unterirdischen Kuehle und Dunkelheit, war es draussen noch immer heiss und grell. Ich hatte aus dem Augenwinkel gleich neben der Saline ein Freibad gesehen. Wir holten unsere Badesachen und gingen planschen: Es waren zwei klitzekleine „Tote Meere“, also Salzsehen mit 260gr/Liter Salz. Man konnte also eigentlich nur in dem trueben, badewannenwarmen Braun sitzen, was wir dann mit all den Einheimischen taten, die dort in Grueppchen plauderten. Sehr nette Stimmung! Wir blieben fast bis 20:00, und die Sonne schien noch immer.
Gleich neben Turda ist die Turdaschlucht – ebenfalls ein Touri-Highlight, und da wir einen Platz fuer die Nacht suchten, fuhren wir dorthin, fanden ein ganz herrliches Plaetzchen oberhalb des Schluchteingangs, machten noch einen kurzen Abendspaziergang in dem herrlichen Licht und trollten uns dann in unser gemuetliches Womo. Morgens gleich nach dem Fruehstueck, wir hatten die ganze Landschaft fuer uns, brachen wir auf in die Schlucht. Sie wirkte etwas deplatziert hier, denn eigentlich ist die Landschaft hier eher sanft huegelig grasbewachsen. Hier warfen sich nun zwei Felsen auf, zerbarsten in der Mitte und bildeten diese kurze dramatische Schlucht mit 120m hohen Waenden und einem kleine Fluss in der Mitte. Es war ein viel begangener Weg, was die polierten Steine und die vielen weggeworfenen Papiertaschentuecher bezeugten, und erinnerte ein wenig an Stadtwanderwege in Parks und sogenannten Naherholungsgebieten. Die Felswaende waren schon beeindruckend, aber wir sind verwoehnt von unseren dramatischen Wanderungen im Oman. Es begegneten uns zwei Gruppen von Kletterern, die sich an den Waenden austobten. Am Ende der kurzen Schlucht tat sich ein herrlich sanftes Tal auf, und wir setzen uns fuer eine recht lange Weile plaudernd ins Gras etwas oberhalb. Unten hatte jemand ein Ferienhaus und hatte recht schoene Musik laufen. Wir genossen es. Fuer den Rueckweg nahmen wir den steilen Anstieg hoch ueber die Felsen und auf der anderen Seite wieder runter. Hier begegnete uns nur eine Wandergruppe, die uns mit ihrem freundlichen Geschnatter den ganzen Weg begleitete. Wieder am Auto angelangt, war hier der Touristenalltag in vollem Gang: Zip-Line, Kiosks mit Nippes, Restaurants, Imbissbuden,…. Und richtig was los. Wir tranken einen Kaffee, aßen eine Kleinigkeit,schauten dem bunten Treiben zu und machten uns dann auf den Weg in das Herz Siebenbuergens, was wiederum die geographische MitteTranssylvaniens und ganz Rumaeniens ist.
Welch eine neue und andere Welt! Eher zufaellig landeten wir als erstes in einem kleinen Staedtchen, eigentlich eher Dorf, namens Bazna, deutsch Bassen. Dort befand sich die erste Kirchenburg, die wir sehen wollten und fuer die Siebenbuergen bekannt ist. Die Bewohner wurden im 11. Jahrhundert von einem ungarischen Koenig aus Deutschland und Luxemburg als Siedler und Grenzwaechter gegen einfallende Nomadenvoelker ins Land geholt, sollten das fruchtbare Land des Karpatenbeckens urbar machen. Sie gruendeten sieben sogenannte „Stuehle“, also Staedte und spaeter hunderte von Doerfern. Als Schutz gegen die einfallenden Horden bauten sie ab dem 15. Jahrhundert ihre Kirchen zu Wehrburgen um, da diese die einzigen Steinbauten im Dorf waren und somit die stabilsten Gebaeude. Grosse Wehrkirchen enthielten eine Schule, eine Baeckerei, grosse Vorratsraeume, wo alle Bewohner wertvolle Vorraete aufbewahrten – nicht nur fuer den Belagerungsfall. Sie erinnerten uns an die Agadire in Marokko. Es gibt sogar eine Kirchenburg, die, genau wie die Agadire, fuer jeden Bewohner eine eigene abschliessbare Kammer hat.
Bassen also. Als wir den Kirchhof betraten, kamen Christel und Hans hervor, beide Siebenbuergensachsen. Hans war mit 20, Christel mit 5 Jahren, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, nach Deutschland umgesiedelt. Beide engagierten sich fuer den „Heimatortsverein“ (HOG) Bassen, verbrachten ihren Urlaub hier und versuchten, die Kirchenburg vor dem Verfall zu retten. Wir kamen rasch uns Gespraech, und sie luden uns ein, mit dem Womo bei Hans‘ Cousine, die hier eines der alten Haeuser zurueck gekauft und zur Pension umgebaut hat, im GArten zu stehen. Wir nahmen das Angebot gern an, denn es versprach sehr interessant zu werden. Nach einer Fuehrung durch die Kirche, die noch uebrig gebliebenen anderen Raeume, sowie einer Turmbesteigung mit Glockenlaeuten durch Hans, was ganz tief ins Herz drang, boten wir ihnen an, am darauffolgenden Tag einen Arbeitseinsatz zu machen. Sie freuten sich sehr ueber das Angebot, und Christel wusste auch gleich, wofuer sie uns brauchen wuerden: das dazugehoerige Pfarrhaus wurde vom Vorstand der HOG (Christels Vater, wie wir spaeter erfuhren) ein wenig eigenmaechtig an einen rumaenischen Millioner vermietet, der dieses, wie schon viele andere aehnliche Objekte renovieren und zu einem Gaestehaus machen wollte. Er ist Reiseveranstalter fuer Lidl und will Touristengruppen durch Rumaenien lotsen. Nun musste man also wertvolle Moebelstuecke und anderes aus dem Pfarrhaus in andere Raeume der Festung raeumen, was die beiden allein kaum schaffen konnten. Morgen also!
Wir fuhren die paar Meter zu Hans‘ Cousine, bauten uns im Hof auf, hatten eine ganz wunderbare Aussicht auf die Kirchenfestung und verbrachten einen sehr unterhaltsamen Abend mit Hans, seiner Frau Melitta und Christel. Uns verblueffte diese starke Heimatverbundenheit sehr, aber wir machten uns dann klar, dass ihr Weggang 1. freiwillig geschah (anders als bei Josefs Eltern, die vertrieben wurden, oder meiner Mutter, die mit ihrer Mutter vor den vergewaltigenden Russen floh) und 2. auch nicht wirklich lange her war: Anfang der 1990’er. Da war noch alles praesent, und man konnte jederzeit wiederkommen und seine Erinnerungen pflegen. Das konnten die anderen auch nicht. Sie benennen die Doerfer und Staedte natuerlich ausschliesslich mit den urspruenglichen deutschen Namen. Das verstehe ich. Ich wuerde auch nie die hebraeischen Namen fuer die palaestinensischen Doerfer und Staedte akzeptieren.
Am darauffolgenden Tag, nach gemeinsamem Fruehstueck, machten wir uns alle an die Arbeit. Schraenke und Schreibtisch des Pfarrers galt es zu leeren, den Inhalt von Staub und Maeusekot zu befreien, zu sortieren und alles rueber zu tragen. Wir fanden seine handschriftlichen Aufschriebe fuer Predigten, auch die seiner Vogaenger, die aeltesten gingen zurueck bis in die 1970’er, die neuesten bis 2003, viele Gesangs- und andere Buecher. Sehr spannend. Wir fanden auch seine Talare und anderes Zubehoer fuer die Gottesdiense. In einer Schublade lag anstatt Wachspapier unten drin eine „christliche“ Zeitung aus der Ceaucescu-Zeit, in der jeder Artikel nur um ihn ging. Ueber Anderes durfte gar nicht geschrieben werden. Nachdem wir alle hinreichend viel Staub eingeatmet hatten, schwangen wir uns auf die Fahraeder und fuhren ins Dobsi, dem einzigen verbleibenden Lokal im Dorf. Begleitet wurden wir von Erich, ebenfalls einem Siebenbuergensachsen, der schon zurueck gekehrt war aus Deutschland, hier jahrelang einen Autoteilehandel betrieb, nun jedoch wieder in Langen bei Frankfurt lebt und es furchtbar findet dort. Aber seine Frau war sehr krank und wollte nicht in Rumaenien leben. Er litt sehr darunter und kommt wohl so oft er kann, hierher in sein Haus. Im Restaurant berherrschten die Sachsen das Geschehen. Die wenigen rumaenischen Gaeste beaeugten unsere Gesellschaft einigermassen verwundert. Hans ging wohl in seinen Jugendtagen auf eine rumaenische Oberschule, sprach gut und war auch gut integriert. Seine Frau Melitta ging im nahen Mediasch auf die Deutsche Schule und lernte nie richtig rumaenisch. Nach dem Essen fuhren wir mit den Raedern durch das ehemalige Kurbad. Bassen hat Heilquellen und war einst ein bedeutender Kurort. Alles verfiel jeoch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und wurde nun von der Natur zurueck erobert. Wie schade! Es muss einst eine wohlhabende Gemeinde gewesen sein. Nun wirkte alles recht aermlich. Ein paar der ehemaligen Sachsenhaeuser, die, wie in allen Siebenbuerger Doerfern, an der Hauptstrasse entlang aufgereiht, mit dem Giebel zur Strasse standen, waren saniert worden – meistenteils von Rumaenen; viele standen jedoch leer und waren dem Verfall preisgegeben, ebenfalls das Schicksal der meisten Siebenbuerger Doerfer.
Die Hitze, der Staub und das Essen hatten uns geschafft. Wir hielten eine kurze Siesta im Womo, wuschen dann unsere Waesche und vertuettelten den Abend mit den anderen auf der Terrasse hinter dem Haus. Sie waren uns sehr dankbar fuer unsere Hilfe, und wir ihnen fuer die spannenden Einblicke und natuerlich ihre Gastfreundschaft.
Gestern, am Sonntag, gingen Hans und Melitta in den deutschen Gottesdienst nach Mediasch. Wir gingen derweil auf den Friedhof, der recht gross war fuer die kleine Stadt und wo nur Siebenbuerger Sachsen beerdigt wurden. Die Rumaenen haben ihren eigenen Friedhof. Das ist hier so ueblich. Die rumaenisch-orthodoxe Kirche, die katholische Kirche und die evangelische Kirche hat in jeder Stadt ihren jeweils eigenen Friedhof. Anschliessend fuhren wir nach Velt, einem kleinen, sehr armen ehemaligen Siebenbuerger Dorf gleich neben Bazna, und sahen uns kurz die dortige Kirchenburg an, von der nur noch dieKirche steht, von der wiederum eine Mauer eingestuerzt ist. Das Pfarrhaus war zum Kraemerladen geworden. Es lebten dort sichtlich viele Zigane, und wir sahen eine Gruppe junger Leute, die sich in einer verlotterten Gruenanlage auf den Parkbaenken luemmelnd raekelte. Ein trauriger Ort, dieses Dorf. Wir trafen uns anschliessend noch einmal mit Hans und Melitta, da sie uns zum Essen einladen wollten als Revanche fuer Josefs Einladung am Vortag, und verabschiedeten uns dann. Christel war schon am Samstag Abend nach Sibiu, frueher Hermannstadt gefahren, weil sie dort bei Verwandten wohnte. Sie wollt die naechsten drei Monate hier verbringen, hoffte, noch einiges bewerkstelligen zu koennen zum Erhalt der Kirche und wollte sich eventuell hier ein Leben aufbauen, als Burgwart fungieren. Mutig!
Nach einem Rundgang durch Mediasch, einem huebschen Staedtchen, in dem schon viel restauiert wurde, und durch die Kirche, machten wir uns auf den Weg nach Osten ins 40km entfernte Sighisoara, frueher Schassburg. Dies war nun ein echtes Touristenstaedtchen. Dank Corona waren hier zu 99% Rumaenen unterwegs, davon jedoch recht viele. Sighisoara ist sehr huebsch, hat eine Ober- und eine Unterstadt, ein tolles Flair, eine intakte Stadtmauer, die die Oberstadt, genannt Zitadelle, vollstaendig umgibt und mit noch 10 Tuermen versehen ist und auch noch der Geburtsort des Fuersten ist, auf dessen Geschichte basierend Bram Stoker einst Dracula schrieb, was hier reichlich vermarktet wird, wie in ganz Transsylvanien. Der Fuerst war ein grausamer Mensch und wurde „Der Pfaehler“ genannt, weil er unliebsame Zeitgenossen aufspiessen liess. Dies handelte ihm einen derart schlechten Ruf ein, dass selbst der tuerkische Sulthan und Eroberer vor Schaessburg kehrt machte, als er seine Soldaten alle aufgespiesst vorfand. Angeblich trank er sogar das Blut seiner Feinde. Daher die huebsche Legende um Graf Dracula.
Wir vertuettelten heute den Vormittag auf dem hervorragenden Parkplatz direkt unter der schoenen Stadtkulisse, kauften ein und fuhren weiter nach Viscri, einem ebenfalls sehr gut erhaltenen Siebenbuergendorf mit toller Kirchenburg. Viscri hat das Glueck, UNESCO-Weltkulturerbe zu sein. Und dann hat auch noch Prince Charles hier ein Haus gekauft und zu einem Gaestehaus sanieren lassen. So kommen die Besucherstroeme von ganz allein und bringen Geld ins Dorf. Es war dennoch sehr urspruenglich: Gaense, Huehner, Schafe, Pferde und Huehner liefen ueberall frei herum, und die Rumaenen, in der Mehrzahl Zigane, die nach der Abwanderung der Siebenbuergensachsen die Haeuser spottbillig gekauft haben, waren von den gaffenden Touristen offenbar recht unbeeindruckt. Die Dame, die das Eintrittsgeld fuer die Burg kassierte, eine Siebenbuergin, die nie weg ging aus Viscri, war nicht ganz so begeistert. Ja, es bringe natuerlich Geld, so dass man alles erhalten koenne, aber es seien einfach zu viele. Fluch und Segen.
Standen dann hier am Dorfrand, neben uns ein Expeditionsfahrzeug aus Deutschland. Ausser Grillen und entferntes Hundebellen hoerten wir nichts, schliefen wie die Steine, denn dankenswerterweise kuehlt es nachts herunter.
12.8.2020
Viscri, Jibert, Biertan, Medias
Sind noch immer in Siebenbuergen und arbeiten uns von Dorf zu Dorf, von Kirchenburg zu Kirchenburg. Gestern frueh sattelten wir die Raeder und fuhren durch die sanft huegelige Landschaft etwa 30km von Viscri ueber Dacia nach Jibert und zurueck. Beide Doerfer sind aermlicher und deutlich weniger hergerichtet als Viscri. Am Dorfende in Jibertin fiel uns ein deutsches Kennzeichen vor einem Haus auf. Siehe da: es waren Siebenbuergersachsen, die auch Anfang der 90’er mit ihren Familien nach Deutschland ausgewandert waren, sich nun jedoch hier ein ganz kleines altes Haeuschen als Ferienhaus gekauft haben, das sie nun nach und nach sanieren. Sie hatten ihren 16-jaehrigen Sohn dabei und waren offenbar ganz erfreut ueber unser Interesse, luden uns ein in ihre duestere Stube und erzaehlten sehr viel ueber die Grossmutter, die nach dem Krieg nach Russland deportiert worden war, ueber die Zustaende in Rumaenien unter Ceauscescu, wie uns Hans aus Bassen schon erzaehlt hatte: Sie mussten von ihren landwirtschaftlichen Erzeugnissen immer einen gewissen Anteil abgeben. Kalbten die Kuehe, mussten sie ein Kalb pro Jahr abgeben, ebenso eine gewisse Anzahl von Eiern, etc. Taten sie das nicht, bekamen sie im Gegenzug keinen Zucker, kein Speiseoel etc. – ein kommunistisches Feudalsystem. Das ging alles ganz gut bis in die 1980’er, als Ceauscescu sich u.A. mit seinem voellig groessenwahnsinnigen Parlamentsbau in Bukarest (das groesste Gebaeude in Europa, fuer das er 2/3 der Altstadt plattmachen liess) derart verschuldete, dass er alles exportierte, was nur ging, so dass fuer sein Volk nur noch Brosamen minderwertiger Qualitaet uebrig blieben. Siebenbuergen verlor nach 1990 zwei Drittel seiner Bevoelkerung, und es blieben nur die Alten, die nicht mehr umziehen wollten. Seither verliessen nach und nach 20% der Erwerbstaetigen das Land. Die ersten nur zum Arbeiten, um sich dann mit dem verdienten Geld etwa aufzubauen. Die, die jetzt gehen, kommen nicht wieder – eine Katastrophe fuer die Volkswirtschaft. Es gibt keine Handwerker, keine Erntehelfer, keine Krankenschwestern, keine Altenpfleger, … Sie sind alle bei uns im Westen.
Wenn wir nicht weg gedraengelt haetten, haetten unsere Gastgeber uns da behalten. Wir radelten zurueck, machten eine kleine Siesta und machten dann noch einen langen Spaziergang um das ganze Dorf. Vorher hatten wir noch einen Tee im Schatten des Womo getrunken und der Familie mit dem riesigen Expeditionsfahrzeug zugeschaut, wie sie zusammenpacken und losfahren.
Wir hatten am Vortag in Viscri ein Projekt entdeckt: Frauen Stricken Socken. Eine Deutsche, also eine aus Deutschland eingewanderte, hatte hier vor einigen Jahren mit ihrem Mann angefangen, die Zigane und rumaenischen Frauen Socken stricken und Hausschuhe filzen zu lassen, um diese auf deutschen Weihnachtsmaerkten zu verkaufen. Sie hat 25 Jahre lang hier gelebt und ein Buch darueber geschrieben, das wir gestern im Sockenladen / Cafe gekauft hatten. Im Buch war ein Kapitel ueber eine Dachziegelei, die irgend jemand oberhalb des Dorfes aufgebaut haben soll. Wir gingen also nach unserem Tee los, und suchten diese Ziegelei, fanden sie schliesslich auch auf einer Lichtung im Wald oberhalb des Dorfes. Aber sie war verlassen. Wie schade! Dafuer fanden wir die Leute mit dem Expeditionsfahrzeug auf einer Wiese mit herrlichem Blick auf das ganze Umland. Wahrscheinlich war ihnen der Parkplatz unten im Dorf zu „mainstream“. Uns nicht. Freuten uns auf unser Bett, wie jede Nacht! Aber vorher machten wir noch einen Schlenker in eine etwas schaebige Seitengasse des Dorfes, wo nur Zigani leben, fanden ganz am Ende eine Bruecke, die ueber ein Rinnsal fuehrte. Darin lagen zwei tote Welpen. Haben Plakate gesehen, die fuer Gratis-Sterilisation von Hunden und Katzen werben. Es laufen schon einige Streuner herum, aber es haelt sich in Grenzen, und sie sind sehr zurueckhaltend.
Heute frueh haben wir noch eine Runde durch Viscri gedreht, sind nochmal zum Sockenladen und haben einige Paare fuer unsere Toechterchen und zwei paar Filzpantoffeln fuer Gaeste erstanden. Die junge Frau, die abkassierte meinte auf unsere Frage recht traurig, dass die Gruenderin nicht mehr da sei und wohl auch nicht mehr kommen werde. Wir hatten gestern ein bisschen in dem Buch geschmoekert, und haben herausgelesen, dass sie recht desillusioniert war. Das passiert so oft: Menschen engagieren sich ehrenamtlich, und es wird nicht genuegend gewuerdigt. Dann ist man frustriert und gibt auf. Ich weiss noch nicht, ob das der Grund war fuer ihre Rueckkehr, denn sie und ihr Mann sind nach eigener Aussage nicht hierher gekommen, um Gutes zu tun, sondern weil ihnen Viscri und Rumaenien gefielen. Die Projekte sind ihnen zugelaufen.
Auf dem Rueckweg kamen wir mit einem rumaenischen Architekten ins Gespraech, der sehr gut Deutsch sprach und fuer einen reichen Bukarester die Restaurierung eines wirklich verfallenen Siebenbuergensachsenhauses beaufsichtigte. Als wir ihn fragten, wieso er so gut Deutsch kann, was er fuer ein Landsmann sei, sagte er, er sei Europaeer, was uns sehr freute. Wir sprachen dann ueber dies und das, sagten ihm, wie begeistert wir von Rumaenien seien, dass sich die Vorurteile gar nicht bestaetigt haetten, worauf er sagte, man duerfe es ja kaum sagen, aber die Zigane seien schuld an diesen Vorurteilen. Dann sagt er „out of the blue“: „Hoffentlich entdecken die Syrier Rumanien nicht fuer sich. Ich habe eine Tochter und haette Angst, sie auf die Strasse zu lassen.“ Mir blieb die Spucke weg! Ich sagte: „Das kann nicht Ihr Ernst sein!“ Ich sagte ihm, absichtlich recht echauffiert, mein Vater sei Palaestinenser und Fluechtling (was nicht stimmt, aber Uebertreibung macht bekanntlich anschaulich), und ich koenne das ueberhaupt nicht akzeptieren und muesse das Gespraech hier abbrechen, er solle sich schaemen. Wir seien trotz aller negativer Vorurteile gegen Rumaenien hierher gekommen. Das wiederholte ich noch mehrmals, im Weggehen sagte ich ihm auch nochmals, dass er sich schaemen sollte. Josef versuchte, noch weiter mit ihm zu sprechen, aber ich ging demonstrativ weg. Man haette es vielleicht noch weiter ausdiskutieren sollen, aber ich hatte keine Lust. Im Nachhinein ist mir klar, dass hoechstwahrscheinlich 99% aller Rumaenen so denken. Wir hatten derlei Gespraeche bisher noch nicht. Aber wenn man ihre deutlichen Ressentiments gegen die Zigane hoert, dann ist klar, was sie von allen andern halten muessen. Ich lasse mir davon mein Bild von diesem Land hoffentlich nicht eintrueben. Das Traurige ist – wie auch schon in Polen im vergangenen Sommer, dass man ueberall sieht, wieviel dieses Land von der EU profitiert hat, dass sie jedoch nur nehmen, nicht geben wollen. Das haette man noch mit dem Architekten diskutieren muessen.
Wir duempelten heute von Viscri nach Biertan, besichtigten dort noch eine Festungskirche (aber ich glaube, jetzt ist es genug). Ein Highlight dort: Die Sakristei war gleichzeitig Schatzkammer, die einzige ihrer Art in ganz Siebenbuergen. Deren Tuer ist mit einem Schloss aus dem Mittelalter mit 16 (!) Schloessern versehen, mit einem komplizierten Mechanismus, wie ein Safe. Es ist so einzigartig, dass es auf der Pariser Weltausstellung Anfang des 20 Jh.’s den ersten Preis fuer mittelalterliche Technologie gewann. Erklaert hat uns dies in diesem Detail ein junger Mann, der sich als Banatschwabe (Pendant zu den Siebenbuergersachsen weiter im Suedwesten des Landes) und Reiseleiter outete. Wir plauderten laenger mit ihm, und er gab uns ein paar gute Tipps fuer das Donau-Delta und erzaehlte uns von einem Winzer im Nachbardorf Richis (Reichendorf). Das war dann unsere naechste Station. Fragten die Maenner vor der Dorfkneipe nach dem Winzer, und ein junger Mann namens Benni aus der letzten Sachsenfamilie in Dorf, der in Mannheim bei einer Baufirma Fertiggaragen montiert, begleitete uns zur Winzerei. Dort hat ein junger Rumaene ein Haus herrlich saniert und zum Gaestehaus gemacht, hat im Keller eine Batterie Barrique-Faesser stehen, in denen der gute Tropfen reift. Die ganze Gegend war Weinanbaugebiet, wovon die gestuften Suedhaenge rundherum noch zeugen. Aber es gibt fast keine Winzer mehr. Schuld sei angeblich eine Fabrik ganz in der Naehe, die einst Ruße fuer die Reifenproduktion hergestellt hat und die ganze Umgebung mit ihrem schwarzen Staub verseuchte, den Ruf der rumaenischen Weine zerstoert hat. Zwar gibt es die Fabrik schon lange nicht mehr und ist die Stadt mit der Fabrik schmuck saniert, aber der Weinanbau hat sich bis jetzt nicht erholt. Wir tranken ein paar Probeschlueckchen, kauften 3 Flaeschchen, schauten uns den Weinkeller, seine sehr liebevoll gestalteten Gaestezimmer und den Garten an und verabschiedeten uns dankend von ihm und Benni.
Wir zuckelten im Bogen zurueck nach Medias, wo wir vor ein paar Tagen mit Hans und Melitta zu Mittag gegessen hatten und standen ueber Nacht direkt neben Melittas deutscher Schule bzw., auf die sie sehr stolz ist – aehnlich wie ich auf meine altehrwuerdige Friends Girls School in Palaestina – und an der einst im 18. Jh. der fortschrittliche Paedagoge und Pestalozzi-Schueler Ernst Ludwig Roth unterrichtete. Tranken auf dem Koenig-Ferdinand I. Platz ein Bierchen und plauderten mit der jungen Kellnerin, die sehr gut Deutsch sprach. Kein Wunder: Sie war vor sieben Jahren nach Deutschland gegangen, hatte dort die Sprache gelernt und eine Ausbildung in Buerokommunikation gemacht. Chapeau! Sei nun nur ueber den Sommer hier in ihrer Heimatstadt, wolle jedoch zurueck nach Muenchen, um dort zu arbeiten. Ihr Mann spreche kein Deutsch, aber er wuerde in Deutschland auch Arbeit auf dem Bau finden. Und, nein, sie wuerden nicht wieder hierher zurueck kehren, sondern sich in Deutschland fest niederlassen. Es ist ein Katastrophe fuer die Volkswirtschaft in diesem Land. 20% der Berufstaetigen sind im Ausland, und zwar nicht nur die Schlachthofarbeiter und Spargelstecher, sondern auch viele Qualifizierte. Im Uebrigen sind viele der Ersteren auch qualifiziert, finden jedoch keine Arbeit und verdingen sich zu dieser schlecht bezahlten Knochenarbeit, weil sie immer noch mindestens doppelt soviel bringt wie ein Job hier in Rumaenien.
Da unser Kuehlschrank recht leer gefegt war, liefen wir morgens in die Richtung, aus der uns die Menschen mit Einkaufstaschen entgegen kamen und fragten uns erst zur Post vor, damit ich meine zweite Runde Postkarten loswerden konnte. Dieses antiquierte Postkartenschreiben, meinen liebsten Menschen ein kleines unmittelbares, weil handgeschriebenes, Lebenszeichen zu schicken, macht mir richtig Spass. Dann fanden wir die Markthalle von Medias. Maerkte sind ueberall auf der Welt etwas Herrliches. Wir haben schon so viele gesehen, in so vielen Laendern, aber es zieht uns immer wieder mit Macht auf sie, und wir muessen immer aufpassen, dass wir nicht zuviel kaufen – zumal das Essen in den Restaurants hier auch klasse ist! Josef hat mittlerweile auf verschiedenen Maerkten 4kg Walnuesse fuer unser Muesli gekauft zuhause! Wir fanden Waldblaubeeren aus der Moldau (hier in Transsylvanien ist es viel zu trocken fuer Blaubeeren oder Pilze), und den guten Porumb, frische Maiskolben. Mais ist hier Grundnahrungsmittel Nr. 1. Aus ihm wird Polenta, rumaenisch mamaliga, gemacht, und er wird um diese Jahreszeit ueberall an der Strasse als ganzer Kolben gegart angeboten.
Wieder Richtung Womo und Altstadt tranken wir noch einen mittaeglichen Kaffee in einem der hier in allen Staedten zahlreichen, stets gut besuchten Cafes, und machten uns langsam auf den Weg Richtung Sibiu, frueher Hermannstadt, unserem letzen grossen Ziel hier in Siebenbuergen. Unterwegs machten wir einen kurzen Abstecher nach Valea Vilor und besichtigten die Kirchenburg. Die Dame am Eingang war die rumaenische Ehefrau des letzten Siebenbuerger Sachsen im Dorf. Sie sprach ganz gut Deutsch, da sie einige Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet hatten, nun jedoch zurueck gekehrt waren. Sie wusste nicht viel ueber die Sachsen hier oder die Umgebung. Schade, denn an der Hauptstrasse, bevor wir nach Valea Vilor abbogen, lag Copsa Mica, das in unserem Bedeker nur wegen seiner Kirchenburg erwaehnt wurde. Nicht erwaehnt wurde, dass es bis vor ein paar Jahren pechschwarz war, wie die gesamte Umgebung, weil es hier eine Rußfabrik fuer den Strassenbau und die Reifenproduktion gab. Selbst die Trauben an den Weinstoecken waren schwarz, so dass der Ruf des rumaenischen Weins nachhaltig beschaedigt wurde und praktisch alle Winzer aufgaben. Unsere Dame in der Kirche wusste nichts darueber.
Sibiu wurde 2007 zur europaische Kulturhauptstadt gekuert, und ihr Buergermeister war bis 2014 kein geringerer als der heutige Praesident Klaus Iohannis. Wenn er die Geschicke Rumaeniens so gut fuehrt wie die Sibius, so laesst das hoffen! Es war zumindest schon einmal die erste Stadt hier, in der wir nicht ueberall unser Trum von Fahrzeug abstellen durften. Sind also ein Weilchen gekreist, hatten schliesslich auf Google Maps ein Plaetzchen an dem kleinen Fluss Cibin am Rand der Altstadt gefunden, von dem ich hoffte, dass er Schatten unter Weiden bieten wuerde (es war parktisch jeden Tag – bis auf heute – knallig sonnig, heiss und grell), wie wir es in Cluj so toll getroffen hatten. Allein das war nix. Also kreisten wir noch ein wenig, stellten ihn schliesslich auf einem Parkplatz ab, auf dem ein paar Wohnwagen standen, die jedoch offenbar fester Wohnsitz fuer ein paar Menschen waren, und fuhren zunaechst mal mit den Raedern hinauf in die Oberstadt mit ihren vielen herrlichen Plaetzen, ihrer barocken Architektur und den Ueberbleibseln der drei Befestigungsringe aus Tuermen, Mauern und Bastionen. Herrliche Stimmung hier. Auf dem Grossen Platz war eine Buehne aufgebaut und abends sollte es Live Musik geben. Wir nahmen uns vor, rechtzeitig oben zu sein. Als wir zurueck kamen zum Womo zurueck kamen, waren da gerade drei Strassenfeger, eine Frau und zwei Maenner zugange. Wir kamen ins Gespraech, und einer von ihnen sprach Englisch – zwar ein bisschen falsch, aber mit unverkennbar amerikanischem Akzent und echten Amerikanismen („honest to God…, usw.). Er hatte es im Internet gelernt, weil er sich selbst einiges an IT-Wissen angeeignet hatte. Er sah ein bisschen fertig aus, was vielleicht auch erklaerte, warum er trotz seiner offensichtlichen Talente diesen Job machte.
Wir fuhren das Auto in eine Wohnstrasse um die Ecke, weil ich mich irgendwie nicht wohl fuehlte mit den Leuten um uns herum auf dem Parkplatz. Zogen uns um und gingen wieder rauf in die Stadt, fanden einen Tisch mit Blick auf die Buehne, lauschten dem Konzert – Rock und Pop mit klassischen Instrumenten gespielt – und aßen sehr lecker zu Abend. Das war wirklich ein „special treat“. Als wir schon im Bett lagen, stellten wir fest, dass es sehr laut war, und Josef beschloss, nochmals umzuziehen. Ich lotste ihn auf einen grossen Parkplatz, den wir bei unserer Suche am Mittag schon gesehen hatten. Stellten dann fest, dass es der Bahnhofsparkplatz war, blieben jedoch. Die Sonne schien natuerlich ab 7:00 auf’s Dach, und um uns herum erwachte das Leben. Ich wollte unbedingt einen Schattenplatz, damit wir irgendwann im Laufe des Tages wuerden ausruhen koennen. Also sind wir wieder in unsere laute Wohnstrasse, weil es dort wenigsten ein paar Baeume gab. Danach sind wir langsam in die Stadt hinauf gezuckelt, an einer Ecke fiel uns nun schon zum dritten Mal ein grosses Areal auf, das aussah wie ein Heim fuer behinderte Kinder. Ich argwoehnte, dass es sicherlich unter Ceaucescu mal so etwas war wie wir in Bilbor weiter im Norden gesehen hatte – eines jener Kinderheimhoellen, fuer die nach 1989 auggedeckt wurden. Um die Ecke von dort fanden wir eine deutsche Insel: Das Teutsch-Haus mit Buechercafe und Siebenbuergenmuseum. Im Buchladen fragte ich eine junge Frau nach dem Heim, und sie meinte, sie wisse es nicht genau, aber so eine Ceaucescu-Heim sei es eher nie gewesen, da diese meistens versteckt auf dem Land waren. Wir kauften ein Buch von Herta Mueller, der Banat-Schwaebischen Rumaenin und Literaturnobelpreistraegerin, die viel Vergangenheitsbewaeltigung betreibt. Josef kaufte alle drei (!) Zeitungen der Siebenbuergersachsen, die hier in Rumaenien erscheinen, und wir sassen lange im kuehlen Schatten des Kirchenburgturms der St. Johannes-Kirche im Buechercafe und lasen. Das meinte ich damit, dass wir allmaehlich den richtigen Rhythmus fanden. Anschliessend erschlossen wir uns die Altstadt mit Reisefuehrer unter’m Arm, blieben wieder vor einer deutschen Buchhandlung haengen, und waehrend wir da in der Antiquariatskiste stoeberten, kamen wir uns Gespraech mit Christa, einer ca 75-jaehrigen Siebenbuergersaechsin, ehemalige Reiseleiterin, sehr belesen und sehr eloquent. Sie monologisierte, fuehrte dann kurz einen kurzen Austausch mit einer Dame, von der wir nicht wussten, ob sie vielleicht doch ein Herr war, und die, wie Christa uns erklaerte, die Chefredakteurin einer der deutschsprachigen Zeitungen war, monologisierte dann weiter, musste dann jedoch leider (oder Gott sei Dank) weiter, da sie Gaeste zu treffen und herum zu fuehren hatte. Sie habe einen Bruder in Stuttgart. Josef gab ihr seine Karte und bat sie, sich zu melden, sollte sie ihn einst besuchen kommen. Spannende Begegnung!
Wir saßen anschliessend wieder stundenlang in einem Cafe im Schatten, aßen zu Mittag einer der leckeren Ciorbas (Suppe – uebrigens dasselbe Wort auf Arabisch – Schoraba), tranken viel Wasser und Kaffee und breiteten unsere Lektuere aus. Wie gesagt, wir haben endlich den richtigen Rhythmus gefunden. Anschliessend noch einmal ins Womo, dass Gott sei Dank nicht zu sehr aufgeheizt war unter den Baeumen, ein bisschen ausgeruht, dann unsere vielen guten Sachen vom Markt zu einem kleinen Abendessen gezaubert und uns wieder auf den Weg zum Grossen Platz gemacht. Das Synfonieorchester Sibiu spielte Beethoven. Heute setzten wir uns innerhalb der abgezaeunten Absperrung vor der Buehne auf die im Corona-Abstand bereitgestellten Stuehle, nachdem man unsere Koerpertemperatur gemessen hatte und wir unsere Masken im Gesicht. War eine sehr schoen Art, ein klassisches Konzert zu geniessen, fuer mich viel schoener als in einem steifen Konzertsaal. Es liefen Kinder umher, Menschen kamen, lauschten eine Weile und gingen wieder, um uns herum die schoen barocke Kulisse im Abendlicht. Alles toll! Und die Klaviersolitstin war richtig klasse!
Leider fing es beim allerletzen Musikstueck an, zu nieseln, und die Zuschauer zerstreuten sich. Wie schade – auch fuer das Orchester! Aber auch wir gingen und suchten recht lange vergeblich nach einem Platz unter einem Regenschutz in einem der vielen, vielen Lokale. Zwischendurch verloren wir uns: Josef ging auf die Toilette in einem der Lokale und kam nicht wieder heraus. Nach fast einer viertel Stunde waehnte ich ihn sonstwo und ging ebenfalls zur Toilette, die sich im Keller befand, bat einen jungen Mann, in der Herrentoilette nach Josef zu rufen. Aber da war er nicht. Also ging ich wieder hinauf, stellte dann fest, dass das Lokal einen zweiten Ausgang mit Terrasse auf der anderen Seite zum anderen Platz hin hat, und siehe da: da stand mein Josef und war aehnlich besorgt wie ich, konnte mich auch nicht erreichen, weil mein Handy auf seinem Ruecken im Rucksack war.
Die Nacht war unruhig: viel Verkehr und Regen, der laut auf’s Dach trommelte. Es nieselte den ganzen Vormittag.