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(Teil 4) Süd-Ost Europa – Sommer 2020
Oktober 20 2020

(Teil 4) Süd-Ost Europa – Sommer 2020

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Dienstag, 20.10.2020
Kalives, Chania, Maleme
Wir hatten gerade einen schoenen Platz mit Aussicht am Strand von Maleme erobert, waren
mutterseelenallein, was nicht weiter verwunderte, denn es regnete seit ca. 12 Std aus Eimern. Das Meer
vor uns war ein tosendes Grau, links braun eingefaerbt von einen Bach, der reichlich Lehm mitbrachte. Es
trommelte mitunter derart laut auf unser Womodach, dass eine Verstaendigung nicht wirklich moeglich
war. Also kochte Josef schweigsam, waehrend ich schweigsam schrieb. Aber der Reihe nach.
Am Vortag hatten wir uns, nachdem ich im WLAN der Taverne unseres Vorabend-Abendessens den
dritten Teil des Reiseberichts hochladen und verschicken durfte, auf die Fahrraeder geschwungen, waren
durch’s Dorf geradelt und von dort aus weiter so nah wie moeglich am Wasser entlang Richtung Westen,
so dass wir auf der Suedseite der langstreckten engen Bucht, also des Naturhafens, Richtung Souda
fuhren. Auf einem Berg ueber uns konnten wir eine grosse Festung ausmachen, zu der wir hinauf fuhren.


Es musste etwas mit der Ottomanischen Besatzung zu tun haben, denn dort war eine Zisterne mit
Waschplaetzen fuer eine Moschee, die es aber offenbar nicht mehr gab. Irgendwann standen wir vor
einem verschlossenen Tor und dem Hinweisschild, dass es sich um eine Militaeranlage handele. Die
Mauern wirkten alt, waren jedoch nachtraeglich mit kleinen Betonwachtuermen versehen worden.
Kaserne oder Gefaengnis? Eine Aussentreppe an der Mauer war frei zugaenglich, so dass wir
hineinschauen konnten. Dennoch erschloss sich uns nicht, worum es sich gehandelt haben mag. Waeren
zu gern dort drin ein wenig herum gestromert. Wieder am Fuss der Festung zurueck, fragten wir ein paar
Leute auf der Strasse des dazugehoerigen Dorfes. Eine aeltere Frau sagte, es war ganz frueher
tatsaechlich eine ottomanische Festung, spaeter eine „factory“. Hmm… Sie rief einen anderen herbei,
der besser Englisch konnte. Der zeigte ihr einen Vogel, von wegen Fabrik, und meinte, das mit der
Festung stimme zwar, aber danach sei es bis in die 1970’er Jahre ein Gefaengnis gewesen (also der
Militaerjunta, die von 1967 – 74 das Land regierte). Das erklaerte auch die neueren Wachtuermchen.
Spaeter lasen wir, die Izzedine-Festung war eine von drei Festungen – auf der anderen Seite der engen
Zufahrt zum Hafen war eine venezianische Festung zu sehen und hoch ueber uns noch eine tuerkische,
die alle drei eben diese Zufahrt bewachten.
Auf der Rueckfahrt fiel uns eine hinter hohem Schilf versteckte Plantage auf. Bei naeherem Hinsehen mit
dem Fernglas erkannten wir Avocados. Auf Kreta schien tatsaechlich alles angepflanzt zu werden. Wie
nachhaltig das war, angesichts des ariden Klimas, war eine andere Frage.
Am Spaetnachmittag machten wir uns auf nach Chania, zirkelten wiederum durch enge Gassen hinunter
zum Hafen, was z.B. in Italien oder Deutschland undenkbar waere. Zum Teufel haette man uns gejagt.
Hier stoert sich niemand an gar nichts – wobei ja alles relativ leer ist, bedingt durch Corona und
Herbstsaison. Mag in einem Sommer mit Normalbetrieb anders sein. Jedenfalls fanden wir einen grossen
Parkplatz direkt am Venezianischen Hafen, machten gleich einen fruehabendlichen Spaziergang zwischen
byzantinischen Stadtmaueren, venezianischen Hafenbefestigungen, ottomanischen Moscheen, vielen,
vielen Tavernen und Bars. Im Mikis-Theodorakis-Theater direkt am Hafen bereiteten sich eine grosse
Gruppe Frauen mit Tambourines auf eine Probe vor, und in einem der alten Hafenkontorgebaeude
hoerten wir Gesangsstimmen, durften jedoch nicht gucken. Hier nahmen Frauen an einem Seminar teil.
Richtig was los hier. So viel Kultur und Geschichte auf einmal hatten wir das letzte Mal in Velico Tarnovo
und Plovdiv in Bulgarien gesehen. Und es waren noch einige Touristen unterwegs – auch hier in der
Hauptsache Deutsche Herbstferiengaeste, aber man hoerte auch Englisch und Franzoesisch.
Wir hatten uns nach unserer Voellerei der letzen zwei Abende fest vorgenommen, im Womo ein
bisschen spartanischer zu essen, taten das dann auch brav, gingen dann aber auf ein Getraenk noch
einmal unter’s Volk. Kaum sassen wir, fing es an zu troepfeln, und Josef joggte zurueck, alle Dachluken zu
schliessen. Vor ein paar Tagen hatte uns jemand in einem Laden vorausgesagt, das Wetter werde am
Montag umschlagen. Meinetwegen. Aber doch nicht gleich so! Es blitzte ohne Unterlass, das
Donnergrollen kam naeher, und man sah trotz Dunkelheit den riesigen Gewitterambos ueber der Stadt.
In der Kneipe fluechteten alle unter’s Dach, aber nachdem zumindest ich die Musik nicht so klasse fand –
Josef meinte, wenn er hier allein waere, koennte er sich darin ganz nett verlieren, gingen wir langsam am
Hafen entlang zurueck, schauten mit einigen anderen dem Blitzsschauspiel ueber dem Meer von der
Kaimauer aus zu und liefen zum Womo, machten uns bettfein. Kaum fertig, fiel irgendetwas hart auf
unser Dach. Nanu? Da waren doch gar keine Baeume. Ich ueberlegte, ob sich da jemand einen Spass
machte und Dinge auf unser Womo warf. Dann knallte es nochmal und nochmal. Hagelkoerner von Gott
sei Dank „nur“ einem cm Durchmesser prasselten immer ohrenbetaeubender herunter. Wir hofften, dass
sie nicht groesser werden und alles auf dem Dach demolieren wuerden, insbesondere die Solarzelle.
Dann ging der Hagel in Regen ueber. Der Parkplatz war wie eine grosse Badewanne ohne Ablauf, und ich
sah uns schon die Schwimmfluegel anlegen. Rasch fuhr Josef von dem Platz und hinauf an die Mole. Dort
standen wir sicherer und hatten zudem die Aussicht auf das tosende Meer, das sich durch die
Hafenbefestigungen zu fressen scheinen wollte. Allmaehlich liess der Regen nach, das Wasser lief jedoch
mindestens 10cm tief die Strasse hinunter. Nachts war Ruhe, aber im Morgengrauen fing der Regen
wieder an, auf unser Dach zu trommeln. Wir verpassten also nichts und blieben recht lange im Bett,
fruehstueckten langsam und gemuetlich.
Ich hatte gegoogelt, was man so anstellen koennte in Chania und war ueber einen Blog gestolpert, in
dem eine Fotografin einen Stadtteil etwas ausserhalb beschrieb, Tabakaria, in dem es frueher viele
Gerbereien gab, die nun, bis auf ganz wenige, leer standen, zum Teil restauriert und umfunktioniert
waren zu Architektenbueros und dergleichen. Wir wollten jedoch erst ein wenig die Altstadt erkunden
und den „Alten Markt“ aufsuchen, schlenderten durch die recht menschenleeren Gassen und Gaesschen.
Sehr huebsch alles, und gar nicht touristisch aufgedonnert. Viele alte Haeuser waren in die byzantinische
Stadtbefestigung integriert standen leer im Dornroeschenschlaf, warteten auf einen geneigten Investor,
der sie wieder zum Leben erwecken wuerde. Viele waren schon liebevoll restauriert. Die Gaesschen
waren zum Teil beinahe so urspruenglich und geheimnisvoll wie in den marokkanischen Staedten – aber
nur beinahe. In manchen Haeusern standen die Eingangstueren offen, und man guckte direkt ins Wohnder Schlafzimmer, in dem ein alter Mensch allein sass und durch die offene Tuer ein wenig Anteil am
Leben hatte. In einer Tuer stand ein verwahrloster alter Mann mit schiefsitzender Wollmuetze und
Shorts, fragte uns mit durch einen Schlaganfall lallender Stimme, woher wir seien, rief uns dann
irgendwas von der deutschen Frau Helga hinterher, nachdem wir uns verabschliedet hatten.
Der Markt, Anfang des 20. Jahrhunderts grosszuegig und kreuzfoermig aus den Steinen der
venezianischen Stadtbefestigung gebaut, die man an dieser Stelle dafuer vorher geschleift hatte, war
zwar kein klassischer Gemuese- und Obstmarkt – die Mehrzahl der Laeden bot kretische Spezialitaeten
fuer Touristen an – aber es gab ein paar Metzger und einige einfache Restaurants, die Tagesessen
anboten, das sich hauptsaechlich Kreter schmecken liessen. Wir waren noch fruehstueckssatt, gingen in
Richtung der Gerbereien, immer am Meer entlang stadtauswaerts Richtung Osten. Nach 20 Min fanden
wir die teilweise leerstehenden kleinen Fabriken mit geheimnisvoll aussehenden Geraetschaften. Und
dann entdeckten wir eine offene Tuer, und es war erkenn- und riechbar, dass diese noch genuetzt
wurde. Von irgendwo kam der Eigentuemer mit einem weiteren Mann, und wir erhielten einen
erstklassige Fuehrung! Unsere Neugier freute sie, und sie erklaerten uns alles ganz bereitwillig. Der
Betreiber der Gerberei, eine One-Man-Show, erklaerte, und sein Kumpel, ein recht distingiert wirkender
Herr, dolmetschte in sehr gutem Englisch, erklaerte, er lebe seit vielen Jahren bei Frankfurt, sprach
genauso gut Deutsch wie Englisch. Spaeter erzaehlte er auf meine Frage hin, er sei hier geboren und
aufgewachsen, seine Frau sei Deutsche, er selbst Mathematiker und habe immer bei Banken gearbeitet,
auch in Kanada und den USA und eben in Deutschland fuer die Deutsche Bank. Der Gerber war ein
Freund, den er nun seit 10 Jahren kannte und jeden Tag besuchen kam, wenn er ueber den Sommer in
Chania war.
Der Gerber hatte keinen Nachfolger. Er hatte zwei Toechter, die wohl beide kein Interesse haben
wuerden. Josef meinte, sie wuerden wohl lieber die fertigen Handtaschen kaufen, als mit dem
stinkenden Ledergeschaeft zu tun haben. In der Fabrik standen diverse uralte Maschinen, um die Haeute
vom restlichen Fleisch zu befreien, zu strecken, glatt zu machen, die Poren zu verschliessen, etc.
Ausserdem waren da zwei riesige Holzfaesser, waagerecht an einem Lager aufgehaengt, so dass sie mit
hilfe eines Motors ganz langsam gedreht wurden, wie ein Zementmischer. Darin befanden sich an die 70
Kuhhaeute mit aus Tierfett gewonnenen Oelen und Tanninen, deren Aufgabe es war, alle Bakterien im
Leder abzutoeten und das Leder so haltbar zu machen. Die Tannine wurden frueher aus den gemahlenen
Kappen und der Rinde der Steineiche gewonnen. Er zeigte uns ein Gebaeude gegenueber der Gerberei,
wo frueher die Bauern aus den Bergen die Eicheln und Rinde abgeliefert hatten, dann von einer
Maschine die Kappe von der Eichel getrennt und das ganze zu Pulver vermahlen wurde. Dann ging er mit
uns um’s Haus und zeigte uns einen saeulenfoermigen, etwa 1m langen Stein. Darin waren auf einer
Seite der der Laenge Riefen zu erkennen. Er erklaerte, bevor es die Maschine zum Mahlen der Tannine
gab, haetten Arbeiter diese von Hand gemahlen, indem sie sich gegenueber standen, die Finger in den
Riefen vergruben und die Walze hin und her ueber die Eichelkappen walzten. Was eine Maloche! Heute
gab es niemanden mehr, der ihm die Eicheln ernten und mahlen wuerde, so dass er nun fuer viel Geld
Tannine, die von einer anderen Baumart gewonnen wurden, kaufen musste.
Die Gerbereien standen alle direkt am Meer. Die Gerber nuetzten die im flachen Wasser liegenden
rauhen Felsen, um die Haeute auf den Steinen von Fleischresten zu befreien. In den hoeheren, etwa 2m
aus dem Wasser ragenden Felsen waren heute noch zylindrische Vertiefungen zu erkennen, wo sie
Pfloecke eingepasst hatten. Hieran banden sie von Fels zu Fels gespannte Stricke, an denen sie die
Haeute aufhaengten, damit die Brandung sie reinigen konnte. Er erklaerte uns noch seine Maschinen,
fuehrte uns eine der Maschinen vor, mit der das Leder sozusagen blankrubbelt wird, damit aus Wildleder
Glattleder macht, indem sie die Poren im Leder verschliesst und es so wasserfest macht.
Im Marokko hatten wir vor zwei Jahren Gerbereien gesehen, in denen alles noch von Hand gemacht
wurde, die Maenner noch barfuessig in den Bottichen mit Taubenmist und was weiss ich was fuer
stinkenden Chemikalien herum traten, von Hand mit einem Schabeisen die Fleischreste und Haare von
der Tierhaut schabten. Das hatte sich angefuehlt wie Mittelalter. Hier bei Christos, dem Gerber in
Chania, war alles wie zur fruehindustiellen Zeit.
Am Schluss kaufte Josef Christos einen halben qm Leder fuer seine diversen Lederarbeiten zuhause ab,
wir bedankten uns sehr fuer die ueberaus spannende Fuehrung und verabschiedeten uns. Es regnete mal
wieder, und er bot uns an, uns in die Stadt zu fahren. Wir lehnten herzlich dankend ab. Es machte uns
nichts aus, im Regen zu laufen, und wir fanden auf dem Rueckweg ein klitzekleines Kaffee direkt an der
Strasse, das lediglich sechs Sitzplaetze auf Barhockern auf dem schmalen Buergersteig, aber immerhin
regensicher unter der Markise, hatte. Dort sinnierten wir noch ueber das eben Gelernte und Erlebte und
freuten uns ueber unsere Intuition, dorthin zu gehen.
Das Wetter sollte die naechsten Tage so bleiben, so dass wir Chania nicht wirklich haetten erlaufen und
geniessen koennen. So fuhren wir ein kleines Stueckchen weiter bis Maleme. Hier befand sich ein
deutscher Soldatenfriedhof, den Onkel Uli besichtigt hatte und den Josef vor Jahren bei einem
Familienurlaub mit Ursel und den Grossen einst hatte sehen wollen, was sich jedoch nicht ergeben hatte.
Ich fand es sehr befremdlich, dass es sowas ueberhaupt hier gab, dass er offenbar auch von irgend
jemandem gepflegt wurde. Immerhin hatte die Wermacht hier sehr gewuetet. Aber sollte das Wetter
Erbarmen mit uns haben, wuerden wir ihn anschauen. Zunaechst aber fuhren wir durch das ueberall auf
den Strassen 10 cm tief stehende Regenwasser, befreiten den Unterboden des Womo vom Salz, das
ueberall wie Nebel in der Luft stand, fanden wieder direkt am Meer ein schoenes Plaetzchen fuer die
Nacht.
Waehrend ich schrieb, kochte Josef, schnitt u.A. eine Chilischote ins Gemuese, leckte sich wohl die Finger
ab, bekam ein feurig scharfes Paprikasamenkoernchen in den Hals und erschreckte mich zu Tode, weil er
ploetzlich roechelte und mit den Armen fuchtelte, sich auch noch kurz die Augen rieb, … Nach ein paar
Minuten wurde es besser. Wow! Die war richtig scharf. Ich sammelte die aufgeschnittenen Stueckchen
aus dem geschnibbelten Gemuese heraus, fror sie ein, so dass wir sie in homoeopatischen Dosen dem
Essen beifuegen koennen. Dann rieb ich Dussel mir die Wange in der Naehe meiner Augen, und das
brannte schon echt fies! Armer Josef.
Der Regen hatte sich gelegt, und windig war es auch nicht. Vielleicht wuerde es eine ruhige Nacht
werden.
Freitag, 23.10.2020
Maleme, Trachilos (bei Sylvia und Mike), Elafonissi Beach
Von wegen, ruhige Nacht! Ich wachte kurz vor dem Morgengrauen von einem wummernden Geraeusch
auf. Es klang wie die Dieselmaschine eines grossen Schiffs; vielleicht eine Faehre oder ein Militaerschiff,
das nah am Ufer vorbei fuhr? Wie immer, leuchtete vor meinem Fenster eine Laterne (scheint mein
Schicksal zu sein auf dieser Reise), und in deren Licht wehte eine griechische Fahne, die komplett
waagerecht im Wind stand – landeinwaerts. Hatte der Wind gedreht? Ich machte vorsichtig das Fenster
auf, und es flog mir fast aus der Hand. Wellen umtosten unseren Parkplatz am Meer, und ich sah uns
schon in einer grossen Sturmflutwelle davon gespuelt werden. Nun haette ich es dabei belassen
koennen, aber ich wusste, ich wuerde kein Auge mehr zutun und den Rest der Nacht auf jede Welle
lauschen, uns und das Womo bewachen. Also weckte ich den armen, schlaftrunkenen Josef, der meine
Sorge zwar voellig uebertrieben fand, mit zuliebe jedoch das Womo eine Parallelstrasse landeinwaerts
umparkte, so dass ich nun beruhigt weiterschlafen konnte.
Am Morgen machten wir nach dem Fruehstueck einen „Nordseedeich“-Spaziergang – so fuehlte es sich
jedenfalls an – mit Blick auf die oestliche der beiden langen und breiten Landzungen am
nordwestlichsten Ende Kretas, die gemeinsam eine sehr breite und tiefe natuerliche Bucht bilden. Unser
Schlafplatz, den wir mitten in der Nacht geraeumt hatten, stand noch immer auf dem Trockenen. Aber
man weiss ja nie! Der Wind und das Meer tosten um die Wette, braune Riesenwellen brachen sich im
Kies und machten einen Heidenlaerm dabei, uns brachte es die Frisur durcheinander, und wir brauchten
zum ersten Mal seit langer Zeit unsere Jacken. Herrlich, die frische, salzige Luft!
Wir machten uns auf zum Soldatenfriedhof. Mit uns waren da noch zwei Familien. Wir fanden es sehr
befremdlich – ich mehr als Josef, dass die Deutsche Kriegsgraeberfuersorge hier einen akkurat gepflegten
Heldenfriedhof mit Dokumentation errichtet hatte und pflegen liess. Auf den Schautafeln wurden die
4500 Soldaten als Helden geruehmt, nicht als 20-jaehrige arme Schweine, die hier, z.T. von Hitler
verblendet, z.T., weil sie keine Wahl hatten, als Kanonenfutter mit Fallschirmen abgeworfen wurden und
binnen 10 Tagen den Tod fanden.
Anschliessend meldeten wir uns endlich bei Sylvia und fragten, ob es nun passend war, mal vorbei zu
kommen, um die Lage zu peilen, zu schauen, ob und wann wir wuerden helfen koennen. Wir wollten uns
ja auch keinesfalls aufdraengen, sondern wirklich etwas beitragen. Auch hatte Josef echtes Interesse,
sich mit ihr ueber die Familie, die verschiedenen Erinnerungen, auszutauschen. Sylvia und Mike haben
einen schoenen, grossen Showroom an der Hauptstrasse zwischen Kissamos und Trachilos, wo sie allerlei
schoene Dinge verkaufen: Schmuck, Keramik, und selbst gezuechtete Bonsai aus den Baeumen hier in
den Bergen. Alles ist selbst gefertigt von ihr und ihrem Mann Mike, sowie einem Neffen von Mike,
Dimitri, der fuer sie arbeitet. Tranken einen Kaffee in ihrer Wohnkueche, tauschten ein paar Neuigkeiten
ueber die Familie aus, bis Mike kam. Er sah ein bisschen abgekaempft aus, hatte einen Olivenhain direkt
hier oberhalb des Hauses gemeinsam mit dem Neffen abgeerntet, machte sich sein Abendessen warm,
schenkte von seinem sehr guten, selbst gemachten Wein ein (Sie kaufen die Trauben, zerstampfen wie
mit den Fuessen und keltern selbst) und taute nach dem zweiten Glas ein bisschen auf. Es war dann ein
ganz gemuetliches Stuendchen, aber wir verabschiedeten uns dann, dachten, er wollte jetzt gewiss seine
Ruhe haben. Weit gefehlt: Er machte sich mit seinem Pickup, der voll beladen war mit Oliven, auf den
Weg zur Olivenpresse, die um diese Jahreszeit bei Bedarf auch rund um die Uhr arbeitete, wie er sagte.
Wie nun die weitere Planung war, wussten wir nicht so recht. Solange es so nass war, wuerden sie nicht
weitermachen mit der Ernte. Danach wollte der Neffe erstmal seine eigenen Oliven ernten. Und erst
danach wuerden sie ihre grosse Flaeche mit 500 Baeumen in Angriff nehmen. Nun, wir hatten angeboten
zu helfen, und sie wuerden sich sicher melden, wenn es losging. Wir fuhren in der Dunkelheit wieder
Richtung Strand, aber die Wellen tobten noch immer, und wir wollten das Womo nicht wieder so
einsalzen lassen. Also fuhren wir den Berg hinauf, wo ich auf Google Maps eine Schotterflaeche neben
der Strasse ausmachte. Es war so eine Art Baustellenlager mit Steinhaufen und verrosteten Baggern. Wir
stellten uns mittenrein in diese Idylle. Es war ohnehin schon stockdunkel, so dass es egal war.
Hauptsache war, dass wir einigermassen eben standen.
Wir ueberstanden die Nacht schadlos, fuhren morgens die Strasse wieder hinunter, hielten unterwegs in
einem Dorf, wo ich im Vorbeifahren eine Wasserquelle entdeckte, fuellten unsere Trinkwassergallonen
und den Tank auf. Ein Mann, offenbar Eigentuemer einer Taverne, bot uns an, anstatt eimerweise das
Wasser in den Tank zu fuellen, von seinem Gartenwasserhahn mit dem Schlauch aufzufuellen. Die Leute
waren so entspannt hier und grosszuegig! Wieder unten am Meer, nahmen wir eine andere Strasse, an
der Kueste entlang zum Hippie-Strand Nummer 1, an dem offenbar auch schon alle mal waren, die wir
kennen: Elafonissi. Er liegt am suedwestlichen Zipfel Kretas, bildet mit seiner vorgelagerten Felsen und
einer Halbinsel unglaublich tuerkisfarbene Sandbuchten und Lagunen, durch die man hindurch waten
kann. Wir fanden einen Stellplatz ein paar Meter vom Strand und etwas darueber, so dass ich im Womo
sitzend und schreibend einen ganz wunderbaren Rundumblick habe. Das ganze Gebiet ist ein Natura
2000 Schutzgebiet, und ueberall sind huebsche Felsen, Macchiabuesche und niedere Baeume,
dazwischen lauschige Plaetzchen mit grobem, dunklem Sand, hier und da belegt durch Reise- und
Wohnmobile aus Oesterreich, der Schweiz, Frankreich und Deutschland. Direkt in der geschuetzten
Bucht bilden die sanften Wellen einen Saum aus ganz zart rosafarbenem Sand!
Hier und dort stehen ein paar griechische Wohnwagen, die offenbar auf Dauer da sind und sicherlich an
den Wochenenden, insbesondere im Sommer, genuetzt werden. Erstaunlich ist, dass es hier unten am
Strand alles wild belassen ist. Es gibt einen kleinen Kiosk, einen Surfbrettverleih, ein paar Toiletten und
eine Freiluftdusche. Am Strand kann man Liegen und einen Platz unter dem Bastsonnenschirm mieten.
Also alles sehr entspannt und wenig kommerziell. Auch oberhalb des Strandes gibt es gerade mal eine
Taverne mit ein paar Zimmern. Die taeglichen Strandgaeste kommen mit ihren kleinen Mietwagen aus
ihren Ferienewohnungen und Hotels von ueberall her angefahren.
Neben uns lagerten junge Polen. Sie waren auch in einem kleinen Mietwagen unterwegs, waren
eigentlich hier gewandert, hatten in der Haengematte geschlafen. Nun hatten sie jedoch genug gehabt
und wollten ihre letzten paar Tage noch ein wenig entspannt verbringen. In der Nacht fing es an, zu
regnen, und ich fragte mich, wie und wo sie wohl mit ihren Haengematten schliefen. Am Morgen sprang
ihr Auto nicht an, und Josef gab ihnen Starthilfe.
Wir fuhren mit dem Kajak zur vorgelagerten Halbinsel hinaus, umrundeten und erkundeten sie zu Fuss.
In den Sandduenen fanden wir schoene Pflanzen mit komplizierten weissen Blueten. Die gleichen hatten
wir schon einmal am Schildkrotenstrand gesehen. Hier waren sie nun schon weiter in ihrer Entwicklung,
waren sie teilweise verblueht und die runden Knoellchen mit ca 3 cm Durchmesser reif und aufgeplatzt.
Die schwarzen Samen in der Form von Mandarinenschnitzen zerfielen zu mehreren eckigen Stueckchen,
wie Puzzleteilchen. Dann gab es noch eine flach wachsende gruene Blattpflanze, die aussah wie
fleischiger Ruccola. Ich biss vorsichtig in ein Blatt, und es schmeckte tatsaechlich scharf wie eine
Mischung aus Ruccola und Meerrettich. Haette zu gern gewusst, ob sie essbar waren. Aber es gab
niemanden, den ich haette fragen koennen. Konnte mir nicht vorstellen, dass der sonnenverbrannte
Surflehrer, einer der wenigen Griechen hier am Strand, so etwas wusste. Und sie auf gut Glueck zu Salat
verarbeiten, wollte ich sie dann doch nicht.
Ich hatte vorher im Internet gelesen, dass hier Ende des 19. Jh ein Passagierschiff bei Nacht im Sturm auf
die vorgelagerten Felsen aufgelaufen war. 43 Mann der Besatzung retteten sich in ein Rettungsboot,
obwohl es hierzu keine Anweisung vom Kapitaen gegeben hatte, und ertranken. Die Passagiere, der
Kapitaen und einige Besatzungsmitglieder sassen zwei Tage lang auf dem Schiff fest, das zur Haelfte
gesunken war, bis die Nonnen eines nahegelegenen Klosters ihre Rettung veranlassten.
Vor einer Hoehle im Fels war eine Gedenktafel angebracht: Hier hatten 1824 die tuerkischen Besatzer
und ihre aegyptischen Verbuendeten 600 Menschen niedergemetzelt – hauptsaechlich Frauen und
Kinder. Vor dieser tragischen Kulisse raekelten sich nun seit Jahrzehnten Urlauber in der heute so
friedlichen und paradiesischen Bucht. Kreta konnte erst 1913 und nach 400 Jahren die osmanischen
Besatzer abschuetteln und wurde dann Teil Griechenlands. Freiheitskaempfer gab es wohl immer. Man
fand sich nie ab mit der Besatzung. Ueberall auf unserer Reise, in Ugarn, Rumaenien, Bulgarien und auch
hier, fanden wir in noch so kleinen Doerfern Statuen und Marmortafeln, die an den Kampf gegen die
tuerkischen Besatzer erinnerten. Und natuerlich solche, die an die Opfer der deutschen Faschisten
erinnerten.
Der Tag verging zwischen Kayakfahren, schnorcheln und auf den Steinen umher kraxeln. Kurz vor
Sonnenuntergang sassen wir am Strand und sahen zu, wie die Tagesbesucher langsam
zusammenpackten. Es wurde recht kalt, sobald die Sonne weg war. Ist ja auch Ende Oktober. Da darf es
schon mal kalt werden nachts. Am Abend hatten wir noch eine Zoom-Konferenz mit Frauen Power, die
Mitgliederversammlung. Wir hatten noch nicht gegessen, so dass wir zwischendurch Kamera und
Mikrophon abschalteten, dem Geschehen lauschten und dabei assen. Fielen hundemuede ins Bett.
Nach einer ruhigen und unglaublich stillen Nacht weckten uns morgens die Jagdhunde und
Flintenschuesse der kretischen Maenner, die sich offenbar in den Bergen hinter uns taeglich auf’s Neue
bemuehten, das einzige Wild, das es hier noch gab, die paar mageren Hasen, auszurotten. Ob sie
wenigstens so klug waren, die Schonzeit einzuhalten? Das Meer war schon leer. ( Es gab so wenig zu
sehen, dass wir uns beim Schnorcheln selbst ueber eine Qualle freuten.) Und auf dem Land traf man
eigentlich nur auf Ziegen und Menschen – immerhin hier und da auf Raubvoegel.
Wir schwangen uns auf die Fahrraeder, hofften eine Piste oder eine Strasse die Kueste entlang zu finden.
Es gab ein Hinweisschild in die Richtung, in die wir fahren wollten. Nur leider war es, wie praktisch alle
Strassenschilder hier, mit Graffitti unkenntlich gemacht und ausserdem zerschossen – nach dem Motto,
doppelt haelt besser, wenn man will, dass die Touris sich verlaufen.
Zunaechst fuhren wir durch Gewaechshaeuser, denen hier, wie schon anderswo an der Suedkueste, die
Olivenhaine und die Macchia weichen mussten, fuer die die Landschaft planiert und mit schwarzen
Bewaesserungsschlaeuchen verschandelt wurde, hier und dort Wassergumpen, mit schwarzen
Plastikplanen ausgelegt. Die Gewaechshaeuser sind riesig. Alles ist zweckmaessig und ohne Ruecksicht
auf die Umwelt gemacht. Ueberall liegen ausgemusterte Bewaesserungsschlaeuche, Plastikplanenreste
und zerbroeseltes hellgruenes Plastik in der Landschaft herum. Nun koennte man argumentieren, dass
die Bauern mit Schlangengurken, Paprika und Tomaten nun einmal mehr Geld verdienten als mit Oliven.
Unser Eindruck war jedoch nicht, dass es sich hier um Kleinbauern handelte. Vielmehr hatten hier grosse
Gemueseanbauer Flaechen gepachtet oder gekauft, die ausschliesslich von Pakistanis und
Bangladeschern bewirtschaftet wurde. Der „kleine Mann“ hatte also wenig davon – nicht mal einen
schlecht bezahlten Job.
Wir liessen die Raeder irgendwann stehen und gingen zu Fuss weiter. Josef war der Ansicht, dass wir auf
den Europawanderweg 4 treffen muessten, wenn wir weiter parallel zur Kueste liefen, denn dieser
fuehrte auch unten am Strand von Elafonissi vorbei. Wir hatten am Vortag mehrere Wanderpartien mit
schweren Rucksaecken ankommen sehen – alles Deutsche! Josef hatte Recht, und wir konnten den Weg
etwa 3 – 4 km bis zur naechsten grossen Bucht laufen. Dort verweilten wir uns ein wenig, unter Anderem
damit, dass wir eine Muellsammlung mit einigen angespuelten Gegenstaenden vervollstaendigten – eine
Pyramide daraus bauten. Aber man musste sagen: die Straende hier waren durchweg unglaublich
sauber. Was wir hier fanden, war gar nichts im Vergleich zu anderen Orten dieser Erde. Wir hatten uns
im Oman und in Asien daran gewoehnt, alles zugemuellt vorzufinden. Spaeter hoerten wir in den
Nachrichten, dass auch im Mittelmeer Tonnen und Tonnen Plastikmuell umher irren, das meiste davon
heraus gespuelt aus Rhone, Po und Nil.
Josef lief auf dem Wanderpfad etwa 30 od 50 m ueber dem Meer vor mir her, war in Tarnkleidung, also
farblich ganz an die Umgebung angepasst mit heller Shorts, wie die Steine, tuerkisfarbenen Schuhen und
Hemd, wie die Buchten und azurfarbenem Turban wie das tiefere Wasser. Trotzdem kam kein Delphin
des Wegs.
Auf dem Rueckweg mussten wir die ganze Zeit gegen den steifen Westwind ankaempfen, der hier den
ganzen Tag blies. In der Bucht unten waren Kitesurfer, Windsurfer und noch eine neue Art Surfer
unterwegs, die ich noch nie gesehen hatte: Wingsurfer (hat Google mir nachher erlaeutert). Sie hielten
ihr relativ kleines Segel, dass aussah wie zwei in der Mitte zusammengefuegte Fluegel, einfach in der
Hand – ohne Holm, ohne Seile.
28.10.2020
Elafonissi Beach, Kissamos, Omalos und Samariaschlucht (verhindert), Lakki
Auch den gesamten naechsten Tag vertuettelten wir noch sehr schoen am Strand, so dass wir nun vier
Naechte hier verbracht hatten und morgens mit unseren Strandmatten an einem sonnigen und
windgeschuetzten Plaetzchen zwischen den Macchiabueschen, mit Blick auf das azurfarbene Meer,
unsere Fruehgymnastik machen konnten. Wetter, Himmel und Meer sahen jeden Tag ein wenig anders
aus; mal windstill und wolkenlos, mal boeig, mit huebschen Wolkenformationen und weissgekroenten
Wellen im Meer. Bei Windstille frassen uns die Fliegen morgens bei der Gymnastik. Wenn wir nicht
draussen sporteln konnten, machte ich zumindest die Pflichtuebungen fuer mein laediertes Kreuzband
im Bett. Aber Josef kam dann immer zu kurz.
Wir wunderten uns am 25.10. abends, dass es so frueh dunkel wurde, und Josef meinte, ihm sei, als
haette er noch vor ein paar Tagen gesagt, dass es nun schon um 19:30 dunkel wuerde. Ja, ja, die Tage
wurden unglaublich schnell kuerzer. Morgens schaute ich auf die Uhr. Es sollte so ca 8:00 sein, da um
diese Zeit die letzten Tage die Sonne ueber die Berge kam. Es war 7:00. Nanu? Nun daemmerte es uns:
es war umgestellt worden auf Winterzeit.
Wir liefen zu Fuss zur Halbinsel hinaus, wateten durch das glasklare, hell tuerkisfarbene flache Wasser,
suchten uns eine Luemmelstelle im Sand und luemmelten. Josef schwamm, ich bastelte kleine
Tropftuermchen, die von den vereinzelt vorbeischlendernden Standlern wohlwollend zur Kenntnis
genommen wurden. Wir kamen mit einem polnischen Paar, das ebenfalls bewundernd vor meinem
„Kunstwerk“ stand (Der Mann fragte mich allen Ernstes, ob ich Kuenstlerin sei.), ins Gespraech,
schlenderten langsam mit ihnen zurueck. Sie waren ca Mitte 30 und aus Warschau, waren mit einem
PKW Kombi unterwegs, in dem sie auch an den abenteuerlichsten Plaetzen uebernachteten. Sie war
selbstaendige Juristin, spezialisiert auf Energierecht (?), er in leitender Position bei einer Spedition. Sie
beneideten uns um unsere Freiheit, traeumten auch von langen Reisen, andererseits vom Kinderkriegen.
Naja, haben wir alles hinter uns. Long way to go. Aber wir troesteten sie, und sagten ihnen, auch ihre Zeit
werde kommen.
Wir fuhren am Nachmittag noch einmal mit unserem seit 3 Tagen verwaist am Strand liegenden Kayak
eine kleine Runde, zerlegten es dann und befreiten es vom Salzwasser, fuhren dann hinauf zur
Hauptstrasse, wo es einen kleinen Supermarkt gab, um uns etwas zum Kochen zu besorgen. Die junge
Dame an der Kasse stammte von hier aus einem Dorf oben in den Bergen, hatte 5 Jahre lang als Stylistin
beim griechischen Fernsehen in Athen gearbeitet und hatte die Nase voll von 16-Stunden-Tagen, wohnte
nun wieder hier im Dorf in ihrem Elternhaus, das leer gestanden und nur an Wochenenden genuetzt
worden war, da die Eltern in Chania lebten. Sie bewirtschaftete den Olivenhain und arbeitete die
Fruehschicht hier im Laden, traeumte davon, sich einen Campingbus zu kaufen, den sie in Lafonissi an
den Strand stellen wollte, den Sommer ueber darin leben und das Haus ueber AirBnB vermieten. Wir
sagten ihr, dass wir gern mal fuer laengere Zeit hier leben wuerden, es mal ausprobieren, ob sie uns ihr
Haus vermieten wuerde fuer ein paar Monate. Sie war ganz erfreut, und versprachen, ihr am naechsten
Tag eine Visitenkarte zu bringen. Nach dem Fruehstueck packten wir also zusammen, fuhren nochmal bei
ihr vorbei, brachten ihr die Karte, und sie meinte, Anfang November sei ein Raki-Kelterfest in ihrem Dorf,
und der Vater, dem sie von uns berichtet hatte, hatte ihr gesagt, sie solle uns einladen. Sie versprach,
sich zu melden, sobald sie das genaue Datum wisse. Super! Darauf freuten wir uns.
Nun aber auf zurueck Richtung Kissamos und Sylvia. Wir hielten in einem Dorf oben in den Bergen, wo
wir eine dieser mega-leckeren Blaetterteigtaschen oder -schnitten mit Spinat und Schafskaese assen und
einen steifen Mokka tranken. Wer das wohl von wem hat – die Tuerken von den Griechen oder
umgekehrt. Egal. War jedenfalls ein sehr nettes und schmackhaftes Mittagsritual. Wir liefen
anschliessend noch ein wenig durch’s Dorf, sahen die vielen traurigen, leerstehenden und verfallenden
Haeuser. Ueberall der gleiche Anblick. Ein junger Mann kruschtelte in seinem etwas ramschigen Garten.
Er sprach ein wenig Englisch, erzaehlte uns, dass von den einst 500 Bewohnern des Dorfes keine 30 mehr
hier lebten. Sie kaemen nur noch am Wochenende und in den Sommerferien. Wenigstens das. Aber wer
weiss, wie lange noch. Es ist schade, dass man auf diesen Doerfern nicht wirklich leben kann, es sei denn,
man gibt sich mit der Existenz eines Subsistenzbauers zufrieden. Es gibt keine Jobs, und hier oben kann
man auch nur bedingt Touristen anlocken. Die meisten wollen am Meer sein. Er meinte dann noch – ich
glaube, im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit, weil ich fragte, wie die Menschen hier heizen (mit Holz),
Gott wuerde demnaechst einen Neuanfang herbeifuehren. Es gaebe genug Ressourcen, genug zu essen
und genug Wasser fuer alle Menschen. Man muesse es nur gerecht verteilen. Hmm…. Auch bei bald 8
Milliarden Menschen, Tendenz steigend? Ja, auch dann. Wir dankten ihm, verabschiedeten uns und
gingen wieder den Berg hinunter zum Womo. Da sprang er uns mit einer Visitenkarte hinterher und
meinte, wenn wir Fragen haetten, sollten wir einfach dort nachschauen und zeigte auf die Karte: JW.Org.
Die Zeugen Jehovas begegneten uns auf unseren Reisen immer und ueberall. Auf meine Frage meinte er,
er und seine Frau seien Zeugen, seine Eltern natuerlich nicht.
Endlich kamen wir gegen 14:00 in Kissamos an, gingen, wie von Sylvia angewiesen, hinter dem Laden und
dem Wohnhaus den Schotterweg hinauf an Mikes Gewaechshaeusern vorbei und standen im relativ
kleinen Olivenhain mit ca 40 Baeumen, wo Sylvia und Neffe Dimitri gerade Jutesaecke voller Oliven so
verschnuerten, dass man sie in der Presse mit einem Handgriff aufbinden konnte. Wir stiegen direkt ein,
machten einfach mit. Der Neffe schleppte einen kleinen Generator auf Raedern in die naechste, bereits
mit grossen etwa 10m x 25m langen, derben Kunststoffnetzen ausgelegte Terasse hinauf, die langen
daran befestigten Kabel hinter sich her schleifend. Daran angeschlossen wurden die vorher schon einmal
beschriebenen langen Stangen mit dem drehenden Kopf an einem Ende, an dem wiederum recht starke
Gummiroehrchen befestigt sind (so genannte Spaghetti), mit denen die Oliven herunter geschlagen
werden. Dann schleppte er den Olivenruettler nach oben, ein Gestell auf vier Beinen, an dem auf
Arbeitstischhoehe ein grosses und tiefes Tablett beweglich aufgehaengt ist. Auf demselben liegt ein
recht grobmaschiges Gitter, und an einem Ende sind zwei tuellenartige Ausgiesser, an denen die Saecke
befestig werden. Wir schaufelten die bereits zu einem Haufen zusammengetragenen Oliven eimerweise
auf den Ruettler, Sylvia ruettelte sie durch das Sieb, sammelte die groesseren Zweige und Blaetter vom
Sieb und warf sie zur Seite, und die Oliven kullerten in die Saecke. Den Rest Blaetter und Unreinheiten,
die mit den Oliven durch das Sieb fielen, wuerde ein Geblaese in der Olivenpresse vor dem Waschen und
Pressen herausblasen. Mike und Sylvia hatten, dachten wir, nicht so richtig daran geglaubt, dass wir
wirklich helfen wuerden, dachten vielleicht, wir sind verwoehnte Touristen, die hier Unterhaltung
suchten. Nun kam Mike mit seinem uralten Pickup von der Olivenpresse zurueck, sah uns da wurschteln
und meinte anerkennend und strahlend, nun sei das Team ja komplett. Die Herausforderung war es, die
auf Bueschen und Grasbollen gewoelbten Netze so zu strecken und zu schuetteln, das die wie
Quecksilber herumkullernden Oliven nicht verloren gingen, sie zu einem Haufen in der Netzmitte
zusammen zu schuetteln und das Netz dann zum Ruettler zu bringen. Erst traute uns Mike mit dieser
Aufgabe nicht. Aber dann liess er es uns allein machen. Wir hatten wohl den Test betanden, denn er
plante uns nun fest ein fuer das grosse Stueck mit mehreren hundert Baeumen auf dem Land seiner
Eltern im Nachbardoerfchen Drapanias. Nun blies er erst einmal zum Feierabend, und wir hatten wieder
frei, weil die unteren Baeume an einem steilen Stueck lagen. Das wuerde er am naechsten Tag mit
Dimitri allein machen. Sylvia und ich verfuegten uns in die Kueche, sie erzaehlte viel ueber die in Burgau
bei Augsburg lebenden Eltern, die immer hinfaelliger wurden, ueber ihr schlechtes Gewissen, weil sie so
weit weg war. Ich konnte das sehr gut nachvollziehen, ging es mir doch mir meinen Eltern damals, als wir
in Dubai lebten, ganz genauso. Ihre Zwilllinge, Julia und Marco, studierten in D – erstere
Kulturwissenschaften in Frankfurt Oder und Marco Elektroingenieurswesen an der TU Berlin. Alles nicht
so einfach! Wie immer, wenn die Familien getrennt leben. So geht es uns auch, da die Kinder irgendwo
studieren oder leben und wir ganz woanders sind. Man kann sie nur bedingt unterstuetzen, hat auch nur
bedingt Einblick in ihr Leben und hofft, dass sie alles gut meistern.
Josef und Mike gingen mit jeweils einer Bierdose in der Hand (wenn Josef das mal vertraegt, dachte ich!)
zur Olivenpresse, um die Saecke wegzubringen, und zum Reifenfritzen, um fuer uns neue Hinterreifen zu
bestellen, wenn moeglich. Als sie wieder da waren, verabschiedeten wir uns, denn wir wollten den
Schoenwettertag nutzen, um die Samariaschlucht wenigstens zum Teil zu erwandern. Sie ist nach
Knossos das zweitwichtigste Touristenziel auf Kreta, zieht sich allerdings 13km vom Olamos-Plateau in
den Weissen Bergen bis hintunter zur Suedkueste, so dass man sie nicht an einem Tag hinunter und
wieder hinauf laufen kann. Die meisten Touristen werden von Tour Operators zum Schluchteingang
gefahren und am Schluchtausgang abgeholt. Alternativ kann man mit einem Boot zum Nachbarhafen
fahren und von dort mit dem Bus oder Taxi wieder zurueck in die Zivilisation.
Als wir am Tag drauf, nach einer ruhigen Nacht am Strand von Kissamos, hinauf fuhren zum Einstieg, war
dieser abgeriegelt mit einem Hinweis, dass die Schlucht fuer den Winter gesperrt sei. Mit uns waren
noch mindestens 10 weitere Wanderpartien (fast alles Deutsche, bis auf ein bulgarisch-oesterreichisches
Paar) dort oben, die nun alle recht enttaeuscht waren. Offenbar hatte es durch die starken Regenfaelle
der vergangenen Tage Steinschlag gegeben, und es war zu gefaehrlich, uns da runter wandern zu lassen.
Wir troesteten uns mit einer Wanderung den Berg hinauf zur ersten Huette, wo wir dann wenigstens in
die Schlucht hinunter gucken konnten. Unsere steten Begleiter waren die die Gipel umkreisenden Geier,
eine laermende Horde von Dolen, das Gebimmel der Schaf- und Ziegenglocken und das Meckern und
Bloeken derselben, wenn sie den Rest ihrer jeweiligen Herde bzw. Muttertier und Lamm sich gegenseitig
suchten. Einmal lockte ich ein gemischte Schaf- und Ziegenherde hinter mir her den Schotterweg
entlang. Sie kamen brav mit, sicher in der Hoffnung auf etwas gutes zu fressen. Als sie merkten, dass es
nichts gibt, fielen sie zurueck, warteten, bis wir umgedreht waren und trotteten dann bimmelnd vor uns
her bis zu ihrem Lagerplatz.
Fuer heute war ab 4:00 morgens und fuer den ganzen Tag Gewitter angesagt, weshalb wir auch frei
hatten von der Olivenernte. Wir fanden auf dem Rueckweg vom Omalos-Plateau Richtung Nordkueste
am Dorfrand von Likkoi ein ganz herrliches Plaetzchen mit unglaublichem Panoramablick auf das Dorf,
die Schlucht weit unter uns, die Berge drum herum, das Meer unten in der Ferne. Neben uns stand zur
einen Seite ein steinerner griechischer Held, dem Datum nach (1821) ein Freiheitskaempfer zur
Osmanenzeit, zur anderen Seite die griechische Variante des Marterls, eine Minitaturkirche auf einem
Sockel. So waren wir gut beschuetzt, was wir auch gebrauchen konnten. Die Nacht war still und lau. Ich
setzte mich mit meinem Nachtzigarettchen auf das Maeuerchen neben uns und genoss die unendliche
Stille und Ruhe. Der zunehmende Mond beleuchtete die Landschaft, drum herum funkelten die Sterne.
Ich konnte mir ueberhaupt nicht vorstellen, dass morgen schlechtes Wetter sein sollte. Puenktlich um
4:00 blitzte es von allen Seiten und ohne Unterlass, gefolgt von Donner, Sturmboeen und peitschendem
Regen, die alle gemeinsam am Womo schuettelten und ruettelten. Ab 9:00 beruhigte sich das Wetter
wieder, die Sonne kam zwischendurch heraus, und es regnete immer mal wieder. Wir hatten uns bei
Sylvia angekuendigt zum Waeschwaschen und um nochmals nach den Reifen zu fragen. Sie hiess uns
willkommen, meinte jedoch, es sei Feiertag, mit Reifen sei also nix heute. Josef googelte. Es war der
„Ochi“-Tag, an dem die Griechen des Tages gedachten, an dem im Jahr 1940 der damalige
Staatspraesident, Ioannis Metaxas, sich nicht dem von Mussolini gestellten Ultimatum beugte, sich den
Faschisten zu unterwerfen.
Nun sassen wir hier an unserem lauschigen Plaetzchen, ich schrieb, Josef las, und wir schauten immer
wieder erfreut in die herrliche Landschaft. Richtung Nordkueste und Meer hielt sich beharrlich ein
Regenbogen.
6.11.2020
Balos Beach, Kissamos und Drapania, Kissamos und Drapanias, …
Mein letzter Eintrag ist ueber eine Woche her. Ich war einfach zu kapputt, auch nur eine Zeile zu
schreiben, denn wir haben die vergangenen sieben Tage jeden Tag Oliven geerntet und konnten abends
nur noch ins Bett fallen. Der Reihe nach: Wir fuhren also zu Sylvia und Mike, lieferten unsere Waesche
bei Sylvia ab und warteten auf das Startsignal zur Ernte. Ich bot an, fuer allemann zu kochen an einem
der folgenden Tage, und wir verabredeten uns fuer den darauffolgenden Tag zum Abendessen. Da noch
immer Regen angekuendigt war, hatten wir ihn zur freien Verfuegung und beschlossen den Vormittag zu
nuetzen, auf die nordwestlichste Halbinsel Kretas, Balos hinaus zu radeln. Jedoch ging die Asphaltstrasse
in eine Schotterpiste ueber, so dass wir beschlossen, zu laufen. Schlossen die Raeder an und gingen die
Piste entlang, die sich in sanften Kurven ueber dem Meer auf der Ostseite der Halbinsel stetig nach oben
arbeitete. Im Laufe des Vormittags ueberholten uns immer mehr kleine Mietwagen mit Touristen auf
dem Weg zum Balos Beach kurz vor Ende der Halbinsel. Eine freundliche Dame bot an, uns
mitzunehmen, aber wir genossen unseren Fussmarsch und bedankten uns. Begleitet wurden wir von
diversen Ziegen- und Schafherden, die sich hier am frisch spriessenden Gruen guetlich taten. Die
Ausblicke waren, wie immer, wunderschoen: Rechts das dunkelblaue Meer, ueber uns der herrlich blaue
Himmel, links der Bergruecken mit kreisenden Geiern, immer wieder Lerchen, die traellernd vor uns
davon stoben, die Luft herrlich mild. Wir liefen beschwingt weiter und weiter, bis wir wider Erwarten –
wir hatten vorher gar nicht geschaut, wie weit es bis dorthin war – nach 7 km auf dem Parkplatz oberhalb
des Balos Beach ankamen, kraxelten noch eine Anhoehe hinauf und hatten ploetzlich einen
atemberaubenden Blick auf die Westseite der Halbinsel, den herrlichen Balos Beach unter uns, das
offene Meer vor uns, im Norden die Auslaeufer des Peleponnes. Der Halbinsel vorgelagert waren drei
kleine Felsinseln, eine davon mit den Resten einer Festung. Die Lagune des Balos Beach ist an ruhigen
Tagen sicherlich klar tuerkisfarben wie die von Elafonissi. Heute war sie nach den Stuermen vom Vortag
aufgewuehlt und ein wenig truebe. Dennoch pilgerten alle Touristen hinunter zum Strand, und ein paar
Wackere badeten sogar. Wir beliessen es bei dem Blick von oben und machten uns auf den Rueckweg.
Auf dem Parkplatz war ein Abschleppwagen angekommen, der gerad einen Mietwagen auflud. Uns war
auf dem Weg hierher eine huebsche, deutliche Oelspur aufgefallen, die man ganz praezise zu einem der
geparkten Fahrzeuge verfolgen konnte. Wir hatten einen Zettel hinter den Scheibenwischer geklemmt:
„Do not start engine! You have lost all your engine oil!“ Es waren Franzosen, und der junge Mann hatte
es bei Ankunft schon selbst gesehen, hatte den Abschleppwagen gerufen und hatte sich die Wartezeit
unten am Strand vertrieben. Das wuerde wohl teuer werden!
Wir liefen den ganzen Weg zurueck, hatten die Piste jetzt mehr fuer uns, da die meisten bis zum
Spaetnachmittag blieben. Nach 14km Fussmarsch, plus einer kleinen Irrfahrt mit den Raedern, die wir am
Ende durch ein Flussbett tragen mussten, fanden wir endlich unser Womo wieder am Strand von
Kissamos. Waren nun hinreichend platt, mussten jedoch direkt wieder los, fuer meine Kochsession
einkaufen und dann zu Sylvia und Mike. Wir hatten einen schoenen Abend mit palaestinensischer
Makluba und Mikes Wein und verabredeten uns auf 9:00 zum ersten gemeinsamen Erntetag in
Drapanias. Eine christliche Zeit, Gott sei Dank. Zum Schlafen fuhren wir wieder an den Strand von
Kissamos, was die kommenden Wochen uns Zuhause werden sollte.
Dimitri war noch immer mit den eigenen Oliven beschaeftigt, so dass wir nur zu viert waren, plus Flip,
der mittelgrosse Hund mit seinem weissen, weichen, zottigen Fell, der uns immer um die Fuesse wuselte.
Der Olivenhain war zunaechst fast eben, fiel jedoch im weiteren Verlauf immer staerker ab. Josef und
Mike klopften die Oliven runter, waehrend Sylvia und ich vor ihnen her die Netze auslegten, sie dann
wieder mit den Oliven darin wieder zusammen rafften, zum Ruettler brachten, dort zu einem kleinen
Berg aufhaeuften. Das Wetter war herrlich, Sylvia und ich ein gutes Team, und Josef machte seine Sache
auch sehr gut, fanden wir. Mike war ein wenig gestresst, weil wir ihm sicherlich zu langsam waren. Aber
er macht das seit er laufen kann, wir den ersten Tag, und auch Sylvia hat nicht so viel Uebung. In den
Hainen links und rechts von uns war gemaeht, so das das Auslegen der Netze einfacher war. In Mikes
Biohain durfte alles wachsen und gedeihen, wie es wollte. Hier gab es wilden Spargel, wilde Brombeeren,
wilden Thymian, wilde Kapern, etc. Alles war fuechterlich stachelig, und unsere kurzbehosten Beine nach
dem ersten Tag total zerkratzt. Die Netze woelbten sich ueber diesen Bueschen, und wir mussten immer
aufpassen, dass sie uebereinander lagen, dass die Oliven nicht davon kullern konnten. Die Olivenfliege,
der einzige Schaedling, mit dem seine Baeume nicht allein fertig wurden, hielt er mit einer Biofalle in
Schach, die er selbst erfunden hatte: Ein Plastikflasche mit einem Loch in der Bodenmitte, der Boden so
nach oben in die Flasche hinein gewoelbt, dass sich das Loch in der Mitte der Flasche befand. Die
dadurch entstehende Rinne am Flaschenboden fuellte er mit einer Mischung aus Schlachtabfaellen und
Rinderblut. Die zog die Fliegen an. Und wenn sie einmal drin waren in der Flasche, kamen sie nicht mehr
raus, wie Fische in einer Reuse. Um ihn herum wurde fleissig gespritzt. Wir konnten es immer mal wieder
riechen und sahen es auch an den picobello-sauberen Boeden unter den Baeumen, sowie den sehr voll
haengenden Zweigen.
Aber wie herrlich war es, hier in diesem Biohain zu arbeiten: der Duft des Thymians und der Oliven, das
Samtgruen der Oliven ueber dem nach dem Regen fruehlingsgruenen Teppich aus Sauerklee. Das einzig
stoerende war das Dauergeraeusch des Generators. Als Mike ihn fuer die Mittagspause abschaltete, wir
auf dem Boden im Schatten der alten Baeume luemmelnd das mitgebrachte Vesper assen, plauderten
und der Stille lauschten, war es ganz paradiesisch.
Wir schafften das obere, flache Drittel des Hains, was ein guter Einstieg war. Josef musste zwischendurch
pausieren, weil diese Ruettelstange recht schwer und ihre Bedienung gewoehnungsbeduerftig war. Ich
haette die keine fuenf Minuten so hoch halten und damit auch noch zielsicher in die Aeste fahren
koennen. Ausserdem prasselten ihm staendig die Oliven auf die Brille und auf den Kopf. Er machte einen
kleinen Spaziergang. Flip begleitete ihn und wich nicht von seiner Seite. Am Abend verkoestigte uns
Sylvia, wofuer wir dankbar waren, und um 9:00 fielen wir rechtschaffen und todmuede ins Bett. Am
zweiten Tag schafften wir den steileren Teil des Hangs, eine groessere Herausforderung, weil es hier nich
schwieriger war, die riesigen Netze so auszulegen, dass die Oliven nicht verloren gingen, und weil wir die
vollen Netze den Berg hochschleppen mussten zum Ruettler. Die Maenner halfen gegen Ende, weil wir
gar nicht nachkamen. Am Ende des dritten Tages waren wir hier fertig. Circa 60 Baeume waren
abgeerntet, 20 Saecke a 60 kg bei der Olivenpresse abgeliefert, und wir hatten eine Flasche des selbst
erarbeiteten Oels geschenkt bekommen.
Am vierten Tag gingen wir zum anderen, groesseren Hain. Dieser ist am Berg oberhalb von Drapanias
gelegen, Mikes Herkunftsdorf, mit dem Auto etwa 10 Minuten von Kissamos entfernt. Wir fuhren ja nun
jeden Morgen von Kissamos nach Drapanias, hielten dort, es sei denn Sylvia hatte Stullen geschmiert, bei
einer huebschen Baeckerin an (Rumaenin mit griecheischem Mann), holten die leckeren Kaese-SpinatTaschen fuer’s Vesper. Drapanias koennte sehr schoen sein: es liegt am Hang, ist sehr gruen und hat
noch einige alte Steinhaeuser, u.A. das des tuerkischen Paschas aus der Ottomanenzeit. Aber leider
verfallen sie, und niemand interessiert sich dafuer. Drum herum und dazwischen entstehen die wenig
schoenen Eigenheime in „Tankstellenarchitektur“. Gott sei Dank wird dieser Eindruck durch die Gaerten,
die Zitrus-, Feigen- und Granatapfelbaeume, die schoen bluehenden Oleander und Bougainvillea nach
ein paar Jahren abgemildert. Nicht so uebrigens bei Sylvias unmittelbaren Nachbarn. Die haben
tatsaechlich auf einen viereckigen kastenartigen Kubus, der mehr wie eine Werkstatt aussieht, eine
Wohnung aufgesetzt, die rundum etwa 2 m ueber den Kubus uebersteht. Der „Garten“ sieht aus wie eine
Muellhalde, und der arme kleine Hund, der dort an einer Kette liegt, klaefft ein verzweifeltes
hochfrequentes Welpenklaeffen. Ich wuerde ihn am liebsten von der Kette lassen. Was massen wir
Menschen uns an, andere Lebewesen so behandeln?
In Drapanias steht das Haus von Mikes Eltern, die mittlerweile verstorben sind. Er ist dabei, das
Erdgeschoss des Haupthauses, sowie den benachbarten Anbau, zu Femdenzimmern umzubauen, macht
alles selbst, einschliesslich der Moebel! Wenn das mal alles fertig ist, auch der Sitzplatz auf dem Dach des
Anbaus mit herrlichem Blick zur Bucht hinunter und gegenueber auf Mikes Olivenhaenge mit grosser
Hoehle darunter (Muss ich auch unbedingt noch sehen!).
Mikes Mutter, eine sehr starke Frau – Sylvia sagt, sie sei wie ein Bulldozer gewesen – hatte den Berg
oberhalb des Hauses auf der anderen Talseite gezaehmt und in Terrassen eingeteilt. Wenn wir Mike
richtig verstanden haben, hat sie die Felsplatten, mit denen der Bergruecken bedeckt war, aufbrechen
und jeweils zu einer Mauer nach oben hin schieben lassen, so dass die Terrassen entstanden sind.
Angeblich wusste sie, das unter den Felsplatten guter Mutterboden war. Auf jeder der Terrassen sind in
einer Zweierreihe die Baeume gepflanzt. Auf der hoechsten hatte Mike im Alter von 14 seine ersten
eigenen Baume gesetzt. Dort fingen wir an. Der Weg vom Tal oberhalb von Drapanias hinauf zu den
oberen Terrassen bestand aus einer einzigen Grundfelsplatte mit tiefen Rillen und hohen Buckeln, die
Mikes alter Isuzu-Pickup nur hinauf aechzen konnte, nachdem er drei 100-Liter-Kanister mit Wasser
aufgeladen hatte, um genug Gewicht auf die Raeder zu bringen. Man konnte es gar nicht mit ansehen!
Wir legten die Netze auf der obersten Terrasse aus. Danach ging Mike mit uns bis ganz hinauf auf den
Berg, wo sein Grossvater vor 100 Jahren ein Einzimmersteinhaeuschen erbaut hatte, von dem nur noch
die Mauern standen. Der Blick von dort oben war herrlich: Unterhalb von uns das samtgruene Olivental
von Drapanias, dass sich nach links sanft hinauf zog bis zu Bergformationen, die es fast mit Monument
Valley aufnehmen koennten. Vor uns Richtung Norden die Kueste mit den zwei langen, schmalen
Landzungen Balos und Kolimvari, die vor Kissamos eine tiefe und breite Bucht bilden, der blaue Himmel
mit schoenen Wolken. Um uns herum Macchiagewaechse, wilde Pistazien, Kraeuter und Alraunen, die,
wie Mike wusste, Susan K. Rowling in ihren Harry-Potter-Buechern als wild um sich schlagende
Wurzelgewaechse beschreibt. Ihre Wurzeln gelten als gifitg, und sie wird laut Wikipedia „durch ihre
Kulturgeschichte oftmals als Ritual- und Zauberpflanze angesehen“. Ich hatte sie auf unserer Wanderung
auf die Balos-Halbinsel gesehen und einer Ziege hingehalten, die sie jedoch verschmaehte. Die wusste
schon, warum.
Unser kleiner Spaziergang dort hinauf war ein sehr schoenes Intermezzo. Sylvia und Mike erzaehlten uns,
dass in dem kleinen Dorf unterhalb der „Monument Valley“ Felsen – Rocca, glaube ich – jeweils in der
Vollmondnacht des August ein klassisches Open-Air-Konzert im durch die Felsen natuerlich geformten
Amphitheater stattfindet. Die Menschen sitzen am Hang, wo sie sich ein Sitzplaetzchen in die Erde
kratzen. Das ist sicherlich toll! Es fuehrt keine richtige Strasse an den Konzertort, so dass alles,
einschliesslich Konzertfluegel, hinauf getragen werden muss. Die Mitglieder des Orchesters werden
gegen eine Spende von den Dorfbewohnern beherbergt und verkoestigt. Nach und nach wurde wohl das
ganze Dorf restauriert. Wir nahmen uns fest vor, einmal dort hinauf zu wandern.
Mike fand im kleinen Steinhaus des Grossvaters einen grossen, loecherigen, herrlich bizarr geformten
Stein, traeumte, ob wohl der Grossvater diesen vor hundert Jahren dort in die Hausmauer intergriert
hatte und nahm ihn mit, um eine Miniatur-Bonsai-Landschaft daraus zu machen. Josef fand einen
Mandelbaum neben der von uns zu erntenden Terrasse und sammelte ein ganzes Gemuesenetz voll auf,
nachdem er gefragt hatte, ob er darf.
Unser Erntetag war nun sehr viel entspannter, da wir nun nicht sieben, sondern nur fuenf Stunden uebrig
hatten zum Arbeiten und die Netze nicht die Haenge rauf und runter schleppen mussten. Dennoch war
die Ausbeute sehr gut: Hatten wir an dem unteren Hang pro drei Baeume etwa einen Sack Oliven, so
waren es hier zwei Baeume pro Sack. Ich hatte es mir zur Angewohnheit gemacht, dort, wo wir gerade
ernteten, Muell aufzusammeln – ein Automatismus, den wir uns in der Wueste und den Bergen der
Emirate und Omans angewoehnt hatten – und erbeutete jeden Tag einen Sack voll.
Der fuenfte Tag war wieder sehr anstrengend und lang. Der Ruettler stand auf der Terrasse auf der einen
Seite des Felsweges, und die abzuerntenden Baeume auf der anderen Seite am Fusse einer grossen sanft
abfallenden Felsplatte. Mike haette den Ruettler hinunter gebracht zu den Baeumen, dort geruettelt und
abgefuellt, haette dann die 60kg-Saecke die Felsplatte hinauf zum Pcikup getragen. Wir drei dachten, wir
wuessten es besser und schleppten die vollen Netze hinauf zum Ruettler, liefen gefuehlt 10km rauf und
runter. Er liess uns machen. Das war dann fuer ihn ein bisschen leichter, fuer uns ein bisschen schwerer,
und mir taten am naechsten Tag die Haende weh. Es tat jeden Tag etwas anderes weh, aber die
Schmerzen liessen allmaehlich nach. Dafuer hatte ich ab dem zweiten Tag ueberall juckende Bisse oder
Stiche! Ich dachte erst, wir haetten uns irgendwas ins Womo eingefangen! Aber ich fragte dann Sylvia
und Mike, und sie erklaerten, das seien irgendwelche Milben, die seit ein paar Jahren hier auf Kreta ihr
Unwesen trieben, offenbar in den Netzen lebten und sich durch Stiche oder Bisse wehrten, wenn sie sich
gestoert fuehlten. Mike vermutete, dass sie eingeschleppt wurden mit Gemuesesetzlingen fuer die
Gewaechshaeuser. Sie schadeten wohl nicht den Olivenbaeumen, waren aber fuer uns ueberaus laestig,
da die Stiche tagelang juckten, auch wenn man sich zusammenriss und nicht kratzte. Im Internet konnte
ich nichts finden. Josef war seltsamerweise ueberhaupt nicht betroffen. Wir anderen drei umso heftiger.
Ab dem 4. Tag habe ich mich morgens mit „No Bite“ eingesprueht, dem aggressiven Mosquito-Spray, den
wir fuer die Tropen gekauft hatten. Es half. Es schienen keinen neuen Stiche dazu zu kommen.
Von meinen Wanderstiefeln, die ohnehin schon laediert waren, fiel an diesem Tag die Sohle ab, so dass
wir Sylvia und Mike abends allein liessen und in Kissamos die Laeden nach neuen Stiefeln abklapperten.
Es gab nur Herrengroessen. Also fuhren wir todmuede an unseren schoenen Strandplatz, den wir uns
mal mit einem Hamburger, mal mit einem Schweizer, mal mit einem Franzosen teilten (also nicht unser
Womo – sie hatten jeweils ein eigenes), vesperten mit Heisshunger kalt und verfolgten im Internet die
US-Wahlen, das super schmutzige Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Trump und Biden, das insbesondere
durch Trumps primitives Verhalten eher einer Bananenrepublik wuerdig war.
Tag 7 war wieder ertraeglich. Schafften 1,5 Terrassen, und Mike war sehr gluecklich und zufrieden mit
der Ausbeute und Qualitaet des Oels. Die Stimmung war auch sehr gut, aber wir waren nun alle vier platt
und freuten uns auf die durch den angekuendigten Regentag verordnete Zwangspause. Die
Zusammenarbeit mit Sylvia war leicht und machte viel Spass. Wir lobten uns immer gegenseitig und
tickten gleich, mussten gar nicht viel absprechen, fassten immer genau passend dorthin, wo es gebraucht
wurde – als wuerden wir das schon seit Jahren zusammen machen. Klasse!
7.11.2020
Chania, Maleme
Wir hatten die Nacht auf dem geschuetzten Parkplatz von Sylvias und Mikes deutschem Nachbarn
verbracht. Es fing bereits in der Nacht an, zu stuermen, und wir hoerten die Brandung von weither tosen.
Morgens am 5.11. stuermte und regnete es, so dass wir alle „olivenfrei“ hatten. Josef und ich
beschlossen, nach Chania zu fahren, um mir neue Wanderschuhe zu kaufen, nahmen eine LidlEinkaufsliste von Sylvia mit und trieben uns den Tag im stuermischen Chania herum. Am Alten Hafen
trafen wir auf drei junge Pakistaner, die dort scheinbar ein wenig ziellos umher wanderten. Sie waren
Tagelohner ohne Job, sprachen leider nur sehr wenig Englisch. Aber unser Gefuehl war, sie waren recht
wohlgemut und wuerden uns am liebsten fragen, ob wir sie nicht mitnehmen koennten nach D, oder
ihnen wenigstens ein bisschen Geld geben. Da kein richtiges Gespraech moeglich war, verabschiedeten
wir uns. Sie blieben uns jedoch auf den Fersen, und schliesslich entkamen wir in ein Cafe, tranken auf der
ueberdachten und mit Plastikplanen geschuetzten Terrasse einen Kaffee, waehrend die Brandung ueber
die Kaimauer hinauf und uns um die Fuesse schwappte!
Wieder fanden wir ueberall Plakate und Spruehspuren der „Rosa Negra“, wie schon bei unserem ersten
Besuch in Chania. Ich googelte den Namen und fand heraus, dass es wohl eine anarchistische
Organisation ist, die ihr Zentrum hier in Chania in einem besetzten Haus hatte, das gerade ein paar Tage
vorher von Hundertschaften der Polizei geraeumt worden war. Wir suchten das Haus, fragten mehrere
Leute und ernteten beinahe erfreute Blicke ob unseres Interesses daran, fanden es nach ein paar
Irrwegen, wurden jedoch von einem Streifenwagenpolizisten freundlich abgehalten, naeher hin zu
gehen. Ein altes Muetterchen im Witwenschwarz rief dem Polizisten aus ihrem Haeuschen irgenend
etwas zu, und er dolmetschte, sie fragte, ob sie am naechsten Tag zum Arzt gehen koenne, trotz des
angekuendigten zweiten Corona-Lockdowns. Er beruhigte sie freundlich und gutmuetig. Dann erklaerte
er uns, die Rosa Negra hatte das Haus 16 Jahre lang besetzt, und man habe es toleriert. Jedoch sei es
immer mehr zu einem Drogenumschlagplatz verkommen, so dass man es haette aufloesen muessen.
Josef fragte ihn, wo denn nun die Leute alle seien, und er meinte, sie seien wohl ueberall verstreut. Ob
das nun besser sei? Nein, besser waere es, sie waeren alle „in einem Ghetto, damit man sie besser
beaufsichtigen kann“. Spaeter, wieder in Kissamos, erklaerten uns Mike und Sylvia, dass die Rosa Negra
mitnichten anarchistisch sei oder das besetzte Haus ein Drogenumschlagsplatz. Drogen wuerden
ueberall in Chania umgeschlagen, und man habe das Haus nur zwangsgeraeumt, weil ein israelischer
Investor es gekauft habe und nun ein Hotel daraus machen wollte. Das Gebaeude hatte urspruenglich
der Universitaet Chania gehoert. Die hatten jedoch irgendwann einen neueren, modernen Campus
gebaut und das alte Gebaeude mitten in der Altstadt leer stehen und verkommen lassen. Die Rosa Negra
hatte es nach und nach in Besitz genommen, hatte Essen und Unterkunft fuer Beduerftige und
Obdachlose angeboten, hatte eine richtige Kulturszene dort geschaffen, Konzerte organisiert, etc. und
war mit wohl gelitten von den Nachbarn. Das erklaerte nun auch, warum die Leute so positiv auf unsere
Frage nach dem Haus reagiert hatten. Ich fragte mich, warum man das einfach hinnahm, dass so etwas
zerstoert wurde. Aber Geld ist eben maechtiger als das Volk, maechtiger als Wohltaetigkeit. Leider.
Wie fuhren noch nach Souda zum Faehrhafen, um heraus zu finden, ob wir mit den seit gestern
verkuendeten Lockdowns wieder auf das Festland kommen wuerden. Bisher wusste niemand etwas,
dass der Faehrverkehr fuer Privatpersonnn eingestellt werden koennte, wie im Fruehjaher geschehen.
Wir wollten Slvia und Mike nicht mit der Ernte allein lassen, zumal sich herauskristallisierte, dass Dimitri
wahrscheinlich gar nicht mehr helfen kommen wuerde, und hofften auf das Beste. Wir machten die
Einkaeufe fuer Sylvia und suchten nach einem einigermassen windgeschuetzten Platz fuer die Nacht,
fuhren schliesslich wieder Richtung Kisssamos und uebernachteten auf dem Parkplatz des Deutschen
Soldatenfriedhofs mit schoener Aussicht auf das tosende Meer in sicherer Entfernung unter uns.
Es regnete nicht, so dass ich dachte, wir haetten weiter ernten koennen. Aber wir waren alle dankbar
fuer die Pause.
8.11.2020
Chania, Kissamos
Schliefen lange am Fusse des Soldatenfriedhofes, ich schrieb morgens noch ein paar Stunden, waehrend
Josef las und sich mit dem Uebungsbuch zum Studierfaehigkeitstest verweilte (Richtiges Gehirjogging ist
das!). Ich drehte nachher noch eine Runde durch den Olivenhain neben uns. Drt ernteten drei junge
Bauern. An ihren BAeumen hingen auch die Flaschen mit den Olivenfliegenfallen. Haette sie gern danach
gefragt, aber sie sprachen kein Englisch. Einer von ihnen war mit seinem Olivenruettelstab oben in der
Krone eines Baumes; der andere harkte mit einem Rechen die Zweige und Blaetter zwischen den Oilven
aus dem Netz heraus. Sie hatten gar keinen Ruetteltisch dabei. Also alles ganz anders als bei unserer
Ernte.
Schliesslich machten wir uns wieder auf den Weg, hielten dann noch an einem Villen-Compound an, den
wir im Fenster eines Maklers in Chania entdeckt hatten. Die Haeuser waeren ganz schoen, mit eigenem
Pool, 2 km vom netten Staedtchen Kolimbari und ca 1km vom Strand entfernt. Allerdings hatten nur 2
der Grundstuecke eine groessere Flaeche, und die lagen beide nach unten hin in einem mit Schilf
zugewachsenen Bachbett. Das hiesse viele Mosquitos im Sommer. Ausserdem wollte der Verkaeufer
wohl nicht ueber den Preis verhandeln, obwohl er seit 10 Jahren versuchte, die Villen einzeln oder als
Komplex zu verkaufen. Ohnehin war es eine kleine Spinnerei von uns, und wir dachten nicht ganz
ernsthaft darueber nach, hier eine Immobilie zu kaufen. Wenn allerdings Corona uns einen Strich durch
alle weiteren Reiseplaene machen wuerde, wuerden wir ernsthafter an das Thema heran gehen. Josef
schwant, dass in Zukunft das Reisen nie mehr so sein wird wie bisher. Wer weiss, was aus meinen LHTickets wird? Werden wir weiterhin so ermaessigt fliegen koennen wie bisher? Wie lange noch? Um
meine gute, alte LH sieht es traurig aus im Moment.
Von dort aus fuhren wir nach Rokka, jenem Dorf, das am Fusse der „Monument Valley Rocks“ lag und in
welchem sommers immer das Open-Air-Konzert stattfindet. Es lohnte sich! Einige Haeuser des alten
Dorfes waren restauriert. Wir liefen oberhalb des Dorfes den Berg hinauf, fanden die Reste von in den
Naturfels gehauenen Grundmauern – Mike sagte spaeter, es sei eine 2500 Jahre alte Siedlung. Wir
fanden einen rechteckig herausgemeisselten Eingang zu einer Hoehle, die ganz offensichtlich einst eine
Kueche war, und auch eine aus dem Fels geformte Abwasserrinne, die sich ueber den tiefen Abgrund
neben der ehemaligen Siedlung in den Rokka Canon untern ergoss. Sehr spannend! Die weissen Felsen
bildeten ueberall Mulden und Loecher, die sich mit Erde gefuellt hatten und aus denen nun, nach all dem
Regen, ganz viel frisches Gruen heraus spriesste. So schoen! Lauter Miniaturlandschaften. Der Wind pfiff
mit gewaltiger Wucht ueber die Felskante zu uns herauf, und wir hielten gehoerigen Abstand vom
Abgrund. Auf dem Weg zurueck hinunter uns Dorf begegnete uns ein Vierergrueppchen junger
Spaziergaenger. Es waren vier Schweizer, zwei Frauen, zwei Maenner, die hier oben in Rokka in einem
Ferienhaeuschen eine Woche Urlaub machten. Sie hatten es zeitlich nicht so gut getroffen, denn es war
seit TAgen recht kalt, und nun kam auch noch der Lockdown hinzu, so dass sie nirgends essen gehen
konnten. Die Armen!
Wieder in Kissamos, waren wir mit Sylvia und Mike zum Abendessen bei ihnen zuhause verabredet.
Leckere, bodenstaendige Hausmannskost in ihrer Familienwohnkueche am Olivenholztisch, dem
Hochzeitsgeschenk von Mikes Eltern vor ueber einem viertel Jahrhundert. Eigentlich sollten wir danach
noch mit Mike zum Rakibrennen, einer Tradition, die wir super gern miterlebt haetten, die jedoch auch
dem Lockdown zum Opfer fiel: Bauern, die eigenen Wein machen, gehen mit der Maische an einem
vorher abgesprochenen Tag zu einer lizensierten Destille und lassen ihren eigenen Schnaps machen.
Waehrend der Schnaps dort destilliert wird, grillt man mit den eingeladenen Freunden und der Familie
auf bereitgestellten Grills, sitzt an Mannschaftstischen, isst und trinkt vor Allem. Schade! Das haben wir
nun verpasst. Mike ging auch recht widerwillig so allein, seinen Schnaps zu holen, kam dann wohl aber
erst morgens um eins wieder und sah heute frueh nicht so taufrisch aus.
Aber er erzaehlte uns eine schoene Geschiche: Josef fragte ihn, ob der Winter so sei, wie es jetzt gerade
war – ein paar Tage Regen und Sturm und dann wieder Sonne. Er besaetigte, sagte aber, November und
Dezember seien einfach ungemuetlich und man warte dann ungeduldig auf die „Tage der Alkyone“, einer
sehr milden Zeit mitten im Januar. Ich habe nun zwei Versionen der Geschichte der Alkyone aus Sicht der
griechischen Mythologie. Einmal die im Reiseblog Der Griechenlandreise-Blog: „Was bitte sind die Tage
der Alkyone“ (bitte gern nachschlagen) und einmal die von Mike. Mir gefaellt Letztere einen Tick besser:
Zeus soll also eine Geliebte gehabt haben (nur eine?), Alkyone. Als seine Frau Hera davon erfuhr, war sie
so stinkig, dass sie die Geliebte in einen Vogel verwandelte. Alkyone war jedoch schon schwanger von
ihrem Lover, und damit sie ihre Eier, trotz Januar und Winterkaelte, in Ruhe ausbrueten konnte, liess
Zeuss das Wetter im Januar fuer zwei Wochen warm und windstill werden. Drum brueten die Alkyone,
kleine Eisvoegel, die hier ueberwintern, und die wir immer mal wieder insbesondere in den
Fischerhaefen beobachten konnten, im Januar, und nicht, wie alle anderen, spaeter im Fruehjahr.
Heute haben wir wieder ein wenig planlos herumgetuettelt, sind dann mit Mike zum ersten Mal in sein
Gewaechshaus, haben seine Bonsais bewundert und sehr viel gelernt ueber diese Zuchtmethode (siehe
www.olive-bonsai-art.com), sind dann mit den Raedern nach Kissamos gefahren, um mein Knie ein wenig
zu lockern. Dem ging es nun die ganze Zeit gut, trotz oder gerade wegen der Maloche und des wilden
Herumkletterns im unebenen Olivenhain. Nur die letzten zwei Tage, wo wir hier umtaetig herumsassen,
fing es an, sich zu beschweren. Sind also so halb legal nach Kissamos, endlich mal die Stadt ein wenig
erkunden. Sylvia hatte uns ein Formular ausgedruckt und mitgegeben. Auf dem musste man immer
angeben, wegen welch lebenswichtiger Mission man trotz Lockdowns unterwegs war. Wollte aber keiner
wissen. Sturm und Kuehle machten es ein bisschen anstrengend, und wir waren dann froh, wieder im
gemuetlichen Womo zu sein.
Heute ist Mikes Namenstag, und gleich kommen illegalerweise Gaeste, ein polnischstaemmiges Paar (Sie
stellten sich als Schlesier vor!), das in Canada lebt, hier ein zweites Domizil und in Wiesbaden ein drittes
hat. Mike hat Hasenragout gekocht. Sind gespannt!
10.11.2020
Noch immer Kissamos bzw. Trachilos
Der Namenstagabend war spannend, feuchtfroehlich und das Ragout mit den typischen kretischen einst
nur wild wachsenden Blaettern, die heute von emsigen, endlos in der Hocke dasitzenden Bangladeschis
geerntet werden (Werde mir den Namen wohl nie merken!). Sylvia hatte diese mal ausversehen mit
Hase gekocht, weil sie dachte, das gehoere so, und, siehe da, die Kombi hatte sich als sehr lecker
herausgestellt und ging in das Kochrepertoire der Familie ein. Im Laufe des Abends klingelte Mikes
Telefon ungefaehr einhundert mal; und das war nur der Rest der unzaehligen Namenstaggratulanten des
ganzen Tages. Ist hier richtig wichtig und wird eigentlich mit einem endlosen Essen und Besaeufnis
begangen, das tagelang vorbereitet und zu dem nicht explizit eingeladen wird, sondern, zu dem jeder
hereinschneit, wie er / sie mag. Aber Sylvia und Mike haben diese Tradition irgendwann ueber Bord
geworfen, sich aus dem Staub gemacht und sind ausgegangen. Nun haben es wohl alle so akzeptiert und
gratulieren dennoch freundlich und zahlreich. Auch er selbst hat natuerlich im Laufe des Tages alle
Michaels angerufen, die er so kennt, und Michael ist ein durchaus haeufiger Name hier.
Gestern nahmen wir morgens nochmal Anlauf, ein paar Oliven herunter zu holen. Aber kaum waren wir
alle vollzaehlig auf dem Berg, fing es an zu regnen, so dass wir uns wieder trollten, stattdessen in jeder
Regenpause in Sylvias Garten die Weinreben, den Oleander, den Granatapfelbaum und den
Orangenbaum zurueck schnitten. So richtig weit gekommen sind wir auch damit nicht. Den Rest des
Tages sassen wir abwechselnd in Sylvias Kueche und im Womo herum, schauten Nachrichten, rieben uns
die Augen angesichts Trumps Bananenrepublikgebaren: Ich wagte zu prognostizieren, dass er sich in der
Tischkante im Oval Office verbeissen wuerde und in der Zwangsjacke wuerde heraus getragen werden
muessen. Entsprechende whatsapp-Bildchen machten schon fleissig die Runde.
Heute ging Mike mit uns zur Post, meinte, er muesste dort in unserem Beisein eine
Arbeiterkrankenvericherung fuer uns abschliessen. Aber die wollten uns nicht, weil wir nicht wirklich hier
lebten, nicht gemeldet waren. Mike ging seiner Wege, eine neue Folie fuer sein Gewaechshaus besorgen,
die der Sturm heruntergerissen hatte, und Josef und ich liefen durch Kissamos zu Fuss zurueck nach
Trachilos, immer wieder unter Baeumen und Vordaechern vor dem Regen fluechtend. Das Wetter war
so grau, der Himmel so duester und tief haengend, dass wir uns ins Womo verkrochen, lasen und
schliefen. Sylvia tat es uns mehr oder weniger gleich, nachdem sie sich um Bonsaiverschiffung, etc.
gekuemmert hatte.
Abends kochte Josef Bauernfruehstueck, und wir waren froh, dass dieser duestere Tag vorbei war. Dann
setzte er nich „Braised Beef“ auf, das es morgen Abend zum Geburtstag geben soll.
Ab morgen Mittag sollte es besser werden, so dass wir hoffentlich ab uebermorgen frueh wieder in die
Oliven wuerden gehen koennen! Juchee!
11.11.2020
Trachilos
Bin heute 58 geworden. Alte Schachtel. Josef hat als Geburtstagsdeko eine der Mosquitokerzen zwischen
die Mueslischuesseln auf unseren Womotisch gestellt. Hanas Kommentar: Schoenes Stillleben.
Trotz Regenvorhersage blieb es trocken, so dass wir in Sylvias Garten weiterwurschteln konnten,
nachdem uns gestern der Regen unterbrochen hatte.
Je laenger wir hier waren, desto klarer wurde uns, wie schlecht es den Leuten finanziell geht. Nicht nur
Mike und Sylvia haben grosse Sorgen. Sie hatten genau mit Beginn der griechischen Finanzkrise vor zehn
Jahren ihr Haus und den Showroom fertig gestellt, hatten nun einen Riesenberg Schulden, und mit der
Finanzkrise brachen die griechischen Kunden weg. Sie schleppten sich irgendwie von Jahr zu Jahr, und als
es eben drohte, ein wenig besser zu werden, kam Corona. Die Touristen blieben weg. Wie ihnen, erging
es sehr vielen Menschen in Griechenland. Fuer die Finanzkrise machen sie insbesonderer Merkel und
Schaeuble verantwortlich. Das ist zwar ein wenig kurz gegriffen, denn es waren die Griechen selbst, die
ihre Zahlen geschoent hatten, um in den Euro-Raum zu kommen. Aber offenbar wusste man in Bruessel,
und auch in Berlin, um die geschoenten Zahlen, verschloss jedoch die Augen, um Griechenland als
Binnenmarkt zu gewinnen. Als die Griechen dann zu spueren bekamen, dass alles unglaublich teuer
wurde in ihrem Land, wollten wie wieder raus. Aber man liess sie nicht, setzte Alexis Zipras mit irgend
etwas unter Druck und verhinderte, dass der Willen des Volkes, sich vom Euro zu verabschieden,
durchgesetzt wurde. Anschliessend wurden Steuern eingefuehrt, bzw. zum ersten Mal wirklich
eingetrieben; ausserdem wurde Griechenland gezwungen, zu sparen, indem alles privatisiert wurde, was
ging: Haefen, Flughaefen, und wer weiss, was noch alles. Betrieben werden diese jetzt nicht von
griechischen Firmen, sondern die profitablen Flughaefen z.B. von der Fraport. Ausserdem unterstuetzte
die EU, wie auch in Rumaenien und Bulgarien, dass Lidl & Co sich hier in jeder Stadt breitmachten, so
dass der Einzelhandel litt. Sylvia sagte uns, das sei nicht so schlecht, weil durch die Konkurrenz die Preise
insgesamt gefallen seien. Jedoch sind die Lebenshaltungskosten insgesamt hier beinahe so hoch wie bei
uns. Aber es gibt nicht genug Jobs, so dass insbesondere die jungen Leute abwandern in die Staedte,
namentlich Athen (1/3 der 10 Mio Griechen lebt dort!), oder aber gezwungen sind, bei und von den
Eltern zu leben, bis sie heiraten und darueber hinaus.
Sylvia erzaehlte und immer wieder von Menschen um sie herum, die Antidepressiva nehmen, um
irgendwie durch den Tag zu kommen. Wenn ich darueber nachdenke, was dieses Corona nun auch noch
bewirkt – und zwar nicht nur hier, sondern auf der ganzen Welt, dann werde ich richtig wuetend. Sollen
sie doch endlich diesen vermaledeiten Impfstoff auf den Markt werfen, sich meinetwegen dusselig daran
verdienen, wenn wir nur endlich wieder normal leben koennen.
14.11.2020
Kissamos, Trachilos, Drapanias
Oliven, Oliven, Oliven. Alle um uns herum sind in den Oliven. Ueberall die Pickup Trucks, meist alt, rostig
und rachitisch, voll beladen mit Olivensaecken; ueberall in den Hainen Menschen, die Netze auslegen,
Oliven herunter tuetteln, Netze wieder zusammen raffen und Oliven abfuellen; von ueberall hoert man
das Brummen der kleinen Motoren, die die Ruettelstanfen antreiben. Und wir mittendrin! Sind seit zwei
Tagen wieder kraeftig dabei. Gestern meinte Mike, noch etwa zehn Tage. Hofffentlich haelt das Wetter
und das Geraet!

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