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(Teil 3) Süd-Ost Europa – Sommer 2020
September 17 2020

(Teil 3) Süd-Ost Europa – Sommer 2020

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17.9.2020

Plovdiv, Rhodopen – Zornitsa

Ehrlich gesagt, waren wir des Besichtigens ein wenig muede mittlerweile. Aber Plovdiv, Europaeische Kulturhauptstadt 2019, wollten wir dann doch nicht auslassen. Wir hatten ja in Rumaenien Sibiu (Hermannstadt)  als ehemalige Kulturhauptstadt von 2007 erlebt und waren dort recht begeistert, hatten den klassischen Konzerten auf dem grossen Platz gelauscht, etc. Nun also Plovdiv. Wir fanden einen bewachten Parkplatz am Fluss Maritsa und machten uns auf zu einer Erkundungstour per Fahrrad, was ja bisher immer recht sinnvoll war, um sich ein wenig zu orientieren, sich jdeoch in Plovdiv als Tortur herausstellte: Entweder fuhr man auf den geteerten Hauptstrassen und wurde fast umgenietet von den rasenden Autos, die sich erheblich an uns stoerten. Oder man ruckelte und rumpelte ueber mal feineres, mal groeberes Kopfsteinplaster, dass man jeden Wirbel im Ruecken spuerte. Ausweichen auf die Buergersteige war auch eher schwierig, weil die Fussgaenger sich diese nicht gern mit uns teilen wollten. Die Altstadt war mit alten roemischen Riesensteinen geplastert, die Strassen staendig von Treppen unterbrochen, und es ging steil rauf und runter. Mit anderen Worten, eine fahrradunfreundlichere Stadt gibt es wohl kaum, ausser vielleicht Dubai mit seinen endlosen mehrspurigen Stadtautobahnen.

Wir fanden den zentralen Platz am Roemischen Stadion zwischen Altstadt und Kapana, einem von engen Gassen und vielen, vielen Kneipen und Cafes beherrschten Viertel.  Hier am Stadionsplatz war eine spannende Mischung der Kulturen: zum einen, einige Ebenen unter dem Platz, offenliegend und ueber Treppen erreichbar, das oberste Ende des Roemischen ehemals mehrere hundert Meter langen Stadions; daneben die Dzhumaya-Moschee mit schoenem Minarett, innen reich mit Kalligraphie verziert und einem aus neun Kuppeln bestehenden Dach; und darum herum an den Ecken des Platzes hohe Stadthaeuser aus der Zeit der Wiedergeburt, eine Mischung aus Jugendstil und diesem und jenem. Direkt im Moscheegebaeude untergebraucht ist ein tuerkisches Kaffee, wo wir zwischen tuerkisch und bulgarisch sprechenden Plowdiwern Mokka tranken und Baklawa aßen. Von dort aus schoben wir die Raeder hinauf in die Altstadt ueber das roemische Kopfsteinplaster bis zum roemischen Amphitheater, das noch gut erhalten ist und sehr viel fuer Auffuehrungen aller Art genuetzt wird. Es wurde gerade fuer ein Konzert aufgebaut – offenbar ein sehr bekannter bulgarischer Saenger mit Band. Wir nahmen uns vor, am Abend, wenn die Hitze vorbei waere, nochmals zu kommen, brauchten jetzt jedoch dringend eine Pause und schoben / radelten zum Womo zurueck. Ruhten auf dem Parkplatz aus, machten ein Nickerchen, zogen uns salonfaehig an, um nicht allzu „underdressed“ zu sein  – die Leute hier, insbesondere die Frauen, sind unlgaublich chic! – und machten uns nochmals auf den Weg – diesmal zu Fuss und recht zielstrebig hinauf Richtung Amphitheater. Als wir bei der Moschee vorbei kamen, war es gerade Sonnenunergang, und wir warteten auf den Gebetsruf, denn die Moschee wird noch richtig genuetzt. Er erschallte dann auch ganz, ganz leise. Ich fragte zwei tuerkischsprachige Maenner im Moscheecafe, warum es gar so leise sei, und sie erklaerten, das bulgarische Gesetz gestatte es nicht lauter. Wenn wir daruber nachdachten, fiel uns auf, dass wir hier auch noch kein einziges Mal Kirchenglocken gehoert hatten. Die Kirchen sind zumeist ohnehin nicht genuetzt oder ordentlich in Stand gehalten. Dies passte also dazu. Es ist eine atheistische Gesellschaft, der die Religion zwischen 1950 und 1990 erfolgreich ausgetrieben wurde.

Kurz vor dem Amphitheater hatte jemand auf einem kleinen freien Platz einen langen Grill und Bierbaenke aufgestellt. Wir aßen dort und gingen dann weiter hinauf zum oberen Rand des Amphitheaters, wo sich eine nette Open-Air-Bar befand. Die Tisch waren alle belegt, weil man hier sehr nett sass und von hier aus dem Konzert weit unten auf der Buehne lauschen konnte, ohne Eintritt zu bezahlen. Wir tranken unser Bierchen um Stehen und lauschten der Darbietung unten. Es war gute Funk-Musik mit Band und Hintergrundchor. Haben uns mit der adretten Wirtin unterhalten, die uns berichtete, wer hier alles auftrat, uns eine bulgarische Folkloreveranstaltung fuer den naechsten Tag empfahl und fuer den kommenden Freitag eine deutsche Metal-Band namens UDO, die hier in Bulgarien viele Fans habe. Noch nie gehoert. Aber wir sind ja auch nicht der Maßstab, wir Kultur- und Subkulturbanausen.  Wir fragten sie, ob sie Corona spuerten, was sie heftig bestaetigte. Und ob der Status der Europaeischen Kulturhauptstadt was veraendert habe in der Anzahl der Touristen, was sie jedoch verneinte – zumindest nicht nachhaltig.

Hatten irgendwann genug und sind durch die dunkle Altstadt, in der offenbar kaum noch Menschen leben, die mehr ein grosses Freilichtmuseum ist, zum Womo zurueck gestolpert.

Morgens kamen wir mit unsererm Parkplatzwaechter ins Gespraech. Er hatte mal in Heidelberg VWL studiert, jedoch nicht abgeschlossen, weil er mehr gearbeitet als studiert habe. Hier in Bulgarien hat er dann den Abschluss gemacht. Warum er dann hier auf dem Parkplat stehe, ob er nichts anderes finden koenne, fragte ich. Er und seine Schwester haetten das Grundstueck von der Grossmutter geerbt, und nun betrieben sie hier gemeinsam diesen Parkplatz. Das muesste doch Millionen wert sein an diesem Platz, sage ich. Sei es, bestaetigt er. Es wuerde ihnen immer wieder sehr viel Geld dafuer geboten, aber sie wollten es selbst mit einem mehrstoeckigen Wohn- und Geschaeftshaus bebauen, wenn sie ueber die Parkgebuehren genug eingenommen haetten. Das war ein guter Plan, fand ich.  In diesem Moment fuhr irgendein teurer 4-WD durch die Schranke, und ich sagte ihm, wir hatten gelesen, das Durchschnittseinkommen betruege EUR 400,00. Wie sich dann Menschen solchen Autos leisten koennten. Er meinte, ach das Auto sei noch gar nichts. Wie die ihr Geld verdienen, wisse er auch nicht, aber das mit den 400 EUR stimme nicht. Ein Ehepaar habe gemeinsam, wenn beide arbeiteten, etwa 1300 EUR brutto zur Verfuegung. Er wusste nicht, wie hoch die Abzuege sind, aber es gaebe eine Krankenversicherung wie in Deutschland. Schlecht ginge es vor Allem dem Rentnern. Sie haetten tatsaechlich nur um die 300 EUR zur Verfuegung. Dann kam er auf den Sozialbetrug zu sprechen, von dem insbesondere bulgarische Zigane in Deutschland sehr gut profitierten. Darueber haben wir auch schon oft in Deutschland gelesen. Das war wohl nicht von der Hand zu weisen. Aber Sozialstaaten werden eben von Einzelnen ausgenuetzt – nicht nur Deutschland. Dasselbe gilt fuer Skandinavien, fuer Kanada, etc…   Eine Frage, die wir uns schon mehrfach gestellt hatten, war nach den Wohnverhaeltnissen der Menschen hier. Wir sahen ueberall um die Staedte herum den Guertel  aus oftmals sehr heruntergekommenen Plattenbauten – der Eindruck wurde oft gemildert durch grosse Abstaende zwischen den einzelnen Wohnblocks und alten, sehr hohen Baumbestand und Gruenanlagen. Dennoch wunderten wir uns, dass sie nicht renoviert wurden und dachten, dass sie wahrscheinlich Staatseigentum seien und dieser eben pleite. Unser Parkplatzmann erklaerte, die meisten Bulgaren haetten Wohneigentum, oft sogar zwei Wohnungen. Innen wuerden sie renovieren, erneuern und sanieren, fuer das Aeussere fuehle sich jedoch wohl niemand zustaendig.  Aha.

Wir fuhren mit den Raedern zu einem nahegelegenen Markt, der zwar nicht ganz so gemuetlich war wie die in Rumaenien ueberall. Aber wir fanden, was wir suchten und kauften ein (zum 2. Mal hier ganz frische kleine Okraschoten!), brachten alles in den Kuehlschrank und fuhren dann mit den Raedern wieder Richtung Stadt – diesmal die glatt gepflasterte Fussgaengerzone entlang. Auf halbem Wege zum Platz des Roemischen Stadions stand ein junger Mann mit Geige und spielte zur Abwechslung sehr schoen. Ich sage zur Abwechslung, weil wir hier in Bulgarien immer wieder auf Leute trafen, die zusammenhang- und melodielos auf irgendeinem Instrument herumfiedelten, das sie ganz offenbar nicht spielen konnten, und dafuer den Hut hinhielten. Josef gab immer allen ein wenig: Pennern, Gestrauchelten, Bettlern, und eben auch diesen Pseudomusikern.  Aber unser Violinist hier schien zu wissen, was er tut. Er unterbrach sein Spiel und meinte, wir sollten besser absteigen, die zwei Polizisten dort (er zeigte hinter uns) haetten uns schon im Visier, und sie seien recht streng. Wie gesagt, fahrradunfreundlich ohne Ende! Wir plauderten noch ein bisschen mit ihm. Er hatte am Konservatorium studiert, wolle aber nicht mehr fuer einen Hungerlohn im Orchester spielen. Stattdessen sei er selbstaendig, spiele mal auf der Strasse wie heute (Er sei sehr bekannt in der Stadt, und man schaetze seine Musik. Aha! Drum spielt er auf der Strasse, dachte ich.), mal auf privaten Feiern aller Art. Ferner habe er ein kleines Gaestehaus, „Rest and Play“, im 2. Stock eines Gebaeudes die Strasse runter (Er zeigte es uns von fern), und einen „Baloon Service“. Ich vermutete, auch fuer Parties und dgl.  Eine 1-Mann-GmbH also. Zum Abschied spielte er uns die Filmmusik von Schindlers Liste, was uns sehr freute. Ich fuhr mit dem Fahrrad als Tretroller weiter die Strasse entlang vor Josef her und wurde prompt von einem Ordnungshueter freundlich aufgefordert, es zu lassen. Na gut. Wir fuhren mit offizieller Genehmigung durch den Zsar Simeon I. Park. Auf diesen Koenig sind sie sehr, sehr stolz: alles moegliche ist nach ihm benannt weil er das erste bulgarische Koenigreich gegruendet hatte, das jedoch nur ein paar Jahre Bestand hatte. Simeon starb nach gerade einmal sechs Jahren in einer Schlacht, und Bulgarien wurde wieder von anderen erobert. Aber immerhin gab es sie damit schon mal – darauf konnte man ja aufbauen. Fuhren dann durch noch immer zentrumsnahe Strassenzuege um den Huegel der Jugend, einem der drei, um die die Stadt herum gebaut ist, kamen an der Maritsa heraus und fanden unseren Parkplatz. Ich wollte noch irgendwohin, wo es Wifi gab, um den zweiten Teil dieses Reiseberichts auf der Webseite hochzuladen, und der Parkplatzmann schickte uns zum Restaurant direkt gegenueber mit Terrasse am Fluss. Meine Frage, ob sie Wifi haetten, wurde bejaht, und nachdem wir uns gesetzt und die Speisekarte angeschaut hatten, liess uns die etwas unbeholfene Kellnerin von einem anderen Gast dolmetschen, dass leider Stromausfall sei. Aha. Also kein Wifi. Nun, wir aßen etwas, das auch deutlich anders war als beschrieben (Haetten wir nur die Dolmetschdienste der Dame von vorhin in Anspruch genommen!), gingen dann fuer den Kaffee noch in ein Cafe mit Wifi in Richtung Innenstadt. Uns waren hier in Plovdiv deutlich mehr Obdachlose aufgefallen als je woanders hier oder in Rumaenien. Einer bettelte uns im Cafe an, und Josef gab ihm ein paar kleine Kupfermuenzen. Er schaute in seinen Becher und grummelte unaufhoerlich im Weggehen.

Wir beschlossen, doch nicht noch eine Nacht zu bleiben. Hatten irgendwie genug von Stadt und Menschen. Wir wollten demnaechst ueber die Grenze nach Griechenland, waren mit Josefs Cousine Sylvia in Kontakt und wollten rechzeitig zur Olivenernte im Oktober bei ihr auf Kreta ankommen, um ihr und ihrem Mann Mike bei der Olivenernte zu helfen. Nun war es wegen diesem duseligen Corona so, dass man nach Griechenland ueber Land nur ueber einen einzigen Grenzuebergang, hier im Suedwesten Bulgariens einreisen durfte, aber nur mit maximal 72 Stunden altem Negativtestergebnis. Wir hatten uns an der Touristeninfo erkundigt, wo in Grenznaehe so ein Test gemacht wuerde und sie empfahlen uns das Ramus Lab in Blagoevgrad, etwa 70 km noerdlich der Grenze und ne Ecke weiter im Westen von Plovdiv aus. Es war nun Mittwoch.  Also beschlossen wir, den Rest der Woche in der Bergkette suedlich von uns, den Rhodopen, zu verbringen, um am Montag vor dem Labor zu stehen und unsere Spucke abzugeben. Fuhren nun also aus Plovdiv raus Richtung Sueden, bogen am Spaetnachmittag von der Hauptstrasse ab und fuhren sozusagen ins Blaue (kein Internet, also auch keine detaillierte Karte) ein Straesslein den Berg hinauf. Es wurde enger und steiler, und ich sah ein wenig schwarz. Was, wenn es dort oben kein ebenes Plaetzchen gaebe, auf dem unsere Rulota nicht bloed im Weg stehen wuerde? Wir hatten Glueck. Im Doerfchen Zornitsa gab es ein ebenes Plaetzchen vor einer Scheune, wo sogar Platz war zum Wenden! Dort bauten wir uns auf und fragten einen Mann, der sich gerade an der Dorfquelle Wasser holte, ob wir dort stehen bleiben koennten, was er freundlich bestaetigte. Wir fragten ihn, wovon man hier so lebte. Er arbeite bei Atomic unten im Tal, der Skimarke. Ach, sie an! Wir sahen die Fabrik am uebernaechsten Tag. Sie fertigen fuer Atomic und Solomon.  Wir machten noch einen kleinen Spaziergang einen Feldweg hinauf. Dort sass ein huebsches, altes Muetterchen auf einem Baenkchen, genoss die grandiose Aussicht auf die bewaldeten Berge und Taeler unterhalb von ihr. Ganz herrlich. Wir radebrechten zu dritt ein wenig mit Haenden und Fuessen, bis ein Auto vorfuhr mit ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn. Er konnte ein bisschen Englisch, bestand darauf, dass wir mit hinein kommen, zeigt uns voller Stolz seine Baustelle, ein mehrstoeckiges Haus, dessen eines Stockwerk schon fast fertig war und das einst zur Pension werden sollte. Sein Sohn, der schon seit ein paar Jahren in London lebte, kam dazu, und seine Frau brachte Glaeser und selbstgemachten Himbeersaft. Das Haus war in Teilen noch ein Rohbau mit Fenstern, und der Vater ging nach ein paar Schlucken Bier wieder an die Arbeit, weil der Putz angeruehrt hatte. Wir fragten den Sohn, wie lange sie schon bauten an dem Haus und dachten dann, wie haetten uns verhoert: Seit 26 Jahren. Aeh, wie? Ja, seit 1994. Die Mutter arbeitete als Stadtkaemmerin unten in der Stadt. Er bei einer Security-Firma in UK. Er hatte vorher auch in der Skifabrik unten und auch bei einem der vielen Holzbetriebe hier gearbeitet. Das Gehalt sei mit ca. 300 EUR jedoch so wenig gewesen, dass er beschlossen hatte, fuer ein paar Jahre nach UK zu gehen, um dort was anzusparen. Also hat die Statistik, die wir gelesen hatten, dass das durchschnittliche Gehalt ca. 300 EUR betraegt, doch recht gehabt, unser Parkplatzmann in Plovdiv unrecht. Wahrscheinlich gibt es ein riesiges Stadt-Land-Gefaelle. Unser junger Mann wollte nach dem Sommer auch wieder zurueck nach England und dann solange dort bleiben, bis er die Staatsbuergerschaft beantragen koennte, was deutlich schneller geht als in Deutschland, dann jedoch wieder hierher zurueckkehren und mit den Eltern die Pension betreiben. Bis kommenden Sommer sollte alles fertig sein. Na, dann viel Glueck! Uebrigens haben wir hier und auch in Rumaenien oft gesehen, dass Haeuser in Teilen schon bewohnt waren, waehrend andere Teile noch Rohbau waren. Man baute eben so, wie Geld reinkam fuer Material und Arbeiter. Da ging das nicht in einem oder zwei Jahren.

Wir wollten den freundlichen Leuten nicht laenger laestig fallen. Es war ja auch Abendessenszeit, die Frau wahrscheinlich eben erst von der Arbeit gekommen. Wir verabschiedeten uns, kochten, guckten irgendeinen bloedsinnigen Krimi und schliefen gut. Wurden von einem der hier und in Rumaenien typischen grossen, zottigen und gutmuetigen Huetehunden beschuetzt. Er lag ganz nah bei uns an einer viel zu kurzen Kette, der Arme! Sehr freundlich sind die Leute hier oft nicht zu ihren „Haustieren“. Am Morgen kam der Eigentuemer der Scheune. Wir holten uns auch von ihm die Erlaubnis, dort zu stehen. Er warf dem Hund Trockenbrot hin, fuellt seine Schuessel mit Wasser und wuerdigte das unterwuerfig wedelnde, sehr aengstlich wirkende Tier keines Blickes, holte aus der Scheune einen Korb voll Heu, trug es auf die Rueckseite, wo offenbar im Stall Tiere standen, die nie an die frische Luft kamen. Kein besonders guter Bauer.

Wir machten uns morgens auf eine Wanderung, liefen die Strasse das Dorf hinauf – hier standen noch ein paar der alten, schoenen Steinhaeuser -, bis zu ihrem Ende, wo sie in einen sehr angenehm zu laufenden, sandigen Feldweg mit schoenem Weitblick ueberging. Guckten die ganze Zeit auf das weite Tal links unter uns und die dicht bewaldeten Berge gegenueber. Ein Hund aus dem Dorf begleitete uns treu, sprang ab und zu vorweg, aber ging meist brav hinter uns. Im Weichen Sand sahen wir allerhand Spuren: Eichhoernchen, Fuchs, Esel, Pferd, Schafe, Rehe, und dann zu unserer Aufregung und Freude wieder Baerenspuren! Ploetzlich zoegerte unser Hund, blieb stehen, und dann …. nein, kein Baer …  hoerten wir Hundeklaeffen. Es waren Huetehunde mit Schafherde und Schaeferin. Die junge Schaeferin mit sonnenblonden Haaren, blauen, freundlichen Augen und wetterbrauner Haut fragte uns, ob der Hund zu uns gehoere und sagte dann, es sei gut, dass er nicht weitergelaufen sei. Ihre haetten ihn zerfleischt.

Wir folgten dem Weg weiter der Nase nach, liefen etwa drei Stunden dem Hinweisschild Izgrev nach, das letzte Drittel durch dichten, jedoch elendig trockenen Wald, und kamen dann an eine recht unromantisch aussehende Huette, die mehr an ein Ferienheim aus der Kommunistenzeit erinnerte, was sie sicherlich auch war.  Wieder begruessten uns lautstark klaeffend vier Hunde, die aber gleichzeitig mit dem Schwanz wedelten und sich nach ein paar freundlichen Worten sofort haetten adoptieren lassen, sowie laut wiehernd eine Stute auf der Wiese. Auf einem Tisch stand eine Kaffeetasse, lag eine Brille und diverse Schnitzutensilien. Aber es war kein Mensch zu sehen. Wir umrundeten das Gebaeude, dann kam ein Mann zur Hintertuer heraus, begruesste uns zurueckhaltend und machte auch gleich wieder die Tuer zu, als er merkte, dass wir weder uebernachten, noch essen wuerden. Letzteres haetten wir gern, aber wir hatten gar nicht damit gerechnet, dass wir hier oben eine bewirtschaftete Huette vorfinden koennten und hatten kein Geld mit – nur Kekse und Wasser.  Setzten uns auf die grossen Lichtung neben der Huette und machten ein Paeuschen. Die Stute wieherte immer wieder. Sie war, wie immer hier, an einem viel zu kurzen Strick angeleint. Ich ging zu ihr und war schockiert: Die Vorderlaeufe waren ganz eng zusammengebunden, so dass sie nur huepfen konnte. Ich musste so sehr den Drang widerstehen, sie einfach loszumachen, wie schon so oft bei diesem Anblick! Aber wen klage ich an? Wir mit unserer industriellen Massentierhaltung sind viiiiel schlimmer!

Leider haben wir vom Baeren ausser den Tatzenabdruecken nichts gesehen. Oder Gott sei Dank. Wir hatten vorsichthalber besprochen, unsere Pullover ueber die Wanderstoecke zu spannen und laut schreiend ueber unsere Koepfe zu halten, falls er / sie auftauchen sollte.

Nach sechs Stunden strammer Wanderung war es dann genug. Machten Teatime neben dem Womo, Josef wusch unsere Socken an der Dorfquelle aus und kochte die Okraschoten und Tomaten zu einem dicken Gemuese zusammen und dazu Reis. Sehr lecker!

Heute frueh war es zum ersten Mal seit Wochen bewoelkt, was eine Wohltat war. Aber es regnete den ganzen Tag keinen Tropfen! Der Bauer kam wieder, fuetterte nicht mal den Hund, gab nur seinen Tieren im Stall das Heu und verschwand wieder. Wir gaben dem Hund ein bisschen Wurst und sprachen ein paar freundliche Worte, packten zusammen, guckten nochmals nach den freundlichen Nachbarn, aber niemand oeffnete uns. Auch recht. Wir machten uns auf nach Smoljan, wo wir nun eigentlich einen schnuckeligen Fremdenverkehrsort erwartet hatten, ist doch das Gebiet hier Ski- und Wandergebiet. Smoljan jedoch hatte den Charme einer mittelgrossen sozialistischen Stadt. Josef steht auf diese Tristesse, laeuft gern in ihr herum und atmet sie ein. Das taten wir dann auch und verbanden es mit der Suche nach der hiesigen Niederlassung des Ramos-Labors, denn ich hatte telefonisch nie jemanden erreicht – nicht in Sofia und  nicht in Blaevgorad , um sicherzustellen, dass mit dem Test alles klappen wuerde am Montag. Nach langer, zaeher Suche fanden wir das Labor: eine duestere, kleine Kammer am Ende eines langen Ganges, in dem um die 15 Menschen vor anderen Tueren auf irgend etwas warteten. In diesem sogenannten Labor standen  Frauen herum, zwei davon vermummt, wie im AKW, eine davon nicht einmal mit Maske. Sie verstanden uns leider gar nicht, so dass wir unverrichteter Dinge wieder gingen. In einem eher ungemuetlichen Cafe sitzend – wir merkten leider erst beim Rausfahren aus der Stadt, dass wir nicht im Zentrum gewesen waren – versuchte ich nochmals, das Labor telefonisch zu erreichen und hatte Glueck. Meine Gespraechspartnerin konnte sogar richtig gut Englisch, war sehr freundlich und hat bestaetigt, dass alles so geht, wie wir es fuer Griechenland brauchen. Na, Gott sei Dank!  Wir verliessen diesen fuer mich unwirtlichen, fuer Josef schoenen Ort – schoen, weil eben ein normaler Wohnort. Als wir eben auf die Hauptstrasse bogen, hoerten wir neben uns laut quietschende Bremsen. Der Fahrerin war das linke Vorderrad abgebrochen und hatte sich, am seidenen Faden haengend, quer gestellt! Man stelle sich das vor!

Von Smoljan aus fuhren wir ein Stueckchen tiefer in die Berge hinein, tueftelten dann ein wenig mit Karte und maps.me, wo wir den Abend und die Nacht verbringen sollten, und fanden schliesslich eine Schlucht mit einer Hoehle namens Yagodina mit dazugehoerigem Eagle’s Eye Aussichtspunkt hoch ueber der Schlucht. Das peilten wir an. Die Hauptstrasse, auf der wir uns befanden, die suedlichste Ost-West-Verbindung Bulgariens, parallel zur griechischen Grenze und ca 2 km Lufthlinie von ihr entfernt verlaufend, war eine einzige Wanderbaustelle. Ueber die ganze Laenge, die wir fuhren, waren immer wieder Baustellenfahrzeuge unterwegs, wurde aktiv gearbeitet. Aber hier wurde nichts gesperrt. Es standen an jeder Teilbaustelle Maenner mit Gruen-rot-Kelle, die sich ueber Handy verstaendigten und den recht dichten Verkehr durchlotsten. Diese Art von Flexibilitaet fehlt uns in Deutschland. Und zwar sehr! Das muessen wir unbedingt lernen, wenn wir nicht zugrunde gehen wollen an unserer Regelwut.

Wir dachten uns, bei all den Reviews auf Trip Advisor muesste die Zufahrt durch die Schlucht zur Hoehle  eine vernuenftige Strasse sein. War es auch. Nur viiiiel zu schmal mit viiiiel zu steilen Abhaengen hinunter in den Fluss und mit viiiiel zu viiiiel Gegenverkehr. Die paar KM kosteten mich Nerven. Dabei sass ich nur daneben, und Josef steuerte souveraen an den knapp ueber dem Dach haengenden Felsueberhaengen und dem Gegenverkehr vorbei, sagte nur mal zwischendurch „Sowas mache ich nie wieder!“ Von wegen. Schliesslich ging eine Strasse hinauf in das auf 1600m gelegene, geraeumigere Hochtal, in dem das Dorf Yagodina lag. Uebrigens liess Josef, wann immer es ging, die sich regelmaessig hinter uns bildende Autoschlange vorbei, und uns fiel auf, dass in Rumaenien immer sehr freundlich gedankt wurde, was hier in Bulgarien eher die Ausnahme war.

Wir standen in Yagodina zunaechst mitten im Dorf auf dem waagerechtesten Platz, den wir bei all dem Auf und Ab finden konnten. Die Dorf-Alkoholiker sassen aufgereiht vor einem Gebaeude gegenueber der Dorfmoschee (Ja, richtig! Schon wieder eine Moschee.), einer von ihnen sprang herbei und dirigierte Josef aus irgendeinem Grunde auf die anderen Strassenseite. Als die anderen ihm bedeuteten, er solle uns doch machen lassen, was wir wollten, wurde er stinkig mit ihnen, und kam mir, die ich ausgestiegen war, um Josef einzuwinken, unangenehm naeher, mich dabei in besoffenem Bulgarisch zutextend, so dass ich mich ins Womo fluechten musste. Als Josef noch einmal bei der Biertrinkerriege nachfragte, ob wir da stehenbleiben koennten, riefen sie Michael herbei, einen sehr netten 12-jaehrigen, der erstaunlich gut Englisch konnte. Er erzaehlte uns, sein Vater sei einer der Leute, die die Touristen fuer 30  EUR, in offenen Jeeps auf der Ladeflaeche stehend, off-road zum Eagle’s Eye Aussichtspunkt kutschiere. Einige von ihnen hatten uns ueberholt auf der nervenaufreibenden Serpentinenstrecke. Seine Mutter sei Lehrerin an seiner Schule, die gerade 15 (!) Schueler habe. Wie 15? Wo sind all die Kinder? Hier waren doch so viele Haeuser. Er sagte, viele stuenden leer, weil die Leute weg muessten, weil es keine Jobs gaebe. Wie traurig!

Wir machten noch einen schoenen Spaziergang zur Kante des Dorfes, von der aus man in die Schlucht blicken konnte,  fanden einen etwas ruhigeren waagerechten Platz in einer Nebenstrasse, und Josef kochte, waehrend ich schrieb.

 

Montag, 21.9.2020

Yagodina – Rhodopen

Wir schliefen gut und waren morgens frisch und voller Unternehmungslust, liefen ein wenig durch das erwachende Dorf, wo kleine, hutzelige Frauen in Hosen, bunten Roecken und mit Kopftuch, einer Mischung aus bulgarischer Folkore und tuerkischem Islam, schon in ihren Gaerten fleissig waren. Es war Erntezeit, und ueberall machten sie Kartoffeln raus und pflueckten die am Busch, an den Bohnenstangen getrockneten weissen Bohnen; Kuerbisse lagen aufgereiht vor den Haeusern und warteten darauf eingemacht zu werden; nur den Aepfeln und Birnen gab man noch Zeit weiter zu reifen. Die Frauen benuetzten die gleiche Art von Spaten, wie man sie ueberall auf der Welt, ausser offenbar in Mitteleuropa sieht: mit der im 90⁰-Winkel abgeknickten Schaufelflaeche, mit dem sie hacken, Unkraut herausmachen, umgraben, etc.  – ein Werkzeug fuer alles.

Wir erklommen ueber einen Zickzackwanderpfad durch den nach oben spaerlich werdenden Wald den Berg oberhalb des Dorfes St. Ilia, kamen zum Eagle’s Eye, einem Steg, der ueber die hunderte von Metern darunter liegende Schlucht ragt und mir weiche Knie verursachte, als ich die ersten Schritte Richtung Abgrund tat. Die Aussicht war wirklich sehr, sehr schoen, schraeg hinter uns ins Hochtal auf das Dorf, nach links die Schlucht entlang hoeher ins Gebirge, nach rechts die Schlucht mit ihren schroffen Waenden Richtung Talsausgang, gegenueber die bewaldeten Haenge der anderen Schluchtseite mit einem anderen Dorf in einem weiteren Hochtal, senkrecht unter uns das enge Serpentinenstraesschen, das wir gestern gefahren sind.

Es waren schon ein paar Jeeps mit den ersten Touristen oben. Sie zerfurchen mit ihren Fahrzeugen die Landschaft, verpesten die Luft und machen Krach. Aber es ist fuer das Dorf die einzige Einnahmequelle und gedeiht vollkommen unreglementiert. Wir liefen einen anderern Zickzackpfad hinunter, der der Abbruchkante zur Schlucht folgte und somit immer wieder spannende Ausblicke lieferte. Nicht alle Touristen liessen sich von den Jeeps kutsschieren. Ein paar wanderten, wie wir, hinauf und hinunter. Wieder am Womo machten wir eine kleine Pause, waren aber noch nicht wirklich abgearbeitet, schwangen uns auf die Raeder, fuhren hinunter in die Schlucht und zur Yagodina-Hoehle. Diese ist ueber 10 km lang, wovon 1,5 km elektrifiziert sind. Vor und hinter dem Hoehlenzugang parkten viele, viele Fahrzeuge und war die uebliche Jahrmarktstimmung, wie bei jeder Attraktion hier, mit Verkaufsbuden fuer Lokale Erzeugnisse, Fressbuden und einer Schiessbude, dessen Betreiber matialisch wie GSG-9-Kaempfer im Nahkampf aussahen, und wo die Kunden ueber den Gebirgsbach hinweg mit Farbkugeln auf Zielscheiben oder mit Platzpatronen auf Pappkameraden schiessen konnten.  Der Stand erfreute sich grosser Beliebtheit. Vor dem Hoehleneingang stand eine Traube Menschen, und wir beschlossen, sie auszulassen (Done it, seen it, been there…. , um es mit den Worten meiner Freundin Eli auszudruecken). Ich liebe Hoehlen, aber am meisten die unentdeckten.  Stattdessen fuhren wir mit den Raedern weiter die Schlucht hinauf, immer recht steil bergauf. Wir wussten, dass nach 10 km noch ein Dorf kommt und die Strasse dann kurz vor der griechischen Grenze endet.  Noch bei den Verkaufsstaenden hatten wir einen Mann gefragt, wie weit wir so fahren koennten, und er sagte, nach dem Dorf sei Schluss. Es gaebe da keine gruene Grenze. Vor dem Fall des eisernen Vorhangs sei das hier ja eine richtig befestigte Genze mit Stacheldraht, Wachtuermen und Minenfeldern gewesen. Und auch danach habe es nie wirklich ein Interesse, eine gruene Grenze zu schaffen – insbesondere auf Seiten der westeuropaeischen Staaten. Hmm… Kann schon sein. Man kann so natuerlich die Bewegung der Menschen besser kontrollieren.

Wir kamen an einen dunklen Tunnel in der Felswand links, sprangen natuerlich von den Raedern, liefen hinein und wurden nach 10m zurueckgepfiffen von einem Aufseher, der offenbar draussen in seinem Auto gedoest hatte und den wir gar nicht registriert hatten. Die sei der Ausgang der Hoehle, erklaerte er uns. Ach so! Schade. Spannend waere es mal, die nicht beleucheten KM mit Taschenlampe abzulaufen. Es war uns natuerlich nicht vergoennt.

 Am Fluss waren mehrere kleine Wasserkraftwerke. An einem sprang uns ein scharfer Schaeferhund entgegen, der sich fast an seiner eigenen Kette strangulierte. Kann es sein, dass so ein Wachhund immer wieder vergisst, dass er an der Kette haengt? Furchtbares Dasein!

Wieder auf Hoehe der Hoehle, kauften wir einem Hutzel-Omchen getrockneten wilden Oregano und Spitzwegerich ab.

Wir waren mittlerweile so fit im Radfahren, dass wir den steilen Berg wieder hinauf nach Yagodina fast ohne Absteigen fahren konnten. Haetten wir beide nie gedacht und waren recht stolz auf uns. Fuer Josefs Bruder Klaus waere das natuerlich wie ein Abendspaziergang, aber der faehrt ja auch staendig und immer und ueber 10.000 km pro Jahr!

Nun hatten wir also genug, wollten nur noch einmal eine Runde durch das samstagabendliche Dorf drehen, evtl was zu essen suchen, stiessen nochmals auf den 12-jaehrigen Michael, der mit seinem Fanclub, vier huebschen Maedels, auf dem Schulgelaende abhing. Neben der Schule und gegenueber von unserem Schlafplatz hatten wir ein Gebaeude gesehen, dessen 2. Stockwerk offenbar nicht mehr genuetzt wurde, wohl aber die Stockwerke darunter. In einem Raum waren Betten aufgereiht, wie in einem Schlafsaal. Wir fragten ihn, was das sei. Ein Kindergarten oder eine Vorschule. Und wozu der Schlafsaal? Fuer den Mittagsschlaf. Und wieviele Kinder dorthin gingen? Drei oder vier,… Wir dachten wieder, wie haetten uns verhoert. Aber nein, so war es! Das Gebaeude und der schoene Garten boten Platz fuer mindestens 100 Kinder. Welch Trauerspiel! Und die Fabrik 100 m weiter? Was das sei. Eine ehemaligeTextilfabrik. Aber die sei schon seit 30 Jahren geschlossen. Kein Wunder stirbt das Dorf aus und behelfen die Menschen sich mit Jeepfahren! Wir fragten ihn, was er einst machen wollte, und ob er das Dorf verlassen wuerde. Er sagte, er wolle Informatik studieren, Programmierer werden und das dann von hier aus machen, damit er im Dorf wuerde leben koennen. Wir bedankten uns fuer seine freundlichen Infos, versuchten noch mit den Maedchen zu sprechen, aber sie genierten sich sehr, ihr bisschen Englisch auszugraben. Michael hatte uns erzaehlt, er habe sein Englisch vor Allem durch Videospiele gelernt. Die Maedchen spielten also eindeutig zu wenig am Computer herum!  Weiter oben im alten Teil des Dorfes sassen ein aeltere Leute vor den diversen, sehr einfachen Dorfkneipen und tranken ihr Bierchen oder ihren Kaffee. Angeblich ist der Grossteil der Bevoelkerung muslimisch, aber sie nehmen es nicht so genau. Die Moschee war offen und sichtlich noch in Gebrauch, jedoch nicht eben gepflegt. Wie schon mehrmals festgestellt, haben die Kommunisten den Bulgaren die Religion gruendlich ausgetrieben. Eine Kirche haben wir hier gar nicht gesehen, aber es gibt wohl einen Gebetsraum irgendwo. Die Moschee stand auf der Hauptkreuzung von Yagodina, wo wir am Vorabend zunaechst geparkt hatten. Auf der gegenueberliegenden Ecke war noch so eine Art Dorfkneipe. Dort stand  noch die letzte Abendsonne, und wir gesellten uns am einzigen Tisch zur jungen Wirtin Betty, dem etwa 35-jaehrigen Hristo, der sehr gut Englisch sprach, und einem weiteren Mann, der uns von Hristo als naechster Buergermeisteraspirant vorgestellt wurde. Statt Abendessen gab es nun Chips und Bier. Hristo hatte nach Arbeitsaufenthalten in Kanada und England der Grossstadt Sofia den Ruecken gekehrt, hatte hier im Dorf fuer ein paar tausend Lewa ein altes Haus gekauft und es zum Gaestehaus umgebaut. Betty hatte in Smoljan Soziologie studiert und anschliessend dieses kleine Cafe aufgemacht. Sie bat ueber Hristo, dass wir mit ihr sprechen sollten, damit sie ihr Englisch ueben koennte. Ich fragte sie dies und das, u.A., was sie als Soziologin hier im Dorf veraendern wuerde, wenn sie koennte. Aber es kam keine Antwort. Entweder hatte sie sich darueber noch nie Gedanken gemacht, oder sie war zu verschuechtert. Der „Buergermeister“, ein hagerer Mann mit Ohrringen, hatte schon ein paar Vorstellungen, was er aendern wuerde, glaubte jedoch nicht, dass er hier zu Streich kaeme. Es wuerde schon daran scheitern, dass man die Leute nicht dazu kriegen wuerde, an einem Strang zu ziehen. Als Beispiel nannte er die Jeepfahrer, die sich in Konkurrenz zueinander im Morgengrauen unten im Tal in die Schlange stellen, damit sie jeweils die ersten sind, die irgendwelche Touristen hier rauf karren. Man wuerde sie nie dazu kriegen, sich in einer Art Koopertive zu organisieren. Hristo erzaehlte, die Leute wuerden nach dem Abernten der Bohnen das Kraut verbrennen, so dass das Dorf tagelang in eine Rauchwolke gehuellt sei. Das wuerde er unterbinden wollen, einen gemeinsamen Komposthaufen irgendwo schaffen. Der jetzige Buergermeister hatte ihm mal gesagt, wenn er es schaffen wuerde, die Dorfbewohner zu egal welchem Thema an einen Tisch zu bekommen, wuerde man ihm ein Denkmal setzen. Partizipation und Kooperation, demokratisches Abstimmen ist wohl auch nicht wirklich in Fleisch und Blut. Ich fragte Betty aus Neugier, ob sie Muslimin sei. Ich glaube, die Frage befremdete sie. Nach kurzem Ueberlegen sagte sie, sie sei Buddhistin, spaeter, meinte sie, Religion sei nicht wichtig, bzw. etwas sehr persoenliches. Aber sie schien tatsaechlich nicht zu wissen, ob sie nach ihrer Herkunft Muslimin oder Christin war. Ist ja gut so, nur so fremd fuer uns. Eine aeltere Frau aus der Nachbarschaft gesellte sich noch zu uns, und als die Sprache auf Religion kam, erzaehlte sie, wie sich sich zur Zeit der Ottomanen mulsimische Namen hatten geben muessen und wie sie sie in den 197’er Jahren wieder slavisiert hatten. Ich vermutete, es war ein wenig spaeter, naemlich nach 1989, als der damalige Praesident ploetzlich die Muslime und tuerkischstaemmigen Bulgaren als Suendenbock fuer sein eigenes Scheitern entdeckt hatte und die Menschen gezwungen hatte, slawische Namen anzunehmen oder das Land zu verlassen.

Wir dankten fuer das lehrreiche Gespraech und empfahlen uns ins Womo.

 

Mittwoch, 22.9.2020

Rila-Kloster, Rila-Gebirge

Wir machten uns morgens beizeiten auf den Weg durch das enge Tal zurueck auf die Hauptstrasse, um dem Touristenverkehr zuvor zu kommen, was uns auch gut gelang, so dass wir uns nicht muehsam an unzaehligen Autos vorbei schieben mussten. Wir fuhren Richtung Westen. An der Strasse waren alle Naslang Verkaufstaende mit Kartoffeln, Honig, Marmeladen aller Art. Wir hielten an einem der Staende, aber eigentlich, weil dort eine Quelle war, um unseren Wassertank aufzufuellen. Wir kauften ihm dann auch einen Honig ab, und er schwatze uns noch ein Glas mit irgendeinem Tannenzapfenextrakt auf, den wir hier auch schon oft gesehen hatte. Man solle es in den Tee geben, es sei gut gegen Erkaeltungen. Josef hat es dann zweimal in seinen Tee getan und war davon ueberzeugt, dass sein von der Erkaeltung uebrig gebliebener Husten davon weg ging. Inshallah! 

Wir hielten kurz in Dospat, um ein paar Dinge einzukaufen und auf den dazugehoerigen Stausee zu gucken. Just neben unserem Parkplatz spaltete eine alte, hutzelige Frau in bodenlangem Mantel und Kopftuch, die mich spontan an meine palaestinensische Grossmutter, Sitti Khatmeh, erinnerte, mit einer Axt grosse Holzrugel. Es war kaum mit anzusehen. Wir schauten ihr kurz zu, ebenso wie zwei Maenner aus dem Dorf, die mit ihr sprachen. Wir signalisierten, dass wir ihr ein wenig helfen koennten. Sie freute sich, und wir liefen in den Garten. Josef spaltete etwa 1/2Meter  Holz, und Oma und ich schichteten es auf. Es war nur ein Bruchteil dessen, was da lag. Aber sie freute ich sehr, und die vorbeilaufenden Doerfler wunderten sich. Sie wollte uns noch bei sich zuhause etwas zu essen machen, was wir jedoch dankend ablehnten. Wir machten unsere Einkaeufe, und als wir wieder am Womo waren, schwang diese kleine alte Frau schon wieder ihre Axt, die fast so gross war wie sie. Die hatte Kraft – meine Herrn! Ich glaube, fuer sie war es ihre Beschaeftigung, um fit zu bleiben. Sicherlich gab es Maenner in der Familie, die fuer sie das Holz spalten wuerden.

Wir zuckelten eine auf unserer Karte gruen markierte Strecke, also landschaftlich schoene Strecke entlang, hielten fuer eine Teepause an einem der von hohen Tannen umstandenen, in Sonne glitzernden Stauseen und zuckelten weiter Richtung Westen zwischen Pirin-Gebirge zu unserer Linken und Rila-Gebirge zu unserer Rechten, in jedem Dorf eine Moschee, jedoch kein Kichturm. Die Strassen waren alle von der EU finanziert. Ob die Moscheen wohl von Erdogan oder von den saudischen Wahhabiten finanziert wurden, fragte sich Josef.

 Wollten uns ein wenig die Fuesse vertreten, hielten an der Strasse und nahmen vorsichtshalber ein Beutchen mit in den Wald, falls uns trotz Trockenheit der eine oder andere Pilz begegnen sollte. Es gab ihrer viele, aber sie waren alle vertrocknet und verschrumpelt und uns unbekannt. Wir gingen vom Weg ab, einen Hang hinauf, fanden dann stattdessen schoene rote und ganz reife Preisselbeeren, nahmen genug fuer ein Glas Marmelade mit (Wir koennten langsam einen Marmeladenhandel eroeffnen!) und hatten dann ein wenig Muehe, unser Womo wiederzufinden. Schon Rotkaeppchens Mama sagte ihr damals, sie solle nie vom Weg abweichen – die wusste schon, warum.

Wir umfuhren Blagoevgrad, wo wir am Mittwoch unseren Corona-Test fuer Griechenland machen wuerden, bogen dann Richtung Rila-Gebirge, hielten an dessen Fuss, einem Schild zu den Stob’s Pyramids folgend, auf dem Parkplatz am Dorfrand. Im Internet las ich, dass es sich um Sandsteinformationen handeln sollte. Sei es drum. Wir waren viel gefahren heute, der Tag neigte sich dem Ende zu, und wir hatten keine Lust, zu kochen, assen in einem sehr huebschen und gepflegten Gartenlokal direkt neben dem Parkplatz. Der Wirt, Ivan, ebenfalls ein Grossstaedter, der sein Immobiliengeschaeft an den Nagel gehaengt hat und auf’s Land gezogen ist, bot uns an, in seinem Garten zu uebernachten, was wir gern annahmen, da der Parkplatz sehr geneigt war und wir recht schief standen.

Morgens gingen wir hinauf zu den sogenannten Pyramiden, die sehr an Bryce Canyon – nur eben in klein – erinnerten. Die Stimmung und das Licht waren sehr schoen. Es waren nur wenige Besucher da. In den USA haette man das hier vermarktet ohne Ende. Hier verharrte diese Attraktion im Dornroeschenschlaf, wirkte etwas verlottert mit seinen morsch zerfallenen Baenkchen und den vollkommen ungesicherten Wegen. Als wir spaeter Ivan darauf ansprachen, warum man nicht mehr daraus mache, sagte er, man wolle gar nicht so viele Besucher. So, wie es jetzt war, war es gut. Recht hatte er! Wir tranken noch einen Kaffee bei ihm, und er erzaehlte uns, dass mehr und mehr Briten sich hier alte Haeuser, Grund und Boden kauften. Hier im Dorf seien alle leerstehenden Haeuser in letzter Zeit verkauft worden. Nanu? Flucht vor dem Brexit? Flucht vor den wirtschaftlichen Folgen von Corona?

Wir fuhren durch das Dorf hinaus. Uns fiel auf, dass hier vor den Haeusern Weinspaliere ueber die gesamte Buergsteigbreite gebaut waren, die voller  Wein hingen. Herrlich! Wir fuhren weiter hinauf in das Rila-Gebirge bis zu einer der Top-Sehenswuerdigkeiten Bulgariens, dem Rila-Kloster, wie das Gebirge nach dem Eremitenmoench Rilksi benannt, der hier im 10. Jahrhundert ab seinem 25. Lebensjahr erst in einer Hoehle und spaeter auf einem Felsvorsprung seine Liebe zu Gott zelebriert und allen Herausforderungen, Wind , Wetter und Kaelte getrotzt hat. Er ist sozusagen der Begruender der bulgarisch-orthodoxen Kirche, die ihm dann, ganz entgegen seiner eigenen Auffassung von Glauben, dieses wunderschoene und imposante Bauwerk als Denkmal gesetzt hat. Man nennt es auch das Jerusalem Bulgariens. Wir trieben uns also einige Zeit hier herum, bewunderten mal wieder die herrlich kindlichen, kunterbunten, beinahe comic-haft wirkenden Darstellungen von Himmel und insbesondere Hoelle, den Teufeln und den Versuchungen und den immerwaehrenden menschlichen Kampf gegen ebendiese.

Die Strasse ging nach dem Kloster, einem Bach folgend, noch ein paar KM asphaltiert weiter hinauf ins Gebirge, und ich konnte auf Google Maps erkenne, dass dort oben Platz fuer uns zu sein schien. Wir erreichten eine Lichtung mit einem einfachen Gartenlokal, umgeben von den imposanten Bergen des Rila, weiter unten mit riesigen, alten Tannen bedeckt, weiter oben felsig und schroff. Nachdem wir heute mehr im Auto gesessen hatten als alles andere, liefen wir den Schotterweg am Ende der Asphaltstrasse eine Stunde lang weiter das Tal hinauf und hofften immer auf Weitblick und Aussicht. Aber er wand sich stur duch die hohen Baeume, immer parallel zum Bach, und wir kamen und kamen nicht aus dem Wald raus. Irgendwann kamen uns zwei Wanderer entgegen und sagten, es ginge noch ewig so. Wir hatten ohnehin genug, und es war schon fast 18:00, so dass wir auch umdrehten. Wieder an unserem Parkplatz kamen wir ins Gespraech mit einer Familie, die gerade dabei waren, nach einem Ausflug hierher wieder nach Hause zu fahren: Mutter und Vater – er hatte 71. Geburtstag heute! –  zwei erwachsene Toechter und der englische Freund der juengeren. Letztere lebte mit ihm in Londen, die aeltere in Wien, ihre Eltern hier hinter den Bergen. Sie waren auf Urlaub hier, hofften ein wenig auf einen zweiten Corona-Lockdown, damit sie von hier aus Home-Office wuerden machen koennen. So sehr uns dieses Corona nervt und deprimiert, so sehr es auch Angst macht hinsichtlich der jetzt schon spuerbaren wirtschaftlichen Auswirkungen, so sehr birgt dieser vermaledeite Virus auch fuer viele die Chance, ihr Leben zu veraendern, durch digitale Medien von egal wo aus auf der Welt zu arbeiten. Am Kloster waren wir ins Gespraech gekommen mit einem britsichen Motorradfahrer, der seit ein paar Monaten hier in Bulgarien bei Velico Tarnovo lebte. Er war einst Lehrer fuer Deutsch und Informatik (seine Mutter stammte aus Dortmund), hatte in England als „Teacher Assistant“ gearbeitet und seinen Job durch den Lockdown und die Schliessung der Schulen verloren.  Nachdem das Kurzarbeitergeld von der Regierung versiegt war, packte er seine sieben Sachen und zog in sein Haus, das er hier in Bulgarien schon vor ein paar Jahren als Ferienhaus gekauft hatte, arbeitete nun online als Englisch- und Deutschlehrer ueber eine der Firmen, die solche Live-Online-Kurse anbieten. (Unsere Tochter Simone hatte vor ihrer Zeit als Mama fuer so eine Firma, Learnship, im Vertriebe gearbeitet. Daher war uns das Konzept nicht ganz fremd). Wohl dem, der sowas jetzt machen kann. Er kann sich trotz Corona ueber Wasser halten, hat Schueler sonstwo auf der Welt.

Die Familie an unserem designierten Uebernachtunsplatz zeigte uns einen Weg, der hinter dem Restaurant in angeblich 1,5 Std den Berg rauf ginge. Wir wollten nun eigentlich heute nichts tun, hier auf unserer Lichtung chillen, schreiben und lesen. Aber das ging ja nun nicht mit diesem verlockenden Weg. ALso machten wir uns morgens auf die Socken, dachten, wir gucken einmal von oben runter und sind gegen 14:00 wieder hier. Ganz so war es nicht. Der Weg war sehr schoen, bot auch immer wieder schoene Ausblicke und fuehrte uns an den „Trockenen See“. Dort pausierte gerade ein junges Paar, das uns auf dem Weg ueberholt hatte: beide Bulgaren, sie in Florida und Chicago aufgewachsen und zum Studium hierher nach Bulgarien an die American University of Blagoevgrad gekommen, um hier zu bleiben, er auch auch an dieser Privatuni Abschluss gemacht und arbeitete dort in so einer Art Start-Up-Hilfe. Schien die neue Mode zu sein, dass Unis ihen Studenten mit solchen so genannten „Incubators“ helfen, sich selbstaendig zu machen. Wir sprachen lange mit ihnen ueber die Korruption in Bulgarien, die hier alle sehr beschaeftigt und die sie alle thematisieren, ueber die EU und die Chancen, die sie bringt. Josef wiederholte seine feste Ueberzeugung, dass nur ein starkes, vereintes Europa mit einheitlicher Gesetzgebung, Besteuerung, etc. eine echte Chance fuer die Menschen bedeutet, dass wir in jeder Hinsicht staerker sein koennten als die USA und auf Augenhoehe mit China und Russland.  Wir tauschten Nummern aus und verabredeten uns fuer morgen auf einen Kaffee in Blagoevgrad.

Wenig spaeter trafen wir auf ein Ehepaar etwa in meinem Alter. Der Mann, der mich an meinen palaestinensischen Lieblingscousin Mazen Rantisi in Ramallah erinnerte, kannte die Gegend gut und hatte ein GPS dabei, sagte uns, nach oben ueber die Felskante waeren es nochmal einige Stunden, aber in diesem Seitental hinter dem ausgetrockneten See koenne man in ca 1,5 Std zu einem Pferdehof gelangen. Er erklaerte uns, der Weg, den wir da gingen, sei ein uralter Verbindungsweg nach Griechenland gewesen, die Deutschen haetten ihn waehrend der Besetzung des 2. Weltkrieges kartographiert. Vor dem Eisernen Vorhang seien hier Millionen von Schafen ueber den Sommer hinauf in die Berge gekommen, um den Winter  in den waermeren Huegeln und Taelern Nordgriechenlands zu verbringen. Durch den Eisernen Vorhang und die Verstaatlichung sei das Hueten von Schafen in Bulgarien voellig verloren gegangen. Es stimmte auch: Wir haben hier in Bulgarien laengst nicht so viele Hirten mit ihren Herden gesehen, wie in Rumaenien. 

Den Rest des Nachmittags hier um’s Womo vertuettelt. Es ist herrlich friedlich und still hier. Waehrend ich hier schrieb, fuhr Josef eine Runde mit dem Rad, ging dann nochmal los und holte von einem wilden Mirabellenbaum eine Schuessel Fruechte, die er dann gleich zu Marmelade verarbeitete. Ich sagte ja, wir haetten einen Handel starten koennen. Sollten wir wahrscheinlich, weil das Womo allmaehlich immer schwerer wurde.

Mehrfach hoerten wir, dass oben auf der Hoehe der Wanderweg zwischen den „Sieben Seen“ die reinste Autobahn sei. Gott sei Dank waren wir hier unten.

 

Donnerstag, 24.9.2020

Blagoevgrad

Griechenland   –    Karteres (Doerfchen gleich hinter der Grenze)

Wir fuhren wieder Richtung Kloster, wo wir fuer unseren Enkel Ben zum Geburtstag noch eine klitzekleine Ikone als Gluecksbringer fuer den Schulranzen oder so, sowie eine Karte erstanden – leider keine Geburtstagskarte, aber dafuer eine mit dem Kloster und im Hintergrund dem Berg, auf dem wir uebernachtet hatten. Mitten auf der Strasse lagen zwei in der Morgensonne doesende Streuner, die uebrigens, wie hier in Bulgarien alle Streuner, einen Chip im Ohr trugen. Sie hatten im Schatten der Klostermauern offenbar grosses Gottvertrauen und verliessen sich darauf, dass alle Autofahrer einen Bogen um sie fahren wuerden, was diese auch alle geduldigst taten. Wir verfuetterten einen recht penentrant riechenden Wurstrest aus unserem Kuehlschrank an sie (Josef meinte, die roch wie eine gebrauchte Unterhose. Warum kaufte er sowas bloss immer wieder?). Sie stutzten, zoegerten, assen sie mit Genuss. Dann stand der eine auf und lief bellend und schwanzwedelnd hinter uns her, als ob er sagen wollte: „Nehmt mich doch mit!“

Wir mussten nach Blagoevgrad, diesen unaussprechlichen Ort, dessen Namen wir immer wieder vergassen, um den Corona-Test zu machen, ohne den die Griechen uns nicht haetten einreisen lassen. Ausserdem mussten wir im Vorheld online eine „Passenger Locator Form“ ausfuellen mit Angabe eines Einreisedatums. Da wir das nicht so genau kannten, hatte ich den 18.9. angegeben, der nun laengst vorbei war. Mal sehen, was sie dazu sagen wuerden.

Sind also in als erstes zum Ramos-Labor gefahren, einem privaten Labor. (Mehrere hatten uns gesagt, die staatlichen Labore stellten nur Positiv-Tests aus, weil die Regierung bei mehr Infizierten mehr Geld bei der EU lockermachen koennte. Ob das stimmte?) Dort trug die Dame, die unsere Spucke entgegennahm, einen Ganzkoerperkittel, Maske und Plexiglasgesichtsschutz, wowie Gummihandschuhe. Mit diesem EINEN Paar Handschuhe bediente sie erst unseren Vorgaenger, fasste ihm beherzt in die Haare, um seinen Kopf in die richtige Postition zu bringen und ihr Staebchen bis zum Hirn in seine Nase du schieben, dann mich, dann Josef, und nahm damit auch jeweils das Geld entgegen. Wenn wir bis jetzt gesund waren, bin ich nicht sicher, ob wir es weiterhin sein werden.

Theoretisch haette das Labor zwei Tage fuer den Test gebaucht, und wir hatten angedacht, noch das benachbarte Pirin-Gebirge fuer zwei Tage unsicher zu machen. Aber wir waren irgendwie ganz gluecklich, in dieser voellig normalen, ganz ansehnlichen, modernen Stadt ohne jegliche Sehenswuerdigkeiten zu sein und verloren einvernehmlich kein Wort mehr ueber Pirin, fanden nach dem Test einen zentrumsnahen, ruhigen Schotterparkplatz zwischen der American University of Bulgaria auf der einen Seite, einem recht noblen und neuen Campus mit Wohnheimen, Sportplaetzen und allem Drum und Dran, und Kaufland (Oh, nee!) auf der anderen. Von dort aus machten wir uns auf den Weg ins Zentrum, gingen erst auf den benachbarten Markt und deckten uns ein. Teil des Marktes war monopolisiert von riesigen Mengen Weintrauben, die dort in modernen, mechanischen Weinpressen vom Trester getrennt wurden, der Saft in Plastikfaesser gegossen. Uns war nicht ganz klar, wie das funktionierte. Ob die Bauern ihre Trauben hier nur pressen liessen und dann den Saft wieder mitnahmen? Oder ob sie die Trauben an die Maenner mit den Pressen verkauften, andere wiederum den Saft kauften?

Auf der Suche nach einem Restaurant fanden wir schliesslich eine bulgarische Doenerbude. Ich ass ein veganes – also eigentlich nur die gruenen Beilagen. Aber man haette dem Mann dringend beibringen muessen, wie man so einen Shawarma oder Doener wickelt, damit man es nachher auch ohne Laetzchen essen kann.

Waehrend wir dort sassen, kam ein Maedchen, ich vermute, Zigani, vorbei und bettelte. Josef gab ihr ein paar Muenzen, und sie bedankte sich sehr freundlich. Als wir sie wenig spaeter mit einer Eisbudenverkaeuferin plaudern sahen, gingen wir hin. Ich war neugierig, zu erfahren, wie sie lebte, warum sie bettelte, etc. Die Eisverkaeuferin erklaerte uns, sie alle – sie machte eine ausladende Bewegung mit dem Arm, die Geschaefte und Lokale um uns herum einschliessend – halfen der Familie des Maedchens mit Essen, Kleidern, Geld, etc., weil der Vater im Gefaengnis sass und das Maedchen, sie hiess Anamaria, mit 14 Jahren die Aelteste von vier Geschwistern war, es also keinen Broetchenverdiener mehr gab. Warum der Vater einsass, konnte sie nicht erklaeren. Ihr fehlte das Vokabular. War auch nicht wo wichtig. Ja, Anamaria ging jeden Tag zur Schule, wenngleich sie keine gute Schuelerin war (wie auch?)  und trug abends durch Betteln zum Familieneinkommen bei. Ja, sie bekamen ein wenig Unterstuetzung von der Regierung, umgerechnet 30 EUR im Monat. Wir gaben ihr noch einen Geldschein, bedankten uns und gingen.

Unsere Verabredung mit den beiden jungen Leuten von der Wanderung klappte nicht. Sie waren zu eingespannt. Aber das war auch in Ordnung. Ich haette ihnen gern noch ein paar konkrete Fragen gestellt, aber es war auch entspannter so.

Wir schliefen gut auf unserem Uniparkplatz, verbrachten ein paar Stunden im Womo, weil ich fuer unsere Buergerinitiative Starkregen im Zusammenhang mit der Buergermeisterwahl ein paar Sachen zu schreiben hatte. Danach guckte ich mehrmals online nach den Laborergebnissen, weil die Dame im Labor uns gesagt hatte, eventuell seien die Ergebnisse schon nach einem Tag da. Meines lag vor, aber bei Josef stand weder negativ noch positiv drin. Wir drehten dann noch eine Runde mit den Raedern durch die Stadt, stolperten ueber einen Fahrradladen, der mir ruckzuck mit geuebten Handgriffen das Ei in meinem Vorderrad entfernte, fanden die Post, so dass wir meine Postkarten loswurden, liefen durch die Shopping Mall der Stadt (H&M auf drei Stockwerken!), deckten uns ein letztes Mal mit der sehr gut duftenden bulgarischen Rosenseife ein und guckten immer mal wieder auf die Webseite des Labors. Endlich war auch Josefs Ergebnis da. Alles klar! Hatten ein bisschen Sorge, weil er erkaeltet gewesen war. Haette ja sein koennen, dass er sich was eingefangen hatte. Waren nun froh und machten uns alsbald auf den Weg zum Labor und weiter zur Grenze. Die letzen Kilometer durch Bulgarien fahrend, am schoenen Piringebirge vorbei, resumierten wir, dass unsere drei Wochen hier auch wirklich gut waren. Es hat uns vielleicht nicht so beruehrt wie Rumaenien – vor Allem, weil die Leute nicht so vorbehaltlos freundlich waren. Aber wenn man sie direkt angesprochen, irgendetwas gefragt hat, waren sie auch immer zugewandt und bemueht, erzaehlten gern ueber ihr Land, gaben sofort Tipps, was man sich unbedingt noch anschauen muesste, etc.

An der Grenze standen in 5 Schlangen reichlich viele Autos vor uns. Die Zeiten der offenen EU-Grenzen sind wohl dank Corona erst einmal vorbei. Sie haben ein bisschen rumgemeckert, weil das Einreisedatum auf dem Online-Formular nicht stimmte, meinten, ich muesste es nochmals neu ausfuellen, und wir muessten hier an der Grenze nochmals einen Corona-Test machen. Aber ich habe ein bisschen diskutiert, Josef gab sich ganz verstaendig und reumuetig, und am Ende haben sie es doch akzeptiert und uns reingelassen. Holdrio! Das stand uns schon sehr bevor, weil es alles recht kompliziert klang und man auch aus dem Formular nicht recht schlau wurde.

Fuhren durch niedere Berge, dann Ebene, sahen auf einem Feldweg nahe der Grenze die ersten „Griechen“, vier joggende Afrikaner.  Ploetzlich war es wieder richtig warm mit 27 Grad, waren hier Olivenbaeume, Oleander und Baumwollfelder, alles Pflanzen, die wir nur wenige Kilometer weiter noerdlich nicht ein einziges Mal gesehen hatten. War diese relativ niedrige Bergkette an der Grenze eine Art Wetterscheide, oder hat es mit Tradition zu tun, dass die Bulgaren tonnenweise Tomaten und Paprika anbauen, aber keine Oliven und keine Baumwolle?

Wir fanden auf einem Feldweg nahe dem Dorf Karteres, oberhalb der Ebene um Thesssaloniki, ein schoenes ruhiges Plaetzchen mit herrlicher Aussicht auf die im Vordergrund niederen, im Hintergrund hoeheren Berge und direkt suedlich die Ebene um Thessalonoki und lauschten nach den neuesten Peinlichkeiten ueber Trump (Heute hat er angekuendigt, dass er, sollte er die Wahl im November nicht gewinnen, das Ergebnis vor dem Supreme Court anfechten wuerde! Willkommen in der Bananenrepublik USA!) dem abendlichen Grillenkonzert.

Sonntag, 27.9.2020

Sithonia, Chalkidiki

Welch andere Welt, in der wir uns ploetzlich befinden! Ich sitze hier in unserem Womo mit saemtlichen Fenstern und Tueren offen, ein herrlich angenehmer Wind weht, eine Oleanderbluete ragt rechts in den Tuerrahmen, und ich schaue auf das tuerkisfarbene Meer direkt vor meiner Nase, sowie den majestaetischen Athos mit Wolkenkroenchen! Wenn man solche Bilder nur einbrennen koennte ins Hirn, dass man sie nie wieder vergisst!

Von unserem netten Schlafplatz vorgestern sind wir recht zielstrebig, allerdings ueber Kleckerstrassen in die Provinz Chalkidiki gefahren. An einem Aussichtsparkplatz machten wir kurz Halt. Nachdem wir in den vergangenen 77 Tagen kaum Deutsche gesehen haben, war hier gleich ein ganzes Buendel, als haetten wir uns verabredet: Ein Muenchner Motorradfahrer, der aus Gmuend stammte, bei Airbus arbeitete und die Corona-Kurzarbeit nuetzte, um vier Wochen mit dem Motorrad unterwegs zu sein. Dann hielt noch ein kleiner Mietwagen mit 4 Leuten aus Rottweil, die hier eine Woche Urlaub machten. Nette Begegnung!

Nach der Gottlosigkeit Bulgariens mit seinen vernachlaessigten, verlassenen Kirchen, war hier das genaue Gegenteil. Aus jedem noch so kleinen Dorf ragten Kuppel und Turm der griechischorthodoxen Kirche, auf vielen Huegeln thronten ebenfalls Kirchen oder Kloester, und an jeder Wegkreuzung, auf jedem Grundstueck stand als Pendant zum bayrischen Marterl ein Miniaturkloesterchen auf einem hohen Sockel. Die Doerfer, wie auch die Felder hier wirkten genormter, gleichfoermiger, aber auch oft huebscher als in Bulgarien und Rumaenien, die Architketur war lieblicher. In manchen alten Doerfern sahen wir, dass sowohl Haus- als auch Umfassungsmauern der Grundstuecke aus geweisselten Lehmziegeln waren, wie wir es schon in Marokko, Rumaenien und Bulgarien gesehen hatten. Auch die Gaerten waren hier weniger Nutzgarten fuer Obst und Gemuese, als schoen gestalteter Ziergarten. Wir sahen Oleanderbuesche und Granatapfelbaeume mit grossen, roten Fruechten, auch Palmen, Rasenflaechen, Steinmaeuerchen und dekorative Amphoren. Die Menschen hier waren offenbar nicht mehr auf den Anbau ihres eigenen Gemueses angewiesen. Ausserhalb der Doerfer waren Baumwoll- und Tabakfelder, sowie grosse Olivenhaine. Google informierte uns, dass Griechenland 80% der europaeischen Baumwollproduktion leistet und, dass die Ertraege – wir vermuteten, dank Hitze und Trockenheit – gestiegen sind in den letzten Jahren. Die verschiedenen Tabake, die angebaut werden, gehen hauptsaechlich in die europaeische Zigarettenproduktion.Gerade bewunderten wir links und rechts die Landschaft, als wir etwa 20m  vor uns auf der Strasse ein halbrundes Etwas sahen. Josefs Aderlaugen identifizierten ganz richtig eine Schildkroete, er hielt mit Warnblinker, und ich trug die ca 25cm lange Schildkroete ueber die Strasse und die Boeschung hinunter. Sie haette den Marsch wohl sonst kaum ueberlebt. 

Chalkidiki liegt oestlich von Thessaloniki und sieht auf der Karte aus, als wollte sie einst eine Insel sein, habe sich jedoch fuer das Halbinsel-, und Festlanddasein entschieden. An der suedlichen Seite ragen drei etwa 50 km lange Finger aus ihr heraus. Der Westlichste heisst Kassandra und ist wohl ein bisschen Partymeile, Hotel an Hotel; der Mittlere, Sithonia, ist beschaulicher, und war es umso mehr, da wir in der Nachsaison hier waren, hat viele Ferienhaeuser – wahrscheinlich auch der betuchten Thessaloniker; der Oestlichste Finger konstituiert die teilautonome Moenchsrepublik Athos – ein echtes Phaenomen! Sie hat eine Grenze und vergibt Visa, ist jedoch Teil Griechenlands. Athos besteht aus 24 Kloestern, ein Teil davon Grosskloester und viele kleine Moenchszellen. Es leben hier 2000 Moenche in etwa so, wie sie es seit 1000 Jahren tun. Es duerfen keine Frauen auf die Halbinsel, nicht einmal weibliche Tiere, sie essen kein Fleisch und duerfen nicht im Meer baden – mit anderen Worten, alles Vergnuegliche wird Gott geopfert. Es kamen in normalen Zeiten, also vor Corona,taeglich etwa 1000 Pilger auf die Halbinsel, Tendenz steigend und in der Mehrzahl russische Maenner. Putin hat ein russischorthodoxes Grosskloster restaurieren lassen, damit seine Anhaenger Platz finden, wenn sie hierher pilgern. Die Moenche ueberlegen, wie sie in Zukunft den Strom an Pilgern begrenzen koennen.  Corona hat ihnen eine Verschnaufpause beschert. Wie gern haette ich mich als Mann verkleidet und ein bisschen herumgespukt in dieser mittelalterlichen Welt! Nun, das ging ja leider nicht! Freundin Jutta aus Aichtal schrieb mir, sie sei einst vor vielen Jahren mit einer griechischen Freundin, einer Aerztin, als deren Helferin verkleidet, auf die Halbinsel gekommen! Wie das wohl ging?

Nun waren wir schon die zweite Nacht auf dem schoenen Sithonia, auf einem grossen, fast voellig leeren Camping-Platz mit hohem und altem Baumbestand. Ausser uns waren noch ein Schweizer Paar vom Bodensee und zwei befreundete deutsche Paare aus Thueringen da, wovon heute eines abgereist ist; die Griechen und alle anderen waren schon weg fuer den Winter.  Die Platzwartin, Hermione erzaehlte uns, der Sommer sei trotz Corona nicht ganz so schlecht gewesen, da sie viele Dauercamper und Stammgaeste haetten, die trotz Corona kamen. Nun, wenn man Angst hat, krank zu werden, ist Camping besser als alles andere, weil man fuer sich und an der frichen Luft ist.

Es war so herrlich jetzt in der Nachsaison: Wir standen in der vordersten Reihe direkt am Meer. Die Temperatur lag tagsueber bei ca 27 Grad, ein schoener Wind blies, und das Licht war wunderbar klar, die Farben so satt: die Aleppokiefern an den Haengen hinter uns und auf den Felsinselchen im Meer leuchteten fruehlingsgruen, das Meer in der Sonne tuerkis und dunkelblau, und der Athos thronte gegenueber mit seinen felsigen Steilwaenden. Wir fuhren mit dem Kayak umher, erkundeten die Umgebung mit den Raedern und plauderten mit den wenigen Campingnachbarn: mit den beiden Schweizern, Anita und Daniel. (Sie betrieb als zweite Laufbahn einen Hundesalon, er arbeitete bei so einer Art Schweizer Berufsgenossenschaft und half Schwerverunfallten bei der Wiedereingliederung ins Berufsleben, war Hobby-Ornithologe und konnte anhand ganz kurzer Laute irgendwo in den Baeumen Voegel identifizieren.) und mit zwei Ehepaaren aus den Osten Deutschlands, wobei das eine davon, wie so viele, seit 20 Jahren um Stuttgart lebte – er war bei Daimler. Haette mich mit ihnen gern ein bisschen mehr unterhalten, gerade jetzt, zum 30. Jahrestag des Mauerfalls. Aber es ergab sich irgendwie nicht. Der Ehemann des anderen Paares, die im Osten geblieben waren, sagte, sie seien „im Schandfleck“  – ich glaube, so hat er es ausgedrueckt – geblieben. Ich wehrte mich gegen diese derogative Bezeichnung, sagte ihm, ich sei auch ein DDR-Kind. Es aergerte mich, dass sie so wenig selbstbewusst waren. Aber es darf einen wohl nicht wundern, wenn man die Statistiken ueber die nach wie vor bestehenden Ungleichheiten sieht.

Wir waren ein wenig hin- und hergerissen, wie wir nun weitermachen sollten mit unserer Reise, weil wir auch den suedlichen Teil Sithonias ein wenig erkunden wollten, nun aber zum ersten Mal ein klein bisschen Zeitdruck hatten, weil wir meine Studienfreundin Beartrice vor dem 4.10. in Athen treffen und ca am 12.10. auf Kreta bei Cousine Sylvia sein sollten, wenn wir tatsaechlich rechtzeitig zur Olivenernte dort sein wollten. Und ich wollte unbedingt noch die Kloester von Meteora sehen. Es wuerde sich schon alles fuegen, dachten wir uns.

 

Dienstag, 29.9.2020

Sithonia

Es hat sich gefuegt. Wir haben Beatrice abgesagt.  Mein Gefuehl war, dass sie nicht allzu traurig war. Glaube, unsere Ankuendigung, sie in Athen zu treffen, hat sie zwar zunaechst gefreut, dann jedoch mehr gestresst. Wer weiss, was in ihrem Leben gerade los ist. Wie kannten uns vom Studium, hatten uns aber vor etwa 20 Jahren das letzte Mal gesehen, als ich sie mit unserer gemeinsamen Freunden Bobby und unseren Kindern besucht habe. Beatrice ist halb Italienerin, halb Deutsche und hat ihr Leben zwischen Cairo und Athen verbracht. Ich hoffe, es klappt mal, dass wir sie in Cairo treffen.

Nun hatten wir also nicht mehr so viel Zeitdruck und noch zwei Wochen Zeit bis zur Olivenernte, so dass wir noch den kompletten folgenden Tag und die dritte Nacht um den Campingplatz vertuettelten. Fuhren mittags mit dem Kayak raus aus der Bucht und bis zur Spitze der vorgelagerten Insel, genossen die Tuerkistoene und das Dunkelblau des Wassers, den Blick auf den Athos mit seinen sich stetig veraendernden Wolkenkroenchen, die weich geformten Felsen, die den Saum der Insel bildeten.  Am Nachmittag uebergaben wir das Kayak an Anita und Daniel, die sich einige Stunden lang damit verweilten.  Am Spaetnachmittag fuhren wir mit den Raedern nach Agio Nikolaus, dem naechsten Dorf. Der junge Mann, dem wir am ersten Abend auf der Sandduene vor dem Campingplatz begegnet waren, Grieche, der in Leipzig Deutsch und Archaeologie studiert hatte, nun hier in einem grossen TUI-Hotel auf Cassandra als Reiseleiter arbeitete, hatte uns das Dorf empfohlen. Es war eine anstrengende Fahrt, 7km fast immer bergauf. Aber es hat sich gelohnt. Das Dorf liegt nicht am Meer, ist sehr huebsch gepflegt und war kurz davor, fuer den Winter die Buergersteige hochzuklappen. Wir schoben die Raeder durch’s Dorf, wurden sehr freundlich von den abendlichen Plaudergrueppchen begruesst, die sich allerortens vor den Tueren auf den Baenkchen trafen, eine Gruppe aufgedrehter Backfische probierte ihr Englisch an uns aus, und als wir gerade eine sehr huebsch saniertes Haus bewunderten, auf dem ein „For Sale“-Schild prangte. Eine Frau bestaetigte vom Balkon herunter auf Deutsch: „Ja, das Haus ist schoen.“   Sie hatte das Haus vor 30 Jahren mit ihrem Mann gekauft, weil er sich einst in diese Gegend verliebt hatte. Ihr Traum war es nicht. Sie wollte lieber durch die Welt reisen, wie wir. Ihr Mann war ueberraschend gestorben und der Familienbetrieb – sie hatten Mascinen fuer Steinbrueche gebaut, auch fuer die Palm Jumeira in Dubai einst den Untergrund aus Basaltstein vor Ort gebrochen – ging den Bach runter, so dass sie nun dieses Haus verkaufen musste. Sie hing auch nicht daran. Sie empfahl uns ein Restaurant auf dem Dorfplatz, der eigentlich nur aus Restaurants mit einem Springbrunnen in der Mitte bestand. Bis wir fertig waren mit Essen, war es stockdunkel, und wir fuhren die 7 km zurueck zum Campingplatz, Josef, sobald sich von vorn oder von hinten ein Auto naeherte,  immer hinter mir Schlangenlinien fahrend, um die Autofahrer aufmerksam zu machen auf uns. War nicht ganz ohne Risiko, unsere Fahrt durch’s Dunkel.

Wir waren hundemuede, aber unsere Nachbarn topfit und angetuetschert vom Ouzo des Platzwirtes, der sie nun den zweiten Abend sehr gut bewirtet und ein wenig abgefuellt hatte. Sie wollten unbedingt noch ein ein Spiel spielen mit uns, aber Josef bog es elegant ab und oeffnete stattdessen ein Flaeschchen Wein. Erst, als wir schon mehr als reif waren fuer’s Bett nahm das Gespraech eine ernsthafte Wendung, und sie erzaehlten von ihren beiden Soehnen, von denen der eine unter Asperger Sydndrom, eine Art von Autismus, und der andere ADHS leidet. Schweres Los fuer alle vier!

Am Morgen packten wir unser Zeug zusammen,tauschten Handynummern aus, sie boten uns an, jederzeit bei ihnen am Bodensee im Haus oder vor dem Haus im Womo zu Gast zu sein. Wir verabschiedeten uns, versprachen, uns zu melden, falls wir im Sueden der Halbinsel noch ein schoenes Fleckchen finden wuerden, und fanden mit Hilfe von Google Maps einen Robinson-Crusoe-Strand. Hier standen ein paar Womos, die eine Haelfte des Strandes wurde von einem Campingplatz mit hauptsaechlich Dauercampern eingenommen, der jedoch schon geschlossen war. Es war also sehr still und beschaulich, der Strand mit wunderschoenem Blick auf den Athos. Hier standen wir mit dem Kuehler Richtung Meer und genossen das je nach Sonnenstand und Wolken changierdende Tuerkis und Dunkelblau vor uns.

Die Nacht war herrlich still, trotz der Streunerhorde, von denen ich befuerchtete, dass sie sich nachts kloppen oder Heulrunden liefern wuerden. Jedenfalls haben wir nichts gehoert und waren morgens ausgeruht und voller Tatendrang, bauten unser Kayak zusammen und fuhren zwei Stunden lang um die kleinen vorgelagerten Felsinselchen und an der Steilkueste entlang; nach einem kleinen Imbiss im Womo liefen wir zu Fuss, folgten den Ziegenkoedeln einen Klippenweg entlang, der irgendwann auf einen richtigen Weg muendete. Die ganze suedliche Spitze der Halbinsel war von einem Netz an Betonwegen ueberzogen, die nirgendwohin fuehrten. Es gab ein einziges Haus hoch ueber dem Meer, an dem wir vorbei kamen und die Leute nach diesem ominoesen Wegenetz fragten. Es war wohl ein 30 Jahre altes Villenprojekt, das irgendwann gestoppt wurde. Die Hauseigentuemer waren Russen, die sich hier in dieser totalen Einsamkeit vor 1,5 Jahren ein Grundstueck gekauft und dieses Haus gebaut hatten. Wovon sie lebten, fragte ich sie, und wohin sie zur Arbeit pendeln muessten. Gar nicht, sie waren „Digital Natives“, arbeiteten also ueber das Internet. Josef mutmasste nachher, dass sie sich hier versteckt haetten vor irgendwas. Kein schlechter Ort dafuer. Mir waere es viiiiel zu einsam. 

Wir liefen also recht strammen Schrittes ueber die voellig willkuerlich in die Landschaft gebauten Betonstrassen, liefen gefuehlt die doppelte Strecke und waren einigermassen platt, als wir wieder am Womo waren, huepften noch kurz ins Meer und hatten somit unseren Triatlon – Paddeln, Wandern, Planschen – fuer heute erfuellt und liessen den Tag ausklingen. Josef kochte, ich schrieb. Einer der Streuner bekam die restlichen Nudeln mit Tomatensosse, die er brav restlos aufschlabberte. Dann gab es noch einen kleinen Rest reine Tomatensauce, und Josef meinte, die koenne man doch auch rausstellen. Aber mir war klar, dass das selbst diese anspruchslosen Hunde und Katzen verschmaehen wuerden. Sind ja keine Veganer! Josef lief nochmal zum Muellcontainer, mit ihm ein halbes Dutzend Katzen und ein paar Hunde. Allein, es gab nix Gutes fuer sie. „Unser“ Hund legte sich auf die Matte vor dem Womo, fuehlte sich also sehr zuhause und knurrte alle anderen in die Flucht, um eventuell  noch zu erwartende Fruede zu verteidigen und nicht teilen zu muessen. Igendwann wurde seine Bellerei ein bisschen nervig, und wir baten ihn freundlich aber bestimmt, woanders zu bellen.

Freitag, 2.10.2020

Goettersitz Olymp

Herrlich glatt lag das Meer da, der Athos schoen wie jeden Tag. Wir breiteten unsere Matten aus und machten Fruehsport am Strand. Um uns herum demonstrierten die Tiere, wie das mit dem friedlichen Zusammenleben geht: Eine schneeweisse Gans knabberte an den wenigen frischen Grashalmen am Strand, watschelte dabei recht furchtlos zwischen uns und den Hunden und Katzen umher, die um uns herum in der Morgensonne luemmelten,  zwischendurch auch mal 20 cm von meinem Gesicht entfernt ueber meine Matte, ich auf dem Bauch liegend, meine Beine mit Terraband traktierend.  Es gaebe da gerade wieder eine ganze Reihe groessenwahnsinniger Machthaber, die von den „Vereinten Nationen“ hier am Strand lernen koennten:  Erdogan, der sich gerade mit en Griechen um Festlandsockel und Gasvorkommen kloppen will, die Regierungschefs der Azerbaidschaner und Armenier, die sich um diese Pipi-Rebublik Berg-Karabakh streiten, um von ihrer innenpolitischen Schwaeche abzulenken, …

Josef war ein wenig traurig, unseren Robinson-Crusoe-Strand zu verlassen. Er haette hier gut noch ein paar Tage zwischen Sehnsuchtsblau (Er mag diese Wortneukreation!) und Felsen, die an den Oman erinnern. Jetzt war ich es wohl, die ein bisschen weiter draengelte, weil ich so gern noch das eine oder andere sehen wollte, bevor wir nach Kreta aufbrechen wuerden. Unser naechstes Ziel war der Olymp, Goettersitz der griechischen Mytologie, und gar nicht weit von Sithonia. Wir sahen ihn nun schon die ganze Zeit westlich von uns ueber der Kueste thronen – ab dem Nachmittag mit Wolkenkrone, wie der Athos. Wir umfuhren die Suedspitze Sithonias und an der westlichen Kueste der Halbinsel wieder nach Norden und weiter Richtung Thessaloniki. Die Westseite war nicht halb so schoen, wie die Ostseite: zwar gruener, weil hier offenbar mehr Regen hinkam, jedoch auch verbauter. Eine Frau gruesste uns freundlich durch’s offene Autofenster mit „Kalimera!“, und Josef antwortete genauso freundlich und ganz selbstverstaendlich „Buoan Sera!“. Klingt ja genauso.  Wir fanden hinter dem Ort mit dem netten Namen Metamorfosi wieder den grossen Wasserauslass, der wohl eher fuer die Feuerwehr gedacht ist, und von dem wir schon auf dem Hinweg nach Sithonia unseren Tank aufgefuellt hatten. Die Feuerwehr stand hier und da auf Standby in der Landschaft herum. Waldbraende sind hier ein grosses Thema, aber es sind keine „Wildfires“, sondern von Menschen gelegte. Die griechische Regierung hatte Anfang der 1980’er Jahre ein Gesetz beschlossen, dass das Bebauen und die landwirtschaftliche Nuetzung von Waldflaechen untersagt. Daraufhin haben die Griechen immer wieder Feuer gelegt, um Brachland zu schaffen. Als wir vor 20 Jahren bei Beatrice waren – damals lebte sie mit ihrem Ex-Mann auf einem herrlichen Anwesen mit eigenem Bachlauf und Schwimmteich zwischen den Huegeln ausserhalb Athens – war das ein Riesenthema. Wenn die abgefackelte Flaeche drohte, sich zu erholen, weil die im Boden ueberlebenden Samen wieder austrieben, fackelte man sie ein zweites Mal ab und toetete alles ab.  Offenbar ist die Regierung schlauer geworden und positionierte nun in dieser knochetrockenen Zeit ueberall Feuerwehren auf Standby.

Kurz hinter Thessaloniki muenden drei Fluesse in die Aegaeis, Axios, Loudias und Aliakamon, und bilden hier ein fruchtbares und wassereiches Delta. Unser schweizer Ornitologe, Daniel und seine Frau waren hier gewesen, um in diesem Schutzgebiet Voegel zu beobachten, und sie war hier von einem Hofhund vom Fahrrad gerissen und in die Kniekehle gebissen worden. Der Bauer hatte das Tor offen gelassen. Die Arme! Musste jetzt an sie denken, als wir hier durchfuhren, denn sie war sehr traumatisiert davon und hatte nun die Befuerchtung, dass sie vielleicht auch Angst vor den Hunden ihrer Hundesalonkunden haben wuerde! Dabei war wohl Daniel immer derjenige gewesen, der Angst hatte vor Hunden; sie nie.

Ein Teil des Deltas bestand aus Reisfeldern. Und tatsaechlich sagte uns Google, dass Europa ganze 0,5% zur Welt-Reisproduktion beitraegt. Spaeter waren wieder Baumwollfelder links und rechts der Strasse. Der Wind hatte die fruehreifen Baumwollbaellchen ueberall hin geweht, so dass es aussah wie Schneebaellchen neben der Strasse.

Wir fanden einen schoenen Stellplatz direkt am zum Dorf Litohoro gehoerigen Strand mit Blick auf die drei Halbinseln vor uns, direkt hinter uns Ferienhaeuser, eine Bahnlinie, eine Landstrasse , die Autobahn und dahinter der fast 3000m hohe Olymp. Wir machten noch einen Spaziergang am Strand entlang, begleitet von eingien anderen Spaziergaengern, sowie diversen Streunerhunden und -katzen. Ein huebscher, mittelgrosser, schwarz-brauner, blauaeugiger Ruede lag auf dem Weg, an seinen Bauch ein Kaetzchen gekuschelt! Wir schlugen das etwas ueberteuerte Angebot eines Restaurantbetreibers aus, sahen dem aufgehenden Mond ueber dem Meer zu, und kochten uns selbst etwas.

Morgens fuhren wir hinauf in das Dorf Litohoro, das der Zugang zum Olymp-Nationalpark ist, fuhren von dort hinauf auf etwa 1000m zur Priona-Huette, da wir sonst den ganzen Tag im Wald gelaufen waeren. So liefen wir nun die naechsten 1000 Hoehenmeter hinauf zur Huette Spilios Agapitos auf etwas uber 2000m, hatten immer wieder tolle Ausblicke auf die Spitzen des Olymp, auf die Schlucht unter uns und auf das Meer hinter uns. Der Weg war gut praepariert, jedoch steil mit hohen Stufen und recht schweisstreibend. Einmal liefen zwei an uns so leichtfuessig taenzelnd an uns vorbei, dass ich mir vorkam wie ein altersschwaches Muli. Apropos Muli: Die Huetten oben werden alle mit Mulis versorgt, deren Stall bei der Priona-Huette ist. Da gibt es keine Fahrwege oder Seilbahnen hinauf. Wir schafften es binnen drei Stunden hinauf zur gemuetlichen Huette mit Freisitz in der Sonne, waren recht stolz auf uns, assen mit grossen Appetit einen Teller Suppe mit Brot, bewunderten ausgiebig die Aussicht, die ueber und die Felsspitzen quellenden Wolken. Wandern ist hier offenbar Sache der Jungen, nicht der Alten. Die Griechen waren allesamt unter 30, die anderen Europaer von weiter noerdlich ueber 50, Josef mit seinen 67 wahrscheinlich der Aelteste. Die meisten uebernachteten hier, gingen dann am Folgetag die naechsten 1000 Hoehenmeter hinauf auf die Spitzen, dann auf zwei Tage verteilt wieder hinunter. Die zwei taenzelnden Berggaemsen von vorher waren Schweizer, die hier mit zwei anderen Paaren Strandurlaub machten und sich gestern nur ein bisschen die Fuesse vertreten wollten. Einer der Kumpels hatte ihnen gesagt, die Aufstieg dauere eine Stunde! Also waren sie mit Strandoutfit und mehr Strassen-Sneakers als Sportschuhen mal eben die 1000 Hoehenmeter hochgetaenzelt! Schweizer Bergziegen halt!

Auf dem Weg hinunter ueberholten uns ziemlich am Anfang zwei Wanderer halb joggend. Das hatte ich schon mehrmals beobachtet und probierte es aus. Siehe da, es war einfacher als sich nach jedem Schritt, insbesondere die Stufen hinunter, auf null abzubremsen. Josef besorgte mir im Flussbett aus dem vielen Treibholz noch einen zweiten Stock, so dass ich nun beide Stoecke wie Kruecken einsetzen, das Gewicht darauf verlagern und mich ueber die Stufen schwingen konnte. Ich war fuer meine Verhaeltnisse nun richtig schnell unterwegs, konnte meine Knie entlasten, Josef konnte seinen normalen Wanderschritt laufen, und wir brauchten hinunter nur zwei Stunden.

Wir fanden unseren Schlafplatz von gestern wieder, meine Nacht war ein wenig durchwachsen, weil mir doch die Gelenke schmerzten von der Wanderung, aber der Fruehsport half. Waehrend ich hier schrieb, bauten unten am Strand direkt am Wasser zwei aeltere Maenner einen Tisch mit weissem Tischtuch und Blumenstrauss auf, mehrere Damen und Herren im Rentneralter planschten im Meer und gesellten sich schliesslich alle an den Tisch. Es wirkte wie eine moderne, kuenstlerische Interpretation des Abendmahls! Schie ein woechentliches Ritual zu sein.

Eben kam ein spanisch-brasilianisches Paerchen, das auch hier uebernachtet hat, rueber und brachte uns ein Kilo Weintrauben. Sie hatten von den picknickenden Abendmahl-Griechen ganz viel bekommen und haben uns einen Teil abgetreten. Sie hatten ein Huendchen dabei, den Welpen einer Streunerin. Sie sind seit November letzten Jahres unterwegs, waren durch den Corona-Lockdown hier in Ioannina, auf dem Festland westlich von hier, gefesselt, hatten sich mit der traechtigen Mama dieses Huendchens angefreundet und nun diesen einen Welpen uebernommen.  Sie arbeitet als Sozialarbeiterin und er im Buehnenbau auf Mallorca, aber sie haben beide keine Sorge, wieder Arbeit zu finden, wenn ihnen das Geld ausgeht.

Herrliche Stimmung hier am Strand! Gingen noch ein bisschen therapeutisch fuer mein Knie Fahrradfahren und verliessen dann ein wenig schweren Herzens diesen zwar nicht sehr malerischen, jedoch irgendwie stimmungsvollen Strand und machten uns auf Richtung Meteora.

 

Sonntag, 4.10.2020

Meteora, Delphi

Meteora war mein Herzenswunsch. Nicht, dass ich vorher irgend etwas darueber gewusst haette! Andere Touristen erzaehlten uns davon, und ich erinnerte mich dunkel an eine ganz kurze Filmsequenz – vielleicht aus einem Werbefilm zu Griechenland. Wir fuhren also zunaechst durch eher trockene, nicht so sehr huebsche, landwirtschaftlich intensiv genuetzte Landschaft, sahen u.A. Kiwiplantagen.  Ploetzlich jedoch wurde es huegeliger und deutlich saftiger, gruener um uns herum, und dann standen wir vor dieser relativ kompakten Landschaft mit hoch aufragenden Felsstelen, gekroent von Kloestern und durchloechert von Hoehlen, in denen wir nach und nach mit dem Fernglas immer mehr Reste von einstigen Klosterzellen entdeckten! Es war so spannend! Waere am liebsten in jede dieser Hoehlen gekrochen. Aber sie befinden sich samt und sonders in schwindelerregender Hoehe und sind nicht zugaenglich. Die Moenche liessen sich einst in Netzen an Seilen hinaufziehen. So waren sie vollkommen sicher vor Feinden. Aber wie haben sie dort bloss gelebt? Angeblich gab es hier bereits im 11. Jhd. die ersten Eremiten; schriftlich belegt sind die ersten Zellen ab Anfang des 14. Jahrhunderts, als ein junger abenteuerlustiger Moench, der auf Athos ob seines zarten Alters nicht aufgenommen wurde und ausserdem die Einsamkeit suchte, sich hier zum Beten in eine Hoehle zurueckzog. Ihm folgten weitere Moenche, fuer die er mehr Hoehlen zu Zellen ausbaute. Als es ihm zu voll wurde, zog er weiter hinauf in eine noch einsamer gelegene Hoehle. Hier entstand dann das heute groesste Kloster, das Meteora Megalo, nach dem nun die Gegend benannt wurde.

Fuer unsere erste Nacht fanden wir am Fuss einer der Stelen, direkt ueber uns ein kleines Kloster, auf einem ganz frisch gebauten Parkplatz einen Stellplatz. Morgens kamen die Bauarbeiter und scheuchten uns freundlich weiter, weil sie noch nicht ganz fertig waren. Fuhren die Serpentinenstrasse ein wenig weiter hinauf und parkten unter dem naechsten Kloster, fuhren dann schweisstreibend mit den Raedern die Kloester ab. Wir besichtigten nur zwei von innen, waren mal wieder fasziniert von den blutruenstigen Szenen, mit denen die dazugehoerigen Kirchen flaechendeckend bemalt waren. Eine Reiseleiterin erklaerte einer schwitzenden und schnaufenden Rentnertruppe aus dem Odenwald, dass diese gewalttaetigen Szenen zum Einen die Verfolgung der fruehen Christen, zum anderen die Hoelle darstellten, damit die Moenche ja nie vergassen, was ihnen bluehen wuerde, sollten sie sich irgendwelcher Verfehlungen schuldig machen. Das Innere der Kloester war huebsch, ohne Frage, aber es fehlte das religioese Leben in ihnen. Im grossen Kloster leben gerade mal fuenf Moenche. Platz boete es fuer 100, schaetzten wir. Es gab hier urspruenglich 24 Kloester, plus die ganzen Eremitenhoehlen. Zugaenglich und restauriert sind nur noch sechs. Das eigentlich Schoene ist jedoch die Landschaft mit den thronenden Kloestern und den vielen Hoehlen. Der Tag stand voll im Zeichen der Kommunikation, denn trotz Corona und Nebensaison waren doch einige Touristen unterwegs, und wir sahen so viele Auslaender wie nirgendwo sonst auf unserer mittlerweile dreimonatigen Reise. Gerade bewunderten wir von einem Aussichtspunkt die grandiose Landschaft um uns herum, da kam der erste des Wegs, ein junger Schweizer aus Basel, Informatiker in einem Krankenhaus dort. Seine Eltern sind Kroaten aus Bosnien, und als Josef ihm von dem Buch „Herkunft“ erzaehlte, das er gerade las und das die Geschichte eines Fluechtlings des Jugoslawienkriegs erzaehlt, sagte er, genau dies sei die Geschichte seiner Eltern.  Er wurde abgeloest von einem indischen Paar, das an der Uni in Paris in der Forschung taetig ist. Im Kloster trafen wir ein israelisches Paar, deren Sohn in London an der Uni seine Masterarbeit ueber gemischte palaestinensisch-israelische Schulen schrieb und die fuer einen Staat fuer beide Voelker mit gleichen Rechten waren. Er hatte jemenitische Wurzeln, verstand auch noch Arabisch, seine Frau war eine Ashkenazi, also europaeische Juedin. Sie erzaehlten, wie sie am Flughafen in Athen bei der Einreise kurz getrennt wurden, weil sie fuer einen zusaetzlichen Corona-Test herausgezogen wurde. Josef verstand, er habe gesagt, es sei wie frueher bei den Deutschen gewesen: „Du nach links, du nach rechts“. Ich hatte das nicht gehoert, sonst haette ich noch hinzufuegen koennen: „Oder wie an den israelischen Checkpoints.“ Es war dennoch ein gutes Gespraech, und wir konnten uns als Menschen, nicht als Israelis, Palaestinenser oder Deutsche begegnen.

Zum Sonnenuntergang fuhren wir das Womo zum Sunset Rock, einem vorgelagerten Felsen mit herrlichem, fast 270-Grad-Blick ueber umgebende Landschaft, Kloester und Doerfer. Hier wollten wir uebernachten, machten uns einen Tee und gingen damit auf den Felsen, wo sich im Laufe der naechsten Stunde die „Vereinten Nationen“ einfanden, um dem Schauspiel des Sonnenuntergangs beizuwohnen. Neben uns sass ein italienisches Paar aus Genua und Turin. Er war Polizist und Teil einer mobilen Einsatztruppe, die insbesondere in Camps eingesetzt wird, in denen Gefluechtete festgesetzt werden, die wegen krimineller Handlungen schon mehrfach abgeschoben wurden und immer wieder mit Schmugglern zurueck kamen. Er sah natuerlich die Creme de la Creme der Gefluechteten und hatte ein entsprechendes Bild. Dabei war er kein Rechter. Er hatte eben nur dieses eine Bild. Ich versuchte, ihm anhand der irischen Auswanderungswelle in die USA Anfang des 20 Jhd.’s zu erklaeren, dass es Flucht vor Armut schon immer gegeben habe, und dass dies jetzt nichts anderes sei. Er verstand nicht, wovon ich sprach, faselte was von Nordirland und der Republik Irland. Seine Freundin war Kellnerin in einem Hotel, hatte mal angefangen, auf Elektroingeniereurin zu studieren, musste jedoch abbrechen, weil sie das Studium nicht finanzieren konnte und es in Italien wohl keine staatlichen Hilfen gibt. Es werden einem die Gebuehren erlassen, wenn die Eltern einkommensschwach sind. Nun, ihre hatten zu viel Geld, als dass man es ihr erlassen haette, jedoch zu wenig, um sie zu unterstuetzen. Nun kellnerte sie also. Wie schade!  Die beiden empfahlen sich schliesslich. Unserem Gespraech hatte ein aelteres daenisches Ehepaar gelauscht, und sie waren vollen Bewunderung ob unserer Geduld mit den beiden. Naja, solche Gespraeche ueber Gefleuchtete habe ich schon soooo oft gefuehrt. Da musste ich mich nicht mehr aufregen. Der Daene war Jazz-Musiker und hatte hauptberuflich fuer eine christliche daenische Organisation gearbeitet, die insbesonder Frauen in Kirgistan helfen will. Da die Verwaltung so viel Geld verschlang, beschloss er, seine eigene NGO zu gruenden, mit Jazzkonzerten Spendengelder zu generieren, die er dann persoenlich zu 100% den Menschen in Kyrgistan zukommen liess.

Genug ausgetauscht fuer heute. Haben spaet gekocht, einen Krimi geguckt und ab ins Bett. Neben uns schliefen zwei junge Leute in einem kleinen PKW. Wie sie ihre Sitze runterklappten und sich ein Lager bauten, erinnerte mich an die Fahrt, die Heide, ihre beiden Kinder und ich 1986 im Suzuki Swift nach Palaestina gemacht haben. 

Nachts kamen noch ein paar feierwuetige, die auf dem Sunset Rock noch ihr Unwesen trieben. Und ich hoerte zweimal die Glocken des Nahen Dreifaltigkeitsklosters, die sicher die Moenche zum Gebet riefen. Morgens wollte ich noch ein Kloster sehen, das weitab von den anderen nicht auf eine Felssaeule, sondern in eine Felsnische in der Hoehe gebaut und auch restauriert wurde. Wir gingen etwa eine Stunde zu Fuss eine kleine, ruhige Nebenstrasse entlang und trafen lediglich zwei Schildlkroeten, die sich unterhalb der Strasse im Laub balgten oder paarten und sich durch das Rascheln der trockenen Blaetter verrieten. Wir schauten ihnen eine Weile zu und gingen weiter durch die schwueler werdende sonntaegliche Stille. Josef wollte schon aufgeben, weil wir tatsaechlich nicht so genau wussten, wo das Kloster war. Aber da musste er nun durch mit mir, der Arme. Schliesslich entdeckten wir es hoch ueber uns in der Felswand. Leider war es geschlossen, aber das machte nichts. Allein, es gefunden und von aussen gesehen zu haben, freute mich. Mittlerweile haben die Moenche ja keine Angriffe mehr zu befuerchten, und es fuehren zu allen intakten Kloestern Treppen hinauf. Die Seilwinden werden nur noch fuer Fracht benuetzt. So konnten wir wenigstens die Treppe hinauf gehen bis zu einer Stahltuer in einer Felsspalte, dem einzigen Zugang zum Kloster. Als wir wieder hinunter kamen, lagerte eine Gruppe junger Griechen, drei Frauen und zwei Maenner, am Fuss der Treppe. Sie waren hier in Meteora „Studenten“ der einzigen Schule fuer Schnitzkunst in ganz Griechenland. Wir plauderten noch ein wenig, und dann fragte ich sie gezielt, was ihr Bild von den Deutschen sei, ob wir sehr unbeliebt seien, wegen der Schuldenkrise Griechenlands und Deutschlands Strenge ihnen gegenueber vor einigen Jahren. Sie waren chemisch rein, wussten gar nicht, wovon wir sprachen. Fuer sie zaehlten die Menschen. Es gaebe ueberall Gute und Schlechte, sagte die eine. Ein anderer sagte, alle Regierungen wuerden ihre Buerger „auffressen“. Die anderen enthielten sich der Stimme. Wir bedankten und verabschiedeten uns, tippelten zurueck zum Womo und machten uns auf den Weg in die grobe Richtung Athens, also nach Sueden. Hatten beschlossen, nun doch moeglichst bald nach Kreta ueberzusetzen, um dort vor der Olivenernte vielleicht noch ein paar Tage zu haben. Bisher hatten wir noch keine Buchung auf der Faehre, wuerden uns am Montag darum kuemmern muessen.

Die Fahrt war zunaechst eher oede, die Landschaft haesslich, zugemuellt, ueberall Schutt, Schrott und Hausmuell. Spaeter folgte viel Landwirtschaft, hauptsaechlich Baumwolle. Wir fuhren, seit wir in Griechenland sind, schon zum dritten Mal, an einer sehr schaebigen Ansammlung von Huetten aus Holz und Plastikplanen vorbei, umgeben von Muell und bevoelkert von kinderreichen Familien dunkler Hautfarbe. Sie waren immer in der Naehe von Landwirtschaft. Ich fand im Internet einen Artikel, der besagte, es gaebe hier eine ungezahlte Zahl von Zigane. Ausserdem gaebe es viel Bangladescher, die hier zu Sklavenbedingungen als Tageloehner in der Landwirtschaft schufteten und meist illegal hier seien, also auch keinerlei Rechte haben.

An den Ackerraendern lag die abgeerntete Baumwolle zu weissen Bergen aufgehaeuft. Bagger schaufelten sie in Laster, die droehnend an uns vorbei donnerten. Einmal hielten wir, wollten sehen, wie die weissen Baellchen geerntet werden. Gleich kam ein Bauer herbei und drueckte mir strahlend einen Batzen davon in die Hand, freute sich ueber unser Interesse. Leider konnten wir nicht mit ihm kommunizieren. Wir wunderten uns, dass sie die Pflanzen schon abernteten, obwohl sie zum Teil noch bluehten oder die Samenkapseln noch gar nicht aufgelatzt waren. Er konnte es uns nicht erklaeren. Im Internet lasen wir spaeter, dass Baumwolle, wenn man sie von Hand erntet, ueber einen langen Zeitraum geernet wird, weil die Samenkapseln eben nicht alle gleichzeitig reifen, wie bei anderen Feldfruechten. Aber bei der maschinellen Ernte geht das nicht. Dennoch ist letztere effizienter, wenngleich grosse Verschwendung.

Spaeter stand alles unter Wasser. Es war schon seit dem Morgen bewoelkt, und wir hatten mit Regen gerechnet, aber es hatte offenbar alles hier in dieser ebenen Einoede abgeregnet.   Als wir wieder in huegeliges Gelaende kamen, hielten wir am einzigen Gemuesestand weit und breit und kauften ein bisschen ein. Die beiden alten Leutchen, deren grosser Gemuesegarten gleich hinter ihrem Stand war, waren sehr nett. Ich dachte, sie habe sich verrechnet, weil sie fuer alles, was ich ihr auf die Waage gelegt hatte, nur 2,50 EUR wollte. Aber es war wohl richtig. Und nicht genug: Als ich wieder am Auto war, kam sie hinterher gesprungen und drueckte uns noch einen Haufen Weintrauben in die Hand!  Josef hatte einen Tee gekocht, und als ich draussen stand und eine rauchte dazu, winkten sie uns herueber, wir sollten uns doch zu ihnen an ihren Tisch neben dem Obststand setzen. Dann fing er an Walnuesse zu knacken und uns zu fuettern! Wie lieb! Und wie schade, dass wir nicht kommunizieren konnten. Haette sie gern gefragt, ob sie das mit dem Gemuese machen muessen, um zu ueberleben, oder ob sie es als Zubrot zur Rente und aus Freude daran machen.

Die Landschaft wurde wieder dramatischer, die Strasse wand sich in einer Achterbahnfahrt rauf und runter. Irgendwann waren es nur noch 25km bis Delphi, und wir beschlossen, bis dorthin zu fahren. Unterwegs kamen wir durch ein Staedtchen, an dessen Rand wieder so eine Holz- und Plastikplanenhuettensiedlung war. Wir hielten an, weil wir wissen wollten, was das fuer Menschen waren. Wir stiegen nicht aus. War, glaube ich, auch besser so. Es waren keine Bangladescher. Wir hatten im Internet gelesen, dass den Griechen die Bangladescher sind, was uns die Rumaenen: billige Erntehelfer. Mit dem Unterschied, dass die Bangladescher eben in mit Plastikplanen bedeckten, selbst gezimmerten Holzverschlaegen ohne Strom, Wasser und Abwasser hausen, parktisch alle illegal hier sind und oft gar nicht bezahlt werden. Im Jahr 2013 schoss ein griechischer Vorarbeiter auf Maenner die ihr lange geschuldetes Gehalt einforderten. Es wurden mehrere schwer verletzt, die Schuldigen von griechischen Gerichten freigesprochen, weil sie angeblich in Notwehr gehandelt hatten. Der EUGH hat dieses Urteil kuerzlich, nach vielen Jahren also, gekippt und die Schuldigen zu Schmerzensgeldzahlungen von 18.000 EUR pro Opfer, plus die ausstehenden Loehne verknackt. Die Bangladescher werden insbesondere fuer die Erdberrernte eingesetzt, damit wir im Norden schon im Maerz billige Erdbeeren essen koennen. Also: Haende weg von griechischen Erdbeeren im Fruehjahr!

Die Barackenstadt, an der wir hielten, war eher von Zigane besiedelt. Wir konnten uns nicht verstaendigen, aber binnen Sekunden kamen sehr viele, insbesondere Kinder und Jugendliche herbei, von denen jeder versuchte, sich schreiend Gehoer zu verschaffen. Eine junge Frau, deren Zelt direkt an der Strasse stand und zu einer Seite komplett ohne Wand war – dort stand ein grosses Bett – sah in Josefs Augen beinahe wie eine Kaeufliche aus. Aber ich glaube, sie kleiden sich einfach recht schrill. Wir suchten recht rasch das Weite, bevor die ganze Meute herbeieilen konnte.

Kurz vor Dunkelheit fanden wir ein Plaetzchen ausserhalb von Delphi, vor uns in der Ferne der Golf von Korinth, hinter uns die Berge, neben uns die Lichter von Delphi. Es war wieder heiss geworden, beinahe  30 Grad, und auch in der Nacht dauerte es lange, bis es abkuehlte. Hinzu kam, dass es sehr schwuel war, was die Mosquitos wieder aus ihren Loechern lockte. Trotz Fliegengitter vor den Fenstern hatte ich ueberall Stiche.

 

Dienstag, 6.10.2020

Delphi, Hosios-Lukas-Kloster, Golf von Korinth

Morgens machten wir uns auf ins Dorf Delphi, fuhren, ohne zu halten, in Richtung der antiken Ruinenstaette hinter dem Dorf und nahmen uns vor, spaeter im Dorf einen Kaffee zu trinken. Delphi, wunderbar dramatisch gelegen am Fusse des Parnassgebirges, war wohl schon vor den alten Griechen ein mystischer Ort, aber als Ort der Orakel, wo sich Machthaber und andere die Zukunft weissagen liessen, kam es erst ab dem 8. Jh. vor Christus „in Mode“. Angeblich hatte Zeus es ausserdem zum Nabel der Welt erklaert. Wenn positive Weissagungen wahr wurden, spendeten die so Beglueckten dem Orakel allerhand wertvolles Zeug, was dann in Schatzkammern rund um den Appollontempel aufgehoben wurde. So entstand also diese Ruinenstaette, die im 19. Jh. ausgegraben und zum Teil restauriert wurde. Wir parkten vor dem Museum auf einem Busparkplatz, waren hier zunaechst allein. Kurz darauf, als wir eben ins Museum wollten, kamen zwei Reisebusse, und Josef lief hin, um zu fragen, ob er wegfahren solle. Die Busfahrer kamen ihm zuvor und fragten, ob sie wegfahren sollten, ob sie ihm im Weg standen! und dann meinten sie er solle stehen bleiben, das waere schon in Ordnung so!Man stelle sich das mal in Deutschland vor! Gefressen haetten sie ihn wahrscheinlich.

Brav durchliefen wir das ueberschaubare Museum mit den bei den Ausgrabunggen gefundenen „Goodies“ und waren froh, dass wir aufgrund von Corona-Auflagen maximal 5 Minuten in jedem Saal verbringen durften, obwohl es eigentlich leer war. Danach trotzten wir Hitze und Schwuele und arbeiteten uns durch die Ruinenstaette. Ich war schon das eine oder andere Mal zwischen solch abgebrochenen Saeulen unterwegs, und irgendwie war es immer gleissend und heiss. Dennoch fand ich es dieses Mal spannender. Mein Handy verriet mir einiges an Info, was unser kleiner Polyglott-Reisefuehrer uns nicht verriet, und vielleicht muss man auch ein gewisses Alter erreichen, bevor man so was spannend finden kann. Josef sagte im Nachhinein, die Hitze habe ihn sehr geschlaucht. Nun, ich empfand es nun auch nicht als Spaziergang durch schattigen Wald. Zwei Aufseherinnen ruegten uns, weil wir am beinahe einzigen Baum schuettelten, um eine Mandel zu erbeuten. Wie dumm auch von uns! Haetten es andere getan, haetten wir mit dem Kopf geschuettelt. Wir entschuldigten uns und kamen ein wenig ins Gespraech. Eine war junge Mutter, und die andere stand kurz vor der Heirat. Josef gab ihnen mit auf den Weg, sie sollten ihren Maennern das Motto „Happy Wife, happy life!“einblaeuen. Sie lachten sich kapputt und versprachen, es zu versuchen.

Ueberall zwischen den Ruinen wuchsen wilde Malven, und ich haette zu gern ein Gemuesenetz dabei gehabt, um welche zu sammeln. Auf unserer Marokko-Reise hatte ich daraus immer spinatartiges Gemuese gemacht. Sehr lecker!

An der Strasse im Schatten stand ein Womo mit deutschen Kennzeichen. Wir waren neugierig und sprachen die Leute an. Es war eine junge Familie mit einer 10-jaehrigen Tochter und einem etwa 3-jaehrigen Sohn. Sie waren schon seit 1,5 Jahren unterwegs, hatten sich in Deutschland abgemeldet, so dass die Tochter nicht zur Schule ging. Wir hatten vor Jahren in Dubai schon zweimal Ehepaare kennengelernt, die das genauso handhabten und der Ansicht waren, die Kinder wuerden auf diesen Reisen lernen, was sie brauchen wuerden. Das Maedchen war in der Tat aufgeweckt und plietsch, erzaehlte uns alles, was sie ueber Hermes, den Goetterboten wusste, aber ob sie das ihren Eltern irgendwann danken wuerde? Sie wolle eines Tages Meeresbiologie studieren, sagte ihre Mutter. Naja, Deutschland ist ja nicht das Mass aller Dinge, und anderswo wuerde das vielleicht auch ohne Abitur gehen.

Auf der gegenueberliegenden Strassenseite war noch ein kleiner Teil der Ruinenstaette, insbesondere die drei uebrig gebliebenen Saeulen des Tempels der Athene, die zum Symbol der Ruinenstaette wurden. Auch diese besahen wir pflichtschuldig, und dann war genug herum gestapft in der Hitze. Die anderen Touristen sassen alle wie die Huehner auf der Stange im Schatten der Baume vor dem Museum und guckten in ihre Handies.

Wir fuhren, anstatt zurueck in das Dorf Delphi, weiter in unsere grobe Fahrtrichtung Athen (denn wir hatten morgens endlich unsere Faehre von Pireus nach Kreta fuer den Abend des 7.10. gebucht) und ins naechste Oertchen, Arachova, ein sehr schoenes kleines Staedtchen, an die Steilhaenge des Gebirges geklebt und im Winter wohl Skiort, was heute, am 6.10. und bei 30 Grad, kaum vorstellbar war. Machten in einem kleinen verschlafenen Cafe an der Strasse ein Paeuschen und tippelten dann diverse Treppen rauf und runter und kreuz und quer durch enge Gaesschen, bis wir genug hatten. Mittlerweile war es nach 18:00, und wir wollten einige KM weiter beim Hosios Loukas Kloster, das in unserer Strassenkarte zwei Sterne hatte und auch im Polyglott Erwaehnung findet, uebernachten. Die kleine Landstrasse wand sich durch die Berge Richtung Suedosten. Wir fuhren durch ein Oertchen namens Distomo, wo auch einer mehrsprachigen Tafel hingewiesen wurden auf ein „Denkmal zur Erinnerung an die von den Deutschen Nazis abgeschlachteten Dorfbewohner“. Wir sahen es zu spaet, es war fast dunkel, und wir konnten auf der engen Stasse weder anhalten noch wenden.

Morgens legten wir unser Bettzeug zum Lueften auf die Klostermauer in die Sonne. Dann besichtigten wir das Kloster. Dem Refektorium fehlte das Originaldach, und ich fragte die Dame an der Kasse, was damit passiert sei. Die Nazis hatten es bombardiert. Auch das mit Eisen bewehrte urspruengliche Haupteingangstor des Klosters war von Kugeln der Deutschen durchloechert.  Spaeter im Auto las ich Josef aus dem Internet vor, dass die Wehrmacht waehrend der Besatzung 1500 Doerfer zerstoert habe. Die Griechen hatten einen Partisanenkrieg gegen die Nazis gefuehrt, und wo immer die Deutschen Partisanen vermuteten, zerstoerten sie alles und erschossen alle. Wo immer wir in Europa in den letzten zwei Jahren hin kamen, lasen und hoerten wir von den Grausamkeiten des Zweiten Weltkrieges und wunderten uns, dass man uns dennoch mit Freundlichkeit begegnete – auch wenn es alles ueber 70 Jahre her ist.

Das Kloster, das einst von 150 Moenchen bewohnt wurde – heute von ganzen vier – war ein Augenschmaus, an einen sanften Berg geschmiegt, ein weites, pastellfarbenens Tal mit Olivenhainen und dazwischen den kerzenartig aufragenden dunkelgruenen Zypressen ueberblickend, drum herum sanft ansteigende, Berge mit abgerundeten sandfarbenen Kuppen, darunter, Macchia, darunter wiederum Steineichen, sanft uebergehend in Olivenbaeume im Tal.  Der Himmel war nun schon den zweiten Tag zwischen gleissend hell und grau, und es war noch immer heiss und schwuel, so dass man dachte, jeden Augenblick tobt ein Unwetter los. Allein, es tat sich den ganzen Tag nichts. Nach einem Kaffeepaeuschen im Klostergarten bei oben beschriebener Aussicht sammelten wir um das Womo herum noch ein paar Mandeln auf. Die Moenche sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Sie bewirtschafteten das Land offenbar nicht mehr und ernteten nichts ab. Wir machten uns langsam auf den Weg. Ein paar KM hinter dem Kloster,  kurz vor dem naechsten Dorf mitten in der bergigen Idylle aus Aleppokiefern, Steineichen und Macchia hatten die Dorfbewohner offenbar alles, was sie nicht mehr gebrauchen konnten, einfach einen Abhang hinunter geworfen. Das Thema Abwasser hat Griechenland offenbar ganz gut im Griff, bei der Muellentsorgung hapert es noch gewaltig.

Wir fuhren durch ein halbes Dutzend Doerfchen, manche davon ganz huebsch, andere voellig verbaut und haesselich. Ob sowas nur an der jeweiligen Verwaltung liegt? Nun ja, wenn ich unser Aich so anschaue, denke ich: Ja, es liegt auch an der Verwaltung. Wenn da nur ideenlose Schnarcher sitzen, tut sich eben nichts. Gerade hatten wir Buergermeisterwahl in Aich, und meine favoristierte Kandidatin ist weit abgeschlagen. Der zweite im Rennen ist ganz nah dran, und ich hoffe, in der Stichwahl gewinnt er gegen den Bisherigen.

Als wir gerade ueber die enge Hauptkreuzung eines kleinen Dorfes fahren wollten, kam uns ein Bus entgegen. Josef hielt hoeflich, um dem Fahrer den Vortritt zu lassen, woraufhin der mitten auf  der Kreuzung anhielt und diese versperrte. Von links kam eine Trauergemeinde gelaufen, und der Fahrer stieg aus, um einen Plausch mit selbiger zu halten, vielleicht sein Beileid zu bekunden.  Naja, wir waren ja nicht in Eile.

Eben meinte Josef, wir wuerden ja nun nichts neues mehr entdecken hier und koennten doch eigentlich diese Kleckerstrassen jetzt mal hinter uns lassen und auf eine Hauptstrasse fahren, damit wir mal vorankaemen, denn wir wollten eigentlich noch bis Korinth fahren, den Kanal durch den Isthmus bewundern. In dem Moment entdeckte ich eine Pflanzung mit Pistazienbaeumen! Ich hatte sie vor Kurzem gegoogelt, weil ich wissen wollte, wie sie aussehen. Nun hatten wir sie leibhaftig vor uns, schaelten ein paar der noch ganz unreifen Nuesse aus: Der Kern war noch mit einer suesslich schmeckenden, klaren Fluessigkeit gefuellt. Lecker!

Die noch immer bergige Landschaft wechselte zwischen Macchia und Nadelwald. Uns fielen Tannen auf, die in ihren Kronen sehr viele Tannenzapfen trugen. Diese waren zum Teil voellig verharzt, zum Teil ganz zerfleddert. Wir fragten uns, ob dies wohl eine Folge der Trockenheit war, die Survival-Strategie der Art, ein letztes Aufbegehren vielleicht, bevor der Baum sich der Trockenheit ergibt und stirbt?

Nach fast vier Stunden Autofahrt hatten wir genug. Wir fuhren an eine Bucht am Golf von Korinth, fanden eine Wochenend- / Sommerkolonie, die zum groessten Teil schon im Winterschlaf war, parkten unser Womo zwischen den vielen „Camping-Prohibited“-Schildern und anderen Womos am Kiesstrand und sprangen als allererstes ins Wasser. Herrlich! Das Wasser war unglaublich klar und erfrischend, wie immer bisher hier in Griechenland.

 

Donnerstag, 8.10.2020

Golf von Korinth, Piraeus, Ueberfahrt nach Kreta, Agios Nicolaos

Wir schliefen nicht besonders gut, wurden von Muecken geplagt. Aber Josef qualifizierte sich zum „Tapferen Schneiderlein“, erschlug in der Nacht fuenf Stueck und morgens nochmal zwei! Wir tuettelten ein bisschen um das Womo herum, radelten morgens, waehrend sich vereinzelte Sonnenanbeter am Kiesstrand einfanden, an der Kueste entlang bis zum naechsten Dorf, und zurueck, tranken noch einen Tee im Schatten des Womos. Es war wieder recht gnadenlos heiss und schwuel, und ich war versucht, nochmal ins Wasser zu springen. Aber wir machten uns lieber auf Richtung Piraeus, da wir keinerlei Buchungsbestaetigung bekommen hatten und nicht recht wussten, ob die Faehrgesellschaft von uns wusste. Wollten die 60 KM nicht ganz schnurstracks fahren, und ich suchte uns eine Route ueber Landstrasse. Wir sahen viele Pflanzungen mit Pistazienbaeumen!

Laut Navi fuehrte diese ueber eine Insel, die jedoch – so unsere Interpretation – durch Bruecken mit dem Festland verbunden sein sollte. Ploetzlich standen wir vor dem Meer, und die Strasse war zu Ende. Das Inselvolk der Griechen macht alles mit Booten und Faehren. Wir bezahlten 5,60 EUR und fuhren zu unserer Freude mit der Faehre auf die Insel und fuer weitere 7,00 EUR wieder auf das Festland, direkt bei Piraeus. Fanden schwuppdiwupp das Buero der ANEK, holten unsere Tickets ab, fuhren in den Hafen, wo mindestestens 10 riesige Faehrschiffe auf ihre Ladung warteten. Von hier werden wahrscheinlich fast alle griechischen Inseln mit allem versorgt, was sie brauchen. Da wir nun bis zur Abfahrt um 21:00 noch Zeit hatten, drehten wir eine Runde durch das Stadtgebiet rund um den Hafen. Ich sprach zwei junge Bangladescher an, die auch auf eine der Faehren warteten. Sie sprachen ein wenig Englisch, sahen wohl genaehrt und selbstbewusst aus, waren im Stil der Bangladescher Staedter modisch gekleidet, erklaerten, sie arbeiteten in der Landwirtschaft, der eine sei verheiratet mit zwei Kindern, die Familie aber in Bangladesch, der andere noch nicht. Spaeter kamen wir nochmals mit ihnen ins Gepraech, und da stellte sich heraus, dass der eine von beiden jahrelang im Libanon gearbeitet hatte und gut Arabisch sprach, so dass wir nun ein bisschen genauer nachfragen konnten. Sie bekommen 30 EUR fuer jeden Arbeitstag, vermutlich brutto fuer netto, weil alles schwarz. Sie hatten einen Fluechtlingsausweis – welchen Aufenthaltsstatus, konnte ich nicht herausfinden. Aber sie durften legal arbeiten. Und sie zogen den jeweils zu erntenden Fruechten hinterher: Im Fruehjahr Erdbeeren auf dem Peleponnes, jetzt im Herbst Oliven auf Kreta. Sie wirkten nicht besonders bekuemmert, ob ihrer Situation, oder gar versklavt. Im Gegenteil. Der Verheiratete sagte ganz sachlich, er mache das jetzt noch ein paar Jahre, und dann ginge er zurueck in die Heimat. Und jedem, der sich bei der Lektuere dieser Zeilen echauffiert, weil sie ja Fluechtingsstatus hatten, sei gesagt: Die Menschen sind schon immer dahin migriert, wo es etwas zu essen gab.

Die Hafengegend war, wie in den meisten Faellen, nicht besonders heimelig. Im Eingangsbereich eines Hauses waren zwei Ecken eingerichtet wie Open-Air-Schlafzimmer. In der einen sass ein Mann, in der anderen eine Frau. Es war wohl ihr Zuhause. Zu gern haette ich mich mit ihnen unterhalten, haette gern ergruendet, ob ihnen tatsaechlich nichts anderes uebrig blieb, ob sie Opfer der griechischen Finanzkrise waren,…

Wir assen noch im Womo zu Abend, packten ein Rucksaeckchen fuer die Nacht in der Kabine, fuhren das Womo um 19:30 auf’s Parkdeck der Faehre, bezogen unsere Kabine mit Blick auf den Bug des Schiffes und davor das Meer, nahmen unser Bierchen mit an Deck, schautem dem bunten Treiben im Hafen zu, wunderten uns, wie sie all die Sattelauflieger auf unserer Faehre unterbringen konnten und legten puenktlichst um 21:00 ab. Unsere Faehre ging nach Heraklion, und direkt neben uns war auch so ein Koloss vertaeut, der nach Chania ging, gleich nach uns ablegte und dann lange Nase an Nase mit uns fuhr.

Die Kabine war sehr stickig. Die Dame an der Rezeption sagte, das liege daran, dass sie aufgrund von Corona die Klimaanlagenluft nicht umwaelzen duerfen, sondern frische Luft von aussen zufuehren muessen, die die Klimaanlage nicht heruntergekuehlt kriegt – zumal das Schiff den ganzen Tag im stickigen Hafen lag. Na gut, wenigsten konnten wir uns lang machen, und ein paar Stunden werden wir schon geschlafen haben. Kamen um 7:00 morgens in Heraklion an, waren sehr schnell runter von der Faehre und suchten uns einen Parkplatz am Wasser zum Fruehstuecken. Meine Mission hier war es, unsere Waesche irgendwo gewaschen zu kriegen, da ich bei Cousine Sylvia nicht gleich als erstes darum bitten wollte, mir aber langsam luftige Kleidungsstuecke ausgingen. Wir fanden eine Waescherei, aber recht teuer: 8 EUR pro Maschine mit Trocknen. Selfservice-Waschsalons gab es hier nicht.  Wir liefen die gemuetlichen und im Laufe des Vormittags immer lebendigeren Altstadtgassen rauf und runter. An einer kleinen Kreuzung sass eine alternde Diva im Frotteekleid und rauchen in ihrem Vorgarten. Sie sprach uns auf gutem Englisch an, wollte wissen, woher wir kamen, erzaehlte ihr Ex-Mann sei Amerikaner gewesen und sie habe viele Jahre in Tampa, Florida gelebt, wo nun auch ihre Kinder lebten, zu denen sie auch zurueck wollte, sobald Corona es zulassen wuerde. Ein Streunerkater kam des Wegs und reckte sich an ihrem Stuhl hoch. Mitten im Gespraech mit uns quetschte sie voellig ungeruehrt mit einer Hand hoch ueber einem Napf eine Packung Nassfutter aus, so dass der Saft nach allen Seiten spritzte. 

Wir suchten uns zwischen Laedchen fuer alles und jedes, ein paar Fisch- und Gemuesestaende und vielen, vielen Cafes eines aus  und machten es uns gemuetlich, bis die Waesche fertig war.

Da Sylvias Oliven offenbar noch nicht sofort geerntet werden mussten, konnten wir nun noch ein wenig ueber die Insel tuetteln und fuhren zunaechst an der Nordkueste in oestlicher Richtung von Heraklion weg. Kreta sah sehr, sehr karg und trocken aus. Mal schauen, was es noch bringen wuerde.

 

Samstag, 10.10.2020

Agios Nikolaus, Mirsini, Vai

Alle Welt war schon auf Kreta, so auch unsere gute Yvonne aus Aich mit ihrem Harry. Sie waren damals in einem Kuestendoerfchen namens Sisi, oestlich von Heraklion, und haben mit dem Roller u.A. einen Ausflug nach Agios Nikolaus gemacht. Wir wandelten ein wenig auf ihren Spuren, fuhren als erstes nach Sisi und drehten mit dem Fahrrad eine Knierunde, um mein eingerostetes vorderes Kreuzband wieder zu schmieren.  Nichts Spektakulaeres, aber der touristische Teil am Hafen unten ganz gemuetlich. Von dort fuhren wir weiter nach Agios Nikolaus, was sich wirklich lohnte. Ein sehr nettes Staedtchen mit grossem, sehr huebsch gestalteten Stadtkern. Wir fanden einen Stellplatz am Jachthafen, lauschten dem Heulen der Masten im Wind, aßen im Womo und gingen danach noch „auf die Gass“, auf der Suche nach einer netten Kneipe fuer ein Glaeschen Wein. Agios Nikolaus ist auf ein paar Buckeln am Meer gebaut, hat den kleinen Segelhafen und einen etwas groesseren Faehr- und Fischerhafen. Letzterer ist ueber einen ganz kurzen Kanal mit einem kleinen Lagunensee verbunden, der von einer Seite von einem Felsen begrenzt wird und ansonsten von lauter Lokalen umgeben ist. Warscheinlich war das einst der natuerliche Hafen der Stadt. Die Ladenzeilen winden sich die kleinen Buckel rauf und runter. In einer engen Gasse, gleich neben der Kirche, fanden wir eine nette Kneipe mit Tischen auf den schmalen Buergersteigen beidseitig der Gasse, durch die tatsaechlich auch noch Autos fuhren, so dass man die Fuesse einziehen musste. Um uns herum waren nur Griechen, u.A. neben uns zwei Maenner, die sich irgendwie ueber’s Tauchen unterhielten, mal Griechisch, mal Englisch sprachen. Als sie gehen wollten, sprach Josef sie an, und wir kamen ins Plaudern. Victor war viele Jahre lang in Athem stationierter Marinetaucher und beschloss vor einem halben Jahr, nachdem seine Freundin offenbar gegen seinen Willen die Schwangerschaft abgebrochen hatte, sein Leben umzukrempeln, machte die PADI-Tauchlehrerausbildung und kam hier raus, um fuer eine Tauchbasis zu arbeiten. Sein Kumpel Giorgo hatte eine hollaendische Mutter und eine griechischen Vater von hier um die Ecke. Er hatte die letzten 15 Jahre in Holland als LKW-Fahrer gearbeitet, war geschieden und hatte zwei Toechter, hatte gewartet, bis beide Maedchen fluegge waren, und dann auch sein Leben umgekrempelt, war hierher, in die Heimat des Vaters gekommen, hatte auch einen Tauchlehrerschein gemacht und arbeitete mit Victor fuer denselben Tauchladen. Sie wirkten beide recht zufrieden mit ihrer Entscheidung. Es fuehlte sich auch anders an, als die westlichen Tauchlehrer, die wir in den Tropen gesehen hatten, die vermeintlich ausgestiegen waren, jedoch zynisch, frustriert und alkoholisiert wirkten. Diese beiden waren ja in vetrauten Gefilden geblieben, im eignen Sprachraum, in der Naehe ihrer Familien. Sie erzaehlten ueber ihren Tauchlehreralltag, und es war unterhaltsam und spannend. Aber der Tag war nun schon sehr lang geworden, und es war wirklich Zeit, ins Bett zu kommen.

Morgens liefen wir das Staedtchen nochmals bei Tageslich ab, sahen nun doch einige Touristen, aber es hielt sich sehr in Grenzen, und die Touristenlokale und Kruschtellaedchen kaempften um jeden Kunden. Die Armen! Drecks-Corona! Wir suchten eine Post, um ein paar Postkarten loszuwerden, fragten eine junge Frau nach dem Weg:  Eva aus Thessaloniki, die einige Jahre in Berlin gelebt hatte, freute sich, mit uns Deutsch plaudern zu koennen und begleitete uns bis zur Post. Sie hatte in Berlin in einem bayrischen Lokal als Koechin gearbeitet! Welcome to globalization. Berlin hatte ihr zwar gefallen, aber die Stadt sei zu crazy, hatte sie zu sehr gestresst, so dass sie krank, depressiv wurde. Nun war sie zurueck gekommen und hatte sich eine Stelle auf dem entspannten Kreta gesucht. Hier sei es herrlich. Ich fragte sie, was genau ihr hier gefalle, und sie meinte, es sei wie Afrika hier. Alles gaebe es hier: Mangos, Bananen, Avocado,… Ach, was! Bis jetzt sah es fuer mich hier sehr, sehr arid aus. Aber es gab gewiss auch noch andere Ecken. Eva zeigte uns ihre Arbeitsstelle, eine Fakultaet fuer Tourismus, wo sie jetzt in der Buchhaltung arbeitete, was zwar inhaltlich nicht gerade ein Traumjob sei. Aber dafuer sei die Stimmung sehr gut und sie konnte nun hier leben. Sie bot uns an, falls wir irgend etwas braeuchten, sie aufzusuchen. Das hatten wir hier schon mehrfach erlebt – diese Freundlichkeit.

Es waren dunkle Wolken aufgezogen, und der Hafenwart, der uns fuer 3 EUR freundlicherweise Wasser fuer’s Womo gegeben hatte, ein juengerer Mann – halb Englaender, halb Grieche – hatte uns vorher gesagt, dass es mittags regnen sollte, und dass der Regen schon einen Monat ueberfaellig war. Wir zogen uns unter die Markise eines Altherrencafs zurueck, wie sie es hier an jeder Strassenecke gibt und die uns sehr an die arabischen Laender erinnern, nur dass die Cafés und die alten Herren ein bisschen schicker sind. Tranken einen Kaffee und warteten auf den grossen Regen, der jedoch nicht kam. Es roch ein bisschen nach Regen, und ein paar Autos kamen ein wenig benetzt vom Berg herunter gefahren, aber mehr war nicht.

Wir machten uns auf den Weg weiter in Richtung Osten der Insel, fuhren die herrliche Serpentinenstrasse mit immer wieder dramatischen Ausblicken auf das unwirklich blaue Meer mit seinen knochentrockenen, sandfarbenen Inseln. Die Inseln waren zur Zeit der Minoer, den Vorgaengern der Hellenen hier auf Kreta, also vor 3000 bis 4000 Jahren noch bewohnt. Man fand Reste von Palaesten, von reich bestueckten Graebern und Spuren von grossen Mandelbaumpflanzungen. Es musste hier also entweder mal deutlich mehr Regen gegeben haben, oder sie waren damals Bewaesserungskuenstler, wie die Omanis, und haben es verlernt.

Immer wieder klebten an den Steilhaengen oder thronten auf einem Felsvorsprung kleine weisse Doerfer. Und obwohl die Architektur nicht so huebsch und homgen ist, wie z.T. auf den Kykladen oder in der Toskana, sind die Doerfer doch schoen anzusehen und haben eine gute Atmosphaere. Wir hielten im erstbesten, wo wir das Womo einigermassen verkehrsicher abstellen konnten, Mirsini, durchwanderten seine kleinen steilen Gaesschen, schauten in die niedlichen kleinen Hoefe mit ihren Weinstoecken, Blumentoepfen, schlaefrigen Katzen und den kleinen blauen Stuehlchen auf Miniterrassen. Ein alter Herr, der gerade vor seinem Haus stand, fuetterte uns mit Weintrauben von seiner Rebe. Frueher wurden die mal verarbeitet. Aber nun war er wahrscheinlich allein hier, und es gab niemanden mehr, der sich kuemmern konnte. Auf einem Maeuerchen vor einem Haus sassen die 76-jaehrige Maria und ihr Sohn Adonis, bei dessen Namensgebung wohl der (unerfuellte) Wunsch Vater des Gedanken war. Sie waren auf entspannte Art freundlich. Im Dorf lebten einst 300 Menschen, jetzt noch 40 oder 50. Die Mutter lebte hier allein. Adonis arbeitete unten in Sisi am Strand als Barkeeper, bewirtschaftete aber nebenher noch die 100 Hektar Olivenhaine, die sie ueberall hier verstreut besassen. Er war muede und verschwitzt, hatte unter den Olivenbaumen gemaeht und fuer die Auffangplanen Platz gemacht, weil demnaechst die Ernte beginnen wuerde, bei der ihm zwei Kumpels helfen wuerden. Wir erzaehlten ihm, dass wir zum gleichen Zweck auf dem Weg zu Josefs Cousine seien, und er meinte, wir koennten einfach bleiben und ihm helfen. Das waere bestimmt ein nettes Projekt fuer viele Deutsche: Um diese Zeit herkommen und helfen fuer Kost und Logis. Natuerlich seien die Oliven und das Oel hier im Osten Kretas die besten ganz Griechenlands, und natuerlich gelte dasselbe fuer Wein und Raki, den sie selbst machen. Logisch! Voller Stolz zeigte er uns seine Plastikfaesser mit der Maische, die er demnaechst abgiessen wuerde fuer den Raki. Wir probierten den Wein. Farbe und Geschmack erinnerten ein bisschen an Sherry. Ob die Mutter Rente bekaeme. Ja, 600 EUR. Das sei ja gar nicht so schlecht, sagte ich. Sie habe immer selbst einbezahlt, erklaerte Adonis. Hier ist es so, dass auch nicht sozialvericherungspflichtig Beschaeftigte in den Pensionstopf einzahlen koennen, soviel so wollen bzw koennen und dann im Rentalter eien entsprechende Rente bekommen. Adonis zahlte nicht so viel ein wie einst seine Eltern, erzaehlte er.

Josef speicherte seine Nummer ab, fuer den Fall, dass wir nach Sylvia und Mike noch mehr Oliven wuerden ernten wollen, und wir fuhren weiter Richtung oestliche Spitze, bis wir kurz vor Dunkeleheit an einem Weg oberhalb der Steilkueste ein ebenes Plaetzchen fanden, wo wir das Gefuehl hatten, nicht im Weg zu stehen. Die Nacht war klar und sehr, sehr still. Im Morgengrauen kam die erste Ziegeherde bimmelnd vorbei geschlendert, futterte die von mir rausgeworfenen Gemueseschalen, gleich darauf fuhren diverse Pickups mit klaeffenden Hunden auf der Ladeflaeche an uns vorbei. Nanu! Als wir nach dem Fruehstueck eine kleine Wanderung hinunter zum Meer machten, hatten wir die Erklaerung: Das waren Jaeger. Was konnten sie hier in dieser Kargheit die uns zunehmend an die Kueste Omans erinnerte, finden? Zwei der Jaeger waren mit ihrem Hunderudel auf unserem Weg, und wir wussten nicht recht, ob es klug war, weiter zu gehen, gingen dann langsam auf sie zu. Alle blieben friedlich, die Jaeger stoerten sich nicht an uns, zeigten uns die Beute: ein kleiner, magerer Hase – nass und klebrig in einer Plastiktuete! Der arme Hase. Das hatte er sich wahrscheinlich auch nicht so vorgestellt, als er heute frueh aufgewacht war und friedlich muemmelnd in der Morgensonne sass. Aber jedes Mal, wenn mir solche Gedanken kamen – auch bei den harpunierenden Schnorchlern ueberall – musste ich mir gleichzeitig sagen, dass es der Welt beser ginge, wenn jeder Mensch das Stueck Fleisch, das er unbedingt essen will, selbst jagen muesste, und dass das alles sehr harmlos und nachgerade „tierlieb“ ist im Vergleich zu unserer industriellen Massentierhaltung.

Seit wir in Griechenland waren, begleiteten uns in der Landschaft Blumen, die wie eine Kerze, aus lauter kleinen weissen Blueten bestehend, teilweise ueber einen Meter hoch aus einer Zwiebel heraus wuchsen. Sie erinnerten uns an Sandaale am Meeresboden, wie ihre Koepfe je nach Windrichtung und -staerke mal hier- mal dorthin geneigt waren, wie Sandaale in der Stroemung.

Unser naechster Halt war in einer kleinen Bucht namens Vai mit minoischen Ruinen daneben, einem Wadi mit Dattelpalmen, einem huebschen Wohnhaus darueber. Wir vermuteten, dass sie die Steine der minoischen Siedlung benuetzt hatten fuer ihr Haus. Es sei ihnen nachgesehen, denn, erstens hat hier wirklich jedes Dorf seine eigenen antike Staette, und, zweitens haben Menschen schon immer das Baumaterial vergangener Siedlungen benuetzt. Warum nicht? Die Dattelpalmen scheinen hier relativ einzigartig zu sein. Es gab sie sonst nur hier und da vereinzelt, hier dagegen sah es aus wie in einem Wadi der arabischen Halbinsel. Die Fruechte schmecken wie richtige Datteln, sind jedoch winzig klein mit einem recht grossen Stein, so dass kaum Platz fuer Fruchtfleisch bleibt. Ob sie die frueher wohl genuetzt haben? Bestimmt. In dieser kargen Landschaft hier gab es sicherlich nie irgend etwas im Ueberfluss.

Hier war es so schoen, dass wir blieben. Im Laufe des Tages kamen und gingen diverse Badegaeste, die Jungs und Maenner meistens mit Angel ausgestattet. Ein paar Schnorchler waren auch unterwegs – meistens mit Harpune. Das Wasser war unglaublich klar mit einer Horizontalsicht von mindestens 15 Metern. Von so etwas konnten wir in Dubai und im Oman nur traeumen. Aber dafuer gab es hier ueberhaupt kein Leben unter Wasser: keine Korallen, keine Fische, keine Schnecken, nicht mal schnoede Seegurken. Und das bisschen, was es schaffte, sich irgendwo zu verstecken, spuerten die Schnorchler auf. Sie brachten zwei wunderschoen gezeichnete Muraenen mit an Land, haeuteten und zerlegten sie gleich dort und erklaerten uns, nur die vordere Haelfte sei essbar. Hmm…. uns Tauchern blutete das Herz.

Wir paddelten ein wenig mit dem Kayak raus und lasen am Strand. Endlich hatte ich in unserer Sammlung ein spannendes Buch gefunden: „Unorthodox“ von Deborah Feldman, den authentischen, autobiografischen Bericht des Ausstiegs einer jungen chassidischen Frau aus ihrer juedisch-orthodoxen Gemeinde in New York. Josef ging derweil bei seiner Lieblingstemperatur von 30 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit 10 km joggen. Nordoestlich von uns verjuengte sich die Spitze Kretas zu zwei durch einen Flaschenhals  mit der Insel verbundenen „Wurmfortsaetzen“. Die lief er entlang bis zu einem Militaerposten, der den aeusserten Zipfel okkupierte, und zurueck. Der Militaerposten war angesichts der tuerkischen-grieschischen Scharmuetzel um  Festlandsockel und Rohstoffe sicherlich in erhoehter Alarmbereitschaft.

Wir umliefen auch brav die Ruinenstaette, die voller Tonscherben war. Josef wollte auch gern so ein antikes Tonbehaeltnis zusammen finden, wie ich sie aus Scherben aus einem verlassenen Dorf in Marokko zusammen gesetzt hatte. Er haette damals nie gedacht, dass ich sie zusammenpuzzeln kann und war bei meiner Suche nach den Scherben recht ungeduldig gewesen, was er nachher bereute. Er hoffte immer, nochmal auf so eine zusammenhaengende Scherbensammlung zu treffen. Aber das war hier muessig, denn der ganze Ruinenhuegel war eine einzige Tonscherbe.

Wir schliefen herrlich in dieser einsamen Bucht, neben uns ein Nuernberger mit Van, der allerdings in Athen als Buehnenfotograf arbeitete und aussah wie ein Schauspieler aus einem Action-Film: Glatze und taetowiert bis an die Halskrause.

Abends zoomten wir mit Sabine und Juergen in Dubai, sowie Thorsten und Karin in Moskau in einer Sechser-„Schalte“ (Welch daemliches neues Wort – Auswurf der Corona-Lockdowns). Haben das jetzt in dieser Runde schon ein paarmal gemacht, und es ist ein recht nettes Ritual, hilft uns, in Kontakt zu bleiben. Und es war sehr lustig. Unser Nuernberger nebenan wird wahrscheinlich ein bisschen geflucht haben, aber er war morgens immer noch freundlich zu uns.

 

Dienstag, 13.10.2020

Vai, Xerocampos, Ierapetra

Hatten wir auf unserer gesamten Reise, insbesondere in Ungarn, Rumaenien und Bulgarien, ueberhaupt keine westlichen Womos oder Touristen gesehen, so waren es hier auf Kreta umso mehr.  In Vai am Strand war am Vortag eine grosse israelische Familie unterwegs, neben uns der Nuernberger. Am spaeten Vormittag kam ein aelterer Herr aus Kiel des Wegs, der auch in einem Van unterwegs war. Wir kamen ins Gespraech, luden ihn zu einem Tee ein, und er erzaehlte bereitwillig – wie alle, die wir hier treffen: Er war Heilpaedagoge an einer Foerderschule in Kiel, hat spaeter mit seiner Frau zusammen, ebenfalls Heilpaedagogin, eine eigene Praxis  oder Schule gegruendet, die sie lange gemeinsam gefuehrt haben. Nun war er wohl in Rente gegangen und viel allein unterwegs, waehrend seine Frau die Praxis weiterfuehrte. Wir fragten ihn nach seiner Arbeit mit den „Special Needs“ Kindern, und er erzaehlte viel, resuemierte am Schluss, dass er gegen Ende seines Berufslebens eine Lehre gezogen habe aus seiner Arbeit: Das Beste, was man erreichen kann als Heilpaedagoge, ist sich in die Kinder und Jugendlichen hinein zu versetzen, in „ihre Haut zu Schluepfen“ – nur dann koenne man sie wirklich foerdern und ihnen helfen. 

Er hatte insbesondere den Peloponnes bereist und sich dort wiederum in die mittlere suedliche Halbinsel Mani verliebt, hatte, wie wir, Reiseberichte geschrieben und sich irgendwann ueberlegt, diese in Buchform und mit Fotos versehen sowohl auf Deutsch, wie auf Englisch zu veroeffentlichen. Es sind zwei dicke, schwere Baende, und er schenkte uns eine Ausgabe!  Wenn wir diese Region je bereisen, koennen wir auf seinen Spuren wandeln, wie wir in der Dobrudscha auf den Spuren des Herrn Pfingsten gereist waren.

Kaum hatte er sich getrollt, kam ein schottisch-itatlienisches Paar des Wegs. Sie waren um einiges aelter als wir, hatten sich jedoch vorher am Strand mal so inniglich umarmt und gekuesst, dass ich ihnen applaudierte. Sie waren, wie wir, in zweiter Ehe verheiratet. Er war als junger Mann mit seiner ersten Frau fuer einen zweiwoechigen Urlaub nach Kreta gekommen. Sie blieben dann fuenf Jahre, brachten ihre drei Kinder hier zur Welt, hielten sich mit Olivenpfluecken und Surf-Kursen ueber Wasser. Irgendwann wuchs jedoch der Druck der Familie, die Kinder wieder „in die Zivilisation“ zurueck zu bringen, damit aus ihnen anstaendige britische Buerger wuerden. Sie ergaben sich dem Druck, und die Ehe ging irgendwann in die Brueche. Die Verbundenheit zu Kreta blieb, und er konnte auch seine Frau aus Sueditalien dafuer begeistern, so dass sie nun im Begriff waren, sich hier einen Olivenhain mit Haus zu kaufen, um das halbe Jahr hier und die andere Haelfte in ihrem anderen verwirklichten Traum in Italien zu verbringen. Der Mann war 76 oder so, war sich jedoch sicher, dass auch seine Kinder, die immer wieder gern hierher zurueck kehren, sich irgendwann um Haus und Hof hier kuemmern wuerden.

Dann kam der letzte Streich: Wir hatten beim Herfahren am Vortag einen kleinen Obststand gesehen und wollten uns dort ein bisschen eindecken. Wir packten also unsere sieben Sachen, gingen (schon wieder) recht wehmuetig von diesem schoenen Plaetzchen fort und hielten an dem Stand, der betreut wurde von einer – wie kann es anders sein? – waschechten blauaeugigen und weisshaarigen Hamburger Deern, die genauso auch hinter einem Apfelstand im Alten Land haette stehen koennen! Auch sie erzaehlte uns bereitwillig ihre ganze Lebensgeschichte, die sie sicherlich noch epischer ausgedehnt haette, wenn Josef neben mir nicht ungeduldig geschnauft haette und nicht andere Kunden gekommen waeren. Dieses Sammeln von Biografien ist fuer mich herrlich und viel spannender als 3000 Jahre alte abgebrochene Saeulen anzuschauen. Sie lebte also seit 1969 hier, hatte ihren Mann 1954 ueber eine von der Lehrerin angebahnte Brieffreundschaft kennengelernt! Dieser wurde Seemann, und wie wir aus ihrer verklausulierten Erzaehlung schlossen, wurde sie bei einem seiner Landgaenge unehelich schwanger – aber weder in Hamburg, noch hier auf Kreta. Wird sie sich wohl davon geschlichen haben. Also wurde geheiratet. Und erst 20 Jahre spaeter, als ihre aelteste Tochter schon erwachsen war, wurde  ihr klar, wie wenig begeistert die Schwiegermutter ueber diese Verbindung gewesen war, denn sie hatte es sie nie spueren lassen. Der Grund hierfuer war nicht nur, dass sie Auslaenderin, noch dazu Protestantin war, und dass sie unehelich schwanger geworden war. Der Hauptgrund war, dass sie Deutsche war, und dass der Schwiegervater, wie so viele griechische Maenner und Jungen, von der Wehrmacht ermordet worden war. Das hatte man ihr in all den Jahren nie erzaehlt! Sie hatte uns das als Beispiel fuer die Duldsamkeit und Hoeflichkeit der Griechen erzaehlt.

Wir verabschiedeten uns, nachdem wir ein Kilo ihrer selbst gezogenen Biobananen gekauft hatten, und fuhren weiter in Richtung suedoestlichen Zipfel nach Xerokambos, fanden wiederum einen sehr netten Platz am Strand mit Blick auf das kornblumenblaue Meer und zwei, drei verstreuten, vollkommen nackten Inseln, eine davon in der Form wie Snoopy, unserer Haustauchinsel an der Ostkueste der VAE, im Golf von Oman, wo Hana als Baby im Sand gekrabbelt war. Xerokambos war offenbar eine reine Feriensiedlung, bestand nur aus in der Landschaft verstreuten Sommerhaeusern. Am suedlichen Ende hatte ein Feuer die ohnehin kargen Flaechen am Fusse der Berge abgefackelt. Alles war schwarz und verkohlt, einschliesslich der scheusslichen schwarzen Gummischlaeuche, die sie hier ueberall zur Bewaesserung in der Landschaft liegen haben. Die Zwiebeln der kerzenartigen Gewaechse haben es ueberlebt, und ihre Blueten stakten zu tausenden aus der verbrannten Erde heraus.

Hinter den Haeusern tuermten sich die kargen Berge auf, durchloechert von Hoehlen wie Schweizer Kaese, die wir am Morgen zu Fuss erkundeten. Danach liefen wir in einen schoenen Canyon hinein, sammelten dort wilden Thymian, gingen spaeter schwimmen und vertieften uns danach vor dieser schoenen Kulisse in unsere Buecher. Wir debattierten ein wenig, ob wir nochmals uebernachten sollten, machten uns dann jedoch auf nach Lerapetra an der Suedkueste, um uns allmaehlich unserem Ziel ganz im Westen zu naehern, dabei jedoch noch einiges auf dieser Seite der Insel zu sehen.  Die Strasse wand sich am Canyon entlang hinauf bis auf 800m Hoehe, gab immer wieder den Blick frei auf den Strand von Xerokambos mit seinen vorgelagerten Inseln. Sehr dramatisch! Die Doerfer auf unserem Weg waren, wie meistens hier, nicht sehr malerisch. Der Heilpaedagoge, Herr von Groeling, hatte es ganz wunderbar auf den Punkt gebracht: Tankstellenarchitektur: vier Betonsaeulen, darauf eine Betonplatte gelegt, das Ganze meist zweigeschossig, also E + 1. Die dadurch entstehenden Aussenflaechen waren mal ausgefacht mit Betonsteinen, mal nicht, mal teilweise – also entweder oben oder unten – je nach Lage im Geldbeutel oder je nach Verwendung. Manchmal wurde der untere Teil als Carport, mal als ueberdachte Terrasse, mal als Rumpelkammer genuetzt. Meistens waren die Haeuser geweisselt, hier und da jedoch auch (noch) nicht. Also alles nicht wirklich wunderschoen.  Dennoch hatten die Dorfkerne oft eine nette Stimmung mit einem kleinen zentralen Platz mit Cafes und Tavernen aussen herum und den obligatorischen palavernden alten Herren mit Mokkatasse vor sich. In einem Hochtal trafen wir, statt der uns bisher begleitenden Olivenpflanzungen, auf Wein. Dieser wurde nicht an Spalieren oder Stoecken hochgezogen, sondern wuchs so, wie er geschaffen war, als niedriger Stock auf dem Boden, wie in Palaestina.  Wieder unten nahe der Kueste, sah es aus wie in Al Meria in Suedspanien: Lauter Gewaechshaeuser dicht an dicht. Hier wuchs wahrscheinlich all das, was Eva in Agio Nikolaus an Afrika denken liess: Bananen, Papaya, etc.

Wir erreichten Iera Petra, die Heimatstadt des Gemuese- und Obsthaendlers, der uns nach unserem Besuch bei den Meteora-Kloestern eingeladen hatte, unter dem Dach seines Ladens unseren Tee zu trinken, anstatt im Stehen, und der uns derweil noch Walnuesse knackte und fuetterte. Trotz der umgebenden Gewaechshauslandschaft ist es hier viel schoener als auf dem Festland, wo er jetzt lebt. Iera Petra hat einen netten Kern, und wir fanden am Fischerhafen einen Platz, an dem wir stehen konnten. Direkt hinter der Hafenmauer, vor der wir standen, reihten sich die kleinen – noch bewohnten –  Fischerkaten eng aneinander …erinnerte sehr an die Fischerdoerfer im Oman. Es war mittlerweile fast dunkel, und wir hatten Hunger, liessen uns also keine Zeit, eine nette Taverne zu finden, sondern gingen in die erstbeste direkt am Wasser. War ein bisschen eine Touristenfalle. Insbesondere der Wein schmeckte wie der von Adonis in Mirsini, wie saurer Sherry. Selbst Schuld. Haetten wir mal ein bisschen rumgeguckt. Aber machte nix.

Morgens drehten wir eine Runde mit dem Rad durch das alte und das neuere Iera Petra. Es war defintiv kein richtiger Touristenort, obwohl wir bei der Anfahrt an der Kueste mehrere Hotelanlagen gesehen hatten und es genug Tavernen und Nippeslaeden gab. Es war eine nette, normale Kleinstadt mit einer schoenen Innenstadt, jedoch nichts Altem. Es stuermte, und an der Hafenpromenade standen Tische und Stuehle der Tavernen verwaist da, waehrend die Gischt meterhoch ueber sie hinweg spritzte. Die Wirte hatten offenbar keine Sorge um ihr Mobiliar. Am Hafen sassen drei Maenner auf einem der im Hafenbecken sachte schaukelnden Fischerboote und plauderten. Wir stellten uns fuer ein Weilchen dazu, und einer von den dreien erzaehlte, sie seien Shrimps-Fischer, wuerden mit Koerben fischen, die sie auf bis zu 200m versenkten. Er selbst habe 65 Koerbe da draussen. Aber mit diesen hohen Wellen koennten sie nicht hinaus fahren, ihre Boote seien zu klein.

Es gab eine kleine Moschee, die als Veranstaltungsraum genuetzt wurde und der am Minaret die Spitze fehlte. Davor sassen zwei junge Maenner auf einer Bank. Wir dachten erst, sie seien Bangladescher. Aber dafuer waren sie zu hell. Es waren Pakistanis. Sie arbeiteten hier in den Gewaechshaeusern. Jetzt aber nicht. Jetzt sassen sie hier und tranken am hellen Morgen Bier – vor der Moschee. Tss, tss, tss… Wohl ein wenig entfremdet von ihrer Kultur hier in der Fremde. Spaeter sahen wir zwei hennarotbaertige aeltere Pakistanis, die hier ein paar Halal-Laeden unterhielten, schon seit 25 Jahren hier waren. Sie waren aus Kashmir, meinten, allein in Ierapetra gaebe es 500 von ihnen, sie wuerden alle in der Landwirtschaft arbeiten, haetten unbefristeten Aufenthalt und wuerden in ein paar Jahren zurueck gehen in die Heimat, wo die Familie sei. Sie haetten sie nicht hierher geholt, weil das Leben hier fuer Frau und Kinder nicht schoen geworden waere.  Weise Entscheidung, fand ich. Sicherlich empfanden sie die seit ein paar Jahren herdraengenden Bangladescher als Konkurrenz.

 

Freitag, 16.10.2020

Strand von Kommos, Agia Galini, Agios Pavlos, Triopetra

Eine Nacht in Iera Petra war genug, und wir machten uns am Mittag auf den Weg weiter an der Suedkueste entlang Richtung Westen. Dunkle Wolken begleiteten uns, und wir warteten immer auf Regen. Allein, es kam nichts. Es regnete ueber dem Meer ab. Die Strasse fuehrte zunaechst am Meer entlang, und wir dachten, es ginge da vielleicht weiter. Man kann auf Google Maps und auf dem Navi immer nicht so genau beurteilen, wie breit die Strassen sind. Ploetzlich waren wir in einem ganz engen Doerfchen, das eigentlich nur aus einer schmalen Strasse mit ein paar kleinen Gaestehaeusern und Tavernen bestand. Es wirkte ein wenig wie ein ehemaliges Fischerdorf, das irgendwann vielleicht ein Hippie-Aussteigerdorf wurde, nun jedoch allmaehlich sozusagen gentrifiziert war. Wahrscheinlich dank bookin.com und airbnb. Hier waren nur deutsche Familien! Wir sprachen mit einem Tavernenwirt, und er sagte, das sei jetzt die Zeit der deutschen Herbstferienurlauber. Frueher im Jahr kaemen die Franzosen, Hollaender, etc. Ich sprach ihn auf die Gewaechshaeuser an, und er meinte, er wisse wohl, dass diese haesslich seien. Ueberall war die Landschaft ohne Ruecksicht auf Verluste eingeebnet fuer die Gewaechshaeuser und ihre betonierte Umrandung. Ueberall lagen Unmengen von den schwarzen Bewaesserungsschlaeuchen herum. Ueberall begegneten uns Baustahlmatten, die hier als Zaeune benuetzt wurden. Die Leute wollten leben und taten das, was am meisten Geld brachte bzw. einsparte. Aber es verschandelte ihnen die Landschaft, und wenn dem niemand Einhalt gebietet, ist irgendwann die ganze Suedkueste so zugesaut, dass die Touristen wegbleiben. Wir konnten nicht einschaetzen, was auf Dauer mehr Einkommen generiert: die Schlangengurken fuer den EU-Markt oder der Tourismus?Aber die Leute mssten von irgend etwas leben. Wahrscheinlich waren hier frueher nur Olivenhaine.

Die Strasse fuehrte wieder weit hinauf in die Berge. Wir hielten an vollhaengenden Feigenbaeumen am Strassenrand und pflueckten weisse und schwarze Feigen, aus denen Josef spaeter Marmelade machte. Neben uns ragte ein sehr hoher Berg auf, mitten drin ein steiler und breiter Geroellhang, den gerade eine gemischte Schaf- und Ziegenherde, mit ihren Gloeckchen bimmelnd, querte. Darueber kreisten in beachtlicher Hoehe mindestens zehn Geier. Ob die wohl darauf spekulierten, dass das eine oder andere Tier an diesem Geroellhang stuerzen und sich umbringen wuerde, damit sie es vespern koennten?

Kurz bevor die Strasse wieder hinunter fuehrte ans Meer fanden wir in einem Doerfchen eine Trinkwasserquelle, ums unsere Flaschen aufzufuellen, die wir seit Rumaenien spazieren fuhren und immer wieder auffuellten. Die erste Quelle, an der wir hielten, war abgestellt. Ein Mann stand oberhalb davon auf der Terrasse seines sehr huebschen weiss-blauen Hauses. Ein Deutscher, der mit seiner Frau seit 15 Jahren hier lebte. Wenn ich die Leute so sah und hoerte, beneidete ich sie nicht wirklich. Josef spielte immer wieder ein wenig mit dem Gedanken, hier etwas zu kaufen. Aber ich war immer zoegerlich. Natuerlich waere es schoen, in dieser Landschaft, mit diesen Bergen, dem Meer so nah zu leben. Aber ich wusste aus Erfahrung, dass man diese Dinge nach einer gewissen Zeit nicht mehr bewusst wahrnehmen wuerde, und, dass der Idealismus und die Freude, an diesem schoenen Ort zu sein, oft dem Zynismus wich, der sich einstellt, wenn man feststellt, dass Alltag in der Fremde nicht anders ist als zuhause, oft vielleicht nur frustrierender, weil die Dinge nicht so laufen, wie man es gewoehnt ist.

Unser naechster kurzer Stopp war Agio Galini. Eine fuer mein Gefuehl viel zu schmale und steile Strasse fuehrte hinunter zum Hafen. Aber Josef machte das mittlerweile so entspannt, trotz meiner „Oh, Oh, meine Nerven! Ya Allah“-Rufe. Auch hier waren nur noch deutsche Touristen. Es war dennoch sehr beschaulich und ruhig. Wir fuhren in den Hafen, fanden einen Fischer und fragten, ob wir hier unseren Wassertank auffuellen duerften. Durften wir. Super!

Nach langer Fahrt – Josef wollte in ein bisschen Strecke machen, falls Sylvia ploetzlich schreiben wuerde, dass wir nun zur Ernte anruecken koennten – kamen wir bei Matala am Kommos Beach an. Mussten ein bisschen zirkeln und eine Holperpiste fahren, bis wir unser ideales Plaetzchen fanden: ein kleiner, ebener Sandplatz direkt oberhalb vom Strand, hinter uns ein paar Baeume, dahinter und nebem uns die dorfeigene Ausgrabung, zur Abwechslung eine minoische . Es stand dort noch ein weiteres WoMo mit Heilbronner Kennzeichen – ein alleinreisender Mann in den 60’ern. Da es schon fast dunkel war, konnten wir uns nur noch kurz an unserem schoenen neuen Stellplatz erfreuen:  links Strand mit anschliessendem Berg, rechts endloser Strand mit den Bergen weit im Hintergrund, vor uns eine dekorative Insel, unter uns die tosende Brandung.

Morgens gingen wir zum Strand hinunter und fanden dort eine Gruppe von Menschen in blauen T-Shirts, auf dem Sand kniend, mit den Haenden ein Loch ausbuddelnd. Nein, keine Archaeologen, sondern eine Naturschuetzergruppe, die hier Careta-Schildkroeten im Kampf gegen das Aussterben unterstuetzen. Die Eier aus diesem Nest sollten laut ihrer Dokumentation schon geschluepft sein, und sie wollten nun zum Einen die Anzahl der Eierschalen zaehlen und zum Anderen eventuell zu Schwachen aus dem Loch heraus helfen. Eine Englaenderin, die hier lebte, erzaehlte, sie haetten dieses Jahr allein an diesem etwa 10 km langen Strand von Matala bis Timbaki etwa 200 Nester gezaehlt, so viele wie noch nie, seit sie vor 15 Jahren angefangen hatten mit ihrer Dokumentation – und das, obwohl dies ein durchaus belebter Strand war, an dem immer viele Touristen waren. Sie glaubte nicht, dass es allein auf die durch Corona bedingt weniger Touristen zurueck zu fuehren war, sondern, dass eben ihre jahrelange Schutzarbeit nun Fruechte truege. Sie markierten die Nester mit Stoecken, Bastmatten und einem Schildchen, worauf zu lesen war, worum es sich hier handelte. Mitterweile hatten die anderen schon fast einen Meter tief gebuddelt, aber noch hatten sie nichts gefunden. Wir verabschiedeten uns und gingen den endlosen Strand entlang. Hier und da lagen und standen FKK’ler herum. Mag sein, dass wir konservativ waren, aber ich konnte dem nichts abgewinnen – zumal es immer die Alten und Runzligen zu sein scheinen, die sich nackt auszogen, einem beim Muschelnsuchen ungeniert den nackten Hintern hinstreckten oder, im Falle der Maenner, ihr Gemaecht hin und her baumeln liessen – nicht die jungen Augenwaiden. Ich guckte dann halt auf’s Meer hinaus.

Als wir nach einer Stunde zurueck kamen, waren die blauen T-Shirts noch immer am Buddeln; mittlerweile hatten die hohen, langen Wellen das Loch und die Buddeler mehrfach geflutet. Aber eine Eierschale kam nicht zum Vorschein. Irgendwann gaben sie ratlos auf. Kann sein, dass die Mama das Nest nicht tief genug gebuddelt hatte und eine Welle es mitgenommen hatte. Bei Meeresschildkroeten erreicht nur eine von 1000 (!) das Erwachsenenalter! Wenn das bei uns Menschen so waere, haetten wir die Erde nicht so hoffnunglos uebervoelkert.

Wir setzten uns an die Kante oberhalb des Strandes und vertieften uns in unsere Buecher, genossen das Tosen der Brandung, das ruhige, gemaechliche Strandleben unter uns, die herrliche Kulisse. Irgendwann hielt ein PKW neben uns. Die drei Leute, eine Deutsche mit ihrem greichischen Mann und einem Kumpel, wollten hier wellenreiten, waren extra aus Heraklion ueber die Insel hierher gekommen. Aber die Wellen waren wohl nicht tauglich. Sie waren sehr interessiert an unserem Womo, und ich zeigte es ihnen. Er erklaerte uns, man muesse hier in Griechenland fuer so ein Fahrzeug, wie fuer ein Freizeitboot, Luxussteuer bezahlen, was es unerschwinglich machte – es sein denn, man hatte jede Menge Schwarzgeld. Das haetten allerdings viele – auch, weil die Regierenden mit daran verdienten. Sie kannten ihre Pappenheimer, machten dann und wann Razzien, und wenn sie was fanden, wurde gegen einen Anteil am Schwarzgeld das Verfahren eingestellt. So lief das. Wie frustrierend fuer die, die ehrlich bleiben wollten und fuer die, die nicht an Schwarzgeldjobs heran kamen.  Einer auf dieser Reise hatte uns erzaehlt, bei zweien, die Hunderttausende Euro Schwarzgeld in ihren Haeusern gebunkert hatten, sei eingebrochen und das Schwarzgeld gestohlen worden. Sie konnten schlecht Anzeige erstatten – war ja Schwarzgeld. Also haben sie es abgeschrieben. Wenn eine ganze Gesellschaft so korrumpiert ist – und das hatten wir ja in Rumaenien und Bulgarien auch gehoert – dann koennen die Buerger kein Vertrauen haben in staatliche Institutionen, und so muss jeder nach sich selbst und nach seinen Naechsten schauen. Gemeinsinn kann da nicht entstehen. So erklaerte sich auch, dass es diese hunderte und aberhunderte von Bewaesserungsschlaeuchen gibt, die jeweils von einer einzigen gefassten Quelle in die Taeler gefuehrt werden: Man traut den anderen nicht und kann deswegen kein gemeinsames, dickes Rohr nach unten fuehren und dort verzweigen. Koennte ja sein, der andere bekommt mehr ab.

Am Nachmittag machten wir uns mit den Fahrraedern auf und erkundeten ein wenig die Umgebung. Ganz offenkundig war die ganze Ecke hier fest in deutscher Hand. Es gab viele Verkaufsschilder fuer Land und Haeuser, und sie waren alle zweisprachig englisch und deusch beschriftet. Auch die Unterhaltungen der Leute an der Strasse wurden auf Deutsch gefuehrt.  Wie das wohl die Griechen empfinden, deren Heimatdoerfer das hier sind? Ganz gewiss trieb es die Lebenshaltungkosten nach oben.

Wir genossen die Ausblicke von hier und von dort, kauften auf dem Rueckweg noch ein paar Sachen ein, assen dann, wieder unten am Womo, bei der Imbissbude neben uns als Vorspeise einen ziemlich leckeren, offenbar selbst zubereiteten Burger (eines der wenigen Essen mit Fleisch, seit wir unterwegs waren) und machten uns dann noch ein kleines Abendessen im Womo.

Morgens sahen wir wieder zwei der Blauhemden, und sie erzaehlten uns, ein anderes Nest sei im Morgengrauen zumindest teilweise geschluepft – der Rest wuerde sicherlich in der kommenden Nacht folgen. Wir hatten das Nest bei unserem Strandspaziergang gesehen, und ich war in der Nacht kurz wach gewesen und hatte ueberlegt, ob ich Josef noetige, mit mir dort runter zu laufen und zu gucken. Aber ich war zu schlaftrunken. Schade!  Wir ueberlegten, ob wir noch eine Nacht bleiben sollten, packten dann aber doch langsam zusammen und machten uns auf den Weg weiter Richtung Westen.

Wir hatte mit Ursel (Forkl) kommuniziert, und sie hatte uns erzaehlt, dass sie sich ganz hier in der Naehe, in Agios Pavlos, seit Jahren mit anderen Leuten aus ganz Deutschland zu einem Retreat trifft, dass ihre Mitstreiter jetzt hier waren, sie jedoch ob dieses Corona-Gedoens und der damit verbundenen Formalitaeten dagegen entschieden hatte, dies nun aber sehr bereute. Sie bat, falls wir dort vorbei kaemen, Gruesse von ihr auszurichten. Wir hielten also auf dem Weg dort an, sahen einige ihrer Mitstreiterinnen im genannten Gaestehaus auf ihren Balkons stehen, richteten den recht ueberraschten Damen die Gruesse aus und fuhren zwei Buchten weiter an den herrlich langen Triapetra-Strand. Links und rechts von uns stand mit 100m Abstand jeweils ein Wohnmobil; ansonsten waren wir allein. Wir machten noch einen Strandspaziergang und fanden praktisch sofort mindestens 15, offenbar von der Brandung entwurzelte, abgestorbene und voellig vertrocknete Schwaemme am Strand! Und da wir nicht stillsitzen koennen, gingen wir mit Eimer und Wanne bewaffnet mit unserer Beute zum Strand hinunter und wuschen sie mit grosser Ausdauer. Hatte meine Zweifel, dass man sie je wirklich sauber kriegen wuerde, denn sie waren bis tief in die grossen Poren hinein voller Sand und Steinchen. Aber wir haben sie ueber Nacht nochmal im Wasser liegen lassen, morgens nochmals bearbeitet und sie dann zum Trocknen ausgelegt. Wollten sie mitnehmen und zuhause in Chlorwasser reinigen.  Mal schauen.

Die Nacht war die X. sternenklare Nacht auf unserer Reise. Und hier war es nun so stockdunkel, dass man die Milchstrasse wie eine weisse Autobahn am Himmel sah. Wir konnten durch unser Fernglas sogar zwei Jupitermonde ausmachen! Herrlich. Am liebsten wuerde man unter freiem Himmel liegen. Aber wir sind Weicheier, die Angst haben vor Kaelte und Mosquitos und ihr kuscheliges Bett lieben.

Morgens meldete sich Cousine Sylvia und informierte uns, dass sie nach dem Wochenende mit der Ernte beginnen wollten, dass wir uns jedoch Zeit lassen sollten, da die Ernte mehrere Wochen dauern wuerde, wir also noch genuegend Wirkungsfeld haben wuerden. Super! Wir waren gespannt!

Tagsueber kamen einige (deutsche) Touristen aus den umliegend verstreuten Doerfern und Gaestehaeusern zum Planschen. Wir gingen am Strand spazieren, und es juckte mich ganz fuerchterlich in den Fingern, die buntglaenzenden Kieselchen aufzusammeln und nach Farben – gelb, schwarz, weiss, gruen, rot, braun – zu sortieren. Aber ich hielt mich zurueck. Der Kies am Strand ging im Wasser nahtlos in eine wunderbar zu begehende, sanft wellige Felsplatte ueber, die nach ein paar Metern abbrach und so eine schoene kleine Unterwasserlandschaft bildete, an der wir entlang schnorcheln konnten. Wieder war das Wasser herrlich klar. Von solch einer Sicht konnten wir in unseren Tauchgefilden an der Ostkueste der VAE nur traeumen. Dafuer gab es hier keine Fische, keinerlei Unterwasserleben, nicht einmal eine schnoede Seegurke. Wir schnorchelten, fuhren mit dem Kayak in die Nachbarbucht zum Kaffeetrinken und genossen den Tag, die schoene Umgebung mit herrlicher Kulisse.

Die Nacht war nicht so schoen klar. Habe im Halbschlaf immer mal wieder nach den Sternen geschaut.

 

Montag, 19.10.2020

Frangocastello, Kalives

Ich meinte, morgens zwei Schuesse gehoert zu haben, in der diesigen Luft, wie gedaempft. Und richtig: als wir uns von unserem Strand Triopetra aufmachten Richtung Frangocastello, dem ersten Punkt auf der Landkarte, den auch Onkel Ulli angefahren hatte waehrend seines Familienurlaubes hier vor Jahren, sahen wir zwei Jaeger mit der Flinte im Anschlag und in Tarnkleidung, die versuchten, so einen armen, mageren Hasen aus seinem Macchiabusch zu scheuchen. Gott sei Dank hatten sie keinen Hunde dabei, wie sonst immer. Hoffentlich behielt der Hase die Nerven und blieb in seinem Busch!  Spaeter erzaehlte uns ein deutscher Pfadfinder (!), die Waffendichte in Griechenland sei so hoch wir nirgends sonst.

Wir verliessen auch diesen Strand wieder ein wenig schweren Herzens. Man koennte sich hier ueberall fuer ein paar Wochen niederlassen. Die Strasse wand sich den Berg hinauf. Gleich das erste Teilstueck kostete mich wieder Nerven: Sie war in Teilen weggebrochen und bot gerade genug Platz fuer ein Fahrzeug – aber 4,5, Tonnen?? Ich weiss ja nicht. Weiter oben veraenderte sich wieder die karge Vegetation: Zwischen Olivenhainen wuchsen Steineichen, und ueberall duftete es nach wildem Thymian, eine Art Heidekraut bluehte rosa und lila an den Felswaenden, und wenn man genau hinschaute, gab es ganz dicht am Boden wunderhuebsche kleine Bluemchen. Es war hier wohl ein wenig wie auf der Arabischen Halbinsel: Der Herbst mit dem ersten Regen war wie ein zweiter Fruehling. So sah ich auch oft die wilden Malven (arab.: Chubbaize), die ich in Marokko mehrmals gesammelt und zu dickem Gemuese gekocht hatte. Aber es waren immer nur ganz kleine Blaetter und jeweils zu wenig an einer Stelle. Am Strassenrand stand oft wilder Fenchel. Habe spaeter im Internet gelesen, es war Riesenfenchenl, der wohl allerlei Verwendung fand bei den Griechen. Wir sammelten die getrockneten Samen fuer Tee.

Ich erhaschte in einem Dorf im Vorbeifahren das Bild eines alten Mannes in Tarnkleidung, der einen Hasen am Fleischerhaken vor seinem Haus aufgehaengt hatte und dabei war, ihm das Fell abzuziehen. Ausser diesen armen Hasen gibt es in dieser kargen Landschaft wohl nichts zu jagen. Sie haben es nicht leicht: Ueber ihnen kreisen Raubvoegel und Geier, und um sie herum springen die Kreter mit ihren Hunden und Flinten.

Navi und Google Maps fuehrten uns auf dem Weg zur besser ausgebauten Hauptstrasse durch das Dorf Mourna. Bisher hatten wir auf dieser Reise Glueck gehabt und waren immer irgendwie durchgekommen durch diverse Nadeloehre. Aber hier waren einst nur Menschen, Esel und Ziegen durch gelaufen. Entsprechend breit war die Strasse, die sich in engen Kurven zwischen den Haeusern hindurch wand.  Gott sei Dank waren wir nicht schon weiter hinein gefahren. Vor uns, unsichtbar hinter der naechsten Kurve, hoerten wir eine blecherne Megaphon-Stimme irgend etwas anpreisen. Ich lief nach vorn, um die Lage zu peilen. Da stand ein kleiner, verbeulter Pickup mit Kisten voller Fisch (Kuehlkette? Welche Kuehlkette?), die er hier an die Hausfrau bringen wollte. Wir warteten geduldig, bis alle geneigten Damen des Dorfes sich eingedeckt hatten. Zwischenzeitlich ging Josef zu Fuss weiter ins Dorf, um zu sehen, ob wir da duchkommen wuerden. Denn drehen konnten wir hier nirgends. Aus einem Haus kam ein Englaender, Typ gealterter und gentrifizierter Hippie, Kevin, ein sehr dezenter, ruhiger und hoeflicher Mensch. Auch Frau und Katze kamen aus dem Haus und schauten dem Treiben interessiert und gelassen zu. Sie meinte, es waere sicherlich sinnvoll, an der Zufahrt ein 2m-Breite-Limit anzuzeigen. Das waere es in der Tat.  Sie hatten das Haus hier schon Ende der 1990’er Jahre als Ruine erworben und Jahre spaeter saniert, lebten nur zur Haelfte hier, zur Haelfte in UK und ueberlegten ernsthaft, auf Dauer hierher zu ziehen, um dem Corona-Gedoens auszuweichen. Sehr nachvollziehbar! Josef und mich zog nichts, aber auch gar nichts zurueck. Wir Deutschen machten natuerlich alles zehnmal so gruendlich wie alle anderen, was auch bedeutete, dass ganz Deutschland sich offenbar mit nichts anderem mehr beschaeftigte.

 Nun wurde der Fischverkaeufer ploetzlich ungeduldig, weil er ja so ohne Kuehlschrank schleunigst weiter musste und wir die Strasse mit dem Womo sozusagen verkorkt hatten. Josef und der Fischmann manovrierten hin und her und her und hin, bis er schliesslich weiter konnte. Am Ende beschloss Josef, sich rueckwaerts wieder hinaus zu schlaengeln aus dem Dorf und fuhr die 300 m souveraen und entspannt, waehrend Kevin und ich jeweils hinten und vorne „Fluglotse“ spielten. Josef schenkte dem geduldigen Kevin zum Dank ein Flaeschchen vom bulgarischen Winzer Maryan. Schade, dass wir dort nirgends stehen konnten. Mit den beiden haette man noch ein wenig plaudern koennen.

In den Doerfern fing die Olivenernte an. Der Boden war bereitet, das Buschwerk beseitigt, Netze ausgelegt, und wir sahen an der steilen Strassenboeschung, 5 – 6m ueber der Strasse, einen Mann mit einem Erntegeraet arbeiten, einem Teleskopstab, an dessen Vorderende relativ langsam drehende Gummilappen die Oliven herunter schlagen, ohne sie zu quetschen.

Onkel Ulli hatte uns Plakias und Frangokastelli als zwei der Staedtchen aufgezaehlt, die er damals besucht hatte. Sie liegen nah beieinander, und wir konnten sie von weit oben lange sehen. In einem Supermarkt empfahl uns ein junger Mann Letzteres, weil es zum Wandern schoener sei. Unsere Bergziege, das Womo, hatte sich auf etwa 800 m hinauf gearbeitet, und nun ging es wieder hinunter zum Meer. Hier war der Kuestenstreifen ca 2km breit, bevor sich dahinter die Berge erhoben, an deren Fuss die  alten Doerfer klebten. Die neuere Bebauung, direkt am Meer, bestand aus verstreuten Ferien- und Expat-Haeusern – auch hier alles in deutscher Hand! – und kleinen Hotels. Die Deutschen hatten noch immer Herbstferien. Danach wuerde es hier wohl noch ruhiger werden als ohnehin schon. Wir freuten uns fuer die Griechen, dass sie als einziges Urlaubsland von Corona profitierten, weil es fuer das Land bisher von unserem Herrn Maas keine Reisewarnung gab.

Wir stellten das Auto vor dem Venezianischen Kastell ab, nach dem das Oertchen benannt war und das vermutlich auch ein wenig das Ziel meines Onkel Ulis war, als er hier war. Allein, es ging uns, wie soooo oft auf dieser Reise: Die Sehenswuerdigkeit hatte wegen Renovierung geschlossen. Das dazugehoerige EU-Schild informierte uns, dass die Festung von 2013 bis 2020 mit einem Zuschuss von knapp 1 Mio EUR restauriert werden sollte. Es ist 2020, es sah noch nicht besonders fertig aus, aber immerhin sah man, dass es in Arbeit war.  Was war wohl mit der Million geschehen?

Wir machten stattdessen einen langen Spaziergang, schon fast eine Wanderung, circa  3km am Strand entlang – teilweise ueber Stock und Stein und Felsen, dann in einem grossen Bogen durch Olivenhaine, Macchialflaechen und Sommerhaeuser zurueck. War dann auch genug. Wir hatten gleich bei der Einfahrt eine nette Taverne direkt ueber dem Meer gesehen. Dort gingen wir nun hin, assen viel zu viel und nahmen uns vor, am naechsten Tag wieder im Womo zu essen – allein, weil wir da immer viel weniger und viel gesuender assen.

Wieder hatten wir das Wellenrauschen als Schlafbegleiter. Aber diese Nacht war es sehr heiss und feucht. Die schoene Brise, die den ganzen Tag wehte, erstarb mit der Dunkelheit, und wir waelzten uns ein wenig herum.  Morgens war es wolkig, jedoch warm, und wir machten einen schoenen Spaziergang am Strand unterhalb von uns. Hier waren schon die allerersten Badegaeste unterwegs, und es gab hier ganz am Ende einen ausgewiesenen FKK-Bereich. Da wir keine Badesachen mitgenommen hatten, hier jedoch mutterseelenallein waren, gingen wir nackig ins Wasser und planschten ausgiebig, bevor mehr Leute kamen. Dann tranken wir am Womo einen Kaffee und wollten wieder los weiter Richtung Westen. Da liefen uns auf der Dorfstrasse vier junge Maenner entgegen, die Josef sofort als Pfadfinder identifizierte. Wir sprachen sie an, und, oh, wie spannend, sie waren Teil eines Projektes, das hier oben in den Bergen seit Jahrzehnten ein von der Wehrmacht bombardiertes Dorf, Kolokasia  – sie hatten hier ein Waffenlager der Partisanen vermutet –  einigermassen denkmalgerecht wieder aufbaute. Einer der vier hatte sich zum Sprecher gemacht, liess die anderen kaum zu Wort kommen und erzaehlte sehr eloquent und und bereitwillig: Ihre Rotte war aus Detmold, es gab noch welche aus dem Taunus. Es gab zwei Arbeitseinsaetze à eine Woche pro Jahr, einmal im Fruehling und einmal im Herbst. Man konnte sich freiwillig melden und mitbauen, auch als Nichtpfadfinder. Man konnte diese Ruinen auch als Aussenstehender von den ehemaligen Eigentuemern kaufen. Eine Englaenderin, angeblich eine beruehmte Saengerin, die angeblich ein Verhaeltnis mit dem Fliesenleger des Dorfes hatte, hatte sich eine der Ruinen gekauft und restauriert, jedoch, wie unsere Pfadfinder fanden, nicht denkmalgerecht. Sie empfahlen uns dringend, hinauf zu fahren und es zu besichtigen, was wir sofort entschieden zu tun. Wir fragten sie noch, wie die Griechen hier das empfaenden: die Deutsche Wehrmacht hatte es bombardiert und nun kamen all diese Deutschen und kauften Haeuser, liefen sie hier in ihren Uniformen hier herum und bauten dieses Dorf auf – nicht fuer die Einheimischen, sondern fuer sich. Ich glaube, sie verstanden die Frage nicht, auch nicht den historischen Kontext, meinten, die Leute hier wuerden bereitwillig verkaufen, wenn man ihnen genug boete. Sie wuerden fuer diese Ruinen bis zu 45.000 EUR fordern und bekommen. Wenn die Oma ne neue Huefte braeuchte, wuerden sie eben verkaufen. Sie haetten ja nicht so eine Gesundheitsversorgung wie in Deutschland. Hmm…. Das kam mir schon alles recht unsensibel und arrogant vor. Sie erzaehlten, einmal habe jemand eines der Haeuser, das sie schon zur Restaurierung in Arbeit hatten, in ihrer Abwesenheit mit den typischen Baustahlmatten verbarrikadiert. Wenn das keine Ablehnung der Aktivitaeten der Deutschen bedeutete!?

Es war ein spannendes Gespraech. Wir bedankten uns und fuhren hinauf bis Argio Nectarios, dem Dorf unterhalb von Kolokasia, liefen dann die kleine Asphaltserpentinenstrasse hinauf. Das Dorf war so versteckt zwischen kleinen Kuppen in einem Hochtal, dass wir Muehe hatten, den Zugang zu finden. Von ehemals 80 Haeusern hatten die Pfadfinder 10 Stueck wirklich sehr schoen restauriert. Der jetzige Arbeitseinsatz war gerade am Vortag zuende gegangen, einige schon abgereist, und die, die noch da waren, eher schlapp, gereizt und nicht sehr gespraechig. Wir fanden einen aelteren Mann, der schon laenger dabei war, aber auch er verstand unsere Frage nach dem historischen Kontext nicht, sagte, die Bombardierung sei ja schon ewig her, und die Leute haetten das Dorf in den 1960’er Jahren zugunsten neuer, von der Regierung am Fuss der Berge mit besserer Infrastruktur gebauter Haeuser verlassen. Ich stellte mir immer vor, wie es waere, wenn der obere, verlassene Teil unseres Dorfes in Palaestina nun von jungen Kibbutzniks aufgekauft, restauriert und als Feriensiedlung bewohnt wuerde und die sagen wuerden, die Staatsgruendung Israels und die Besetzung der West Bank seien ja schon ewig her. Ich wusste natuerlich, dass es nicht ganz vergleichbar war. Dennoch gab es gewiss alte Menschen, die sich noch erinnern konnten an die Bombardierungen, und die den Deutschen nicht so wohlgesonnen waren.

Wie dem auch sei, war es ein spannendes Erlebnis und wieder eine sehr schoene Wanderung. Wir haetten schon mal Lust, bei so einem Projekt mitzumachen. Aber diese Truppe hier wirkte so freudlos, dass das sicherlich nicht so viel Spass machen wuerde. Aber vielleicht taten wir ihnen unrecht. Sie waren ja nach zwei Wochen hier im Aufbruch und vielleicht einfach alle ein bisschen niedergeschlagen.

Auf dem Rueckweg, zum Womo hoerten wir einen Mann in einem Baum herum fuhrwerken. Mittlerweile wissen wir, dass es Affenbrotbaeume waren. Wir hatten auf dem Weg nach oben ins Dorf und anderswo in den Bergen schon diese Baeume gesehen. Hier standen Saecke gefuellt mit den Samenschoten. Der Mann stand oben in der ersten Vergabelung und schlug sie mit einem langen Stock herunter. Mit Haenden und Fuessen erklaerte er uns, dass man nicht die Samenkoerner verwende, nur das Mark. Spaeter lasen wir, dass sie heute vorrangig Viehfutter sind, frueher jedoch auch als Schokoladen- und Zuckerersatz verwendet wurden. Und in der Tat schmeckte das Mark der Schoten suess und mehlig wie Datteln.

Mittlerweile war es Nachmittag und wir verliessen nun die Suedkusete, fuhren an einer der beiden schmalen Stellen Kretas, oestlich von Chania von Sueden nach Norden. Hier hatte die Insel eine Breite von gerade einmal 19km. Ganz oben in den Bergen durchquerten wir mehrere geraeumige Hochtaeler und Doerfer, die im Vergleich zur Suedkueste sehr gruen waren. Auch die Bergflanken waren auf der Nordseite viel gruener – anstatt der spaerlichen Macchia und Steineichen waren hier die Haenge richtig bewaldet mit Tannen und Aleppokiefern. Erstaunlich, dieser Unterschied. Hier kam wohl deutlich mehr Regen an.

Wir hielten in Kalyves kurz vor Chania, fanden einen Stehplatz direkt an der Strandpromenade, vertraten uns vor der Dunkelheit noch ein wenig die Fuesse, zaehlten im Dorf mindestens fuenf Makler, die hier Land und Haeuser an reiche Deutschen oder wen auch immer verticken, konnten wieder dem leckeren Essen nicht widerstehen und landeten in einer Taverne keine 100m vom Womo entfernt. Wieder viel zu ueppig. Ab heute ist Herr Schmalhans der Kuechenmeister!

Wir schauten von unserm Platz auf den breiten Fjord zur Hafeneinfahrt von Souda. Da draussen lagen zwei riesige Kreuzfahrtschiffe vor Anker, die im Wind mal die eine, mal die andere Seit zeigten. Unsere Vermutung war, dass sie wegen Corona hier lagen. Denn Kreuzfahrten waren weltweit so gut wie eingestellt – ein Segen fuer die Umwelt, eine Katastrophe fuer all die Leute, die ihren Job verloren haben.  Die Kellnerin in der Taverne meinte, es habe nichts mit Corona zu tun. Vielmehr seien die Schiffe alt und wuerden wohl verschrottet. Sie sahen aber keineswegs alt aus . Eine Amerikanerin, die offenbar hier lebte und die ich auch darauf ansprach, bestaetigte unsere Corona-Vermutung.  Waehrend ich hier im Womo sass mit herrlichem Rundumblick auf’s Meer, den schmalen Strand und die kleine Promenade, die sich mehr und mehr mit Badegaesten fuellten, tuckerten am Horizont ein U-Boot und spaeter eine Marinefregatte vorbei. Griechenland und die Tuerkei bauten Drohszenarien auf. Die Menschen sind eine Fehlkonstruktion.

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