Als das Wetter aufgeklart war, schwangen wir uns auf die Raeder und fuhren im Bogen um die Altstadt herum und nach Sueden raus aus der Stadt bis zum grossen Park, mehr ein Wald, der den Zoo, ein Freilichtmuseum und anderes mehr beherbergt und offenbar beliebtes Naherholungzsiel fuer Siubiu ist, gemessen an der Anzahl der geparkten Fahrzeuge ueberall. Wir gingen ein wenig unentschlossen in das Freilichtmuseum, denn wir hatten alles, was es da zu sehen geben wuerde, ja schon im echten Leben hier in Rumaenien gesehen. So war es dann auch. Und das, was wir nicht kannten, war so wenig erklaert und beschrieben, dass wir uns keinen Reim drauf machen konnten. Das Highlight war eine Gruppe von Maenner, Frauen und Kindern in rumaenischer Tracht, die gleichzeitig mit uns in das Museum kam und eine kulturelle Darbietung mit Gesang und Dichtung vortrugen. Eines hat sich uns immerhin erschlossen: An einer alten Holzkirche in der Maramuresch hatten wir ein an zwei Stricken quer haengendes Brett und einen dazugehoerigen Holzkloeppel gesehen. Wir nahmen an, dass dies anstatt einer Kirchenglocke oder als Kommunikationsmittel (analog zu den indianischen Trommeln) benuetzt wurde. Hier nun trommelte ein etwa 10-jaehriger mit zwei Holzhammern rhythmisch und immer schneller werden auf solch einem Brett herum.
Wir fuhren im durch die Stadt zurueck zum Womo, ruhten ein wenig aus, aßen „zuhause“ und gingen dann wieder hinauf in die Stadt zur grossen Buehne. Leider sah es sehr regnerisch aus, so dass wir uns nicht auf die Stuehle vor der Buehne setzen konnten und auch nach zaeher Suche schliesslich recht weit weg von der Buehne in einer der vielen Lokale um den Platz herum einen Tisch fanden. Von der Musik hatten wir nicht viel. Es war zu laut um uns herum. Aber dann standen neben unserem Tisch Michaela und Dariusz, die auch keinen Sitzplatz gefunden hatten. Wir luden sie ein, unseren Tisch zu teilen, was sie dankbar annahmen. Es waren Mutter und Sohn, sie als junge Frau mit einem deutschen Urlauber nach Deutschland ausgewandert, er ihr Sohn aus dieser ersten Ehe. Er studierte in Giessen irgendwas mit Kommunikation und Marketing, sie arbeitete in der Verwaltung eines Pflegeheims. Sie hatte noch ihr Elternhaus hier in Sibiu, jedoch waren beide Elternteile gestorben, das Haus stand schon eine Weile leer, und sie haderte mit sich, ob sie es halten sollte, was hiess, viel Geld investieren, oder verkaufen. Ihre Verwandten hier schienen sich nicht engagieren zu wollen. Aber sie hing an dem Haus, und wir rieten ihr sehr, es zu halten, denn es war fuer uns offenkundig, dass Sibiu eine aufstrebende Stadt war und jede Immobilie im Wert nur steigen konnte. Mittlerweile hat sie uns eine Textnachricht geschickt und verkuendet, sie und Dariusz haetten angefangen, das Haus umzuraeumen. Super!
Sie boten uns an, falls wir noch in Sibiu bleiben wollten, gern bei ihnen auf dem Hof zu stehen. Aber wir wollten am naechsten Tag los und bedankten uns sehr fuer das freundliche Angebot. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg, verabschiedeten uns und gingen jeder unserer Wege.
Wir hatten uns schon zwei Tage voher fuer Sonntag auf dem Camping Platz Oude Wilg (NL fuer „Alte Weide, denn der Platz ist unter Fuehrung einer Hollaenderin mit ihrem rumaenischen Mann.) angekuendigt, brauchten dringend eine Vagabundierpause zum Waeschewaschen, Putzen und Seelebaumelnlassen. Da hier der Einstieg zum Fogarasan-Pass ueber die Suedkarpaten ist, offenbar ein beliebtes Wochenendziel der Rumaenen, war der Platz bis dahin ausgebucht, und wir liessen uns nun Zeit, dort anzukommen. Fuhren also zunaechst in Richtung der Siebenbuergerdoerfer Cesniadora und Cisnadie (frueher Talmesch und Klein-Talmesch) und erklommen mit einigen rumaenischen Urlaubern bzw Ausflueglern einen kleinen Berg zur Ruine der ehemaligen Festungskirche (auf rumaenisch heissen sie „biserica fortificata“). Kamen oben mit einer jungen Rumaenin ins Gespraech, die auch schon seit 10 Jahren in Deutschland lebte und nun mit ihrer Familie hier bei ihren Eltern im Urlaub war. Sie wolle nie wieder zurueck, sagte sie voller Ueberzeugung, fragte, was sie hier solle, ihre Kinder seien in Deutschland viel besser aufgehoben, was die Schule angehe, aber auch die Gesundheitsversorgung. Wie schon vorher einmal gesagt, fuer die Volkswirtschaft ist es eine Katastrophe, dass so viele Fleissige und Qualifizierte abwandern.
Nach einem recht ungemuetlichen Kaffee an einer sehr zugigen Strassenecke in Cesniadora – Staub und Papiermuell wirbelten um unsere Fuesse – hatten wir nun genug und machten uns auf nach Carta zum Camping-Platz.
20.8.2020
Carta (Kreuz) – Oude Wilg, Fagarasan-Pass
Er war sehr huebsch gelegen am Fluss Olt, dessen breites Tal zur einen Seite von den hohen Gipfeln der suedlichen Karpaten begrenzt wird, , die andere, ganz nah m Dorf, von bewaldeten Buckeln. Der Platz selbst bestand aus einer Grasflaeche mit genug Baumbestand, dass man ein schattiges Plaetzchen finden konnte. Die Camper waren fast alle Rumaenen. Direkt neben uns auf der anderen Seite des Zauns, lebten mehrere Ziganefamilien in einfachen Haeusern: Die Frauen in ihren bodenlangen, rotbunten, 1000-fach plissierten Roecken, roten T-Shirts und roten Kopftuechern, der kleine Junge von morgens bis abends mit dem fuer die Zigane typischen, schwarzen, breitkrempigen Hut; der Opa, ebenfalls mit Hut, hatte oft die Kinder auf dem Schoss, und wenn nicht, dann arbeitete er irgend etwas: morgtens brachte er die zwei Pferde und die einzige Kuh zum Weiden ein paar hundert Meter weiter. Dann machte er ein Holzfeuer und erhitzte einen grossen Wassertopf (ob sie kein fliessend Wasser haben und das Wasser aus dem Bach direkt neben uns abkochen?), zwischendurch beschlug er ein Pferd, dengelte auf einem Metallstueck herum (Die Zigane sind bekannt als Dengler und fuer ihre Kesselflickerkuenste), brachte die Pferdeaepfel vom Vorplatz des Hauses in die Ecke direkt neben uns (es riecht wuerzig). Ein juengerer Mann, wahrscheinlich der Vater der kleinen Kinder, fuehrte ein recht wildes junges Pferd an der Longe, rief es mit lauten Befehlen zur Ordnung. Das Pferd stieg mehrfach, aber er war ganz unerschrocken. Die Kinder schickte er allerdings sicherheitshalber weit weg. Dann wurde ein anderes Pferd vor den Wagen gespannt, Mama und Papa stiegen auf und fuehrten das Gespann mit dem wild zerrenden und bockenden Pferd durch die Landschaft, bis es sich beruhigt hatte. Am Abend kamen zwei Maenner, es wurde viel gefachsimpelt und gestikuliert, und es wirkte wie eine Verkaufsverhandlung. Am naechsten Tag waren die beiden jungen Pferde weg und nur noch die beiden des alten Mannes waren da. Der Verkauf von Pferden ist wichtige Einnahmenquelle fuer die Zigane. Die beiden juengeren Maenner, die wir gesehen haben, schienen einen Job zu haben, denn sie waren tagsueber weg. Es war sehr spannend, das Geschehen da drueben zu verfolgen. Einmal winkte ich der jungen Frau, und sie nahm es als Aufforderung zum Zaun zu kommen und uns anzuschnorren: Schokolade, Spielsachen, Geld, egal was. Das Betteln gehoert zu ihnen wir ihre roten Roecke, scheint es. Schade. Dabei sagt unsere Wirtin, es ginge ihnen gar nicht so schlecht. Naja, wer weiss? Wir haben auch schon Anderes gesehen und gehoert.
Da entspannten wir uns nun einige Tage, genossen die sichere Umfriedung des Platzes bei unserer Hollaenderin mit ihrem rumaenischen Mann, ehemaliger oder noch immer Lehrer, nuetzten den ersten Tag, unser Bett frisch zu beziehen und einige KM mit dem Fahrrad die Huegelkette jenseits des Olt rauf und runter zu fahren. Josef meinte, jetzt kaemen wir auch die Alb rauf. Da habe ich zwar noch meine Zweifel, aber auf jeden Fall ist es die allerbeste Therapie fuer mein vorderes Kreuzband. Am Montag wuschen wir ganz viel Waesche und putzten Womo. Ich hatte den Wirt gefragt, ob es hier in Bergnaehe irgendwo eine Quelle gaebe, damit wir unsere Flaschen wieder auffuellen konnten. Und siehe da, es gab eine mitten im Dorf, gleich neben der sehr beeindruckenden Ruine des mittelalterlichen Zisterzienserklosters. Der Pfarrer, Siebenbuerger in Shorts und barfuessig, zeigt uns den Weg. Nun waren wir wieder mit Wasser eingedeckt. Das letzte mal hatten wir in Baaßen mit Hans Wasser geholt. Von jetzt an versuchte ich immer, irgendwo eine Quelle zu finden, weil das Wasser so viel besser schmeckte als das aus dem Supermarkt, und weil wir keinen Plastikabfall produzierten.
Abends schlenderte ich rueber zu den Zigane. Eine junge Rumaenin, auch Camperin, war mit ihrem kleinen Sohn schon dort, und ich nuetzte die Gunst der Stunde, da sie Englisch sprach und ein bisschen dolmetschen konnte. Wir durften dem alten Mann beim Melken zuschauen und ihn auch fotografieren. Leider war die junge Zigane-Frau mit den Kindern nicht da. Er sagte uns, er habe nur die eine Kuh und die zwei Pferde, ein paar Huehner und ein paar Schafe. Sein Haus sah recht gross, neu und gut aus, war allerdings nur gemauert, nicht verputzt. Und hinter dem Haus stand eine Waschmaschine. Bettelarm waren sie also keineswegs.
Am Dienstag Morgen ging ein Camper, von dem wir bisher nur das Zelt gesehen hatten, an uns vorbei und gruesste mit „Hallo“. Er war eigentlich schon auf dem Weg nach weg, hatte sein gesamtes Gepaeck auf dem Buckel, aber wir kamen ins Gespraech. Ein Schwabe aus Gerlingen, Mitte dreissig, Sozialpaedagoge, der mal Diakon werden wollte, nun Langzeitarbeitslosen bei der Wiedereingleiderung half, einen Master in Ethnologie hatte, schon zum x. Male in Rumaenien unterwegs war und viel ueber Land, Leute und Geschichte hier wusste und. Wir luden ihn auf einen Kaffee ein, er sein Gepaeck ab; wir bewirteten ihn nachher noch mit Fruehstueck und hatten ein ueberaus spannendes Gespraech, das wir ja vielleicht mal in Aich bei einer Flasche Wein fortsetzen koennten.
Als er sich auf den Weg gemacht hatte, fuhren wir wiederum mit den Raedern eine ausgedehnte aber unspektakulaere Runde quer durch das Olt-Tal und wieder zurueck. Am Abend kam ein junger, abgekaempfter Radfahrer auf den Platz, und Josef lud ihn nach einem kurzen Gespraech auf einen Kaffee zu uns ein, was er gern annahm. Banjamin aus Baden-Baden, 24 Jahre alt, tief glaeubig, gelernter Kfz’ler, hatte bei einem Fahrradhaendler gearbeitet, hatte gekuendigt und wollte mit dem Fahrrad nach Palaestina (er nannte es Israel) fahren – wie mutig! -, wurde an der tuerkischen Grenze abgewiesen, weil man mit dem Fahrrad die Grenze nicht ueberqueren duerfe (!), ist dann unverrichteter Dinge umgekehrt, war nun auf dem Rueckweg und wollte diesen ueber Polen und die Ostsee ausdehnen. Wir haetten wahrscheinlich solange auf die Grenzer eingeredet, bis sie uns durchgelassen haetten. Oder wir haetten uns einen LKW-Fahrer gesucht, der uns mitsamt Fahrrad mit ueber die Grenze nimmt. Aber Benjamin hatte vor der Grenze zu Gott gebetet, dass alles klappt, und als es das nicht tat, nahm er das als gottgewollt hin. Er brachte Kaese, Brot und Gruenfutter mit und aß mit uns zu Abend. Was ihn auszeichnete, war seine unglaubliche Bedaechtigkeit. Man spuerte, wie die Gedanken in seinem Kopf Form annahmen, bevor er sie sorgsam in Worte fasste. Er war sehr interessiert und sehr interessant. Die Eltern gehoeren einer evangelischen Freikirche an, haben drei eigene Kinder und aus Naechstenliebe und Idealismus seit vielen Jahren immer wieder mindestens zwei Pflegekinder. So ist er also aufgewachsen.
Josef, der ewig sorgsame Papa, hat ihn am Mittwoch frueh noch mit Fruehstueck versorgt. Als er los wollte, fing es an zu nieseln, und er sass so gemuetlich mit uns im Womo, dass er sitzenblieb. Wir kamen auf Palaestina zu sprechen. Es hatte wohl ueber Nacht in seinem Kopf gearbeitet, und als glaeubiger Christ hatte er natuerlich eher eine Affinitaet zu Israel. Wir erzaehlten ihm recht viel ueber meine Herkunft und meine Erinnerungen. Er lauschte gespannt, fragte nach. Irgendwann musste er dann aber doch los, wollte er doch eigentlich noch bis Alba Iulia fahren, immerhin 90 KM. Wir gaben ihm die Telefonnummer von Christel Hermann mit, die wir in Baaßen kennengelernt hatten und die nun in Sibiu (Hermannstadt) bzw. gleich daneben in Cristian (Gross-Au) war, da es an seinem Weg lag und fuer den Fall, dass es gar nicht mehr aufhoeren wuerde, zu regnen.
Zwischenzeitlich war so ein MAN-Expeditions-Truck mit FFB (Fuerstenfeldbruck)-Kennzeichen auf den Platz gefahren, der viel zu riesig wirkte fuer die kleine Wiese und die Baeumchen und unser Womo wie einen Smart aussehen liess. Der dazugehoerige Mann musste auch gleich mal auf den Putz hauen („Meiner ist groeßer“), dass ich nicht anders konnte, als ich ein bisschen auf den Arm zu nehmen. Seine Frau war allerdings offen und freundlich, und er konnte spaeter auch ganz normal sein. So viele Deutsche wie in den vergangenen 24 Stunden hatten wir auf der ganzen Reise nicht gesehen!
Am Nachmittag gingen wir mit unseren Medien in die ueberdachte Sitzecke neben dem Grillplatz, da dort das Wifi-Signal deutlich besser war. Irgendwann kam die MAN-Truck-Frau vorbei, dann kam noch eine junge Rumaenin darueber zu, die auch akzentfrei Deutsch sprach. Ich fragte ihr ein paar Loecher in den Bauch, und sie erzaehlte bereitwillig: Sie war, wie so viele, Anfang der 1990’er Jahre als Kind mit ihren Eltern nach Deutschland gegangen. Alle sind dort geblieben; nur sie hatte irgendwann das tiefe Beduerfnis, in ihre Heimat zurueck zu kehren. Hier heiratete sie, bekam eine Tochter, arbeitete viel und erfolgreich bis kurz vor der Erschoepfung, und beschloss dann, etwas anderes mit ihrem Leben zu machen, ging nach Peru zu einen Schamamen, kam wieder und beschloss, sich solange zur Schamanin ausbilden zu lassen, dass sie selbst Menschen heilen kann. Und das tat sie nun und konnte mit ihrer Tochter davon leben. Die MAN-Truckerin haette sich, glaube ich, am liebsten, sofort bei ihr in Behandlung gegeben. Sie arbeitete in der Verwaltung einer Fachoberschule, ueberforderte sich staendig selbst und war, wie unsere Schamanin vor Jahren, auch an dem Punkt angekommen, wo sie nicht mehr so weitermachen wollte. Wir drei Frauen stiegen richtig ein, und Josef, der hinter mir sass, schnaufte immer mal wieder vernehmlich, enthielt sich jedoch laesterlicher Kommentare – Gott sei Dank!
In der Nacht regnete es weiterhin mehr oder weniger non-stop. Der sanfte Regen sammelte sich auf den Baeumen zu schweren Tropfen, die dann mit Getoese auf unser Dach trommelten. Ich lauschte dem Konzert die halbe Nacht. Heute frueh hiess es, das Wetter wuerde am Nachmittag besser werden. Also beschlossen wir, endlich den Fagarasan-Pass hinauf zu fahren. Unsere Hollaenderin meinte, wenn es so regnete, wuerden nicht so viele Rumaenen hochfahren. Ich wusch mir noch rasch die Haare unter der Campingplatzdusche, wir fuellten Brauchasser auf, fuhren dann noch einmal zur Quelle im Dorf und fuellten saemtliche verfuegbaren Flaschen auf und machten uns auf zum Pass. Leider, leider sahen wir auf dem dramatischen Hinweg, der in engen Serpentinen steil auf ueber 2000m fuehrte, nichts von der Landschaft, weil wir in den Wolken fuhren. Vielleicht haetten wir doch noch die Nacht abwarten sollen? Egal, zu spaet. Auf halbem Wege hinauf kam uns der MAN-Truck entgegen. Sie waren auch auf gut Glueck hinauf gefahren, dann aber offenbar umgedreht. Wir wussten, dass es dort oben am Pass einen Tunnel mit 3,60m Durchfahrthoehe gab – genau die Hoehe des Trucks. Das Risiko wollten sie dann wohl doch nicht eingehen und sind umgedreht. Hier oben tobte der Papst! Von wegen, bei schlechtem Wetter fahren sie nicht hier rauf. Die Parkplaetze quollen ueber, die Souvenirbuden hatten reichlich Kundschaft, das Restaurant schien voll besetzt und zugedampft (Hallo, Corona! Eigentlich sind die Innenraeume gesperrt!), und wir versuchten gar nicht erst, dort oben in der Enge zu halten, fuhren weiter durch den Tunnel und fanden kurz dahinter, zwei Serpentinen unterhalb des Passes, ein Grasplaetzchen 10m neben der Strasse. Neben uns standen drei Holzbuden, die Obst, Wurst und Kaese der Bauern unterhalb von hier verkauften. Wir deckten uns mit allerhand Leckereien ein und standen nun unter dem Schutz des einen Haendlers, Vassile, und seines Wachhundes. Sie waren die Sommermonate ueber hier oben und wohnten im Wohnwagen, wurden von ihren Familien aus dem Dorf unten mit frischer Ware versorgt. Vor uns die steile Felswand ueber dem Tunnel, neben uns die grasbedeckten, sanft abgerundeten Gipfel oberhalb der Baumgrenze, nach unten hin zaghaft bewaldet, die sich hindurchschlaengelnde Strasse. Um uns herum rauschte nach dem vielen Regen ueberall das Wasser die Berge hinab. Wir schafften es noch, eine Miniwanderung zu machen, dabei im hohen, nassen Gras klatschnass zu werden und uns an den hier reichlich wachsenden Blaubeeren guetlich zu tun. Dann kuschelten wir uns ins Womo, und ich sass bei grandioser Aussicht auf dem Bett und schrieb, waehrend Josef bei der gleichen grandiosen Aussicht sein Buch „Dombruscha“ zuende las, den erhellenden und erheiternden Reisebericht eines Deutschen, der vor ueber 10 Jahren durch die gleichnamige Landschaft suedlich des Donautals reiste. Wollte mich noch ein wenig durch Herta Muellers „Niederungen“ quaelen, dann auch den Reisebericht geniessen. Vassile, unser Nachbar, klopfte nochmal und brachte uns ein wenig selbstgebrannten Kirschschnaps. Wir waren nicht sicher, ob er ihn gern mit uns gemeinsam getrunken haette, aber er signalisierte, dass er noch aufraeumen muesse. Wir waren auch nicht so richtig scharf drauf, weil er ganz wenig Englisch oder Deutsch sprach, so dass ein Gespraech nicht moeglich gewesen waere. Bei besserem Wetter haetten wir uns mit ihm draussen auf die Stuehle gesetzt und ich mit ihm eine geschmaucht. Aber nicht dran zu denken: Draussen tobte der Wind, zerrte am Womo, und die Wolken quollen im Abendlicht wie Lava ueber die Gipfel und rollten hinunter ins Tal. Welch ein Schauspiel!
Freitag, 21.8.2020
Fagarasan-Gebirge
Die Nacht war fuer mich eher durchwachsen. Ich hatte Josef noch genoetigt, die Teleskopstuetzen einzufahren, so dass wir nun zwar mit Schlagseite in der Landschaft standen und im Bett in eine Ecke kullerten, ich aber weniger Angst hatte, vom starken Wind umgeblasen zu werden und den Hang runter zu rugeln, weil 1. die Raeder weiter auseinander stehen als die Stuetzen, und weil 2. der Fahrzeugschwerpunkt ein wenig niedriger liegt. Irgendwann gegen Morgen hoerte der Wind auf, und ich schlief tiefer.
Morgens weckte uns strahlend blauer Himmel! Ratz-fatz gefruehstueckt, uns wort- und fotoreich von Vassile verabschiedet, was er uns noch mit zweier seiner leckeren Wuerschte dankte (die wir erstmal eingefroren haben), dann wieder zurueck durch den stockdunklen Tunnel, uns einen Parkplatz gesichert, bevor der grosse Run aus dem Tal begann, und sind dann den Berg hinauf. Der Parkplatz ist auf 2034m und ueber der Baumgrenze, so dass wir die ganze Wanderung hindurch, bis hoch auch 2415m , wunderbare Sicht hatten. Morgens lagen ueber dem Tal zum Norden hin noch dichte Wolken, auf die wir hinab schauten. Auf der Nordseite herrlich klare und weite Sicht ueber die Gipfel und Taeler. Als die Sonne mehr Kraft hatte, zog sie die Wolken hinauf bis zum Grat, ueber den sie dann hinweg waberten, um sich dann aufzuloesen. Die zweite Haelfte war eine Gratwanderung, so dass man tatsaechlich 360-Grad-Sicht hatte. Ganz herrlich.
Offenbar ist dies eine Rennstrecke fuer Wanderer. Je spaeter am Tag, desto mehr Wanderer begegneten uns – die meisten parkten unten, wie wir, aber viele waren auch mit grossen Rucksaecken unterwegs und machten die Gratwanderung ueber mehrere Tage hinweg von West nach Ost oder umgekehrt. Diese Wanderung hatte Viola vor ein paar Jahren gemacht, und sie ist mit ihren beiden Wandergenossen nur im Regen gelaufen! Es gibt auch nicht so viele nette Huetten, wie in den Alpen. Wir trafen auf dem weg nach oben einen jungen Mann, Leipziger auf Wanderurlaub. Tauschten uns ein wenig aus, und am Ende bat er uns um einen Gefallen: ob wir wohl den von ihm gesammelten Muell mitnehmen koennten, da er ihn sonst noch zwei ganze Tage herum tragen muesste. Ich mochte es ihm nicht abschlagen und uebenahm die zerschlissene Lidltuete mit dem Zivilisationsmuell. War Gott sei Dank nicht schwer.
An unserem Umkehrpunkt, einem der kleineren Gipfel, stiessen wir auf eine Gruppe von drei Familien, kamen ins Gespraech mit einem der Maenner. Er war Chirurg und hat mal fuer ein paar Jahre in Heidelberg gearbeitet, ist jedoch aus Ueberzeugung zurueck gekehrt, obwohl er hier nur ein Sechstel des deutschen Gehaltes verdient! Chapeau! Wie immer, wurden wir gefragt, wie es uns in Rumaenien gefaellt, und, wie immer lobten wir Land und Leute ueber den gruenen Klee und betonten, wie positiv ueberrascht wir seien, weil Rumaeniens Ruf nicht sehr gut sei. Wie immer, wurde uns dann erklaert, dass der schlechte Ruf nur auf den Zigeuner-Bettelbanden in Europa basiere. (Er betonte, er sei kein Rassist und habe enge Kontakte zu Zigane). Das stimmte natuerlich. Aber es ist nicht alles. Unser Bild ist auch von der Ceaucescu-Zeit gepraegt, von den heutigen Berichten ueber grassierende Korruption, etc. Der Mann verstand und bestaetigte, meinte, dass wahrscheinlich in 50% aller Geschaefte Korruption involviert sei. Er nannte als Beispiel den Autobahnbau: Er ginge nicht voran, weil korrupte Regierungsangehoerige und Strassenbaufirmen die EU-Gelder nicht abriefen, weil sie ihnen dann zu sehr auf die Finger geguckt wuerde. Wir waren uns einig, dass nur ein starkes Europa mit klaren Vorgaben die Dinge langfristig veraendern koenne. Aber er sagte auch, dass Rumaenien seit dem EU-Beitritt in 2007 riesige Schritte gemacht habe. Das konnten wir auf jeden Fall bestaetigen, denn wir sahen ueberall im Land die EU-Schilder, die auf subventionierte Projekte hinwiesen. Man haette noch lange mit ihm diskutieren koennen, aber die anderen Familien waren schon vorausgelaufen, und er musste schauen, dass er mit Frau und Kind hinterher kam. Wir machten uns an den Abstieg, liefen, kaum dass wir auf der Nordseite der Berge waren, in dichtestem Nebel und waren froh, dass wir den Pfad vom Hinweg kannten. Waren dann auch hinreichend erledigt, als wir unten ankamen. Hier war noch stundenlang Jahrmarktatmosphaere, obwohl es kalt und nebelig war. Nach einem Tee im Womo stapften wir ein wenig herum, besahen die vielen Buedchen, die irgendwas verkauften, schoben dann auf dem Parkplatz noch einen Import-BMW mit britischem Kennzeichen an, der nicht starten wollte, und verzogen uns fuer ein Weilchen ins Womo. Josef kochte, und es roch betoerend nach der angebratenen Wurscht von Vassile!
Sonntag, 23.8.2020
Fogarasan, Waldwanderung ueber dem Arges, Cuerta de Arges
Als wir um 7:00 bei klarem Himmel und Sonne aufwachten, kamen schon die ersten Ausfluegler und Wanderer. Wir hatten zu tun, rasch zu fruehstuecken und rechtzeitig vom Parkplatz zu fahren, bevor wir voellig eingeparkt zu werden drohten. Fuhren wieder durch den stockdunklen Tunnel auf die Nordseite hinueber, kauften bei Vassile noch ein wenig Obst, fuellten an der Quelle neben ihm unsere Trinkwasserflaschen und den Wassertank auf und machten uns dann auf den Weg hinunter vom Pass, immer parallel zum Fluss Arges. Es kam uns eine endlose Fahrzeugkolonne entgegen. Was muss da oben am Pass los gewesen sein gestern und heute! Unterhalb der Baumgrenze hielten wir auf etwa 1000m Hoehe an einem Waldweg, wollten uns ein wenig die Fuesse vertreten und nahmen Behaeltnisse mit, weil wir auf Pilze bzw. Blaubeeren hofften. Am Ende wurde es zu einer fast fuenfstuendigen Wanderung. Am Zugang stand ein Warnschild: Hier seien gefaehrliche Tiere unterwegs. Dazu ein Foto von einem Baeren! Das war natuerlich spannend. Der Weg ging stetig bergauf, war jedoch gut ausgebaut – wohl fuer Forstfahrzeuge, so dass es recht bequem war. Nach ca. 1,5 Stunden Weg stiessen wir auf einen ganz frischen Kothaufen, der so gross war, Blaetter und Nadeln enthielt, dass wir sofort an Baeren dachten. Wir freuten uns wie die Kinder und waren gespannt wie Flitzebogen. Im weichen Schlamm fanden wir wenig spaeter die klaren Abdruecke von Baerentatzen. Er lief offenbar in dieselbe Richtung wie wir, musste relative kurz vor uns hier entlang gelaufen sein. Immer wieder sahen wir Abdruecke, wussten nicht recht, ob wir laermen sollten, um ihm Zeit zu geben, vor uns zu fluechten, oder ob wir schleichen sollten, um ihn zu sehen. Auf unserer USA-Reise hatten wir gelernt, Laerm zu machen, wenn die Gefahr bestand, Wildtieren zu begegnen, und sollte man doch mal auf einen Baeren stossen, sich moeglichst gross und breit zu machen, indem man die Jacke mit weit gespreizten Armen ueber den Kopf haelt, und ebenfalls zu laermen. Wir hatten nichts zu essen dabei, so dass wir hoffentlich kein spannendes Opfer gewesen waeren. Er zeigte sich jedenfalls nicht. Zweimal hoerten wir grosse Aeste am Waldboden knacken, sahen auch immer wieder Spuren, auch von Hirschen und Wildschweinen, aber mehr auch nicht. Auch keine Blaubeeren oder Pilze. War wohl zu trocken hier unten. Nach knapp 3 Stunden drehten wir um; uns sass noch die Wanderung vom Vortag in den Knochen. Spannend war es jedenfalls!
Wieder am Womo, fuhren wir tiefer ins Tal hinunter bis zum Lacul Vidraru, einem Arges-Stausee, an dem wir eigentlich auch noch einmal halten wollten, was jedoch gaenzlich unmoeglich war. Es gab keinen richtigen Zugang zum See. Ist vielleicht Absicht, weil er sicherlich ein Trinkwasserreservoir ist und so seine Verschmutzung verhindert wird. Wir hielten an einer Parkbucht, konnten jedoch vom See unterhalb nichts sehen. Eine Gruppe junger Bukarester stand herum, und eine junge Frau erzaehlte, sie haetten kurz voher an der Strasse einen jungen Baeren gesehen, konnten jedoch ob des Verkehrs nicht halten. Eine von den Frauen hatte uebrigens ein T-Shirt an, dass uns die Spucke wegblieb: Hinten schwarz, vorn aufgedruckt ein weit geoeffnetes Oberteil, aus dem der Megabusen rausguckt! Geschmackssache!
Lediglich am Staudamm haette man theoretisch mal auf den See gucken koennen. Aber hier war soviel Ausflueglerbetrieb, waren alle noch so kleinen Plaetzchen neben der Strasse von Autos belegt, dass wir mit unserem Womo keine Chance hatten. So waren wir gezwungen weiterzufahren. Schade, denn die steil aufragenden Felswaende an dem Flaschenhals des Flusstals, wo sie den Damm gabaut hatten, waren sehr beeindruckend. Auf der anderen Seite mieden wir Menschenmassen wegen Corona ein bisschen. Kurz hinter dem Damm und hinter einem kurzen Tunnel stand mitten in diesem Verkehrschaos ein liegengebliebener PKW, und die Leute waren dabei, einen Reifen zu wechseln. Ich konnte im Vorbeifahren ihre total gestressten Gesichter sehen. Die Polizei, die dort herum fuhr, kuemmerte das wenig.
Hinter dem Damm fuhren wir oberhalb eines Nebenflusses des Arges, konnten unten einen Weg neben dem Fluss erkennen, hielten bei der ersten Gelegenheit und konnten tatsaechlich hinunter zum kleinen Fluss und parallel zu diesem etwa 1 km weit laufen. Auch hier war ein Baerenwarnschild. (Josefs Telefon hatte mittlerweile schon dreimal einen sehr unschoenen Alarmton von sich gegeben, den wir erst nicht ergruenden konnten. Dann sahen wir es: es war eine Baerenwarnung, denn auf der Strasse parallel zum Arges war wohl mehrmals ein Baer gesehen worden.) Wir liefen also parallel zum Fluesschen, ueber uns die Strasse, am Ufer eine picknickende Familie und ein Angler. Wir stolperten ueber unzaehlige Baerenkothaufen. Hier waren sie offenbar wirklich oft! Wir sahen dennoch keinen. Leider …. oder Gott sei Dank.
Als wir wieder zum Parkplatz hinauf kamen, stand da der PKW mit der Reifenpanne von vorher. Eine erwachsene Tochter mit ihen Eltern. Wir fragten, was los sei. Sie hatten wohl das Ersatzrad vorn drauf gemacht, aber die Schrauben fuer ihre Alufelgen passten nicht auf die Eisenfelge, waren zu lang, so dass das Rad schlackerte. Nun hatte ihnen am Telefon jemand gesagt, sie sollten das Ersatzrad hinten montieren, das sei dann nicht ganz so gefaehrlich. Wir versuchten, erst einmal den platten Reifen aufzupumpen, weil sie wohl gegen einen Randstein gefahren waren und wir hofften, dass durch den Schlag die Luft raus gegangen war, der Reifen aber vielleicht in Ordnung. Fehlanzeige! Er hatte ein Loch. Dann also Raeder tauschen. Mega-Aktion. Einmal ist fast das Auto umgekippt, weil ihr Wagenheber so wackelig war. Hin, her; her, hin. Es halfen dann noch ein paar andere Maenner, und am Ende hatten wir es geschafft. Sie bedankten sich wortreich und herzlich, und die Mutter versprach, uns fortan mit in ihr Gebet einzuschliessen. Moege es nuetzen!
Wir kamen dann noch an der Ruine des Dracula-Schlosses vorbei – also dem echten, das Vlad Tepes, der Pfaehler, gebaut hatte, aber es war mittlerweile zu spaet, die 1300 Stufen hinauf zu steigen. Das Tor war schon geschlossen. Schade! Denn man haette von dort oben bestimmt einen dramatischen Ausblick auf den Damm und den See gehabt. Schliesslich fuhren wir die letzten 20 km nach Cuerta de Arges, laut Baedeker ein charmantes Staedtchen mit einer wichtigen Kirche und Kloster, wo Carol I., alias Karl von den Hohenzollern, nebst Frau und Kindern begraben ist. Als wir in die Doerfer am Fusse der Berge kamen, war es ca 19:00, und es bot sich uns ein herrliches Schauspiel: Dutzendweise lief jeweils eine Frau mit einer Kuh an der Leine die Dorfstrasse entlang. Sehr gemaechlich, ihre Hinterteile und prall gefuellten Euter hin und her schwenkend, dabei wiederkaeuend, liessen sich die gemuetlichen Tiere nach Hause fuehren zum Melken. Niemand liess sich aus der Ruhe bringen: nicht die Autofahrer, nicht die Frauen, die teilweise sehr sprotlich und gar nicht baeuerlich wirkten, nicht die Kuehe.
Wir parkten direkt neben der Kirche, aßen in einem netten Gartenlokal gute rumaenische Kueche (wie immer, wenn wir hier essen gingen) und schliefen gut. Heute frueh um 7:30 fuellte sich der Parkplatz um uns her rasant, und um 8:00 laeuteten die Glocken zum ersten Gottesdienst. Sie sind sehr fromm hier! Ein paar Meter neben uns parkte eine Familie im Wohnwagen. Die zwei kleinen Toechter waren identisch sonntaeglich, passend fuer den Kirchgang gekleidet in duftigen pastellfarbenen Sommerkleidchen und weissen Strumpfhosen gekleidet, und die Mama band ihnen sehr sorgfaeltig ein Kopftuch, so dass sie aussahen wie kleine muslimische Maedchen.
Vor der Kirche war nachher der Teufel los (Pardon!), und es war das erste Mal, dass ich dachte, das ist recht gefaehrlich, was die da machen, angesichts Corona. Die meisten blieben zwar draussen auf dem Vorplatz, wohin der Gottesdienst per Lautsprecher uebertragen wurde, aber viele gingen auch hinein, und ein Laden, der heiliges Zubehoer, wie Ikonen, Rosenkraenze,Weihwasser, Kerzen, etc. verkaufte, war viel zu voll und die Luft darin zum Schneiden. Ich wollte eine Kerze kaufen, um sie fuer die Mutter meiner Freunden Sophia anzuzuenden, die vor 40 Tagen gestorben war, habe aber sofort die Flucht ergriffen und Gott sei Dank draussen an einem Stand Kerzen gefunden. Habe dann drei angezuendet: eine fuer Sophias Mama, eine fuer Josefs Mama und eine fuer meine Mama.
Wir haben auf dem Markt und in einem der herrlichen Kraemerlaeden, „Magazin Mixt“, eingekauft, die es hier in grosser Zahl und hoffentlich noch lange gibt, trotz Lidl, Penny und Kaufland, die sich wie eine Seuche hier ausgebreitet haben! Dann machten wir uns auf den Weg nach Brasov (deutsch Kronstadt), was voellig balla war, weil wir mal wieder im Zickzack fuhren. Aber wir wollten uns halt weder den Fogarasan- Pass, noch Cuerta de Arges, noch Brasov entgehen lassen. Die Strecke war mal wieder sehr, sehr schoen: wir fuhren rauf und runter ueber mehr oder wenige hohe bewaldete Berge, am Ende bis auf 1245m rauf und wieder runter, in nordoestlicher Richtung. Noerdlich und suedlich von uns ragten in groesserer Entfernung grosse Bergmassive auf. Uebrigens sahen wir an den steilen Serpentinenstrassen immer wieder Stellen, wo die Strasse weggebrochen war und man einach die Leitplanke um das Loch herum weiter in die Strasse gelegt hatte, so dass diese oft auf eine Fahrbahn verengt war. Wie lange sie wohl mit einer richtigen Sanierung warten wuerden Bis die Strasse ganz wegbrach?
Wir kamen zu einer Bruecke, die gerade saniert wurde und auf eine Fahrbahn reduziert war. Hier wurde der Verkehr von einer Polizistin geregelt. Vor uns in der Warteschlange stand ein Pferdewagen. Als die junge Beifahrerin auf dem Kutschbock uns gewahr wurde, schwenkte sie strahlend einen Eimer mit Waldblaubeeren hin und her. Wir signalierten ihr, dass wir wollen, sie sprang behende vom Wagen, ich holte unsere Salatschuessel, liess sie fuer 20 Lei durch’s Fenster fuellen; sie freute sich und lief weiter die Autoschlange ab. Zwischenzeitlich rollte der Verkehr wieder an, und ihr Kutscher blieb kurz hinter der Polizistin stehen und wartete seelenruhig auf seine fleissige Blaubeerverkaeuferin. Bei dieser Episode fiel mir ein weiterer Strassenrandeinkauf ein: Wir hatten bei einem Obst- und Gemuesehandler an der Strasse angehalten, um unsere Vorraete ein wenig aufzufuellen. Er erinnerte mich ganz unglaublich an Goetz George im fortgeschrittenen Alter.Waehrend wir aussuchten und abwiegen liessen, kam ein Mann dazu, der ein wenig Deutsch sprach, weil er mal auf dem Bau in Deutsland gearbeitet hatte. Er sagte, er sei der Sohn des Haendlers. Ich bat ihn, seinem Vater zu dolmetschen, dass er aussehe wie ein sehr bekannter und beliebter deutscher Schauspieler. Er freute sich sehr ueber das Kompliment und war ganz verlegen!
Josef besorgte spaeter Zucker und machte im Womo drei Glaeser Marmelade daraus, weil wir die nicht alle frisch haetten essen koennen, bevor sie angefangen haetten, zu gaeren. Wir kamen durch Bram, wo es auch eine ganz tolle Burg gibt. Aber dort war so viel los, dass wir entschieden, nicht zu halten, obwohl uns sicher etwas entgangen ist. Kurz vor Brasov, auf einer Lichtung oberhalb von Rasnov (deutsch: Rosenau) fanden wir dann auf einer herrlichen Lichtung einen schoenen Platz zum Schlafen. In Rasnov gibt es auf einem Huegel eine uralte Bauernfestung, offenbar ein komplettes Dorf und eine der aeltesten Siedlungen Rumaeniens, die auf die Daker zurueckgeht. Die wollten wir morgens gleich nach dem Fruehstueck besichtigen, bevor der grosse Ansturm kommt, denn das Doerfchen ist auch bei Rumaenen ein beliebtes Ausflugsziel.
Dienstag, .25.8.2020
Rasnov, Brasov, Berca
Als wir nach dem Fruehstueck, also ca 9:30, auf den grossen Parkplatz der Bauernfestung ankamen, stroemten bereits die Autos herein und Souvenirhaendler, wie Imbissbuden und Restaurants waren schon warmgelaufen. Traktoren zogen kleine Waggons auf Raedern hinter sich den Berg hinauf. Sowohl die Ungarn, als auch die Rumaenen lieben es, im kleinen Zuegen durch ihre Attraktionen kutschiert zu werden. Ihr Geschmack, ihre ganze Art, Dinge zu besichtigen, erinnert sehr an meine arabischen Landsleute: Man faehrt moeglichst bis vor die Haustuer, guckt sich dann alles, am besten im Zuegle fahrend, ganz schnell an, interessiert sich moeglichst wenig fuer historische oder sonstwelche Hintergruende, isst was, kauft ein Souvenir und geht wieder. Gott sei Dank ist das so, denn dadurch rennen nicht alle in der Natur herum und trampeln alles kapputt. Es lag auch so schon im ganzen Land und ueberall reichlich genug Muell herum.
Wir fragten eine junge Dame, die Tickets fuer den Zug verkaufte, ob wir hier unten fuer die Festung Eintritt zahlen muessten, was sie verneinte. Gingen also zu Fuss den kleinen Huegel hinauf, kamen an einem Dinopark vorbei und erreichten schliesslich den ersten Mauerring der Festung, gingen hindurch und standen dann vor einem fest verschlossen Tor, mit dem Hinweis, dass die Festung bis 2021 wegen Restaurierungsarbeiten geschlossen sei. Wir konnten es gar nicht recht glauben und fragten diverse andere Besucher, auch einen kleine, alten, gebeugten Mann, der dort eine kleine Holzhuette hatte, ein lebensgrosses Poster mit einem Foto von sich selbst in Hirtentracht darauf anbrachte und dafuer (oder wofuer?) ein Koerbchen hingestellt hatte, in das man ein wenig Geld tun konnte. Alles ein wenig raetselhaft. Es waren schon ungefaehr 50 Menschen dort oben im ersten Hof, und offenbar hatte keiner gewusst, dass man gar nicht rein konnte. Sie trugen es alle mit Humor und Fassung, erklommen einen kleine Huegel neben dem Tor, genossen die Aussicht, liessen sich ablichten und gingen wieder. Ich fand es schon ein bisschen frech, dass einem unten nichts gesagt wurde. Aber klar, Josef hat recht: Die Souvenirverkaeufer oben wollten auch was verdienen, genauso wie die Traktoreisenbahn und der Dinopark, mit dem sich dann alle Familien mit Kindern troesteten.
Wir gingen also unverrichteter Dinge zum Womo zurueck. Mittlerweile hatte sich der Parkplatz sehr gefuellt, und wir waren froh, fort zu kommen. Nun machten wir uns auf nach Brasov, von dem der Baedeker sagt, es sei die schoenste Stadt Rumaeniens. Unsere ueberliche Strategie, mal mitten ins Zentrum zu fahren und dort einen schattigen Parkplatz zu finden, funktionierte hier nicht. Die Altstadt war eng, und ich brachte Josef mit meiner Streckenfuehrung in engen Gaesschen (war auf google maps nicht so erkennbar) ein bisschen ins Schwitzen. Aber ich bewundere, wie er dieses Riesenschiff auf engstem Raum manoeviriert! Wir mussten ein bisschen kreisen, bis wir endlich einen Parkplatz ausserhalb der Stadt fanden. Sind dann mit den Raedern reingefahren, was meinem Wanderknie gut tat. Zugegeben, Brasov war huebsch, hatte wirklich viel alte Architektur, wovon noch sehr viel einer grossen Menge Geldes zur Sanierung bedarf. Wir orientierten uns ein wenig, schauten dann die Biserca Negra, die Schwarze Kirche an, die uns schon mehrfach angepriesen worden war. Das Beeindruckendste war die grosse Zahl tuerkische Teppiche, die Haendler vor hunderten von Jahren von ihren Geschaeften mit den Ottomanen mitgebracht und der Kirche gestiftet hatten, und deren Farben teilweise noch leuchteten, als seien sie frisch geknuepft worden. Wir unterhielten uns mit einer Mitarbeiterin, die hier aufpasste, dass die vielen Besucher, die in Nicht-Corona-Zeiten hier durch laufen, nichts kapputt machten. Sie war von Haus aus Uebersetzerin, konnte jedoch davon offenbar nicht leben. Waehrend wir anschliessend einen Kaffee auf dem schoenen zentralen Rathausplatz der Altstadt tranken und eine Kleingkeit aßen, zogen dunkle Wolken auf und kuehlte es um 10 Grad ab. Mir fiel ein, dass eines der Dachfenster am Womo offen stand. So radelten wir die 4 km zurueck, kamen gerade rechtzeitig vor einem Regenguss an, vertuettelten die Zeit, bis es wieder trocken war, radelten wieder in die Stadt und arbeiteten die im Baedeker genannten Sehenswuerdigkeiten ab – allerdings eher oberflaechlich. Unsere Speicher fuer Kirchen, Museen und Aehnliches waren satt gefuellt. Stattdessen sprachen wir lieber mit den Menschen. In einer Nebenstrasse des Schei-Viertels (Hier lebten einst alle nicht Siebenbuergersachsen, die deshalb nicht innerhalb der Mauern leben durften: Rumaenen, Juden und Ungarn! Unglaublich!) stand eine relative junge Frau vor einer Art Kunsthandwerksausstellung. Sie sprach sehr gut Englisch und erklaerte uns auf unsere Frage, sie arbeite eigentlich fuer eine Kreuzfahrtgesellschaft, sei nun wegen Corona hier gegroundet und versuchte, das Beste daraus zu machen. Sie sass mit ihrem Team von 90 Mitareitern auf dem Schiff fest, nachdem alle Gaeste nach Hause geflogen worden waren. Sie selbst haette auch nach Rumaenien zurueck fliegen koennen, wollte jedoch ihr Team, von denen die meisten von ihren Heimatlaendern abgewiesen wurden, nicht im Stich lassen und blieb vier Monate. Die Schiffe durften zwar Haefen anlaufen, um zu tanken und sich zu versorgen, durften jedoch nicht bleiben, mussten auf dem offenen Meer herumduempeln. Sie sagte, sie wurden von ihrem Arbeitgeber sehr gut versorgt, hatten jeder eine Kabin mit Balkon, sehr gutes Essen und vollen Lohn. Dennoch war es schwer, die Kollegen bei Laune zu halten. Eine chinesische Kollegin aus Wuhan war ein Jahr lang non-stop auf dem Schiff, denn sie haette eigentlich kurz vor Corona nach sechs Monaten auf See Landpause gehabt, wollte dann jedoch abwarten, bis sich die Dinge in Wuhan beruhigt haetten, duerfte dann jedoch nicht mehr einreisen. Hart! So muss es Tausenden ergangen sein.
Wieder zogen dunkle Gewitterwolken auf, und da man in Corona-Seiten nur draussen bewirtet wurde, mussten wir ruckzuck wieder zurueck in Womo, schafften es wieder auf den letzten Druecker vor dem grossen Regen, der nun aber leider nicht mehr nachließ, so dass wir nicht noch einmal los sind. Haben uns dann seit Langem mal wieder einen richtig guten Film mit Goetz George, „Besondere Schwere der Schuld“, angeschaut. Meine Nacht war sehr durchwachsen, weil ein paar Mosquitos um meinen Kopf schwirrten. Zum x. Male beneidete ich Josef um seinen gesunden Schlaf.
Heute hatten wir Strecke vor uns. Wollten nun endlich Siebenbuergen hinter uns lassen, machten jedoch noch einen Abstecher nach Prejmer (deutsch: Tortlau), wo eine wirklich beeindruckende Kirchenburg mit noch zwei vollstaendig erhaltenen Mauerringen steht, in denen insgesamt 270 Kammern eingelassen sind, in die die Dorfbewohner, analog zu den Agadiren in Marokko, bei feindlichen Angriffen und Belagerungen gefluechtet sind, und die auch in Friedenszeiten als Lebensmittellager dienten – auch lange, nachdem das Hin- und Herscharmuetzeln aufgehoert hatte. Sehr beeindruckend und dank einer dafuer geschaffenen Stiftung von ehemaligen Siebenbuergen sehr gut erhalten. Christel und Hans aus Baaßen braeuchten auch dringend so eine Stiftung als Geldgeber.
So, nun aber mal Strecke machen, wenn wir je im Donaudelta ankommen wollten. Sind durch huebsche allmaehlich abflachende bewaldete Berge nach Osten bis nach Berca gefahren, um uns hier die Schlammvulkane anzuschauen. Auf dem Weg hielten wir einmal, um auf einen Stausee hinunter zu schauen. Eine Zigane und ihre Tochter lungerten dort herum oder hatten vorher irgendwas verkauft. Als wir kamen, packten sie ihre Sachen zusammen und warteten dann neben dem Auto, bis wir genug gesehen hatten vom See. Josef rechnete damit, dass sie nach Geld fragen wuerden, aber sie fragten uns, ob wir ihnen nicht unsere Fahrraeder geben wollten. Ich musste lachen. Naja, man kann es ja mal versuchen.
Wir haben nun Siebenbuergen eindeutig hinter uns gelassen, und mir faellt auf, dass hier nicht nur Schaf- und Kuhherden mit Hirten durch die Landschaft spazieren, sondern auch kleine Truthahnherden! Die Frauen, insbesondere die ca 40-50-jaehrigen laufen in chinesischen Billigklamotten herum: oft eine knallbunte Hose und ein knallbuntes Oberteil, die rein gar nicht zueinander passen. Hauptsache bunt! Die Doerfer wirken zum Teil sehr aermlich, zum Teil auch ein wenig aufgeraeumter. Ich glaube, die richtig aermlichen werden von Zigane bevoelkert.
Das Timing war gut, denn wir kamen nach 17:00 bei den Schlammvulkanen an, und das Licht war sehr schoen, ließ die Mondlandschaft, die sich uns darbot, noch unwirklicher erscheinen als ohnehin: Ganz nackte, graue, niedrige Vulkankegel, aus denen aus 3000m Tiefe grauer Schlamm empor blubbert. Das Ganze war nicht heiß, so dass man ganz nah an die blubbernden Stellen heran konnte. Josef fiel dann ein, dass vor ein paar Jahren in Indonesien solch ein Schlammvulkan aufgrund von Bauarbeiten angepiekst wurde, der nun seitdem und fuer ewige Zeiten Unmengen Schlamm ausspuckt und ganze Hauser und mit der Zeit die ganze Kleinstadt unter sich begraebt, was nicht aufhaltbar ist. Diese hier waren deutlich zahmer, aber auch sehr spannend.
Kamen dann noch mit einem rumaenischen Ehepaar ins Plaudern, die in England arbeiten und nicht mehr zurueck wollen – allenfalls fuer den Sommerurlaub, wie jetzt. Traurig fuer dieses Land. Der Mann sagte uns, Rumaenien habe von seinen 22 Millionen Einwohner etwa 4 bis 5 Millionen verloren.
Als wir zum Womo kamen, drueckten sich in den Schatten desselben eine Familie, die auch gekommen war, die Vulkane zu sehen. Dem kleinen Maedchen war speischlecht von der Fahrt. Sie war auch ganz bleich im Gesicht. Josef gab ihnen vier seiner Reisetabletten, wofuer sie herzlich dankten.
Wir uebernachteten neben den Schlammvulkanen. Selbst vom Womo aus hoerte man ab und zu das „Blubb“, wenn sich gerade wieder eine einzelne Blase an die Oberflaeche gearbeitet hatte. Neben uns stand auf der einen Seite ein fensterloser Transporter mit einem Paerchen aus der Pfalz und zwei grossen Hunden (!) und auf der anderen eine Reise-Van mit einem polnischen Paerchen.
Donnerstag, 27.8.2020
Berca, Braila, Donau-Delta
Nach dem Fruehstueck machten wir noch eine 3-stuendige, recht schoene, wenn auch ereignislose Wanderung ueber die Ruecken der umgebenden groesseren Huegel. Man hatte immer freie Rundumsicht, was sehr schoen war. Ausserdem fanden wir viele Sanddornbuesche. Die Beeren werden gerade ueberall an der Strasse verkauft. Wir wissen nicht so recht, was die Rumaenen damit machen, nur, dass sie sehr viel Vitamin C enthalten, aber Tante Google hat mir spaeter erzaehlt, dass die Beeren viel in der Koerperpflege verwendet werden und es mittlerweile in Rumaenien Sanddornplantagen gaebe. Das Problem ist, wie so oft, der Vertriebsweg.
Wir fanden keinen richtigen Rundweg und mussten auf dem Rueckweg querfeldein laufen, rissen uns am Sanddorngebuesch die Beine auf und sahen nun etwas verschrammt aus. Die Mittagshitze verbrachten wir Richtung Osten und Delta fahrend im Auto, verliessen nun die letzten Huegel und kamen ins platte Land: weit und breit nichts als Mais- und Kornfelder und Wiesen – kein Baum, kein Strauch, kaum Doerfer, dafuer ploetzlich ein recht grosses Gebiet mit Oelpumpen (wie wir es vor vielen Jahren einmal im Oman auf einer aehnlich oeden, jedoch viiiiel laengeren Fahrt ueber die Plateauwueste nach Salalah erlebt hatten). So stellten wir uns die Mitte der USA und Kanadas vor. Um das Bild abzurunden, fanden wir ein Cafe am Landstrassenrand, in dem ein paar traurige Provinzgestalten herum hingen – u.A. eine junge Frau mit langen angeklebten Wimpern und zu viel Schminke im Gesicht – und an dem die LKW mit 120 km/h vorbei donnerten, so dass der Fahrwind bis in die Kaffeetasse zu spueren war.
Wir fuhren durch bis Braila am westlichen Zipfel des Deltas, suchten uns einen Stellplatz mitten in der Stadt an einer Treppe direkt oberhalb der Donau. Dort unten gab es ein Freibad, und wir beschlossen, dort nach dem Fruehstueck bzw. ueber die Mittagshitze hinweg ein paar Bahnen zu schwimmen. Nahmen dann die Raeder und fuhren am Fluss entlang, sahen eine Faehre, die auf die andere Seite der Donau fuhr, reihten uns zwischen den Lieferwagen und PKW ein und fuhren mit hinueber. Ein junger Mann wollte uns unbedingt ueberzeugen, noch in die zwei Stunden entfernte Bucigi-Bergkette zu fahren, zeigte uns lauter Fotos auf seinem Handy.
Auf der anderen Seite lagen viele Leute am Donaustrand. Wir fuhren parallel dazu einen Sandweg und waren entsetz ob der Muellmengen ueberall, zwischen denen die Leute sich ungeruehrt sonnten. Ueberall auf der Welt dasselbe Bild: die „Errungenschaften“ des westlichen Wohlstands knietief und kunterbunt. Wieder bei der Faehre, fiel uns auf, dass wir auf einer grossen Donauinsel waren, Auslaeufer des Deltas, und dass eine Firma „AlDahra“ hier landwirtschaftet. Google bestaetigte, was wir anhand des Namens geahnt hatten: Eine arabische Firma, mit Sitz in Abu Dhabi, steckt dahinter. Wir wussten schon lange, dass die VAE, wie auch Saudi und die anderen Golfstaaten, ueberall auf der Welt fruchtbaren Boden kaufen, um ihre wachsenden Bevoelkerungen zu ernaehren. Google konnte uns sonst nichts dazu sagen, und die Leute, die wir fragten, wussten auch nichts. Uns haette interessiert, zu welchen Bedingungen die VAE das Land gepachtet oder gekauft haben, was mit den Menschen geschehen ist, die bisher hier ihre Subsiztenzlandwirtschaft betrieben haben, ob alles exportiert wird oder ein Teil davon den rumaenischen Bauern Konkurrenz macht,…
Zurueck am Womo, zogen wir uns etwas einigermassen salonfaehiges an und machten uns auf die Suche nach einem Restaurant. War gar nicht so einfach. Der alte Teil der Stadt ist in konzentrischen Halbkreisen auf die westliche Donauseite gebaut, bietet unglaublich viele schoene Stadtvillen vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Leider standen unglaublich viel leer und zum Verkauf, verfielen langsam und wurden von der umgebenden Natur zurueckgeholt. So traurig! Man wuenschte sich, es wuerden sich Investoren finden.
Restaurants ohne Aussenbereich durften wegen Corona ohnehin nicht oeffnen und waren mittlerweile pleite, und viele Lokale waren nur Bars. Endlich fanden wir was Gutes und genossen Essen und Bier.
Heute frueh war es tatsaechlich noch ein bisschen frisch zum Baden. So fuhren wir mit den Raedern auf den wunderbar grossen und gut sortierten Markt, fuellten unseren Kuehlschrank und gingen erst mittags planschen. Der „Manager“, Alexander, freute sich, dass wir unser Versprechen wahr gemacht und wieder gekommen sind. Hatten gestern kurz mit ihm geplaudert. Er hat das Bad wohl von der Stadt gepachet und arbeitet auf eigene Rechnung. Es fuellte sich ganz gut im Laufe der 2 – 3 Stunden, die wir dort waren, und der Eintritt war fuer rumaenische Verhaeltnisse und gemessen an der Einfachheit der Anlage mit 5 EUR richtig hoch, die Snacks und Getraenke auch teuer. Ist also eher was fuer die Betuchten hier in der Stadt. Dennoch ist es sicher nicht einfach, mit dem Schwimmbad Geld zu verdienen.
Wir machten uns am fruehen Nachmittag auf den Weg weiter in Richtung Delta, hielten kurz in Tulcea, dem Ausgangspunkt fuer die meisten Schiffsausfahrten ins Delta, einer ehemals wichtigen Hafenstadt, die Ceaucescu erfolgreich verhunzt hat. Vom Parkplatz aus schauten wir auf ein hohes Minarett, Zeugnis der muslimischen Dobrudscha, wo die Ottomanen einst muslimische Tataren, Tscherkessen und andere ansiedelten.
An der Promenade stand ein grosses Projektschild, dass die Sanierung der Hafenanlage und Promenade mit Hilfe von ca 65 Mio EUR jeweils haelftig von der EU und der rumaenischen Regierung im Zeitraum 2014-2020 ankuendigte. Allein, es war nichts davon zu sehen! Wir fragten ein paar Maenner, und sie meinten, da sei noch nichts passiert. Und was dann mit dem Geld passiert sei? Sie machten die Geste der Hand, die etwas stiehlt und verbirgt, eine Geste, die wir hier schon haeufiger gesehen haben um Zusammenhang mit der Regierung. Wir fotografierten das Schild und nahmen uns fest vor, mit Katrin Barley,SPD/ EU, darueber zu kommunizieren. Hoffentlich vergessen wir es nicht.
Die Donau fliesst durch die Mitte des Deltas und bildet die Grenze mit der Ukraine. Tulcea liegt am spitzen und westlichen Ende des Delta in einem Dreilaendereck: Rumaenien, Moldavien und Ukraine. Allzu gern waere Josef noch in beide Nachbarlaender gefahren. Die Ukraine, insbesondere Odessa, haetten mich schon auch gereizt. Aber wir waren nicht sicher, ob die Rumaenen uns wegen Corona wieder hinein lassen wuerden und wollten das Risiko nicht eingehen.
Wir schwangen uns wieder ins Womo und fuhren noch ein paar KM weiter an der Suedseite des Deltas entlang, an den niederen Macin-Bergen entlang, die noerdlichen Auslaeufer der Region Dobrudscha. Die Reiseleiterin /Journalistin, Christa Richter, die wir vor dem deutschen Buchladen in Sibiu (Hermannstadt) kennengelernt hatten, hatte uns einen Reisebericht von einem Horst Pfingsten waermstens empfohlen, der 2005 mit oeffentlichen Verkehrsmitteln durch die Dobruschda gereist war und wirklich ein ganz herrliches Buch darueber geschrieben hatte. Auf seinen Spuren fuhren wir also und blaetterten immer mal wieder in seinem Buch, um bestimmte Episoden geografisch zuordnen zu koennen. Zunaechst umrundeten wir die niederen Macin-Berge, die der gute Herr Pfingsten erklommen hatten, weil sie mit 1,5 Millarden Jahren das aelteste Gebirge Europas sein sollen. Die Landschaft war unglaublich trocken und oede – und das, obwohl direkt neben uns das Delta war, ein Labyrinth aus Wasserkanaelen und Seen mit einer Flaeche von 5800 qm!
Nun waren wir also in einem kleinen Oertchen am suedlichen Rand des Deltas, Baltenii des Sus, standen am Dorfrand auf einer Wiese gleich neben einem dem St.Georg-Kanal, einem der Hauptarme des Deltas, und es hatte endlich abgekuehlt, so dass man ins Bett gehen konnte. Mit den Muecken ging es wider Erwarten. Konnten sogar draussen essen, nachdem wir uns mit Gift eingesprueht hatten.
Samstag, 29.8.2020
Donau-Delta, Dobrugscha
Morgens fuhren wir den Feldweg parallel zum breiten St.-Georgskanal. Immer wieder sassen Angler am Ufer, schauten geduldig auf ihre Schwimmer und gruessten freundlich. Nach ein paar Kilometern war der Weg so zugewachsen, dass er unpassierbar war, so dass wir umkehren mussten. Ploetzlich sahen wir einen Schwarm grosser Voegel am Himmel! Es waren an die hundert Stoerche, die sich ueber dem Wald am gegenueberliegenden Ufer wie eine Helix nach oben schraubten. Als sie ueber dem Kanal waren, brach der ersten aus der Helix aus und flog ueber uns hinweg eine gerade Linie nach Sueden, dann folgte der Zweite, der Dritte, usw. , bis schliesslich alle, kaum mit den Fluegeln schlagend, in dieselbe Richtung segelten. Wir schauten zum anderen Ufer hinueber, und dort formte sich gerade die naechste Storchenhelix, bot dasselbe Schauspiel, gefolgt von immer noch mehr Schwaermen. Es waren sicherlich an die 20 oder 25 Schwaerme! Unsere kleine Fahrradtour hatte sich mehr als gelohnt. Auf dem Rueckweg beobachteten wir noch in ein paar Baeumen eine ganze Truppe Bienenfresser, die gruen-braun durch die Luft segelten. Bei einem der Angler hielten wir an, und er zeigte uns voller Stolz, was er schon gefangen hatte. Sein aelterer Begleiter – vielleicht sein Vater – bereitete gerade etwas zu essen vor, und sie boten uns Schnaps an, was uns hier zu jeder Tageszeit immer wieder passierte und durchaus ueblich ist. Leider sind wir nicht trinkfest genug und mussten es immer ablehnen. Waere schon mal spaßig gewesen, mit den Maennern einen zu heben.
Wieder am Womo, machten wir uns auf den Weg nach Mahmudiya, einem Doerfchen ein wenig weiter den Kanal entlang. Das Dorf war einst fest in ottomanisch-islamischer Hand- daher der Name. Jetzt war davon, ausser dem Namen, nicht mehr zu sehen oder zu spueren. Das Dorf lebt von Parkplatzgebuehren, so scheint es, denn die Leute parken hier fuer mehrere Tage und fahren mit kleinen Faehren nach St. Georg, dem Oertchen an der Muendung des gleichnamigen Kanals ins Schwarze Meer, wohin man nur ueber den Wasserweg kommt. Es haette mich gereizt zu sehen, aber wir werden noch ans Schwarze Meer kommen und wollten nun erst einmal das Delta selbst erkunden. Wir trauten uns nicht so recht (und fanden auch keine geeignete Stelle), unser Kayak ins Wasser zu legen und selbst hinein zu paddeln. Es wurde sehr davor gewarnt, weil man sich nicht zurechtfindet im Wirrwarr der Kanaele, und wenn man dann da drinnen kein Internet hat, nuetzt einem auch das schoenste Smartphone nichts. Mehr zufaellig sprachen wir jemanden in einer Pension an, ob sie Fahrten anbieten. Sie verneite, rief jedoch einen jungen Mann herbei. Nach ein wenig Hin und Her wurden wir uns handelseinig und verabredeten uns nach einer kurzen Mittagspause zu einer 3-stuendigen Fahrt in seinem kleinen Fischerboot. Georg, so hiess unser Fischer, war puenktlich. Wir nicht ganz, weil ich gern noch ein Sueppchen gegessen haette vorher, die wir dann jedoch im Restaurant wieder stornieren mussten, weil es zu lange dauerte. Also nur eine Tasse Kaffee und auf ins Delta ueber einen Kanal, der direkt gegenueber von Mahmudiya, auf der anderen Seite des St.Georg Kanals im Schilf verschwindet. Nach nur ein paar hundert Metern tat sich links ein grosser, flacher See auf, bevoelkert von Allem, was das Ornitologenherz begehrt: Zunaechst die spektakulaeren Pelikane in grosser Zahl, aber auch Reiher aller Art, Eisvoegel, verschiedene Moewen, Stelzenlaeufer, Kormorane, Gaense, Schwalben, Greifvoegel, usw, usw. … Georg liess uns Zeit, alles in Ruhe zu beobachten, bevor er weitertuckerte von See zu See. Die Kanaele zwischen den Seen waren immer wieder anders: mal von Schilf gesaeumt, mal von Waeldern, mal von kargen Wiesen. Hier und da liefen Kuehe herum. Georgs Englisch war eher duerftig. Dennoch schafften wir es zwischen all den spannenden Naturbeobachtungen, viel ueber ihn zu erfahren. Er hatte mal vor Jahren kurz in England auf dem Bau gearbeitet, seitdem jedoch nie mehr Englisch gebraucht. Je laenger unsere Fahrt dauerte, desto mehr Vokabeln grub er aus. Und wenn er nicht mehr weiter wusste, half sein Handy aus. Georg ist kein Fremdenfuehrer. Ganz urspruenglich war er Schweisser von Beruf, hatte sich jedoch aufgrund magelnder Schutzausruestung die Augen kapputt gemacht, war auf Bauer umgesattelt. Er erklaerte uns, das Delta bei Mahmudhiya war eingedeicht worden (Haben es spaeter nachgelesen. War in den 1980’ern), und man hat das Land landwirtschaftlich genuetzt. Er hatte drei Hektar gepachtet und dort sehr erfolgreich Mais angebaut. Dann kam die Renaturierung in 2015, ihm wurde der Pachtvertrag gekuendigt, und er musste noch einmal umsatteln. Vielen ging es wie ihm, und viele wurden, wie er, Fischer. Im Internet fand ich einen Text vom WWF, der die Renaturierung damals durchgefuehrt hatte und aussagte, die Veraenderung waere mit Einverstaendnis und Kooperation der lokalen Bevoelkerung geschehen. Hmm…. Ich glaube, da waeren die Leute hier anderer Meinung. Sie haben auch keine Kompensation erhalten, keine Unterstuetzung bei Umschulung und Investitionen – weder von der EU, noch von der eigenen Regierung. Man kann den Wert solch eines Naturschatzes nicht erkennen, wenn der Magen knurrt. Wir schipperten gerade durch einen Kanal, da bremste Georg ploetzlich ab und versuchte uns irgendwas zu erklaeren, sprach immer von „glacier“ (Gletscher) und zeigte auf das Ufer. Waehrend er um Wort rang und wir uns vorkamen wie beim Spiel Charade, versuchten heraus zu finden, was er meinte, sah Josef eine Schlange durch’s Wasser und am anderen Ufer heraus gleiten. Wir freuten uns und waren ganz aufgeregt, waehrend Georg es nur mit einem gelangweilten „Yes, snake“ quittierte und weiter nach Worten suchte. Josef erspechetet die naechste Schlange, aber mittlerweile hatte Georgs Handy seinen Text uebersetzt: Frueher gab es hier einen Eisspeicher. Man habe im Winter die Eisplatten von der Seeoberflaeche von Hand in Bloecke zersaegt, sie dann dort am Ufer mit Schilf und Binsen bedeckt, so dass sie das ganze Jahr hielten. Am gegenueberliegenden Ufer hatten die Fischer ihren Fang zu einer Sammelstelle gebracht, wo sie mit dem Eis haltbar gemacht wurden. Spannend! Haben wir das auch verstanden!
Irgendwann fragten wir, ob es in Mahmudiya noch Muslims gaebe. Er hat unsere Frage gar nicht verstanden, wies es weit von sich, und als wir ihm sagten, dass der Name seines Dorfes, in dem er schon sein ganzes 35-jaehriges Leben verbracht hat, muslimischen Ursprungs sei, schuettelte unglaeubig den Kopf. Um es zu veranschaulichen, erklaerte ich ihm , dass ich halb Araberin sei und in meinem Familiennamen auch Mahmud heisse. Da meinte er, das sei Zufall, sein Dorfname habe nichts mit dem Islam zu tun. Hatten die gar keine Landeskunde in der Schule??
Als es Zeit war fuer den Rueckweg – er hatte seine 3 Stunden schon reichlich ueberzogen – gab Georg Gas und zeigte, dass er von Natur- und Artenschutz nicht viel verstand, raste auf die armen Voegel zu, dass die gerade noch so eben aus dem Weg stieben konnten. Es machte zwar Spass, so zu heizen, muss ich zugeben, aber es war hahnebuechen! Am Steg standen seine Frau und seine Tochter, die auf ihn warteten. Erstere was total genervt. Wahrscheinlich haette er ein paar andere Aufgaben gehabt und war froh, diesen zu entkommen!
Wir waren jedenfalls voll auf unsere Kosten gekommen, und mich hat es begeistert, die vielen, vielen Voegel so sehr in Ruhe durch das Fernglas zu beobachten.
Wir konnten in Mahmudiya nirgends gut ueber Nacht stehen und fuhren ein Dorf weiter nach Murighiol, das, wie Mahmudiya, ein Tor zum Delta ist, liefen dort auf der Suche nach einem netten Stellplatz fuer die Nacht herum, fuhren dann noch ausserhalb des Dorfes wieder zum Kanal, fanden jedoch nichts Brauchbares und landeten schliesslich auf einer staubtrockenen Flaeche, einer ehemaligen Weide, die jedoch vor lauter Regenmangel zur Wueste mutiert war, oberhalb des Dorfes. Die Trockenheit allerortens hier ist wirklich erschreckend! Auch der Wasserspiegel im Delta ist mindestens 1m niedriger als er sein muesste erzaehlen die Menschen…und man sieht das auch an den Uferraendern. Wir hatten tatsaechlich zum 1. Mal auf dieser Reise ein Problem, Wasser zu finden. Der Dorfbrunnen, den wir anvisiert hatten, war ausgetrocknet. Und das letzte Quellwasser, mit dem wir unsere Flaschen aufgefuellt haben, mussten wir dann wieder wegschuetten; zu viele undefinierbare Schwebstoffe. Wir hatten allerdings schon die eine oder andere Flasche davon geleert, bevor wir es gemerkt haben. Auf unseren Reisen der vergangenen 4 Jahre haben wir die Auswirkungen des Klimawandels immer wieder ganz deutlich gesehen. Wenn es hier weiterhin so wenig regnet, werden die Kleinbauern und Hirten nicht ueberleben. Wenn sie alle zu Fischern werden, wird die Donau noch mehr ueberfischt als ohnehin schon.
Sonntag, 30.08.2020
Ich war gestern zu muede, weiterzuschreiben und moechte noch ein wenig nachtragen: Gestern hielten wie an einem Kanal, wo wir hofften, das Kayak endlich mal einsetzen zu koennen, nachdem wir es seit Deutschland ungenuetzt herumschleppen. Eine Frau saß angelnd am Ufer, und wir kamen ins Gespraech. Sie ist Buchhalterin der staatlichen Forstbehoerde in Tulcea und sagte uns, die Waelder in dem Gebiet, fuer das sie verantwortlich sei, seien hauptsaechlich staatlich, aber in anderen Regionen mag das anders sein. Zum illegalen Holzschlagen in der Maramuresch wusste sie nichts, sagte jedoch, hier wuerde jeden Herbst aufgeforstet und jedes Fruehjahr Inventur gemacht. Hier war es nichts mit Kayak fahren, aber wir fanden dann einen Einstieg an einem Kanal zwischen zwei Seen, dem Lacul Babadag und Lacul Razim, dem groessten Binnensee Rumaeniens, der nur durch eine schmale Sandduene vom Schwarzen Meer getrennt ist. Entschuldigten uns wortreich bei den Anglern, die zur Seite ruecken mussten mit ihren Angelbatterien und paddelten etwa 2km durch den breiten, schnurgeraden, von Schilf gesaeumten Kanal, immer gegen den kraeftigen Wind. Am offenen Lacul Razim war der Wind natuergemaess noch kraeftiger, und wir hatten zu tun, nicht zu weit agetrieben zu werden, versuchten dann noch, andere abgehende Kanaele in der Naehe zu finden, aber trauten uns nicht zu weit weg von unserem Kanal. Spaeter sahen wir auf der Karte, das wir eine Runde haetten paddeln koennen, also durch einen anderen Kanal zurueck. Haetten wir mal vorher draufgucken sollen! Wir sahen zwar ausser einem Haufen Schwalben und Froeschen, sowie einem im Motorboot langsam an uns vorbeituckernden Ehepaar keinerlei Lebewesen, aber die Sonne, der Wind, ab und zu ein paar Spritzer kaltes Wasser auf der Haut und die koerperliche Anstrengung haben Spass gemacht. Auf dem Rueckweg mussten wir gar nichts machen. Das Kayak stellte sich quer zum Wind und trieb mit ca 0,5m/Sek zurueck zum Ausgangspunkt zurueck. Einmal spannten wir das mitgebrachte Badetuch als Segel, was uns merklich beschleunigte. Aber wir genossen lieber das Duempeln, plauderten und liessen ein paar Erlebnisse Revue passieren.
Anschliessend fuhren wir hinauf zur mittelalterlichen Festungsruine von Enisala, von der man einen grandioses Blick ueber die beiden Seen, in der Ferne zum gruenen Guertel des Deltas und an klaren Tagen wohl bis zum Schwarzen Meer hat. Auf der Rampe hinauf zur Ruine liess sich gerade ein Brautpaar in voller Montur ablichten. Ich machte auch ein Foto von der Braut mit einem Kind in Rosa auf dem Arm (Ergebnis von vorehelicher Beziehung? Eher nicht. Wahrschienlich eine Nichte) und wuenschte ihr alles Gute.
Angeblich schuetzte die Festung einst die Handelswege der Genueser Kauflaeute, die an den Haefen des Schwarzen Meeres regen Handel trieben. Aber das machte aus meiner Sicht wenig Sinn, denn die Waren wurden doch sicher ueber die Donau geschippert. Oder war die Donau im Delta so verzweigt und verschlammt, dass man Schiffe erst dahinter einsetzten konnte? Nein, das glaubten wir nicht. Sie war seit jeher so ein wichtiger Transportweg. Nahmen uns vor, dies nochmal nachzulesen. Allerdings fiel mir auf, dass es zu vielen Themen, Rumaenien betreffend, im Internet sehr duerftig aussieht.
Von der Festung aus fuhren wir wiederum auf den Spuren des Dobrudscha-Reisenden Herrn Pfingsten nach Babadag – wie er, schon allein wegen des herrlich orientalisch klingenden Namens. Wir hatten in der deutschen Buchhandlung in Sibiu auch ein Buch ueber den „Islam in der Dobrudscha“ gekauft. Hier hatten mehrere Hochschulen mitgewirkt, u.A. nachzuvollziehen, wo es noch Moscheen und aktive Gemeinden gibt. In Babadag steht die aelteste Moschee in der Region: sie wurde 1610 fertig gestellt. Huebsch ist sie, auch die Gartenanlage ausser herum. Aber leider war das Tor verschlossen, und wir sahen auch niemanden, der uns haette oeffnen koennen. Laut unserem Baedeker und auch Herrn Pfingsten sollten hier die Leute noch in ihren traditionellen Kleidern herum laufen. Wir sahen nichts dergleichen. Allerdings war es erst 16:00, noch heiss und die Leute in ihren Haeusern versteckt. Also kauften wir uns im sehr gut sortierten Supermarkt eine kalte Cola, nahmen uns vor, dem Laden nachher nochmal einen Besuch abzustatten, setzten aus auf ein Parkbaenkchen in den Schatten, hinter uns der Park, vor uns die Hauptdurchgangsstrasse, lasen uns gegenseitig Herrn Pfingstens Episoden um Babadag herum vor und sahen dem zunehmenden Treiben zu. Wollten eigentlich auf den abendlichen Adhan – den Aufruf zum Gebet warten, weil wir es hier in diesem Kontext mal hoeren wollten. Nun kamen sie doch: die Frauen mir ihren langen Roecken und Kleider und Kopftuechern – nicht ganz leicht von Zigane zu unterscheiden. Aber Letztere sind immer ein wenig schriller, tragen oft grosse Kreolen oder haben die Haare gefaerbt. Wir fragten die eine oer andere, ob sie Muslimin sei, und sie bejahten erfreut. Drei Maenner ebenfalls auf einem Baenkchen am Park, und wir kamen ins Gespraech. Der eine sprach ein ganz klein wenig Englisch, rief dann noch einen Jungen herbei, der dolmetschen sollte, zwar willig war, jedoch ob der Ploetzlichkeit des Ansinnens etwas ueberfordert. Jedenfalls waren die Maenner Muslime, einer hiess Mustafa und zwei Recep (wie Erdogan), und sie freuten sich sehr, als ich ihnen in dem Islam-Buch Fotos ihrer Moschee mit langer Abhandlung zeigte. Es erinnerte uns beide sofort an eine aehnliche Szene, die wir einst 2007 in einem Berdorf im Oman erlebt hatten: In unserem Offroadfuehrer war ein Foto des Dorfes, und als ich es den Maennern vor dem Kraemerladen zeigte, waren sie ganz begeistert, schlugen sich an die Stirn und sagten: „Ach, deswegen kommen immer Wanderer und Fourwheeler her!“ Sie haetten sich schon gewundert, wie man sie ueberhaupt finden konnte!
Unsere Frage, ob denn hier zum Gebet gerufen wuerde, verstanden sie nicht. Aber sie freuten sich sehr, dass ich Muslima bin (naja, zumindest der Geburt nach) und hielten Josef ob seines Turbans gewiss auch fuer einen. Uns fielen nachher immer wieder Gesichter mit deutlich tatarischen Zuegen auf. Es waren auch Zigane und jede Menge rumaenische Katholiken unterwegs – von allem etwas in diesem kleinen Staedtchen.
Hier in Babadag fehlten zum ersten Mal die „Sala di Jocuri“, Gluecksspielsalons, die es sonst in jedem noch so kleinen Dorf, wie Bars, wirklich zuhauf gibt, damit die Maenner ihr Familieneinkommen dort verballern bzw. versaufen koennen. Waere ich Klaus Iohannis, wuerde ich sie sofort verbieten.
Wir fuellten unsere Vorraete im gut sortierten Magazin Mixt auf, warteten vergeblich auf den Adhan -haetten wohl noch eine halbe Stunde warten muessen, hatten jedoch grossen Hunger – und fuhren schliesslich zurueck zur Festungsruine Enisala, wo wir einen wunderbaren Schlafplatz hatten. Die hiesige Streunergang, bestehend aus ca. sechs Hunden, lag unterwuerfig um’s Womo herum verteilt und hoffte auf Leckerbissen. Wir nahmen uns vor, ihnen morgens die restliche eingeforenen Wurst von Vassile zu fuettern. Leider drangen, trotz Insektennetz vor den Fenstern, unzaehlige Tierchen ins Womo, so dass Schreiben oder Lesen bei Lampenlicht von Minute zu Minute unmoeglicher wurde. Ueber Insektensterben muessen sie sich wohl hier noch keine Gedanken machen. Unsere Streunerschar bewachte, beheulte und bebellte unseren Schlaf, bzw. mein Wachliegen.
Dienstag, 1.9.2020
Jurilovca, Cetatea Histria, Cheia-Hoehlen, Constanta
Wir verliessen unseren Schlafplatz unterhalb der Festung, als schon der Mann seinen kleinen Anhaenger mit Eis, Kaffee und dergleichen aufgebaut hatte und die ersten Touristen am Kaffeetrinken und Rauchen waren. Hier wurde ueberall und immer geraucht – und gefuehlt von jedem! Fuhren das Landstraeßchen parallel zum Ufer des Lacul Razim nach Sueden bis Jurilovca. Die Doerfer hier seien fest in lukowinischer Hand, sagte unser Baedeker. Die Lukowiner sind Russen, die vor 200 Jahren und mehr hierher eingewandert seien. Die Ortschilder bestaetigten es. Wie ins Siebenbuergen alle Ortschilder zweisprachig rumaenisch und deutsch gewesen waren, waren sie hier rumaenisch und russisch. Wir hielten in Jurilovca, von wo aus man mit hinueber schippern kann zur Sandbank, die den See vom Schwarzen Meer trennt. Aber am Hafen unten war der Teufel los, und nach einem Gespraech mit einem rumaenischen Ehepaar, das uns erklaerte, man koenne nur ein privaten Bootsfahrer anheuern um hinueber zu fahren und auch nur ohne Fahrrad, dass drueben der Strand recht voll sein wuerde heute, an einem Sonntag, beschlossen wir, dass wir den Rummel auf der Sandbank nicht brauchten zu unserem Glueck, sattelten stattdessen die Fahrraeder und juckelten kreuz und quer durch’s stille, verschlafene Dorf, bewunderten die huebschen traditionellen Haeuschen aus Lehmziegeln, verputzt und geweisselt, mit huebschen blauen Fensterrahmen, ebenfalls blau geschnitzten Holzgiebeln und blauen Zaeunen, sowie vielfach noch mit Reetdach. Es gab auch hier und da Neubauten im traditionellen Stil. Ausserdem wurden gerade saemtliche Strassen asphaltiert und mit Buergersteigen versehen, und das Dorf machte einen schmucken Eindruck. Es liefen Huehner und Gaense herum, hier und da Pferdefuhrwerke, und die Gaerten waren voller Quitten-, Pfirsich-, Nektarinen- und Aprikosenbaeume, jeder Garten mit Weinreben ueber Einfahrt und Sitzplatz. Zwischen den Baeumen ueberall Tomaten, Paprika und Auberginen, dies es ueberall am Strassenrand zu kaufen gibt. Es ist eine Weingegend hier, insbesondere fuer suesse Dessertweine. Wir sahen auch hier und da zwischen den Doerfern Weingaerten. Auf der Strasse kamen wir uns Gespraech mit zwei Bankerinnen aus Bukarest, die hier Urlaub machten und auch das Dorf erkundeten. Wie immer, sprachen auch sie sehr gut Englisch, freuten sich, dass wir uns an ihrem Land erfreuen und waren beeindruckt, dass wir schon so lange hier unterwegs waren. Eine Querstrasse weiter sassen im Schatten eines Baumes auf ihrem Baenkchen vor dem Haus drei Frauen in bunter Kittelschuerze und mit Kopftuch, die Linke mit viel Gold im Mund, gross und kraeftig, die mittlerei klein und hutzelig, die Rechte mit huebschem Gesicht. Wir „unterhielten“ uns mit Haenden und Fuessen, und sie bestaetigten, dass alle Menschen hier Russen seien, also Lukowiner, dass alle, auch die jungen, zweisprachig seien. Sie wollten wissen, wieviele Kinder und Enkel wir haben und waren hinreichend beeindruckt ob der grossen Zahl. Josef warf seine paar russischen Brocken ein, die er auf seinen Geschaeftsreisen nach Moskau gelernt hatte, und sie freuten sich sehr, winkten uns strahlend hinterher.
An einer Tuer las ich eine Aufschrift, die aussah wie Weinhandel. Gerade als wir es naeher inspizieren wollten, hielt ein Pkw, ein Mann stieg aus und ging ebenfalls auf den Laden zu. Wir fragten ihn, ob dies ein Winzer oder Weinhaendler sei und er bestaetigte es. Schon kam der Winzer zur Tuer heraus. Es war zwar Sonntag, und er hatte eigentlich geschlossen, aber der andere Kunde, ein Wochenendbesucher aus Bukarest, war erwartet worden, hatte eine groessere Menge Wein bestellt, die er nun abholte ganze 70 Liter. alles in 5 Liter Plastikkanistern. Glueck gehabt. Er dolmetschte fuer uns, denn Victor konnte nur sehr wenig Englisch. Russisch konnte er, aber eben keine Englisch. Wir kamen trotzdem gut klar, machten ein kleines Weinprobechen, kauften ein paar Flaeschchen. Zumindest der Rotwein, den wir mittlerweile probiert hatten kann es mit jedem hochwertigen trockenen Wein aufnehmen. Farbe fast aubergin, …so wie Josef das mag! Verkauft wird in 0.75 Ltr Glasflaschen, 2 Ltr und 5 Ltr Plastikfalschen. Er kelterte selbst, hatte eigene Anbauflaechen, erklaerte er uns. Und er erlaeuterte auch, die Lipowaner, wie er, seien russische Kosaken und waeren um 1700 eingewandert.. Sehr spannendes Voelkergemisch, die Rumaenen!
Auf meiner Karte hatte ich gesehen, dass noerdlich des Dorfes eine Landzunge in den See ragte, aber wir verfuhren uns und fanden den Zugang nicht (hatten keine Handys dabei, um auf Google Maps nachzuschaeuen), radelten schliesslich zurueck, gingen in das einzige Lokal dirket am Hafen und aßen Stoer. Muss man ja mal am Schwarzen Meer. War aber hart und nicht sehr lecker irgendwie. Es hat dennoch gut getan, die schlimmste Mittagshitze unter einem Schirm im Schatten sitzen zu koennen. Wir sind dann noch mit dem Womo zur Landzunge gefahren. Es handelte sich um das Cap Dolosman und stellte sich als Ruinenstaette heraus. Hier waren schon zur Bronzezeit Menschen, dann hatten die Griechen hier ein Festung, anschliessend die Roemer und schliesslich die Byzantiner. Vom Cap aus kann man den natuerlichen Hafen, den der See bietet, gut ueberwachen. Hier lagen die Handelsschiffe bei rauhem Wetter vor Anker. Kamen ist Gespraech mit einer jungen Familie mit 2 halbwuechsigen Kindern aus Bukarest. Er selbstaendiger IT Mann in Luftfahrt Maintenace Branche, sie fuer eine NGO taetig, die sich insbesondere um benachteiligte Teile der Gesellschaft kuemmert. Sie versuchen die Regierung auf Ungerechigkeiten aufmerksam zu machen und Besserung zu erreichen. Kommen kurz auf das Thema Kinderheime zu sprechen. Im Ergebnis habe sich noch nicht viel geaendert bei solchen Themen und man wuerde innerhalb Rumaeniens wenig erfahren.
Schliesslich fuhren wir weiter nach Sueden zum naechsten griechisch-roemischen Festungskomplex Histria. Auch dieser liegt an einem See, der nur durch eine Sandbank vom Meer getrennt ist. Genau genommen gehen mehrere Seen ineinander ueber, jeweils durch eine Enge miteinander verbunden, und die Sandbank zieht sich ueber die Gesamtlaenge der Seen. Die Sonne ging gerade unter, als wir uns naeherten. Das Licht war sehr schoen, die Farben leuchtend. Als erstes kamen wir an einem ausgetrockneten See vorbei, stiegen aus, machten Fotos vom rissigen Boden, nahmen die Brocken in die Hand, sinnierten, ob man auf diesen Seen in Zukunft vielleicht Reis anbauen koennte, wenn sie im Fruehjahr Wasser haetten und dieses langsam wegtrocknete
Wir erreichten Histria und beschlossen, die Nacht ueber hier auf dem Parkplatz zu verbringen, vor uns das Schilf der Seenlandschaft und hinter uns die Ruinenstaette, und letztere morgens zu besichtigen. Das dazugehoerige Restaurant schloss bald, und es kehrte Stille ein – bis das fuer diesen Bereich zustaendige Streunerrudel seine naechtliche Heul- und Klaeffarbeit aufnahm. Dazwischen gab es noch andere, voellig undefinierbare, sehr laute Tiergeraeusche sehr nach am Womo, aber ich konnte und konnte nicht erkennen, was es war, so sehr ich auch in die vom Mond hell beschienene Nacht starrte. Schade! Geschlafen habe ich nicht sehr viel in dieser Nacht. Aber es muss wohl doch immer gereicht haben, sonst haette ich die Tage nicht so gut durchgestanden.
Morgens kam jemand, um die Anlage aufzuschliessen – und sie gleich wieder zuzuschliessen. Montag und Dienstag seien Ruhetag. Nein, er koenne keine Ausnahme machen. Das hatte Josef schon am Vortag erfahren, aber nachdem die Ruinenstaette in Jurilovca so offen war, dass man von allen Seiten einfach hinein laufen konnte, dachten wir, das ginge hier auch. Fehlanzeige. Eine wuschelige Huendin lag vor dem Womo und hoffte auf Fruehstueck. Wir zogen erst einmal los, und die Huendin begleitete uns ganz treu, als ob sie uns gehoerte, fuehrte uns den Weg parallel zum Zaun bis hinunter zum See und zeigte uns einen Durchschlupf in die Ruinenstaette, als ob sie verstanden haette, was wir wollen. Aber wir entschieden uns gegen den „Schwarz“-Besuch. Wir hatten gestern schon reichlich Mauerreste gesehen und wollten keinen Rueffel kassieren. Stattdessen liefen wir einen Feldweg entlang, immer unsere freudig schwanzwedelnde Huendin dabei, die uns auch mit einem Knurren vor einer im Schilf versteckten Schafherde bzw. den dazugehoerigen Hunden warnte. Wir machten einen Bogen um sie, kamen an das Ende des Weges und mussten umkehren, gaben unserer Begleiterin am Womo zum Dank ein grosses Stueck von Vassiles gefrorener Wurst. Anders als die ohne Ruecksicht auf Verluste alles rasch runterschlingenden Rueden, die wir schon beglueckt hatten mit der Wurst, versuchte sie, zu warten, bis die Wurst nicht mehr gefroren ist, was jedoch nur bedingt ging, weil binnen Minuten Konkurrenz auftauchte. Wir verabschiedeten uns von ihr und fuhren von dannen, nun auf dem Weg ein wenig vom See bzw. Meer weg landeinwaerts und wieder auf den Spuren unseres guten Herrn Pfingsten mit seinem herrlichen Buch ueber die Dobrudscha. Wir wollten zum Dorf Targuschor und auf dem Weg dorthin irgendwelche Hoehlen in einem Tal bei Cheia sehen. Eine Schotterpiste fuehrte uns in eine endlose, baumlose, sanft huegelige Landschaft, links und recht nur abgeernete Sonnenblumenfelder und Windkraftanlagen, so weit das Auge reichte. Ab und an sah man eine Staubfahne aufsteigen, die wahlweise von einem Sonnenblumenvollernter, einem Trecker oder einer Schaf- bzw. Ziegenherde stammte. Es war heiss und gleissend. Hier und da sahen wir Windhosen, die Staub mit sich zogen, wie in einem Wildwestfilm. Wie hielten das nur die Hirten aus? Wir fuhren an einem vorbei, gruessten ihn freundlich, und zu spaet verstand ich seine Geste, dass er gern eine Zigarette gehabt haette. Da waren wir schon laengst an ihm vorbei gebraust. Es tat mir dann Leid, dass wir zu faul waren, anzuhalten und zurueck zu gehen zu ihm.
Wir fragten uns, ob es hier schon immer so aussah. Auch unser Herr Pfingsten hatte sich das wohl gefragt und heraus gefunden, dass die gesamte Dobudscha einst von Wald bedeckt war, der jedoch ab dem 18. Jahrhundert, erst von den Siedlern fuer Ackerland, dann von diversen Kriegsfuehrenden zum Bau von Schiffen und Kanonen und schliesslich von den Ottomanen als gute Holzquelle sukszessive abgeholzt, und nie wieder aufgeholzt wurde. Noch zwei so trockene Jahre und waere Wueste!
Wir hielten an einem Windrad, an dem gerade ein Wartungsfahrzeug stand. der junge Monteur erklaerte uns, es gaebe hier insgesamt 1000 Windraeder, die drei verschiedenen Firmen gehoerten. Seine Firma sei aus Italien. Ja, in jedem Windrad sei ein kleiner Aufzug fuer zwei Personen, um die 100m nach oben zu ueberwinden. Ob sie ein Problem mit Voeglen haetten. Er lachte: Nein, damit haetten sie kein Problem, dann nach kurzem Nachdenken: Ach ja, da unten im Feld liege ein grosser Vogel. Josef ging hin, die Leiche zu inspizieren, koennte ein Storch gewesen sein mit den weissen und schwarzen Federn. der Kopf und Schnabel war jedoch nicht dabei. Offenbar machte sich hier niemand einen Kopf um Voegel, Laerm, oder zu grosser Naehe zu Doerfern. Letzteres war hier auch kein Thema, da es kaum menschliche Siedlungen gab. Die wenigen, die hier noch lebten, waren alle Subsistenzbauern, produzierten ein bisschen mehr, als das, was sie fuer’s Leben brauchten und konnten damit ein wenig Bargeld generieren. Wenn das aber nicht mehr moeglich ist, weil die Ertraege immer weniger werden, wenn es so trocken bleiben wuerde, wuerden die wenigen Menschen, die hier noch lebten, auch weggehen muessen. Zumindest die Bauern mit viel Land erzielen auch Mietennahmen aus den Windkraftanlagen.
Ploetzlich tauchte aus dem ewigen Hellbraun ein dunkelgruener Guertel auf. Eine kleine Plantage etwa ein Hektar… Nektarinen. Es waren einige Maenner dort am Tor beschaeftigt, und wir stiegen aus, um zu fragen, was hier angebaut wurde und woher um Himmels Willen das Wasser dafuer kam. Ein braungebrannter, weisshaariger Mann verstand erst nicht, was wir wollten, bedeutete uns, dass er keine Nektarinen mehr habe, weil alles schon abgeerntet und verkauft war bzw zum Schnapsmachen in grossen Plastikbehaeltern lagerte. Je laenger wir miteinander radebrechten, desto besser wurde sein Englisch. Er erklaerte uns, er habe schon ueberall auf der Welt gearbeitet, war Seemann, die letzten Jahre, bevor er sich zur Ruhe setzte, auf Kreuzfahrtschiffen, und dass er nun als Beschaeftigung diese Plantage betrieb und kaum noch die Moeglichkeit hatte, Englisch zu sprechen, so dass es etwas eingerostet war. Das Wasser holte er aus einem 55m tiefen Brunnen. Es sei sehr gut und klar.
Im naechsten Dorf hielten wir an einem Cafe-artigen Schuppen, bestellten zwei Kaffee und kauften ein paar Kekse, fragten einen jungen Kuehlaggregate-Techniker, der in dem Laedchen irgend etwas reparierte, nach den Hoehlen, und er gab uns in gutem Englsich freundlich Auskunft. Gerade wollte ich Josef aus dem Dobrudscha-Buch eine Episode ueber diese Doerfer vorlesen, ein wenig die sengende Hitze hier unter dem Baum vertuetteln, da sprang er ploetzlich auf und rief armwedelnd: „Moment mal, wir muessen doch noch bezahlen!“ Alle Maenner, die eben noch da waren, hatten sich auf diverse Autos verteilt und wollten los – einschliesslich dem Wirt, der sein Laedchen abgeschlossen hatte. Also Josef ihm ihm hinterher lief Geld und geben wollte, winkte er ab – wolle kein Geld – und fuhr los. Na, sowas! Josef steckte 15 Lei in die Tuer und wir fuhren auch los.
Wir fanden, wie vom Techniker beschrieben, den Taleinschnitt. Wie die Schwaebische Alb, war dies hier mal ein Urmeer, und im Karstgestein, ehemals Korallen, wurde von einem Fluss dieser Einschnitt geschaffen. Sehr huebsch. Ein weites, gruenes Taelchen, links und rechts Felsen, in der Mitte der ganz wenig Wasser fuehrende Bach, links und rechts davon noch immer gruene, weiche Wiesen mit ganz kurzem Gras, wie sauber gemaeht. Aus diesem Gras tauchen immer wieder kleine Gestalten auf, wie Erdmaennchen. Wir konnten noch nicht herausfinden, was es fuer Tiere waren. An einem Felsen waren ein paar Kletterer unterwegs. Sei waren aus Constanta, erzaehlten, dass sie vor einer Woche zum Klettern in Bulgarien waren und an der Grenze keinerlei Probleme hatten, bestaetigten, was wir schon mehrfach gehoert hatten, dass die bulgarischen Schwarzmeerkueste sehr viel schoener sei als die rumaenische. Wir waren gespannt!
Die Hoehlen waren unspektakulaer, aber in den Waenden hingen Fledermaeuse und Schwalbennester. Ansonsten eher ekelig, denn leider zum WC verkommen. Dies ist ein sehr beliebter Picknickplatz, aber leider gibt es keine Toiletten, wie wir es schon so oft erlebt haben hier. Und die offenen Muellkoerbe waren vom hier heimischen Hunderudel voellig zerpflueckt und der Inhalt weitraeumig verteilt.Wir erklommen die kleine Felswand, und als wir gerade ein schattiges Eckchen auf einer Felsnase in Besitz genommen hatten, die Brise genossen, hoerten wir ein lautes Brummen am Himmel, schauten auf, und konnten zuschaeuen, wie vier amerikanischen Transportflugzeuge im Landeanflug auf den Mikail-Kogalniceanu an uns vorbei flogen. Hier war Herr Pfingsten vor 10 Jahren gelandet, und er assoziierte mit dem Flughafen eine der „Black Sites“, der Foltergefaengnisse der Amerikaner. Als wir wenig spaeter am Flughafen vorbei fuhren, standen die Flugzeuge nebeneinander wie Zinnsoldaten, und im Schatten des einen standen um die 100 Soldaten. Wir lasen im Internet, dass ein Teil der aus Deutschland abgezogenen Truppen nun hier stationiert waren. Trump wollte die Deutschen damit ein bisschen aergern, und Klaus Iohannis, der rumaenische Praesident, reibt sich die Haende, fuehlt sich einerseits geschmeichelt, weil nun Rumaenien eine Rolle spielt in der NATO, er sich andererseits mehr Schutz vor ebentuell imperialistischen Ambitionen Putins erhofft – zumal nach der Annexion der Krim, die ja nur einen Katzensprung weg auf der anderen Seite des Schwarzen Meeres ist.
Bevor wir jedoch zum Flughafen fuhren, mussten wir noch nach Targusor, dem Doerfchen, von wo aus Herr Pfingsten das kleine Tal erlaufen hatte. Er war innerhalb Rumaeniens mit dem Zug unterwegs, und seine Episode auf dem Bahnhof von Targusor war so lustig, dass wir sie, vor ebendiesem stehend, diese noch einmal lasen – mir liefen die Traenen vor Lachen. Dann mussten wir gucken, ob der Held der Episode, der Bahnofsvorsteher Ovidio, noch hier arbeitete. Wir haetten ihm das Buch mit seiner Geschichte darin so gern gezeigt. Aber bekanntlich bleibt ja nichts wie es war, und der neue Mann verstand uns nicht und hatte auch keine Lust auf uns, winkte ab und machte die Tuer wieder zu. Nachdem Targusor ja nun keine Millionemetropole war, konnte man sicherlich davon ausgehen, dass der Neue unseren (unbekannten) Kumpel Ovidio kannte. Vielleicht konnte er ihn nicht leiden und uns damit nun auch nicht? Wir versuchten nicht, es zu ergruenden, fanden aber, der Ausflug hatte sich durchaus gelohnt.
Von hier fuhren wir nun also am Flughafen, jener besagten Black Site, weiter nach Constanta, naeherten uns von Norden und fuhren auf die hier den Siutghiol-See vom Meer trennende Sandduene Mamaia. Allein von einer Sandduene war nun nichts mehr zu sehen. Dieser schmale Streifen Erde erinnert einerseits an Jesolo vor Venedig, jenem endlosen Campingplatz, ausser, dass hier statt Campingplaetze lauter halbhohe Bettenburgen stehen, im noerdlichen Teil dicht bei dicht, so dass man wahrscheinlich am hellen Tag Licht anmachen muss in den Wohnungen und Hotelzimmern, im suedlichen Teil Richtung Constanta mit deutlich mehr Platz dazwischen. Der Strand ist eine einzige Liege mit Sonnenschirm, die Promenade das uebliche Gemisch an Kneipen, kleinen Supermaerkten, Restaurants, Kinderbelustigungen aller Art, Snack-Buden, etc. – jedenfalls ein krasser Kontrast zur hellbraunen Einsamkeit ein paar KM landeinwaerts.
Wir aßen in einem der vielen Lokale am Meer, schliefen auf einem Parkplatz diekt an der Promenade, nachdem wir gestern am einzigen brauchbaren Camping-Platz abgewiesen wurden (war voll), radelten heute frueh ca 10km Richtung Constanta und wieder zurueck. Josef hat sich erkaeltet, und wir beschlossen, den Rest des Tages mal nichts tun. Da ich ja nicht erkaeltet war, sprang ich ins Meer. Erst anschliessend wurde mir klar, dass ich vorher noch nie im Schwarzen Meer war.
Mittwoch, 2.9.2020
Mamaia / Contanta
Josefs Erkaeltung war noch da. Zwar lief die Nase nicht mehr so sehr. Aber er fuehlte sich sehr schlapp. Es kam uns entgegen. Der Parkplatzwaechter hatte uns gestern frueh auf einen komplett leeren, grossen, eingezaeunten, mit grossen, ob der Troeckenheit, sehr lichten Pappeln bestandenen Sandplatz direkt neben seinem Parkplatz dirigiert und dreimal gesagt, wir duerften aber nicht campen. Klar, verstanden. Wir packten also weder Stuehle, noch sonstwas aus, machten uns mit unserem 8m-Fahrzeug so klein und unauffaellig wie moeglich. Als wir von unserer Radtour gestern zurueck kamen, waren er und sein Kumpel schon weg und alle Schranken zum Parkplatz sperrangelweit offen. Auch morgens ist niemand aufgetaucht, und wir waren noch immer allein in unserem Pappelpark. Direkt hinter uns war die Rueckfront eines Cafes oder so aehnlich und ein Baucontainer, in dem offenbar jemand wohnte. Manchmal kam jemand durch die Hinertuer raus, setzte sich auf einen klapprigen Stuhl, rauchte eine. Sie stoerten sich nicht an uns.
Wir genossen also unsere eindrucksarme Zwangspause. Die Pappeln spendeten trotz ihrer sehr lichten Kronen genug Schatten, dass es mit der sanften Brise vom Meer her gut auszuhalten war. Direkt zwischen uns und dem Wasser war eine Art Beach Club mit Restaurant und Pool. Beides sollte exklusiv wirken, wurde gesponsort von den neuen E-Zigaretten IQOS und von Kaufland (die hier fast in jedem kleineren Staedtchen, in groesseren Staedten mehrfach vertretene Supermarktkette, die ich nun nicht gerade mit Exklusivitaet in Verbindung bringen wuerde). Es war jedoch wahrscheinlich Corona-bedingt geschlossen. Nur die Strandbar und die „Şeslong“-Vermietung waren offen. Sie hatten eine grosse Leinwand am Strand aufgebaut, wo beide Abende irgendwelche Blockbuster gezeigt wurden: Gestern die Fortsetzung von „Fifty Shades of Grey“ – soweit ich aus der Ferne erkennen konnte, eine einzige Bettszene. Ich ging mit meiner abendlichen Zigarette naeher hin, um zu sehen, wieviele Zuschauer dort sitzen. Keiner! Die einzigen zwei Darsteller in dem Film – alle anderen nur Statisten – spielten fuer sich selbst. Eine Familie mit kleineren Kindern kam herbei geschlendert und wollte auch ein wenig zusehen. Gerade da erschien die ewig kindlich erschrocken dreinblickende Lolita des Films im schwarzen Spitzendessous, das mehr entbloesste als verdeckte, und ihr Gallan naeherte sich ihr mit eindeutigen Absichten. Da machten die Familie und ich kehrt und ueberliessen die beiden Dauerralligen sich selbst.
Donnerstag, 3.9.2020
Constanta
Der Parkplatzwaechter war Gott sei Dank den ganzen Tag weit und breit nicht zu sehen. Wir hatten uns schon auf einen Rueffel eingestellt, weil wir ja nicht im engeren Sinne, sondern eher im weiteren Sinne parkten, im engeren also eher uebernachteten. Josef hing gestern den ganzen Tag in den Seilen. Zwar war sein Schnupfen verebbt, aber dafuer war er sehr schlapp, lag viel im Bett, hatte leicht erhoehte Temperatur und fing an zu huesteln. Seinen Geschmackssinn hatte er noch. Ich fragte ihn immer mal wieder, da der Verlust desselben offenbar ein recht eindeutiges Corona-Symptom ist. Ich ging mal zum Strand hinunter, schwamm zwischen zwei Bojen hin und her, wir machten einen Spaziergang am Strand, schauten dem bunten Treiben zu und chillten im Womo. Ploetzlich kam ein Abschleppwagen auf unseren grossen, gaehnend leeren Pappelplatz, bepackt mit einem Wohnwagen, und stellte denselben ca 30cm von unserer Rulota (das rumaenische Wort fuer Womo gefaellt mir sehr gut!) so ab, dass wir kaum zur Tuer raus konnten und unsere Sicht auf das Treiben Richtung Strand verstellt war. Sollte das eine etwa eine kaum verborgene Botschaft sein, uns durch die Blume sagen, dass wir nach drei Naechten auf diesem Parkplatz langsam mal die Fliege machen koennten? Josef stellte sich an die Tuer und fragte in seiner ueblichen Art, die man auch leicht als unfreundlich missverstehen konnte, einen jungen Mann, der am Wohnwagen hantierte: „Why are you blocking my view?“ Der junge Mann, etwas verdutzt, meinte, das Grundstueck sei seines und kein Dauerparkplatz. Peinlich! Wir versuchten, ein bisschen Smalltalk zu machen, aber er war pickiert. Nach einer Weile kam er mit ein paar jungen Frauen zurueck, die am Eingang zum Strandbereich vor uns die Vermietung der Liegen vornehmen. Er zeigte ihnen den Wohnwagen von innen. Offenbar gehoerte ihm alles, was wir hier sahen: saemtliche Parkflaechen, das Restaurant, der breite Strandabschnitt, die Bar, die Rettungsschwimmerbude direkt davor,…. Als wieder Ruhe eingekehrt war, stellten wir unsere Rulota kurzerhand zwischen den Wohnwagen und das Tor, so dass wir wieder freien Blick hatten. Er bemerkte es spaeter, sagte auch was, aber es stoerte ihn nicht, und er hatte auch nichts dagegen, dass wir blieben. Die Menschen hier sind wirklich entspannt und freundlich! Wir versuchen immer mal wieder, uns die umgekehrte Situation in Deutschland vorzustellen. Da waere richtig was los!
Hinter uns war ist je ein kleines Lokal, dessen Koechinnen ab und zu heraus kam, um eine zu rauchen. Ich ging abends hin und holte uns zwei Czorbias (Suppen) und Mamaliga mit Smetana und Branza (Polenta mit Schmand uebergossen und geriebenem Kaese bestreut). Fein war das! Josef fuehlte sich danach fit genug fuer einen kleinen Spaziergang. Vom Hotel auf der anderen Seite der Strasse, die die schmale Sandduene von Nord nach Sued durchlaeuft, drang Live Musik mit einer guten Frauenstimme. Josef meinte, ein Stueck von Vaya Con Dios zu erkennen. Wir liefen rueber, um zu lauschen, kamen in den Innenhof eines Hotels, wo uns zum einen eine Abwasserwolke umfing, und wo die Saengerin eben auf rumaenische Volkslieder umschaltete. Wir hielten ein schnelles Getraenk lang durch und ergriffen dann die Flucht, wie einige andere Gaeste auch. Der Kellner, von uns auf die Duftnote angesprochen, zuckte mit den Schultern und meinte, das sei so, wenn es heiss ist, man koenne nichts machen. Hmm…
Ab ins Bett und schlecht geschlafen, aber das war ja nichts Neues.
Morgens beschlossen wir, auf jeden Fall noch einen Tag und eine Nacht zu bleiben, bis Josef wieder richtig fit ist. Es war ein wenig bewoelkt, was angenehm war, nicht so gleissend. Wir gingen mit unseren Matten zum Strand hinunter und machten Fruehsport. Das Meer lag da wie ein Spiegel. Fuer morgens 8:00 war schon ganz schoen viel los, aber die Leute ignorierten uns dezent oder warfen uns wohlwollende Blicke zu. Josef ging Fruehstueck machen, und ich schwamm ein paar Laengen zwischen den Bojen hin und her. Danach machten wir uns mit den Raedern noch einmal auf Richtung Constanta. Zwei Tage vorher waren wir kurz vor der Stadt umgekehrt, weil uns nicht klar war, dass wir schon so nah dran waren und wir am Ende waren. Hatten auf dem Weg hier und da geguckt und herum getuettelt. Aber heute sind wir zielstrebig gefahren und waren nach etwa einer Stunde in der sehr kleinen Altstadt, die noch viel, viel Arbeit bedurfte, bis die wenigen Alten Gebaeude, die es noch gab, vor dem Verfall gerettet sein wuerden. Wir besichtigten eine der beiden Moscheen, die von der noch aktiven Gemeinde hier tatsaechlich noch genuetzt wird, gingen sogar auf das Minarett, von dem aus man einen schoenen Blick ueber die Stadt hatte, tranken dann noch auf dem zentralen Platz am ehemaligen Rathaus, heute Museum, einen Kaffee, wollten uns eben auf den Weg machen, eine Geburtstagkarte fuer Faris zu suchen, als uns ein Junge auffiel, der auf einem kleinen Platz lag und zitterte, offenbar nicht bei Bewusstsein war, dessen Freunde an ihm herumschuettelten und seinen Namen riefen. Wir gingen naeher, andere auch, und hatten den Eindruck, es waren Strassenkinder oder zumindest aus elenden Verhaeltnissen. Wir baten die Umstehenden, einen Krankenwagen zu rufen, aber die Jungen wollten das igendwie nicht, meinten, es waere schon ok, ihr Freund sei „nur“ Epileptiker und habe immer mal wieder solche Anfaelle. Sie hatten gewiss keine Ahnung. Jedenfalls rief irgend jemand schliesslich den Notarzt. Am Kopf des Jungen war eine grosse Narbe zu sehen, und einer der anderen erklaerte, er habe einen Autounfall gehabt und sei seitdem Epilektiker. Arme Kinder. Sie waren vielleicht 12 und 15 Jahre alt! Wir konnten nicht weiter helfen und gingen weiter, stellten dann fest, dass Josef einen Platten hatte, fragten uns zu einer Fahrradwerkstatt durch, mussten recht weit laufen bis dorthin – d.h. Josef joggte (es ging ihm offenbar wesentlich besser!), und ich fuhr langsam hinterher. Der Schaden war ruckzuck behoben, er oelte noch unser beider Ketten, und nun prangten auf unser beider Raeder Aufkleber der Fahrradwerkstatt in Contanta, Rumaenien, die wir voller Stolz durch die Welt tragen werden!
Wir radelten eine endlose Hauptstrasse entlang in Richtung einer Mall, um nach besagter Geburtstagskarte zu gucken. Wir schauten immer links und rechts, ob wir einen Schreibwarenladen finden wuerden. Fehlanzeige! Dafuer sahen wir, konservativ geschaetzt, 50 Gluecksspielsalons. Es gibt sie wirklich ueberall und zuhauf! Wir haben ueberlegt, ob das ein Geldwaeschemodell fuer die korrupten Politiker und dgl. sein koennte. Soviel Geld haben die Normalverdiener doch gar nicht zur Verfuegung, um es zu verballern. Ausserdem sah man ganz selten jemanden aus und ein gehen an den Spielhoellen.
Schliesslich kamen wir in die Mall, die auch das Deira City Center in Dubai oder das Milaneum in Stuttgart haette sein koennen: die gleichen Ketten, das gleiche Erscheinungsbild, die gleichen Preise. Fanden schliesslich nach langem, zaehem Suchen eine Karte, auch ein paar Crocs-Gummischlappen fuer mich, nachdem meine alten zum Einen auseinanderfielen, ich zum Anderen hab ich einen davon irgendwo vor dem Auto in der Landschaft stehen lassen (Nun schon zum 3. Mal! Meine Spezialitaet!). Man sollte mich zur Strafe barfuss laufen lassen.
Neben uns im Beach Club war Halligalli, als wir ankamen. Tuerkische Hochzeit mit Live Musik. War gespannt auf meine Nacht! Ein Mann mit Strohhut fuhr immer wieder auf einem dieser E-Tretroller Schleifen um das Party-Gelaende, hatte sein Handy als Camera, sowie ein gegen Rauschen und Wind gepolstertes Mikrophon in einer Halterung am Lenkrad befestigt. Ich beobachtete wie er einen Hochzeitsgast interviewte, der aussah wie ein tuerkischer Bauer im Sonntagsanzug. Mein Eindruck war, dass er eher widerwillg und ablehnend sich dem Gespraech mit dem „Rollerfahrer“ stellte und ihn schliesslich genervt stehen liess. Investigativ-Journalist, der die korrupte Schickeria ausspaehen wollte, oder Regenbogenpressefritze auf der Suche nach Skandalen? Ich haette ihn zu gern gefragt, aber als ich ihm gerade auflauern wollte, hat er ganz unauffaellig seinen Roller geparkt und ist im Gebaeude verschwunden.
Sonntag 6.9.2020
BULGARIEN
Kap Kaliagra, Balchik
Ha! Wir haben es ohne Probleme ueber die Grenze geschafft – und das, obwohl zwei Tage vorher vom deutschen Auswaertigen Amt die Frohe Botschaft kam, dass man eine frischen, laengstens 72 Std alten Corona-Test braucht. Pustekuchen. Am Grenzuebergang Vama Veche am Schwarzen Meer sassen eintraechtig und ohne Maske die rumaenischen und die bulgarischen Beamten zusammen in einem kleinen Buero, lasen zwar die Paesse ein, wollten jedoch rein gar nichts zu unserem Reiseverlauf oder Gesundheitszustand wissen, und eine eher nach Hausfrau aussehende Zollbeamtin guckte interessiert in unser Womo, konfiszierte schliesslich aufgrund der Schweinepestbestimmungen und weil wir nicht energisch genug behaupteten, es sein Rinderwurst, das letzte Stueck von Vasiles Wurst aus unserem Eisfach. Schade! Ich hatte sie fuer einen besonders beduerftig dreinblickenden Hund aufgehoben. Wir hatten nachher die Theorie, dass all die Reisewarnungen und Restriktionen zwar ausgesprochen werden, jedoch mehr den Zweck haben, die Leute von vornherein vom Reisen abzuhalten, als dass sie tatsaechlich umgesetzt werden. Hat ja auch super funktioniert: Es haben so viele Menschen ihre Buchungen storniert, dass nun die Tourismusbranche platt ist.
Aber nun der Reihe nach: Die tuerkische Hochzeit beruhigte sich recht frueh, wie auch der andere moderate Ballermannlaerm, der ab und zu in unsere Pappeloase schwappte. Morgens stellte Josef fest, dass an seinem und am meinem Fahrrad jeweils ein Reifen platt ist! Das gab es doch gar nicht! Wir raeumten also nach dem Fruehstueck unsere Roulota auf, Josef fuellte am Gartenschlauch nebenan unseren Wassertank auf (zum 2. Mal), wir versuchten noch, unseren unfreiwilligen Wirt zu finden, uns bei ihm zu bedanken fuer seine Duldsamkeit und dafuer zu entschuldigen, dass wir ohne Einladung, ja, sogar trotz ausdruecklichem Verbots seines Parkplatzwaechters, so lange geblieben sind. Er war nicht da, und wir liessen es durch den Mann an der Strandbar ausrichten.
Dann fuhren wir zuerst einmal zu unserem freundlichen Fahrradwerkstattmann vom Vortag, der ruckzuck die Platten Schlaeuche austauschte und diverse klitzekleine Dornen aus den Reifen heraus pulte. Klar! Von unserem Pappel-Stellplatz! Da war alles voller Diesteln.
Der Tag war verhangen und grau – zum ersten Mal seit dem Fogarasan-Pass. Es war uns recht, eine Sonnenpause zu haben und wir wuenschten der Natur Regen. Als wir ein wenig landeinwaerts fuhren – wollten noch einen Blick auf Herrn Pfingstens Dobrudscha-Dorf Besarab, das heute Murfatlar heisst, werfen. Aber da hatte uns Petrus erhoert, und es fing richtig an, zu regnen, so dass wir kehrt machten und suedlich von Constanta auf die Kuestenstrasse Richtung bulgarische Grenze fuhren. Hier war zum ersten Mal richtig Stau – und zwar auf der entgegenkommenden Spur. Seltsam. Es war doch Freitag, und man muesste meinen, dass die Leute fuer das Wochenende eher kommen als gehen. Wenig spaeter sahen wir einen Polizisten den Verkehr regeln. Ok, das erklaerte es. Nach der Kreuzung war es wieder frei. Als wir die Badevororte suedlich von Konstanta, sehr fantasievoll zur Ceaucesu-Zeit aus dem Boden gestampft und 2. Mai, Olymp, Venus, Saturn und 26. August getauft, las ich Josef beim Fahren noch einmal das Kapitel aus Herrn Pfingstens Buch „Mit Resi nach Saturn“ vor und lachte dabei Traenen. Er beschreibt hier ganz herrlich seine Zugfahrt nach o.g. Saturn im Abteil mit Resi, einer Banatschwaebin, die er ihre Sprache sprechen laesst. Die Dobrudscha ist eigentlich langweilig, aber sein Buch macht wirklich Lust auf diesen ereignis- und eindruckslosen Landstrich und seine Menschen.
Ja, und dann waren wir also ploetzlich in Bulgarien, ehe wir es uns versahen, und mussten, ausser Vasiles Wurst, keine Federn lassen.
Ach ja: meine Freundin Carmen aus Studienzeiten, die seit ihrem Abschluss in Madrid lebt, hatte mir irgendwann geschrieben, dass ihr Bruder Carlos, den ich als jungen Burschen das letzte Mal gesehen hatte, geschaeftlich oft in Bulgarien war und uns vielleicht ein paar Tips geben konnte. Carlos wiederum schrieb seinem Kollegen in Sofia, Peter Antanassov, an, der mit ihm schon viel besichtigt hatte, und dieser machte sich grosse Muehe, schrieb eine lange Mail mit diversen Routen- und Besichtigungstipps. Waehrend unserer Pause am Mamaia Beach markierten wir diese Tipps und die aus unserem Marco Polo in der Karte, so dass wir eine Ahnung haben wuerden, wo wir ueberhaupt hin wollen. Zunaechst fuhren wir kurz hinter der Grenze hinunter ans Meer, das hier eine spannenden Steilkueste geformt hat, machten einen langen Spaziergang am Strand, der erstaunlich frei von Plastik, dafuer voller schoener Schnecken, Muscheln und Treibholz war (widerstanden dem Impuls, alles aufzusammeln, hartnaeckig!), plauderten mit einer anderen Spaziergaengerin, waehrend ihre Tochter und Mutter (?) aus Muscheln, Schnecken und Treibholz schoene Gebilde bauten. Sie war unsere erste bulgarische Begegnung, abgesehen von den freundlichen Grenzbeamten, und war ebenfalls sehr freundlich und aufgeschlossen. Es war mittlerweile 18:00, und wir waeren gern ueber Nacht hier geblieben. Aber kaum hatten wir Rulota ordentlich hingeparkt, mit Meerblick, versteht sich, kam einer und bedeutete uns, dass wir hier nicht bleiben konnten, die Polizei wuerde uns einen Strafzettel geben. Wir trollten uns, obgleich wir den Eindruck hatten, dass er vom nahegelegenen Campingplatz kam und uns dazu bewegen wollte, auf ebendiesen umzuziehen. Aber wir hatten keine Lust auf Campingplatz und fuhren ein paar KM weiter zum Durankulak-See, wo wir am Zugang zu reiner achaeologischen Ausgrabung sogar ein ebenes Plaetzchen fanden und schliefen trotz des seit Tagen tobenden Windes, der hier an dieser ungeschuetzten Stelle ausgiebig an Rulota zausen konnte. Am Morgen besichtigten wir die Ausgrabung, auf der gerade eine Gruppe Achaeologen zugange war. Aus der Ferne hoerte sich ihre Sprache wie Griechisch an. Und tatsaechlich ging es mir immer wieder so: Wenn man Rumaenen sprechen hoert, glaubt man auf die ersten paar Laute hin, Italienisch zu hoeren. Die Naehe der beiden Sprachen ist unverkennbar. Dasselbe scheint hier auf’s erste Hoeren fuer Griechisch zu gelten. Es ist ja auch so: Was den Rumaenen die Daker (ihre Vorfahren, derer sie sich ruehmen, weshalb sie sich als Roemer sehen, auch „Rumaenen“ heissen und weshalb praktisch in jedem Dorf Romulus und Remus, saeugend an der Woelfin dargestellt sind), sind den Bulgaren die Tkraker: blauaeugige und rothaarige indoeuropaeische Steppenvoelker, auf die sie ihre Wurzeln zurueckfuehren und deren Siedlungsgebiet auch im heutigen Griechenland war.
Ein junger Bulgare, schwarzgelockter, braungebrannter Juengling, der sofort als griechische Statue durchgegangen waere, erzaehlte uns bereitwillig, dass sie hier gerade zwischen Bronze- und Steinzeit gruben, dass der Hauptteil der ehemaligen Siedlung allerdings unter dem Wasserspiegel im See verborgen sei, da hier frueher zwar ein Fluss, jedoch kein See war, und dass sie gerade ihre Ausgrabungsstelle aufraeumen muessten, weil spaeter ein Team von Discovery Channel kaeme, um zu filmen. Warum Teile der Ausgrabungen mit Beton zugegossen waren, konnte er uns nicht erklaeren, meinte, es sei vielleicht eine seltsame Art und Weise, zu konservieren. Meine Vermutung war eher, dass man hier vor ein paar Jahrzehnten ebene Picknickplaetze schaffen wollte, weil die ferne Vergangenheit damals egal war.
Unser erstes, vom freundlichen Herrn Atanassov genanntes Ziel, war das Kap Kaliakra, eine 700m weit in das Meer hinein ragende Felsnadel, die schon die Steinzeitmenschen ob ihrer sicheren Lage bewohnt hatten, die spaeter von den wechselnden Machthabern als Festung ausgebaut wurde, und deren Spitze auch heute noch Militaerstuetzpunkt ist. Man kann sie umwandern, was mit uns gemeinsam viele Bulgaren und Rumaenen taten. Die Aussicht rundum auf die steil abfallende Kueste nach Sueden und Norden und hinaus auf’s Meer war herrlich! Ausserdem wurden wir zu meiner grossen Freude staendig von vielen, vielen Bienenfressern mit ihrem unverkennbaren Zirpen umschwirrt, deren Fluegel hier – nur durch das Fernglas erkennbar – eine dunkel-smaragdgruene Faerbung haben. Im starken Wind standen sie fast still. Ich liebe diese Voegel besonders, weil sie in Dubai immer kurz vor Sonnenuntergang die schoenste Stunde des Tages verkuendeten, wenn die gleissende Hitze dem immer wieder wunderschoenen Abendlicht wich.
Eine Souvenirverkaeuferin sprach ein wenig Deutsch (noch aus der Schulzeit vor sicherlich 20 Jahren!) und erzaehlte uns, sie habe wenig Moeglichkeit zu uebern, ausser mit den fuenf deutschen Ehepaaren, die in ihrem Dorf Balgarevo gleich hier umd die Ecke leben; Nicht etwa Siedler aus dem 12. Jahrhhundert, sondern moderne Pensionaere, die hier Haeuser kaufen und von ihrer deutschen Rente gut leben koennen. Ich hatte schon gelesen, dass es hier an der Schwarzmeerkueste eine zunehmende Anzahl deutscher Rentner gibt. Im Dorf gibt es einen Makler, der im Internet auf Deutsch Immobilien anbietet.
Wir wollten anschliessend auf den „Geheimtipp“ im Marco Polo hin ins Dalboka-Muschelrestaurant gehen, parkten oberhalb der Steilkueste, weil die Autos bis hier oben standen und uns schwante, dass wir dort unten weder parken noch wenden haetten koennen. Aber, dass es hier im Geheimtipp Platz fuer etwa 500 Esser gibt und alls Plaetze belegt sein koennten, darauf waren wir nicht gefasst. Na gut, es war zudem auch noch Samstag! Aber die Bedienungen waren so unfreundlich, dass wir beschlossen, den Geheimtipp auszulassen und wieder den Berg hinauf trotteten, auf dem uns noch immer viele, viele Autos und Fussgaenger entgegen kamen. Good luck to them!
Wir fuhren zu unserem naechsten Peter-Atanassov und Marco-Polo- Ziel: Balchik, einem Sommerfrische-Kuestenstaedtchen ein paar KM weiter, aßen hier ganz hervorragend Muscheln und Fisch in einem Lokal direkt an der Hauptzufahrtstrasse zur Stadt, wurden ueberaus freundlich bedient und freuten uns ueber unsere Wahl. Die Strasse wand sich die Steilkueste hinunter in das Innere der Stadt, die Parkplaetze waren voll und zu eng fuer Rulota, so dass wir ein paar Querstrassen hoeher fuhren, wo wir einen ganz herrlich ruhigen Platz mit Traumblick fanden. Genossen das abendliche Flanieren an der wirklich huebsch und mit EU-Geldern gestalteten Promenade mit allen anderen, beobachteten eine Wasserschlange, die gerade einen Fisch erbeutet hatte, ihn zwischen den Felsen am Strand dingfest machte, um ihn dann zu vespern, tranken ein Bierchen bei cooler Strandmusik, die die vorbeiflanierenden Maenner, Frauen und Kinder immer wieder in Tanzbewegungen ausbrechen liess und freuten uns dann auf’s Bett mit 5-Sterne-Aussichtslage.
Josef hat morgens meinen Reifen geflickt (Ja!! Da war tatsaechlich noch ein klitzekleines Loch, so dass nun alle 4 Reifen jeweils einmal platt waren! Das war der Preis fuer unser unauthorisiertes Uebernachten auf der Pappelwiese), und dann sind wir los, die eigentliche Sehenswuerdigkeit Balciks besichtigen: den botanischen Garten, gegruendet von der offenbar esoterischen, rumaenischen Koenigin Maria aus der Zeit, als dieser Teil Bulgariens noch zu Rumaenien gehoerte.
7.9.2020
Balcik, Albena
Am Eingang zu Koenigin Marias Palast- und Gartengelaende tummelte sich eine Menschenschlange, so dass wir beschlossen, diese zunaechst auszulassen und spaeter nochmal nachzusehen. Der Eingang zur Anlage liegt direkt an der Promenade, die wir bis zum Ende fahren wollten. Zu unserer Freude ging direkt unten am Meer eine kleine Strasse aus Betonplatten weiter – vielleicht die ehemalige Verbindungsstrasse zwischen dem ehemaligen Fischerdorf Balcik und dem Rest der Welt? Egal. Wir freuten uns und fuhren Richtung Sueden, wo wir um die naechste Felsnase herum einen endlos langen Strand mit vielen Hotelanlagen gesehen hatten: Albena – die Anfaenge des sogenannten Goldstrands, an den schon in den 1970’er Jahren nicht nur die sozialistischen Brueder und Schwestern in den Urlaub kamen, sondern auch die vom Wirtschaftswunder gebeutelten Westdeutschen, die von Neckarmann hierher gelockt wurden.
Ich erinnerte mich, wie meine Eltern, mein Bruder Masin und ich 1978 mit dem Auto von Deutschland nach Palaestina fuhren und ueber Rumaenien und Bulgarien reisen mussten, weil mein Vater als Palaestinenser kein Visum von den Jugoslawen bekam. Wie uebernachteten einmal am Schwarzen Meer, vermutlich irgendwo an der Goldkueste, und waren die einzigen Gaeste im Speisesaal. Die DDR-Buerger waren im anderen Saal, getrennt von uns, damit wir sie nicht korrumpierten mit unseren kapitalistischen und imperialistischen Ideen. Dabei waren wir eigentlich auch DDR-Buerger und erst seit wenigen Jahren im Westen.
Unser Betonweg ging recht weit. Dann begegneten uns zwei junge Bulgaren, mit denen wir uns nett unterhielten; der eine arbeitete fuer einen Computerspieleentwickler, machte den cinematographischen Part, der andere war Elektroingenieuer. Beide lebten in Sofia und verbrachten zusammen ihren Urlaub hier. Sie und auch ein alter Mann, der vorbei kam, bedeuteten uns, dass der Weg weiter hinten von einem Erdrutsch verschuettet sei, man aber zu Fuss weiter kaeme. So war es auch. Wir liessen die Raeder stehen und liefen ueber die zerbrochenen, aufgeworfenen Betonplatten, spaeter nur noch ueber einen Trampelpfad bis zum Strand von Albena. Leider hatten wir kein Badezeug dabei, hatten ja gar nicht damit gerechnet, dass wir wuerden baden koennen. Aber Josef war noch ein wenig restkrank und haette sowieso nicht ins Wasser sollen. Gleich am Anfang des Strandes standen direkt am Ufer ein paar Wohnmobile, und wir beschlossen, heute frueh nach dem Fruehstueck auch hierher zu kommen. Ich fragte einen Deutschen, der sich hinter seinem riesigen MAN-Nobel-Womo verschanzt hatte, ob man hier einfach stehen koenne, und der antwortete grummelig und einsilbig, als wuerde es ihm stinken, dass er nun seinen tollen „Geheimtipp“ mit uns wuerde teilem muessen. Das Leben ist hart!
Es war zwar kein Camping-Platz, nur die Verlaengerung des Betonwegs, aber das brauchten wir ja auch nicht. Wir gingen noch eine ganze Ecke lang den Strand entlang, liefen dann zurueck zu unseren Raedern, fuhren den Rest der Stecke zurueck. Mittlerweile hatte sich die Schlange vor Marias Palast aufgeloest, und ich noetigte Josef, den nun auch noch anzugucken. Ich dachte nicht, dass die Anlage so gross ist, und wir schafften es bis zur Schliesszeit nicht einmal ganz durch. Die gute Koenigin Maria aus England wurde gegen ihren Willen mit Ferdinand I. verheiratet fand ihn wohl ziemlich furchtbar. Sie wurde dann Koenigin von Rumaenien, zu dem dieser nordoestliche Teil Bulgariens ein paar Jahrzehnte lang gehoerte. In dieser Zeit kam sie hierher nach Balcik, verliebte sich in eine kleine Bucht an der Steilkueste geschmiegte Dorf und liess hier in die Steilkueste den Garten und diverse recht bescheidene, aber sehr huebsche Villen im lokalen Stil bauen. Auch ihr sogenannter Palast ist mehr eine Villa, weist allerdings als reines Dekoelement ein Minarett auf: Man munkelt, als Tribut an ihren Ottomanischen Lover. Sie hatte sechs Kinder, und auch hier ist nicht gewiss, von wem sie alle sind. Von Ferdinand jedenfalls nur ein Teil. Sie war kuenstlerisch veranlagt, zeichnete und schrieb, unterhielt auf dem Palastgelaende ein Kino, das auch alles Personal nebst Familie nuetzen durfte. Ferner gruendete sie so eine Art Kuenstlerkolonie in Balcik, lockte Avantgardisten an. Kurz, sie war eine spannende Frau und offenbar ihrer Zeit voraus. Sie verfuegte, das man ihr Herz im Garten des Schlosses begraben sollte, was man auch befolgte. Als Balcik jedoch wieder zurueck ging an die Bulgaren, holten sich die Rumaenen das Herz ihrer Koenigin zurueck. Stinkt ihr bestimmt!
Heute frueh haben wie noch ein bisschen im Womo herum getuettelt, aufgeraeumt, usw. War ein schoener Parkplatz, so oberhalb der Stadt an dieser stillen Strasse, mit Blick auf’s Meer. Rissen uns endlich gegen 10:00 los, fuhren hinunter zum Albena-Strand und reihten uns hinter den anderen paar Womos ein. Waeren wir gestern nicht zu Fuss hergekommen, haetten wir uns gewiss nicht getraut, so weit in diese riesengrosse Ferienanlage hinein zu fahren. Die Anlage hat letztes Jahr ihren 50. Geburtstag gefeiert, bestand aus zig Hotels, die teilweise an die Bucht gebaut waren, aber einen sehr breiten Strand lassen und mit genug Abstand und viel Gruen dazwischen, so dass es recht ansprechend war. Die anderen Hotels standen zurueck gesetzt an den flachen Haengen der Bucht. Man sah sie jedoch durch den alten und gepflegten Baumbestand nicht. Spaeter erfuhren wir, dass die gesamte Anlage unter einer gemeinsamen Verwaltung stand.
Hier verbrachten wir einen mehr oder weniger klassischen Strandtag. Das Kajak war zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder im Meer. Wir paddelten hinaus zu einer Reihe von Fischernetzen, wollten wissen, was die da ernteten: Muscheln oder Fisch. Es war wohl Fisch. Die Maenner plauderten mit uns, waehrend sie ihre Netze vor Allem von Quallen leerten! Es schwammen hier ueberall und den ganzen Tag Abertausende herum, teilweise mit einem Schirmdurchmesser von bis zu 40 cm und mit einem huebschen, violett leuchtenden Saum am Schirm versehen. Gott sei Dank war ich schon ganz frueh am Vormittag schwimmen; nachdem ich die vielen, vielen Quallen gesehen hatte, hab ich mich nicht mehr getraut. Aber Kajak fahren ging. Waren dann auch zweimal unterwegs. Dazwischen kamen wir am Strand mit einem Mann ins Gespraech, der dort einen T-Shirt-Laden hatte. Er wollte uns T-Shirts verkaufen, aber wir waren auf der Suche nach jemandem, der unsere Waesche waschen koennte. Haben seit Kreuz, also vor unserer Gebirgstour im Fogarasan, nicht gewaschen. Er sagte, er wuerde sich darum kuemmern, wir sollten die Waesche nur bringen – allerings 5 EUR pro Maschine. Ganz schoen ueppig! Aber sei es drum. Ein bisschen Geld muessen wir auch hier lassen, nachdem wir selbst kochen, keinen Campingplatz bezahlen, nur so ne kleine Parkgebuehr.
Auf unserer Wanderung von Balchik nach Albena war uns ein verwilderter Garten zwischen Klippe und Meer aufgefallen. (Es gab hier mal mehrere Huetten, die vielleicht mal ein Sturm oder der Erdrutsch, der den Betonweg verschuettet hat, geplaettet hat.) Recht nah am Weg, jedoch von Brombeeren umwuchert, stand ein Apfelbaum voller satt roter Fruechte. Josef wollte unbedingt welche davon ergattern, zog sich eine lange Hose und Wanderstiefel an und erntete unter Einsatz seines Lebens etwa 2kg davon. Einen Teil aßen wir gleich, und einen Teil machte er zu Marmelade, nachdem ich sie entsteint und geschnibbelt hatte. Sehr lecker!
Josef hat gekocht! Juchee!
11.9.2020
Albena, Varna
Habe spaeter nachgelesen, ob das normal war mit der Anzahl der Quallen um diese Jahreszeit. Es war nicht normal, sondern auf zu warmes und verschmutztes Wasser zurueck zu fuehren. Rund um das Schwarze Meer gibt es offenbar so gut wie keine Klaeranlagen, wohl aber wachsende Staedte. Zwar ist die industrielle Verschmutzung wohl zurueck gegangen, zumindest an den EU-Ufern des Meeres, dafuer leben hier immer mehr Menschen. Es gibt EU-Gelder fuer Klaeranlagen, aber die EU schafft es nicht, zu ueberwachen, was mit ihrem Geld passiert, und wir hoeren immer wieder, dass die Gelder verschwinden, versanden… Weder die Rumaenen, noch die Bulgaren haben Vertrauen in ihre Behoerden oder ihre Regierenden. Allerortens hoerten wir in den Gespraechen mit den Menschen die Frustration und Resignation heraus. Beide Laender haben seit ihrem EU-Beitritt 2007 ganz gewiss riesige Fortschritte gemacht, aber es geht den Menschen nicht schnell genug, und sie haben vor Allem das Gefuehl, dass Fleiss und Lauterkeit nicht belohnt werden. Allein Beziehungen bringen weiter.
Zurueck ins Albena: Josef und ich wollten ein wenig einkaufen. In diesem riesigen Ferienkomplex gab es keine Flaniermeile am Strand, keine netten Kneipen und Restaurants und auch keine richtigen Supermaerkte, nur sogenannten Convenience Stores, die Sonnenmilch, Schnaps, Bier, Schokolade, Chips, Schwimmringe und dergleichen Grundbeduerfnisse deckende Dinge verkauften. Alle Restaurnts waren innerhalb der Hotels. Wir hatten uns also selbst versorgt, und nun war der Kuehlschrank leer. Unser Stellplatz war eigentlich nicht mehr Teil von Albena. Ein riesiges Tor mit dem durchgestrichenen „Albena“ wies darauf hin, dass sie sich hier nicht mehr zustaendig fuehlten, was man auch an den Muellansammlungen hier und da erkannte.
Wir schwangen uns also auf die Raeder, suchten nach einer Post und nach einem Supermarkt, fragten hier und da, fanden schliesslich die Post in einem etwas stiefmuetterlich behandelten Bereich der Anlage, der noch sehr den sozialistischen, tristen Mief ausstrahlte, hier und da vor sich in broeckelte. Dafuer fuhren jedoch LKW durch die Anlage, die die Strassen mit Wasser bespritzten – also nicht die total vertrockneten Baeume, nein, die Asphaltdecke der Strassen. Unser T-Shirt-Verkaeufer hatte uns zuvor berichtet, dass Wasser dieses Jahr so knapp sei, dass es oft einfach abgestellt wuerde. Und hier wurde es voellig sinnlos auf die Strasse gegossen!
Wir fuhren aus der Anlage raus, auf die Landstrasse Richtung Balchik, weil wir dachten, dort sei ein Dorf oberhalb der Steilkueste, denn wir hatten Leute an unserem Stellplatz vorbei einen Trampelpfad hinauf klettern sehen zu Haeusern dort oben. Wir fuhren also parallel zu einem nicht enden wollenden Zaun, bis zu einem offenen Tor. Hier verbargen sich zwischen Baeumen zwar auch alleilei Haeuser, die jedoch auch zum Albena gehoerten. Tasteten uns vorwaerts, fanden den Hintereingang zu einem etwas in die Jahre gekommenen seelenlosen Blocks und gingen durch das Gebaeude hindurch auf der Vorderseite wieder hinaus. Dort auf den Vortreppe sassen und standen ein paar Leute, und ich tippte, dass es sich hier um eine Personalunterkunft handelte. So war es dann auch. Das Gebaeude trug noch den Namen irgendeines Hotels, aber ein junger Mann erklaerte uns, dass sie hier wohnten, wenn sie Dienst hatten. Es wirkte trist und duester, was jedoch auch an Corona lag, denn die meisten Hotels in der Anlage waren gar nicht erst geoeffnet, alles hier oberhalb der Steilkueste sowieso nicht, und selbst unten in der Bucht nur drei von den zig Hotels. Entsprechend war alles recht ausgestorben. Am Strand hatte man es gar nicht als so leer empfunden, und wir mochten uns gar nicht ausmalen, wie es hier in Corona-freien Jahren zuging!
Hier gab es also zwar weit und breit keinen Supermarkt, aber wir fanden einen Asphaltweg, der sich von der Landstrasse weg weiter den bewaldeten Huegel hinauf schlaengelte, stellten die Raeder ab und liefen hinauf in die zunehmende Stille. Nur das Zirpen der Bienenfresser war zu hoeren. Ploetzlich flog ein grosser Vogel unter lautem Geschrei vor uns auf, der Groesse nach, eventuell ein Fasan, aber der lange Schwanz fehlte. Wir trugen beide nur Gummilatschen, und als es unwegsamer wurde, kehrten wir um. Schade! Hatten auf ein wenig Leben hier im Wald gehofft. Immerhin fanden wir in der einzigen matschigen Pfuetze Abdruecke, wahrscheinlich von einem Wildschwein und irgendeiner groesseren Katze.
Schliesslich wieder im Albena angekommen, kauften wir beim einzigen Gemuesestand ein bisschen was Gruenes und Obst ein (Die Geschaefte hier hatten es alle sehr schwer dieses Jahr; die meisten hatten gar nicht geoeffnet), vertuettelten den restlichen Tag um’s Womo herum, freuten uns ueber die frische Waesche, die unser T-Shirt-Haendler uns brachte und kochten uns etwas im Womo.
Am naechsten Tag machten wir uns auf, weiter nach Sueden an der Kueste entlang in Richtung Varna. Ich wollte die Zeit im Auto nuetzen, der Albena-Verwaltung wegen des Muells am hinteren Weg zu schreiben, da ja immerhin alle, die dort herum liefen entweder ihre Gaeste waren, oder aber, wie wir, zumindest Parkgebuehren bezahlten. Aber sie hatten tatsaechlich keine Email-Adresse, an die man als normaler Sterblicher heran kam.
Wir hielten an einer Tankstelle und fragten nach Wasser. Der junge Tankwart war freundlich, und wir fuellten den Tank giesskannenweise, waehrend ich mit ihm plauderte. Auch er war desillusioniert mit seiner Regierung, sprach erstaunlich gutes Schulenglisch, hatte keine weitere Bildung, weil die Zeiten schwer waren, die Inflation sehr hoch, bevor der Lewa mit einem festen Umtauschsatz an den Euro gebunden wurde, und wohl kein Geld da war fuer mehr Ausbildung. Er, wie so viele andere, war davon uebezeugt, dass es Corona nicht gibt, dass die Regierungen es erfunden haben, dass insbesonderen die hier im Osten irgendwelche fiktiven Zahlen an die EU meldeten, um Gelder locker zu machen, … Hmm… Ich fragte ihn, wie sie mit der Wasserknappheit klar kaemen. Auch hier meinte er, es gaebe keine Wasserknappheit, sondern lediglich Mismanagement. Die Rohre seien so marode, dass 70% des Wassers im Boden versickere. Letzteres mochte stimmen, aber, dass es hier, wie ueberall, schon seit Jahren zu wenig regnete, lag auf der Hand.
Den Goldstrand mit seinen endlosen Hotelanlagen liessen wir links liegen und fuhren direkt nach Varna, wo wir dank Google Maps einen weitraeumigen Parkplatz ganz nah am Stadtstrand fanden. Wir fuhren mit den Raedern ueber einen Weg direkt parallel zum Strand in die Stadt. Oberhalb des Wegs zog sich der kilometerlange Seegarten, der Stadtpark mit allerlei Museen und dergleichen. Den Stadtstrand selbst haben die Varnesen fuer sich, und es herrschte eine wunderbar entspannte Stimmung. An einer Stelle war ein Becken, das dem Geruch nach offenbar von einer Quelle mit stark eisen- und mineralienhaltigem Wasser gespeist wurde. Einige Rentner duempelten plaudernd im Heilwasser. Weiter Richtung Zentrum lag das alte Stadtbad aus der sogenannten Wiedererweckungszeit. So nennen die Bulgaren die Zeit Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, als sie nach Jahrhunderten endlich das Joch der Ottomanen abgeschuettelt hatten und das Land eine Bluete mit einem wunderbaren Bauboom erlebte. Heute beherbergt das Stadtbad, das sich nach hinten zum Strand oeffnet, viele Cafes und Restaurants. Die Stadt hatte nichts Touristisches, jedoch ein sehr nettes Flair mit vielen Gebaeuden aus eben jener Wiedererweckungszeit, einer netten Flaniermeile mit vielen kleinen Laedchen, Boutiquen, Cafes und Restaurants. Man konnte hier in Bulgarien keine Kirchen besichtigen, weil die Zeit des Kommunismus den Menschen die Religiositaet, ganz anders als in Rumaenien, gruendlich ausgetrieben hat. Wenn wir hier und da eine Kirche fanden, war sie meistens verbarrikadiert, von Gebuesch zugewachsen oder sehr hinfaellig. Die einzige Kirche hier in Varna war von einem Bauzaun umgeben. Ansonsten wartete jede Stadt mit einem archaeologischen Museum auf, was uns jedoch beide nicht interessierte. Wir hielten es lieber mit der Gegenwart, plauderten mit den Menschen, was hier jedoch auch schwieriger war als in Rumaenien. Sie waren nicht ganz so freundlich und aufgeschlossen und vor Allem nicht so fremdsprachenbegabt.
An einer Strasse parallel zur Fussgaengerzone fanden wir einen kleinen Markt, kauften Obst (Feigen!), Gemuese und frisch geschaelte Haselnuesse (!). Ich wollte danach zum Hoehlenkloster Aladzha noerdlich von Varna, dessen Ausfahrt wir auf dem Weg hierher verpasst hatten. Aber die Kombi Hoehle und Kloster fand ich gar zu spannend. Fuhren also nochmal los und besichtigten es. Es war spannend, mitten im Wald ueber 10m ueber dem Boden in natuerliche, allerdings von den Moenchen vergroesserten Hoehlen, mehr Wandnischen in einer Felswand – gewiss mehr als spartanisch. Es waren drei Ebenen auf etwa 50m Laenge zugaenglich, aber ich war recht sicher, dass die Anlage aus dem 11. Jahrhundert, wahrscheinlich noch frueher, urspruenglich groesser war, denn etwa 700m davon entfernt gab es noch Katakomben zu besichtigen, die auch einst zum Kloster gehoert hatten. Gewiss waren Kloster und Katakomben nicht so weit entfernt voneinander. Leider war an der Anlage selbst nichts beschrieben und das Erscheinungsbild durch eine Eisentreppe und primitive Gelaender sehr verfaelscht, aber mit ein bisschen Fanatasie konnte man sich vorstellen, wie es mal gewirkt haben mochte.
Eine weitere Sehenswuerdigkeit war der Steinerne Wald noerdlich von Varna, den wir uns auch pflichtschuldig anschauten: Auf einer Flaeche von 13qkm standen hier im Wuestensand runde Stehlen, bis zu 6m hoch, innen hohl und mit Sand gefuellt. Die Meinungen gehen auseinander, wie sie hierhin gekommen sind. Wahrscheinlich ist, dass das Umgebungsgestein durch Erosion verwittert ist und nur diese haerteren Saeulen stehen blieben. Jedenfalls ist es die einzige „Wueste“ in Osteuropa und ein recht spannendes Naturphaenomen. Der Ticketverkaeufer am Eingang fragte: „Deutsch“, und als ich bestaetigte, leierte er einen Vortrag ueber die Stehlen runter, den er offenbar phonetisch auswendig gelernt hatte, jedoch selbst ueberhaupt nicht verstand. Es war sehr interessant, seiner vollkommen falschen Satzmelodie und Betonung der Worte zu lauschen. Ein juengeres bulgarisches Paar, das mit uns zwischen den Stehlen herum hirschte, trug ein Zettelchen mit lauter Symbolen darauf und fragte uns, ob wir die Symbole gesehen haetten. Hatten wir nicht, wussten gar nicht wovon die Rede ist. Offenbar hatte man auf den Stehlen mit weisser Farbe irgndwelche Symbole versteckt, um das Ablaufen der Anlage ein wenig interessanter zu gestalten. Es war dann wie Ostereier suchen. Wir kamen ins Gespraech. Sie waren aus Plovdiv, der Europaeischen Kulturhauptstadt 2019, die auch noch auf unserer To-Do-Liste fuer Bulgarien stand. Wir tauschten Telefonnummern aus, und wir versprachen, uns zu melden, wenn wir nach Plovdiv kommen. Sie wuerden uns gern herumfuehren. Sein Englisch war etwas zaeh, aber er erzaehlte uns, die Bulgaren gaebe es schon ewig, sie haetten fruher Bukhari geheissen und haetten schon die Pyramiden mitgebaut. Die Sphynx habe zwischen ihren Fuessen eine Tafel auf der stuende, ohne die Bukharis waeren die Pyramiden niemals zustande gekommen. Naja, so versucht jeder gute Patriot, seinem Volk etwas Edles anzuinterpretieren.
Wir fuhren wieder zurueck in die Stadt auf unseren Platz am Strand, gingen um die Ecke was essen und kuschelten uns ins Bett. Aber wir hatten wieder einmal den falschen Schlafplatz ausgesucht. Vergassen, auf Verkehr, Beleuchtung und Beliebtheit des Standortes bei der Jugend zu achten. So lagen wir nun mitten auf einer Durchgangsstrasse mit genug Parkplaetzen links und rechts, dass die Jugend von Varna bis drei Uhr morgens bei Flutlicht Ball spielen, Bloedsinn quatschen und schallend lachen konnte. Josef hat das grosse Glueck, zur Not auch im Stehen schlafen zu koennen. Ich nicht. Um 2 Uhr stand ich auf, signalisierte durch die Windschuztscheibe, dass ich gern schlafen wuerde. Sie winkten freundlich und machten weiter. Um 3 Uhr stand Josef mir zuliebe auf und bat die Gang neben unserem Womo, doch bitte 100m weiter zu gehen, was sie dann auch nach weitern 20 Min taten. Naja, war dann entsprechend muede gestern.
Samstag, 12.9.2020
Kamcia, Nessebar, Burgas, Velico Tarnovo
Wir zuckelten nach dem Fruehstueck und einem kurzen Spaziergang – die Rentner waren schon wieder „in full swing“ im Mineralbecken, am Strand und an den Anglerplaetzen – an der Kueste entlang nach Sueden zu unserem naechsten Ziel gleich suedlich von Varna: Die Flussmuendung des Kamcija. Dort trafen wir am Ufer auf einem Ponton auf einen sehr gelangweilten, kettenrauchenden, etwas vergammelt aussenden Badenser aus Mannheim, der seine vier Vermietkajaks beaufsichtigte sich und uns einzureden versuchte, dass er das Paradies gefunden habe hier in Bulgarien an diesem etwas meucheligen Fluss, den sie recht grossspurig den Amazonas Bulgariens nennen. Er hatte seine Kneipe in Mannheim aufgegeben, sich hier in einer Ferienwohnungsanlage ein Apartment gekauft und ist mit seiner Frau hierher gezogen. Nein, bulgarisch koenne er nicht, da haette er die Wohnung woanders kaufen muessen, mitten zwischen Bulgaren. Ob die Bootsverleiher um ihn herum ihn akzeptierten? „Meine Jungs hier? Ja, ja!“ Aber er sass ganz allein da, waerend die anderen in Grueppchen zusammen sassen und sich gemeinsam ueber den Corona-Sommer ohne Gaeste beklagten. Wir liessen uns von einem der Maenner in seinem Boetchen ein wenig den Fluss hinauf und wieder hinunter bis zur Muendung und zurueck schippern, sahen immerhin eine Schildkroete mit ihren Jungen auf einem Ast am Ufer sitzen, verpassten die Wasserschlange („Wir sagen Baby-Anaconda“), sahen ihn ein bisschen ins Schwitzen kommen, weil die Stroemung an der Muendung so unerwartet stark war, dass er Muehe hatte, nicht hinaus ins Meer gespuelt und von der engegenkommenden Brandung umgekippt zu werden, verabschiedeten uns von „den Jungs“, dachten, wir koennten mit den Raedern noch ein Stueck fahren, aber die Wege endeten alle, so dass wir aufgaben und schliesslich diesen doch eher unwirtlichen Ort verliessen. Manchmal wunderten wir uns schon ueber die Empfehlungen in unserem Marco Polo!
Um 14:30 deutsche Zeit hatte unsere Freundin Mayuri, die Vorsitzende des FrauenPower e.V., eine Zoom-Konferenz organisiert, an der wir gern teilnehmen wollten. FrauenPower hat es sich zur Aufgabe gemacht, Frauen und Maedchen aus armen und benachteiligten Bevoelkerungsgruppen in Kenia, Nepal und Indien zu helfen. Der Verein unterstuetzt u.A. eine NGO in Ahmedabad im Westen Indiens, die sich insbesondere um z.Z. 30 Maedchen aus extrem schwierigen Verhaeltnissen innerhalb der Slums kuemmern, ihre Schulgebuehren bezahlen und sie moeglichst zu einem Colleg-Abschluss fuehren. Vorgestern nun sollten die Maedchen und auch die NGO Kadam die Moeglichkeit haben, einmal mit FrauenPower zu sprechen, unsere Gesichter zu sehen, etwas von sich zu erzaehlen, etc. Wir gingen erst mit unserem Tablet in ein Cafe, aber es war zu laut, und wir hatten kein Headset dabei. Also gingen wir ins Womo zurueck, haengten das Tablet an das Aux-Kabel und konnten so ueber die Autolautsprecher hoeren. Die Situation war unwirklich: Wir standen auf einer Kreuzung mitten in einem etwas herunter gekommenen Dorf an Bulgariens Schwarzmeerkueste; neben uns verkauften ein paar Maenner Obst und Gemuese, ein paar Streunerhunde lebten mitten auf der Kreuzung und mussten naturgemaess staendig den Autos ausweichen, immer wieder donnerten LKW vorbei. Und auf dem Bildschirm erschienen wechselnde Gesichter aus Ahmedabad – mal Prasad von der NGO mit seinem langen, weissen Rauschebart, mal das eine, mal das andere Maedchen, die aus ihren jeweiligen Huetten im Elendsviertel teilweise auf English, meist jedoch auf Gujarathi, ihrer Muttersprache, aus ihrem Leben erzaehlten. Das ging fast drei Stunden, in denen ich mich mehrmals wieder einloggen musste. Josef kam und ging, fuellte zwischendurch an der Tankstelle unser Gasflasche auf, bezahlte im Cafe unseren Kaffee, etc.
Nun fuhren wir weiter nach Nessebar, einem eigentlich kleinen Staedtchen auf einem Inselchen, das schon vor langer Zeit ueber einen kuenstlichen Damm mit dem Festland verbunden wurde und laut unserem Marco Polos sehr huebsch sein sollte. Aber zunaechst fuhren wir an endlosen Hotel- und Ferienapartmentanlagen vorbei, die ohne sichtbare Planung zwischen Strasse und Strand gepferchert wurden, dem sogenannten Sonnenstrand. (Hier kann man fuer 18.000 EUR eine Ferienwohnung kaufen.)
In Nessebar fanden wir einen Parkplatz auf dem Festland gegenueber der kleinen Insel, im neuen Teil der Stadt, der eine schoene Stimmung hatte, und wo wir auch ueber Nacht bleiben konnten (kein Flutlicht, keine Halligalli-Meile). Wir drehten eine Runde, sahen die Menschen in der spaetnachmittaeglich langsam einsetzenden Kuehle vor ihen Haeusern sitzen und plaudern – hier in Bulgarien nicht auf Baenken vor dem Hoftor oder der Haustuer wie in Rumaenien, sondern unter Weinreben, hier in Nessebar unter Kiwireben mit richtig grossen Fruechten dran (!), sitzend. Dann liefen wir hinueber zur Insel in das alte Staedtchen. Hier hielt der Marco Polo, was er versprach. Nessebar ist wirklich sehr huebsch, wenngleich zu viele Laeden zu viel Bloedsinn verkauften und zumindest in diesem Corona-Sommer auf jeden Touristen ein Lokal kam. Normalerweise haette man sich hier wohl gegenseitig totgetreten. Es wurde dunkel, und die Stimmung auf dem kleinen 25-Hektar-Inselchen war ganz herrlich mit seinen Befestigungsanlagen aus der Thraker-, Griechen- und Roemerzeit, sowie aus dem Mittelalter, die vielen, vielen Kirchen (Es gab sage und schreibe einst 70 Stueck!!), die traditionell gebauten Haeuser mit einem Erdgeschoss aus unregelmaessigem Naturstein und einem Obergeschoss aus Holz, dass mindestens einen Meter uebersteht und mit schraegen Balken abgestuetzt ist. Sehr huebsch alles.
Auf der gegenueberliegenden Seite der grossen Bucht, auf dem Festland sahen wir die endlose Zahl an Hotels. Wenn man sich vorstellt, dass die normalerweise um diese Jahreszeit alle voll sind, wird einem ganz schlecht. Wir liefen ein Weilchen ziellos durch die Gassen, wurden immer wieder von Restaurant-Lockvoegeln angesprochen (Sie haben sehr zu kaempfen in diesem Sommer!) und aßen schliesslich sehr nett. Der Kellner gab sein Bestes, versuchte cool und verbindlich gleichzeitig zu sein, uebertrieb es ein wenig. Wir, auch ich, schliefen wie die Murmeltiere, und waehrend ich morgens ein wenig schrieb, drehte Josef ein paar Runden im noch verschlafenen Festlandnessebar, das auch recht gemuetlich und beschaulich war. Liefen dann nochmals zum Inselchen, drehten unsere Runde bei Tageslicht und besichtigten kurz die einzige Kirche, die noch in Benutzung ist. Ihr Inneres erinnerte sehr an hinduistische oder buddhistische Tempel: ueberall lagen und standen Opfergaben der Glaeubigen herum: Ikonen, Schmuck, Kruschtelchen, … So richtig viel Platz fuer die Glaeubigen blieb nicht. Aber hier gibt es ja auch nicht so viele Glaeubige. Hatte ich schon erwaehnt, dass der Tod eines geliebten Menschen hier nicht in Zeitungen, sondern in Form von uerball hingeklebten Zetteln, wie Steckbriefe im Wilden Westen, angezeigt wird? Sie kleben wirklich ueberall, diese Zettel.
Wir tranken unseren mittaeglichen Espresso in einem der vielen Strassencafes und machten uns wieder auf den Weg zur naechsten Etappe, Burgas. Sie ist die Konkurrenzstadt zu Varna, hat ein aehnliches Flair mit Stadtstrand, Seepark und Fussgaengerzone, ist jedoch nicht ganz so huebsch. Gerade sprachen wir darueber, dass es hier so gar keine Kirchen gab, als uns zwei Moenche in braunen Kutten entgegen kamen. Wir sprachen sie an, und sie bestaetigten unsere Einschaetzung, dass Religion in Bulgarien keinen wichtige Rolle mehr spiele. Sie waren katholische Kapuzinermoenche, die hier im 2. Stock eines Stadthauses recht unspektakulaer ihren „Dienst am Herrn“ verrichteten. Es gaebe noch zwei weitere Kapuzinerstellen – Kloester koenne man sie nicht nennen. Einer der beiden wollte dann zum Schluss noch wissen, wie wir es mit Religion und Gott hielten, und wir antworteten wahrheitsgemaess, dass ich halb Muslimin bin, jedoch atheistisch erzogen und Josef roemisch-katholisch, jedoch entfremdet von Religion.
Wir radelten zum Womo zurueck und machten uns auf den Weg. Die Aussenbezirke aller Staedte sehen immer gleich aus: Platte, Platte, Platte,… Oft sind sie so herunter gekommen, dass man sich in Deutschland in einem sehr verkommenen Viertel waehnen wuerde. Hier hingegen liefen die Menschen sehr adrett herum zwischen diesen Ruinen, nachgerade herausgeputzt. Wir vermuteten, dass man es sich innen sicherlich gemuetlich und schoen machte. Fuer das Aeussere konnte man ja nichts und auch nichts daran aendern.
Wir fanden nun, dass wir dem Schwarzen Meer genug unserer Zeit geschenkt, es hinreichend gewuerdigt hatten. Immerhin zuckelten wir nun schon seit dem Donau-Delta an dieser Kueste entlang. Es gab da zwar ein Stueckchen weiter im Sueden noch dies und das zu sehen, und gaebe es das dusselige Corona nicht, waeren wir geschwind ein wenig (oder auch ein bisschen ausgiebiger) in die Tuerkei gerutscht. Aber nachdem alles so kompliziert zu sein schien, liessen wir es und fuhren nun zielstrebig landeinwaerts. Welch andere Welt. Hier ist nun wieder alles staubtrocken, gelb, sanft huegelig, wie die Dobrudscha vor einer Woche oder so. Zwischendrin waren auch grosse gruene Felder-Inseln mit Weinstoecken und Paprika. Die Wassermelonenfelder sehen auch dermassen verdoerrt aus, dass man sich nicht vorstellen kann, wie solch eine saftige Frucht dort rauskommen kann. Wir hatten schon oefter Lavendelfelder gesehen. Hier gab es sie auch wieder. Und Zitronenmelisse. Wir stiegen aus und nahmen eine Riechprobe. Frau Google bestaetigte uns, dass Bulgarien wichtiger Lieferant von Duftstoffen fuer die Parfumindustrie ist.
Es ging auf den Spaetnachmittag zu, bei mir meldete sich der Hunger und die Sehnsucht nach einem heimeligen Stellplatz fuer die Nacht. Noerdlich von uns verlief parallel zur Schnellstrasse von Ost nach West eine bewaldete Bergkette, die an den Pfaelzer Wald erinnerte. Am Fusse dieser Berge haette ich gern die Nacht verbracht, aber das wurde schwierig. Denn hier gab es keine normalen Feldwege; alle fuehrten zu irgendwelchen Gehoeften oder Doerfern, und diese waren so elend, dass wir dort nicht unbedingt bleiben wollten. Fuhren also eine Serpentinenstrasse hinauf in die waldigen Berge, die Auslaeufer des Zentralen Balkans sind. Balkan ist laut Marco Polo ein tuerkisches Wort, das die Ottomanen hier praegten, und bedeutet „bewaldete Berge“. Daher der geografische Begriff des Balkans. Es fand sich lange keine Moeglichkeit zu stehen. Wir wanden uns hoeher und hoeher, bogen schliesslich in eine Seitenstrasse ab und fanden endlich mit Hilfe von Google Maps Satellitenbildern ein perfektes, stilles Plaetzchen mit Aussicht ueber die unter uns daliegenden Berge, dahinter die sanften Huegel, durch die wir gekommen waren und ganz im Hintergrund das Meer! Wir genossen noch das letzte Tageslicht und trollten uns dann in die gute Rulota, kochten lecker. Wir hatten auf dem kleinen Strassenmarkt in Varna frische Okraschoten gefunden, und mit den wunderbar aromatischen Tomaten hier konnte ich vegetarische Bamieh kochen. Josef kam mir Gesellschaft leisten bei meiner naechtlichen Zigarette, weil es da draussen so dunkel war, dass ich allein Angst hatte. Die Milchstrasse ging fast bis zum Horizont.
Ich schlief herrlich, wachte einmal auf und schaute in den unglaublichen Sternenhimmel.
Morgens machten wir einen Spaziergang den Berg hinauf, schnasselten unterwegs wilde Zwetschgen und Mirabellen, verschmaehten die wilden Birnen und Hagebutten, hofften vergeblich auf Wild. Es war wohl einfach zu trocken hier oben auf fast 1000m. Die Vegetation hier oben, gedrungene Kiefern und Steineichen und allerhand Gestruepp, wehrte sich wacker gegen die andauernde Trockenheit. Wir fuhren auf der gleichen engen Serpentinenstrasse weiter durch die Waelder nach Westen in Richtung Velico Termovo, einer Stadt, die uns als ehemalige Hauptstadt des bulgarischen Koenigreichs sehr ans Herz gelegt wurde. Weiter unten ging die Vegetation ueber in Buchenwaelder, und es war herrlich kuehl und klar. Wir hielten Ausschau nach einem Brunnen oder einer Quelle, um unser Wasser wieder aufzufuellen, aber die ersten zwei waren versiegt. Aus der dritten kam ein duenner Strahl, aber darunter war ein ganz frisch zementiertes, picobello-sauberes Auffangbecken, aus dem wir 10 Eimer Wasser schoepfen konnten.
Auf der anderen Seite der Bergkette, durch die wir nun langsam und diagonal auf stetig schlechter und enger werdender Strasse hindurch gefahren sind – immer wieder kratzten Zweige und Dornen am Womo entlang – gelangten wir in die sehr weit verstreut liegenden Doerfer. Gleich am Ausgang der Berge fuhren wir an ueppigen Brombeeren vorbei, ernteten ein Joghurteimerchen voll, den Josef spaeter zu Marmelade machte. Es geht uns nicht schlecht in dieser spaetsommerlichen Erntezeit. Ich sehe auch immer wieder wilde Malwen (Khubbeze), deren Blaetter wir in Marokko oft geerntet und zu einem dicken Gemuese, wie Spinat, gemacht hatten. Aber aufgrund der grossen Trockenheit sind die Blaettchen klein und ledrig. Schade!
Wir fragten uns, wovon die Leute hier in den Doerfern lebten, denn irgendwohin pendeln bei diesen Strassen war unmoeglich. In einem Dorf fielen uns Steine auf, die wie Grabsteine auf einem alten juedischen Friedhof kreuz und quer, krumm und schief standen und lagen. Es gab keinerlei Inschriften, woraus wir schlossen, dass es ein muslimischer Friedhof sein muesse, denn nach islamischem Ritus laesst man die Toten in Ruhe. Man markiert zwar eventuell das Grab mit irgendeinem Stein, aber man pflegt es nicht, besucht es auch in der Regel nicht. Daraufhin googelte ich „Muslime in Bulgarien“ und las dort nach, dass es zwar viele gab, dass sie jedoch ethnische Bulgaren waren und sich oft nicht mehr als Muslime fuehlten, es bei der letzten Volkszaehlung auch oft nicht als Religionszugehoerigkeit angaben. Im Dorf Konstantin hielten wir fuer einen mittaeglichen Kaffee. Eine Frau putzte mit dem Besen ihre ohnehin sehr schoen gestrichene und saubere Fassade. Wir lobten sie ob ihres Fleisses, und sie wuenschte uns auf Deutsch einen guten Tag, strahlte uns dabei mit ihren zwei Titan-Ersatzschneidezahnstummeln, mit grosser Luecke dazwischen, an. Natuerlich fragten wir sie, ob sie Deutsch koenne. Ein ganz klein wenig. Radebrechend erklaerte sie, sie habe mit ihrem Mann 9 Jahre lang in Limburg gelebt, sie seien gerade vor 3 Monaten zurueck gekehrt. Sie lotste uns in ihren Hof und zeigte uns als Beweis ihr Auto mit dem Kennzeichen WW (Westerwald). Ihr Mann kam dazu, und, ebenfalls radebrechend, erklaerten sie uns, dass sie in 9 Jahren kein Deutsch gelernt haetten, weil sie immer nur mit Tuerken Kontakt hatten? Wieso Tuerken? Ob sie Tuerkisch koennten. Ja, antworteten sie. Tuerkisch und bulgarisch. Wir waren baff. Gerade eben hatten wir doch gelesen, dass die Muslime hier ethnische Bulgaren seien. Wieso sprachen sie dann Tuerkisch??
Wir setzen uns vor das Dorfcafe und sprachen hier die Leute an. Sie konnten kein Englisch, wohl aber alle Tuerkisch. Das ganze Dorf sei tuerkisch und man wuerde unter sich tuerkisch sprechen. Ich konnte es nicht heraushoeren. Vielleicht war ihre Sprache so eingefaerbt, der Dialekt so stark, dass es nicht klang wie wir es kannten.
Auch hierzu lieferte das Internet mir einen Artikel vom Spiegel und einen aus der NZZ: Es gab bis 1989 10% Tuerken in Bulgarien. In jenem Jahr, ganz kurz vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, verlor auch der kommunistische bulgarische Praesident zunehmend an Zustimmung und Einfluss. Um dem entgegen zu wirken, von seinem Versagen abzulenken, faselte er von nationaler Einheit und fokussierte auf die tuerkische Minderheit, zwangsassimilierte sie, zwang sie, ihre muslimischen Namen zu slavisieren, ermutigte sie, doch zu ihren tuerkischen „Bruedern und Schwestern“ in die Tuerkei zu emigrieren. Das taten dann auch tatsaechlich ueber 300.000 von ihnen in der Hoffnung auf ein besseres Leben. Zwar kam die Haelfte von ihnen nach ein paar Jahren zurueck, weil sie die strenger religioesen „echten“ Tuerken doch nicht so toll fanden, aber durch das Schleifen der Moscheen und muslimischen Friedhoefe und die Slavisierung der Namen hatten sie doch schon Teile ihrer Identitaet verloren. So hatte unser Kumpel aus Limburg auch eine Flasche Bier in der Hand, als er aus dem Haus kam. Als wir weg fuhren, war seine Frau mit den Titanstummeln gerade dabei, die Fassade nun auch noch mit Seifenwasser anzuschrubben. Wahrscheinlich hat die Kehrwoche in Deutschland zu sehr auf sie abgefaerbt.
Kontantin war ein recht aermliches Dorf. Sehen in der gesamten Gegend wieder zunehmend Pferdefuhrwerke. Nun kamen wir nach Maryan, in das naechste Dorf, fanden dort ein Hinweisschild zu einer Winzerei. Wir wollten gern zumindest eine Flasche bulgarischen Weines kaufen, weil die Gegend hier dafuer bekannt war. Welch ein Kontrast. Da stand auf einer Terrasse des Winzerhauses eine Gruppe sehr staedtisch und chic anmutender Menschen bei der Weinprobe, ein ueberaus verbindlicher Sohn der Familie machte eine kleine Fuehrung in fliessendem Englisch (Er lebe in Edinburgh, erklaerte er uns, mache wegen Corona gerade Home Office von hier aus) und verkaufte uns 4 recht teure Flaschen. Als wir ihm von unserem Stopp in Konstantin erzaehlten sagte er, „I am sorry for you“. Wir erklaerten ihm, dass wir die Begenungen dort sehr lehrreich fanden. Zwei Welten!
Montag, 14.9.2020
Velico Tarnovo, Sokolski-Kloster, Shipka-Pass, Kazanlak, Tal der Rosen
Am Spaetnachmittag kamen wir in Velico Tarnovo an. Die Stadt liegt am Fluss Yantra. Er bildet hier mehrere sehr enge Schlingen und steile Ufer. Die „Inseln“, die dadurch Entstanden, recht steile Huegel, sind der Untergrund der Stadt. Frueher, als die Stadt mal Hauptstadt des Bulgarischen Koenisgreichs war, waren alle dieser Huegel jeweils mit eigenen Befestigunganlagen umbaut. Nun ist davon auf einem der Huegel lediglich ein Rest zu sehen; ansonsten ist er kahl und leer. Auf einem zweiten ist die Umfassungsmauer teilweise restauriert und auch ganz neu wieder aufgebaut. Hier befand sich einst das Schloss und die Haeuser der Aristokratie und des Klerus. Hiervon sind nur noch Grundmauern erkennbar. Auch war hier die Hinrichtungsstelle: von einer Felsnase weit ueber dem Yantra hat man die armen Teufel einfach hinunter geschubst. Wieviele davon wohl schwerverletzt uebelebt haben und elendig langsam krepiert sind?
Wir kreisten ein bisschen, bis wir an einer der Flusschlingen in einer ruhigen Strasse einen Platz fuer die Nacht fanden, fuhren mit den Raedern steil auffwaerts durch eine Strasse mit ein paar huebschen alten Haeusern in die Innenstadt, orientierten uns ein wenig und fanden dann ein Lokal mit schoenem Blick ueber das Flusstal und die anderen Stadtteile. Hier gab es eine recht begrenzte Speisekarte mit eher englisch anmutenden Snacks (allerdings muesste man ihnen noch erklaeren, wie ein Club Sandwich aussieht), was auch erklaerte, warum in einer Ecke eine laermende Gruppe von Briten sass – drei nicht ganz junge Ehepaare. Man merkte, dass sie hier lebten. Sie machten mehr Laerm als alle anderen zusammen und benahmen sich wie Kolonialherren. Waeren wir Englaender, haette ich mich fremdgeschaemt. Alle, wirklich alle, schauten missbilligend. Irgendwann gingen sie, sodass man sich wieder bei normaler Lautstaerke verstaendigen konnte.
Viel Schoenes, Altes gab es hier nicht – nur hier und da verstreut; jedoch war die Lage der Stadt recht einzigartig. Ich hatte in google maps irgendwas gesehen von Licht- und Klangshow, fand dann auch im Internet, dass da irgendwas irgendwann zwischen 19:00 und 21:00 stattfindet, und wir machten uns auf die Suche nach dem Ort des Geschehens. Irgendwann fanden wir an einer Menschenmenge, an einer Strasse stehend, hinunter ins Tal blickend und wartend. Dort musste es wohl sein – was immer es sein wuerde. Nach etwa 20 Minuten wurden die Strassenlaternen ausgeschaltet, und die Festungsmauern auf dem ehemaligen Schlossberg wurden nach und nach in rotes Licht getaucht. Auch hoerte man weit entfernt so eine Art Musik. Wir fuhren den Berg hinunter und standen nun mit eingigen anderen Touristen am langen Zugang zur Festung, und mit freiem Blick auf die Mauern. Die „Musik“, eine Mischung aus leidendem Frauengeschrei und ich weiss nicht was, war hier ohrenbetaeubend. Die armen Leute, die hier wohnten! Ein Lautsprecher hing an der Fassade eines Hauses, direkt neben dem Wohnzimmerfenster, aus dem Fernsehlich heraus strahlte. Das Ganze Spektakel war recht beieindruckend, sollte wohl die wechselvolle Geschichte der Stadt mit Belagerungen und Kriegen simulieren, und war nach 30 Min vorbei. War dann auch genug fuer heute. Wir trollten uns ins Womo und gingen recht bald in die Heia. Morgens drehten wir noch eine Tageslichtrunde durch die Stadt und besichtigten die Reste des Schlossfestungsberges. Von einem Stadtteil auf einem der anderen Huegel schallte am Sonntag Morgen um 10:00 orientalische Musik herueber. Wir fragten einen jungen Familienvater mit seinen zwei kleinen Toechtern, ob dies bulgarische Volksmusik sei. Wir wussten, dass dem nicht so ist, dass es sich um Chalga-Musik handelte, eine Mischung aus orientalischer und Balkanmusik handelte, wollten jedoch hoeren, was er dazu meinte. Er sagte, nein, da drueben lebten die Zigeuner, die Tuerken, die Muslime,… da sei ja auch das Minarett zu sehen. Spaeter passte er uns noch einmal ab. Es war ihm offenbar wichtig, uns zu sagen, dass man hier friedlich Seite an Seite lebe mit allen Minderheiten. Wir erlebten mehrmals, dass alle drei Gruppen – Zigane und Tuerken / Muslime – gern in einen Topf geworfen wurden. Die Grenzen sind wohl auch fliessend. Viele Bulgaren sind sehr hell, ebenso viele aber auch sehr dunkel mit fast indischen Zuegen. Die Zigane, die noch innerhalb ihres Verbands leben, erkennt man oft an ihrer Verwegenheit. Aber es gibt auch offenbar sehr viele, die in der Mehrheitsgesellschaft aufgegangen sind, sich assimiliert haben und entsprechend arriviert sind.
Wir schauten noch ein wenig in der Stadt herum, guckten bei einem Ikonenmaler (Josef haette gern eine gekauft, aber sie waren dann doch recht teuer) und bei einer Weberei hinein. Sehr huebsche Sachen. Als wir uns nach einem kurzen Kaffee gerade auf den Rueckweg zum Womo machen wollten, sprach uns ein Mann auf Deutsch an, fragte, ob das unser Womo sei da unten an der Strasse, erzaehlte, er sei Archaeologe und was weiss ich alles. Er habe uns am Abend schon gesehen, wohne mit seiner Mutter direkt neben unserem Stellplatz und wollte uns unbedingt ueber eine Abkuerzung zum Womo begleiten, sprang dann vor uns her wie ein junges Zicklein, was man ihm bei seiner koerperlichen Konstitution gar nicht zugetraut haette. Wir hoppelten also auf unseren Raedern ueber das Kopsteinpflaster hinter ihm her, und Josef meinte, er wuerde schon noch irgendwas wollen von uns. War dann auch so. Er kramte ein Tuetchen hervor und schwatze uns irgendwelche angeblich alten Muenzen auf. Erst wollte er 10 EUR pro Muenze, begnuegte sich dann aber mit 5. Josef wollte noch ein Foto von ihm; da nahm er mich in den Arm, drueckte mir (igitt) noch einen Kuss auf die Wange, fragte vor dem Verabschieden noch, ob wir nicht noch ein bisschen Kleingeld in anderen Waehrungen uebrig haetten, die wir nicht mehr brauchten und trollte sich dann. Na, sowas!
Wir fuhren weiter Richtung Sueden, wollten ueber den Shifka-Pass, dort oben uebernachten, wenn moeglich und heute dort noch ein bisschen wandern. Auf dem Weg hielten wir an am Sokolski-Kloster. Das heisst, wir dachten, wir sind am Kloster. Mussten dann noch 45 Min an einer leider recht viel befahrenen Strasse hinauf laufen (Die anderen sind alle gefahren.). Das gute Stueck hat 2 Sterne in der Landkarte, aber so recht hat sich uns nicht erschlossen, warum. Es war nett, die kleine dazugehoerige Kirche schoen farbig bunt, drum herum im Hufeisen die Klostergebaeude gruppiert, in der Mitte ein hubescher Garten. Ein Priester raeumte gerade in der Kirche ein bisschen auf, guckte recht humorlos und verschlossen aus der Waesche. Eine Dame, die den Eintritt kassierte, sprach ein wenig Englisch, und ich fragte sie, ob das Kloster noch aktiv sei, was sie eifrig bejahte. Wieviele Moenche bzw. Nonnen denn hier noch lebten, fragte ich. Eine ganze Nonne. Aha. Sehr aktiv also.
Der eigentlich spannende Teil des Klosters, das urspruenglich in einer Hoehle war, war gesperrt. Wie schade!
Wir liefen also den Weg wieder hinunter und konnten uns, die Felswaende unterhalb des Klosters sehend, vorstellen, dass der Hoehlenteil gewiss toll war.
Wir fuhren hinauf zum Pass auf ueber 1200m, die Temperatur ging von 27 auf 20 Grad zurueck, und oben pfiff eine steife Brise. Wir umrundeten das Freiheitsmonument, das auf einer eigenen Bergspitze stand, ein wenig an das Voelkerschlachtdenkmal in Leipzig erinnerte und die Befreiung aus der „tuerkischen Sklaverei“ kommemorieren sollte. Wir lasen, dass alljaehrlich zum Unabhaengigkeitstag die Regierungsspitzen hier hinauf pilgern und diesen immerhin 150 Jahre zurueckliegenden Tag begingen.
Unterhalb des Denkmals war ein schoenes Plaetzchen zum Uebernachten, ein wenig vor dem heftigen Wind geschuetzt. Josef hatte gerade eben angefangen, Abendessen vorzubereiten, als der zustaendige Schupo uns genau 5 Mintuen gab, uns von dort zu trollen. Ein anderer Camper im Van war schon vor uns wieder hinunter gefahren. Wir also alles wieder im Kuehlschrank verstaut und auch bis zur Passstrasse hinunter gefahren. Ich hatte dort auf Google Maps von der anderen Strassenseite ein paar hundert Meter zurueck versetzt einen weiteren freien Platz gesehen. Dort fuhren wir nun hin, wo auch schon unser Kumpel von eben stand. Hatten nun einen ganz herrlichen Rundumblick, standen aber dermassen im Wind, dass es die ganze Nacht das Womo verschuettelt hat. Ich war platt, fuehlte mich beinahe ein bisschen krank. Aber ich denke, das war, weil unser Toechterchen Hana gestern von ihrem Studienort nach Hause zu uns gekommen ist, weil sie am Montag ein Praktikum in unserer Naehe anfangen wuerde, und ich Sorge hatte, dass sie sich so allein im Haus einsam fuehlen wuerde.
Morgens ging es mir trotz Sturmschuettelei besser – auch, weil ich wusste, dass unser Faris und ihr Freund bei ihr waren. Wir liefen, auch trotz Sturmschuettelei, los auf einen Grat westlich von uns zu. Es war eine schoene kleine Wanderung, erst durch den schuetzenden Wald, mit gedrungen, kraeftigen Buchen bestanden, dann ueber magere Wiesen. Der Weg war Teil des Eurpaeischen Wanderwegs E3 vom Atlantik zum Schwarzen Meer! Man haette bei weniger stuermischem Wetter ewig weiterlaufen koennen. Sehr schoen mit tollen Ausblicken zu beiden Seiten der Bergkette: nach Norden Richtung Velico Tarnovo mit seinem schoenen Flusstal, nach Sueden in das weite Tal der Rosen, unserem naechsten Ziel.
Nach drei Stunden waren wir am Womo zurueck und machten uns auf den Weg ins Tal, hielten unterwegs an einer Quelle, fuellten unseren Tank und unser Trinkwasser auf (Wir haben seit Wochen kaum Wasser gekauft, konnten immer wieder Quellen finden!) und fuhren hinunter nach Kazanlak. In diesem Tal werden seit der ottomanischen Zeit damaszener Rosen fuer die Produktion des bulgarischen Rosenoels angebaut. Wie sahen hier und da die abgeernteten Rosenfelder und stellten uns vor, wie herrlich es hier duften musste zur Bluete – und Erntezeit im Mai und Juni!
An der Strasse fiel uns ein Hinweisschild zu einem Thrakischen Grabhuegel ins Auge. Wir hatten diese schon in der Dobrudscha in Suedrumaenien immer wieder aus der Landschaft gucken sehen und freuten uns nun ueber die Gelegenheit, hier einen aus der Naehe zu sehen. Es gibt hier im Tal etwa 1000 dieser Grabhuegel, wovon 100 naeher untersucht und ausgegraben wurden. Die drei, die wir nun besichtigen konnten, stammten aus dem 5. bis 4. Jahrundert wurden erst 1996 ausgegraben. Sie waren zwar schon in der Antike gepluendert worden, aber ein Teil der Grabbeigaben waren wohl so gut versteckt, dass man sie erst 1996 fand. Sie lagen nun im Museum in Kazanlak. Die Grabstetten selbst erinnerten sehr an die aegyptischen Pyramiden, nur dass sie eben untern einem Erdhuegel, anstatt unter einer Steinpyramide verborgen waren.
Kazanlak hatte in unserer Strassenkarte ebenfalls zwei Sterne, aber meine Erwartungen waren nicht allzu hoch. Josef suchte noch nach der Sehenswuerdigkeit, als wir mit den Raedern durch die Stadt juckelten. Wir tranken in der netten Fussgaengerzone einen Kaffee. Hier war trotz Mittagshitze richtig viele Leben auf der Strasse; vor Allem fiel uns auf, dass hier zum ersten Mal, seit wir in Bulgarien waren, richtig viele Kinder und Jugendliche unterwegs waren. Vielleicht, weil die Ferien vorbei und alle wieder in ihren Heimatorten sind? Ich hatte gehofft, dass wir auf Rosenbauern stossen, die selbst Rosenoel destillieren. Zumindest hatten wir mal strategisch guenstig zufellig neben dem Rosenmuseum geparkt, dass wir nun besichtigen gingen. Nachdem das Museum zwar recht huebsch, jedoch wenig erhellend war, baten wir den verbindlichen jungen Mann , der uns die Eintrittskarten verkauft hatte, ob er uns die ausgestellten Geraetschaften erklaeren koennte, was er gern und sehr gut tat. Ueberhaupt war er ein spannender Gespraechspartner, sprach ein sehr gutes Englisch (Von der Schule und, man soll es nicht glauben, vom Cartoon Network, das er seine ganze Kindheit hindurch gesehen hatte!) und wusste sehr viel. Nachdem er uns den eigentlichen Destillierprozess erklaert hatte, erzaehlte er uns, wie stolz die Bulgaren auf ihre Rosenoeltradition seien, wie ueberhaupt auf ihre Geschichte, auf ihre thrakischen Wurzeln; darauf, dass sie eine der aeltesten Kulturen in Europa seien. Sie bezeichnen die Zeit der Ottomanischen Besatzung als die Zeit der Sklaverei, feiern die Befreiung davon vor 150 Jahren noch immer, als sei es gestern gewesen. So, wie sie die Tuerken nicht leiden koennten, koennten sie auch die Griechen und die Mazedonier nicht leiden. Er erklaerte uns, seine Familie sei ethnisch mazedonisch, stamme aus dem mazedonischen Teil Bulgariens, aus den Rodopen nahe der nordgriechsichen Grenze. Seine Familie wurde mehrfach deportiert und rueckdeportiert zwischen Bulgarien und Griechenland. Als einmal waehrend seines Studiums in Varna die Sprache auf Mazedonien kam, sagte sein Professor sogar, Mazedonien und die Mazedonier gaebe es nicht. Was denn dann Alexander der Grosse war, wenn kein Mazedonier, fragte sich unser junger Mann. Ivo hiess er uebrigens. Wir kamen auf die EU zu sprechen, und er war voll des Lobes, sagte, aber viele seiner Landsleute haetten keine Ahnung, wieviel die EU schon geleistet habe hier. Als Beispiel nannte er sein Herkunftsdorf. Seine Urgrossmutter lebe mit ihren ueber 90 Jahren noch immer dort in ihrem Rhodopendorf und bewirtschafte ihre Scholle, erzaehlte er uns. Das Dorf waere laengst ausgestorben, wenn die EU nicht eine Strasse dort hinauf finanziert haette. So kann auch er sie besuchen, so oft es geht, koenne sich allerdings kaum mit ihr verstaendigen, weil ihr Bulgarisch so sehr mazedonisch eingefaerbt sei, dass die Grossmutter dolmetschen muesse.
Josef stellte dann noch die Frage, wovon die Menschen hier in Kazanlak lebten. Ivo sagte, von der Waffenfabrik – dort wuerden um die 3000 Menschen arbeiten. Das ist schon die zweite Waffenschmiede, von der wir hier hoeren. In Velico Tarnovo sind wir an einer nagelneuen Fabrik vorbei gefahren mit Namen Armcom. Google sagte mir, sie machen allerlei leichte Waffen, wie MG’s, Moersergranaten, etc. , insbesondere auch Munition dafuer. Hier in Kazanlak also auch. Und Bulgarien hat mit Sicherheit kein Waffenausfuhrgesetz wie Deutschland – auch wenn das sowieso gern ausgehebelt und umgangen wird. Ivo berichtete, dass es der Firma dieses Jahr nicht so gut gegangen sei,weil die Konflikte dieser Erde aufgrund von Corona deutlich zurueck gegangen seien! Man stelle sich das mal vor! Des einen Leid, des anderen Freud. Josef sagt immer, der Mensch sei eine Fehlkonstruktion. Hier wurde es wieder deutlich.
Wir liessen uns von Ivo den Namen seines Dorfes aufschreiben. Es lag ja sozusagen auf unserem Weg nach Griechenland. Aber wo die Urgrossmutter lebt, wollte er dann doch nicht sagen, obwohl er zunaechst scherzhaft meinte, wir koennten von ihm einen Schnaps fuer die alte Dame mitnehmen. Das haette die alte Damen gewiss ueberfordert.
Ich fragte Ivo noch nach kleinen Rosenbauren und Destillen, und er sagte, es gaebe sie nicht mehr. Die Kommunisten hatten alles verstaatlicht, und diese alten Strukturen seien nicht zurueck gekehrt. Es gaebe nur die grossen Hersteller, die aus den Staatsbetrieben hervorgegangen seien, die fuer die Erntezeit Saisonarbeiter einstellten. Und was diese Saisonarbeiter die uebrige Zeit des Jahres machten? Sie naehmen Urlaub von ihren normalen Jobs fuer die Ernte, um sich was dazu zu verdienen.
Wir bedankten uns sehr bei Ivo fuer das lehrreiche Gespraech und machten uns auf Richtung Plovdiv, fanden an einer Nebenstrasse einen Feldweg und standen ueber Nacht ganz wunderbar einsam auf einer abgemaehten, spaetsommerlich gelben Wiese mitten im Nichts mit schoener Aussicht auf die bewaldeten Huegel vor und hinter uns, konnten sogar morgens in Ruhe draussen Fruehsport machen, bevor die erste Kuhherde mit 5 Huetehunden des Wegs kam.