USA Süd-Westen – Herbst 2016
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Reisetagebuch USA Suedwesten, Oktober und November 2016
Eigentlich wollten wir ja schon im Dezember 2015 in die USA, naemlich zu Tante Elses 90. Geburtstag.
Tante Else ist die Cousine von Oma Emmi und sie, wie ihre Familie und die Zusammentreffen mit ihnen,
ein wichtiger Teil von Josefs Kindheit und Jugend. Besonders praegend war eine Reise im Jahr 1971 nach
Kalifornien zu Tante Else, ihrem damaligen Mann Joe, sowie deren Soehne Michael und Jay. Josef hatte
eben die Realschule abgeschlossen und sollte im Herbst die Lehre beginnen. Da ermoeglichte ihm seine
Oma, indem sie zum Ticket beisteuerte, die Reise nach Santa Cruz. Was ein Erlebnis! Er hat immer
wieder von diesen unvergleichlichen Sommerferien gesprochen, sich an viele, viele Einzelheiten
erinnert. So wollte er denn Tante Else gern noch einmal besuchen. Letztes Jahr wurde es dann nix, will
Baba sehr krank war und ich das Gefuehl hatte, hier sein zu muessen. War auch gut so. Schliesslich
haben wir den Plan nun fuer diesen Herbst noch einmal ins Auge gefasst, wollten erst am 1.11. fliegen,
haben dann jedoch sehr kurzfristig auf den 1.10. umgebucht, als uns aufging, dass die Tage im Winter
immer kuerzer werden, zudem in der ersten Novemberwoche auf Winterzeit umgestellt wird, so dass es
schon um 17:00 stockdunkel ist, ausserdem die spannenden Ziele, naemlich die Nationalparks, alle hoch
in den Bergen liegen, wo es dann kalt wird.
Wir hatten uns schon vorher mit dem Thema RV (=Recreational Vehicle = Camper) auseinandergesetzt,
waren auf diversen Webseiten herumgesurft, hatten uns auf Chats mit Vermietern ausgetauscht, waren
sogar voellig sinnloserweise auf Empfehlung von Freunden beim ADAC in Stuttgart, sind aber nicht so
recht zu Potte gekommen. War alles verwirrend und ein Buch mit sieben Siegeln. Als dann unser Sohn
David und Simone von ihrem Spaetsommerurlaub auf Korfu zurueck kehrten, gaben sie uns die EmailAdresse einer Carlsson-Wagonlit-Mitarbeiterein, mit der sie sich im Urlaub angefreundet hatten, und die
selbst eben so einen Roadtrip im RV im Suedwesten der USA unternommen hatte, wie wir ihn
vorhatten. Sie war dann super-hilfreich, hat uns alles in handlichen Haeppchen vorbereitet, so dass wir
nur noch zu allem nicken und Geld ueberweisen mussten. Ihre Empfehlungen waren goldrichtig:
Roadbear als Vermieter war Klasse, das Fahrzeug toll, mit allem ausgeruestet, was wir so brauchten.
Haben viel zu viel Zeug mitgenommen, weil wir dachten, wir wuerden das alles brauchen. Haetten uns
mindesten einen von 4 Koffern sparen koennen: Bettzeug, warme Decke, Schlafsaecke, Daunenjacken,
Skihosen, die Haelfte der Pullover und Hosen, denn, erstens, war es tagsueber schoen warm (It never
rains in California!) und, zweitens, friert man im RV nachts nicht, wenn man gern unter einer Decke
steckt.
Alles in Allem ein sehr teurer Spass und sicher ein Once-in-a-lifetime-Erlebnis. Fuer die Kohle, die wir
hier fur sechs Wochen berappen, koennten wir recht komfortabel ein ganzes Jahr in Asien verbringen –
vielleicht nicht in Korea oder Japan, aber durchaus in Thailand oder auf den Philippinen. Das hat uns
sehr ueberrascht. Aber jetzt jammern wir nicht mehr, sondern freuen uns auf unser Abenteuer!
Dienstag, 4. – Donnerstag, 6.10.2016
Anreise mit der LH454, mein Jubilaeumsticket fuer 25 Jahre Betriebszugehoerigkeit. Die Purserette ist
ruehrend. Wuerdigt es entsprechend. Abflug ab STR 6:50 LT, Ankunft in SFO 12:35 mittags LT am selben
Tag. Die Immigration geht schwupp-die-wupp. Meine Sorgen, sie koennten uns nicht reinslassen, weil
Josef innerhalb der vergangenen Jahre in lauter nach amerikanischer Lesart Schurkenstaaten unterwegs
war, wegen unserer vielen arabischen Ein- und Ausreisestempel, ist voellig unbegruendet.
Der Heimatschutz arbeitet wohl mehr im Hinter- (Unter-)grund. Fahren mit dem Shuttle zur Travelodge,
einer jener vielen amerikanischen Motelketten, die es ueberall gibt und die, wie im Film, ueberall gleich
aussehen: bissel schaebig, seelenlos, Parkplatz direkt vor der Zimmertuer, Gastronomie erschoepft sich
in einem Getraenkeautomaten. Da noch lange Tageslicht ist, frage ich an der Rezeption, ob es irgendwo
in diesem Flughafen-/Hotel- und Buerohausgedoens einen Spazierweg gibt. Und, oh Wunder, es gibt
sogar so eine Art kleines Naturschutzgebiet, an einem Fluesschen entlang, der sich in die so genannte
Bay (eigentlich eine Lagune) ergiesst. Folgen dem Pfad ca 2 Meilen bis zur Bay und zurueck. Abendessen
ebenfalls in einer omnipraesenten Kette gleich nebem dem Motel: iHop. Burger im Gummibroetchen
mit Pommes und Omelette. Staple American diet! Auch alles wie im Film.
Schlafen gut, sind aber durch den Jetlag um 3:00 wach. Luemmeln bis 5:00 und gehen wieder in das
nette iHop zum Fruehstueck: Diesmal Pancakes mit maple syrup, ham and eggs und Kaffee aus der
Thermoskanne, die sie voll auf den Tisch stellen. Super Tradition, finde ich. Ist richtig was los hier. Alles
Latinos – Personal wie Gaeste. Haben unser erstes von vielen Gespraechen mit Leuten hier: Der
Oberkellner ist aus El Salvador, seit vielen Jahren hier, Trump-Gegner, wie sicherlich die meisten hier,
und ist der erste von vielen, der uns erzaehlt, dass SFO durch Silicone Valley sehr teuer geworden sei.
Hier im schaebigen Vorort bezahle er fuer ein Studio (1-Zimmer-Apartment) $1500/-.
Puenktlich um 7:00 steht der Roadbear-Shuttle vor der Tuer und bringt uns ueber die endlose Bay Bridge
(viel laenger als die Golden Gate, etwa zur gleichen Zeit gebaut, zweistoeckig) hinueber nach San
Leandro (hier sind auch Oakley und Berkeley, zwei der Ivy-League-Unis, die wir aber nicht schaffen zu
sehen). Uebernehmen den RV. Bekommen zusammen mit einem Schweizer und einem deutschen
Paerchen von einer deutschen Mitarbeiterin eine Einweisung fuer unseren 22-Fuss-RV. Starker FordTruck, der Aufbau innen sehr komfortabel, aber ein nicht besonders stabiler Korpus. Packen unsere
Koffer aus, verraeumen alles und fahren ca 13:00 los. Hatte ueber Internet einen State Park gleich um
die Ecke gefunden: Den Anthony Chabot Regional Park. Auf dem Weg halten wir am Safeway und
decken uns mit Lebensmitteln ein. Die Deutschen sind auch hier. Fahren durch Castro Valley Richtung
Park: einfache aber huebsche Holzhaeuser saeumen die Strassen, alle mit porch (Veranda) ueber einen
Teil oder die Gesamtlaenge der Vorderseite, oft RV’s im Vorgarten. Fahren an einer Highschool vorbei;
auch sehr filmreif. Finden auf dem Camp Ground unseren reservierten Platz (Platz zum Tanzen hier, wie
auf den meisten Camp Grounds um die Jahreszeit), nachdem wir vorn an der Pforte bezahlt haben,
schliessen Strom, Wasser und Abwasser an, damit wir gleich wissen, wie es geht und laufen dann noch
eine ausgiebige Runde hinunter zum See und wieder rauf: wechselnde Kleinlandschaften, am See viele
Voegel, auch Pelikane, spaeter unser erstes Mule Deer (hat grosse runde Ohren, drum der Name).
Beschliessen, morgen nicht direkt zum Yosemite zu fahren, da das Wochenende naht und der Yosemite
als Playground der Frisco-Bewohner an Wochenenden noch brechend voller ist als ohnehin schon.
Wollen also erst nach Nordosten zum Lake Tahoe und weiter in die Goldgraberstaedte, um uns dann von
Osten an den Yosemite anzupirschen. Der liegt uns irgendwie beiden im Magen, weil alle Welt dorthin
geht und wir irgendwie vor dieser Ueberfuellung zurueckschrecken. Drum schleichen wir uns
unauffaellig von hinten an.
Wieder am Platz zurueck, kommt ein Paerchen zu uns rueber: Deutsche, die gerade 5 Wochen
Nordkalifornien und Oregon hinter sich haben und uns ein paar Sachen vererben, u.A. 10 Liter
Frostschutzmittel, falls es in den Bergen so kalt wird, dass wir den RV winterfest machen muessten. Wir
laden sie zu einem Flaeschchen Wein ein. Sie erzaehlen viel. Hatten vielleicht bissel zu viel Zweisamkeit.
Josef schlaeft fast ein. Unsere 1. Nacht im RV-Bett wie in Abrahams Schoss geschlafen, und ich freue
mich heute, wie jeden weiteren Tag, dass wir, wie eine Schnecke, unser Zuhause dabei haben und in
unserer eigenen Bettwaesche schlafen und nicht in so nem seelenlosen Motel uebernachten und jeden
Tag in irgendeiner Fastfoodkette (es gibt fast nichts anderes!)essen muessen. Sind wieder um 3:00
wach, bleiben liegen, bis es um 6:00 hell wird. Josef ist gerade eben zur Toilette gegangen, da spaziert
wieder ein Mule Deer vor unserem RV vorbei! Dann laeuft noch eine Gruppe wilder Truthaehne vorbei,
die Josef offenbar sofort sehr in ihr Herz schliessen, denn als wir nach sechs Wochen an eben jenem
Platz unsere letzte Nacht verbringen, kommen sie morgens wieder vorbei stolziert und unterhalten sich
angeregt mit ihm!
Die Tuer zum Camper klemmt! Wie doof. Muessen also nochmal nach San Leandro reinfahren zu
Roadbear. Nuetzen die Chance und besorgen eine AT&T SIM-Karte, die, wie sich spaeter zeigen wird, in
weiten Teilen des so genannten Back Country, also ausserhalb der Staedte und Nationalparks, im
Geburtsland des WWW, der Heimat der Silicon Oasis, oft keinen Empfang bietet, so dass wir oft tagelang
von der Welt abgeschnitten sind.
Die Fahrt nach Lake Tahoe ist spannend, wie eigentlich in den folgenden sechs Wochen fast jede Fahrt:
Raus aus San Leandro und landeinwaerts geht es ueber eine nur mit trockenem, kurzen Gras bedeckte
Huegelkette, besetzt mit Hunderten von Windraedern wie Zinnsoldaten, dann hinunter in ein endlos
breites Tal. Erst sieht es oede und verkommen aus. Durchfahren Stockton. Die Tollroads meidend, fuehrt
uns der Navi durch aermliche Wohngebiete, durch heruntergekommene Ecken mit verwahrlost
aussehenden Leuten, die an Strassenecken herumlungern – wahrscheinlich ehemalige Arbeiter der nun
folgenden Ranches, die verdraengt wurden von billigeren Arbeitskraeften, wahrscheinlich Latinos. Jetzt
endlose Wein- und Walnussplantagen, Toreinfahrten zu den dazugehoerigen Ranches, teilweise schoene
und klassische Ranchhaeuser mit umlaufender Veranda und Schaukelstuhl. Alles herrlich klischeehaft.
Immer wieder begegnen uns riesigs Trucks, zweimal mit einem Berg Tomaten beladen (fuer Heinz
Ketchup?). Es erinnert an die Po-Ebene: Zypressen saeumen die Auffahrten, die Vegation ist mediterran.
Nun wird es huegelig. Fahren durch Jackson, die erste Goldgraeberstadt, die uns begegnet; die Main
Street bisschen touristisch hergerichtet. Vertreten uns ein wenig die Fuesse und gehen in einen Laden
mit Indianerkruschtel. Wir sind in der Naehe eines Reservates, und die Inhaberin erzaehlt uns, beim
letzten grossen Stadtbrand vor ein paar Jahren haetten die Indianer einen RV-Platz auf ihrem
Territorium in einen Zeltplatz fuer die obdachlos gewordenen Stadtbewohner umfunktioniert und sie
unentgeltlich dort wohnen lassen. Es ist noch fuenf Wochen bis zur Wahl, und Josef fragt jeden, mit dem
wir ins Gespraech kommen: „So, who will be your next President?“ Fast alle hier im Hinterland sind fuer
Trump! So auch die Dame im Laden, die meint, so schlecht, wie die Medien ihm unterstellen, sei er gar
nicht. Die Clintons seien ja so korrupt. Der Salvadorianer im iHop war gegen Trump, aber wie fast alle
Trump-Gegner, denen wir begegnen, ist Clinton fuer ihn nur das kleinere Uebel – ein wenig die Wahl
zwischen Schnupfen und Halsschmerzen – oder vielleicht doch eher zwischen Pest und Cholera. Hinter
Jackson wird es immer bergiger, die Landschaft immer dramatischer, die Autos immer groesser: riesige
Pick-ups, die wie Militaerfahrzeuge klingen. Fahren an einem Gasthaus vorbei, schaffen es aber nicht,
rechtzeitig anzuhalten – das geht nicht so von jetz auf nachher mit dem Riesengefaehrt. Sind nun schon
recht hoch oben in den Bergen; es gibt hier keine Doerfer oder Ranches, nur noch Wald um uns herum –
hier und da versteckt ein paar Haeuser, erkennbar nur an der Briefkastenbatterie an der Strasse. Beim
naechsten Lokal, „Ham’s Resthouse“, schaffen wir es, rechtzeitig anzuhalten. Es kommt gerade ein Mann
raus, ca. 60, steuert auf sein Porsche Cabrio mit offenem Dach zu. Ganz schoen kalt hier oben! Wir
plaudern nett mit ihm. Er kommt aus Minden, Nevada, nicht Westfalen, hat deutsche Vorfahren, wie so
viele hier.
Es ist ein grosser, duesterer aber atmosphaerisch spannender Saloon. Am blank geputzten Thresen sitzt
nur eine etwas traurige Gestalt, eine aeltere Frau, die am hellen Nachmittag schon reichlich knuelle ist.
Der Chef hinter’m Thresen, ca 70 – 75 Jahre alt, schaetze ich, schenkt ihr und sich Whiskey nach, wobei
er ein bisschen daneben zielt. Wir trinken 2 grosse Humpen Kaffee und politisieren ueber „Tree
Huggers“ (Umweltschuetzer), Holzwirtschaft, die unter eben diesen leide, Indianer, die frueher den
Wald gesund gehalten haben, indem sie gezielt das Unterholz abgebrannt haetten. Jetzt, da das aus
Umweltgruenden verboten sei, haetten die sogenannten wild fires richtig Futter und waeren
unkontrollierbar. Ein anderer, ebenfalls Deutschstaemmiger, der dazu kommt und sich ein After-workBeer holt, sagt, die Indianer seien immer so lange geblieben, bis sie alles verdreckt haetten, dann
haetten sie alles abgefackelt und seien weitergezogen. Naja… Aber Trump-Gegner!
Fahren weiter Richtung Lake Tahoe. Kurz davor halten wir an einem Wald-Campground im Lake Tahoe
State Park. Das Campen kostet hier nichts. An den Nordhaengen liegt Schnee. Auf dem ganzen, grossen
Platz sind nur wir und ein junger Mann mit Motorrad und Zelt, sowie eine Frau in den 40’ern in der GKlasse. Wir plaudern recht lange mit ihnen, und, wie Kathrin und Markus uns schon vorbereitet hatten,
breiten sie ganz ungeniert ihr ganzes Leben vor uns aus, einschliesslich Scheidung, etc. Sie stehen
symbolhaft fuer viele Amerikaner, die wir so kennen lernen im Laufe der Reise. Hierzulande wuerde man
sagen, sie leben in prekaeren Verhaeltnissen; dort scheint es die Norm zu sein, keinen festen Job, keinen
festen Wohnsitz und keine Sicherheit zu haben. Es scheint ihnen nichts auszumachen. Der junge Mann,
Freigeist und Indealist, arbeitet freiberuflich als so eine Art IT-Berater (auch die gibt es wie Sand am
Meer hier), was er auch vom Campground aus kann, wenn es gerade ein Internetsignal und keine
Minusgrade gibt. Nebenbei macht er Jugendarbeit fuer Kinder aus sozial schwachen Verhaeltnissen. Die
Frau hat sich irgendwo im Nordosten von ihrem Mann getrennt, oder er sich von ihr, und sie hat
beschlossen, moeglichst weit weg zu gehen, ist jetzt in ihrer G-Klasse unterwegs, in der sie auch wohnt,
und bewirbt sich in Kalifornien fuer Jobs in den Nationalparks, Ski-Gebieten, etc. Oesterreich waere
auch nicht schlecht, meint sie ploetzlich ein wenig uebergangslos, und fragt, wie es da so ist. Wir
philosophieren und politisieren; mittlerweile ist es stockdunkel. Waere es nicht so kalt, koennte man das
lange fortsetzen, aber wir haben Hunger, und es draengelt uns in den warmen RV. Sind fast versucht, sie
auf einen Drink einzuladen, aber die Befuerchtung liegt nahe, dass sie nicht mehr gehen wuerden, weil
es so affenkalt ist.
Freitag, 7. Oktober 2016
Der Jetlag wirkt noch immer. Wachen elend frueh auf; es ist mega-kalt und dunkel. Fruehstuecken,
raeumen auf und fahren los. Beim jungen Mann im Zelt ist schon Licht. Wie haelt der das aus in der
Kaelte? Als wir gerade am Lake Tahoe rauskommen, alles noch morgenstill, die Strassen leer, laeuft ein
Koyote ueber die Strasse! Lake Tahoe ist die Sommerspielwiese der Kalifornier. Der See liegt auf ueber
2000m und im Sommer ist es schoen kuehl. Lauter Hotels, Motels und Kettenrestaurants rund um den
See. Wir betanken unseren Schluckspecht – ca 25 – 28 Liter auf 100km – fuer $ 2,89 pro Gallone (4 Liter)
und moechten dann den See umwandern, finden aber irgendwie nicht den richtigen Einstieg; ist nicht so
einfach wie in D, dass es ueberall Nebenstrassen und Wege gibt. Wildes, weites Land. Am Ende finden
wir auf der Ostseite des Sees, schon in Nevada, zwar den Lake Tahoe State Park, wandern aber aus
Versehen zu einem anderen See, dem Marlette-See. Erfahren spaeter, dass von hier auf einem mit
Seewasser gespeisten hoelzernen Kanal, wie die Falaj-Kanaele im Oman, Holz herunter in die
Goldsucherstadt Virginia City transportiert wurde, mit dem die Schaechte befestigt wurden.
Sind mit zwei weiteren Damen morgens um diese Zeit die einzigen auf der Piste. Den Lake Tahoe kriegen
wir nicht zu sehen. Dafuer muessten wir weit hinauf auf den Rim Trail. Ist fuer heute zu weit, zu viel, zu
lang. Laufen dennoch 14km. Erst auf dem Rueckweg begegnen uns ein paar Leute – alle auf gemieteten
Mountain Bikes unterwegs, und zwar nur eine Strecke, zurueck werden sie gefahren. Wir sind die
einzigen, die die Strecke zu Fuss machen und ernten Bewunderung. Naja, war uns ja vorher auch nicht
recht klar! Die Wegweiser sind bissel duerftig. Um 13:00 sind wir wieder am Parkplatz; mittlerweile n
Haufen Autos, eines davon traegt als Kennzeichen „Vietnam Veteran 2“. Das ist der erste von vielen,
vielen Fahrzeugen, deren Besitzer kundtun, dass sie Kriegshelden waren. Sie lieben ihre Kriege!
Sind platt. Essen ein paar Kekse und fahren weiter ueber Carson City nach Virginia City. Ich verbinde mit
diesen Namen Cowboys, Goldsucher, Raubueberfaelle auf Zuege und John Wayne.
Hinter den bewaldeten Bergen um Lake Tahoe geht es in eine endlos breite, kahle und lange Ebene –
eigentlich ein Hochtal, eine Semi-Wueste, denn wir sind jetzt in der Sierra Nevada und immer auf ueber
2000m. Carson City, Gambling-Paradies, gesichtslos, furztrocken, mittendrin in diesem nackten
Talkessel, ist die Hauptstadt Nevadas und nach Las Vegas die groesste Stadt dieses Staates mit der
Groesse von Nuertingen, nur zersiedelter. Ganz Nevada ist 3/4 der Groesse Deutschlands und hat 2,7
Mio Einwohner, davon ein Viertel in Las Vegas. Wildes, weites und leeres Land! Wir halten uns hier
nicht auf und fahren weiter ins Goldgraeber-Bonanza: Silver City, Gold Hill und Virginia City, wo auch
tatsaechlich, Nomen est Omen, die 70’er Jahre-Serie „Bonanza“ verortet ist. Ueberall Abraumhalden und
verfallene Holzbauten aus der Goldgraeberzeit. (Nichts verrottet hier, weil es so trocken ist.), die
typischen Holzhaeuser mit der umlaufenden Veranda – teilweise sehr huebsch. Virginia City ist der
Hammer! Verblasster Goldrausch, Trottoirs aus Holzdielen, Originalfassaden aus der Wildwestzeit,
Saloons ohne Ende: im 19. Jh. gab es 150 Stueck in dieser kleinen Stadt, einschliesslich Rotlichtviertel,
um die ob ihres Knowhows aus Europa importierten Kohlebergwerkler zu unterhalten. (Es kamen auch
viele Chinesen, um nach Gold zu suchen, aber man verbot es ihnen, so dass sie nur Dienstleister fuer die
anderen sein durften: Koeche, Waescher, Bauarbeiter). Die Goldadern unter der Stadt erstreckten sich
einst ueber eine Flaeche von einer Meile Breite und drei Meilen Laenge. Aber die drei Oertchen sind mit
750 Meilen untertunnelt! Irre! Zwei davon kann man besichtigen. Fragen den Dorfsheriff nach dem Weg
dorthin und fahren dann mit dem einzigen Taxi des Dorfes, einem Golfcart, hin. Machen eine Fuehrung
mit. Der erzaehlt so schnell und so viel, dass man kaum mitkommt. Teilweise ist es vor den Haeusern
total vermuellt, aber ueberall grosse „No Trespassing“(Betreten verboten). Man wuerde es nicht
riskieren – alles Cowboys hier. Im 19. Jh. hatte die Stadt 30000 Einwohner, jetzt sind es noch 800. Alles
stramme Republikaner mit Trump/Pence-Schildern (Wahlplakate) im Vorgarten. Wir sehen kein einziges
Clinton-Plakat. Selbst wenn sie hier Anhaenger hat, wuerden die kein Plakat aufstellen aus Angst vor
Repressalienkann ich mir vorstellen.
Es gibt in diesem Dorf, wie in fast jedem, einen RV-Park, also einen Camping-Platz nur fuer Wohnmobile.
Super Lage direkt oberhalb des Sixmile Canyon mit Blick hinunter bis zu einem See. Die Waschraeume
sind gut, es gibt eine heisse Dusche, all hook-ups (Zu- und Abwasser und Strom). Die Chefin ist eine
aeltere Philippina mit ihrem Ami. Sie hat die Hosen an, er folgt. Die RV’s sind riesig! Unserer mit seinen
7m Laenge und ueber 3m Breite nimmt sich aus wie ein Smart neben zwischen lauter Touareqs. Die
Maenner fahren riesige Pickups, die Maenner sind alle gross und breit und tragen alle Jeans und
Cowboy-Hut. Herrlich hollywoody! Bin froh, dass Josef sein omanisches Kopftuch zugunsten seines
argentinischen Gauchohutes abgelegt hat. Suchen abends vergeblich nach Burger und Fries (mich
geluestet es so danach). Alles ist schon zu, weil die meisten mangels Hotels hier nur als Tagesgaeste
kommen und bei Dunkelheit verschwinden. Schlendern ein bisschen und entdecken einen schoenen
Hutladen. Der Eigentuemer ist ein junger, wirklich kultivierter Franzose, der schon seit 13 Jahren in
diesem elenden Nest lebt und es super findet. Er macht von Hand Cowboy-Huete aber auch alles
andere. Es gibt nur ein paar offene Saloons mit ein paar mega-fertigen Doerflern und zu essen nur
Hotdogs und Popcorn. In einem Saloon gaebe es Spaghetti und als Dreingabe eine Live-Elvis-Imitation.
Klingt nicht so richtig verlockend. Entscheiden uns fuer den Hotdog und landen in einem Saloon, dessen
Theke und Seitenwaende aus lauter Spielautomaten bestehen. Der Tisch ist wackelig, der Hotdog und
das Bier schlecht, aber der Hunger treibt’s rein. Neben uns spielen Leute an Daddelautomaten; eine Frau
wirkt betrunken, fast wie eine Pennerin. Aber ploetzlich dreht sie sich um und, hat ein junges,
unverbrauchtes Gesicht und ist ganz zugewandt und interessiert an uns, faengt, wenn auch etwas
lallend, eine dieser typischen Unterhaltungen an, die man hier so hat: „Where are you from, how do you
like the US, Oh, you are travelling in an RV, wow, that’s awesome!“ Und ihre ganze Biografie frei Haus als
Dreingabe. Aber irgendwann faellt sie vom Stuhl; ihr Mann kommt dazu und hilft ihr auf; es ist ihr
fuerchterlich peinlich, und er erklaert uns halb entschuldigend, dass die Drinks umsonst sind, wenn man
spielt. Eine andere aeltere Gluecksspielerin, offenbar ein alter Hase, kommt rueber und sagt troestend:
„Don’t worry, honey, you’re not the first one to hit these floor planks and definitely not the last!“ Josef
findet’s furchtbar, ich ganz unterhaltsam.
Als wir auf den RV-Platz zurueck kommen, sitzen unsere Cowboy-Nachbarn in grosser Runde zwischen
den RV’s, einer klampft und singt sehr schoen „House of the Rising Sun“. Herrlich!
Samstag, 8. Oktober 2016
Heute sind wir nach 10 Std Schlaf erst um 6:30 aufgewacht. Die Wanderung am Lake Marlette und der
Rest des Tages haben uns geschafft. Sind ca. 8:00 „on the road again“. Wollten eigentlich noch zum
Friedhof, weil der recht spannend Aufschluss darueber gibt, wer hier alles zur Goldsuche kam.
Vergessen es dann schlicht. Fahren durch den Sixmile Canyon Richtung Osten, dann wieder auf den
Highway 50. Moechten auf einem so genannten Backroad (Landstrasse) Richtung Mono Lake auf der
Nordostseite des Yosemite. Fragen an einer Tankstelle in Dayton nach der Zufahrt zur Landstrasse, aber
der junge Mann, ein Rumaene, der als Kind in die USA kam, ist erst seit einem Monat hier in der Stadt
und weiss es nicht. Sein Kollege auch nicht. Auch nicht, als wir es ihm auf der Karte zeigen (haeh?) Eine
andere Kundin hoert mit und erklaert uns, mit dem RV koennten wir die Strasse nicht nehmen, das sei
ein dirt track, eine Schotterpiste, da braeuchte man ein ATV (All Terrain Vehicle – so eine Art WuestenBuggie und gleich nach dem RV und Pickup der Backcountry-Amis = Landeier liebstes Spielzeug).
Muessen also ein Stueck zurueck nach Westen bis Carson City, dann auf den Highway 88 und 89
Richtung Sueden. Alles spannende Landschaft. Ansiedlungen wie vor hundert Jahren; man muesste es
alles filmen. Seit wir hier sind immer strahlender Sonnenschein und tagsueber schoen warm. Die Strasse
steigt hier in den Hochtaelern der Sierra Nevada teilweise bis auf 3000m. Spektakulaere, immer wieder
sich veraendernde Kleinlandschaften. Einmal biegen wir aus Versehen falsch ab, fahren in einen Weiler
aus ein paar Haeusern und Ranches bestehend, drehen, fahren zurueck zum Highway und gucken auf
die Karte. Da kommt neben uns ein grosser Pickup aus dem Weiler zum Stehen, der Cowboy macht sein
Fenster runter und fragt eher drohend als hilfsbereit: „Can I help you?“ Ich bin sicher, der hat die Knarre
neben sich liegen! Wir bedanken uns artig und trollen uns. Die leben hier immer noch in der CowboyIndianer-Zeit, wo man jederzeit mit Ueberfaellen rechnen muss.
An der Strasse endlose Rinderweiden (Josef sagt immer „Beef!“), Bachlaeufe dazwischen. Halten in
Bridgeport, einem frueheren Rastplatz fuer Kutschen und Pferde – waschechte Western-Kulisse. Kriege
endlich meinen Buerger mit Fries und Cola! Sitzen draussen an Holztischen. Der Imbiss wird betrieben
von einer bewegten Weissen, die lauter junge Latino-Schueler beschaeftigt, denen sie offenbar auf die
Fuesse hiflt, auf jeden Fall verhindert, dass sie auf der Strasse rumlungern. Sie sammelt Dosen und
Plastikflaschen zum Recyceln – eine ruehmliche Ausnahme hier im Landesinnern.
Wir fahren weiter Richtung Sueden bis zur Abfahrt Bodie, der wohl beruehmtesten „ghost town“ hier
aus der Goldrauschzeit. Sanfte Huegellandschaft links und rechts von einem gruenen Tal, riesige
Schafherden mit Schaefer und Hunden. Die asphaltierte Strasse geht in eine Piste ueber. Wir fahren ein
Stueck weit, aber unser RV vibriert, klappert und wackelt derart, dass wir umdrehen muessen. Laut
Vertrag duerfen wir keine Pisten fahren. Jetzt wissen wir, warum. Muessen also Bodie auslassen und
fahren weiter Richtung Mono Lake. Da liegt er unter uns, der groesste Kratersee der Welt. Endlose
Hochebene. Unglaubliche Fotomotive. Unten am See suchen wir nach einem Platz zum Uebernachten.
Boondocking (wildes Camping) sei hier erlaubt, sagt unser Reisefuehrer. Wir versuchen, naeher ans Ufer
zu kommen. Aber es ist das gleiche Spiel wie nach Bodie, die Piste so schlecht, dass wir umdrehen
muessen – aber erst nachdem wir die Seiten des RV tuechtig an den Bueschen links und rechts zerkratzt
haben. Josef flucht! Wir untersuchen den Schaden. Halbs so schlimm. Alles oberflaechlich und spaeter
kaum zu sehen. Halten dann auf dem Hauptweg. Weit und breit niemand und nix, nur unser heute bissel
schief stehender RV , vor uns der riesige Krater, in der Ferne links von uns das Massiv des Yosemite, auf
der anderen Seite keine Ahnung was fuer Berge.
Hinter uns ist ein kleines Taelchen mit den einzigen Baeumen weit und breit: Zitterpappeln im gluehend
gelben Herbstkostuem, wie sie uns schon seit Lake Tahoe begleiten, und wieder einer unglaublichen
Vielfalt an Nadelbaumarten. Sehen kurz vor Dunkelheit zwei Eulen auf den Baeumen unter uns.
Montag 10.Oktober 2016
Gestern nichts geschrieben. Zu kapputt. Vom Schlafplatz aus suchen wir die beruehmen Tuffsaeulen des
Mono Lake, freigelegt durch den seit Jahrzehnten stetig sinkenden Wasserspiegel des Sees, aufgrund der
zu grossen Wasserentnahme. Treffen dort ein Ehepaar, beide Lehrer, mit zwei Kindern. Er erzaehlt, dass
er als junger Mann in Hamburg gelebt und als Baseball-Trainer gearbeitet hat. Sie sind die ersten, die wir
hier treffen, denen Trump nicht nur peinlich ist, sonderen denen er sogar Angst macht. Sie sind
weggezogen aus San Francisco, weil sie die Miete nicht mehr aufbringen konnten mit ihren
Lehrergehaeltern. Da faellt uns ein „Zeit“-Artikel ein, den wir gerade gelesen haben ueber die enorm
angestiegenen Lebenshaltungskosten im Silicon Valley, darueber, dass Leute mit $ 60.000 Jahresgehalt
dort nicht mehr ohne staatliche Stuetze eine Familie ernaehren koennen. Josef laesst sich von ihm das
US-Wahlsystem mit den Wahlmaennern, dem so genannten Electoral College, erklaeren, das bewirken
kann, dass einer die Wahl gewinnt, obwohl er nicht die tatsaechliche Mehrheit der Stimmen hat (so
geschehen bei Bush Jr. und, wie wir werden erleben muessen, nun auch bei Trump).
Fahren weiter zum Mono Lake Visitor Center. Der Ranger empfiehlt uns, nicht gestern, am Samstag,
hoch ueber den Tioga-Pass in den Yosemite hoch zu fahren, weil wir keinen Platz auf dem Campground
bekommen wuerden, sondern stattdessen unten am June Lake (auf 2200 m) zu uebernachten (eine
Ausfahrt weiter in einem schoenen breitenTal) und heute, Sonntag, ganz frueh hoch zu fahren, um uns
einen Platz zu sichern. (Die Saison ist eigentlich vorbei, aber dieser Park ist so beliebt und so nah an San
Francisco, dass immer viel los ist: ueber 4 Mio Besucher pro Jahr!). So machen wir es also. Suchen auf
dem Campground am June Lake den Host und finden einen netten, kleinen Franzosen, der nicht recht
weiss, ob er die Amis moegen soll oder nicht. Seine zweite Frau war Daenin, konnte sich nicht an
Amerika gewoehnen und ging schliesslich zurueck. Er wuerde auch gern irgendwann zurueck nach
Frankreich – nicht so einfach nach 35 Jahren hier! Bekommen unser Plaetzchen; da es erst 13:00 ist,
beschliessen wir, noch eine Wanderung zu machen, ziehen uns um und laufen den Berg hoch zum
Agnew Lake und dann noch zum naechsten, dem Gem Lake, beides Stauseen auf ca 2700m. Immer
wieder wunderschoene Aussichten hinunter ins Tal, auf die Lodges und die Seen unter uns, immer
wieder die herrlich knorrigen und verrenkten Junipers, oben auf den gegenueberliegenden Gipfeln
Skilifte, die ob der herrschenden Waerme – wir laufen im Unterhemd – noch stillstehen. Am oberen See,
wo man jeden Moment Winnetou im Kayak to sehen meint, legen wir uns auf einen Felsen und doesen
ein bisschen.
Wir sind ganz allein. Treffen vielleicht 10 bis 15 andere Wanderer auf der gesamten Wanderung. Die
meisten bleiben unten in den Taelern um ihre RV’s herum. Stellen fest, dass die typischen RV-Camper
eher die konservativen sind, die Hiker und Zelt-Camper hingegen fortschrittlich und kritisch. Nach circa
5 Std. Marsch und 500 Hoehenmetern rauf und wieder runter sind wir fix und alle, essen rasch, gucken
den anderen zu – eine grosse Clique mit vielen kleinen Kindern, stehen um ihren BBQ herum und
plaudern, waehrend die Kinder auf den Asphaltwegen zwischen den RV’s mit diversen Fahrzeugen
Rennerles fahren. Wir gehen frueh ins Bett, wie eigentlich fast immer auf dieser Reise.
Heute frueh noch im Morgengrauen und ohne Fruehstueck los, um rechtzeitig ueber den Tioga-Pass
hoch in den Yosemite zu kommen und einen Stellplatz zu reservieren. Ein schier unglaubliches
Morgenlichtspektakel am Himmel in immer wechselnden Farbtoenen, von dunkelgrau bis grell orange.
Zahlen den Eintritt in den Yosemite und suchen den ersten offenen Campground. Die meisten haben
schon zu, denn es ist ja eigentlich schon Winter. Finden schliesslich einen Stellplatz am Porcupine Flat
Campground, bezahlen unsere $15 fuer die Nacht und haengen den Beleg an die dafuer vorgesehene
Holzlatte, damit alle wissen, dass der Platz reserviert ist. Es gibt keinen Camphost – hat wahrscheinlich
auch schon Winterpause. Ist ein tolles System und funktioniert. Jeder respektiert es. Es ist kalt und
dunkel hier im Wald. Alle anderen sind Zeltcamper. Die stehen frierend vor ihren rauchenden
Feuerstellen und gucken genervt auf unser Schiff (ich glaube, Zelt- und RV-Camper sind zwei
inkompatible Welten hier). Wir fruehstuecken und fahren dann zum Einstieg des Porcupine Creek Trail,
der zum North Dome fuehrt – eine Wanderung, die an einem Tag machbar ist. Ca. 11 Meilen retour. Der
erste Abschnitt ist bissel duesterer Wald ohne viel Aussicht. Dann wird der Wald lichter, zwischen den
Baeumen riesige rundgeschliffene Obelix-Hinkelsteine. Sehen viele durch Duerre und Borkenkaefer
angegriffen Baeume. Uebel! Es muss regnen und schneien; sonst ist hier bald alles kapputt. Josef
wuenscht den Leute das von Herzen… wenn wir wieder weg sind. Laufen fast eben. Treffen zwei junge
Maedchen and einer Kreuzung, als es rechts steil runter Richtung Yosemite Falls und Yosemite Valley
geht, links zum North Dome. Sie empfehlen North Dome – sei ein Augenschmaus. Machen einen kleinen
Umweg zum Indian Rock, einer bizarren Felsformation mit grossartigem Blick ueber die riesig
aufragenden Monolithen und hohen Steilhaenge ueber dem Tal. Laufen weiter zum North Dome. Der
letzte Teil der Wanderung herrlich dramatisch ueber diese glatten grauen Felsen, an hohen glatten
Waeden vorbei. Endlich sind wir auf dem North Dome. Der indianischen Sage nach waren Half Dome
und North Dome ein sich ewig streitendes Ehepaar, das die Goetter versteinert und gegenueber
voneinander aufgestellt haben, damit sie sich ewig angucken muessen. Parallel zu uns laeuft eine
Gruppe junger Amerikaner, treffen uns immer mal wieder und plaudern eine Runde. Kommen fast
gleichzeitig mit ihnen am North Dome an.
Noch drei weitere Wanderpaare sind unterwegs. Mehr treffen wir nicht in diesem eigentlich so
ueberlaufenen Nationalpark. Machen unsere Vesperpause auf dem glatten Ruecken des North Dome,
der aussieht wie ein riesiger Elefantenruecken, und haben einen grandiosen Ausblick hinunter ins Tal.
Jetzt wissen wir auch, warum hier kein Mensch ist: Die sind alle da unten im Tal. Welch ein
Rummelplatz! Dort schlaengelt sich ein Autokonvoi hindurch, und die sichtbaren Parkplaetze sind
rappelvoll mit PKW, Bussen und RV’s. Unser Reisefuehrer sagt uns, die Campgrounds unten seien
ueberlastet und schmutzig. Wir beschliessen, dass wir dort nicht hin muessen und sind ganz erleichtert
ueber unsere Entscheidung. Koennte man hier zum North Dome mit dem Auto gelangen, waere es
genau so voll. Auf der anderen Seite, auf gleicher Hoehe, ist der Glacier Point. Den kann man anfahren,
und dort ist auch viel los.
Auf dem Rueckweg und kurz vor unserem RV begegnet uns ein aelteres Ehepaar, das nach der
Pensionierung vom Nordosten der USA nach Santa Fe in Arizona gezogen ist, wie so viele der so
genannten „Snow Birds“. Er war in den 60’er Jahren in Stuttgart auf einem Deutschkurs! Fahren vom
Wanderparkplatz noch Richtung Olmsted Point auf dem Tioga Pass, einer schoenen Stelle mit Aussicht,
packen unsere Stuehle aus und machen Teepause – ein herrliches Ritual, das uns zum taeglichen
Highlight wird. Fahren zum Campground. Als Josef endlich muehsam den RV rueckwaerts auf den
Stellplatz rangiert hat – echt eng hier; alle Baeume haben Macken – kommt ein aelterer Herr von seinem
Platz rueber und fragt, ob wir reserviert haben. Als wir bestaetigen, erzaehlt er, dass viele kamen und
den Platz haben wollten. Gott sei Dank sind wir gleich im Morgengrauen hergefahren und haben
reserviert. Auch der freundliche Nachbar war in den 60’er Jahren in Deutschland, hat damals trampend
eine Rundreise gemacht. Wir fragen ihn nach einem Imbusschluessel, weil sich der Aussenspiegel auf der
Beifahrerseite immer wieder lockert und wir ihn mit unserem Leatherman-Tool nicht fest kriegen. Er hat
keinen. Er ist mit einem VW-Westfalia-Bus unterwegs, schlaeft auch drinnen. Irgendwann findet er doch
einen Schluessel und kommt nochmal rueber. Sie sind alle sehr freundlich und hilfsbereit.
Josef kocht im mega-gemuetlichen RV ein Fuenfsternemenu. Ich bin, wie jeden Abend, froh und dankbar
ueber unser fahrendes Zuhause, darf, oh Luxux, heiss duschen und Tagebuch schreiben. Es gibt
kalifornischen Chardonnay dazu. Was will man mehr??!!
Dienstag, 11. Oktober 2016
Schweinekalt heute frueh auf dem Porcupine Flat Camp Ground am Tioga Pass Road im Yosemite.
Schaelen uns erst nach 7:00 aus der warmen Decke – so spaet wie noch nie auf dieser Reise. Die ersten
Zeltcamper stehen im Halbdunkel des Waldes um ihre rauchenden Feuer. Wir beneiden sie nicht. Es sind
ca. 0⁰C oder 32⁰F. Das Baechlein nebenan ist gefroren. Ueberlegen kuschelnd, ob wir zum Olmsted Point
fahren, dem Aussichtsparkplatz am Tioga-Pass, und dort in der Sonne fruehstuecken, sind aber zu traege
und bleiben im Halbdunkel des Platzes. Als wir endlich aus dem Dunkel heraus fahren, Richtung Osten
und Tuolumne Meadows ist es schon hellichter Tag. Sind so durchgefroren, dass wir am liebsten direkt
in die Waerme des Death Valley fahren wuerden. Dort sind es wohl angenehme 25 Grad. Aber als uns
die Sonne erreicht und der RV schoen warm wir, beschliessen wir, doch noch eine Wanderung im
Yosemite zu machen. Tuolumne Canyon waere spannend und schoen, aber dann muessten wir noch
einmal in der Kaelte uebernachten. Machen dann „nur“ einen Morgenspaziergang um den Dog Lake
herum. Es ist unglaublich friedlich und still; hoeren nur den keckernden Warnruf der Streifenhoernchen,
der eventuell vorhandene Baeren oder sonstiges Wild immer so fruehzeitig ueber unsere Anwesenheit
in Kenntnis setzt, dass wir garantiert, ausser eben Streifenhoernchen, nichts zu sehen kriegen.
Es begegnen uns keine 10 Leute den ganzen Morgen. Mittlerweile stehen einige Autos hier. Wo die
wohl alle sind? Trinken dann noch einen Tee in der Sonne neben dem RV und fahren langsam raus aus
dem Yosemite. Kommen wieder auf die Nord-Sued-Verbindung vom Mono Lake Richtung Death Valley.
Halten ab und zu, machen Fotos. Fahren weiterhin durch das riesig-breite Hochtal Owen Valley, immer
an der Sierra Nevada entlang, links und rechts sowie vor uns dramatische Berge. Halten auf halbem
Wege in Bishop, mit 4000 Einwohnern die einzige groessere Ansiedlung zwischen Carson City im Norden
und Los Angeles im Sueden, also auf einer Strecke von ca 600km Luftlinie. Fahren die erste Tankstelle
an. Ist im Reservatsgebiet der Payute-Indianer; an der Kasse steht ein junger Payute mit christlichem
Namen. Auf unsere Nachfrage erklaert er uns, dass seine Eltern als Kinder von den Missionaren ins
Internat gesteckt wurden und man ihnen allen christliche Namen verpasst hat. Das hat sich dann
fortgesetzt in die naechste Generation, was nach und nach die indianischen Sprachen und Traditionen in
Vergessenheit geraten laesst. An der Tankstelle ein Pickup Truck aus den 70’er Jahren mit Feuerholz
beladen. Die Leute auch Payutes. Ein 2. Riesen-Pickup mit zwei sehr ueppigen Maedels, eine Blondine,
die andere eventuell Payute oder Latino. Sie sind total uebermuetig und keck; ich glaube, die hatten was
eingeworfen. Fahren weiter zu einem RV Ground, wo wir gegen Gebuehr dumpen und Wasser
nachtanken koennen. Die Dame an der Rezeption erklaert uns, auf meine Frage, wo sie Kleider, Moebel,
etc. einkauft, sie fahre ab und zu mit ihrem Mann nach Carson City (300km), um dort zu uebernachten
und shoppen zu gehen. Ab und zu fahre sie auch nach Los Angeles (ca 400km), aber dort halte sie es
nicht lange aus. Ansonsten wuerden sie alles online kaufen. Hier hat Online-Shopping eine ganz andere
Bedeutung als bei uns im engen Europa, wo du alle Naslang einen Supermarkt, eine Ladenzeile findest.
Unser Reisefuehrer tut Bishop Unrecht: Es ist mehr als eine letzte Einkaufs- und Tankmoeglichkeit vor
Death Valley. Es ist ein ganz nettes Staedtchen. Gehen im K-Mart und Vons einkaufen und fragen in
Letzterem, ob wir uns ueber Nacht auf den Parkplatz stellen duerfen. Klappt! Stellen uns in eine
entfernte Ecke des riesigen Parkplatzes.
Suchen dann was zu essen und finden die Mountain Rambler Brewery, eine kleine Hausbrauerei fuer so
genanntes Craft Beer, was hier gerade den grossen Boom erlebt, uns jedoch meist nicht schmeckt. Es ist
ein besseres Fastfood-Lokal fuer die vielen Kletterer, die sich hier eindecken und aufhalten, bevor sie die
Sierra Nevada unsicher machen. Schoene Stimmung hier. Lauter Junge, Alternative – ganz andere
Klientel, als das, was man hier vom Hinterland gewoehnt ist. Neben uns eine junge Familie mit zwei
Kindern und der Grossmama. Der Mann ist halb Payute, halb Ire, die Frau halb Franzoesin, halb
Amerikanerin. Plaudern ein bisschen; sie empfehlen uns, fuer ein Bierchen in echtem Ambiente in
Rusty’s Bar nebenan zu gehen. Der Barmann dort ein junger echter Einheimischer, tatsaechlich der erste
Amerikaner, den wir sprechen, der noch nie umgezogen ist. Er aeussert sich verhalten kritisch ueber die
Indianer, behauptet, sie wuerden alle von ihrem jeweiligen Stamm eine monatliche Grundsicherung
bekommen, ob sie arbeiten oder nicht. Sie genoessen einen Sonderstatus, muessten sich nicht in Allem
an die jeweiligen Gesetze des Bundesstaates halten (drum haben sie in Kalifornien auch Casinos, obwohl
Gluecksspiel verboten ist). Ein Alter, der neben uns an der Bar sitzt, norwegische Vorfahren – man sieht
es ihm an – erklaert uns ein Spiel, das im hinteren Teil der Bar aufgebaut ist. Sieht aus wie eine kleine
Bowlingbahn auf einem Tisch. Es heisst Shuffle Bord, und statt Kegeln laesst man Pucks mit Schwung
ueber die glatt polierte Holzbahn rutschen, wobei sie in mit Punkten markierten Feldern zum Stehen
kommen sollen; gleichzeitig versucht man, die Pucks der Gegner aus dem Feld zu schubsen. Heute
geben wir’s uns. Nach dem Saloon gehen wir zum Abrunden des Abendprogramms noch in das
indianische Casino, da am Stadtrand im Reservat liegt. Das Personal sind nicht etwa Payutes, sondern
auch Latinos. Plaudern mit zwei Mexikanern. Sie bekommen weniger als den gesetzlichen
Mindeststundenlohn – auch an den muessen sich die Indianer als Arbeitgeber innerhalb der Reservate
nicht halten.
Mittwoch, 12.Oktober 2016
Haben schon acht volle Tage hinter uns! Wurde heute frueh um 4:00 auf dem Parkplatz von der
Kehrmaschine geweckt, habe bis 6:00 vor mich hin gedaemmert, whatsapps beantwortet, dann Josef
aus dem Bett geschmissen. Mich draengelt’s auf die Piste. Bin jeden Tag ganz gespannt auf das, was uns
erwartet. Muss immer ganz neugierig das Rollo hinter unserem Kopf hochziehen und rausgucken, damit
ich nichts verpasse. Gehen noch im Vons einkaufen (Der ist wie unser Gebauer in Bonlanden, auch
teurer als K-mart usw., hat tolles Obst und Gemuese). Nuetzen noch die saubere Toilette; muessen mit
unserem Wasser und Abwasser haushalten – zumal jetzt, wo es ins Death Valley geht. Fahren also ein
Stueck weiter nach Sueden bis Big Pine und biegen dann auf die 168 nach Osten ab. Wollen dann ueber
die nordoestliche Ecke hinein fahren ins Valley und erst zu Scotty’s Castle. Das hat irgend so ein
gleichnamiger Verrueckter mitten in die Wueste gebaut und seinem Geldgeber, einem reichen
Industriellen, was weiss ich wie das Geld dafuer aus den Rippen geleiert und ihm sonstwas dafuer
versprochen. Es gaebe eine Route ueber Gold Point, einer kleinen Ansammlung von Haeusern, diagonal
direkt auf Scotty’s Castle zu, aber das ist eine Schotterpiste und somit nix fuer unseren RV. Fahren also
mit der Kirche um’s Dorf auf der Asphaltstrasse. Lohnt sich jedoch, weil wir einen ungeplanten
Abstecher auf den White Mountain machen. Schrauben uns hoch bis auf 3079 m. Dort oben 2000 Jahre
alte Methusalems von Pinien, Bristle Cone Pines und bizarr verdrehten Junipers. Die Pinien sehen
mitunter mausetot aus, sind es aber wohl nicht. Wir sammeln Pinienkerne auf. Haben immer wieder
grandiose Ausblicke auf die Sierre Nevada westlich von uns und die Berge um Death Valley im Osten.
Hier oben ist es noch ueppig gruen. Fahren langsam wieder hinunter und meandern gen Osten.
Unterwegs endlos viel nichts, die Huegel mediterran bewachsen; dann ploetzlich Joshua-Trees (sehen
sie hier zum ersten Mal), so eine Art hochgewachsene, vielarmige Uccah-Palme. Am Fusse der Baeume
ueberall Teddybear Cactus, auch Cholla ganannt. Skurril, malerisch. Es folgen spaeter ganze Felder von
Joshua Trees – koennen uns also den Joshua Tree National Park sparen. Laufen zwischen den Joshua
Trees rum, sammeln Samen auf. Ueberall sind Loecher im Boden, wo weiss Gott was lebt. Finden ein
totes Rind mit aufgeplatztem Bauch. Wie im Film. Fahren nach Osten bis Lida, was zwar in unserer
1:1000 000 – Karte aussieht wie eine Ortschaft, bei naeherem Hinsehen jedoch eine verlassene
Ansammlung von Baracken an einer T-Kreuzung mit einem „Zu Verkaufen“-Schild ist. Ach ja, und ein
Flughafenschild ist da noch; sehen aber keine Landebahn oder so. Auf den vergangenen 200 km sind uns
vielleicht 20 Autos begegnet, ansonsten, abgesehen von ein paar verstreuten Ranches und verlassenen
Mobile-Home-Wracks, einsame Natur. Biegen auf dem Highway nach Sueden ab. Hier ist jetzt richtig
was los: Trucks, RV’s, Pick-ups,… Wollten nun eigentlich nach Westen endlich Richtung Scotty’s Castle
und Death Valley, aber die Strasse ist aus unerfindlichen Gruenden gesperrt. Muessen weiter nach
Sueden bis Beatty und sind damit einmal halb um das Death Valley herum gefahren. Beatty ist die erste
groessere Ansiedlung nach Bishop und das Einfalltor zum Death Valley. Sind in Nevada, also gibt es
Casinos und Bars und gleich am Ortseingang das „Shady Lady“. Wohl auch Unterhaltung fuer die
Testfahrer, die hier im Death Valley fuer Daimler u.a. ihr Unwesen treiben. Ansonsten Bretterbuden von
Haeusern. Biegen endlich rechts ab zum Death Valley, durchfahren Berge wie um Shawka herum,
spaeter wie im Hajar-Gebirge im Oman, dann faellt die Strasse in Serpentinen ab, laeuft nun topfgerade
in Senken hinunter und hinauf ueber Huegel – ein Silberband in der Einoede. Ploetzlich sind die Berge
weg und da ist es: Das Tal des Todes. Endlos lang, endlos breit, karg, leer, lebensfeindlich, tot eben.
Josef ist total ueberrascht. Er hat sich eine enge Schlucht vorgestellt oder sowas. Bevor wir ganz unten
sind, fahren wir an einem Kassenautomaten vorbei, wo man eigentlich den Eintritt zum Death Valley
National Park zahlen soll, aber der Automat tut nicht. Ein wahrscheinlich chinesisches Ehepaar packt an
diesem gemuetlichen Plaetzchen, so zwischen Ticketautomat und Infotafel und bei 30 Knoten Wind
Koch- und Picknickutensilien aus. Bon apetit! Unten im Tal gibt es eine Rangerstation. Der junge Ranger
will gerade Feierabend machen und holt zum Zeichen dessen eben die Fahne ein. Jede Ranger-Station
hat eine US-Fahne, die ueber Nacht nicht draussen haengen darf. (Josef erklaert mir, sie duerfe auch
nicht im Dreck liegen und erzaehlt mir eine Geschichte, wo er als Wehrpflichtiger in einer gemeinsamen
deutsch-amerikanischen Kaserne mit einem Kumpel die US-Fahne hissen sollte und sie aus Versehen in
den Dreck gefallen ist. Oh, grosse Not!) Der junge Ranger also verkauft uns noch eine Eintrittskarte,
wundert sich vielleicht, dass wir ueberhaupt bezahlen, weil es in diesem riesigen Tal kaum
ueberpruefbar ist, raet uns, eine Jahreskarte fuer alle National Parks zu kaufen, rechnet uns sogar den
Betrag vom Yosemite an und erklaert uns, dass wir fuer National Park Camp Grounds im ganzen grossen
Land nur die Haelfte zahlen. Da lacht unser „eingeschmecktes“ Schwabenherz, und wir sind ganz stolz
auf unsere Jahreskarte. Koennten uns jetzt bis kommenden Oktober hier herum treiben – wenn nur der
RV nicht so teuer waere! Peilen den Stovepipe Wells Camp Ground an, der auf der anderen Seite des
Tales liegt, kurz bevor es wieder die Huegel nach Westen hinauf geht. Den hat ein Herr Eichbaum schon
1926 als Rastplatz gegruendet, auch die erste Strasse durch’s Tal gebaut und Wegezoll verlangt. Man
fragt sich ja, wer um Himmels Willen, da unbedingt durch wollte.
Rest Mittwoch, 12. Oktober und Donnerstag, 13. Oktober
Mittlerweile ist es 8:00 morgens, die Sonne heizt schon: es sind ca. 30 Grad. Es ist gerade Saisonbeginn
im Death Valley und fuehlt sich an wie Dubai im Fruehsommer. Auf der riesigen Schotterflaeche mit
Platz fuer ca 100 RVs sind ausser uns vielleicht noch 10 Fahrzeuge, Zelte, kleine und grosse RVs –
ansonsten leere Weite des endlos breiten Death Valley. Im Sommer fuehlt es sich bestimmt an wie die
Bateena-Ebene, der Kuestenstreifen vor den Hajar Mountains im Oman.
Eben fliegt ein Stealth Bomber mit Betankungsflugzeug ueber unsere Koepfe hinweg! Spektakulaer!
Oestlich vom Death Valley ist ein grosses Militaersperrgebiet mit Luftwaffenstuetzpunkt.
In der Naehe des Campingplatzes ist der Mosaic Canyon, benannt nach den rosafarbenen gestreiften
Felswaenden. Haben dort gestern noch einen schoenen Abendspaziergang hinein gemacht. Aehnelt sehr
den kleineren Canyons in den Hajar Mountains. Man koennte wohl ca 6 km bis zum Ende des Canyon
laufen. Ausser uns sind vielleicht noch 20 Leute unterwegs – die meisten bleiben am Canyon-Eingang.
Auf dem Rueckweg laufen wir parallel mit einer koraenischstaemmigen Familie, die vor vor vielen Jahren
nach Kanada ausgewandert ist und in Toronto lebt. Laufen nett plaudernd mit ihnen zurueck. Machen
einen kleinen Gang durch den Store am Campground. Dann kocht Arbab wieder lecker, und es gibt ein
Glaeschen Chardonnay dazu, und wir koennen zum ersten Mal draussen essen, weil es so schoen warm
ist. Herrlich!
Neben uns steht im Raodbear RV eine junge franzoesische Familie mit zwei kleinen Toechtern. Sie sind
aus Reunion, wo sie ein kleines Hotel betreiben, das sie fuer 6 Monate geschlossen haben, um mit dem
RV von New York einmal quer ueber den Kontinent nach LA zu fahren. Sie beschulen die Kinder selbst.
Die Juengere will sich gar nicht von uns loesen, freut sich ueber die Gesellschaft. Ich glaube, Kinder
finden diese Zigeunerei immer nicht so klasse.
Auf der anderen Seite in ca 50m Entfernung steht ein Autobus von RV mit angehaengtem PKW. Die
Herrschaften sitzen in Klappstuehlen vor Death Valley Kulisse und gucken US-Wahlnachrichten auf ihrem
riesigen Bildschirm, der in die Aussenwand des RV integriert ist.
Ich bin uebrigens enttaeuscht von dem wenigen Wildlife hier – also nicht expliczit hier im Death Valley,
das ja sicherlich nicht umsonst diesen Namen traegt, aber generell: haben 3 -4 mal Damwild gesehen.
Man wird staendig vor Baeren und Bergloewen gewarnt; ueberall stehen Bear Boxes, in die man bloss
alles, inklusive Kosmetikartikel, einschliessen soll, da die braunen Riesen so gute Nasen haben, dass sie
ein Deo selbst durch die geschlossenen Autoscheibe erschnuppern und eventuell das ganze Auto
demolieren, um ebendieses zu vespern. Also, wir sehen keinen einzigen (Gott sei Dank), nur „squiddels“
(Christina’s Version von squirrel – Eichhoernchen) und „beef“ (sagt Josef zu jedem Rind auf der Weide).
Am Abend:
Haben gut geschlafen auf dem riesenleeren Platz, fein gefruehstueckt und uns dann aufgemacht
Richtung Ubehebe Crater im Norden des Death Valley. Lese unterwegs in der Park-Zeitung von den
Springfluten (flash floods) im letzten Jahr. Die haben nicht nur die Strasse nach Smitty’s Castle zerstoert
(nun wissen wir auch, warum die gesperrt ist), sondern die ganze Infrastruktur dort, das Visitor Center,
die Wasserleitungen, etc. Der Ubehebe ist vor „nur“ 2000 Jahren das letzte Mal ausgebrochen –
angesichts der Jahrmillionen, in denen hier alles andere entstanden ist, nachgerade vor einem
Augenblick. Um den Hauptkrater herum sind mehrere kleine Nebenkrater. Es sieht aus wie der Mond
durch ein gutes Fernglas betrachtet: Schwarze Krater vor sandfarbenem Hintergrund, alles mausetot.
Die Schoschonen-Indianer waren schon vor 10.000 Jahren hier; sie sehen den Krater als ihren Ursprung,
von welchem aus die Goetter sie in die vier verschiedenen Himmelsrichtungen gespien haben. Vor uns
laeuft ein Ehepaar den gleichen Weg ab. Unsere Fahrzeuge auf der anderen Seite des Kraters sehen aus
wie Spielzeuge in dieser kahlen Landschaft. Wir sind hier frueh morgens die Einzigen. Spaeter kommen
noch ein paar Wenige hinzu. Nach Norden geht der Dirt Track ueber Gold Point zurueck auf die 395.
Nach Westen geht ein Track zum Racetrack Lake, einer 4-WD-Rennstrecke auf einem topfebenen
ausgetrockneten See. Dort werden wohl im Sommer auch die deutschen Testfahrer unterwegs sein.
Selbst hier oben in dieser scheinbar toten, schwarzen Basalteinoede gibt es ein bisschen Leben, wenn
man genauer hinsieht: Ueberall gibt es Erdhoehlen und bizarre Buesche mit noch bizarreren
Samenkapseln. Hier ist es wirklich bissel schade, dass wir keinen 4-WD haben, da es viele spannende
Ecken gibt, die wir nicht erreichen koennen, wie z.B. Titus Canyon, eine 12-Meilen Einbahn-Schotterpiste
von Beatty durch den Canyon hinunter ins Death Valley. Oder die Hot Springs am nordwestlichen Rand
des Parks; die muessen echt paradiesisch sein: sind entstanden, weil Besucher den heissen Bach, der
dort hindurch fliesst, mit Steinen aufgestaut und so lauter Pools geschaffen haben. Und ueber den
Racetrack Lake zu brettern, waere sicher auch mal spannend. Nun ja, unser Klapper-RV hat schon
bedenklich geaechzt, als wir nur zum Parklplatz des Mosaic Canyon gefahren sind, und das war eine
recht eben gefahrene Piste.
Nachdem wir die Krater hinreichend umrundet haben, fahren wir wieder Richtung Sueden, bleiben am
Mesquite Springs Campground, an einem Wadibett („wash“) gelegen, ueber Nacht. Hier gibt es Platz
fuer ca 50 Camper. Sind zu dritt plus ein Zelt. Die Toiletten sind, wir fast ueberall, blitzesauber. Koennen
sogar Frischwasser nachtanken und Abwasser dumpen hier in dieser Einoede. Zahlen am Automaten
dank unserer Super-Jahreskarte nur $6 fuer’s Campen und freuen uns. Setzen uns ein Weilchen in
unsere Campingstuehle und lesen. Unsere Nachbarn sind die Kraterumrunder und stehen ca 100m
weiter. Ueber Platzmangel kann man hier nicht klagen. Machen noch einen Wadi-Spaziergang; sehen
Hasen – gross, braun, endlose Ohren, Spuren von Wuestenrennmaeusen, von Echsen, und (!)
Katzenspuren, denken wir. Grooosse Katzenspuren, gross wie Hundepfoten aber keine Krallen.
Wahrscheinlich nach dem letzten grossen Regen in den weichen Schlamm gedrueckt. Vielleicht ein
Bergloewe? Josef findet vielfarbige Steine und den voellig verdorrten Ast eines Teddybear Cactus. Sieht
spannend aus, filigran, wie ein kunstvolle Schnitzerei. Besuchen noch unsere Nachbarn, halten ein
Schwaetzchen, bekommen, wie immer, wertvolle Tips. Sie haben ein Foto von uns vom
gegenueberliegenden Kraterrand aus gemacht und werden es uns mailen. Geben uns Karten von Utah
und Arizona mit. Josef kocht schon wieder mega-lecker. Vorspeise: Gruenfutter und Bier, Hauptspeise:
Cheeseburger, all home-made, auf in der Pfanne geroestetem Mehrkornbrot!! Super gutes neues
Rezept!
Muss im Dunkeln noch einmal zur Toilette. Josef begleitet mich. Er verschwindet in der Herrentoilette.
Vor der Tuer zur Damentiolette sitzt ein Stinktier, stiert mich unverwandt und keine Spur aengstlich an
und zuckt bedrohlich mit dem Schwanz. Also habe ich Angst und rufe panisch nach Josef. Er kommt und
rettet mich, bewacht das Maennerklo, waerend ich dorthin gehe. Das Stinktier hat sich da nur
aufgebaut, weil ich mich gestern ueber den Mangel an Wildlife beklagt hab!
Las Vegas, Samstag, 15.10.2016
Was ein Kontrastprogramm! Bin gerade ueberfordert. Vorletzte Nacht am Mesquite Spring waren wir
fast allein. Gestern die Hauptsehenswuerdigkeiten des Death Valley abgearbeitet, nachdem wir erst
morgens im zentralen Dorf, Furnace Creek, einen Platz auf dem jetzt noch gaehnend leeren Campground
reserviert haben. Hier faengt die Saison, wie gesagt, erst an. Nachdem sie im Yosemite praktisch hinter
uns fuer die Winterpause abgeschlossen haben, geht hier ab morgen der Punk ab und man kann nur
noch mit Vorreservierung einen Platz bekommen. Irgendwie ist unser Timing gut. Ueberall haengen
schon die roten Reservierungszettel fuer morgen. Hier jetzt ueberhaupt ueberall deutlich mehr Leute
als gestern. Alle Hauptattraktionen sind mit dem Auto zu erreichen! Die haben extra Strassen gebaut,
damit man ja keinen Schritt zu Fuss gehen muss. Selbst im schmalen Gold Canyon sind noch Reste eine
Asphaltdecke zu sehen, die Gott sei Dank irgendwann man eine Springflut mitgenommen hat, so dass
man jetzt nur noch zu Fuss hinein kommt. Wir wandern ihn hinauf bis zur so genannten Red Cathedral,
einer im Halbrund angeordneten hohen, fast dunkelroten Sandsteinformation, die aussieht wie
Orgelpfeifen. Auf dem Weg dorthin erst in allen Schattierungen sanfte runde Huegel, weiter oben sich
verengend zum Canyon. Alles sehr huebsch, aber fuer uns Oman-Verwoehnte maessig spektakulaer.
Komme dann auch drauf, was fehlt: Das Wasser am Ende der Wanderung, die schoenen Pools als
Belohnung, oder wenigsten ein paar Falaj. Besonders hier im Death Valley wird meiner Ansicht nach viel
Laerm um nicht viel gemacht. Vor 160 Jahren hat hier mal ein Unternehmer ca 5 Jahre lang von
chinesischen Gastarbeitern (die eigentlich hierher gekommen waren, um sich am Gold zu berauschen,
denen das Schuerfrecht jedoch verweigert wurde) Borax, ein als Medikament verwendetes Mineral von
den Salzflaechen gekratzt, auf eine Wagenkolonne aufgeladen und mit einem Zug von 20 Mulis aus dem
Canyon karren lassen. Mangels echter Geschichte, bzw. der Weigerung die reiche, 10.000 Jahre alte
indianische Geschichte entsprechend aufzuarbeiten, hat man diese kurzen drei Jahren vor 160 Jahren zu
einem historischen Kulturgut mitsamt Freilichtmuseum aufgeblasen. Als besagter Unternehmer merkte,
dass mit dem Borax kein Geld zu verdienen ist, hat er sich ueberlegt, dass man Touristen von der Kueste
herkarren koennte, um ihnen diese tote Landschaft zu zeigen. Man verjagte kurzerhand die Indianer und
schuf Furnace Creek mitsamt Hotel, baute ein paar Strassen, gab den Felsformationen schillernde
Namen, fuhr die Damen und Herren hindurch und verlangte saftig Geld dafuer.
Wir arbeiten pflichtgetreu das Programm ab, einschliesslich dem Artists‘ Drive, einem Straesschen, das
einer huebsch-bunten Gesteinsformation vorbei fuehrt. Dort machen wir eine Kaffeepause. Wir
bewegen uns immer parallel mit einem Strom von Death Valley Besuchern, die immer entweder kurz vor
oder kurz nach uns an den jeweiligen Aussichtspunkten eintreffen. Der letzte Programmpunkt ist
Zabriskie Point, wieder eine grandiose Aussicht auf die endlose, teilweise vielfarbige SandsteinLeblosigkeit. Alle knipsen pflichtschuldig. Auf dem Weg zurueck zum Furnace Creek Campground halten
wir am winzigen Indianerreservat, das aussieht wie ein leicht verwahrloster Weiler. An der Strasse vorn
gibt es ein Hinweisschild auf „Indian Tacos“, aber es verirrt sich kaum jemand hierher. Das Admin-Buero
des Reservates hat schon geschlossen, aber es gibt so eine Art Cafe. Dort sprechen wir mit einer jungen
Payute-Schoschonin, der erste Kontakt zu einer Indianerin seit jenem jungen Mann an der Tankstelle in
Bishop. Sie spricht ueber Vertreibung und Unterdrueckung, als sei es gestern gewesen – eine Erfahrung,
die wir immer wieder machen. Als Beispiel erzaehlt sie uns vom Reservat Standing Rock in einem der
Dakotas, wo ein Oelfirmenkongolmerat eine Pipeline hundurch bauen will, obwohl hier erstens heilige
Staetten der Indianer sind und zweitens ein wichtiger Fluss droht verseucht zu werden. Indianer aller
Staemme, auch aus Mittel- und Suedamerika, haben sich dort eingefunden und ein Protestcamp erbaut,
um den Bau zu verhindern. Diese Ereignisse begleiten und unsere ganze Reise hindurch, und als wir
wieder in D sind, kommt es endlich auch in den deutschen Nachrichten, nach ein paar Tagen sogar die
Meldung, dass der Bau einstweilen abgenwendet ist; ist die Frage, ob sich auch der neue Praesident
Trump daran haelt, nachdem er selbst Anteile am Pipelinebau besitzt!
Einst gerhoerte den Payutes alles hier im Death Valley – wenn man es beziffern wollte: 10 Mio Acres. Die
Weissen haben sie vor 100 Jahren vertrieben und ihnen dann vor 30 Jahren grosszuegig 7000 Acres
zurueck gegeben, ihnen jedoch das Wasser genommen, um das Furnace Creek Inn, den Golfplatz
(braucht man ganz dringend hier in dieser wasserarmen Wueste) und den Campground mit Wasser zu
versorgen. So schrumpft das kleine Reservat immer weiter, weil es keine Lebensgrundlage gibt.
Wir fragen sie, wen sie waehlen wird. Ihr Antwort: „The Elders will tell us.“ Und tatsaechlich lesen wir
spaeter in einer indianischen Zeitung, dass „The Elders“ sich fuer Clinton entschieden haben, das von
Trump nicht zu erwarten ist, dass er die Interessen der Indianer schuetzt. Sie sagt, es gaebe noch 120
Volksstaemme („Nations“), spaeter spricht einer von tausenden. Uns sind im Weiler viel gefaellte
Baeume aufgefallen; die junge Frau erklaert uns, das seien Tamarinden, die hier Pionierbaeume sind und
zuviel Grundwasser verbrauchen. Oberhalb vom Furnace Creek Inn wurde eine „Inverted Osmosis Water
Plant“ gebaut, die das ganze Wasser vom hauptsaechlich unterirdisch verlaufenden Amargosa River
abzieht, der wiederum vorher rund ums Jahr fuer die Indianer die Wasserversorgung sicherte. Es leben
nur noch 25 Familien hier, Tendenz schrumpfend, da keine Kinder hier sind. Es stimmt uebrigens nicht,
was uns der junge weisse Barkeeper in Bishop erzaehlt hatte, dass die Indianer von ihren jeweiligen
Staemmen eine Grundsicherung erhalten. Die Staemme bekommen von der Regierung in Washington
gewisse Betraege, mit denen sie versuchen, die Kultur am Leben zu erhalten und Wirtschaftsbetriebe
subventionieren und somit Arbeitsplaetze schaffen. Wenn jemand jedoch die Arbeitsangebote nicht
annimmt, bekommt er auch kein Geld.
Fahren zum Campground zurueck, der jetzt deutlich voller ist. Stellen vorsichtshalber unsere
Campingstuehle auf unseren Stellplatz und fahren nochmal nach Furnace Creek Village. Es gibt einen
General Store, der zwar ein paar Lebensmittel zu Apothekenpreisen, ansonsten aber nur Touri-Quatsch
verkauft. Wir gehen in den Saloon und bestellen ein Widmer-Hefeweizen aus Colorado. Ein junger Mann
neben uns, der aussieht wie ein indischer Inder (der Norweger in Bishop hat sie „Dot Indians“ genannt),
versucht krampfhaft, mit den Leuten um die Theke herum ins Gespraech zu kommen, droehnt cool, bierschwipsig und macht ein auf weiss-amerikanisch. Keiner mag so recht. Am Ende wendet er sich an uns.
Wir fragen ihn, wo er herkommt: aus dem Reservat nebenan. Seine Mutter, Paiute-Schoschonin, ist
gestorben als er zwei Jahr alt war, seinen deutschen Vater kennt er nicht. Ploetzlich ist er ernst, sachlich,
nuechtern und ganz bei der Sache, erzaehlt uns seine Lebensgeschichte, steht uns Rede und Antwort zu
all unseren Fragen. Er ist bei Tante und Onkel aufgewachsen. Sein indianischer Name ist „Run“, weil er
weder hier noch da richtig dazu gehoert, ueberall davon laeuft, so seine Interpretation. Aber er hatte
Glueck, hat gleich nebenan auf dem Golfplatz einen relativ guten Job – angeblich stellvertretender Chef.
Auch bei diesem Gespraech sind Vertreibung und Unterdrueckung praesent. Er sagt, es gaebe Tausende
von Staemmen, frueher hunderte von Millionen Indianer. (Laut Wikipedia gibt es um die 600 Staemme
in den USA einschliesslich Alaska mit etwa 5,2 Mio Menschen; in Mittelamerika und Kanada sind es noch
einmal soviele.).
Irre ist, dass um die 3 Jahre Borax-Abbau soviel Laerm gemacht, das Ganze zum grossen
Geschichtskapitel aufgeblasen wird, waehrend 10.000 Jahre Indianergeschichte noch nicht einmal ein
Denkmal oder wenigstens einen sogenannten „Historic Marker“ wert sind, eine jener Infotafeln, die
ueberall im Land verteilt auftauchen. Alle indianischen geografischen Namen wurden in
angelsaechsische umbenannt, analog zur Israelisierung Palaestinas, wo auch systematisch alles
Arabische mit hebraeischen Namen ersetzt wurde.
Haben allmaehlich genug vom Death Valley; mir ist es zu tot, gleissend und heiss, erinnert an Masira
Island, mein Oman-Trauma – nur bergiger. Beschliessen, nach dem Fruehstueck nach Las Vegas
weiterzufahren. Habe eine schlaflose Nacht, es ist heiss und windig, der ganze Aufbau klappert. Fahren
knapp zwei Stunden durch die Berge um Death Valley herum nach Osten. Als wir eben aus den Bergen
kommen, halten wir an einer Tankstelle in Pahrump einem Vorort von Vegas, das man unten in der
flachen Ebene in der Sonne schon schimmern sieht. Josef tankt, und ich laufe hinueber zu ein paar
Staenden mit Flohmarkttand, plaudere mit einem Ehepaar, die da ihren Kram feilbieten. Wieder zwei
typische Biografien: Irgendwie alles recht wurzellose Gesellen hier im Wilden Westen, ziehen kreuz und
quer durch die Staaten, leben mal hier ein paar Jahre, mal da, wovon, kann man nicht recht ergruenden.
Er hat wohl Silberschmuck gefertigt, besonders fette Ringe und Guertelschnallen mit Totenkoepfen und
dergleichen fuer grosse, starke Rocker. Aber nun hat er seit Jahren Krebs und schlaegt sich irgendwie
durch. Vegas ist ausserlich in vielerlei Hinsicht eine 1:1-Kopie von Dubai, oder umgekehrt. Habe den
Verdacht, Sheikh Mohammad war oefter zum Zocken hier und hat dann seinen Beratern gezeigt, was er
von alldem gern haette. Die „Gated communities“ sehen alle aus wie Arabian Ranches (ausser, dass
wirklich alles aus Holz gebaut wird!) und haben aehnlich wohlklingende Namen, die Wasserspiele auf
dem Strip wie die am Burj Khalifa, die Hochhaeuser wie die um Marina herum. Fahren mit unserem
Riesengefaehrt mitten in die Stadt und ueber den Strip, der eigentlich Las Vegas Boulevard heisst, wo
sich ein Casino-Hotel an das andere reiht, die aelteren im Disney-Stil, irgend etwas imitierend, mal
Treasure Island, mal Venedig, mal viel undefinierbares, kitschiges Bunt, die neueren einfach
Bettentuerme. Finden einen Stellplatz auf einem asphaltierten RV-Platz gleich hintern dem Circus Circus,
einem der aelteren Casinos.
Sind also mitten drin im Gewuehl. Es ist heiss! Verstecken uns im RV zu Nickerchen und Tee und
schalten zum ersten und einzigen Mal die AC ein. Es ist seit Pahrump stuermisch. Der ganze RV wackelt
und die endlos langen Washingtonia-Palmen werden fuerchterlich gezaust.
Sonntag, 16. Oktober 2016
Trauen uns gestern erst ca 16:00 hinaus, als die Sonne schon ein bisschen tiefer steht. Laufen durch
Lobby und Casino des Circus Circus hindurch zum Strip. Das Casino ist riesig und brechend voll. Die
Klientel eher Leute, die ihr Familiengeld nicht hier auf den Kopf hauen sollten. Aber Vegas ist ein
beliebtes Ziel, auch mit Familie, weil die Hotels wohl spottbillig sind: Man lockt die Leute mit billigen
Betten, billigem Alkohol und Essen und hofft, dass sie zocken bis zum Pleitetod. Das Businessmodell
scheint zu funktionieren. Haben uns fuer die Stadt anstandshalber eine lange Hose und ein ordentliches
Hemd angezogen. War vollkommen unnoetig. Einen Dresscode gibt es hier nicht. Kurze Hosen,
Jogginghosen, Gummischlappen oder einfach fast gar nichts – alles ist vertreten. Kaufen uns fuer den
Strip-Shuttle, einem Bus, der nur diese 4-km-Amuesiermeile rauf und runter faehrt, ein 24-std-Ticket,
falls wir schwaecheln, und laufen los den Strip hinauf Richtung. Es herrscht ueberall Voelkerwanderung.
Wir arbeiten uns von einem Hotel/Casino zum naechsten. Es ist innen ueberall dasselbe Bild: Riesige
Hallen mit niedrigen Decken und plueschigem Teppichboden, voller Spieltische und Automatenmeilen
und einer irren Geraeuschkulisse. Nur die Aussendeko wechselt. Zwischen dem Flamingo und The Linq
essen wir bei einem Mexikaner. Alles, alles is voll. Bei den beliebteren Restaurants (u.A. eine
Burgerbude, deren Chef-Burger-Brater wohl aus dem Fernsehen bekannt ist) Wartezeiten bis zu einer
Stunde. Wir haben Glueck, dass wir ueberhaupt einen Tisch bekommen. Nach dem Essen laufen wir
weiter, zuerst zum Venetian, wo sie wirklich den San Marco samt Kanaelen nachgebaute haben. Die
Gondoleres, teilweise Frauen mit ihren blonden Haaren, sind bissel verfehlt. Es ist offenbar Mode, hier
zu heiraten, denn ueberall stehen Frischvermaehlte rum und lassen sich ablichten. Der Strip ist offenbar
der Ballermann der Amerikaner. Hier, aber auch nur hier direkt auf dem Strip, darf man all das tun, was
man im restlichen Amerika nicht darf: fast nackt herumlaufen, offen Alkohol trinken und in den Casinos
rauchen. Die Fuenfsternehotels hier erinnern sehr an die in Dubai – nur, dass es dort im Erdgeschoss
keine Casinos gibt und die Suenden ueberhaupt besser cachiert werden. So ist die Rafflespyramide 1:1
vom Luxor in Vegas abgekupfert, samt dem ganzen aegyptischen Dekor. Auch was die Anzahl an StretchLimousinen angeht, kann Dubai es mit Vegas aufnehmen. Die Pappnase Trump hat hier auch einen
Turm, guelden von oben bis unten, aber nicht direkt auf dem Strip und auch noch hinter einem riesigen
Stueck eingezaeunten Brachlandes, das wohl irgendwann eine Shopping Mall werden soll, und ist daher
wohl eher nicht so frequentiert, ausser am Wahlabend, nachdem sein Sieg verkuendet wurde, wie wir
spaeter hoeren. Da ist ihnen wohl im Trump Tower das Bier ausgegangen. Je laenger wir dem Treiben
zuschauen, desto furchtbarer finden wir es. Nicht nur ist Las Vegas eine oekologische Katastrophe mit
seinem irrsinnnigen Strom- und Wasserverbrauch in dieser Wueste, es entzieht auch vielen, vielen
Menschen viel, viel Geld, das die meisten von ihnen gewiss nicht uebrig haben. Da ist viel Unterschicht
dabei – viel mehr als Reiche.
Den Rueckweg machen wir mit dem Bus. Sind voellig platt nach sechs Stunden des Herumlaufens, ob der
vielen Menschen, des Krachs der Kasinos, der Sauferei allerortens, der kunterbunt-grellen
Festbeleuchtung. Brauchen mit dem Buss beinahe laenger als zu Fuss. Es ist mittlerweile 22:00, und der
Strip ist voellig verstopft – Saturday Night Fever. Fallen voellig erschlagen ins Bett. Als wir aufwachen, ist
es noch immer stuermisch. Wir machen uns auf zum Hoover Dam, der den Colorado River und diverse
Zu- und Nebenfluesse zum Lake Mead aufstaut. 22% seines Wassers gehen nach Las Vegas. Von den
Turbinen des Hoover Dam sei Las Vegas abgekoppelt, erklaert uns spaeter jemand; es produziere ueber
Solarzellen auf den Hoteldaechern seinen eigenen Strom. Das restliche Wasser, sowie der Strom gehen
nach Kalifornien, das der Gemuese- und Obstgarten der USA ist – voellig widersinnig in dieser
Dauerduerre! Entsprechend sieht auch Lake Mead aus. Wie vorher schon der Mono Lake ist auch hier
der Wasserspiegel durch Uebernutzung und Schneemangel der vergangenen Jahre drastisch gefallen. Er
steht jetzt gerade noch 10m ueber einer kritischen Marke, unterhalb derer die Turbinen nicht mehr
arbeiten koennten und abgeschaltet werden muessten. Laufen ueber die Bruecke oberhalb des riesigen
Staudamms. Man kann ihn wohl von innen mit Fuehrung besichtigen, aber wir sind nicht so
technikbegeistert und wollen uns lieber mehr Zeit lassen, um den See herum zur Valley of Fire zu fahren,
einem „kleinen“ Nevada Statepark, der so eine Art Naherholungsgebiet fuer Las Vegas ist und in
unserem Reisefuehrer waermstens empfohlen wird wegen seiner wunderschoenen Sandsteine. Es ist
wieder einmal eine deutlich laengere Fahrt als angenommen; wir kommen noch nicht zurecht mit den
Dimensionen in diesem Land, obwohl uns Karte und Navi doch immer genau Auskunft geben – glauben
es einfach nicht, glaube, ich. Was einst die Lake Mead Uferstrasse war, ist jetzt Meilen vom Ufer
entfernt, weil der See so geschrumpft ist. Campingplaetze, Motels und Marinas liegen auf dem
Trockenen, und die Slipways fuer die Boote werden von Jahr zu Jahr laenger.
Valley of Fire haelt, was es verspricht! Wunderschoene rote, gelbe, orange-farbene und weisse
Sandsteinformationen in einem riesigen Talbecken, Schluchten bildend und kompakt.
Wir laufen an 4000 Jahre alten Felsmalereien vorbei; auch hier wurden die Native Americans vertrieben,
was im Visitor Center ausnahmsweise auch dokumentiert ist. Der Campground, Arch, ist mitten im
Sandstein-Minigebirge. Wunderschoen! Fahren kurz vor Sonnenuntergang noch einmal los, nachdem wir
unseren Platz gesichert haben, und geniessen das wunderschoene Licht, in dem die Sandsteine leuchten
wir Feuer – drum wohl Valley of Fire.
Bin zum 12. Mal froh, dass wir unser Zuhause, wie eine Schnecke, dabei haben. Sind bisher ca 1200
Meilen gefahren, also ca ein Drittel der gebuchten Meilen. Es stuermt noch immer; alle paar Minuten
verschuettelt eine Boee den RV.
Montag, 17. Ocktober 2016
Habe die ganze mega-stuermische Nacht den RV bewacht, weil ich dachte, jetzt fliegt gleich der gesamte
Aufbau mitsamt unserem Bett und uns, zumindest aber das Dach davon. Konnt erst einschlafen, als
Josef mir im Halbschlaf beruhigend sagte, die RV’s seien bei Fahrtempo 100 noch ganz anderen Kraeften
ausgesetzt. Beschliessen, noch einen Tag und eine weitere Nacht zu bleiben, weil der Sturm abklingt.
Fahren noch einmal zum Visitor Center, um nach der Wettervorhersage zu fragen. Heute und heute
Nacht solle es ruhig werden und bleiben, morgen wieder stuermisch werden. Vor dem Visitor Center
verweilt sich eine Gruppe Bighorn Sheep und eine Fasanfamilie damit, bei jedem Auto und Fussgaenger
erschrocken auseinander zu stieben, die Steinboecke staksend und mit ihren Hufen klappernd, die
Fasane schimpfend, um sich dann gleich wieder neugierig anzupirschen. Auf dem Parkplatz steht ein
aelteres Wohnmobil mit Muenster-Kennzeichen, wie Ruth und Juergen, unsere World Traveller Kumpels
aus Dubai (Tanjas kaffeekredenzender Maeuchelmoerder vom Oman). Josef spuert sie im Visitor Center
auf, ein junges Paar mit kleinem Kind, das fuenf Jahre lang darauf hin gespart hat, jetzt fuer 1,5 Jahre
ganz Nord- und Suedamerika zu bereisen. Sie kennen Ruth und Juergen nicht; ist auch ne andere
Altersgruppe.
Wir klappern heute alle wichtigen Trails ab, einschliesslich Wave of Fire, die die Autoren unseres
Reisefuehrers entdeckt haben. Sieht aus wie uebereinander gelegte Bacon-Scheiben oder Wagyu-Beef.
Die Farben hier sind der Hammer, das Wetter unglaublich klar. Auf einem der Trails treffen wir zwei
Maenner, die gar nicht aussehen wie die typischen Wanderer, eher wie die Fastfood-Takeaway-Kunden
amerikanischer Grossstaedte. Einer ist ca. 55, der andere vielleicht 30. Sie sind Freunde, der eine lebt in
Pittsburg, wo sie sich mal eine Wohnung geteilt haben, der andere in Colorado. Sie verabreden sich
mehrmals im Jahr. Sind beide Handwerker – learning by doing – und wirken wie einfache Leute, und doch
sind sie in dem sich anschliessenden Gespraech, mitten in dieser unglaublichen Kulisse von grellroten
Felsen und einem Himmel von einem schier unglaublichen Blau, sehr politisiert, bringen fundierte
Argumente vor, wirken mitunter intellektuell. Der Aeltere sagt, er sei ein Cousin Jimmy Carters, hat aber
nicht viel von dessen Ruhm. Sei sind eigentlich Demokraten, in ihrer Argumentation teilweise richtig
sozialistisch, aber, wie so viele hier, sind sie tief enttaeuscht vom und sehr misstrauisch gegenueber dem
politischen Establishment. Clinton und Trump seien beide keine gute Option, dennoch werde der Aeltere
Trump waehlen, weil er auf Veraenderung hofft. Entweder schaffe Trump der Turn-around oder sein
Cowboy-Raubtier-Kapitalismus wuerde die Lage so schnell eskalieren lassen, dass alles explodiert. Mit
Clinton waere es nochmal mehr vom selben, keine Ueberraschungen, keine Veraenderungen. Sie
wettern immer wieder ueber die Sozialschmarotzer und Obamacare-Versicherte, die zu faul seien zu
arbeiten und mit dem bestehenden System zum Nichtstun animiert wuerden. Nun, das hoert man auch
hier von Leuten, die noch nie auf Harz IV angewiesen waren und nicht wissen, wie es sich anfuehlt.
Sind um 17:00 wieder am Arch Campground, der jetzt beinahe voll ist.
Dienstag, 18. Oktober 2016
Habe richtig herrlich geschlafen, es war eine komplett windstille Nacht. Stille ueberall zum ersten Mal.
Gestern nach Mondaufgang sind wir noch einmal raus mit der Taschenlampe. Sind eben ueber die
Strasse und ein kleines Stueck in Gestruepp gelaufen, da hoere ich etwas knistern und rascheln und
leuchte mit der Taschenlampe hin. Es ist ein Kitfox, nicht viel groesser als unsere Katze Lotta, aber mit
einem langen, buschigen Schwanz versehen. Er hat keine Angst, streift um uns herum, so dass eher wir
vor ihm Angst haben. Er schlendert ganz entspannt ueber die Strasse und hinueber zum Campground,
wo er sicherlich an die Menschen gewoehnt ist und weiss, dass es dort vielleicht etwas abzustauben
gibt.
Es ist morgens um 8:00, und wir machen uns auf Richtung Zion National Park. Ich freue mich! Jetzt wird
es spannend. Alles war spannend bisher, aber ich habe das Gefuehl, dass es da noch eine Steigerung
gibt. Halten noch einmal kurz am Visitor Center. Dahinter sind viele Voegel und kleine White-tailed
Ground Squirrels – huebsche, hektische kleine Wesen.Heute sind keine Bighorns unterwegs. Wir fahren
zwei Stunden lang auf der Interstate 15 durch eine riesige, weite Ebene ohne jegliche Ansiedelung. Links
und rechts in der Ferne Bergketten. Wir halten in der letzten Stadt Nevadas, Mesquite, an, um uns noch
mit Lebensmitteln einzudecken. Auch Wein und Bier nehmen wir von hier mit, denn nach einem kleinen
Schlenker durch Arizona sind wir in Utah, wo es angeblich nur in Bars und Restaurants zu trinken gibt.
Utahs Bevoelkerung von 2,4 Mio Einwohnern (bei 2/3 der Flaeche Deutschlands!) ist zu 60%
mormonisch, Tendenz steigend, man soll es nicht glauben. Weltweit gibt es 5 Mio Mormonen, was wohl
auch ein grosser Zuwachs ist. Halten in St. Georg am Visitor Center, holen ein paar Karten, ueberlegen
kurz, ob wir uns den Mormonentempel anschauen, aber er sieht aus wie eine Kirche, lassen es also.
Uebrigens heissen die Mormonen nicht mehr Mormonen, sondern Church of the Latter Day Saints. Es
sieht hier alles sehr ordentlich und wohlhabend aus. Ob das an der strengen mormonischen Moral liegt?
Josef hat Lust, auf dem Weg zum Zion noch im Snow Canyon zu uebernachten, aber mich draengelt’s
dorthin. Kommen nach Springdale, dem Staedtchen, das den Westzugang zum Zion bildet. Es erinnert an
einen Wintersportort – nur bisher ohne Schnee dieses Jahr. Es gibt viele nette Cafes und Kneipen, was
ganz und gar untypisch ist fuer den Wilden Westen. Der erste Campground gehoert zum Quality Inn und
ist mit $50 richtig teuer. Aber die weiter drinnen, die zum National Park gehoeren, sind alle voll. Also
kehren wir zurueck zum teuren, mieten uns ein, haengen alle Schlaeuche an und fahren mit dem
kostenfreien Shuttle in den Park hinein, was mit dem RV beinahe unmoeglich ist, denn es gibt nur 2
Strassen: die eine nur fuer die Shuttle-Busse, die in einer Sackgasse endet, von wo aus man laufen kann
bis zum Umfallen; die andere, die durch einen Tunnel und auf die Ostseite des Parks fuehrt – einem
Tunnel, der so schmal ist, dass sie fuer RV’s den Gegenverkehr stoppen muessen; ausserdem gibt es dort
offenbar ganz wenige Parkplaetze, so dass man kaum anhalten kann. Fahren also mit dem Shuttle bis
zur Endstation; die Fahrerin ist mindestens 70, zunaechst ein bisschen stur, aber nachher taut sie auf
und erzaehlt bereitwillig ganz viel, schliesslich dann ueber Mikro, damit alle davon profitieren. Sehen
einen Hirsch mit Geweih. Es sind viele Leute unterwegs. Es ist schon 16:00, aber wir haben eine Stunde
mehr Tageslicht als in Nevada, weil wir in einer anderen Zeitzone sind. Klasse! Fahren durch diesen hier
noch relativ breiten, wunderschoenen und wirklich ueberraschend gruenen Canyon mit den steil
aufragenden imposanten Waenden links und rechts, unten rot, oben weiss, mindestens 600m hoch. Als
wir aus dem Bus steigen und ich diese grossartige Erhabenheit richtig mit den Augen fassen kann, bin ich
richtig ergriffen. Hier, am Ende der Busstrecke, verengt sich der Canyon stark; hier geht ein Trail los,
dessen ersten Meile zum rollstuhltauglichen Betonweg ausgebaut ist. Mit uns im Bus ist ein Ehepaar mit
einem ganz kleinen Hund, fuer den sie, man soll es nicht glauben, einen Babybuggy dabei haben, in den
sie ihn setzen als sie aussteigen! Auf dem Betonweg kommen uns alle mit nassen Hosen und Schuhen
entgegen, denn am Ende des Trails geht der unbefestige Teil durch die „Narrows“, den man allerdings
nicht trockenen Fusses machen kann. Man kann diese Wanderung zweitaegig auslegen – der Trail ist
endlos. Es ist jetzt zu spaet, zu kalt und zu nass, noch in die Narrows hinein zu laufen. Der letzte Bus
faehrt um 19:30 nach Springdale zurueck. Wir laufen einen Teil des Rueckweges, sehen immer wieder
Damwild. Den Rest des Weges nehmen wir den Bus, der jetzt richtig voll ist. Die Fahrerin ist dieselbe wie
vorhin. Sie erzaehlt ueber Mikrofon, dass sie seit 11 Jahren den Shuttle Bus faehrt – also hier in einem
Alter angefangen hat, in dem in D die meisten in den Ruhestand gehen. Damals kamen ca 1 Mio
Besucher pro Jahr nach Zion, mittlerweile seien es 5 Mio. Wer weiss: Vielleicht muessen sie die andere
Strasse auch bald sperren fuer den Touristen-Autoverkehr und man muss seinen Eintritt in den Park
vorher online buchen, weil sie die Besucherzahl limitieren muessen. Der Eintritt pro Fahrzeug betraegt
jetzt schon $30, pro Person $15.
Zum Abendessen gibt es in unserem RV ein 3-Gaenge-Menu: Gruenfutter, Pasta vom Vortag und
anschliessend Cheesebuerger a la Josef. Sehr lecker!
Wir sind so erschlagen von all den Eindruecken, von all dem Gaffen und „Oooooh“ und „Aaaaah“, dass
wir dringend mal ein paar Tage am Stueck irgendwo bleiben muessen, um unseren Sinnen eine
Ruhepause zu geben.
Mittwoch, 19. Oktober 2016
Ich war schon um 6:00 wach, hab aber bis 7:00 Ruhe gegeben. Dann hat es mich raus gedraengelt, damit
wir auf den Shuttle Bus kommen, bevor der grosse Rush anfaengt. Josef was not too amused, im
Dunkeln bei 0 Grad aufstehen zu muessen. Aber: „The early bird catches the fly“! Um 8:30 laufen wir
schon von der Busstation Grotto los, hoch Richtung Angels‘ Landing, einer der spektakulaersten
Wanderungen hier. Ganz fruehe Fruehaufsteher haben dort oben den Sonnenaufgang erlebt und
kommen uns schon wieder entgegen. Spaeter verstehen wir, warum: Dies ist einer der beliebtesten
Trails und nachher wie ein Ameisenstrasse! Aber alles geht ruhig, hoeflich und gesittet zu, so dass es
wirklich nicht stoert. Jeder ist damit beschaeftigt, nicht daneben zu treten. Der erste Teil des Weges is
einfach: betoniert fuehrt er im steilen Zickzack, genannt Walter’s Wiggles, die Canyonwand hinauf,
veschwindet dann in einer Nebenschlucht und verlaeuft parallel zu dieser, geht dann, als er aus der
Nebenschlucht wieder auftaucht, wieder in Zickzack ueber, alles betoniert, aber steil und
schweisstreibene. Dann laeuft man an Ketten und Klettersteigen ueber einen ganz schmalen Felsgrat,
links geht es ca 300m hinunter, rechts ca 150m. Staendig muss man Entgegenkommenden ausweichen,
sich in dieser Enge ein sicheres Halteplaetzchen suchen und warten. Aber es macht einen Heidenspass!
Alle ermutigen und helfen sich gegenseitig. Die ganze Zeit wird man mit wunderschoenen Ausblicken
belohnt, immer wieder spektakulaer und immer wieder anders. Am Ende, nach 450 Hoehenmetern
steht, sitzt, vespert und lichtet man sich auf der relativ kleinen Flaeche des Angels‘ Landing gegenseitig
ab, kriegt Mobiltelefone in die Hand gedrueckt, um die vielen anderen hier oben ebenfalls zu knipsen,
die einen darum bitten, und schaut hinunter in das breite, gruene Tal unten, freut sich, dass man es
geschafft hat.
Viele kapitulieren vor dem Gratweg mit seinen Ketten und Klettersteigen. Es faellt auf, dass es hier in
den Nationalparks fast nur Weisse gibt, keine Latinos, keine Afroamerikaner, nur ab und zu Asiate.
Kurz vor dem Gratweg trennt sich ein Pfad nach links zum West Rim Trail. Man kann ihn an einem langen
Tag oder in zwei Tagen laufen bis zum Nordwestausgang des Parks. Hier begegnet uns kaum noch
jemand. Wir laufen ihn ca. zwei Meilen und wieder zurueck. Muessen ja noch ganz wieder hinunter ins
Tal. Unterwegs begegnen wir einem Ehepaar in unserem Alter. Sie sind aus San Diego, leben jedoch in
Idaho. Sie wollen viel ueber Deutschland wissen. Unten im Tal gehen wir noch ins Museum. An dieser
Stelle hatten mormonische Siedler, nachdem sie die Indianer erfolgreich verdraengt hatten, Farmen
betrieben. Hoffen immer wieder, auf eine echte Auseinandersetzung zu diesem Thema zu treffen.
Fehlanzeige. Kommen zurueck zu unserem Schneckenhaus und machen eine Teepause, anschliessend
einen kleinen Spaziergang durch Springdale. An einem Schwarzen Brett in der Dorfmitte ist ein offener
Brief ausgehaengt, in dem sich ein Dorfbewohner bitterlich darueber beklagt, dass die Infrastruktur in
Springdale dem Besucheransturm nicht gewachsen sei. Das Dorf profitiert ausserdem nicht einmal
davon, weil nur Minijobs im Service entstanden sind. Der durchschnittliche Verdienst hier im Sueden
Utahs liegt bei $21.000, im Norden bei $80.000. Wir essen zu Abend und gehen ab ins Bett. Sind beide
super kapputt.
Donnerstag, 20. Oktober 2016
Heute haben wir sozusagen ausgeschlafen. Sind erst ca 9:30 mit dem Bus Richtung Tal gefahren und
waren erst am Visitor Center, um zu klaeren, wie wir morgen ueber die zweite Strasse durch den Tunnel
nach Osten und hinaus aus dem Park kommen. Am Parkeingang frage ich, ob es in den Bergen irgendwo
geregnet hat, weil ein Kanal neben dem Campground, der gestern noch trocken war, heute frueh
Wasser fuehrte. Aber sie sagen, dies sein von einem Wasserreservoir oberhalb von Springdale, wo sie ab
und zu die Schleusen kurz oeffnen muessten, um die Rohre und Kanaele durchzuspuelen. Es gaebe hier
nur zwei klar definierte Regenzeiten: einmal im Fruehjah und einmal im Herbst. Habe immer das
Gefuehl, die Ranger hier haben keinen Ahnung. Fahren mit dem Shuttle Bus ins Tal und steigen am
Wheeping Rock aus. Hier rastet gerade eine Gruppe von Schulkindern aus Las Vegas mit ihren Lehrern;
sind die ersten Afroamerikaner (bis auf vereinzelt hier und da eine Frau mit einem weissen Mann), die
wir ueberhaupt in einem Nationalpark sehen. Wir plaudern mit ihnen ueber dies und das und fragen sie
nach einem riesigen Solarfeld, das wir zunaechst fuer einen See hielten, als wir aus dem Valley of Fire
auf die Interstate 15 hinaus fuhren. Sie erklaeren uns, dies sei ein Solarfeld zur Stromerzeugung ueber
Hitze, die durch eine Esse geleitet wird. Soll einst auch Las Vegas versorgen.
Wollten eigentlich heute ausruhen und keine Wanderung machen, koennen es aber doch nicht lassen.
Wir laufen hoch zum Observation Point, einer Mesa schraeg gegenueber vom Angels‘ Landing auf der
anderen Talseite und wohl die zweite hier im Zion als sehr anspruchsvoll eingestufte Wanderung. Heute
also 650 Hoehenmeter, auf 15 km verteilt rauf und wieder runter. Ich merke, dass es hoch hinaus geht.
Habe die „Hoehenkrankheit“, schon die ganze Zeit hier, sobald es hoeher geht: Luft im Bauch.
Ausserdem ist die Luft hier ueberall so klar, dass die Nase ganz empfindlich wird: Alle Duefte wirken
vervielfacht. Ab und zu, wenn wir an Koniferen vorbei gehen, riecht es wie in Ramallah: eine Mischung
aus aetherischen Oelen und trockenem Sand.
Es ist mega-abwechslungsreich: Zickzackwege, gut befestigt, nichts mir Ketten und Steigen. Zunaechst
geht es raus aus dem Haupttal und durch den sehr engen und dramatischen, morgens sehr duester
wirkenden Echo Canyon. Mitunter schaut man hunderte von Metern hinunter in die dunklen
Windungen. Hier und da stehen kleine Pools mit Wasser vom letzten Jahr. Hier kommt so wenig Sonne
her, dass das Wasser ewig nicht verdunstet. Nach dem Echo Canyon wird man von hinten her an den
Observation Point heran gefuehrt. Als wir endlich oben sind, schauen wir von oben runter auf den
Angels‘ Landing auf der anderen Talseite.
Hier ist deutlich weniger los – es sind keine 40 Leute hier oben. Aber je laenger wir hier herumsitzen, die
Sonne und die grandiose Aussicht geniessen, desto mehr Leute holen uns hier oben ein. Unterhalten uns
mit zwei aelteren Damen und ich kann endlich fragen, warum hier in den Parks wohl nur WASPS (White
Anglo Saxon Protestants) unterwegs. Die eine sagt, die Afroamerikaner haetten kein Interesse an der
Natur; wenn sie Geld haetten, wuerden sie eher Golf oder Tennis spielen. Erinnert mich an die Araber.
Meine arabische Familie denkt ja, bis auf ein paar Ausnahmen, auch, wir seien ballaballa. Jedoch
muessten sich nach 200 Jahren des Zusammenlebens allmaehlich zu einer Angleichung der
Mentalitaeten kommen. Sie sagt: Naja, siehe die „police shootings“; die Gesellschaft habe versagt, eine
richtige Integration habe nie stattgefunden. Ich frage sie, ob sie ein Gefuehl der Rueckschrittigkeit habe.
Sie meint, seit den Gleichstellungsgesetzen der 60’er Jahre habe eine Stagnation eingesetzt, sei nichts
voran gegangen. Sie fragen, wie so viele, wie wir in Deutschland mit dem Fluechtlingsstrom
klarkommen. Wir stehen Rede und Antwort. Man wuerde immer gern noch tiefer einsteigen bei diesen
Gespraechen, aber man muss ja irgendwann mal weiter wandern. Auf dem Rueckweg laufen wir mit
deutlich mehr Leuten parallel, man ueberholt sich immer mal wieder gegenseitig, plaudert nett.
Fahren rechtschaffen muede mit dem Bus zurueck zu unserem Campground, wo Josef zum ersten Mal
Tante Else in Santa Cruz erreicht, um uns fuer die zweite Novemberhaelfte bei ihr anzukuendigen.
Dinner ist heute ein Omelette aus allen Resten und als Vorspeise ein asiatisches Instantsueppchen.
Freitag, 21.Otober, 2016
Mittlerweile sind wir seit 2,5 Wochen unterwegs, und der Anfang der Reise fuehlt sich an wie Lichtjahre
weit weg. Sooo viele Eindruecke! Heute frueh habe ich im Zion zeitig zum Aufbruch geblasen, weil wir
vor den Tagesbesuchern durch den Tunnel auf dem Highway 9 Richtung Osten wollen und das andere
Tal noch ein wenig geniessen wollen. Klappt auch gut. Allein, es ist so affenkalt, dass wir nicht recht
motiviert sind zu laufen. Es gibt auf dieser Seite des Nationalparks auch kaum ausgewiesene
Wanderwege. Man kann nur hier und da anhalten und die Aussicht geniessen. Ein Highlight: Kurz vor der
Ausfahrt aus dem Park steht eine Herde Bighorn Sheep links und rechts und auf der Strasse, legt den
Verkehr kurz lahm, laesst sich ganz entspannt fotografieren von den ganzen Parkbesuchern, die aus
ihren Autos huepfen mit Smartphones und Kameras im Anschlag.
Nach Verlassen des Parks auf dem Highway 89 Richtung Norden kommen wir an einer deutschen
Baeckerei vorbei. Die Verkaeuferin ist super unfreundlich. Als wir sie bitten, uns das Brot fuer $9.00 (!)
doch bitte aufzuschneiden, zeigt sie auf Holzbrett und Brotmesser in der Ecke und sagt, wir duerften es
gern selbst aufschneiden. Bissel unglaublich. Die Landschaft danach ist sanft huegelig und gruen;
parallel zur Strasse meandert in der Morgensonne slibrig blitzend traege der Virgin River, der trotz
Dauerduerre hier viel Wasser fuehrt. Am Strassenrand immer wieder verendete, weil ueberfahrene,
Mule Deers. So traurig! So viele! Dann eine Bisonherde hinter weissem Ranchzaun, zwei alte,
ausgediente Wildwest-Windraeder, ganz verstreut Farmen in der Praerie, nur ein einziges kleines
Doerfchen nach 50 Meilen: Hatch.
Dann geht die Strasse rechts ab Richtung Osten nach Bryce. Wir wissen ueberhaupt nicht, was uns
erwartet und sind wiederum sprachlos! Sandstein in weiss, gelb, rot, orange in einem arenaartig
daliegenden Tal unendlich viele Zinnen, Tuermchen und Figuren bildend. Das Tal lebt. Man sieht alles
nur Erdenkliche: dicht bei dicht stehende Menschen, einzelne Gesichter, Kirchen samt Schiff und Turm,
Moscheen samt Kuppel und Minarett, Kamele, Giraffen.
Es wachsen hier Fichten an hoechst prekaeren Standorten, und erst wenn sie abgestorben sind und ihre
Rinde verloren haben, sieht man dass sie wie Korkenzieher in die Hoehe gewachsen sind. Die
wahrscheinliche Erklaerung: Weil sie oft so wackelig stehen und sich durch ihr Gewicht Richtung Tal
neigen, machen sie eine Drehung, um weiter Richtung Licht und nach oben zu wachsen. Die Baeume
stehen wie im Zweikampf mit den Sandsteinformationen: Jeder will der Skurrilste sein. Und ueber all
dem dieser tiefblaue, unwahrscheinlich klare Gebirgshimmel. In der Ferne andere Gebirgsformationen.
Man weiss gar nicht, wo man zuerst hinschauen soll. Ich muss viel an Barbara denken, die immer so viel
entdeckt in Wolkenformationen und dergleichen. Sie muss sich hier dusselig gegucklt haben, als sie vor
Jahrzehnten hier war. Und auch Sabine muessen die Ohren klingeln. Sie hatte uns Zion und Bryce so sehr
ans Herz gelegt. Zurecht!
Reservieren uns zuerst einen Stellplatz fuer den RV auf dem Sunset Campground, der schon gaehnend
leer ist und in drei Tagen fuer den Winter schliesst. Wollten dann zum Bryce Point am Ende der durch
den Park fuehrenden Strasse, dort parken und loslaufen. Aber der Parkplatz ist rappelvoll. Stellen den RV
also auf dem Campground ab und nehmen den auch hier sehr komfortablen Shuttle Bus wieder hin.
Wollten ja heute nach unseren zwei strapazioesen Wanderungen im Zion eine Wanderpause einlegen,
aber es ist wiederum so schoen und spannend hier, dass wir den Peek-A-Boo Loop wandern (ca 9 km),
hinunter in diese Arena mit dem wilden Getuemmel der Sandsteinbevoelkerung, der Weg hindurch
meandernd, immer wieder rauf und runter. Es begegnen uns hier zwar schon recht viele Leute, aber die
meisten (90%) fahren nur an die Aussichtspunkte oberhalb der Arena und schauen sich das Ganze von
oben an. Gott sei Dank! Es begegnen uns mehrere Reitergruppen, teilweise in Style mit Cowboy-LederUeberziehhosen (Chaps), zwei sogar mit Knarre am Halfter. Crazy people!
Als wir wieder am Ausgangspunkt der Wanderung ankommen, steht da eine Ulmer Familie, seit drei
Wochen mit Mietwagen unterwegs. Tauschen uns ueber die Wahlen und das Sonderbare in diesem Land
aus. Nehmen dann den Bus zurueck zum Campground und kochen was zu Abend – d.h. Arbab kocht
wieder. Igeln uns ein. Heute Nacht wird’s kalt. Hoffentlich geht es nicht unter 0, dann dann haben wir
ein Problem mit unserem RV, wenn die aussen liegenden Wasserleitungen platzen.
Samstag, 22. Oktober 2016
Haben die Nacht ueberstanden. Es ist eiskalt, kurz ueber 0 Grad, hier auf ueber 2500m. Bleiben lange
leigen, bis endlich die Sonne ein bisschen durch die Baeume dringt. Wollen an die suedliche Spitze
fahren. Bryce National Park erstreckt sich ueber eine Laenge von ca. 30 km von Nord nach Sued ueber
einen Bergruecken. NAch Westen faellt er eher sanft ab und nach Osten schroff, lauter halbrunde
Riesenarenen bildend, die eine gefuellt mit jenen gestern bewunderten rotbunten Formationen, die
anderen zumindest unten am Arenaboden mit Wald. Laufen um 11:00 am letzten Aussichtspunkt, dem
Rainbow Point, auf 2700 m los und wandern den Under-Rim Trail, meistens durch Wald, oben licht,
unten dichter werdend, der Wald als Urwald belassen. Sehen ueber uns an der Kante immer wieder die
orangegluehenden Sandsteinsaeulen. Der Weg ist Gott sei Dank relativ eindrucksarm und mit wenigen
Wow-Momenten versehen, eine Entspannung fuer die Sinne. Josefs sind schon ganz ueberladen – er
brauchte dringend eine Staunpause. Es ist sehr still. Hoeren nur unsere eigenen Schritte und begegnen
nicht einer Menschenseele – und dies ist auch einer der meistbesuchten Parks mit 1,5 Mio Besuchern
pro Jahr! Wir sind mehr oder weniger die ganze Zeit auf 2500m, muessen jedoch ueber mehrere
Erhebungen klettern, die im Weg stehen. Am Boden waechst ein Busch, der aussieht wie Lorbeer. Sehr
huebsch; wir nehmen Samen mit. Laufen „nur“ das erste Teilstueck des Under-Rim Trail und nehmen
den naechsten Stichweg, den Aqua Canyon Connecting Trail, einem mehr ein breiter Grat ist wieder
hinauf auf das Plateau. Kommen an der National-Park-Strasse 5 km unterhalb vom Rainbow Point raus
und muessen zurueck laufen zu unserem RV, der dort steht. Alles in Allem wieder 17 km mit 360
Hoehenmetern runter und wieder rauf, plus die o.g. Erhebungen. Sind platt. Der Shuttlbus faehrt hier
nur einmal morgens und einmal abends. Ich halte bei mehreren vorbeifahrenden Autos den Daumen
raus, aber die haben hier zu viel Angst, Tramper mitzunehmen. Dabei traegt Josef hier meistens als
Sonnenschutz nicht sein arabisches Tuch, sondern zur Tarnung seinen argentinischen Gaucho-Hut.
Endlich am RV angekommen, fahren wir zum naechsten Aussichtspunkt zurueck (die wir alle gerade zu
Fuss passiert haben) und machen Tee-Kaffee-Chips-Pause. Nettes Ritual. Sitzen auf unseren
Campingstuehlen vor „unsererem“ Panorama, das wir uns gerade zu Fuss erobert haben.
Sonntag, 23. Oktober, 2016
Heute sind wir eigentlich nur gefahren – mit kurzen Pausen. Nach ein bisschen Hin und Her, ob wir so
weit nach Osten noch fahren wollen, beschliessen wir schliesslich, den langen Schlenker zum Arches
National Park noch zu machen. Erst holen wir uns am Bryce Visitor Center unseren Stempel. Dort liegen
schraeg mit Gelenken auf Stahlsaeulen befestigt, zwei riesige Solarpanaele mit jeweils mindestens
100qm Flaeche, dies sich immer nach der Sonne ausrichten. Sie versorgen den gesamten Bryce Visitor
Komplex, samt den picobello sauberen Toiletten auf dem Campground und dem Spuelraum mit Strom
und Heisswasser. Verlassen Bryce und fahren auf dem Highway 12 Richtung Escalante. Halten nicht am
Escalante Stair Case und Kodachrome Basin State Park, obwohl uns beides vom Ehepaar im Death Valley,
die mit uns den Ubehebe Crater umrundet hatten, waermstens empfohlen wurde. Wir koennen nicht
alles machen, obwohl wir mit sechs Wochen schon wirklich viel mehr Zeit haben als die meisten. Wollen
ein bisschen Strecke machen. Ich habe das erste Mal Lust, zu fahren; will den Stau hinter mir vorbei
lassen und fahre in eine laengere Haltebucht, halte jedoch nicht ganz an, weil ich mich langsam wieder
einfaedeln will nach dem letzten Auto. Da kommt aus dem Nichts noch einer angerauscht, und ich
weiche zu weit nach rechts aus, rasiere den Reifen ein bisschen am Bordstein. Der RV ist schon deutlich
breiter als alles, was man so gewoehnt ist. Nix passiert, ausser, dass Josef ein bissel blass um die Nase
wurde. Escalante und Boulder sind mit mini-kleine Nester mit jeweils 400 Einwohnern und dennoch in
unserer 1:1Mio-Karte, weil es hier mal wieder weit und breit nichts gibt. Machen eine Kaffeepause im
beschaulichen Boulder in einem alternative anmutenden Cafe cum Laden mit indianischem und
anderem Kunsthandwerk. Fahren die ganze Zeit durch wunderschoene Landschaft, immer wieder
wechselnd und immer wieder wunderschoene Ausblicke. Utah ist schon der Hammer: Ca. 1/3 von
Deutschlands Flaeche, aber nur 3 % der Einwohner, also weniger als 3 Mio! Beschliessen, im Capitol Reef
National Park, auf halbem wege nach Arches, zu uebernachten. Halten am Visitor Center an und
informieren uns. Dort ist ein franzoesisches Paar und noch ein irisch/suedafrikanisches Paar, das vor 30
JAhren in die USA ausgewandert ist. Mit Letzteren, Aiden und Robin, beginnen wir ein politische
Diskussion. Sie leben in San Diego, sind Rentner. Er macht Fuehrungen auf einem Flugzeugtraeger, der
im Hafen von San Diego liegt und jetzt als Museum besichtigt werden kann, schenkt uns zum Abschluss
zwei Eintrittskarten und laedt uns ein, am 5.11., wenn er das naechste Mal im Dienst ist, eine Fuehrung
mit ihm zu machen. Sie sind stramme Trump-Waehler und machen ihre Bewunderung fuer ihn an zwei
Beispilen fest: Das alte Post Office Gebaeude in NYC, das baufaellig war, sollte saniert und einem neuen
Zweck zugefuehrt werden. Die Stadt New York habe jahrelang daran herum gedoktort es nicht
hinbekommen. Da sei Trump ganz grossmuetig gekommen, habe das Projekt uebernommen, an seine
Tochter Ivanka uebergeben, die es saniert und daraus ein erfolgreiches 5-Sterne-Hotel gemacht haben
soll. Ferner habe Trump in Los Angeles oder so, wie ueberall, einen Trump-Tower, ein Hotel, dessen
Management der Ansicht war, dass der Festsaal des Hotels zu klein sei, vergroessert werden muesse,
dass man folglich das Hotel fuer ein Weile schliessen muesse; daraufhin sei er eingeschwebt, um das
Ganze in Augenschein zu nehmen, habe beschlossen, die grossen, breiten Stuehle zu verkaufen und vom
Erloes gegen schmalere einzutauschen, so dass doppelt so viele Menschen Platz finden. So weit die
Legende. Das seien Loesungen, wie sie die amerikanische Wirtschaft brauche, um sich zu erholen. Na
denn! Aiden und Robin laden uns noch in ihren RV auf ein Glas Wein ein. Sie stehen jedoch ausserhalb
des Parks in Torrey auf einem RV-Platz, und wir wuerden gern weiter hinein fahren (11 Meilen) und dort
uebernachten. Lehnen dankend ab, versprechen aber, sollte es mit unserem Zeitplan vereinbar sein, am
5.11. auf der USS Midway zu erscheinen, oder die Karten an jemanden weiterzugeben, der sie nuetzen
wuerde.
Im Park ist der Campground rappelvoll, duerfen jedoch offiziell ausserhalb des Parks wild campen,
sogenanntes „dispersed camping“. Fahren also wieder zurueck Richtung Torrey und finden mit
mehreren anderen gestrandeten Campern ein Nachtlager. Gehen noch ein bisschen, um uns die Fuesse
zu vertreten. An der Strasse steht ein junger Bursche mit Rucksack. Denken erst, er will in den Park
trampen. Aber er wartet wohl nur auf Dunkelheit, um sein Zelt irgendwo aufzubauen. Ganz wildes
Campen ist normalerweise verboten. Wir zeigen, wo wir stehen, und er stapft los. Laufen auf dem
Rueckweg zu unserem RV an zwei jungen Maedchen vorbei, die neben uns im Zelt campen, und
kommen ins Plaudern. Die beiden, Lindsay und Michaele, kommen eigentlich aus Florida, arbeiten aber
beide in Salt Lake City in Utah – die eine ist sommers im Rafting , winters im Skigebiet beschaeftigt, die
andere in einer Lodge im Skigebiet. Sie nuetzen die Zeit zwischen den Saisons, um die Nationalparks
abzuklappern und haben die gleiche Tour wie wir gemacht: Yosemite, Death Valley, Zion, Bryce. Das ist
wohl ihr letzter Stopp – sie muessen zurueck zur Arbeit. Haben uns fuer nach dem Essen auf ein Bier
verabredet. Mal sehen.
Montag, 24.Oktober 2016
Laden die zwei Maedels schliesslich zu uns in den RV ein, weil es zu kalt ist, draussen um’s Lagerfeuer
herum zu stehen. Haben aber die Tuer offen und leeren bis Mitternacht 2 Flaschen Wein mit ihnen. Sie
sind sehr interessiert, unsere Sicht der Dinge in Amerika und anderswo zu erfahren. Sprechen ueber das
US-Wahlrecht und Kampagne im Vergleich zu Deutschland, ueber ihre Familien und ihren Werdegang.
Michaela ist mit Mutter und Stiefvater in einer intakten Familie aufgewachsen. Die beiden Maedchen
kennen sich vom College, welches fuer Lindsay ueberhaupt keine Selbstverstaendlichkeit war. Sie
kommt aus einer Familie mit ewig kiffender Mutter und Stiefvater, der nur im bekifften Zustand
ertraeglich war. Von dort kam also keine Unterstuetzung. Aber sie hatte Glueck, war in der Highschool
mit dem Sohn reicher Eltern befreundet, und die ermutigten sie zum Studium. Es sei genau dieses
Netzwerk, dass den Afroamerikanern fehle. Sie bewegten sich nur innerhalb ihrer eigenen Community,
und da gaebe es oft niemanden, der einem jungen Menschen den Weg weisen kann. Und es ist
natuerlich eine Geldfrage. Lindsay hatte (dank guter Leistungen in der Schule ?) ein Stipendium. Spaeter
sprechen wir ueber „dating“ im Gegensatz zu „having a relationship“. Ersteres sind Verabredungen mit
romantischem Unterton, Zweiteres ist dann schon eine bestehende Beziehung. Machen dann keine
dritte Flasche mehr auf; sonst sitzen die beiden hier bis zum Morgen.
Nach dem Fruehstueck fahren wir in den Park hinein und ueberlegen, ob wir eine Runde wandern, aber
Josef draengelt’s Richtung Arches, unser oestlichstes Ziel, und ich bin auch nicht recht motiviert, bissel
grummelig – vielleicht vom Wein, oder vielleicht, weil ich bissel angeschlagen bin. Habe einen Herpes an
der Unterlippe, normalerweise ein Zeichen fuer eine herannahende Erkaeltung. Winken den Maedels
zum Abschied, sehen den Rucksackburschen von gestern Abend allein unter freiem Himmel und nur im
Schlafsack! Fahren wenigstens einmal den sogenannten Scenic Drive ab. Auf dem Rueckweg bergab
fahrend haben wir schoene Ausblicke auf den Capitol Reef: Es ist eine lange steile Abbruchkante aus
Sandstein. Mehr nicht. Drum auch der Name „Reef“. Auch wieder sehr schoen. Fahren wiederum auf der
Ostseite des Parks raus auf den Highway 24 Richtung Hanksville, das aus einem Supermarkt und 2 -3
Farmen besteht. Die einzige Angestellte im Supermarkt, eine sehr huebsch zurecht gemachte Dame, die
beinahe fehl am Platz wirkt, stammt aus Hanksville, war mit ihrem Mann mal ein paar Jahre lang in
Vegas, sind dann aber nach Hause zurueck gekehrt. Der Laden traegt sich, weil die Dorfbewohner ihn
nuetzen. Der naechste Walmart sei zwei Autostunden weg. Von Hanksville fahren wir weiter nach
Norden bis zur Interstate 70. Halten an der Kreuzung in Green River. Wie trostlos! Lauter geschlossene
Motels und Geschaefte. Aber der Supermarkt ist gut sortiert. Da kaufen wir, was wir in Hanksville nicht
bekommen haben. Wir fragen, warum alles so tot aussieht. Die I 70 fuehrte frueher direkt mitten durch
den Ort. Seit die Umgehung gebaut wurde, ist es ausgestorben. Ausserdem gab es frueher in der Naehe
eine Kaserne mit Raketenabschussrampen; die sei nun auch weg. Folgen der I 70 bis zur Abfahrt nach
Arches National Park. Auf dem Weg dorthin lauter „dispersed campers“. Michaela und Lindsay von
gestern hatten uns erklaert, dass man auf BLM (Bureau of Land Management)-Land, also Land, das der
US-Regierung gehoert bis zu vier Wochen an einer Stelle campen darf. Beim Yosemite war ihnen einer
begegnet, der sein Mobile Home alle vier Wochen um 100 Meter verschiebt, aber im Grunde fest am
gleichen Platz lebt. Die Strasse fuehrt am Visitor Center des Arches vorbei; wir wollen rauf in den Park
und dort campen, aber ein Schild sagt, der Campground drinnen sei voll. Da wir nun schon hier sind,
beschliessen wir dennoch, schon einmal hoch zu fahren in den Park. Moab, am Fusse des Arches und
Touristendrehkreuz fuer Arches und das daneben liegende Canyon Lands, laeuft uns nicht weg. Oktober
ist Hochsaisonbeginn fuer Arches, weil es erst jetzt hier kuehl genug ist. Es ist zwar bewoelkt, jedoch
weder warm noch kalt. Eine Serpentinenstrasse fuehrt den Berg hoch. Arches ist ein SandsteinHochplateau, wobei der Plateauboden selbst mit dem ewig wiederkehrenden wilden Salbei bedeckt ist,
und immer wieder mal naeher zusammen, mal weiter auseinander rote Sandsteinformationen jeweils
beinahe fuer sich allein stehen: Riesige Monotlithen oder Klumpen von Monolithen, Boegen, Hoehlen
und Saeulen bildend. Es ist auch wieder wunderschoen! Machen einen Spaziergang um eine der
Hauptattraktionen hier: Die Windiws – eine Ansammlung von Felsboegen. Sehr malerisch. Haben danach
noch zwei Stunden Tageslicht und fahren bis zum Ende der Strasse am oberen Ende des Parks. Dort ist
der Devil’s Garden Campground. Wir klopfen auf gut Glueck beim Camp Host, einer netten alten Dame,
die in einem richtigen kleinen Haeuschen am Eingang des Platzes wohnt. Wir haben Glueck! Sie hatte
einen No-Show, und wir bekommen seinen Platz. Parken den RV und machen noch einen kleinen
Spaziergang ueber den Platz, der an erhabener Stelle am Ende des Hochplateaus liegt und einen 270-
Grad-Blick in die umliegenden Taeler bietet. Soll laut unserem Reisefuehrer der schoenste Campground
in den ganzen USA sein. Wenn das kein Glueck ist! Arbab koch lecker, und ich darf Tagebuch schreiben
und unsere Uebernachtungsstationen auf der Karte einzeichnen.
Vor 20 Minuten hat es angefangen zu regnen, und zwar richtig und zum allerersten Mal auf dieser Reise
und auch zum ersten Mal in diesem Winter in Arches. Um uns herum sind viele Zeltcamper. Die Armen.
Bin gespannt, was uns morgen blueht! Eigentlich war die Regenwahrscheinlichkeit mit 20% angegeben.
Die Wettervorhersage ist auch nicht mehr das, was sie mal war.
Dienstag, 25. Oktober 2016
Morgens ist alles zugewoelkt, die total nette Camp Host, Mrs. Van Dyk mit, you wouldn’t guess,
hollaendischen Wurzeln, sagt, es wuerde gegen Mittag aufklaren und behaelt Recht. Duerfen von
Stellplatz 16 auf Stellplatz 8 umsiedeln und noch eine Nacht bleiben. Theoretisch muss man den Platz
ein ganzes Jahr im Voraus buchen. Da kann es schon mal passieren, dass dem einen oder anderen was
dazwischen kommt, wuerde ich sagen. Drum haben wir Glueck – wie so oft auf dieser Reise! Nehmen
uns den Devil’s Garden Trail vor, aber den so genannten „Primitive Trail“, also den weniger ausgebauten.
Haben irgendwas von 3 – 4 Meilen im Kopf. Am Ende sind es tagesfuellende, sehr spannende 16 km und
mehr, zuerst total entspannt durch diese zerklueftete Landschaft mit geheimnisvollen Felsenhaufen
Spalten, Hoehlen und natuerlich Arches, Arches, Arches, aber als wir uns schon fragen, warum der Trail
als schwierig eingestuft ist, wird’s haarig: glatte Felsruecken ohne jegliche Sicherung, die man rauf und
wieder runter muss, der Trail nur markiert durch kleine Steinmanderl, die man mitunter suchen muss.
Parallel mit uns laeuft eine enlisch-amerikanische Familie mit vielen Kindern, die die falschen Schuhe
anhaben. Eine Frau hat so viel Angst, dass sie umdrehen will. Ich ueberrede sie, ihre Sandalen
auszuziehen und barfuessig und mit mir abhangseitig als moralische und koerperliche Stuetze die
schwierigste Stelle zu ueberwinden. Es dauert ewig, bis wir alle drueber weg sind, und am Ende
klatschen alle fuer sie. Machen nachher ein Gruppenfoto als Erinnerung an das gemeinsam bestandene
Abenteuer. Ein aelteres Ehenpaar zuckelt auch mal hinter, mal vor uns. Wir helfen uns alle gegenseitig.
Nette und abenteurfreudige Partie.
Immer wieder werden wir mit schoenen Ausblicken belohnt: unter uns ins Tal, in Nebentaeler und kleine
Schluchten, dazwischen ueberall das Pastell-Samtgruen des wilden Salbeis, dazwischen das filigrane
Reisgras und gelbe Tupfer eines anderen Busches. Und der Duft: Mal Tannenoel, mal so betoerend nach
Parfum, dass man gar nicht weitergehen moechte. Ueberall sind Fussspuren von Bighorn Sheep und
Rehen. Wir sehen zwei Hasen, die ganz entspannt zwischen den Bueschen sitzen.
Gegen Ende der Wanderung treffen wir auf eine chinesische Familie. Sie entsprechen allen positiven
Vorurteilen ueber Asiaten hier: IT-Fachleute, die in Palo Alto leben, super-ehrgeizig fuer sich und ihre
Kinder. Sie leben seit 20 Jahren hier, ihre Kinder sind amerikanisiert, nehmen aber jeden Nachmittag
Mandarin-Unterricht, wenn nicht gerade Sport oder Klavier ansteht. Der Mann erzaehlt Josef, er sei
damals vor 20 Jahren gekommen, weil es ein Trend, eine Mode war, in die USA auszuwandern. Jetzt
koennte man wohl zurueck nach China, es gaebe auch dort gute Jobs, aber nun seien ja die Kinder da.
Ich frage die Frau, warum wohl die Afroamerikaner es nicht schaffen, so wie sie. Es klingt, als habe sie
sich nie wirklich Gedanken darueber gemacht. Sie wuerden eben die schlecht bezahlten Jobs machen.
Auf meine Frage, ob das ihre eigene Schuld sei oder die der Regierung, sagt sie, die Regierung sei Schuld.
Aber sie seien doch auch nicht angewiesen auf die Hilfe der Regierung, sage ich. Sie darauf: Sie, die
Chinesen, haben den Ehrgeiz von den Eltern eingetrichtert bekommen, so, wie sie es jetzt ihren Kindern
eintrichterten. Das fehle wohl bei den Afroamerikanern. In ihrer IT-Firma hatte es nur einen
afroamerikansichen Kollegen gegeben, und er sei irgendwann gestorben.
Verbringen in der Sonne lesend die letzten zwei Stunden Tageslicht, dann im RV gekocht (zur
Abwechslung Bolognese :)) und eben, zum ersten Mal, ohne dabei zu erfrieren, den unglaublichen
Sternenhimmel beobachtet.
Mittwoch, 26. Oktober 2016
Nach dem Fruehstueck sind wir noch Richtung Delicate Arch gefahren, dem bekannesten hier, den wir
aber bisher ausgelassen haben. Wir moechten uns jedoch nicht die Zeit fuer die Wanderung zum Fusse
des Arch nehmen, nur vom Viewpoint aus von oben drauf schauen. Leider ist die Strasse hin zum
Viewpoint ueberflutet vom Regen der vorletzten Nacht. Da steht in einer Senke noch ueber ein halber
Meter Wasser. Lassen es bleiben. Faris erzaehlt uns spaeter zuhause, dass irgendwelche Verrueckten am
Delicate Arch eine Riesenschaukel angehaengt haben und dort gebaumelt sind. War wohl auf Youtube
zu sehen. Ob das offiziell war? Kann ich mir gar nicht vorstellen! Die sind hier so gestrenge, wenn man
von Weg abgeht oder so.
Auf der anderen Seite der Zufahrtstrasse zum Arches ist Canyon Lands, ein Nationalpark, der noch wenig
erschlossen ist. Es ist sowieso so, dass nur ein kleiner Bruchteil dieser wunderschoenen Landschaften
erreichbar ist fuer Wanderer. Vielleicht 90% der Parks sind wildes Land, wo sich Baeren, Koyoten und
Bergloewen gut vor den Menschen verstecken koennen. Das ist gut so. Und Canyon Lands hat als
erreichbaren Bereich die „Isle in the Sky“, eine riesige Mesa, die hinunter blickt in den Canyon, und
einen Zugang von Sueden. Wenn man hier leben wuerde, wie das aeltere Ehepaar gestern in Grand
Junction, muesste man sich Canyon Lands peu a peu zu Fuss erobern. Das wuerde mir Spass machen!
Aber wir haben die halbe Zeit schon rum und noch viel Strecke und Programm vor uns, wollen bis nach
San Diego runter und dann den ganzen Highway 1 zurueck nach San Franciso. Wir wissen auch, dass wir
einfach nicht alles machen koennen. Es liegt so viel Spannendes am Weg. Also heben wir uns Canyon
Lands fuer ein andermal auf, so es das geben sollte, und machen uns auf so genannten Backroads zum
Hovenweep National Monument – einem Gebiet, in dem mehrere frueh-indianische Siedlungsreste
geschuetzt sind. Durchfahren Farmland, soweit das Auge reicht; keine Ortschaften, nichts. Endlos.
Irgendwann ein Schild Richtung National Monument, ein grosses Gebiet an einem flachen Canyon
entlang mit verstreuten Ruinen der Pueblo-Indianer. Versuchen, eine Piste Richtung „Painted Hand“ zu
nehmen, muessen aber nach 7 Meilen wildesten Gepolters aufgeben und umdrehen. Irgendwo da unten
auf der anderen Talseite sind ein paar Ruinen zu sehen. Die haben um 1200 herum ganze Doerfer aus
Naturstein gemauert. Sie sind die Vorgaenger der Navajos und Utes. Wir halten am Visitor Center, das
jedoch geschlossen ist, und drehen eine kleine Runde, sehen aus der Ferne und ein bissel naeher diverse
Ruinen, die immerhin 800 Jahre alt sind, was aber den Historikern hier kaum der Erwaehnung wert ist.
Sehr schade. Hier ist echte Geschichte, nicht so an den Haaren herbei gezogen wie dieser dusselige
Borax-Mule-Train, der im Death Valeey gerade mal 5 Jahre in Betrieb war – und zwar vor 150 Jahren.
Diese indianische Geschichte wird beinahe ignoriert. Nur die Mesa Verde Hoehlenwohnungen in
Colorado sind ordentlich erreichbar und haben den Status eines National Park. Es kommt uns hier noch
ein einziges Ehepaar entgegen, das sich interessiert. Das war’s! Es ist total still hier. Man sieht Spuren
von Koyoten, Hasen rennen ueber den Weg. Es ist zu spaet, sich laenger zu verweilen. Muessten dann
ueber Nacht hier bleiben. Es gibt sogar einen offiziellen Campground. Wir fahren dennoch weiter mit
dem Ziel der „Four State Corner“, dem einzigen Punkt in den USA, wo vier Staaten aufeinandertreffen:
Utah, Colorado, New Mexico und Arizona. Auf dem Weg nun eher oedes Land, in allen Richtungen in der
Ferne Berge: ganz im Sueden die Sandsteinfelsen des Monument Valley, noch beinahe 100 km weit weg
und ganz klar erkennbar; ebenfalls im Sueden ein Vulkankrater, der sich in dieser Einoede ausnimmt wie
der Berg des boesen Zauberers, den es zu bezwingen gil; im Osten, in Colorado, die suedlichen
Auslaeufer der Rockies; im Westen die Fortsetzung der Canyon Lands. Allmaehlich kommen hier und da
vereinzelt Haeuser, aber anderer Art. Wir sind im Navajo-Gebiet, wohl dem groessten Reservat in den
USA. Hier sind keine Farmen, nur offene Weiden mit freilaufenden Pferden, dass man meint, es seien
Wildpferde. Spaeter erzaehlt uns jemand, dass die meisten Indianer fuer ihr Wohlbefinden ein paar
Pferde um sich herum brauchen. Links und rechts der Strasse glitzert es in der Spaetnachmittagsonne
ohne Unterlass. Bei naeherem Hinsehen sind es Millione zerborstener Flaschen, die man hier wohl
einfach ueber Jahre und Jahre hinweg aus den fahrenden Autos geworfen und nie weggeraeumt hat. So
etwas haben wir auf der ganzen Reise nicht gesehen. Habe den Gedanken, einen grossen Haufen davon
am Strassenrand zu errichten und ein grosses Schild rein zu stecken mit der Aufschrift „WHY?“
Kurz bevor die Sonne untergeht, kommen wir an der Four State Corner an. Eben schliesst der
zustaendige Navajo das Tor. Als ich ihn nach einem Stellplatz fuer unseren RV frage, schickt er uns die
Strasse zurueck, zeigt in die Ferne: „You can go there where the mountain is. There is a casino, and you
cab stay in the parking lot over night.“ Klingt nicht so verlockend. Dann murmelt er noch was von der
Shorthairs, die da unten ab und zu jemanden uebernachten lassen. Verstehen zwar nicht recht, was er
meint, fahren aber ein Stueck zurueck und tatsaechlich ist dort ein etwas rostiges und kleines,
handgebasteltes Ranch-Portal mit den Worten „Shorthair Family“ und einem Campground-Schild. Aha.
Es gibt Standing Rock, Sitting Bull, Smoky Pipe und eben auch Short Hair.
Es ist ein riesiges Gelaende direkt am San Juan River, einer der Seitenfluesse des Colorado. Es ist
huegelig, und auf drei Huegeln steht jeweils ein Haus mit Nebengebaeuden und viel Kruscht aussen rum.
Folgen einem Schild „Office“ durch ein Flussbett hindurch und in eines der drei Umfriedungen hinein.
Eine kleine pummelige Navajo kommt um die Ecke, ist freundlich zurueckhaltend. Ja, wir duerfen
dableiben, uns einen Platz suchen irgendwo ausserhalb der Umfriedungen. Plaudern noch ein bisschen
mit ihr. Sie hat 11 Kinder, 9 Jungen und zwei Maedchen, bis auf die zwei juengsten, die irgendwo in der
Naehe im Internat sind, alle ausser Haus und ueberall in den USA verteilt. Wir erfahren spaeter, dass es
Teil des Assimilationsprogramms der Weissen war, indianische Kinder in christliche Internate zu stecken
und ihnen christliche Namen zu geben. In den entlegenen Reservaten gehen die Kinder nach wie vor auf
Internate. Einer ihrer Soehne ist bei den Marines. Auf ihn ist sie sehr stolz. Sie selbst stammt von hier,
war jedoch beruflich viele Jahre mit ihrem Mann in diversen Teilen der USA. Sie sind erst seit zwei
Jahren wieder zurueck, haben ihr echt ansehnliches Haus gebaut, warten aber noch immer auf Strom
und Wasser von der Navajo Utilities Behoerde. Sie ruht sehr in sich. Freut sich, glaube ich, ueber unser
Interesse, muss aber weitermachen mit ihrem Haushalt. Nach allem, was wir vorher gehoert haben,
erwarte ich dass sie viel Geld verlangt. Sie will $ 10. Wir geben ihr 15, fahren wieder durch das Flussbett
zurueck Richtung Strasse (vorsichtshalber – falls es regnet in der Nacht, damit wir hier nicht festhaengen)
und finden auf der anderen Seite ein topfebenes Plaetzchen. Hoeren leise die Strasse und den
Generator der Wirtsleute. Ansonsten ist es ganz still ringsum.
Freitag, 28. Oktober 2016
Hab gestern nichts geschrieben, war einfach zu faul. Sind gestern frueh noch bei Familie Kurzhaar
hinunter zum San Juan River, dann die 500 m zur Four State Corner – tatsaechlich, wie im Reisefuehrer
gesagt, eine maessig interessante Sache. Irgendwie ein Maennerziel, damit sie sagen koennen, sie seien
dort gewesen. Rings um den mit allerlei Fahnen huebsch markierten und mit Marmortafeln versehenen
GPS-Punkt sind Staende mit indianischem Schnickschnack. Einer der Verkaeufer gehoert zu den
Shorthairs. Plaudern mit einem Paar aus Idaho, die sechs Monate im Jahr mit dem RV unterwegs sind
und bis auf Delaware, den kleinesten Bundesstaat, schon alle anderen 51 bereist haben. Wir kommen
auf indianische Geschichte und Cowboys zu sprechen, und ich erzaehle ihnen von meinem Buch von
Louis L’Amour (welch glamoureuser Name!), „The Haunted Mesa“, das ich an der Tanke in Green River
gefunden hatte. Ich hatte mit im Duty Free in Frankfurt das neue Buch von T.C. Boyle, „The Harder They
Come“ gekauft, das nicht nur in Kalifornien spilet, sondern auch ein Spiegel dessen ist, was wir hier
erlebt und vor Allem gehoert haben von den Menschen. Das hatte ich nun durch und war auf der Suche
nach Literatur mit lokalem Hintergrund und fand in der Tankstelle ein ganzes Regal vom guten Louis, der
hier eine kleine Celebrity der modernen Western Trivilaliteratur ist. Ich hatte mir zufaellig genau das
heraus gegriffen, was hier rund um die Gegend spielt, die wir bisher bereist haben, und es geht um die
Anasazi und ihre dritte und vierte Welt – so eine Art Diesseit und Jenseits – ueber die wir seit Tagen
immer wieder lesen. Grottenschlecht geschrieben, der Handlungsstrang eher duerftig, aber macht nix.
Der Mann aus Idaho, so stellt sich heraus, ist L’Amour’s Nachbar; sie kennen sich.
Ich frage an vier verschiedenen Staenden, wie der San Juan River wohl auf Navajo heisst, nachdem das
hier ja uraltes Indianergebiet ist. Niemand weiss es. Nun ja, ist die Zwangsassimilierung offenbar ganz
gut gelungen.
Die Four State Corner ist unser oestlichster Punkt. Jetzt geht es Richtung Suedwesten mit dem
Etappenziel Monument Valley ueber den Highway 160 durch das grosse Navajo-Gebiet. Wir fahren
hinein, aber man kann hier nur mit einem Fourwheeler fahren; muessten also einen indianischen Fahrer
fuer $150 pro Kopf mieten, um durch John Wayne Country zu fahren – analog zum Wuesten-Ali in Dubai.
Dazu haben wir keine rechte Lust. Uebrigens sind mehrere der Nationalparks zu erstem Ruhm
gekommen, weil irgendein findiger Siedler zuerst anders versucht hat, dort an Reichtum zu kommen, um
dann festzustellen, dass man mit Touristen viel leichter und schneller sein Geld verdienen kann. Den
Titel Nationalpark haben sie viel spaeter bekommen, nachdem sie Gott sei Dank in Staatseigentum
uebergegangen sind. In Death Valley war es erst der Borax-Abbau, im Monument Valley hat die Familie
Goulding, kurz bevor sie verhungerte, nachdem das urspruengliche Geschaeftsmodell in die Hose ging,
in Hollywood John Ford ueberzeugt, das Death Valley als Hintergrund fuer seine John Wayne Filme zu
nuetzen. Er hat dort x Filme gedreht, und die Goldings kamen als einzige Herberge zu Geld und Ruhm.
Der Grand Canyon war urspruenglich eine Kupfer- und Silbermine. Als das unrentabel wurde, karrte man
in Kutschen die ersten Touristen aus Flagstaff her, schuettelte sie auf Mulis durch den Canyon und baute
das Hotel am Desert Point, das es nicht mehr gibt.
Wir fahren also davon, ohne uns Monument Valley aus der Naehe anzusehen. Ein wenig schade ist es
schon, aber auch der Campground vor den Toren des Valley ist nicht so einladend. Unser naechstes Ziel
ist das Navajo National Monument, die Betakin-Ruine, ein Anasazi Klippendorf in einem Felsalkoven des
Tsegi Canyon, so aehnlich wie Mesa Verde, nur nicht so gross und nicht so bekannt. Es wurde vor 800
Jahren gebaut und erinnert sehr an das Klippendorf am Ende des Balcony Walk im Wadi Nakhur im
Oman – nur, dass es nicht auf 800m Hoehe in der Canyonwand klebt. Aber die Parallelen sind
unglaublich. und zu denken, dass das Wadi Nakhur Dorf noch bis vor 30 Jahren bewohnt war! Unfassbar
im Nachhinein, was wir dort im Oman gesehen haben.
Aber der Reihe nach: Es gibt auch hier ein Visitor Center mit zwei gelangweilten Navajo-Maedchen, die
sich auf unsere Fragen nur ein bisschen genervt anschauen. Draussen im Garten gibt es eine MusterKiva, sowie ein fruehzeitliche Art von Sauna. Wir hatten anderswo gelernt, dass die Anasazi, die Ahnen
der Nanajo und Hopi, aus der Dritten Welt in die hiesige, Vierte Welt durch ein Loch im Boden gelangt
sind. Dem nachempfunden waren auch ihre ersten Wohnungen Erdhoehlen mit einem kleinen Loch und
einer Leiter als Zugang. Erst spaeter bauten sie ueber dem Boden, jedoch auch nur mit einem Zugang
oben in der Dachmitte ueber ein Loch und eine Leiter. Diese Haeuser heissen Kivas. Beim Durchfahren
des Navajogebietes haben wir immer wieder neben modernen Wohnhaeusern oder Mobile Homes,
lauter instabile Pappschachteln, eben solche Kivas oder Octacons (auch pappschachtelartig) gesehen,
mit nur einer runden Esse oben in der Dachmitte, und wir fragen die Maedchen, ob diese auch der
ehemaligen Erdhoehle bzw Kiva nachempfunden sind und wofuer sie heute genuetzt werden. Von der
ehemaligen Erdhoehle wussten sie gar nichts und erzaehlen uns erst etwas von Gaestezimmer, dann,
dass diese Kivas wohl auch fuer religioese Zeremonien genuetzt werden. Naja, geht halt verloren dieses
Wissen, bzw. werden die Traditionen den modernen Beduerfnissen angepasst.
Es gibt zwei Campgrounds im Park. Beide sind gaehnend leer, und wir fahren zum hinteren am CanyonRand. Sind mutterseelenallein. Stellen den RV ab, und wollen noch ein bisschen laufen, mal runter
gucken in den Canyon. Gehen querfeldein, was strengstens verboten ist in den National Parks, und
versuchen, die Moos- und Bakterienmatten zu umgehen, die auf den ansonsten glatten Felsruecken
Samen Naehrboden liefern und Pflanzen halt geben und fuer das Oekosystem sehr wichtig sind. Haben
ein ganz schlechtes Gewissen. Aber wir haben Glueck und koennen seitlich in die Betakin-Hoehle sehen.
Sehr spannend. Laufen ueber einen ganz nackten Felsruecken zurueck, in voller Sicht des Visitor Center,
werden prompt erwischt und lautstark zurueck zum Weg beordert. Sind echt streng. Aber ist auch richtig
so, und wir sind ganz beschaemt.
Heute
Morgens ist es zugewoelkt, und wir sind nicht recht motiviert, eine laengere Wanderung zu machen. Es
draengelt uns nun auch irgendwie zu unserem naechsten grossen Ziel nach all dem Herumgeduempel
die letzten Tage: Der Grand Canyon ruft. Dennoch gehen wir noch pflichtschuldig zum Visitor Center,
u.A. ,weil mein Handy seit Kayente, also seit Tagen, keinen Empfang mehr hat und ich wissen will ,ob die
Navajos vielleicht ihr eigenes Netz haben und AT&T sperren. Daran liegt es jedoch nicht; hoeren spaeter,
dass AT&T zwar an der Kueste stark ist, im Landesinnern jedoch nicht genug Sendemasten unterhaelt.
Hier braucht man T-Mobile oder Vorizon.
Laufen den kurzen Sandal Trail, von dessen Ende man einen guten Blick auf die Betakin-Hoehle hat.
(Hinunter ins Tal und in die Hoehle darf man nur mit Ranger.) Mit uns laeuft ein Trupp aelterer WASPs
mit Guide. Tragen alle brav so eine UM-Tasche um den Hals mit der Aufschrift „Travelling Scholars“ oder
so. Als sie alles schon langsam den Rueckweg antreten, fragen wir den Guide so dies und das. Ob sie
etwas von der Klimaveraenderung spueren. Er ist aus Flagstaff, Arizona, ca 2,5 Autostunden suedlich von
hier, und sagt, sie haetten im Winten deutlich weniger Schnee, und das Beschaemende fuer ihn sei, dass
die meisten seiner Landsleute das noch immer negieren, und dass es jetzt im Wahlkampf ueberhaupt
kein Thema sei. Schnell schaltet er sein Mikro aus, ueber das er per Kopfhoerer mit seinen „Scholars“
verbunden ist. Wir erzaehlen ihm vom Wadi Nakhur und den Parallelen zur Betakin-Ruine, und er
berichtet von Oraibi, einer weiter suedlich gelegenen Hoehlensiedlung der Hopis, die heute noch
bewohnt sei. Schade. Wuerden gern hin. Aber das waeren nochmal fast 100 Meilen hin und zurueck,
und wir lassen es und fahren weiter Richtung Westen. Unser naechstes Etappenziel ist Tuba City. Wir
wollen dort einen AT&T-Laden suchen und vielleicht mal einen Kaffee trinken – am liebsten in einer
indianischen Dorfbeuz. Tuba City ist eine recht grosse und zersiedelte Ansammlung von mehr oder
weniger trostlosen Baracken. Wir fahren die Hauptstrasse einmal rauf und runter, bis fast nix mehr
kommt ausser ein paar grossen Schulen mit vielen Schuelern. Auf der Strasse viele Pickup Trucks und nur
Navajos unterwegs. Sieht schlecht aus mit Dorfbeuz. Wir halten an einer Tankstelle und trinken nach
dem Tanken dort einen Kaffee im Stehen. Da stehen sechs riesige Kaffeemaschinen, und man kann sich
nachnehmen, soviel man will. In der Tankstelle liegen Hopi und Navajo Zeitungen aus: „The Elders“
haben gesprochen: Man solle Clinton waehlen, denn von Trump sei nichts Gutes fuer die Indianer zu
erwarten. Wir schauen dem Treiben eine Weile zu, und ich plaudere mit einem Navajo, der interessiert
wissen will, woher wir sind, uns dann einen Markt zeigt, so eine Art Wochenmarkt. Er nennt es „swap
market“ (Tauschmarkt). Dachte gerade heute morgen, wie schade es ist, dass man durch das NavajoGebiet einfach durchfaehrt und gar nicht mitbekommt, was da so stattfindet. Es trifft sich also gut. Der
Mann von der Tankstelle faehrt vor uns her und fuehrt uns eine staubig-rote Holperpiste entlang. Armer
RV. Der Parkplatz ist auch zu eng fuer uns. Da kommt eine Funktionaerin vom Markt, macht die
Schranke auf und winkt uns freundlich auf das Marktgelaende. Wir schlendern lange ueber den Markt,
der ausschliesslich von und fuer Navajos ist. Es gibt alles: gebrauchte und neue Kleidung, gebrauchtes
und neues Werkzeug, indianische Essensspezialitaeten, Kraeuter, die man als Tee trinken, rauchen, oder
fuer Zeremonien verbrennen kann. Alle „good for physical and mental health“. Wir kaufen ein
Beutelchen, und als wir es zurueck in Deutschland wie Weihrauch verbrennen, denken die Kinder, ihre
Eltern seien unter die Kiffer gegangen. Die Verkaeufer am Stand sind zwei ca 25 – 30 jaehrige Brueder
und ihre Mutter. Sie sind sehr offen und freundlich, wie alle hier. Sie stammen vom Fusse des Navajo
Mountain, nicht weit von hier. Ich erzaehle ihnen, dass mein Louis L’Amour-Buch dort spielt. Sie kennen
ihn und erzaehlen, dass ihr Familienname, Big Pine (auf Navajo), benannt nach den gross gewachsenen
Maennern in der Familie, in einem der Romane erwaehnt wird! An einem anderen Stand ist eine junge
Frau mit ihrer ca. 70-jaerhigen Grossmutter. Von ihr kaufen wir blauen Mais (es gibt ihn in lauter
verschiedenen Farben). Sie erklaert uns, was man alles damit anstellen kann: z.B. zu Pulver mahlen und
sich mit Wasser vermengt auf die Stirn schmieren gegen schlechte Traeume, oder aussen rund um’s
Haus schmierren gegen boese Geister, oder ganz schnoede in den Morgenkaffee ruehren als Sattmacher
– so macht es die Oma. Josef fragt sie noch, ob sie wisse, welcher Prozentsatz der Indianer christlic ist,
denn wir haben im ganzen Navajogebiet immer wieder Kirchen gesehen. Sie sagt, in den Reservaten bis
zu 25%. Es gibt viele kleine Kirchen. Ihre Geschwister wurden im Internat missioniert, haben irgendwann
die Oma mitgenommen in die Kirche, die das gut fand und immer mal von Kirche zu Kirche geht. Zur Zeit
ist sie bei den Presbytern, weil die sie zum Gottesdienst mit dem Auto abholen. Sehr pragmatisch. Auch
der Opa und sie selbst seien bekehrt worden. Sie koenne sich mit den Lehren der „Traditionals“ nicht
identifizieren, die wuerden die falschen Dinge predigen, wie Polygamie und Drogenkonsum (I wonder).
Es gibt hier offiziell keinen Alkohol zu kaufen – nirgends in den Indianergebieten. Nur unter der Hand.
Theoretisch darf man, analog Sharjah, noch nicht einmal mit Alkohol im Fahrzeug das Gebiet
durchfahren. Kaufen noch Navajo-Kuchen und Navajo-Brot aus Maismehl, beides gruenlich, die ein
bisschen schmecken wie Saegespaene und auch aehnlich stauben beim Essen. Aber es entsteht ein
cooles Foto von Josef mit dem Verkaeufer.
Einem kaufen wir eine getoepferte Schuessel ab. Sie ist mit Baumharz versiegelt und poliert. Hatte
irgendwo ueber das Verfahren gelesen, das die Anasazi schon vor 1000 Jahren angewendet haben, um
Gefaesse abzudichten. An einem weiteren Stand steht eine Aktivistin, die Unterschriften sammelt gegen
ein Hotelprojekt unten im Grand Canyon. Die Investoren sind ein Navajo und ein Anglo (so nennen sie
die Weissen). Ausgerechnet ein Navajo: Der Grand Canyon ist heiliges Land fuer die Navajos. Wir
unterschreiben und haengen einen Aufbleber in unsere Heckscheibe. „SavetheConfluence.com“ und „No
to Escalade“. Der ganze Markt ist sehr spannend. Wir werden dreimal um Geld angebettelt. Und lehnen
dreimal ab. Alle drei Maenner, die nicht verhungert aussehen.
Fahren schliesslich weiter zum Grand Canyon und kommen ueber die oestliche Zufahrt zum South Rim.
Der Campground dort ist schon fuer den Winter geschlossen. Mist. Fahren die Strasse bis zur westlichen
Zufahrt ab, halten an jedem View Point und machen wahrscheinlich lauter grottenschlechte Fotos von
diesem wahrlich grandiosen Canyon im leuchtenden Abendlich.
Er ist riesig und tief und die verschiedenen Rot- und Orangetoene ein rechtes Spektakel. Interessant ist,
dass wir eigentlich im Navajo-Gebiet sind, dass der winzige fuer Touristen zugaenglich gemachte Teil
dieses endlosen Canyons jedoch unter Nationalparkverwaltung steht. Es ist noch richtig viel los hier,
obwohl es bald dunkel wird. Die Campgrounds im Westen sind auch beide voll! Duerfen aber im
angrenzenden Kaibab National Forest „dispersed camping“ machen. Wir sehen Elche direkt an der
Strasse und finden ganz nah an der Strasse und doch ganz einsam ein ebenes Plaetzchen.
Samstag, 24.Oktober 2016
Haben gut geschlafen auf unserem einsamen Waldweg und sind morgens gleich zum Visitor Center, um
zu fragen, ob wir runter koennen in den Canyon. Das war erst gar nicht recht das Ziel, weil wir dachten,
es sei unerreichbar. Aber als wir am Rim oben standen und runter schauten, hatten wir Lust – wenn auch
mehr Angst als Vaterlandsliebe. Hatten im Reisefuehrer gelesen, man koenne nur hinunter, wenn man
vorher online eine Uebernachtung gebucht habe, da man unmoeglich an einem Tag hinunter und wieder
rauf kann, und dies muesse man ein ganzes Jahr im Voraus tun, weil immer alles voll sei. Die vom Visitor
Center machen uns keine Hoffnung auf einen Schlafplatz, sagen auch, es sei sehr beschwerlich und ohne
entsprechendes Training nicht machbar, die Leute wuerden sich staendig uebrschaetzen und sie
muessten jaehrlich Hunderte von ueberforderten Wanderern da wieder raus holen; wir sollten aber ja
nicht denken, dass sie uns mit dem Helicopter oder so retten kaemen; die wuerden einen Ranger zu Fuss
runter schicken, der einen dann den Berg hoch jage – so nach dem Motto: Bist runtergekommen, da
kannst auch wieder hoch laufen. Aha! Der freundliche Ranger schickt uns zur Bright Angel Lodge, denn
denen gehoeren Schlafsaal und Kabinen unten im Tal. Wir lassen uns fuer morgen Nacht auf die
Warteliste setzen und sollen morgen frueh um 6:30 wiederkommen, weil sie dann die Warteliste
aufrufen, um No-Show-Plaetze zu vergeben. Es ist wirklich eine Herausforderung: 1400 Hoehenmeter
runter, uebernachten und am naechsten Tag wieder rauf. Wir sind ja viel gewandert auf dieser Reise
und sind ganz gut in Uebung, aber nach all den Warnungen haben wir doch wirklich Respekt. Als
Aufwaermtraining laufen wir heute den Rim Trail knapp 9 km Richtung Hermit’s Rest. Fahren den Rest
mit dem Shuttle Bus, der in regelmaessigen Abstaenden parallel zum Wanderpfad auf der Strasse an uns
vorbei faehrt. Das bissel, was wir hier zu Fuss und mit dem Bus erreichen koennen, ist nur ein winziger
Bruchteil des gesamten Grand Canyon. Die Strasse am South Rim erstreckt sich ueber 30km, aber der
Colorado River hat den Canyon ueber eine Laenge von 300km aus dem Hochplateau geschnitzt.
Waehrend wir am Rim entlang laufen haben wir staendig wechselnde Perspektiven und Aussichten die
1500m in den Canyon hinunter, sehen mal den lehmig braunen Colorado River, mal nur die unzaehligen
Nebentaeler, die Wasser zu ihm fuehren, wenn es denn einmal regnet. Mesas in braun, grau und rot, die
Taeler dazwischen manchmal ein bisschen gruen, schroffe, glatte Waende, terrassenartige Abstufungen
dazwischen. Immer wieder direkt neben unseren Fuessen 100’e von Metern Abgrund, dass es einem
ganz flau wird im Bauch. Meist ist da keine Absicherung, nichts. Es gibt vier Trails hinunter in den
Canyon: Der populaerste und am meisten freuentierte ist der Bright Angel’s Trail. Den wuerden wohl
auch wir nehmen, wenn es mit der Uebernachtung klappt, weil es der am wenigsten steile ist. Zwei
Trails, die jeweils am oestlichen und am westlichen Ende der 30-km-Strasse starten, werden gar nicht
genannt. Sie sind wohl so steil und gefaehrlich, dass man sie gern verschweigt, damit die Wanderer gar
nicht erst in Versuchung kommen. Der vierte, der South Kaibab Trail wird als der bessere Abstieg
bezeichnet, weil er zwar steiler ist, also fuer den Aufstieg nicht so gut, jedoch von Anfang an immer
wieder spektakulaere Ausblicke in den Canyon liefert, waehrend der Bright Angel lange in Nebentaelern
bleibt.
Gehen nach unserer Wanderung noch einmal um 17:00 in die Lodge und fragen nochmals nach wegen
eines Schlafplatzes unten, aber es bleibt dabei: Wir muessen morgens um 6:30 antreten und fragen.
Schlendern durch die Lodge, bleiben im dazugehoerigen Saloon haengen und trinken ein Bierchen. Es
laufen zwei Bildschirme mit irgendwelchen wichtigen Baseballspielen und ein Country-Saenger spielt
und singt in der Ecke, und niemand schenkt ihm recht Beachtung. Dabei macht er schoene Musik. Joni
Mitchell und so. Neben uns am Thresen sitzen Bob und Laura, ein Ehepaar, und Tony, eine recht
maennliche Frau. Hatten in der New York Times gelesen, dass bei einer Wahl Clintons
buergerkriegsaehnliche Zustaende befuerchtet wuerden, weil Trumps Anhaenger das Wahlergebnis
nicht akzeptieren wuerden, was Trump auch kraeftig schuert. Sie glauben, die Berfuerchtungen seien
uebertrieben. Ob sie Unruhen befuerchten? Tony sagt, vielleicht, wenn Ohio die Baseball Championships
verlieren. Tony laeuft morgen hinunter in den Canyon und zur Phantom Ranch, Bob und Laura reiten
auf Mulis. Wer weiss? Vielleicht treffen wir sie unten? Und wenn es nicht klappt, laufen wir halb runter
bis zum Indian Garden und wieder rauf.
Uebernachten wieder auf unserem Waldweg.
Montag, 31.Oktober 2016
Sind also um 7:00 zur Rezeption der Bright Angel Lodge und siehe da: es klappt!! Wir bekommen zwei
Betten im nach Geschlechtern getrennten Schlafsaal (mehr Schlafhuette). Josef ist erst ein bisschen
erschrocken. Er hatte ein wenig gehofft, dass es nicht klappt, denn die 2 x 1500m Hoehenmeter sind
kein Pappenstiel, und er weiss, im Gegensatz zu mir, worauf wir uns einlassen. Wir gehen zurueck zum
RV, packen ganz leicht, verteilen es auf 2 Ruecksaecke und los geht’s am Bright Angel Trail Head. Die in
der Lodge hatten empfohlen, hinunter den South Kaibab Trail zu nehmen; der ist jedoch steilen, und wir
gehen unseren Gelenken zuliebe den weniger steilen. Es geht aber auch hier direkt im steilen Zickzack
hinunter. Die Aussichten nach allen Seiten sind ganz wunderbar. Es ist 9:30 morgens, und es sind schon
ziemlich viele Leute unterwegs. Die meisten gehen nur bis zum ersten oder zweiten Rastpunkt (1,2 bzw.
3 Meilen ), die Fitteren bis zum Indian Garden, einer Oase auf halber Hoehe. Es geht nur 1% aller
Besucher bis hinunter zur Phantom Ranch, und wir gehoeren dazu. Haben grossen Respekt vor der
Wanderung und ein bisschen Angst, dass wir es nicht schaffen koennten. Aber offenbar haben wir in den
vergangenen drei Wochen genug trainiert. Es laeuft gut. Am Indian Garden ist ein Campingplatz fuer
Zelte und ein Rastplatz fuer die Mulis. Hier treffen wir Bob und Lorna aus der Kneipe gestern Abend
wieder; sie sind mit der Mulikarawane unterwegs. Machen auch Rast, knipsen die Karawane, deren
Anfuehrer in voller Cowboy-Montur sind. Sehen klasse aus. Da sind noch drei Parkangestellte, die zwei
riesige Netze mit Proviantkisten vorbereitet haben, damit der Helikopter sie abholt. Nicht ungefaehrlich
bei diesen Talwinden.
Nach dem Indian Garden verschwindet der Trail im Seitental des Indian Garden Creek. Es ist
wunderhuebsch gruen und plaetschert neben uns. Das Taelchen verengt sich zu einem Canyon, wird
dann wieder weiter ; dann verschwindet der Creek zwischen zwei steilen Felswaenden in einer Enge. Der
Trail weicht ab, laeuft an hohen Felswaenden entlang in ein weiteres Seitenteil, wo ein anderer Bach
plaetschert, trifft am anderen Ende des steilen Indian Garden Creek wieder auf denselben, und beide
Fluesschen laufen zusammen, um sich unten in den Colorado zu ergiessen. Ploetzlich stehen wir vor dem
reisssenden, milchig-gruenen, ca. 50m breiten Colorado. Es nimmt einem die Luft, dass man es runter
geschafft hat! Geniessen den Ausblick ein Weilchen, setzen uns dann ans Ufer, ziehen Stiefel und Socken
aus. Hier unten ist es 10 Grad waermer als oben an der Kante. Muessen nun noch eine ganze Weile am
Colorado entlang (wieder 100m hoeher!), dann ueber eine schmale Fussgangerbruecke ueber den
brodelnden, reissenden Gluss unter uns. Kommen drueben an der Muendung des Clear Creek raus, der
von der Nordseite des Canyons kommt und ein knallgruenes Delta bildet. Wir sind noch immer nicht
ganz da! Muessen noch ein ganzes Stueck ddas Seitental des Clear Creek hinauf, am Campingplatz
vorbei, dann endlich sehen wir die Gebaeude – alle schoen hineingepasst in die Landschaft aus
Naturstein und Holz, geplant von der Haus- und Hofarchitektin aller National Parks, Mary Jane Colter,
geboren 1869, gestorben 1950 oder so. Lorna, Bob und Tony sind schon da. Letztere ist den South
Kaibab Trail hinunter gekommen. Wir verteilen uns auf unsere Schlafsael, um unsere Betten in Besitz zu
nehmen und zu duschen. Bei mir ist eine Taiwanesin namens Maggie, die seit 30 Jahren in den USA lebt.
Sie ist typische Vertreterin der Chinesen hier: IT-Fachfrau, kaestchendenkend: die Nationalparks werden
systematisch abgearbeitet, und zwar mit allen Herausforderungen. Sie erzaehlt mir von ihrem 25-
jaerhigen autistischen Sohn. Sie macht seit zwei Jahren jeweils im Mai und im Oktober eine
Nationalparktour fuer sich allein, um zu Kraeften zu kommen. Unvorstellbar. Ich hoere hier zum ersten
Mal aus erster Hand ueber einen Autisten. Es muss unendlich schwer sein. Josef ist zwischenzeitlich auf
dem Baenkle vor seinem Schlafsaal eingeschlafen. Wir warten auf das Abendessen. Um 17:00 gibt es
Steak, um 18:30 beef stew. Haben noch Zeit und laufen kurz vor Sonnenuntergang noch den Clear Creek
ca. 1 Meile hinauf. Alles leuchtet und glueht im Abendrot. Herrlich. Man kann sich nicht satt gucken,
Josef entdeckt kleine Kakteen mit leuchtend roten Blueten. Danach gehen wir noch zu einem
sogenannten Ranger Talk. Dort sitzen im Halbkreis die Wanderer und ein Ranger erzaehlt so dies und
das: Es gibt insgesamt 450 Nationalparks in den USA, die 30% der Landflaeche bedecken und 20.000
Menschen beschaeftigen. Hinzu kommen State Parks, Regional Parks, National Monuments und
National Forests.
Sitzen danach vor dem Speisesaal, bis die Steakesser fertig sind und endlich mit einer Glocke zum Beef
Stew gelaeutet wird. Es gibt vier Mannschaftstische mit geweils ca 20 Leuten. Auf der Tischmitte stehen
in einer Reihe dampfende Schuesseln und Getraenke. Man bedient sich gegenseitig. Stimmung wie im
Jugendzeltlager. Ausser, dass keine Jugendlichen dabei sind. Das Essen ist super! Plaudern am Tisch mit
ein paar Leuten, die mit eine Abenteuerfirma unterwegs sind. Eine davon, Andrea aus LA, koennte
Deutsche sein. Blondes, kurzes Wuschelhaar, blaue Brille, wirkt bissel verwirrt. Ist aber einfach am Ende.
Hat keinerlei Uebung im Berge rauf und runter Laufen, und dann gleich so eine Mammut-Tour. Ich
moechte nicht wissen, wie die heute den Aufstieg gemacht hat! Beim Abstieg musste die Fuehrerin sie
schon halb tragen, sagt sie scherzend. Sie ist Produzentin von Dokumentarfilmen, 54 Jahre alt, will jetzt
dringend etwas anderen machen mit ihrem Leben, kommt mit der Schnellebigkeit in ihrer Industrie nicht
mehr klar, weiss jedoch nicht, was tun. Schwierig. Eine junge Frau bei uns am Tisch hat Geburtstag
heute, und ihr Freund hat ihr diese Wanderung geschenkt. Andrea und ich stimmen „Happy Birthday“
an, und der ganze Saal singt mit. Sie wischt sich ein paar Traenen aus den Augen. Sehe erst morgens,
dass sie meinen Bettnachbarin ist. Waeren nun eigentlich alle ein Fall fuer’s Bett, aber es ist noch ein
bisschen frueh. Also gehen wir noch einmal zu einem Ranger Talk – derselbe wie vorhin spricht
wiederum sehr unterhaltsam ueber die Architektin Mary Jane Colter, wohl so eine Steckenpferd von
ihm. Alles im National Park, einschliesslich der Phantom Ranch, ist von ihr gebaut. Er verliert, oh
Wunder, einige kritische Worte ueber die fruehere und heutige Behandlung der Native American durch
die Weissen. Immerhin! Wollen nach dem Talk noch ein Bierchen trinken, duerfen es aber nur im
Speisesaal trinken. Schade. Draussen ist es herrlich warm, Wind und Wolken von vorher sind weg. Naja,
gehen dann recht schnell ins Koerbchen.
Um 4:30 ist das erste Wecken fuer die 5-Uhr-Fruehstuecker; wir haben uns fuer 6:30 eingetragen. Josef
ist in seinem Maennerschlafsaal auch erwacht. Treffen beim Fruehstueck nochmal alle, die wir so
kennengelernt haben und zuckeln um 7:30 los. Der Aufstieg soll 6 – 8 Stunden dauern. Haben jetzt
deutlich mehr Gewicht, weil wir mehr Wasser mitgenommen haben und vom Haus noch einen
Vesperbeutel. Braeuchten es eigentlich gar nicht, aber wir hatten es bestellt, weil wir nicht recht
wussten, was auf uns zu kommt. Laufen stetig und mit gutem Tempo hinauf, machen nur eine 20-
minuetige Pause am Indian Garden, wo wir Toni nochmals treffen. Haette gern nochmal ein Bier mit ihr
getrunken oben am Rim, aber wir sehen sie nachher nicht mehr. Beim Auf- und Abstieg begegnen uns
immer wieder Leute, mit denen wir uns austauschen: 2 junge Frauen und ein junger Mann, die in fuenf
Tagen den Rim to Rim to Rim Walk gemacht haben. Das heisst, sie sind von der Suedkante des Canyon
hinunter zum Colorado River, dann wieder hinauf auf der Nordseite und das ganze Retour. Irre. Unten
an der Phantom Ranch erzaehlt uns ein Ranger von einem Ranger-Ehepaar, die zwei Monate lang eine
so genannte Trail-Finding-Tour von Ost nach West durch den Canyon gemacht haben, also immer am
Colorado entlang, aber natuerlich mit vielen Hindernissen, so dass sie immer wieder rauf und runter
mussten. Dann begegnet uns ein Bursche, der sein Mountain Bike samt Campingausruestung auf dem
Buckel traegt. Er faehrt den Colorado-Utah-Arizona Fahrrad-Trail, der u.A. eben von Norden durch den
Grand Canyon fuehrt. Hier darf er aber nicht fahren, also musste er sein Fahrrad vom North Rim
hinunter und die Suedseite wieder hinauf tragen. Als ich ihn frage, ob das Spass macht, sagt er: „I call it
the type 2 fun. It’s fun when you think about it afterwards.“ (!) Dann treffen wir noch vier Amish-Paare:
Die Maenner mit langen Baerten und Zauselhaar, die Frauen mit weissem Haeubchen, langen Kutten
und ganz normalen Strassenschuhen. Sie laufen auch die 1500 m hinunter zur Phanton Ranch und
muten an wie fruehe Siedler. Ob die es geschafft haben? Sind bestimmt zaeh.
Wie sind sehr konzentriert, unsere Kraefte einzuteilen und brauchen statt der avisierten 6 – 8 Stunden
nur 5,5 einschliesslich Pausen. Sind tierisch stolz. Als wir beim Resthouse 3 Miles ankommen, also 4,5 km
vor Ende, weiss ich, dass wir es schaffen und bin so froh und stolz, dass ich heulen koennte. Allein oben
am Ausgangspunkt steht keine Blaskapelle, niemand, der uns gebuehrend beklatscht und bewundert,
nur die normalen Touris, die runter in den Canyon starren. Lassen uns vor dem Schild ablichten und
sehen erwartungsgemaess etwas gequaelt aus.
Laufen mit letzter Kraft zum RV zurueck, verzehren erst einmal ne Menge Kaffee, Nuesse und Kekse und
schwingen uns unter die Dusche. Fahren dann zum Yavapai Observation Point, von wo aus man einen
guten Blick auf Trail, Indian Garden, Colorado River und die Phantom Ranch hat. Ein verrueckt
aussehender, kunterbunt gekleideter Bursche wirft einen Stein hinunter. Ich schimpfe mit ihm, weil da
unten ja Leute laufen. Er ist voellig ueberrascht ob dieser Information und entschuldigt sich ganz
zerknirscht, weil das ja in einem Nationalpark mit jaehrlich fuenf Mio Besuchern auch gaenzlich
unwahrscheinlich ist, steht Minuten spaeter so nah am Abgrund, dass ich denke, jetzt springt er gleich.
Ich sage nebenan im Yavapei Museum Bescheid. Wir beobachten ihn eine Weile, aber er steht wie
angewurzelt dort.
Nachdem uns nun ein paar Kleidungsstuecke ausgegangen sind – ich habe viel zu viel Warmes und zu
wenig Luftiges mitgenommen – gehen wir hier im National Park zum ersten Mal in einen Laundromat,
einen Waschsalon. Es ist wie in den amerikanischen Spielfilmen: Uralte, wenig effiziente
halbautomatische Waschmaschinen, wie ich sie von Palaestina bei Opa zu Ende der 70’er benuetzt habe,
in einer langen Reihe, dahinter riesige Waeschetrockner. Man wirft Tonnen von Quarter-Muenzen ein,
setzt sich mit einem Buch auf die Plastikstuehle und wartet. Es ist Haloween und eine Kundin verteilt
uebel schmeckende Bonbons an die Wartenden, waehrend im Fernseher ueber unseren Koepfen
Schwarzweiss-Vorabendserien aus den 60’er Jahren laufen.
Wir fahren nach 4 Naechten raus aus dem Grand Canyon National Park, durch die Stadt Tusayan
hindurch – eigentlich die Einfallstrasse zum Park, aber wir machen ja alles verkehrt herum und fahren
drum so herum raus – und wieder in den National Forest. Josef kocht. Hunger!!!
Dienstag, 1. November, 2016
Wachen beide mit Muskelkater in diversen Beinpartien auf und sind etwas steif. Fahren in das
legendaere Williams an der noch legendaereren Route 66, einst eine der wichtigsten Ost-WestVerbindungen und Sinnbild der „Last Frontier“, immer wieder besungen und bedichtet. Wir kommen
frueh morgens an. Die Stadt ist verschlafen und leer, die Buergersteige noch hochgeklappt. Fahren also
erst einmal zum Safeway und fuellen den Kuehlschrank auf. Danach laufen wir einmal den Abschnitt der
Route 66 rauf und runter, der hier das Stadtzentrum bildet, gucken uns die diversen Tourinepplaeden
an, wo sie billigen indischen und pakistanischen Schnickschnack als indianische Kultur verkaufen. Ich
bekomme eine Levis in einem schoenen Laden direkt auf der Route. Werde sie in Ehren halten. Und
Josef kauft im gleichen Laden Buckskin-Handschuhe fuer sich. Wollen eigentlich in einem der Cafes
einen Kaffee trinken, aber nachdem hier alles so ausgestorben ist, trinken wir ihn im RV. Abends ist es
sicher nett hier. Wir machen uns auf in die grobe Richtung San Diego, also suedwestlich, fahren jedoch
nicht ueber Flagstaff und Sedona, wo es noch ein paar Dinge zu sehen gaebe. Besonders Sedona ist wohl
recht huesch, aber teuer – ist der Wochenendspielplatz der Leute aus Phoenix, Arizona, was ein paar
Autostunden suedlich liegt. Fahren stattdessen den Highway 89 ueber Ash Fork, Prescott und Congress.
Kurz vor Congress, als wir eben die Berge der Sierra Nevada hinter uns lassen und hinunter kommen in
die Ebene, geluestet es uns nach einem Burger, und wir halten an einem Saloon an der Strasse. Ist richtig
nett innen drin. Setzen uns an die Bar und bestellen Burger und Fries. Alles home-made. Richtig gut.
Josef trinkt eiskalte Cola und erfriert schier; ich bestelle ein Coors Lite mit Sprudel und erklaere ihnen
Radler Sauer. Neben uns sitzen zwei Maenner in unserem Alter, die sich vom College kennen. Beide
waren einst in Deutschland, der eine fuer die US Navy in Hamburg und Luebeck, der andere fuer eine
US-Firma in Wiesbaden in den 70’er Jahren. Die hatten damals tuerkische Gastarbeiterinnen und er
hatte eine tuerkische Freundin! Sie sind beide Trump-Gegner. Sie waren in der Wueste unterwegs und
haben eine Geldboerse gefunden; der eine telefoniert die ganze Zeit, bis er den dankbaren Besitzer der
Boerse ausfindig macht.
Fahren weiter nach Congress, einem huebschen Staedtchen, was ja hier eher selten ist. Parken vor
einem Waffenladen. Der hat ein riesiges Transparent vor dem Laden: „We will make America Great
Again – One Gun at a Time“. Wir gehen neugierig rein und Josef fragt den verdatterten, zunaechst
mistrauischen und etwas spiessig und wenig cowboyhaft wirkenden Inhaber, ob er als deutscher Tourist
sich hier eine Knarre kaufen koenne. Koenne er nicht. Aha. Wir schauen uns um. Sein Sortiment ist
wirklich umfassend. Fehlen nur Panzerfaeuste und dergleichen. Diskutieren mit ihm; er ist natuerlich
Trump-Waehler, plaediert fuer freie Waffen fuer alle Buerger und ist nicht der Einzige, der fest daran
glaubt, dass die USA nur deshalb nie ueberfallen wurden, weil jeder potenzielle Eroberer weiss, dass
jeder Amerikaner mindestens eine Waffe unter dem Kopfkissen liegen hat. Aha! Soso!
Wir fahren weiter durch die Wuestenlandschaft Arizonas. Bis zum Ende der Berg- und Huegellandschaft
war es noch ein wenig gruen. Als wir vom Hochplaeteau in die Ebene kommen, veraendert sich die
Vegetation schlagartig. Hier stehen riesige mehrarmige Kakteen, fuenfmal mannshoch, wie aus LuckyLuke-Heften, dazwischen andere Kakteen, wie wir sie noch nie gesehen haben, nur noch vereinzelt
Kiefern, dazwischen flaches Gestruepp.
Alles leuchtet wieder im Abendrot. Wir biegen vom Highway 89 in suedwestlicher Richtung ab auf den
Highway 71. Als es eben dunkel wird, halten wir in Welden, kurz bevor die 71 auf die I 10 muendet, auf
einem sehr gepflegten RV-Platz, betrieben von einem fast 90-jaehrigen Ehepaar, die damit ihre Rente
bestreiten. Hier sind wir jetzt in Snowbird-Country – lauter Rentner aus dem Norden, die sich ein
Eigenheim in Florida nicht leisten koennen und ihre Winter deshalb hier im Motorhome in der Einoede
Arizonas verbringen. Immerhin viel netter als ein mittelmaessiges Apartment in einer grauen, kalten
Grossstadt. Ab und an hoert man ein Auto vorbei fahren; ansonsten ist es total still. Es ist Neumond und
der Himmel so klar, dass man den Rest des Mondes im Schatten der Erde ganz klar sieht. Und wieder ein
unglaublicher Sternenhimmel.
Mittwoch, 2.November, 2016
Leider war’s heute frueh nichts damit, die schoen gepflegten Waschraeume benuetzen: Es ist in der
Nacht ein Wasserrohr geborsten, und der Platz ist fuer ein paar Stunden ohne fliessend Wasser. Gott sei
Dank sind wir autark. Plaudern auf der Veranda der Chefin noch mit ihr, sowie zwei Snowbird-Damen,
bewundern Fruehlingsfotos von den riesigen Kakteen in voller Bluete in der Auffahrt zum Platz, ferner
vom Wildlife, und machen uns dann aur Richtung Sueden. Halten kurz in Hope, das praktisch nur aus
Snowbird-RV-Parks besteht, plaudern mit einem Exemplar, der gerade seinen Pinscher Gassi fuehrt. Er
war Gefaengniswaerter vor der Rente.
Heute war der ganze Tag ein Roadtrip. Die Landschaft ist flach, besetzt von Riesenkakteen, Cholas
(Teddybear-Kaktus) und fuenf Meter hohen Christusdornbueschen. Das muss im Fruehjahr der Hammer
sein! Hinter all dem als Kulisse Berge wie in Shawka: braunes, broeseliges, nacktes Gestein. Einige
Kilometer vor Yuma an der mexikanischen Grenze rechts ein riesiges Militaergelaende, links endlose
Felder mit industriell betriebener Landwirtschaft. Hat nichts mit unseren huebschen Aeckern in
Deutschland zu tun. Pfluecken ein paar Baumwollbaelle. Sie sind ungefaehr fuenfmal so gross wie die in
unserem Garten in Dubai, aus denen ich Kissenfuellungen fuer die Kinder gemacht habe. Ueberqueren
immer wieder den All-American Canal, der mit Wasser aus dem Colorado River hier die Landwirtschaft
versorgt. Die Arbeiter sind Angestellte grosser Agrarfirmen , soweit wir erkennen koennen, alles
Mexikaner. Sie werden, wie bei uns frueher die Polen, heute die Rumaenen, in Bussen auf die Felder
gebracht, wo sie den ganzen Tag arbeiten. Die Stadt Yuma sieht aus wie eine Aneinanderreihung von
Arabian Ranches Commmunity Centers. An einer Kreuzung stehen Trump-Gegner und schwenken
Plakate. Das ist eigentlich das erste Mal, dass wir eine deutliche Opposition gegen Trum sehen.
Fragen an der Tankstelle nach dem Stadtzentrum und finden es auch: es ist eine ausgestorbene Strasse
mit pseudo-alten Fassaden, leer stehenden Geschaeften, einem Kasino und ein paar
Regierungsgebaeuden. Wir sind zum ersten Mal auf unserer Reise seit Death Valley wieder in flachen
Gefilden, fast auf Meeresspiegel, und es ist richtig warm. Ich ziehe eine kurze Hose an. Trinken
wiederum mangels ansprechender Alternative im RV einen Kaffee und machen uns auf den Weg
Richtung mexikanische Grenze. Wollen parallel zur Genze auf einer Landstrasse nach San Diego hinein
fahren. Fahren durch Calexico. Auf der anderen Seite der Grenze liegt Mexicali, einer Industriestadt, in
der viele besonders amerikanische Firmen, aber auch Thyssen, zu mexikanischen Bedingungen fertigen
lassen, was Trump ja erklaertermassen aendern will. Da sind wir gespannt, und die Mexikaner bangen
um ihre Jobs dort. Irgendwann sehen wir den Grenzzaun, fahren lange parallel, fotografieren ihn. Er
kann es durchaus mit der ehemaligen DDR-Grenze aufnehmen. Wissen gar nicht recht, was Trump da
noch mehr befestigen will.
Und ueberall sind Border Patrol Fahrzeuge. Laut Navi gibt es hier einen RV-Platz, den wir dann auch
finden, der jedoch nur fuer „permanent residents“ ist. Es ist kurz vor Dunkelheit, als wir den naechsten
Platz finden. Kalifornische Preise: $35, und das Klo ist angeblich wegen Reparatur ausser Betrieb. Ich
versuche es morgens, und es tut ganz wunderbar. Der Camp Host hat einfach keine Lust zu putzen. Das
Abwasser-Dumprohr ist auch unbenuetzbar. Also nicht nur Grossstadtpreise, sondern auch
Grossstadtverhalten. Als ich mich morgens beschweren will, reagiert er einfach nicht auf mein Klopfen.
Will meine Beschwerde bei einem anderen Bewohner loswerden, dass er es weitergibt, aber der sagt: „I
don’t take messages“. Nice people here. Sind wieder auf 1000m Hoehe, und es ist wieder richtig kalt.
Haben seit heute wieder Kontakt zu AT&T, haben mit Oma Emmi telefoniert und uns fuer Samstag, den
5. November mit Rory, Josefs Kollegen aus Dubai, in San Diego verabredet.
Donnerstag, 3. November 2016
Fahren ueber ein Netz von kleinen Landstrassen nach San Diego. Man spuert eingentlich nichts davon,
dass man ganz in der Naehe der dicht besiedelten Kueste oder der Grossstadt ist. Noch ist alles sehr
laendlich. Ploetzlich fliegt knapp ueber das RV-Dach hinweg ein Fallschirm. Ich erschrecke mich ganz
fuerchterlich. Halten am Landeplatz und gucken ein Weilchen beim Tandemspringen zu. Der Chef ist
Deutscher. Nach langem Gekurve durch das Landstrassennetz passieren wir einen richtigen
Kontrollpunkt der Border Patrol mit auf das Auto gerichteten Kameras – wie ein israelischer Checkpoint.
Kommen schliesslich im Sueden von San Diego raus, parken den RV vor einem riesigen Mode-OutletCenter, in dem alle Marken und Ketten vertreten sind und besonders die reichen Mexikaner einkaufen,
die dafuer ueber die zu Fuss erreichbare Grenze kommen. Wir laufen nach Tijuana auf der
mexikanischen Seite und sind ploetzlich in der Dritten Welt. Seit den Drogenkriegen mit all ihren
Morden gehen die Amerikaner nicht mehr rueber. Frueher gab es einen medizinischen Tourismus wie
von Deutschland nach Tschechien. Tijuana ist voller Zahn- und Augenkliniken, Schoenheitschirurgen und
Apotheken.
Aber heute sieht es leer und tot aus. Die Tourinepp-Laeden stehen leer, die Einkaufsstrassen trostlos.
Finden dank einer Touristeninfo den authentischen Teil der Stadt mit einem einheimischen Markt, der
an Deira erinnert: ueberdacht mit viel Kraeuterkram, Obst, Gemuese, Kaese, etc. Josef schlaegt sich
einen Zehen auf, so dass wir ihn am Bordstein mit einem Pflaster verarzten muessen. Sind bloederweise
in Gummischlappen unterwegs. Essen auf der Strasse fische Churros . Das Geraet, mit dem die junge
Frau die Teigwurst in das heisse Fett ringeln laesst, ist die umgebaute Kurbelwelle eines Autos! Spaeter
essen wir in einer kleinen Garkueche Tacos mit Inhalt. Beides sehr lecker. Trinken an einer Strassenecke
noch ein Kaffee und machen uns auf den Rueckweg zur Grenze nach San Diego. Es leben sehr viele
Menschen in Tijuana und pendeln taeglich zu Fuss ueber die Grenze zur Arbeit nach San Diego. Wir sind
froh, aus dem Dritte-Welt-Elend wieder heraus zu sein. Es ist so nah dran – unlgaublich. Kein Wunder,
dass die Menschen alles auf sich nehmen, diesem Elend zu entkommen, wo die fette Wurst direkt vor
ihrer Nase haengt.
Suchen einen RV-Platz am Meer auf, noch immer ganz im Sueden San Diegos. Der Chula Vista kostet
stolze $75 pro Nacht! Haben einen Platz in der ersten Reihe, direkt am Meer. Aber leider ist eine Mauer
dazwischen. Alles super eng hier, wie wir es nur in Las Vegas erlebt haben. Aber sehr gepflegt. Machen
noch einen Abendspaziergang am Strand. Hubschrauber und Tiefflieger von Coronado Island direkt
gegenueber fliegen tief ueber unsere Koepfe hinweg. Haben mit Rory telefoniert. Er und seine Frau
gehen am Samstag mit uns in den San Diego Zoo. Soll super sein. Vormittags gehen wir der Einladung
unseres Kumpel Ayden von Capitol Reef Park nach und besichtigen den Flugzeugtraeger. Aber morgen
haben wir den Tag fuer uns und gehen Sightseeing.
Freitag, 4. November 2016
Wir stellen den RV am Trolley(Strassenbahn)-Parkplatz der H Street ab und fahren mit dem Blue Trolley
in die Stadt. Dort, an einem der Hotels, steigen wir in den „Hop on Hop off Trolley“, einer Art
Strassenbahn auf Raedern, die die wichtigsten Touristenziele ansteuert. Kaufen eine Tageskarte fuer
$37. Die Fahrerin, die gleichzeitig Tour Guide ist, hat eine unertraegliche Mickeymouse-Stimme, und
Josef wird ganz kirre. Wir fahren ueber die endlose Bruecke zur Coronado-Halbinsel, einem langen,
schmalen Streifen Land gegenueber vom und parallel zum Festland. Es ist alles sehr, sehr huebsch hier!
Sie haben hier eine Bauvorschrift, dass kein Haus wie das andere aussehen darf, so dass wir hier zum
ersten Mal in den USA so etwas Gewachsenes mit kleinen, huebschen Haeusern und auch groesseren,
schlossartigen Villen sehen – und das alles durchsetzt mit einer wunderbar exotischen Vegetation. Wohl
dem, der hier 1890 oder so ein Grundstueck ersteigert hat. Damals war es eine nackte Sandbank, nicht
besonders begehrt, und wurde hinterher geworfen. Heute ist es heiss begehrt, und es leben hier nur
Schoene, Weisse und Reiche. Man sieht keine Latinos, obwohl der Sueden Kaliforniens ueberwiegend
Latino ist, keine Angehoerigen sonstiger Minderheiten, ausser ein paar ganz wenigen Arrivierten. Die
Navy hat den noerdlichen Teil von Coronado vergroessert und sich einverleibt, wie vieles hier in San
Diego, mit Hubschrauberlandeplatz, Militaerflughafen und Hafenanlagen. Da sie jedoch die
Haupteinnahmequelle der Stadt und ein wichtiger Arbeitgeber ist, muss man sich damit abfinden. Wir
laufen am endlosen Strand entlang. Da trainieren gerade die Navy Seals: Mehrere Trupps von jeweils 10
Mann balancieren in voller Montur, klatschnass und mit viel Sand behaftet, im Laufschritt ein
Schlauchboot ueber ihren Koepfen ueber den Strand, werfen sich dan hin und schieben und schleifen
es, durch den Sand robbend, weiter. Endlich unten am Wasser quaelen sie sich im huefttiefen Wasser
aufs Boot, muessen dann konzertiert paddeln wie die Berserker, um ueber die 4 m hohen Brecher zu
kommen. Dabei kentern sie immer wieder, klettern wieder ins Boot, versuchen es immer wieder, bis
jemand sie zurueck an Land pfeift und erloest. Ein paar chique Coronado-Housewives im Jogging-Outifit
stehen mit uns am Strand und beklatschen die Truppe – patriotisch begeistert, oder nur hin und weg von
den coolen Athleten? Man weiss es nicht. Es ist so schoen hier, dass man sich den ganzen Tag hier
aufhalten koennte. Steigen irgendwann wieder in unseren Trolley, fahren auf das Festland zurueck und
durch Little Italy hindurch bis zur so genannten Old Town, was wohl mal der alte Kern San Diegos war.
Sie haben liebevoll ein altes Hotel restauriert, einige Gemaeuer im alten Stil nachgebaut und dem
Ganzen ein bisschen Geschichte angedichtet. Dazwischen weite Sand- und Rasenflaechen mit riesigen
alten Baeumen. Es ist sehr gelungen. Wir trinken in einem auf alt getrimmten Cafe eine Tasse Kaffee. Da
spricht uns Greg an, ein grosser und ueppiger Mann, Park Ranger und Geschichtsspezialist, der uns
ungefragt ganz viel zur Geschichte San Diegos erzaehlt, uns mitnimmt in das restaurierte Hotel und eine
Fuehrung macht, uns dann zum Abschied noch ein paar Tipps fuer gute Campgrounds am Highway 1
Richtung Norden gibt. Total nett. Schliesslich fahten wir von der Old Town im Trolley wieder hinunter
zum Wasser, laufen am Hafen entlang, bewundern die dort vertaeuten alten Segelschiffe, von denen auf
einem Szenen des Films „Fluch der Karibik“ gedreht wurden, laufen an USS Midway vorbei, die wir ja
morgen besichtigen, sehen ein spannendes Kriegs-Memorial. Die Stimmung ist schoen. Es ist warm, viele
Leute flanieren, hier und da spielen Strassenmusiker. Als wir wieder in den Trolley wollen, hat der schon
Feierabend. Gehen also endlose Kilometer zu Fuss bis zum so „Gas Lantern Quarter“, einem Stadteil
oberhalb des Hafens an einer steilen Strasse, mit Restaurants und Nightlife. Wir suchen uns eine
Hamburgerbude, ein riesiger Saloon mit einer Bar ganz entlang der offenen Schiebefenster an der
Strasse, gucken dem wilden Treiben vor uns auf der Kreuzung zu. Es kommen immer wieder Obdachlose
vorbei, die ziemlich furchtbar aussehen, auch Menschen, denen man die Armut ansieht, sowie die
ersten Nachtschaermer. Neben uns sitzt ein arrivierter Mexikaner mit US-Pass, aufgewachsen in Davis,
Kalifornien, wo Josef Cousin Michael lebt. Er erzaehlt, er sei eigentlich ueberzeugter Republikaner,
jedoch habe seine Partei ihn enttaeuscht. Aha. Wegen Trump. Nee, wegen anderer Entscheidungen.
Laufen nach dem Essen wieder hinunter Richtung Strassenbahn und fahren zurueck zur H Street, und
mit dem RV zurueck auf den Camp Ground am Meer. Long Day! Ab ins Bett.
Samstag, 5. Novemver 2016
Wir wachen frueh auf, lassen den RV heute gleich auf dem Campingplatz stehen und gehen zu Fuss zur
Strassenbahn, fahren direkt zur Midway, und obwohl die erst um 10:00 oeffnet, und als wir ankommen,
steht schon eine lange Schlange auf dem Kai vor dem riesigen Flugzeugtraeger. Hier sind lauter Rentner
beschaeftigt, die Vortraege halten in den verschiedenen Teilen dieser schwimmenden Stadt, die fuer
den 2. Weltkrieg gebaut wurde, noch im 1. Golfkrieg 1990/91 im Einsatz war und Platz fuer 4500
Matrosen bietet. Die in der Warteschlange stehenden werden von einem der Rentner unterhalten; wir
sprechen ihn an und fragen nach Ayden. Wir werden offenbar erwartet: „Oh, are you his German
friends?“ , dann in sein Walkie Talkie: „Ed calling Ayden, Ed calling Ayden!“ „Ayden to Ed. Go ahead!“
„Ayden, your German friends are here. I will send them up.“ Danach werden wir wie VIP’s an allen
Schlangen vorbei von diversen Veteranen hindurch gereicht bis zu Ayden, der auf der
Kommandobruecke auf uns wartet und sich wirklich richtig freut, uns zu sehen und auch waehrend
seines Vortrages immer wieder mit Vorzug behandelt. Haetten wir nicht diese Einladung und die Tickets
bekommen, waere diese Besichtigung sicherlich nicht unsere Prioritaet gewesen. Die
Kriegsverherrlichung hier und ueberall in den USA ist abstossend und fuer uns Deutsche total
befremdlich. Dennoch ist Josef auch fasziniert. Er hat mal im Vorbeifahren auf einer Fahrt durch Abu
Dhabi fuer eine Zehntel Sekunde am Kai einen Flugzeugtraeger liegen sehen und damals gedacht, er
wuerde so etwas gern aus der Naehe sehen. Ausserdem war er ja bei der Luftwaffe damals als
Wehrdienstpflichtiger und war seit jeher fasziniert von Flugzeugen, erkennt dann auch all die unter und
auf dem Deck geparkten Flieger und Helicopter. Ich wundere mich immer, wie er sich so etwas merkt.
Kann gerade mal einen Jumbo erkennen. Wir bedanken uns artig bei Ayden fuer das VIP-Treatment und
treffen vor der Midway Rory und Gerry, die mit uns stundenlang den Zoo von San Diego besichtigen.
Besonders schoen ist die Flora, alles ueppig tropisch, teilweise wie im Dschungel. Ansonsten kann es die
Wilhelma durchaus aufnehmen mit diesem Zoo. Schoen ist, dass an vielen Gehegen Leute vom Zoo
stehen und schoene Geschichten erzaehlen, die sie mit den Tieren erlebt haben, auch gern Rede und
Antwort auf unsere Fragen stehen. Am Affengehege nimmt ein Affenweibchen Anlauf und wirft einen
Ast ueber die 7 m hohe Glaswand ins Publikum. Die Tierpflergerin sagt, sie hoffe auf spannende
Tauschware. Am Ende unseres Besuches erleben wir am Nilpferdbecken und -gehege noch ein echtes
Highlight: Koennen durch die Scheibe fast hautnah beobachten, wie ein Junges (riesig) bei seiner Mutter
saeugt! Unglaublich. Eine Tierpflegerin erklaert uns, die Mutter liesse ihr Junges bis jetzt nie aus den
Augen, folge ihm ueberall hin durch’s Wasser und ueber Land, und das Junge mache sich einen Spass
daraus, die Mutter durch’s Gehege zu jagen. Mittlerweile ist die Sonne weg, und es wird kalt. Fahren
innerhalb des Balboa Park, wo auch der Zoo untergebracht ist, in den so genannten Prado zum Essen,
eine im spanischen Stil vor 100 Jahren entstandene Anlage, heute eine Staette mit Museen und
Restaurants. Das Essen in dem pseudo-feinen Lokal ist voellig ueberteuert. Rory besteht darauf, uns
einzuladen. Es ist alles sehr huebsch, aber die Gaeste benehmen sich teilweise proletenhaft. Wir
diskutieren wieder ueber Politik, ueber die Indianer, die Obdachlosen und Mexiko. Sie haben zu Allem
sehr konservative, eigentlich rechte Ansichten. Josef knufft mich unter dem Tisch, damit ich nicht allzu
kontrovers diskutiere. Faellt schwer mitunter. Sie fahren uns „nach Hause“, besichtigen noch unseren
RV. Ab ins Bett. Long day!
Sonntag, 6. November 2016
Wir brechen recht frueh auf. Noch liegt dicker Nebel ueber der Stadt. Hier und da gucken oben die
Spitzen der Hochhaeuser aus dem Nebel, dass man denkt, sie schweben in der Luft. Zuckeln an der
Kueste entlang nach La Jolla. Auch sehr huebsch, tolle Straende, meist Steilkueste, riesige Brecher. Es
sind viele, viele Surfer im Wasser – Body Surfer, Brett-Surfer und die mit den ganz kleinen Brettern vorn
am Strand. Das Wasser duerfte keine 15 Grad haben; wie halten die das aus? Wir gucken von der
Steilkueste aus zu. Unterhalb des Pfades fliegen Pelikane, wie die Surfer, ganz knapp an den sich
auftuermenden Wellen entlang, beruehren mit ihren Fluegelspitzen fast die Kaemme, weichen den
Surfern aus. Es sieht so leich und elegant aus. Was muessen sich im Vergleich dazu die Surfer
abmuehen!
Neben uns ist ein junges Paerchen, die wir fragen, ob man hier irgendwo Seehunde sehen kann, und wir
kommen ins Gespraech. Sie ist freiberufliche Yogalehrerin, er kauft alte Haeuser, laesst sie retaurieren
und verkauft sie wieder. Beide sind klug und kritisch. Auch sie fragen wir nach den Obdachlosen. Rory
wollte uns weismachen, dass die alle „mentally ill“ seien. Der junge Mann sieht es auch so, meint, weil
sie ihre Psychopharmaka nicht einnaehmen, wuerden sei frueher oder spaeter auf der Strasse enden.
Seltsame Logik. Allen, die hier was im Kopf haben, ist Trump fuerchterlich peinlich. Und er macht ihnen
Angst.
Fahren weiter. Josef sieht die ersten Seehunde, von denen er mir schon vorher immer wieder erzaehlt
hat. Sie luemmeln am so genannten „Childrens Pool“, einer kuenstlichen kleinen Bucht. Wir gucken
ihnen lange zu, wie sie sich raekeln, gaehnen, miteinander herum bubeln, Grunzgeraeusche von sich
geben. Juckeln dann ueber den alten Highway 1, auch Pacific Coastal Highway genannt, durch lauter
huebsche Strandbaeder: La Jolla, Solana Beach, Encinitas, Carlsbad, Ocean Side, San Clemente, Doheny,
Dana Point, Laguna Beach und Newport Beach bis Huntington Beach suedlich von LA.
Finden, oh Wunder, einen State Park Camp Ground direkt am Strand und mitten im Geschehen. Stolze
70 $ fuer eine Nacht. Meine Herren! Wir schlendern ueber den mega-breiten Strand zum Wasser. Es
sind unglaublich viele Surfer im Wasser. Wir laufen auf einen der Piers, die an Brighton in England
erinnern, mit vielen anderen sonntaeglichen Spaziergaengern hinaus zum Ende. Die Sonne geht unter.
Ploetzlich hoeren wir Sirenen und sind am Strand, dort, wo wir eben noch waren, Notarztwagen und
Polizei. Ein Angler sagt gleichmuetig, da sei wohl wieder einer der Surfer gegen die Poller vom Pier
gerast. Aber die Anzahl der Surfer nimmt nicht ab. Und immer sind sie um den Pier herum, die
Lebensmueden. Gehen zu unserem RV zurueck. Heute wieder reichlich genug gesehen und erlebt.
Montag, 7. November 2016
Machen nach dem Fruehstueck eine Strandwanderung am Huntington Beach. Die Jogger sind schon
durch und die ersten Surfer auch schon da. Es ist ganz grau und wie feiner Spruehregen in der Luft, ist
aber nur Hochnebel, der langsam aufreisst, als wir gerade losfahren. Wir werden nicht nach LA rein
fahren. An Hollywood liegt uns nichts, Walk of Fame auch nicht, in Beverly Hills und dergleichen hohe
Mauern und schmiedeeiserne Tore angucken, hinter denen Leute leben, die wir ohnehin nicht kennen,
ist auch nicht prickelnd. Und Tante Eleonore, die Cousine meiner Mutter, die ich schon gern
kennenlernen wuerde und die in Aqua Dulce bei LA lebt, hat schon vor unserer Abreise aus D
signalisiert, dass sie niemanden empfangen koenne, weil sie und ihr Mann gesundheitlich indisponiert
seien. Also haelt uns hier nichts. Fahren erst um 10:00 los, um hinter der Rushour her zu fahren, immer
den Pacific Coastal Highway entlang und juckeln durch teilweise wirklich sehr schoene strandnahe
Stadtteile, passieren hunderte von Ampeln, die alle auf rot zu stehen scheinen. Dann sind wir ploetzlich
auf so einer Art Koehlbrandbruecke, die den Hafen von LA ueberspannt, unter uns Unmengen von
Containern, rechts von uns der Flughafen, wo gerade Juergen Strommer aus Dubai landet, den wir
eigentlich gern auf einen Kaffee getroffen haetten, nun aber doch weiter draengeln, raus aus der Stadt
und Richtung Santa Cruz, wo Josefs Verwandtschaft auf uns wartet. Passieren eine Landzunge namens
Palos Verdes, die ganz besonders schoen ist, so dass wir an einem unbebauten Stueck Steilkueste
halten, unsere Stuehle auspacken, ein Kaeffchen trinken und den omnipraesenten Surfern zugucken.
Kommen danach durch die ganzen aus Liedern und Filmen bekannten Strandbaeder: Santa Monica,
Malibu, etc. Hier kleben die eher bescheidenen Haeuser, zur Haelfte auf Stelzen im Wasser stehend,
zwischen Pazifik und Highway 1 auf einem ganz schmalen Streifen Steilkueste. Kosten wahrscheinlich
dennoch ein Vermoegen. Rechts des Highways geht es ebenfalls steil hoch. Dort oben thronen Villen, die
aber auch nicht wirklich bombastisch luxurioes zu sein scheinen – zumindest sieht man es nicht.
Kommen an Getty’s Villa vorbei, frueher Wohnsitz des einst reichsten Mannes der Welt und einer
Patricziervilla des antiken Pompeij nachgebaut. Getty war passionierter Kunstsammler, hat eine Stiftung
gegruendet, in deren Satzung festgeschrieben ist, dass sie immer weiter sammeln muss, mit dem
Ergebnis, dass die schlossartige Anlage hoch oben ueber dem Ozean irgendwann nicht mehr genug Platz
bot, so dass in LA das Getty Museum gebaut werden musste, um alle Kunstschaetze unterzubringen.
Es hat fast den ganzen Tag gedauert, LA hinter uns zu lassen. Bis Santa Barbara fahren wir auf dem
Freeway 1, der hier mit dem alten Highway zusammen laeuft. Fahren ueber den so genannten Scenic
Drive durch die ganze Stadt, die sehr huebsch und konsequent im mexikanischen Stil gebau ist. Parken
am Pier und telefonieren mit Tante Else in Santa Cruz, Mutter Emmis Cousine, die damit rechnet, dass
wir mehrere Tage in dort bleiben; kommen jetzt doch ein bisschen unter Zeitdruck und haben dann fuer
diesen schoensten Kuestenabschnitt nur noch 2 Tage Zeit. Schade! Laufen in der Abendsonne auf den
Pier hinaus, dessen Belag richtige Holzbolen sind und der an seinem Ende sehr verbreitert ist und viele
Restaurants und Nippeslaeden beherbert. Aber man merkt, dass es Abend und Nebensaison ist. Die
meisten sind geschlossen, obwohl noch viele Leute flanieren. Fahren mit Einbruch der Dunkelheit raus
aus Santa Barbara und bis zum El Capitan Beach Park (den hatte uns der Ranger im Old Town von San
Diego empfohlen). Zuerst finden wir allerdings nur einen kommerziellen Platz, der alles schlaegt, was wir
bisher hatten: $ 115 pro Nacht. Finden dann aber den State Park, tasten uns im Stockdunkeln zu einem
Stellplatz und beschliessen, fuellen den Self-Checkin-Zettel aus und legen ihn auf das Armaturenbrett
und beschliessen, ihm und das Geld morgen frueh einzuwerfen, weil wir sonst noch einmal durch das
Stockdunkel muessten. Kassieren am naechsten Tag einen granatenmaessigen Rueffel von der
Platzmatrone. Kostet immerhin auch $45, und wir finden nur ein abgeschlossenes Klo.
Ach ja, wir sehen ueberall, auch mitten zwischen Obstplantage – Erdbeeren, Zitrus und Wein – kleine
Oelpumpen, wie in Upton Sinclair’s „Oel“, der Roman ueber die fruehen Oelbarone der USA und ihre
Korruptheit, den Josef gerade durchgelesen hat und ich angefangen habe. Die Arbeiter sind auch hier
wieder alle Latinos.
Dienstag, 8. November 2016
Morgen ist Wahl!!!
Wachen im Morgengrauen auf, das Morgenrot ueber dem Meer gleich neben unserem
„Schlafzimmerfenster“. Ich mache die Rollos hoch, will nichts verpassen. Nach dem Fruehstueck machen
wir einen Strandspaziergang und stieren die ganze Zeit auf’s Wasser. Dann werden wir belohnt: Eine
ganze Schule von schwarzen Delphinen zieht entspannt an uns vorbei, taucht immer wieder auf,
begleitet von einem Seehund oder Seeloewen! Was ein Anblick!
Wir schauen ihnen lange nach, machen uns dann auf weiter Richtung Norden – aber nicht ehe wir uns
besagten Rueffel am Gate geholt haben, weil wir am Vorabend nicht bezahlt hatten. Entschuldigen uns
brav, aber die Chefin hoert nicht auf zu meckern. Bleiben wieder auf unserem Highway 1 und fahren
ueber ein Halbinsel. Das Meer ist 20 km weit weg; erst ist es eine beschauliche Strecke, dann wieder
industriell betriebene Landwirtschaft: Obstanbau, Erdbeeren, Zitrus. Fahren durch ein Staedtchen
namens Lampoc und sind ueberrascht, dass es so gross ist, weil es auf unserer 1:1Mio-Karte genauso
eingezeichnet ist wie die Trading Post- und Tankstellenweiler vorher im Hinterland. Rechts der Strasse
ist ein Militaergelaende mit Raketenabschussrampen. Wahrscheinlich ist Lampoc deshalb so gross. Wir
machen aus Neugier einen Gang ueber den oertlichen Friedhof, denn Friedhoefe sagen immer viel ueber
eine Community. Hier liegen lauter Italianer, gefolgt von Latinos und wenigen Angelsachsen. Fahren zum
Grover City Beach. Er ist endlos, sehr, sehr breit und picobello sauber. Nur an einer Stelle finden wir
zusammen geharkt mit dem Bagger einen grossen Berg Algen, die aussehen wie Hauptzuleitungsrohre
zu Haeusern. Sie wurden beim Sturm die letzten Tage angespuelt. In Santa Barbara hatten wir eine
andere Algenart gesehen, die luftgefuellte Blasen entwickelt, so dass die Alge nach oben Richtung
Wasseroberflaeche und Licht treibt. Aus denen wird Geliermittel gewonnen. Laufen noch ein Weile. Es
liegen ueberall Sand Dollars in allen Groessen. Hier und da begegnen uns Spaziergaenger. Man muesste
jetzt noch mindestens zehn Tage Zeit haben, um die einzelnen so unterschiedlichen Kuestenabschnitte
richtig geniessen zu koennen. Aber wir muessen weiter; als naechstes halten wir in Psimo Beach,
ebenfalls einer Art Landzunge, an deren Nordende direkt am Highway 1 die Monarch-Schmetterlinge in
einem kleinen zum State Park deklarierten Eukalyptushain ueberwintern. Sie haengen zu dichten
Trauben zusammen gekuschelt hoch ueber uns in den Baeumen – es stehen Fernglaeser auf Dreifuessen,
damit man sie besser beobachten kann hoch droben; da es jedoch noch recht warm ist dieses Jahr,
sitzen auch Hunderte zum Greifen nah in der Sonne auf den Grasflaechen unter den Baeumen. Sie
wandern im Winter hierher aus dem Norden Kanadas und der USA. Unglaublich, diese fragilen
Geschoepfe. Ihre Raupen ernaehren sich ausschliesslich von „milk weed“, einem Wolfsmilchgewaechs,
das fuer alle anderen Lebewesen giftig ist. Die Raupen schmecken dann nach der Wolfsmilch und
schuetzen sich so vor natuerlichen Feinden. Schlaue Strategie.
Wir umfahren die naechste kleine Halbinsel landseitig durch San Louis Opispo und Morro Bay. Halten
ganz am Ende nochmals an und trinken am Strand sitzend einen Kaffee. Ein aelterer Herr spricht uns an
und fragt, ob der Leprechaun (so heisst unser RV-Modell; deutsch: Kobold) unser ist, schenkt uns dann
eine in Origami-Manier zu einem Hemd gefaltete Dollarnote und sagt: „This is a leprechaun shirt for
you.“ Wissen nicht recht, was er meint, bedanken uns aber artig und freuen uns ueber die Geste. So sind
sie, die Amis. Unglaublich offen und freundlich. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass dies dasselbe
Volk sein soll, dass heute den faschistoiden Trump zum Praesidenten gewaehlt haben wird.
Vor lauter Gucken und Staunen komme ich gar nicht dazu, in unserem Reisefuehrer alles zu lesen, was
uns da so am Wegesrand erwartet. Ich lese ueber Hearst Castle, das sich hier der gleichnamige
Medienmogul 1917 in 27-jaehriger Bauzeit einen ziemlich kitschigen Mischmasch aus allen Baustilen
und Epochen hinbasteln hat lassen, das jetzt als „Historical Monument“ dem Staat Kalifornien gehoert.
Haetten wir noch die oben erwaehnten zehn Tage Zeit, koennten wir es uns ansehen. Denn zumindest
der Blick auf den Ozean von dort oben, wo es ueber der Kueste thront, ist sicherlich spektakulaer. Aber
dann kommt das unerwartete, weil im Reisefuehrer nicht gelesene, Highlight: Piedras Blancas. Ein
kleines Schild weist auf einen Ausguck auf Seeelefanten hin. Wir fahren auf den gut besuchten Parkplatz
direkt am Highway. Direkt vom Parkplatz aus schaut man auf einen recht schmalen Strand- und
Felsenstreifen, und an diesem tummeln sich Hunderte und Aberhunderte von Seeelefanten zum
Anfassen nah. Unfassbar! Sie bubeln, kaempfen, kuscheln, wurschteln sich uebereinander und
ineinander, geben obszoene Grunz- Furz- und Drohgeraeusche von sich.
Es ist tierisch kalt, nebelig und stuermisch, aber ich kann micht nicht losreissen. Ein aelterer Herr,
Volontaer der „Friends of Sea Elephants“ spricht uns an, und wir duerfen ihn mit Fragen loechern. Er
erklaert uns, dies seien Junge, die sich hier jedes fuer ca. einen Monat ausruhen auf ihrem langen Weg
vom Sommerquartier in Alaska zum Winterquartier an der mexikanischen Kueste. Die ersten gab es
1992, als ein paar Weibchen auf eine Laenge von etwas sieben Meilen um Piedras Blancas ihre ersten
Jungen bekommen haben. Seitdem kommen von Jahr zu Jahr mehr – bis zu 23000 auf das ganze Jahr
verteilt. Irre. Was ein Erlebnis. Die Jungen sind ca 1,50m lang und hellgrau und sehen aus wie Seehunde.
Die etwas Aelteren (sie kommen bis zum 5. Lebensjahr hierher) sind dunkelgrau, fast schwarz und haben
schon den charakteristischen Ruessel. Man koennten ihnen stundenlang zuschauen aber es ist wirklich
kalt und ungemuetlich und nur noch eine halbe Stunde bis Sonnenuntergang, so dass wir uns auf den
Weg machen, um einen Campground zu finden. An diesem Abschnitt zeigt sich der Highway 1 von seiner
schoensten Seite: es gibt keine Doerfer, nur vereinzelt versteckte Anwesen. Die Strasse windet sich in
Serpentinen an der Kueste entlang. Der Nebel haengt bis zu 100m ueber dem Meer. Immer, wenn die
Strasse hoeher kommt, tauchen wir ploetzlich aus dem Nebel auf, ist die Sonne da, der Himmel
blitzeblau und die Luft unglaublich klar. Wir halten an einem Aussichtspunkt, was immer eine
Herausforderung ist, weil wir die Gegenfahrbahn kreuzen muessen und bei diesen Serpentinen den
Gegenverkehr nicht kommen sehen. Unter uns ist dicke Watte – wie vom Flieger aus, und hier oben ist
es total windstill und noch warm! Es sind noch viele Touristen unterwegs. Wir fahren die ganze Zeit
parallel zum Los Padres National Forest, in dem wir ja theoretisch wild campen duerften. Aber leider
sind alle Zufahrten und Trails gesperrt. Spaeter erfahren wir, dass hier vor Kurzem ueble Waldbraende
gewuetet haben. Wir finden schliesslich den wirklich schoenen Plaskett Creek Campground, Teil des Los
Padres National Forest. Wir finden ein Plaetzchen, trotz Dunkelheit und Nebel. Um uns herum weite
Grasflaechen und uralte Baeume, u. A. riesige Zedern, deren Schirme einen Durchmesser von 50 m
haben. Alles gut. Josef kocht seine mega-leckeren Burger auf Brot, und wir hoeren zum ersten Mal
abends Musik: Van Morrison, was herrlich zur Stimmung hier passt. Um uns herum verstreut Zelte und
RV’s. Von der Wahl wissen wir nichts. Haben hier keinen Empfang.
Mittwoch, 9. November 2016
Sind eben aufgewacht und haben im Autoradio nach einem brauchbaren Sender gesucht, endlich etwas
verschwommen, und so eingestreut zwischen Sport und Werbung erfahren, dass die USA Trump zum
naechsten Praesidenten gewaehlt haben. Wie konnte das passieren, oh, ihr von der WASP-Elite?!
Am Abend
Gehen vor Verlassen des Campground noch bei zwei jungen Camper-Paerchen vorbei und fragen, ob sie
schon vom Wahlergebnis gehoert haben, was sie beide verneinen. Gibt ja kein Internet, und auf die
Idee, das Radio einzuschalten, sind sie nicht gekommen, die Generation Google. Sind voellig unglaeubig
und denken, wir veraeppeln sie. Die Prognosen gestern Abend sprachen alle von einem Sieg Clintons.
Pustekuchen. Werden spaeter am Tag von einem der beiden Camper ueberholt, und er hat in seine
Heckscheibe einen grossen Zettel mit der Aufschrift „Sad Day“ geschrieben. Haette ich ein grosses
Stueck Papier und einen dicken Filzschreiber, wuerde ich draufschreiben „Good Morning, Trumperica“
oder „Welcome to Trumpistan“. Wir sind weiter auf dem Highway 1 Richtung Norden unterwegs. Es ist
eine herrliche Strasse. Welche Aussichten auf den unter uns wild tobenden Pazifik mit der dramatischen
Kueste dahinter. Man moechte am liebsten alle 100 m anhalten und gucken. Wir sprechen an den
Aussichtspunkten immer wieder mit den Leuten ueber das Wahlgergebnis und stossen hier an der
Westkueste im Clinton-Land nur auf Ablehnung. Eine Kuenstlerin, die an einer Klippe steht und malt,
sagt, die musste heute fluechten, malen, vergessen, sagt, wir sollen uns fuer sie in Deutschland
entschuldigen. Einer sagt uns spaeter, die Nachricht, dass Trump gewonnen habe, habe ihm dasselbe
furchtbare Gefuehl in der Magengrube verursacht wie die ueber 9/11. Immer wieder haben wir im Laufe
der vergangenen fuenf Wochen Leute getroffen, die gesagt haben, sie wuerden am liebsten
auswandern, wenn Trump gewinnt. Am 11.11. lesen wir in der Zeitung, dass in den ersten Tagen nach
der Wahl von amerikanischen URL-Adressen ueber 100.000 Zuriffe auf die Immigration-Website
Kanadas erfolgt seien! Abends finden wir einen schnueckeligen RV-Campground in Carmel, einem der
teuersten und huebschesten Staedtchen hier an der Westkueste, wo unter anderen Celebrities auch
Clint Eastwood ein Anwesen mit Hotel sein Eigen nennt, wo er sogar mal Buergermeister war. Ein
Novum: es gibt hier eine recht gemuetliche Stube fuer die Gaeste mit grossem TV-Bildschirm, wo wir
stundenlang mit einer Australierin und ihren drei erwachsenen Kindern non-stop auf CNN Wahl gucken.
Man sagt, Clinton habe das Landesinnere zu lange ignoriert. Ueberall herrschen auf den Strassen
Proteste. Einer ist richtig emotional. Das Wahlsystem ist nicht demokratisch, denn bei Direktwahl
(Popular Vote) haette Clinton gewonnen; hingegen durch das Wahlmaenner-Wahlrecht (Electoral
College) hat Trump fast alle Staaten fuer sich gewonnen. In Kalifornien hat Clinton haushoch gewonnen;
entsprechend gross ist hier der Frust. Die Wahl hat gestern den Tag dominiert. Im Julia Pfeiffer Burns
State Park fragen wir zwei junge Latino Ranger nach dem Wahlergebnis. Sie wollen sich nicht recht
darueber sprechen, haben angeblich Anweisung, sich nicht zu solchen Themen zu aeussern. Als wir
gerade die Ueberbleibsel des Hauses einer Millionaersgattin von der Ostkueste anschauen, unter uns
donnert ein Wasserfall in den Ozean, rattert ueber uns ein Helicopter. An einem Seil baumeln Arbeiter,
die im dichten Gestruepp abgesetzt werden, wo sie defekte Stromleitungen reparieren. Die Masten sind
zu Fuss nicht erreichbar durch das dornige Gestruepp. Spannenden Arbeitsweg. Wir fahren weiter zum
Andrew Molera State Park, um dort ein bisschen zu wandern. Die junge Rangerin an der Kasse ist sehr
eloquent, was die Wahl angeht. Von wegen Maulkorb. Spricht auch von Auswandern. Wir scherzen mit
ihr, dass wir jetzt in Europa jede Menge Uebung haben mit der Aufnahme von Fluechtlingen. Ein Weg
bahnt sich durch dichtes Gestruepp hinunter zum Strand, der ganz wild ist. Ueberall liegen Berge von
angespuelten Algen. Josef entwirrt eine einzelne Pflanze und legt sie am Strand aus. Sie ist ueber 14 m
lang. Und das ist noch nicht mal eine besonders grosse. Irre Gebilde – wie aus einer anderen Welt. Ein
paar verrueckte Surfer sind in der unberechenbaren Brandung zwischen Felsen unterwegs. Am Strand
herrliche Stuecke Treibholz. Schade, dass wir nichts mitnehmen koennen. Auf dem Rueckweg zum RV
treffen wir Volunteer Ranger Charlie, ehemaliger Marine, Vietnamveteran, sehr links, sehr eloquent,
sehr belesen. Er hat alles dabei, koennte morgen ueber die Grenze nach Kanada abhauen und ist ein
typischer Vertreter des amerikanischen Freigeistes/Anarchisten/Cowboys auf der Suche nach der „Last
Frontier“. Er gibt uns noch Buchempfehlungen mit auf den Weg und zitiert seinen Vater zum Thema
Waffen: Aus denen ist noch nie ein Halm Getreide oder eine Kartoffel gewachsen. Sie sind nur zum
Toeten da.
Wir muessen weiter, halten noch einmal am Garrapate State Park, laufen einen huebschen Fussweg
ueber die Klippen. Es sind einige da, die den Sonnenuntergang geniessen, u.A. die Kuenstlerin, die sich
vor den schaurigen Wahlergebnissen mit ihrer Staffelei auf die Klippen gefluechtet hat. Fahren weiter
nach Carmel zu besagtem schnuckeligen RV-Platz.
Waehrend ich den gestrigen Tag, den
Donnerstag, 10. November 2016
aufgeschrieben habe, hat Josef Fruehstueck gemacht, abgewaschen, Grauwasser gedumpt und
Frischwasser nachgeladen. Jetzt geht’s los.
Gestern also vom RV-Platz nach dem Fruehstueck wieder eine kurze Strecke zurueck Richtung Sueden
zum Point Lobos, einer felsigen Halbinsel als State Park, die wir meerseitig umrunden. Schauen in ein
Walfangmuseum. Chinesen und Japaner haben hier schon vor 1900 Wale gefangen, haben ihre
Wirbelknochen – wie Tanja einen fuer Josef am Strand im Oman gefunden hat, und der jetzt unserem
Holzstand in Aich was Abenteuerliches verleiht – als Stuetzen fuer den Holzfussboden ihrer Wohnhuette
benuetzt. Draussen liegen viele der riesigen Knochen, stehen Bottiche, in denen das wertvolle Fett
heraus gekocht wurde. Am Weg steht ein Ranger mit Fernglas auf eine Bucht gerichtet. Dort liegen auf
der Wasseroberflaeche der vom Sturm angespuelte, roehrenfoermige Seetang, zu Teppichen verfilzt,
auf denen Seehunde wie auf Luftmatratzen luemmeln. Der Weg gibt immer wieder den Blick frei auf die
Gischt unter uns. Am Nordende hoeren wir Seeloewen. Sie rasten auf einer Felsinsel recht weit weg,
bellen, roehren, streiten um Platz, versuchen, in der Gischt und den sich brechenden Wellen immer
wieder, hoch zu kommen auf die Felsen. Es ist ein Sammelplatz fuer maennliche Tiere. Die Weibchen
sammeln sich weiter im Sueden, wohin die Maennchen dann zur Paarungszeit aufbrechen. Sie migrieren
nicht, wie die Seeelefanten, endlos weit, sondern sind recht ortstreu. Kommen noch einmal an einer
Rangerstation vorbei. Hier sind Felle der verschiedenen Tiere zum Anfassen ausgestellt: Seeelefant-,
loewe, -hund und -otter. Letztere haben keine Fettschicht, um sich warm zu halten, dafuer aber ein sehr
dickes, dichtes und weiches Fell, weswegen sie fuer Pelze gejagt wurden und beinahe ausgestorben
waren.
Vom Point Lobos fahren wir gen Norden bis Monterey, was ebenfalls zum Teil auf einer Halbinsel liegt,
deren Umrundung auf dem so genannten 17-mile drive sich die schwerreiche Community mit $10
bezahlen laesst. Wir parken im oeffentlich zugaenglichen Teil und spazieren auf den Piers herum. Einer
davon beherbergt an seinem Ende einen Fischmarkt. Unter dem Pier befindet sich in Koerben eine
Abalone-Zucht, was sehr aufwendig ist und drum auch unglaublich teuer: Eine relativ kleine Muschel, so
gross wie mein Handteller, ist mehrere Jahre alt und kostet $ 7. Es gibt auch Zuchten an Land, die
Meerwasser in Becken pumpen. Sie exportieren viel nach Asien. Auch hier sind uebrigens Seehunde
unter den Piers unterwegs.
Wir erreichen Tante Else und verabreden uns auf 18:15 im Restaurant mit ihr und Sohn Jay und Frau.
Wir kommen dann schon 16:15 in Santa Cruz an und fahren zunaechst zu ihr nachHause. Sie wohnt in
einem Compound unweit es Strandes in einem ganz schmalen Holzreihenhaeuschen. Als wir gerade
reinfahren, kommt uns eine Frau entgegen, die wohl eben bei Tante Else war und weiss, dass sie uns
erwartet. Die Frau sagt uns, Tante Else sei ganz aufgeloest, sie sei Notarin und musste anstrengende
Erbschaftsthemen mit ihr durchgehen. Bei Tante Else riecht es wie bei Mama nach altem, kalten Rauch
und ein bisschen nach Staub. Schoen vertraut. Vor ein paar Monaten wurde ihr Lungenkrebs
diagnostiziert; da hat sie aufgehoert. Aber irgendwie hat sie seitdem der Lebensmut verlassen. Wir sind
fast zwei Stunden bei ihr, sie erzaehlt uns von dem Erbschaftsstreit zwischen ihren beiden Soehnen Jay
und Michael. Am Ende ist sie ganz geschafft und beschliesst, icht mehr mit uns allen essen zu gehen, wir
bringen ihr zwei von Josefs Fleischkuechle und ein bisschen Gruenfutter, und sie bleibt dankbar zuhause.
Treffen uns mit Jay und Valerie seiner Frau und hoeren die Erbschaftsgeschichte aus ihrer Perspektive.
Recht verfahren alles. Das Essen ist maessig, es riecht ueberall streng nach Seife und
Desinfektionsmittel, auch das Essen schmeckt so. Das Restaurant ist voll und die Kellnerin hektisch und
ueberfordert, stoesst mit einer Kollegin zusammen und verteilt das volle Tablett ueber den Boden. Sie
ist den Traenen nahe. Jay ist total nett zu ihr, versucht sie aufzubauen, umarmt sie als wir gehen. Das ist
Jay, wie Josef ihn kennt. Fahren hinter ihnen her und parken vor ihrem Haus in Scotts Valley oberhalb
von Santa Cruz in den Huegeln. Sie haben ein Riesengrundstueck…Klasse Lage!
Freitag, 11. November 2016
Heute Morgen sind wir nach dem Fruehstueck noch hoch ins Haus, erhalten eine kleine Schlossfuehrung
und stehen noch eine Weile plaudernd in der Kueche. Sie haben viel Geld ins Haus gesteckt und wollen
es nicht aufgeben – mit ein Grund fuer den Erbschaftsstreit. Um das Haus herum fuehrt eine riesen
Holzveranda, die voellig morsch ist. Die haben kein Geld fuer die Sanierung.
Dann kommt Sohn Brandon. Erfahren 3 Minuten vorher, dass er Alki, Drogi und schwer uebergewichtig
war. Seit 3 Jahren sei er clean, nachdem seine Frau ihn rausgeworfen hatte. Seitdem lebt er wieder
zuhause. Er jobt und macht eine Ausbildung zum MTA. Er ist 37 Jahre alt und faengt grad wieder von
vorne an. Alles recht depremierend.
Fahren in den ganz nahe gelegen Henry Cowell State Park, dort gibt es Redwoods zu sehen! Endlich! Seit
Beginn unserer Reise – und davor schon – erzaehlt Josef mir davon. Sind auch wirklich beeindruckend.
Die ganz normalen Kiefern sind ja hier echt schon maechtig, aber die Redwoods erreichen bis zu 100 m
Hoehe und werden bis zu 2000 Jahre alt. Und die Giant Sequoias, die wir auf dieser Reise nicht mehr
schaffen sind ja noch viel groesser. Ein netter Ranger – 60 – 65 Jahre alt, klein, freundlich und per Du mit
jedem seiner Baeume – hat eine Mimik wie mein Cousin Fadi! Er erlaeutert uns alle Besonderheiten, zeit
uns einen Dawn Redwood, ein Verwandter, der aber seine Nadeln nicht abwirft im Winter, und der als
ausgestorben galt, bis man ihn in den 40er Jahren in China wieder fand, und von denen wir einen auf der
Wiese in Bissingen stehen haben! Wir lernen Banana Slugs kennen (Senfgelbe Nacktschnecken, die
Redwoods lieben), dem California Bay Tree, einen Lorbeerbaum, kriechen in den Hohlraum des Fremont
Tree (Hohlraum ca 5 m Durchmesser und 7 m hoch). Frueher fuhr eine Eisenbahn die Touristen durch
den Park, der zu Fuss wirklich ein Spaziergang ist, jetzt toent alle paar Minuten eine Lokomotivpfeife
durch den Park zwecks Retrofeeling…ziemlich anstrengend. Die ticken nicht richtig! Fahren
anschliessend in die Stadt und telefonieren mit Tante Else: Sie will heute Ihre Ruhe haben.
Michael erreichen wir nicht. Alles etwas verwirrend! Ich schicke seiner Frau eine SMS und sie meldet
sich spaeter: Heute ist Veterans Day und Michael muss in Davis in der Militaetkapelle mitspielen. Sie
wollten eigentllich heute hierher fahren…schaffen es aber nicht. Else weiss bis jetzt nur von uns, dass Sie
kommen wollen. Angeblich hat Michael sie nicht erreicht. Mal sehen was das wird!!
In der Stadt gehen wir erst zum Boardwalk. Es ist eine ehemalige Schwimmhalle vom Anfang des 20.
Jahrhunderts, umgewandelt in einen Indoors-Amusement-Spielhalle. Laut, duester, schaebig. Fluechten
raus zum Strand. Bissle eklig, der Strand fast schwarz. Wir gehen Richtung Norden, am grossen Pier
vorbei (Wharf genannt) Richtung Light House. Steilkueste, alles voller Surfer: Jung, alt, Frauen Maenner,
alles im Wet Suit und mit Brett unter dem Arm, wie wenn es das Hauptverkehrsmittel waere. Landseitig
schoene Haeuser. Gehen zur Manor Avenue, wo Else damals lebte als Josef als 18 jaehriger kam. Total
schoene Ecke, ganz nah an der Surfer Steilkueste. Vertuetteln einige nette Stunden. Ich buche unser
Hotel in San Francisco:Ein Hostel mitten drin, Durchschnittsalter 20-25, Doppelzimmer ohne eigenes
Bad, stolze 90 US Dollar. Laufen bis zum Light House und weiter zu den vorgelagerten Felsen, weil Josef
in Erinnerung hat, dass dort die Seeloewen rumluemmelten. Nix!
Laufen zurueck auf den Warf Pier, da hoere ich sie! Es gibt auf dem Pier grosse Aussparungen im
Fussboden, wo man runtergucken und sie in Ruhe aus naechster Naehe betrachten kann. Super! Sie
sitzen unter dem Pier auf den horizontalen Balken und Brettern, rekeln sich und streiten um Platz. Sie
kommen nur bei Flut auf die Balken hoch. Und wenn sie den Hoechststand des Wassers verpassen
muessen sie bis zur naechsten Flut im Wasser ausharren. Sie versuchen immer wieder, hoch zu kommen
und klatschen zurueck ins Wasser. Auf dem Rueckweg gehen wir auf dem Pier in einen Diner um den
beruehmteln Crab Chowder zu probieren. Naja: Sehr dicke, mehlige Suppe, bei der man sich den
Krebsgeschmack dazu denken muss. Werden aber entschaedigt: Direkt vor unserem Fenster im Wasser
eine Ottermutter mit Jungen. Sie liegt auf dem Ruecken und knackt eine Muschel, indem sie sie auf
einen Stein schlaegt. Eine Rangerin am Point Lobos hatte uns erklaert, wenn sie ein gutes Tool finden,
dann behalten sie es, klemmen es unter ihr Aermchen und benuetzen es immer wieder. Die kleine
Miniaturausgabe ist immer um ihren Kopf herum. Wenn sie Strecke machen will, holt sie ihn auf ihren
Bauch, haelt ihn fest und schwimmt auf dem Ruecken. Alle paar Minuten taucht sie ab und holt eine
neue Muschel. Der Kurze wartet oben geduldig auf sie. Irre Schauspiel! Fahren wieder vor Jays Tuer und
uebernachten hier. Jay ist mit Valerie ueber’s Wochenende weggefahren.
Samstag 12.11.2016
Am Mittag mit Michael und seiner Frau Tawney (rehbraun – What’s in a name?) verabredet. Wollen
mittags aus Davis ankommen. Fahren nach dem Fruehstueck von unserem Nachtplatz nochmal Richtung
Sueden kurz hinter Santa Cruz nach Moss Landing. Dort ist Marschlandschaft und ein natuerlicher Hafen.
Laufen ueber die Duenen am Strand entlang, dann hinter den Duenen an der Lagune zurueck. Und hier
sind ganz viele Otter, lauter junge Burschen und Maennchen. Wie uns 2 junge Australier erzaehlen, die
hier in Santa Cruz fuer ein Jahr studieren und nebenbei ehrenamtlich fuer eine Naturschutzorganisation
Ottererhebungen machen. Die Otter benehmen sich so aehnlich wie kuerzlich die jungen Seeelephanten
bei Piedras Blancas: Die Alten, gesetzten wollen auf dem Ruecken liegend ausruhen und sich in der
Sonne aufwaermen, die Jungen kullern miteinander bubelnd im Wasser herum, wie Baelle aus Fell.
Weiter hinten sind lauter Seehunde, die auf einer Sandbank rumluemmeln. Wir haben viel Zeit ihnen
zuzugucken.
Ca. 11 Uhren machen wir uns auf den Weg zu Tante Else. Heute erwartet sie uns mit Kaffee und Keksen.
Zu allererst vererbt sie mir ein huebsches altes Milchkaennchen, das sie ihrerseits von Schwester Lisa
gerettet hat bevor Jay es, wie alles andere, nach ihrem Tod verscherbeln konnte. Ich freue mich sehr
ueber ihre Geste, werde es in Ehren halten. Sind gerade nett am plaudern, als Michael und Familie
kommen. Tawney ist nicht eben beliebt. Tante Else entgleist das Gesicht, als sie ihre Stimme unten an
der Tuer hoert. Zu unserer Ueberraschung sind ihre Jungs dabei: Cole und Christopher. Cole, ein
Redhead mit waessrig blauen Augen und Christofer mit dunklen Haaren und dunklen Augen. Beide sind
sehr sehr weiss. Michael quaelt sich langsam und mit Tawney’s Hilfe die Treppe hoch. Er hat eine
genetische Krankheit, die Beine und Sprachzentrum fast lahmgelegt hat. Vor 5 Jahren sind die ersten
Symtome aufgtaucht. 2 Jahre wurde er falsch behandelt, man weiss nicht viel ueber die Krankheit und es
gibt keine Heilung. Mich erinnert er auf den ersten Blick sehr an Tom Hanks. Er sagt in seiner quaelend
langsamen Sprache: „I wish I had some of his talents“. Tawney ist laut, uebernimmt das
Gespraech,laesst sich kaum unterbrechen. Tante Else will wieder nicht mit (ich verstehe sie), sie freut
sich auf das Zweite von Josef’s Fleischkuechle und empfiehlt uns nach Capitola zu fahren, einen
huebschen Vorort von Santa Cruz. Wir lassen die alte Dame bald in Ruhe und fahren mit Michael und
Familie los, treffen uns in Capitola.
Er ist mit seinem Scooter recht selbstaendig unterwegs. Wir essen im Britannia Arms. Wieder so ein
schmuddeliges altes Ding, wo man nur in der Jacke sitzen kann. Man trinkt Cola mit endlos Eis drin,
laesst sich immer wieder nachschenken, Diet Coke natuerlich. Die Jungs sind total gut drauf, obwohl sie
auf den ersten Blick etwas befremdlich wirken, sind ganz offen und zugewandt. Tawney hat ein gutes
Verhaeltnis zu ihnen und alle 4 miteinander auch, ist mein Gefuehl. Alles in allem, ob der
Geraeuschkulisse ein anstrengender aber schoener Abend. Michael ist ein sehr sympatischer Mensch.
Schade, dass die Unterhaltung nur so schleppend geht. Verabreden uns fuer den kommenden Vormittag
bei Tante Else.
Finden dort unten an der Kueste keinen Platz fuer den RV, beide Camp Grounds voll, fahren schliesslich
nach einem kleinen Abstecher durch ein Wohngebiet direkt oberhalb der Steilkueste – Traumlage –
wieder nach Scotts Valley und uebernachten wieder vor Jay’s Tuer.
Sonntag, 13. November 2016
Josef laesst mich im Bett liegen und gondelt mich zurueck zu jenem schoenen Platz oberhalb der
Steilkueste hinter Capitola, den wir gestern nur im Dunkeln gesehen hatten. Fruehstuecken dort mit
Aussicht auf den Ozean unter uns. Es ist 7:30 und die Jogger und Hundegaenger sind unter uns am
Strand schon unterwegs. Gehen auch hinunter und machen einen Strandspaziergang. Es ist alles voller
Treibholz, als ob es dort einer abgeladen haette. Die schoenen und sehr individuellen Haeuser in der
ersten Reihe sind fast alles Ferienwohnungen. Wir sprechen ein Paar an, und sie erklaeren uns,… (kleine
Unterbrechung in meinen Aufzeichnungen: Josef hat uns gerade den ersten Bisonburger gebraten!)…
und sie erklaeren uns, dass es um diese Jahreszeit immer sogenannten Super Tides gebe, die viel
Treibholz anspuelten, die Leute wuerden es im Laufe des Winters absammeln und verfeuern, und bis
zum Fruehjahr sei der Strand wieder sauber. Ihnen ist Trump auch peinlich. Politisieren einen Weile,
laufen schliesslich noch ein bissel weiter, muessen dann aber umkehren, weil wir noch zu Tante Else
wollen. Als wir um 11:00 bei ihr klingeln – die Haustuer ist immer offen, und man kann einfach hinein
spazieren – thront sie in ihrem Lazyboy-Fernsehsessel und fruehstueckt gepflegt. Wir haben noch eine
halbe Stunde mit ihr allein, bevor Michael und Familie kommen. Ich glaube, sie hat jetzt erst richtig
verstanden, dass wir wegen ihr hier sind, dass wir ueberhaupt hier sind, aber auch bald schon wieder
fahren muessen. Heute freut sich sich richtig, dass wir da sind – noch mehr als am Vortag. Sie erzaehlt
uns, dass sich beim 50. Klassentreffen ihrer Lehrerbildungsanstalt in Deutschland einer ihrer ehemaligen
Kameraden in sie veliebt habe. Sie waren zu diesem Zeitpunkt beide 70! Er kam dann irgendwann fuer 3
Wochen zu Besuch und hat ihr den letzten Nerv geraubt. Sei sagt, sie wusste nicht, wie sie nach Hause
gekommen sei, nachdem sie ihn am Flughafen abgesetzt hatte!
Die Jungs sind heute ganz zutraulich als sie kommen, Tawny her usual self, Michael schweigsam. Wir
ueberlassen ihnen unsere uebrig gebliebenen Lebensmittel, Tante Else eine Flasche Weisswein. Morgen
ist unser letzter Tag im RV (wir trauern jetzt schon), und muessen ihn leer machen. Sie wuerde gern eine
mit mir rauchen; haette ihr den Gefallen sehr gern getan, aber es ist zu spaet: Tawny ist militante
Nichtraucherin. Ich hole eine Schachtel und ein Feuerzeug aus dem RV und deponiere beides ein
bisschen versteckt auf ihrem Kuechenthresen. Sie haelt lange meine Hand, sagt, mit uns zu sein, fuehle
sich fuer sie an, wie mit der Familie Christ zu sein (das war der Maedchenname ihrer Mutter, hat also
mit Josefs Familie eigentlich rein gar nichts zu tun), wie mit Emmi zu sein, zu der sie eine
Seelenverwandtschaft fuehle. Sie tut mir Leid, so abgeschnitten von ihren Wurzeln, so alt, so allein, die
Soehne zerstritten, die Schwiegertoechter fremd. Als wir uns verabschieden, setzt sich Kristoffer neben
sie und haelt ihre Hand, wie, um sie zu troesten. So lieb! Es ist gut und wichtig, dass wir da waren. Nicht
nur fuer Tante Else, Michael und Jay, aber auch fuer Josef, fuer den diese Reise damals als 18-jaerhiger
so eindruecklich war, und der unbedingt Tante Else noch einmal sehen wollte. Sie war ja sozusagen der
Grund, dass wir ueberhaupt nach Kalifornien kamen! Wer weiss, vielleicht sehen wir sie ja noch einmal.
Wir fahren auf dem Highway 1 weiter nach Norden, halten immer wieder und geniessen die wunderbare
Aussicht. Am Gazos Creek Park, auch Anos Nuevos State Beach, halten wir an und machen einen langen
Strandspaziergang. Viele haben wegen des Veterans Day ein langes Wochenende, so dass einige Leute
unterwegs sind. Aber in dieser Endlosigkeit verlaeuft es sich. Laufen 2 – 3 km am Strand entlang:
Brecher, Gischt, Nebel, Sonne, ein einzelner Seeloewe in der Brandung, viele Voegel. Wieder am RV
machen wir eine Kaffeepause. Die Sonne kommt ein bisschen durch, lesen ein wenig im GEO Spezial
ueber Kalifornien. Haben ganz vergessen, dass wir das dabei haben. Gegen 16:30 fahren wir den Gazos
Creek hinauf Richtung Butano State Park. Finden nach zwei Meilen auf superschmaler und kurviger
Strasse, einer Bruecke, von der wir zweifeln, ob sei den RV traegt, den Ben Ries Camp Ground in einem
kleinen Redwood-Wald. Der sehr nette Camphost gibt uns die Anmeldung, plaudern ein bisschen mit
ihm. Ausser uns sind hier oben vielleicht noch 4 od 5 Zelter. Als wir eben mit dem Essen fertig sind,
kommt ein Zelter und fragt, ob er sich einfach hinstellen kann, weil er den Camphost nicht finde. Er ist
Moldavier aus Chicago mit Frau und zwei kleinen Kindern. Brrrr… die Armen: Muessen jetzt bei Kaelte
und Dunkelheit das Zelt aufbauen.
Mittwoch, 16.November 2016
Ich faule Socke! Nix geschrieben die letzten zwei Tage (Montag, 14. und Dienstag, 15.11.)
Am 14.11. also im Butano State Park ist es mucksmaeuschenstill. Die Sonne kommt morgens ewig nicht
durch die Redwoods durch. Fahren die enge Strasse zurueck, tauchen in den Nebel ein und sind wieder
unten an der Kueste. Dicke Suppe, man sieht nichts vom Ozean gleich links von uns. Beschliessen darum,
die Kueste zu verlassen und durch das Landesinnere nach San Francisco hinein zu fahren. Kommen
ueber 400 m direkt oberhalb der Standford Uni raus. Wir sehen sie nicht. Alles ist unter uns in Watte
gehuellt. Aber hier oben stehen wir auf einem Buckel mit einem 360-Grad-Blick. Da wir nun so nah sind,
moechte ich mir gern den Campus dieses Bildungs-Mekka anschauen, unser aller unerreichbarer Traum
damals in Palaestina in der Abi-Zeit! Schleichen uns sozusagen von hinten an, fahren durch eine
wunderschoen Wohngegend, parken und sind bald mitten auf dem riesigen und weitlaeufigen Campus.
Glockentum, Arkaden, schoene Plaetze, Myriaden von Radfahrern, Studenten, die auf langen Tischen
politische Ueberzeugungen und andere Dinge kundtun, eine in schwarz gehuellte Brassband, wie ein
Trauerzug, die, so glauben wir zu verstehen, lautstark die Demokratie zu Grabe traegt. Kann mich
schwer losreissen, wuerde am liebsten den ganzen Tag hier verbringen und Stimmung schnuppern. Aber
wir muessen los, um noch bei Tageslicht im Anthony Chabot Park anzukommen, unsere Sachen wieder
in die Koffer zu packen und den RV auszuputzen. Fahren also aus Stanford raus, durch Palo Alto
hindurch. Hier wirkt alles wie Eppendorf oder Winterhude, lauter nette, teure Laeden, nichts mehr fuer
Leute mit normalem Einkommen; dann sind wir ploetzlich und uebergangslos in einer eher gesichtlosen,
wenig wohlhabenden Gegend, fahren an Facebook vorbei und ueber die Dumberton Bridge ueber die
sogenannte Bay, die eigentlich eine endlos lange und breite Lagune ist, zur anderen Seite Richtung
Oakland und San Leandro. Kommen rechtzeitig im Anthony Chabot an, packen alles zusammen, machen
noch einen Spaziergang, sehen unser letztes Mule Deer fuer diese Reise und vertilgen anschliessend alle
Reste: geroestete Zwiebeln, geroesteten Speck, Brot, Bier, Chips – alles mega-gesund. Hoeren nachts
endlich den ersten und einzigen Koyoten laut und ausdauernd den Supermoon anheulen. Machen das
Fenster auf und lauschen ihm andaechtig.
Dienstag, 15. November: Morgens beehren uns noch einmal die fuenf wilden Truthaehne, die wir schon
in unserer allerersten Nacht an eben dieser Stelle kennengelernt haben. Josef haelt „Zwiegespraech“ mit
ihnen und lacht sich dabei kapputt. Die Uebergabe des RV in San Leandro geht ruckzuck. Geben alle
brauchbaren Ueberbleibsel an eine hollaendische Familie weiter, die gerade ihren RV uebernehmen.
Den Shuttle-Bus zum Flughafen faehrt eine Deutsche aus Duesseldorf, die seit 20 Jahren hier lebt. Sie ist
mit einem Ami verheiratet und recht kritisch all dem rechten Gedoens gegenueber, wie alle hier. Am
Flughafen warten wir 30 Min auf unseren Shuttle zum Green Tortoise. Der Fahrer ist ein Israeli, der seit
30 Jahren hier lebt. Das Hostel ist total nett, sehr alternativ, ein ehemaliges altes Hotel und Restaurant,
das zu einem riesigen Speisesaal umgewandelt ist, mit kunterbuntem Teppichboden, Billardtisch und
vergangenem Glanz. Als wir das erste Mal hineinschauen, spielt gerade jemand recht selbstvergessen
Klavier, und einige Junge Leute sitzen plaudernd und mit Laptops an Tischen verteilt. Man koennte dort
stundenlang ausharren mit nettem Blick auf eine Kreuzung, wo die fuer San Francisco so typischen
steilen Strassen aufeinander treffen. Heute Abend ist hier gemeinsames Kochen angesagt. Nachdem
wir unser kleines Zimmerchen mit grossem Bett und ein paar Kleiderhaken bezogen haben, gehen wir zu
Fuss los. Wir sind am Broadway, gleich unterhalb vom Telegraph Hill und dem Coit Tower. Gehen die
steile Strasse hoch. Mit das Erste, was wir von San Francisco sehen: jemand hat seine Notdurft verrichtet
– mit einem letzten Stueck Ruecksicht oder Selbstachtung nicht einfach auf den Gehweg, sondern auf
eine Stueck Zeitungspapier. Es gibt auch hier unglaublich viele Obdachlose.
Vom Coit Tower aus haben wir eine unglaubliche Aussicht auf die Stadt, die Bay, die Golden Gate Bridge.
Ich muss staendig an „Die Strassen von San Francisco“ denken, und wir nehmen uns fest vor, zuhause
mindestens einen der Krimis von damals anzuschauen. Der Coit Tower ist wohl im Sommer brechend
voll. Jetzt ist es sehr beschaulich. Die Einweiserin singt ihre Anweisungen in Sopranstimme! Ueberall sind
pseudo-sozialkritische Wandmalereien aus den 1940’er und ’50 Jahren von damaligen Kunststudenten.
Vom Coit Tower aus empfiehlt uns die Sopraneinweiserin, eine Treppe hinunter zum Levis Square zu
nehmen. Diese Serpentinentreppen, die San Francisco-Ausgabe der schwaebischen Steffeles sind in
huebsche Gaerten zwischen den an die Steilhaenge geschmiegten, sehr individuellen Haeusern angelegt
und sind teilweise wahre Oasen in dichtem, exotischem Gruen. Am Levis Square ist das Hauptquartier
des gleichnamigen Jeans-Herstellers, einem ausgewanderten Bayer. Das Passivhaus ist mit recycelten
Jeans gedaemmt und enthaelt ein huebsches kleines Museum zur Entstehung und Entwicklung der
Jeanshose.
Wir erlaufen uns noch China Town, Russian Hill und Nob Hill. Herrlich. Es geht rauf, runter, rauf, runter,
so steil, wie man es sich gar nicht vorstellen kann. Wie immer in Grossstaedten findet man sich
uebergangslos abwechselnd in sehr wohlhabenden und eher aermlichen Vierteln. Das Stadtgebiet San
Franciscos ist ueberschaubar und auf drei Seiten durch das Wasser, im Sueden durch die Market Street
begrenzt. Gucken immer wieder durch Fenster in warm erleuchtete, kolonialistisch wirkende
Wohnungen mit huebschen Zimmern voller Holz und antiken Moebeln. Streifen herum, bis uns der
Hunger in Chinatown in eine Suppenkueche treibt und essen eine echt Hausmacher Wontonsuppe.
Wieder gestaerkt laufen wir weiter die Berge hinauf und hinunter. Um 20:00 wollen sie vom Hostel aus
gruppendynamisch zu einem 5$-Dinner aufbrechen, aber so lange halten wir nicht durch und gehen
wieder in ein chinesisches Restaurant, das original aussieht wie in Peking oder Hongkong – also nicht
eben gemuetlich. Aber sehr freundlich sind sie, und wir finden auf der Speisekarte ausser viel
Undefinierbarem auch etwas, das ich essen kann. Fallen um 21:00 todmuede ins Bett nach all dem
Trubel in der Stadt, dem Laerm, dem Dreck, den vielen Obdachlosen, von denen Rory meinte, sie seien
alle „mentally ill“, und von denen man nicht weiss, warum sie permanent mit sich selbst sprechen, die
teilweise so erbaermlich, vernachlaessigt und dreckig aussehen, dass man zwischen tiefem Mitgefuehl
und Ekel schwankt.
Mittwoch, 16. November, 2016
Josef will gar nicht aus dem Bett, so sehr ekelt ihn der Gedanke an die Stadt. Aber nachdem gestern der
Himmel total verhangen war, scheint heute die Sonne, und ich sehe durch unser Fenster einen
klitzekleinen Streifen blitzeblauen Himmels zwischen dem Green Tortoise und dem einen halben Meter
entfernten Nachbarhaus – immerhin hat man die Nachbarfassade mit einer huebschen Wandmalerei mit
der Skyline von San Franciso verschoenert! Um 7:30 scheuche ich ihn schliesslich hoch. Das Fruehstueck
im grossen Speisesaal ist inklusive, was es hier so gut wie nie gibt. Wir bleiben lange im Saal sitzen, ich
schreiben Reisetagebuch und Josef liest. Geniessen die friedliche Stimmung, das Sonnenlich, das durch
die Fenster flutet, die Chillout-Musik, die jungen Leute, die leise plaudern. Kommen erst um 10:00 los,
mit dem Ziel, zu Fuss zur Golden Gate Bridge zu finden. Machen einen Zwischenstopp am Historic Pier
mit seinen alten Schiffen und dem dazugehoerigen Visitor Center, das auf sehr schoene und
anschauliche Weise die Geschichte San Francisos. Wir lernen viel, u.A., dass es zwischen 1850 und 1890
eine grosse Chinesische Einwanderungswelle von Goldsuchern gab. Viele von diesen sind landeinwaerts
nach Nevada und Arizona gegangen, sind jedoch meist unverrichteter Dinge, weil man ihnen nicht
erlaubte, Claims abzustecken, zurueck zur Kueste gekommen, wo sie bis heute sehr zahlreich vertreten
sind.
Die Sonne scheint, aber es ist affenkalt; dennoch sind Kitesurfer und sogar Schwimmer in der Bay! Wir
laufen zuegig, damit wir warm bleiben. Wuensche mir Schal und Muetze! Wir laufen lange am Wasser
entlang, immer die schoene Golden Gate Bridge im Blick. Die Luft ist kristallklar. Uns gegenueber die
Huegel und Berge noerdlich des Golden Gate, in der Bay Inseln, u.A. Alcatraz, die Gefaengnisinsel, die
deshalb ausbruchsicher war, weil die Fluechtenden in der starken Stroemung meist ertranken oder
erfroren, weiter weg die Bay Bridge, die hinueber nach Oakland fuehrt, und im Hintergrund der Mount
Diabolo der Sierra Nevada. Ein alter Herr, dem wohl ein wenig langweilig ist, erklaert uns alles in
epischer Breite, bis Josef uns losreisst. Nach circa 10km Fussmarsch sind wir endlich mitten auf der
Bruecke. Unter uns sind riesige Containerschiffe, Kitesurfer und Seeloewen, die in der abfliessenden Tide
auf Fische warten, die ihnen vor’s Maul treiben. In dem schmalen und einzigen Durchlass aus der Bay in
den Pazifik, dem Golden Gate, herrscht praktisch permanent eine reissende Stroemung – immer
abwechselnd mit den Gezeiten hinein und hinaus.
Zurueck in die Stadt fahren wir mit dem Bus. An der Hyde Street, einer der Endstationen des Trolley, der
beruehmten, alten Strassenbahn, steigen wir um. Die Bahn faehrt dann auch endlich los, nachdem
Schaffner, Fahrer und Trolleyschieber (sie schieben den Trolley wie anno Dunnemal von Hand auf der
Drehscheibe in Fahrtrichtung) sich in ihrem fuer uns komplett unverstaendlichen afro-amerikanischen
Englisch lautstark und lachend ueber dieses und jenes ausgetauscht und die Wartenden schier haben
erfrieren lassen. Wie im Film! Wuerde so gern verstehen, was sie sagen. Vor lauter leutseligem
Geplauder vergessen sie abzukassieren. Macht nix. Wir steigen am Trolley-Depot, das gleichzeitig
Museum ist, aus und spenden dort einen Betrag zur Erhaltung der Trolleys. Die Technik ist der Hammer!
Sie stammt von 1890 und tut noch immer. Die Wagen werden tatsaechlich an einem Endlosstahlseil, das
in einer Rinne in der Mitte der Strasse versenkt ist, und an das sich der Trolleyfahrer mittels einer
zangenartigen Klammer haengt, diese Berge mit bis zu 30% Steigung rauf gezogen, um dann gebremst
diese Gefaelle wieder hinunter zu rattern. Zur Rushhour haengen bis heute die San Franciscoites
draussen auf den Trittbrettern und halten sich an den dafuer vorgesehenen Stangen fest.
Wir sind platt. Laufen zum Green Tortoise zurueck, essen auf dem Weg, in Gott sei Dank westlichem
Ambiente eine heisse Suppe (genug Chintwon genossen!), duschen heiss und machen eine Siesta.
Donnerstag, 17.11.2016
Es ist wieder ein super-klarer, sonniger Tag! Wir bleiben vom typischen San Francisco Nebel verschont,
Gott sei Dank! Es ist viel waermer als die vergangenen zwei Tage, aber das weiss ich ja um die Uhrzeit
noch nicht und krame mit noch Daunenmantel und Muetze aus dem Koffer, die ich bisher auf der
ganzen Reise nicht gebraucht habe. Wir fahren mit dem Linienbus auf die Westseite der San Francisco
Halbinsel. Leider habe ich mir nicht die Muehe gemacht, vorher richtig nachzulesen, was es dort so gibt;
dann haetten wir gewusst, dass auf dem Weg dorthin Ashbury Heights liegt, das schon zur Flowerpower-
Zeit sehr alternativ war und sich wohl ein bisschen was von diesem Hippie-Flair erhalten hat. So erfahre
ich es im Nachhinein von meiner Freundin Biene per whatsapp. Wir ahnen es zwar, als wir mit dem Bus
durchrauschen, ich bin jedoch zu langsam, Josef zum Aussteigen zu bewegen und denke auch, dass
davon im Westen am Ocean Beach noch mehr kommt. Die letzten 20 Blocks vor dem Ozean bestehen
indes nur noch aus kahlen, rechtwinkelig angeordneten, sanft abfallenden und ansteigenden Strassen,
gesaeumt von kleinen, gesichtslosen, pastellfarbenen Pappschachtelhaeusern. Und die Menschen im
Bus und auf der Strasse sind nunmehr ausschliesslich Chinesen! Wir sind wirklich die einzigen
Nichtchinesen weit und breit. Wir laufen die letzten 5 Block zu Fuss, gehen dann, mangels irgendeiner
anderen sehenswerten Sache hier, zum endlosen, menschenlosen Pazifikstrand. Der Sand hier ist
pechschwarz, wie Quarzsand oder als sei er voller Teer. Aber ein anderer Spaziergaenger erklaert uns,
der Sand sei sehr eisenhaltig, drum so schwarz. Es ist nicht so einladend. In Santa Cruz sah der Strand
genau so aus. Laufen an einem riesigen Bagger vorbei, der den schwarzen Sand in sechs Kipplader
schaufelt. Wir fragen einen Vorabeiter, was das soll, und er erklaert uns, dass sie den Sand alljaehrlich
von hier nach weiter suedlich bringen, dort abladen, um die Kueste zu schuetzen. Bis zum HErbst habe
die Stroemung den Sand dann wieder hierher getrieben und sie muessten ihn wieder zurueck baggern.
Syssiphus! Der Golden Gate Park ragt als ein etwa 1km breiter und 6km langer rechteckiger Balken vom
Strand quer in die Halbinsel hinein . Wir durchlaufen einen Teil von ihm und treffen, an einem Tisch
picknickend, eine Gruppe von Kindergartenkindern, betreut von mehreren Frauen, die lauthals „Aber
dennoch hat sich Bolle ganz kraeftig amuesiert“ singen. Wir gehen neugierig hin. Es ist ein
Waldorfkindergarten mit mehreren deutschen Frauen, die sich ehrenamtlich bei solcherlei Ausfluegen
als Aufsicht zur Verfuegung stellen. Sie einzige Amerikanerin unter den Frauen guckt etwas befremdet.
Sind ja auch unhoeflich, weil wir nur Deutsch sprechen. Aber die anderen Damen scheinen ganz
ausgehungert und plaudern, erzaehlen von ihrem Leben hier, vom Heimweh, davon, dass gerade die
Googles, Apples und Facebooks ihre Kinder in die bildschirmmediengeschuetzten Waldorfkindergaerten
und -schulen schicken. Der Rest der Menschheit kann ja ruhig verbloeden und zu Autisten werden mit
ihren Produkten – Hauptsache ihre eigenen Kinder nicht. Wir laufen zur naechsten Bushaltestelle. Hier
warten ein chinesischer Junge und ein chinesisches Maedchen. Sie sind 14 un 15 Jahre alt, gehen zur
Highschool, sprechen beide akzentfrei englisch. Das Maedchen ist noch in China geboren, lebt seit acht
Jahren hier und ist dennoch im Verhalten noch asiatisch-zurueckhaltend. Der Junge, der schon in der
zweiten oder dritten Generation hier ist, ist sehr selbstbewusst, offen und amerikanisch.
Fahren in das Zentrum zurueck bis zur Market Street / Union Square und halten uns dort, im
kommerziellen Zentrum der Stadt, lange auf, schauen dem Treiben zu. Hier steht eine ganze Batterie
Zeugen Jehovas – wie ueberall hier in San Francisco uebrigens. Der Trolley hat hier auch eine
Drehscheibe, und die Fahrer und Rangierer sind offenbar bestens bekannt mit den Zeugen, witzeln
lautstark hin und her. Auch hier die unvermeidlichen Obdachlosen in grosser Zahl. Wir holen uns einen
Coffee-to-go, zum ersten Mal, seit wir hier sind, haben wir auch so eine „Nuckelflasche“, ohne die man
Amerikaner selten auf der Strasse sichtet.
Unser Reisefuehrer meint, wir muessten dringend zum Embarcadero Center, wo wir dann auch
pflichtschuldig hin tippeln; ist aber total enttaeuschend. Haesslich wie die Nacht. Drei
Betonbuerotuerme, bisschen sozialistisch anmutend, die die Stadt braucht wie einen Pickel. Gehen
hinunter zum Wasser, nun auf der Ostseite der Stadt, der Bay-Seite, zum Ferry-Building, heute noch
wichtige Anlegestelle fuer die Pendlerfaehren von den Inseln und gegenueberliegenden Ufern, dann
durch die sehr schoene Market Hall mit Verkaufsstaenden und Restaurants (ich kaufe in einem
Buchladen „The Circle“, sehr passende Distopie zu Google und Konsorten).
Wir gehen zurueck ins Green Tortoise, machen einen kurze Pause und gehen dann nochmal los, direkt
um die Ecke, was essen – im sauteuren, wahrscheinlich weil hip, weil zahlungskraeftige After-workcrowd, schaebigen „Naked Lunch“. Zu laut droehnender Musik gibt es bei schlechtem Service einen
schlechten Burger und zwei Bier fuer $82,00!! Aber Super-Stimmung hier. Um die Ecke von hier ist der
Red Light District. Dort ist eine Bar, in der abends Live-Musik ist, wo wir noch einen Absacker trinken
wollen an unserem allerletzten Abend in dieser verrueckten Stadt, in diesem verrueckten Land. Bleiben
dann fast zwei Stunden. Die Musik ist schoen, eine Mischung aus Rockballaden und Country, es sind
keine 20 Leute in der Kneipe, der Wirt hat total Spass. Neben uns steht ein junges Maedle im
ultrakurzen Kleidchen mit tiefem Decollete, das viel Busen sehen laesst. Ich mache mir meinen voellig
falschen Reim darauf. Es stellt sich raus, dass sie Theaterregisseurin ist, Kindertheater macht, was ja
recht brotlos ist, weshalb sie zusaetzlich in einem Baumarkt arbeitet und Kollegin des Drummers der
Band ist, was erklaert, warum sie hier ist. Der erzaehlt uns nach seiner Auffuehrung, dass er im Februar
mit einer anderen Band eine Tour durch Europa macht und u.A. in Geislingen auftritt! Da muessen wir
eigentlich hin! Schreiben es uns auf. Ich gehe raus, eine rauchen. Neben mir raucht eine Frau, die sagt,
sie habe seit Jahren nicht geraucht, aber die Stimmung sei hier so toll, da musste sie einfach eine
schnorren. Sie ist aus Denver, Colorado, und als ich ihr erzaehle, dass wir aus Deutschland sind, zeigt sie
mir auf ihrem Handy Fotos von einer Vernissage in Berlin, wo vor Jahren ihre Bilder ausgestellt wurden.
Als wir das naechste Mal rausgehen, um eine zu rauchen, nehme ich mir ein Glas Leitungswasser mit.
Neben uns steht eine Frau, vielleicht so als wie wir, die die ganze Hood in eine Haschwolke huellt. Meine
Schnorrerin ist hin und weg und darf mal ziehen, zieht um ihr Leben die halbe Tuete auf einmal weg.
Ploetzlich sagt die Kiffende: „Du musst sofort das Glas reinbringen; das ist strengstens verboten.“ Ich:
„Das ist Leitungswasser!“ Sie: „Das ist egal. Man darf keine Getraenke mit auf die Strasse nehmen. Du
bringst den Wirt in Teufels Kueche.“ Also, um das mal klar zu stellen: Du darfst offiziell mit einer
Riesentuete durch die Stadt laufen und dir die Birne wegdroehnen, aber du darfst im Umkreis von 5
Metern eines Eingangs nicht rauchen, und du darfst kein Glas mit auf die Strasse nehmen. Ist doch alles
schluessig! Die magere, kleine Frau, die sicher aelter aussieht, als sie ist, kifft seit 40 Jahren – nicht erst,
seit zusammen mit der Praesidentenwahl auch gleich abgestimmt wurde, dass „recreational
consumption“ in Kalifornien ab sofort erlaubt ist. Sie raucht 3 Joints pro Tag, zuendet jeden mehrmals
asn, raucht nur hochwertige Ware. Meine Schnorrerinund ihr Mann, der Josef eben drinnen erzaehlt
hat, er habe seit Jahrzehnten nicht gekifft, saugen beide gierig an dem Joint, den die Kifferin
grossmuetig anbietet. Mir reicht mein Bier. Was ein Abend. Sehr spannend!
Freitag, 18. November 2016
Heute ist Abreisetag, aber wir haben noch ein paar Stunden Zeit, bis unser Shuttle kommt, und
geniessen die Stimmung im Green Tortoise, sitzen im Speisesaal rum, ich schreibe, Josef liest. Am
Bueffet treffe ich auf die junge Brasilianerin, die auch schon seit 2 Tagen hier wohnt, in Brasilien Biologie
studiert, ihre Doktorarbeit ueber freie Radikale im menschlichen Koerper schreibt und hierueber auf
einem Symposium einen Vortrag haelt. Am Nachbartisch sitzt ein Ehepaar, die einzigen in unserem
Alter, die auch schon seit ein paar Tagen hier sind. Wir wollen nochmal versuchen, dem Phaenomen der
vielen Obdachlosen auf den Grund zu gehen und fragen sie danach. Es entspinnt sich eine rege
Diskussion. Viele kommen wohl, weil es waermer ist als anderswo, was das Leben auf der Strasse
einfacher macht, und weil Kalifornien ihnen zumindest befristet so eine Art Grundsicherung gibt, aber
mit der Auflage, dass sie sich bemuehen muessen, auf eigene Fuesse zu kommen. Auch sie sagen, viele
von ihnen seien psychisch krank, und da es keinerlei Hilfe gebe fuer sie, wuerde ihr Zustand immer
schlimmer. Viel Hilfe kaeme von Ehrenamtlichen und von den Kirchen. Die beiden kommen aus West
Virginia. Dort gab es frueher viele Kohlebergwerke, die nun aus Umweltgruenden nach und nach
geschlossen wurden, so dass es dort, analog dem Ruhrpott, viele Arbeitslose gibt. Und obwohl der
Kohlenstaub sie krank gemacht hat, und sie dennoch immer arm waren, wuenschen sich die Arbeiter
ihre Jobs zurueck. Sie wollen nichts anderes ausprobieren. Dort ginge z.B. Milchviehhaltung und
Schafzucht, aber sie wollen davon nichts hoeren. Am Nachbarstisch sitzt einer allein, der fragt, ob er sich
zu uns setzen und am Gespraech teilnehmen kann. Nach einer Weile muss das Ehepaar los, aber der
junge Mann bleibt. Er ist aus New Mexico, dem viertgroessten Staat der USA mit gerade mal 3 Mio
Einwohnern. Wir fragen ihn, wovon man dort so lebt. Er sagt, z.B. von den wohlhabenden Rentnern, die
sich in Santa Fe zur Ruhe setzen; ansonsten gibt es viel Armut. Und er selbst? Er sei Bauer. Aha. Und
was pflanzt er so? Marihuana. Aha. Er arbeitet hier in Kalifornien auf Farmen, die Grass fuer
„medizinische Zwecke“ anbauen, was schon lange erlaubt ist. Seit der Wahl nun ist ja auch der
Freizeitgebrauch gestattet. Es wird einen Boom geben, und er will jetzt seine eigene Farm aufziehen (Ich
muss an „The Harder They Come“ denken. Josef auch.). Dustin heisst er uebrigens. Er klingt zunaechst
ganz klar und geschaeftig, erklaert, die Profitmargen haetten vor der Legalisierung bei 70% gelegen.
Jetzt muesse man mal schauen. Bei laengerem Gespraech stellt sich heraus, dass er jeden Tag kifft,
besonders, wenn er nichts zu tun hat, ja, dass er kiffen muss, wenn er Panikattacken hat (siehe Adam in
„The Harder They Come“), dass er eigentlich erst die letzten vier Wochen zum ersten Mal auf einer Farm
gearbeitet hat, dass er den Job schon wieder los ist. Er erzaehlt von mehreren Fulltimejobs, die er
gemacht hat, die alle nicht ausgereicht haben, um zu ueberleben. Hat u.A. im Hotel als Concierge
gearbeitet. Welcome to America – Land of Opportunities! Und das soll jetzt unter Trump und seinem
Milliardaerskabinett besser werden!? Es wird spannend. Wir muessen uns von Dustin verabschieden,
wuenschen ihm alles Gute und fahren mit unserem Shuttle zum Flughafen, wo sie uns an der Security
Josef winzige Schweizer Taschenmesserchen abnehmen. Er regt sich auf, nachdem die ja mittlerweile in
Deutschland wieder im Sicherheitsbereich im Duty Free verkauft werden!
Lassen uns auf dem Rueckflug in der Business mit meinem 25-Jahr-Jubilaeumsflug feste verwoehnen,
geniessen es, schlafen auch ein paar Stunden.
Es war eine tolle Reise mit spannenden Begegnungen, irren Landschaften, wunderschoenen
Wanderungen, die wir nie vergessen werden. Und alles lief so glatt, dass man es gar nicht glauben mag.