Marokko – Frühjahr 2018
admin_q55lb1h12018 2018, frühjahr, Marokko, Morocco
المغرب في الربيع
Marokko Fruehjahr 2018
Schon die Beschreibung der USA-Reise von 2016 begann ich damit, dass wir eigentlich etwas anderes
geplant hatten und dann kurz vor Hosenknopf anders entschieden. Dort ging es jedoch nur um den
Zeitraum. Bei dieser Reise hingegen aenderte sich das Ziel staendig. Denn erst wollten wir in den Iran
fahren, also mit dem WoMo nach Sueden durch die Tuerkei und Aserbaidschan und dann in den Iran, uns
dort einige Wochen herum treiben, dann auf dem Rueckweg bei Behnaz und Kamran in Tabriz bei der
Aprikosenernte helfen und uns schliesslich wieder nach Norden und Deutschland arbeiten. Im Zuge
seiner Ermittlungen zur Reisevorbereitung fand Josef jedoch heraus, dass unser supersauberes Euro-6-
Auto den Diesel im Iran nicht verdauen kann. Denn es vertraegt nur einen Schwefelanteil von 50 ppm,
der iranische Diesel hat jedoch dank der endlosen Sanktionen des Westens und der damit
einhergehenden Ueberalterung seiner Raffinerien einen Anteil von bis zu 7000 ppm! Satz mit X also. Nun,
wir sind ja flexibel und ueberlegten statt dessen, in Europa zu bleiben, Spanien und Portugal ein bisschen
unsicher zu machen, erwogen noch, das WoMo anschliessend in Suedspanien zu parken, fuer ein paar
Wochen nach Hause zu fliegen, um dann die Reise nach Marokko fortzusetzen. Je naeher der Zeitpunkt
unserer Abreise kam, desto weniger Lust hatte ich, in Europa zu sein. Als ich das dann endlich aeusserte,
beschlossen wir kurzerhand, Spanien und Portugal einstweilen auszulassen und direkt nach Marokko zu
reisen. Damit ging es mir deutlich besser. Keine Ahnung, warum. Wir buchten also fuer den 25.2. eine
Faehre von Sete in Suedfrankreich kurz hinter Montpellier, nach Nador in Marokko.
Am 21.2. sollte es also losgehen. Wollten Johann im WoMo mitnehmen und im Konvoi mit Alex, Simone
und Arno bis nach Jouvernaisinaz fahren, wo Mami Claude das Elternhaus uebernommen hat und auf uns
alle wartete. Daraus wurde nix, weil unser kleiner Johann krank wurde. Als er einigermassen wieder
hergestellt war, fuhren wir schliesslich am Donnerstag, 22.2. los. Auf Hoehe von Engen fiel mir ein, dass
wir vielleicht mit Mazen einen Tee trinken koennten. Und siehe da, er hatte Zeit, so dass wir kurz den
Umbau des Hauses bewundern konnten. Als wir dann weiterfuhren und es schon Mittag war, fiel uns ein,
dass wir eigentlich dennoch bei CLaude vorbei fahren und mit dem WoMo bei ihr im Hof uebernachten
koennten. Gesagt, getan. Sie freute sich, hatte sie doch eigentlich mit uns allen, einschliesslich Viola und
einer Freundin gerechnet und saemtliche Betten im Haus bezogen. Unkompliziert wie sie ist, machte es
ihr nicht nur nichts aus, dass wir erst um ca 21:00 ankommen wuerden; nein, sie verwoehnte uns auch
noch mit einem gemuetlich im offenen Kamin lodernden Feuer, Fischfiletchen aus dem Lac Leman,
Champus vorweg und gutem Wein zum Essen. Es war ein sehr schoener Abend. Und ich war froh und
dankbar, nicht im kalten WoMo schlafen zu muessen.
23.2.
Nach einem entspannten Fruehstueck fuhren wir am Genfer See los und Richtung Montpellier. Mir fielen
noch Maria und Cees ein, die irgendwo an der suedfranzoesischen Kueste eine Wohnung besitzen und
sich dort vor Kurzem zur Ruhe gesetzt haben. Ich rief an, um zu sehen, ob wir sie vielleicht treffen, evtl
mit dem WoMo bei ihnen vor dem Haus naechtigen koennten. Aber es waere ein allzu grosser Umweg
gewesen, da sie bei Cannes wohnen. Vielleicht klappt es auf dem Rueckweg in ein paar Monaten.
Wir peilten nun die Camargue, das Muendungsdelta der Rhone an, die auf dem Weg liegt. Ich kannte den
Namen aus meinen Franzoesischbuechern und hatte irgendwas mit weissen Wildpferden im Kopf, wusste
aber bis zu dieser Reise gar nicht, wo sie liegt. Wie ignorant. Asche auf mein Haupt. Auf der anderen
Seite: Wieviele Franzosen wissen wohl, wo Ostfriesland liegt?
Kamen also ca 17:00 am aeussersten Zipfel der Camargue in Saintes Maries de la Mer an, machten einen
Strandspaziergang, fuhren zurueck ins Dorf und assen dort zu Abend. Das Dorf hat im Winter 2600
Einwohner, im Sommer bis zu 40.000. Um diese Zeit sind nur wenige Touristen da, und die ganzen
Ferienwohnungen und-haeuser liegen noch verwaist da, die meisten Restaurants und Cafes sind noch
geschlossen. Schoene Stimmung, die Leute im Dorf entspannt und freundlich.
Am Nebentisch sass ein luxemburgisches Ehepaar. Wir konnten die Sprache nicht recht verorten, und ich
musste sie schliesslich fragen. Sie sprachen sehr gut Deutsch – wohl alle Luxemburger, wie sie uns
erklaerten. Ebenso gut sprechen sie Franzoesisch. Die beiden waren in Josefs Alter und reisen auch viel
mit dem WoMo herum. Sie ist blind, wie sie uns erklaerte. Krass. Hatte einen Riesenpudel als
Blindenhund dabei, der sehr schmusig seinen Kopf in meinen Schoss bettete. Wie das wohl geht? Man
reist ja viel um des Sehens willen, sollte man meinen. Ihr Mann wuerde ihr alles erklaeren, was er so
sieht. Sie waren sich gegenseitig Jugendliebe, hatten sich jedoch aus den Augen verloren, jeweils
geheiratet und Kinder bekommen. Seine Frau ist an Leukaemie gestorben, ihr Mann hat sie verlassen.
Irgendwann hat sie ihn im Internet gesucht und wiedergefunden. Nun sind sie seit ca. 7 Jahren
zusammen, und vor etwa 7 Jahren begann auch ihre allmaehliche Erblindung. Trotzdem wirkte der Mann
auf mich ueberhaupt nicht traurig oder bitter – im Gegenteil. Schoene Geschichte, die sie da mit uns
geteilt haben.
24.2.
Die Uebernachtung auf dem Parkplatz am Strand mit gerade mal zwei weiteren WoMos war kalt aber
unter der Decke gut zu ertragen. Wollten morgens noch einen Spaziergang durch das endlose
Marschland, durchzogen von Seen, Kanaelen und Wassergraeben, machen, aber es gab keine
ausgewiesenen Wanderwege. Das ornithologische Zentrum hatte noch nicht geoeffnet, sodass wir nur
einen kleinen Spaziergang an seiner Peripherie machten, von dort aus jedoch die vielen Flamingos,
Reiher, etc. sehen konnten, die auch immer wieder ueber unseren Kopfen kreisten. Von der Strasse aus
sahen wir Bisamratten, Wildpferde und immer wieder grosse Voegel aller Art. Waere sicherlich
spannend, hier mal mit ein wenig mehr Zeit und einer Wanderkarte unterwegs zu sein. Aber nicht jetzt.
Es ist kalt und ungemuetlich, und wir wollen naeher Richtung Sete. Auf dem Weg liegt am suedlichen
Ende der Camargue der unwahrscheinliche Ort Aigues Mortes (Tote Wasser), eine im fruehen Mittelalter
vom franzoesischen Koenig Ludwig X (glaube ich) mitten in das Brackwasser gebaute Festungsstadt,
deren Stadtmauer vollstaendig erhalten ist. Sie war fuer Frankreich lange Zeit der einzige Zugang zum
Mittelmeer, da die restliche Kueste den Spaniern und was weiss ich wem gehoerte. Ludwig baute einen
Kanal von der Stadt bis zum offenen Meer hin. Irgendwann gehoerte die Kueste dann zu Frankreich, so
dass der Ort als Hafenstadt an Bedeutung verlor, der Kanal verschlammte und man sich auf den Abbau
von Salz konzentrierte. Bis heute kommt ein Grossteil des beruehmten Fleur de Sel, das ja mittlerweile
bei jeder Hausfrau, die was auf sich haelt, zum guten Ton der Kueche gehoert, aus der Camargue um
Aigues Mortes herum. Die Hauptstrasse durch die kleine Altstadt hindurch war mit schweren Gittern
abgesperrt, und obwohl wir es so verstanden, dass da demnaecht a la PAmplona irgendwelche Stiere
durchgetrieben werden sollten, lungerten allerlei Leute auf der Strasse herum. Wir auch. Am Ende der
Strasse ging es durch ein Stadttor hinaus auf eine Wiese, die ebenfall von schweren Gittern umgeben
war. Auch hier wimmelte es vor Menschen. Wir dachten uns, wenn die da rumlaufen, wird es schon seine
Richtigkeit haben und man wuerde uns schon rechtzeitig fortjagen. Pustekuchen. Die Franzosen sind da
ganz entspannt. Ploetzlich bog aus dem Stadttor eine Horde Reiter im gestreckten Galopp, in ihrer Mitte
ein Stier, den sie zielsicher und gekonnt in einen Viehtransporter jagten. Jetzt aber husch-husch durch die
Gitterstaebe hindurch hinter die Absperrung. Und schon kam der naechste Reitertross. Und noch ein
dritter, und dann war die Chose vorbei. Kurz aber spannend. Binnen einer halben Stunde hatten sich die
Menschen verlaufen und Aigues Mortes verfiel wieder in seinen dornroeschenschlafartigen
Normalmodus. Wir machten uns auf die Socken Richtung Sete. Kurz vor Sete hielten wir in Frontignan,
weil es dort einen netten Stellplatz geben sollte. Machten einen schoenen langen Spaziergang an der
Lagune von Frontignan und suchten uns dann einen Schlafplatz auf dem Parkplatz eines noch in
Winterpause befindlichen Campingplatzes, der nicht so ganz toll aber ok war (immerhin mit Blick auf die
Lagune), kochten uns Nudeln und kuschelten uns ins Bett.
25.2.
Nach dem Fruehstueck fuhren wir morgens gleich zum Hafen nach Sete, damit wir die Oertlichkeiten
kennen und wissen, wann wir wo sein muessen. Checkten ein und fuhren dann nochmal los. Die Faehre
sollte erst um 20:00 ablegen, und wir mussten um 17:00 wieder am Hafen sein. Wir fuhren auf die
gegenueberliegende Seite der Bucht von Sete in ein Oertchen namens Belaruc. Eigentlich, um nochmal
Wasser zu entsorgen, aber der Ort stellte sich als recht nett heraus, offenbar auch so einer, der im
Sommer ueberrannt wird von innerfranzoesischen Touristen, der jetzt jedoch noch entspannt und
schlaefrig wirkte. Wir vertueddelten den Tag mit einem Spaziergang an der Promenade, in der riesigen
Lagune Austernzuchten, und einem leichten Mittagssnack in einem Cafe. Schliesslich fuhren wir zum
Hafen zurueck und reihten uns mit unendlich vielen anderen Fahrzeugen auf einem Warteplatz ein.
Um uns herum hauptsaechlich vollgestopfte und turmhoch ueberladenene Transporter und ca 20
Fahrzeuge mit Westlern: WoMo-Reisende, eine Motorradgruppe und ein Konvoi auf dem Weg zu einer
Wuestenrallye mit e-bikes. Strange?! But why not? Wir kamen mit einem Mann aus Heidenheim und
einem St.Gallener Schweizer ins Gespraech, denen wir auf der Faehre auch immer wieder begegneten
und die uns ein paar gute Tips gaben. Sie waren beide schon oefter in Marokko und kennen sich ganz gut
aus. Der Heidenheimer sagt, seine Frau sei ein Angsthase, und auch die Frau des Schweizers ist nicht ganz
so abenteuerlustig wie ihr Mann. Die wollen durch Mauretanien in den Senegal. Vor Mauretanien wird
sehr gewarnt in unserem Campingfuehrer. Der IS sei dort sehr aktiv und entfuehrungsfreudig. Allah
ma3ahum, wie der Araber sagt. Gott sei mit ihnen.
Die Faehre legte puenktlich um 20:00 in Sete ab, war fuer unser Gefuehl ein Riesenkoloss und netter als
erwartet, wenn auch die Kabine schmuddelig, aber immerhin fuer uns allein und mit Bad, und das Essen
duerftig waren. Es ist noch Vorsaison und daher nicht so voll. Die meisten Passagiere waren
marokkanische Kleinspediteure und Gastarbeiter, die in Frankreich leben. Gott sei Dank schwankte es
nicht zu sehr, und wir haben geschlafen wie die Murmeltiere. Irgendwann gestern sagte uns der
Schweizer irgendwas von einem Einreiseformular, das wir im 9. Stockwerk (Der Koloss hat mit
Kommandobruecke 11 Stockwerke!) ausfuellen muessten. Als wir dorthin kamen, stand da eine endlose
Schlange vor irgendeiner Tuer, und es war nicht recht herauszubekommen, was dort stattfindet, nur, dass
weiter hinten den Gang entlang noch einmal eine Schlange war, bei der wir uns ebenfalls anstellen
muessten. Ich ging schliesslich zur Rezeption im 8. Stockwerk und fragte die einzige Mitarbeiterin auf der
Faehre, die Englisch konnte, was zu tun sei. Also, das erste Buero sei die marokkanische Grenzpolizei, wo
wir praktisch vorab die Einreiseformalitaeten erledigen koennten und das zweite der Zoll fuer die Einfuhr
des Fahrzeugs. An sich ja eine tolle Idee, das gleich an Bord zu machen, wo man 40 Std lang eh nichts
machen kann ausser schlafen, lesen, essen, trinken und ab und zu ein paar Runden auf den zugigen Decks
drehen. Aber das Prozedere war schon recht abenteuerlich. Wir standen also eine knappe Stunde bei der
Grenzpolizei an, bis sich endlich die Tuer oeffnete und alle gleichzeitig in einen Vortragssaal mit
entsprechender Bestuhlung gelassen wurden. Ich fragte den Mann, der uns die Tuer oeffnete, lachend,
was das hier sei, ob wir etwa einen Vortrag hoeren wuerden. Allein, es war der Grenzer. Gott sein Dank
hatte er Humor und lachte mit. Als wir hiermit endlich durch waren, stellten wir uns beim Zoll an – auch
nur ein Maennlein fuer das ganze Schiff. Als wir fast zu ihm vorgedrungen waren nach weiteren 1,5
Stunden, kuendigte er an, er wuerde jetzt fuer die kommenden 2 Std Mittagspause machen. Gott sei
Dank befand sich unter den Passagieren ein riesengrosser kraeftiger Mann mit lautem Organ, der einen
Zettel zueckte und verkuendete, er werde jetzt die Namen in der Reihenfolge der Warteschlange
aufschreiben und nach der Pause dafuer sorgen, dass wir nicht noch einmal anstehen muessten. Das hat
er dann auch durchgesetzt, auch gegen das Murren der neuen Wartenden, die teilweise lange vor Ende
der Mittagspause erschienen waren. Wir waren ihm dankbar. Uebrigens hat er viele Jahre in Freiburg
gelebt; drum ging er wahrscheinlich so preussisch geordnet vor! Er handelt mit gebrauchten Autos, bringt
jede Woche selbst eines nach Marokko mit der Faehre und schickt einen Autotransporter mit weiteren 8
Fahrzeugen von Suedspanien mit der Faehre. Als ich ihn fragte, warum er selbst nicht auch ab Spanien
fahre, meinte er, er geniesse die lange Faehrfahrt. Na gut. Ich hatte nach 40 Std. genug, obwohl man
duch das gemeinsame Herumgestehe in den zwei Schlangen mit einigen der Leute eine Vertrautheit und
Solidaritaet aufgebaut hat. War ne gute Stimmung.
Wir legten ueberpunktlich in Nador an. Ich war zwar schon vor dem Morgengrauen wach, doeste jedoch
vor mich in, merkte dann am veraenderten Geraeusch der Turbinen, dass wir im Hafen waren; wir
mussten uns dann fast ein bisschen sputen. Die Einreise ging dann recht zuegig. Bei Josef war vom
Schupo an Bord irgendein Nuemmerchen falsch im System eingegeben, und ich ging in irgendein Buero,
um es richtig zu stellen. Alle sind freundlich und gelassen, und so sind auch wir es. Schliesslich sind wir
morgens um 7:00 in Nador, wo noch die Buergersteige hochgeklappt sind. Fahren ein bisschen im Kreis
herum, kaufen schliesslich Brot und verlassen die Stadt Richtung Osten. Am anderen Ende der Lagune
von Nador soll ein staedtischer Campingplatz in dem Dorf Arkane sein. Als wir dort ankommen, sagt uns
jemand, den gebe es nicht mehr. Laufen ein wenig am verdreckten Strand entlang, gucken nach ein paar
Fischern, und fahren schliesslich weiter Richtung Osten nach Ras Al Ma‘ (oder franz. Point de l’Eau).
Kaufen SIM-Karte, wechseln Geld und fuellen den Wassertank auf (gleich mal Lehrgeld bezahlt: 5 EUR
fuer 50 L Wasser! Weil wir nicht vorher gefragt haben, einfach davon ausgegangen sind, dass es ein
Trinkgeld tut) Am Hafen ist ein Parkplatz, wo wir bleiben koennten. Ist aber nicht so schoen. Wir
schlendern ein bissel rum, kaufen Obst und trinken den ersten marokkanischen gruenen Tee mit Minze
und fahren noch ein Stueck. Fahren parallel zur Kueste Richtung algerische Grenze, links von uns Huegel,
in der Ferne die Berge des kleinen Gebirgszugs Bani Sassen. Die Huegel ueberzogen mit ueppigem Gruen,
ueberall blueht es. Unter den Olivenbaeumen Teppiche von Ringelblumen, grell orange.
Kurz hinter dem Dorf geht ein Stichweg zurueck zum Meer, hier aber oberhalb der Steilkueste. Er fuehrt
zu einem Gartenlokal, und wir fragen, ob wir auf dem Parkplatz mit grandioser Aussicht ueber das Meer
und einen breiten Streifen samtfarbenen Gruens, dahinter Sandsteinsteilkueste, uebernachten duerfen,
wenn wir bei ihm zu Abend essen. Ist ein Deal. Wir machen einen ausgedehnten Spaziergang am Strand,
sehen zwei maurische Landschildkroeten mit ca 15cm langem Panzer auf den Sandduenen spazieren
gehen, danach ueberall ihre Spuren. Ansonsten leider viel, viel angeschwemmter Plastikmuell. So traurig,
der Zustand unserer Kuesten auf der ganzen Welt!
Gegenueber vom Strand sind drei kleine von den Spaniern besetzte Inseln. Die Spanier halten hier
Melilla, Ceuta und diese drei Inseln besetzt. Die mittlere von ihnen ist bebaut mit einer Kirche und einer
Militaerbasis.
Essen bei „unserem“ Wirt Fisch, um uns herum im recht kuehl windigen Garten, vier oder fuenf
marokkanische Grossgelage. Schoene Stimmung.
Kuscheln uns in den warmen RV. Unten am Strand schlagen zwei junge Maenner ein Zelt auf, und auf
einer kleinen sandigen Anhoehe steht den ganzen Nachmittag und Abend ein Kamelbulle allein. Er
scheint angebunden zu sein, denn er bewegt sich in einem engen Radius.
28.2.
Heute frueh ein wunderschoener Sonnenaufgang, strahlend blauer Himmel. Die zwei Camper und das
Kamel sind noch an Ort und Stelle. Wir fruehstuecken, sehen noch den Wirt, der uns genehmigt hat, hier
zu uebernachten, bedanken uns artig und fahren Richtung Osten zur Muendung des Moulouya
(woertlich: der sich windende), dem mit 500km laengsten Fluss Marokkos. Auf Hoehe des Flusses ist ein
Check-Point der Polizei, die alles, was von Richtung Algerien kommt, prueft. Sie haben Angst vor dem IS,
der ueberall um Marokko herum sein Unwesen treibt. Bisher ist Marokko verschont geblieben. Wir lesen,
dass Koenig Hassan, als der Arabische Fruehling drohte hierher ueberzugreifen, einige Zugestaednisse
gemacht und Reformen eingeleitet hat. Bei Weitem nicht genug. 33% Prozent der Bevoelkerung ist unter
15 Jahre alt, die Jugendarbeitslosigkeit liegt auch bei fast 30%, ebenso der Analphabetismus – alles
Faktoren, die zu Kriminalitaet und Radikalsierung fuehren koennen. Er hat noch viel zu tun, scheint
jedoch ein weiser Herrscher zu sein. Und er ist mit etwas ueber 50 ein junger Koenig. Hoffentlich gelingt
es ihm, Marokko ohne Blutvergiessen in die Moderne hinueber zu begleiten. Sein Glueck ist, dass seine
Dynastie in direkter Linie auf den Propheten Mohammad zurueck geht. Das bietet viel Schutz vor dem IS,
vor den Saudis, vor allen, die ihm die Macht streitig machen wollen wuerden.
Denn es waere, als wuerde man sich mit dem Propheten anlegen.
Wir machen einen kleinen Spaziergang am Fluss entlang. Er soll ein Paradies fuer Flora und Fauna sein.
Auch hier ist der Fruehling in voller Pracht angekommen, die Vielzahl der verschiedenen Blueten ist eine
Augenweide, und es begegnet uns wieder eine Schildkroete.
Schliesslich fahren wir landeinwaerts Richtung Berkane und Zaghzal-Schlucht in den Bani Sassan Bergen.
Halten in Berkane, einer von Landwirtschaft lebenden Stadt, umgeben von Citrusplantagen, wo auf einer
Kreuzung mitten in der Stadt auf uralten Eukalyptusbaumen und einem Minarett zig Storchenpaare
riesige Nester gebaut haben, ueber die sie immer wieder hinweg segeln. Die Stadt hat ihnen grosse
Koerbe auf langen Metallstangen bereit gestellt, die sie jedoch verschmaehen.
Ueberall stehen lungernde Maenner herum oder schlagen den Tag in den Kaffeehaeusern tot, die ihnen
vorbehalten sind. Die Armen. Auf einem Feld, an dem wir vorueber fuhren, arbeiteten ca 30 – 40 Leute
mit Hacken. Was, wenn die irgendwann von Maschinen ersetzt werden? Dann gibt es noch weniger
Arbeit! Mehrmals schon haben wir Tageloehner gesehen, die mit einer Werkzeugkiste am Strassenrand
sitzen und warten, dass irgend jemand sie zu einem Auftrag abholt.
Wir kaufen Gemuese fuer das Abendessen und marokkanische Avocados.
Anschliessend fahren wir weiter Richtung Schlucht. Hier ist ein Parkplatz mit Eintritt, eine Quelle, die sich
in den Wadi ergiesst, ein kleiner Verschlag, wo ein junger Mann literweise Tee kocht fuer die vielen
marokkanischen Tagesbesucher. Einige junge Maenner planschen in einer Gumpe. Dahinter die
Kamelgrotte, in die man ein kleines Stueck hinein laufen kann, die dann jedoch vergittert ist, was
wahrscheinlich besser ist, wenn ich mir anschaue, wieviel Muell hier von den Picknicks hinterlassen wird.
Wir fragen den jungen Mann in der Teestube, ob es von hier aus einen Wanderweg gibt und er weist uns
den Weg. Wir laufen ca 3-4 km ins naechste Dorf, Hamdah, dass sehr an Rantis vor 30 Jahren erinnert,
plaudern dort mit einem Bauern und seiner Tochter. Es leben nur sie und eine weitere Famile in diesem
fast zerfallenen Dorfteil aus Lehmhaeusern. Sie sind freundlich und offen. Wir laufen den gleichen Weg
zurueck. Sehen wieder eine Schildkroete. Immer wieder begegnen uns Schaf- und Ziegenhirten mit ihren
Herden, die sie mit achaisch klingenden Urlauten zur Ordnung rufen. Es ist eine schoene Wanderung,
abwechslungsreiche Landschaft, in den Niederungen alles gruen und prall, weiter oben trockene
Aleppokiefern, widerstandsfaehige Graeser aus langen Halmen, scharf wie Rasierklingen. Als wir zurueck
sind, ist am Schluchteingang noch immer Highlife. Aber waehrend wir beim Teewirt unseren Tee
schluerfen und er uns anbietet, ueber Nacht zu bleiben, er wohne hier hinter seinem Verschlag in einem
Zelt und wuerde uns bewachen, leert sich der Platz allmaehlich. Drei aeltere Franzosen kommen aus
einer der Hoehlen und erzaehlen, man koenne dort aufrecht gehend einen grossen Rundweg laufen und
es gebe auf der Rueckseite des Berges noch einen Zugang. Ein Mann mit Schluessel hat die Franzosen
eingelassen, aber wir duerfen nicht hinein. Ich vermute, man muss sich vorher eine Genehmigung holen.
Laut unserem Reisefuehrer wurden hier nicht nur die Ueberbleibsel von 140 Steinzeitmenschen, sondern
auch Werkzeuge, Schmuck, etc. gefunden, und wohl der erste Mensch, der am Kopf operiert wurde: Der
Schaedel wies eine kreisrunde Bohrung auf.
Wir sind hundemuede, haben uns ein bisschen die Gesichter verbrannt, kochen, duschen, essen und
lassen den Tag ausklingen, gehen fast mit den Huehnern ins Bett.
1.3.
In der Nacht hat es mehrmals geregnet. Offensichtlich haben uns Auslaeufer des Atlantiktiefs, das ganz
Europa mit zweistelligen Minusgraden fest im Griff hat, auch hier erreicht. Es war auf der Wetterkarte zu
sehen, aber wir hatten gehofft, dass der Kelch an uns vorueber geht. Aber gerade ob dieses Kaeltetiefs
planten wir unsere Reise so, dass wir erst recht zielstrebig Richtung Sueden fahren, uns suedlich des
Atlasgebirges aufhalten und erst im April wieder hinauf in den Norden kommen.
Die Schlucht liegt morgens im Schatten, und es ist kuehl aber immerhin klarer Himmel. Unser „Wirt“ hat
die Regennacht in seinem winzigen Zelt hinter dem Teeverschlag verbracht, schaelt sich heraus, als wir
uns draussen unterhalten, und kocht uns allen Tee.
Ich lasse ein paar Prinzenrollenkekse fuer ihn springen, die er gleich zum Tee veschpert. Er erzaehlt uns,
die Polizei habe ihn spaet abends noch angerufen und ihn informiert, dass wir dort stehen, er solle bitte
auf uns aufpassen. Er zeigt uns die Verlaengerungsstange eines Sonnenschirms, mit der er gedachte,
jedem den Garaus zu machen, der sich uns naehert. Wir sind also offenbar in guten Haenden. Eine
ploetzliche Windboee wirft den Tisch mit allem Drum und Dran um, und alle Glaeser gehen zu Bruch. Ich
helfe ihm, alles zusammen zu fegen. Wir laufen noch den Pfad hoch zum Zugang der Hoehle, in der die
Franzosen gestern waren. Es blaest uns feuchtwarme Luft aus dem Schacht entgegen. Das erklaert auch,
warum das Wasser aus dem Berg, dass sich in ein Becken und die Falajs ergiesst, so warm ist. Offenbar
gibt es hier heisse Quellen. Als wir eben wieder herunter kommen vom Hoehleneingang, beginnt ein
Sturm zu blasen – derart, dass alles durch die Gegend fliegt und unser Teemann wie ein Hase hinter
seinen Plastikstuehlen her rennt, die umher fliegen wie Papier. Hoffentlich blaest es ihm den Verschlag
und sein Zelt nicht fort.
Wir fuellen mit dem Wassereimer aus der Quelle unseren Wasservorrat auf, verabschieden uns von ihm
und machen uns durch die huebsche und bewaldete Zegzelschlucht auf den Weg Richtung Suedwesten,
fahren durch Tafoghalt, halten an einem herrlichen Aussichtspunkt mit Blick ueber eine weite gruene
Ebene unter uns.
Nach Norden schauen wir auf das Meer und die drei spanischen Inseln. Halten noch einmal kurz in El
Aiyoun, kaufen unser Gemuese und Obst und fahren weiter nach Taourirt, wo wir das Womo mitten in
der Stadt parken. Ein alter Mann verspricht, es zu bewachen. Wir laufen einmal im Quadrat durch die
trotz Mittagspause und teilweise geschlossener Laeden recht lebendige Innenstadt, die zwar nicht
besonders schoen aber eben sehr arabisch ist, trinken in einer Maennerteestube Tee und fahren weiter
nach Sueden in Richtung Debdou. Der Weg fuehrt weg von den gruenen Beni Sassen Bergen durch eine
endlose tote Ebene. Es ist fuerchterlich stuermisch, und vor uns tobt ein Sandsturm, durch den wir
hindurch fahren muessen. Ist dann aber weniger schlimm als erwartet. Allerdings muss ich die ganze Zeit
das Lenkrad gut festhalten und immer gegen den Wind lenken. Endlich fahren wir hinein in ein breites
Tal, das nun auch wieder ein wenig gruener ist, fahren rechterhand in ein Doerfchen, das recht huebsch
am Hang liegt. Oberhalb, ein ganzes Stueck den Berg hinauf, sicher vor feindlichen Angriffen, liegt das
urspruengliche Dorf aus Natursteinhaeusern mit Lehm verputzt, das nun jedoch verlassen ist. Das sehen
wir in dieser Ebene mehrfach. Wir plaudern mit einem jungen Mann, der unsere Fragen geduldig und
freundlich beantwortet. Viele seien fort gezogen, ins Ausland, nach Frankreich, Deutschland, Belgien. Die
neueren, besseren Haeuser seien die der Emigranten, die nur zeitweise hier sind. Die Schule sei eine
gemischte Grundschule. Nein, eine gesetzliche Schulpflicht gebe es nicht. Aber wenn eine Schule vor Ort
ist, wie hier, dann gehen alle Kinder hin. Die Oberschule ist 13 km weg in Debdou, aber es gebe einen
Schulbus. (Unser Teewirt hatte uns erzaehlt, er habe die Schule nach 9. Klasse abgebrochen, weil er 12
km haette zu Fuss gehen muessen zur naechsten Oberschule.) Um das Dorf herum lauter bestelltes
Ackerland. Ob sie auch ihre Produkte verkaufen wuerden. Nein, dafuer wuerde es nicht reichen. Sie
benuetzen keinen Kunstduenger oder andere Chemie, also sei der Ertrag gerade so hoch, dass es fuer den
Eigenbedarf ausreiche.
Wir fahren durch Debdou hindurch. Hier ist gerade die Schule aus, und die Hauptstrasse ist voller
laermender, froehlich schlendernder Maedchen und Jungen auf dem Heimweg. Von Debdou aus
schlaengelt sich die Strasse durch Kiefernwald hinauf auf das vollkommen kahle, nackte und platte
Rakine-Plateau, immer wieder atemberaubende Blicke auf die weite gruene Ebene und die Staubwueste
unter uns bietend, die wir vorher durchquert hatten.
Irgendwie verstaendigen wir beide uns nicht richtig und fahren einfach weiter, enden auf dem RakinePlateau, wo vollkommen ungebremst der Sturm drueber fegt. Hier stehen wir nun bei Vollmond, um uns
herum nichts, nur hier und da versprenkelt Haeuser (wovon leben die hier oben bloss?), und der nicht
nachlassen wollende Sturm schuettelt das Womo durch.
3.3.
War gestern zu platt, zu schreiben. Muss nun also nachholen. Sind gestern nach einem tollen
Sonnenaufgang und dem Fruehstueck auf dem Rakine-Plateau noch ein Stueck Richtung Sueden und
dann an der einzigen Kreuzung weit und breit nach Westen abgebogen, um auf die Nationalstrasse nach
Sueden zu gelangen.
Ein Eselkarrenfahrer haelt uns an und fragt uns nach Kleidung und Schuhen. Das erleben wir oefter. Die
Menschen hier draussen verfuegen ueber sehr wenig Bargeld. Die meisten leben von ihrer eigenen
Landwirtschaft, sind Subsistenzbauern. Zum Verkaufen reicht also meist der Ertrag nicht. Uns faellt in den
Staedten auf, dass viel Gebrauchtkleidung, gebrauchte Schuhe und auch Haushaltwaren verkauft werden
– wahrscheinlich vielfach das, was auf den Transportern auf der Faehre von Frankreich hier rueber
gebracht wird. (Gleichtzeitig geht die eigenen Textil- und Schuhindustrie wahrscheinlich kapputt.) Fuer
Neues reicht wohl oft das Geld nicht. Wir sehen Leute in Trikots und T-Shirts von irgendwelchen kleinen
Sportvereinen in Deutschland. Das sind die Sachen aus unseren Altkeidersammlungen, an denen sich
diverse Zwischenhaendler eine goldene Nase verdienen.
Halten an einer kleinen Lehmhuette, weil ich hoffte, ein paar Plateaubewohner anzutreffen und ein bissel
auszufragen nach ihren Lebensumstaenden. Ein junger Mann steht vor dem Haus, und waehrend wir ihn
noch begruessen, kommt ein Pickup mit Wassertank auf der Ladeflaeche und fuellt ihm den Tank, der
zum Haus gehoert, auf. Es stellt sich heraus, dass beide im Auftrag von Mohammad Bin Zayed von Abu
Dhabi, der hier ein Jagdgebiet gepachtet hat – sie nennen es Naturschutzprojekt – arbeiten. Der eine als
Aufpasser da mitten im Nichts (Worauf passt er auf? Dass niemand die paar wenigen zu erjagenden
Hubaras , so eine Art Wildhuhn, klaut?); der andere als Fahrer. Der in der Lehmhuette hat einen Kollegen
und zusammen sind sie zwei Wochen am Stueck dort draussen, dann zwei Wochen im Hauptcamp der
Emiratis. In seiner Huette hat er Funk, einen Gasofen, nebenan eine kleine Kueche und 10m weg vom
Haus ein Plumpsklo. Als einzige Deko haengt der Deckel einer Dattelschachtel aus den Emiraten an der
Wand. Man ist genuegsam hier draussen. Der Fahrer traegt ein omanisches Kopftuch und erkennt Josefs
auch gleich als ebensolches.
Wir fahren weiter, und ein paar KM vor der Nationalstrasse liegt linkerhand ein grosses eingezaeuntes
Areal. Wir denken erst, es sei Militaergelaende. Aber es steht eine grosse moderne Villa darauf, die sehr
an Dubai erinnert, und ich mutmasse, dass sich die Emiratis hier eine Sommerfrische eingerichtet haben.
Und tatsaechlich: ein Schild am Tor bestaetigt es.
Endlich sind wir auf der Nationalstrasse, fahren Richtung Sueden bis Outat Oulad Al Haj
Schriftzug ueber einer Schule; Arabisch und Berberisch (Amazigh)
Laufen ueber eine Bruecke ueber den Moulouya, der uns schon seit der Kueste begleitet und werden von
einem jungen Mann angesprochen. Er hat Franzoesische Literatur studiert und unterrichtet an einer
Oberschule Franzoesisch. Wir politisieren. Er ist ein Linker, will Staat und Religion strikt trennen, sagt, er
wolle ein Buch schreiben ueber den Einfluss der Religion auf die gesellschaftliche Entwicklung. Er haette
wohl nicht mehr aufgehoert, zu sprechen. Derweil liefen viele seiner Schueler auf dem Heimweg an uns
vorbei, und er gruesste immer wieder nach allen Seiten. Ich glaune, er sonnt sich ein wenig in der
Aussenwirkung, die sein Gespraech mit uns auf die Passanten, insbesondere seine Schueler, hat. Im Laufe
des Gespraechs zeigt er auf ein Gebaeude am Ufer und sagt, das sei das Hamman, das marokkanische
Bad. Es sei natuerlich nach Maennern und Frauen getrennt und jeder ginge hin, oft mehrmals die Woche.
Der Eintritt koste 10 DH (knapper Euro). Ich beschliesse, hin zu gehen und mir ausgiebig die Haare zu
waschen, die mittlerweile filzig sind. Eine Frau, die am Eingang postiert ist, merkt, dass ich ein wenig
ratlos bin und weist mich ein. Sammelumkleide, alles ausziehen. Allerdings haben alle anderen was an.
Ich wickele mir also das Badetuch um, ziehe mich darunter umstaendlich aus, sie drueckt mir zwei Eimer,
einen Schoepfbecher, und einen klitzekleinen Puppenhocker in die Hand. Wieder gucke ich ratlos. Sie
geht dann mit mir hinein. Dort sind drei grosse bis an die Decke geflieste Raeume. Schoen warm aber
sehr schmucklos und funktional. Ist auch ein armes Staedtle, dieses Outat…. Sicher gibt es da nach oben
keine Grenzen, was die Ausstattung angeht, und ich wuerde das gern nochmal machen, wo es ein
bisschen schoener ist. Dennoch eine tolle Erfahrung. Neben mir sitzt eine huebsche, junge Mama mit
schneeweisser Haut; sie ist noch ganz nackt und zieht gerade ihren Saeugling an. Dann sitzt da auf dem
nackten Fliesenboden noch eine richtige Matrone, die gar nicht erst versucht hat, ihr ueppiges Gesaess
auf dem Hoeckerchen unterzubringen. Sie waescht ihre Haare mit einer braeunlichen Masse,
wahrscheinlich Henna. Die „Bademeisterin“ fuellt mir meine Eimer aus zwei Wasserhaehnen an der
Wand und bedeutet mir, ich solle mich nun waschen. Ich gebe ihr mangels Ablage mein Badetuch und
meine Brille mit nach draussen und wasche mich. In den anderen Raeumen sitzen noch mehr Frauen, die
sich richtig schrubben. Das ist sehr arabisch, sich die oberen Hautschichten herunter zu schrubben, weil
dann die Haut schoen weich wird. Irgendwann faellt mir auf, dass ich eigentlich die einzige bin, die ganz
nackt ist. Die anderen haben alle eine Unterhose an. Na, super! Was die wohl von mir denken! Aus dem
Nebenraum bugsieren drei Frauen eine sehr alte langsam hinaus in die Umkleide. Ich bin dann auch
schon fertig, fuehle mich frisch und total integriert und angepasst.
Josef hat derweil in einem Maennercafe auf mich gewartet und ist fast enttaeuscht, dass ich schon
wieder da bin. Er hatte sich eben so schoen in die vergangenen „Zeit“-Ausgaben vertieft, zu denen er
zuhause nicht mehr kam. Naja, da wird es noch reichlich Gelegenheit geben, denke ich.
Wir fahren weiter. Josef sieht auf der Karte eine Eisenbahnlinie zwischen der Strasse und der Moulouya,
die links von uns liegt. Wir biegen auf eine Piste ab, die zu einem Dorf fuehrt, wollen die Gleise finden,
aber es gibt keine. Im Dorf, bestehend aus ca. 30 Haeusern, die verstreut daliegen, dazwischen weite
Sandflaechen, hier und da ein Esel angebunden (nach wie vor ueberall hier ein sehr wichtiges
Transportmittel fuer Menschen und Waren aller Art).
Ein paar junge Maenner stehen um einen Traktor herum. Wir fragen sie nach den Gleisen. Die gaebe es
schon lange nicht mehr. Wir drehen dann eine Runde durch die Felder mit Olivenbaumen, von Falajs
durchzogen, schauen in den Fluss hinunter. An der Dorfausfahrt stehen ein junger und ein alter Mann
und wollen bis zur Hauptstrasse mitgenommen werden. Wir nehmen sie mit bis ins naechste Staedtchen,
Missur. Sie sind Bauern, Neffe und Onkel, und haben den Tag auf ihrem Land geackert. Freundliche,
zurueckhaltende Menschen.
Schliesslich kommen wir an unserem Tagesziel, Midelt, an. Wir hatten auf der Faehre ein paar Deutsche
getroffen, die hier zu einer Wuestenrallye wollten. Hab’s gegoogelt: Die „Tuareg Rallye“ findet seit Jahren
immer wieder woanders in Afrika statt. Dachten uns, dass das bestimmt interessant ist und beschlossen,
da mal hinzugucken. Sind jetzt einer schneebedeckten Bergkette, dem Jebel Ayashi (3747m) mit dem
umgebenden Naturschutzgebiet Hoher Atlas, auf die wir schon den ganzen Tag zufahren, ganz nah.
Ueberhaupt ist es eine irre Landschaft.
Die Haeuser braune oder roetliche, manchmal auch bunte Wuerfel zwischen den sanften braunen
Bergen, dahinter die weisse Bergkette, darueber ein unwirklich blauer Himmel. Wir sind auf 1300m.
Fahren zum Camping Municipal, weil wir hier in der quirligen Stadt nicht gern das Auto irgendwo stehen
lassen wollen. Ist ein kleiner Platz und ausser uns noch 10 Womos, meist Franzosen. Neben dem Platz ein
Mobilfunkantennenmast, auf dem ca 10 Storchenpaare nisten: auf jeder Antenne eines! Wir parken das
Womo und ziehen nochmal los in die Stadt. Gestern war ja Freitag und die Stadt ist brechend voll.
Ueberall Markstaende mit allem moeglichen, und die ganze Stadt auf den Fuessen. Wir mittendrin.
Haben Hunger und gehen schliesslich in ein sehr einfaches marokkanisches Lokal, bekommen fuer ganz
kleines Geld ein riesiges Essen.
Ab ins Bett!
3.3.
Unser erstes Ziel heute war eine Teppichwebschule, die Kasbah Miriam, ein Sozialprojekt, das den Frauen
der Stadt Arbeit gibt und Fertigkeiten vermittelt. Wir fahren zielstrebig dorthin, parken nebenan vor dem
ehemaligen Fransziskerinnenkloster, das heute ein Moenchskloster ist. Leider ist die franzoesische
Leiterin der Weberei krank und in Frankreich und die Weberinnen nicht da. Nur die Hausangestellte ist
da, und sie zeigt uns bereitwillig alle Raeume, auch fertige Exemplare, erklaert uns, dass teilweise bis zu
30 Frauen in der Werkstatt arbeiten.
Die Franzoesin hat sie auch die Stickerei gelehrt. Die Stimmung hier und gleich anschliessend im Kloster
nebenan erinnert mich sehr an Ramallah – die Architektur der alten Gemaeuer, der Geruch nach
wohlwollendem Kolonialismus, die Kiefern um uns herum, der blaue Himmel… Am Tor zum Kloster sizten
zwei Polizisten. Irgend jemand ruft den leitenden Frere, einen Franzosen, der uns erst zoegerlich, dann
jedoch freundlicher Rede und Antwort steht. Er wundert sich wohl ein bisschen, was wir wollen. Der eine
Polizist dolmetscht hin und her, weil mein Franzoesisch doch ein bisschen langsam und duerftig ist. Die
Verstaendigung hier ist ueberhaupt klasse. Ich verstehe das maghribinische Arabisch so gut wie nicht. Sie
hingegen verstehen meinen palaestinensischen Bauerndialekt ganz gut. Die Gebildeteren koennen sich
auf mich einstellen und sprechen dann eher Hocharabisch oder Nahostarabisch. Die weniger Gebildeten
sprechen dann eher Franzoesisch, was aber so durchmischt ist mit maghribinisch, dass ich es auch nur
zum Teil verstehe. Fuer Josef ist die Reise sprachlich auch richtig spannend: er hoert und spricht so viel
Arabisch wie noch nie zuvor. Eigentlich muesste er viel mehr ohne mich losziehen und sein Arabisch
anwenden. Aber es ist auch so schon richtig Klasse, wie gut er klar kommt.
Wir bedanken und verabschieden uns, laufen dann noch hinunter zur Qasbah, offenbar dem alten
Ursprung von Midelt, das uns bei der Fahrt nach oben auffiel und fuer uns ein Wunder ist. Es sieht aus
wie Ibri im Oman, nur, dass es wirklich noch lebt: Eine Lehmfestung, intakt, bewohnt, die Haeuser
ineinander und aufeinander, dazwischen enge Gassen, die meistenteils so um- und ueberbaut sind, dass
kaum oder gar kein Tageslicht eindringt und man im Stockdunkeln geht. Mehrmals kehren wir um, weil
wir nichts sehen koennen und denken, es muss eine Sackgasse sein, die nur zu einem Hauseingang
fuehrt. Hier sind nur Frauen unterwegs; man sieht fast keine Maenner (wahrscheinlich arbeiten sie oder
sitzen in den Kaffeehaeusern herum). Sie tragen Wasserbehaelter zu Brunnen ausserhalb der Mauern,
denn dort gibt es Trinkswasser aus dem Wasserhahn. Andere fuehren ihre Esel mit irgendwelchen Lasten
durch das Gassengewirr. Wir fragen ein paar Frauen, die ratschend an der Ecke stehen, ob es eine
Moeglichkeit gaebe, auf ein Hausdach zu kommen. Eine der drei laedt uns ein, ihr Haus zu besichtigen.
Der Eingangsbereich ist gross, vollkommen leer und geraeumig, sehr sauber, zementierter, ganz glatter
Boden.
Ich glaube, das war frueher der Stall, denn wir sehen es spaeter in anderen Haeusern so. Von dort aus
geht eine Treppe hinauf in den Wohnbereich. Es ist stockdunkel. Oben gibt es eine Kueche, die wohl
spaeter erst von der Wohnstube abgetrennt wurde; es brutzelt auf dem Herd was im Dampfkochtopf.
Sie erklaert mir, dass ihr Mann Magenprobleme habe und sie fuer ihn Diaet koche. Er ist in Rente und
sitzt, wie kann es anders sein, im Kaffeehaus herum. Es gibt hier keine Fenster, nur im Dach zwei Loecher,
die ein wenig Licht ins Haus lassen. Die Wohnstube in der Mitte des Hauses ist auch leer, bis auf einen
Stapel Matratzen in der Ecke. Dieser Raum wird im Sommer genuetzt, weil er kuehl und geraeumig ist.
Die Winterwohnstube ist nebenan, die Decke niedriger, in der Mitte ein kleiner Holzofen aus Eisen mit
dem Kaminrohr mitten im Zimmer zum Dach hinaus. Aussenrum gemuetliche arabische Sitzkissen. Ein
sehr schoener Raum.
Von der grossen mittleren Stube gehen zwei Schlafraeume ab, ebenfalls sehr gemuetlich und schoen und
mit richtigen Betten.
Es geht eine weitere Treppe hinauf, ebenfalls stockdunkel, die Tuer zum Dach mit einem langen dicken
Holzbalken verriegelt, der zwischen der Tuer und der gegenueberliegenden Treppenhauswand eingekeilt
ist, so dass wirklich keiner diese Tuer aufbrechen koennte. Nun sind wir ueber der festungsartigen Stadt,
blicken in die Hoefe der Nachbarn; Frauen gruessen uns freundlich. Hier und da flattert Waesche, ein
Mann baut irgendwas auf einem anderen Dach. Der Blick ringsrum ist herrlich, mit den Schneegipfeln auf
der einen Seite, Feldern auf der anderen, unter uns die Stadt, in der Ferne die Ebene und noch weiter am
Horizont wieder Berge. Wir bedanken uns ganz herzlich bei Fatima, die uns zum Tee einlaedt, wie jeder
hier, mit dem man zwei Worte wechselt. Wir wollen sie jedoch nicht von ihrem Tagwerk abhalten,
bedanken uns. Sie begleitet uns nach unten und zeigt uns den Weg zum anderen Stadttor. Dort steht an
einer Hauswand einer auf der Leiter und verschliesst einen langen Riss in der Wand mit einer Mischung
aus brauner Tonerde, Stroh und Gips. Die Hausherren stehen dabei und leisten ihm Gesellschaft, halten
die klapprig zusammen gebastelte Leiter, reichen ihm die Eimer hoch. Wir gucken eine Weile zu. Jeder,
der vorbei kommt, bleibt auf ein Schwaetzchen stehen.
Wir wollen ein bisschen laufen heute, nachdem wir gestern so viel gefahren sind. Das Wetter ist herrlich,
der Wind nicht mehr so heftig wie die letzten Tage. Teilweise ist es richtig warm. Fahren also aus der
Stadt hinaus in Richtung der weissen Berge, parken irgendwo auf einem Track auf 1700m Hoehe, wo wir
mit dem Womo nicht weiter wollen, und laufen los.
Es wirkt, als seien die schneebedeckten Berge gleich hinter dem naechsten Buckel, was natuerlich nicht
so ist. Wir umrunden einen braunen Buckel nach dem anderen. Die unteren sind noch mit Kiefern
bedeckt, teilweise offensichtlich gepflanzt. Viele Steineichen, die von den Holzhaendlern so stark
beschnitten sind, dass es weh tut. Eigentlich sind wir hier in einem Naturschutzgebiet. Nach oben hin
werden die Buckel immer kahler. Endlich gucken wir weit unter uns in einen breiten Wadi, und erst hinter
diesem ragen die Schneeberge auf. Uns begegnen nur die omnipraesenten Schaf- und Ziegenhirte mit
ihren Herden. Ansonsten ist es total einsam. Wir klettern auf den Gipfel des letzten Buckels, geniessen
den Rundumblick und machen uns auf den Rueckweg. Ab und zu sehen wir Autos die Pisten entlang
rumpeln. Ploetzlich hoeren wir Schuesse. Erst nur einen, spaeter mehrere. Wir denken an Jaeger. Aber
was jagen die hier? Als wir am Auto sind, kommen zwei Fahrzeuge. Sie halten bei uns. Es sind Jaeger.
Sechs oder sieben Maenner, alle in Tarnkleidung. Sie haben Wildschweine erlegt, vier Stueck. Nicht, um
sie zu essen, denn das ist ja haram im Islam. Angeblich, um sie zu dezimieren, weil sie alles kahl fressen.
Sie zeigen uns Fotos. Wir machen noch ein Teepaeuschen und fahren wieder nach Midelt hinunter in das
Hotel, wo die Rallye -Organisation stattfindet. Wir wollen wissen, wo sie morgen starten, um ihnen
zuzugucken. Rund um das Hotel ein Fuhrpark an Cross-Motorraedern und gelaendetauglichen Autos und
riesigen Begleit-Trucks, die ausgestattet sind wie fahrende Werkstaetten. Wir treffen die Leute vom Schiff
wieder, das Orga-Team. Sie freuen sich ueber unser Interesse, denn Publikum haben sie hier draussen
nicht. In Midelt wusste niemand, dass hier eine Rallye ihren Ausgang nimmt. Das ist mal wieder eine Welt
fuer sich, diese Rallye-Leute, leben in ihrer Blase und interessieren sich nicht wirklich fuer Land und
Leute. Wir bekommen eine Service-Mappe mit allen Infos und den Koordinaten des Startpunktes, alles in
schrecklichem Genglisch geschrieben. Machen uns wieder auf zum Campingplatz in der Stadt, parken und
laufen los, um uns was zu essen zu suchen. Waren gestern an einem kleinen Marktplatz an einem Lokal
vorbei gekommen wo sie Teigfladen mit irgendwas drin gemacht haben. So einen wollen wir. Die
Pizzabaeckerin erkennt uns sofort wieder, ist eigentlich schon am Aufraeumen, besteht aber darauf, alles
wieder auszupacken und uns einen Fladen zu backen. Sitze rum, schaue ihr zu und frage sie nebenbei aus.
Sie ist sehr dunkelhaeutig, und, wie alle, die hier dunklere Haut haben, stammt sie aus Errashidiya weiter
im Sueden am Sahararand, wo der afrikanische Einfluss groesser ist als der arabische. Nehmen unseren
Fladen und schlendern heim. Wir finden zufaellig und zu unserer Ueberraschung einen Laden, der nur
Alkohol verkauft. Dachte, das gibt es hier gar nicht. Kaufen marokkanisches Bier, Storck heisst es.
Ploetzlich kommt Sturm auf, Sand fuellt unsere Ohren und Nasen. Wir fliehen ins Womo, das kraeftig
geschuettelt wird. Es faengt auch noch an, zu regnen. Josef muss nochmal raus, weil die Stromzufuhr
nicht tut. Der Stecker in der Kabeltrommel war locker. Machen unsere Heizung an, und es wird kuschelig.
Gehen bald zu Bett. Long day!
4.3.
Es stuermt noch immer am Morgen. Beim Fruehstueck rumpelt es ploetzlich in unserem Kofferraum. Ich
schaue raus und sehe zu meinem Schreck, dass die Tuer aus den Angeln haengt. Oh, oh! Wir beheben
den Schaden. Hoffentlich haelt es! Josef hat wohl gestern vor lauter Sturm, Sand und Regen nicht darauf
geachtet, sie fest zu verschliessen, und eine Windboee muss sie aufgestossen haben. Er verflucht sich.
Naja, dafuer habe ich unsere neue Tischplatte demoliert, als ich ein Fach ueber dem Tisch geoeffnet habe
und die Kamera, die ich nur locker hinein gelegt hatte, mit einem Rums auf den Tisch fiel, wobei auch
noch der Objektivdeckel kapputt gegangen ist. So lernt man, die Dinge sorgfaeltiger zu tun.
Kommen nun leider spaeter los als geplant und fahren zum Startpunkt der Rallye. Die Armen! Haben sich
ganz malerisch in der Ebene ein Geisterlehmdorf ausgesucht, ueber das nun der Sand ungebremst
hinweg fegt. Entsprechend kurz ist die Eroeffnungszeremonie und Fotosession ausgefallen. Als wir
kommen, sind schon alle Fahrzeuge weg, bis auf ein Motorrad, das Ladehemmung hat. Schade. Wir
machen uns auf Richtung Sueden und Errashidiya. Hoffen auf weniger Wind und mehr Waerme. Die
Strecke ist Klasse. Fahren erst lange um das schneebedeckte Massiv herum. Als wir nach dem Pass auf
1907m auf dessen Suedseite sind, ist der Schnee weg. Hier stehen Honigverkaeufer an der Strasse, und
wir erstehen eine Flasche dunkelbraunen, dicken Honigs. Braune, karge Landschaft, Huegel, weiter weg
hoehere Berge. Kommen in ein breites Hochtal. Dort an einer Kreuzung steht ein Rallye-Orga-Fahrzeug.
Wir halten an und plaudern. Sie muessen hier nur ueberwachen, dass alle in die richtige Richtung fahren
und zur Not Erste Hilfe leisten. Einer ist Rettungssanitaeter der Feuerwehr aus Karlsruhe, wuenscht sich
einen Kaffee, laedt sich ins Womo ein und textet uns zu. Zwar alles interessant, aber mich draengelt es
raus. Der zweite Rallye-Mann erzaehlt mir, sein Vater und er haben eine Werkstatt fuer
Expeditionsmobile. Er verachtet aber diese Leute, die sich fuer 250.000 Euro so ein Ding kaufen und es
dann nie wirklich nuetzen. Das sei nicht vergleichbar mit den echten Abenteurern, die in Eigenarbeit alte
LKW umbauen. Wir fahren schliesslich weiter. Kommen an einem Dorf vorbei, wo eine Menschentraube
vor einem Tor steht. Halten an, und es kommt sofort eine Horde Jungen, die uns um Stifte, Wasser, was
zu essen, egal was, anbetteln. Wir gehen nicht darauf ein und fragen, was die vielen Leute da tun. Eine
Frau schleppt ein Buendel an mir vorbei und erklaert, eine karitative Organisation aus Casablanca habe
hier eine Hilfsgueterlieferung, Decken, Kleider, Nahrungsmittel, verteilt.
Sie kamen mit Eseln von weit her aus den umliegenden Bergdoerfern. Hier haben wir erst das Ausmass
der Armut der Leute erkannt.
Halten noch in Risch, einer Marktstadt, schlendern durch den Markt,
kaufen ein, trinken zweimal Tee und schauen dem Treiben zu, fotografieren mit Tele die Maenner in
ihren schoenen marokkanischen Ueberwuerfen mit den spitzen Kapuzen und die Frauen in ihren
kunterbunten Kleidern.
Sie sind meistenteils auf Eseln und Fahrraedern unterwegs – ueberigens auch viele Maedchen! Ansonsten
sieht man als Ueberlandtaxi oder Kleinbus, das Dach beladen mit allem, was man sich vorstellen kann,
den Mercedes MB 818 aus den 80’er Jahren. Es laufen auffallend viele Maenner mit kornblumenblauen
Turbanen herum. Ich frage einen Musikkasettenverkaeufer danach, und er erklaert, dass sie aus Imilchil,
einer Stadt ca 100 km weg im Hohen Atlas, kommen. Das ist ihre typische Kopfbedeckung. Wir moechten
gern dorthin, aber das muss warten, denn dort oben ist es noch richtig Winter. Die Weiterfahrt fuehrt
durch die dramatische Ziz-Schlucht, immer parallel zum Wadi Ziz. Wir halten an einer Thermalquelle,
Hamamat Ali Cheri, die noch die Franzosen gefasst und dafuer steinerne Becken zum Baden gebaut
haben. Ist zwar huebsch gemacht aber mehr fuer die marokkanischen Staedter, die dort den Tag
verbringen. Es sind einige Haendler dort, die versuchen, irgendwas an den Touristen zu bringen. Spaeter
halten wir in Meski, an der Blauen Quelle. Hier ist ein Campingplatz, direkt unten im Wadi, wo einge
Fahrzeuge mit diversen europaeischen Kennzeichen stehen. Man merkt sofort, dass man jetzt auf einer
Touristenroute ist: die Leute sind weniger freundlich, cooler, fast ein bisschen abgeschlagen. Wollen nicht
hier bleiben. Laufen in entgegengesetzter Richtung den Falaj entlang, der ganz klares Wasser fuehrt,
durch einen dichten Palmenhain. Zwei Frauen sitzen am Falaj und waschen. Waeren sie offener und
freundlicher, wuerde ich mich mit meiner Waesche dazu gesellen. Aber sie wuerdigen uns kaum eines
Blickes. Kann auch sein, dass sie sich daran stoeren, dass Josef dabei ist. Je weiter wir nach Sueden
kommen, desto konservativer werden die Menschen. Das scheint ein weltweites Phaenomen zu sein. Ist
ja in Deutschland auch nicht anders, wenn man die Hamburger mit den Bayern vergleicht. Laufen auf der
anderen Falaj-Seite zurueck unter einem recht niedrigen Felsueberhang und hoffen, einen Weg nach
oben zu finden, da wir aus der Ferne eine Lehmfestung gesehen haben, sehen aber, dass der Wadi eine
Biegung macht und das Qasr auf der anderen Wadiseite steht.
Lassen es aus. Wir halten noch einmal heute, an dem Dorf Aoufous. Laufen durch das Dorf; es kommen
uns Jungen und Maedchen auf Fahrraedern von der Schule entgegen. Irgendwann zwei Frauen, die
Einkaufstueten tragen. Ich frage sie nach dem Weg zum Souq, und sie deuten auf die andere Wadi-Seite.
Dort sei das Nachbardorf. Mir faellt auf, dass sie sehr weiss sind, europaeische Gesichtszuege haben. Sie
seien Amazigh, also Berber. Drueben seien alles Araber. Und tatsaechlich, als wir durch die Palmhaine auf
die andere Seite kommen, sind die Menschen hier alle viel dunkler. Der Markt beschraenkt sich auf ein
paar unter freiem Himmel ausgelegte Matten mit richtigem Plunder, teilweise gebrauchten Sachen, sehr
schaebig. Wie gesagt, ueber Bargeld verfuegen die Leute kaum.
Der Ziz ist nun voller Schmelzwasser und ergiesst sich braun und breit mit schneller Stroemung
schliesslich in den Stausee Hassan VI, einer von vielen hier. Der See mit zerklueftetem Ufer ist tiefblau,
aussen herum nichts als Brauntoene, kein Tupfer gruen.
Wir beschliessen, hier zu uebernachten, falls es einigermassen nett ist. Fahren erst aus Versehen in eine
Kaserne hinein, als wir die Zufahrt zum See suchen. Wirkt mehr wie ein Dorf, begruent, mit recht
huebschen Haeusern und spielenden Kindern auf der Strasse. Als wir wieder rausfahren, schnorrt uns der
Wachman um eine Zigarette an. Wir gesellen uns am Ufer zu vier anderen Womos, zwei Hollaender, ein
Schwede, ein Deutscher, gehen noch ein bisschen spazieren, plaudern mit den marokkanischen
Tagesbesuchern, zwei Familien – eine Frau fragt mich, ob ich mit ihr ein bisschen spazieren gehe, was wir
dann tun und uns nett unterhalten. Sie ist sehr dunkel, und ihr huebscher Sohn hat schwarzafrikanische
Haare. Sie stammen aus Rashidiya. Hier, wie im ganzen Sueden Marokkos, dominieren Afrikaner –
teilweise sicher durch normale Wanderungen der Voelker, teilweise durch den regen jahrhundertelangen
Sklavenhandel.
Wir beschliessen den Tag mit einem leckeren Essen von Josef und dem ersten Glas Wein, seit wir hier
sind (Ich habe allerdings fast jeden Abend ein 0,2-Flaeschchen Bier getrunken).
Eines noch: Keiner rechnet damit, dass ich arabisch spreche und alle fragen, woher ich komme. Wenn ich
sage, dass ich Palaestinenserin bin, geht die Sonne auf. Jeder strahlt, jeder freut sich, jeder solidarisiert
sich sofort. Jeder sagt, wenn er einen Israeli saehe, wuerde er ihn wegjagen. Das ueberrascht mich. Ich
dachte, Palaestina sei ganz weit weg fuer die Menschen hier. Aber offenbar ist unser Schicksal
sinnbildlich fuer die Unterdrueckung, Kolonisierung und Verdraengung durch den Westen im weitesten
Sinne.
Und ein Letztes: Die Kinder in den Doerfern fragen immer nach Kugelschreibern. Das habe ich schon
einmal erlebt, im Jemen 1994, und hatte mir vorgenommen, wenn ich dort noch einmal hinreise, Kulis en
masse mitzunehmen. Das wird wohl dort in absehbarer Zeit nichts, und, wenn doch, brauchen die Kinder
was anderes als Kugelschreiber, z.B. einen bombenfreien Alltag.
6.3.
Fahren vom Stausee morgens als erste weg. Die anderen chillen noch. Wir lassen Erfoud aus, das heutige
Verwaltungshauptstadt der Region ist, aber wohl ausser Fossilien (gefaelschte und echte), sowie den in
die Landschaft gebauten Kunstwerken eines Muenchner Kuenstlers, die man jedoch nicht ohne Fuehrer
besichtigen darf, nicht viel zu bieten hat. Halten erst in Rissani an, der letzen groesseren Stadt vor der
Wueste, Ort des ehemaligen Sijilmasa, frueher Hauptstadt ganz Marokkos und von wirtschaftlicher
Bedeutung aufgrund der durchziehenden Karawanen, mit dem Mausoleum von Moulay Ali Shareef, dem
Gruender der heutigen Dynastie. Fahren zunaechst die Qasr-Runde ab, eine ca 20 km lange Strecke
ausserhalb der Stadt mit mehreren Lehmfestungen. Spaeter halten wir noch einmal an einem Dorf, das
auch eine grosse Lehmfestung ist. Als wir aussteigen, kommen viele Kinder angelaufen. Ich plaudere ein
bisschen mit ihnen, eigentlich in der Hoffnung, dass sie uns dann unspannend finden, weil sie nichts
abstauben koennen. Aber sie finden uns so spannend, dass der uns durch die gesamte Festung
begleitende Tross – treppauf, treppab, zum Ziehbrunnen, in die alte stillgelegte Moschee, weil das Dach
der Waschraeume eingestuerzt ist – immer groesser wird.
Maedchen mit Qurantafel auf dem Weg zur Moschee
Am Ende umgeben uns, laut schnatternd, sich gegenseitig uebertoenend, jeder den Fuehrer geben
wollend, um die 30 Kinder von 3 bis 17 Jahren. Die Maedchen, schon voll in ihrem Rollenmuster, trauen
sich selten, direkt zu uns etwas zu sagen. Sie laufen mit Abstand hinter uns und den Jungen, bis ich sie
auffordere aufzuschliessen und sie ganz direkt etwas frage. Sie trauen sich nicht, zu antworten,
verstecken sich verschaemt hinterinander. Der Aelteste, auch der mit dem lautesten Organ, fuehrt
unseren Tross an und zeigt uns u.A., dass die Gassen ganz rechtwinklig angelegt sind, so dass man an
jeder Kreuzung in allen Himmelsrichtungen jeweils das Ende der Festung sieht. Auch liegen die Eingaenge
zu den Haeusern jeweils rechts in jeder Gasse. Es ist, wie immer, fast ganz dunkel, weil alles ueberbaut
ist, nur hier und da mal ein Lichthof.
Ich frage sie ein bisschen aus, und sie geben sich grosse Muehe, hocharabisch zu sprechen, damit ich sie
verstehe. Die Grundschule koste kein Geld, fuer die Oberschule muessten sie den Schulbus bezahlen und
die Schulbuecher: 3 EUR pro Kind pro Monat – klingt wenig, aber die Leute hier haben eigentlich kein
Bargeld und meistens einen Stall voll Kinder. Allerdings bekommen sie wohl pro Kind eine finanzielle
Beihilfe fuer Schulmittel vom Staat. Ich frage, ob die Maedchen auch ueber die Grundschule hinaus zur
Schule gingen. Nein, sie wuerden ja heiraten. In welchem Alter, frage ich. Einer sagt, mit 15, der andere
sagt, Quatsch, nein, mit 18. Es war spannend mit den Kindern, aber dort in Ruhe durchzulaufen, waere
auch schoen gewesen. Naja, vielleicht bei der naechsten Festung. Es gibt hier praktisch in jedem Dorf
mindest eine Lehmfestung. Es ist unglaublich – und leider, leider ganz unmoeglich, alle zu erhalten. Wie
im Oman, werden sie mit zunehmendem Wohlstand verlassen und sind ueber kurz oder lang durch den
Regen dem Erdboden gleich und spurlos verschwunden. Wir verabschieden uns gegen den Widerstand
der Kinder, bis schliesslich ein Mann sie alle verjagt, damit wir ueberhaupt losfahren koennen.
Laufen ein wenig ueber die Maerkte in Rissani mit ihrem Getuemmel und fahren dann zum Mausoleum
raus, das eigentlich nur fuer Muslime zugaenglich ist. Der Wachmann laesst uns rein, nachdem ich
Arabisch mit ihm spreche und ihm erklaere, wir seien Muslims. Der Garten im Inneren der Mauern,
umgeben von einem Saeulengang, ist recht schoen; hier sitzen ein paar Frauen auf Baenken im Schatten
und plaudern.
Wir beschliessen, noch einmal in die Stadt zu fahren, um endlich Tajine, jene marokkanische Spezialitaet
aus dem Tontopf mit spitzem Deckel, zu essen. Der Tag neigt sich jedoch, und wir finden nichts Rechtes.
Der Reisefuehrer schickt uns wieder hinaus Richtung Mausoleum. Dort sei ein brauchbares Lokal. Als wir
es endlich finden, ist es schon fast dunkel und nur ein junger Mann ist noch da, der eigentlich gerade
schliessen moechte, jedoch darauf besteht, noch fuer uns zu kochen. Das Essen ist nicht so prickelnd,
aber wir sitzen nett, und da wir die Einzigen sind, bringt Josef unseren restlichen Wein mit hinein, und ich
kann eine rauchen. Am Ende fragt uns der junge Wirt, ob wir ihm ein bisschen Wein geben koennten.
Leider ist die Flasche leer.
Das Lokal ist direkt neben dem Qasr Oulad Abdel Halim. Wir uebernachten im Schatten der
wunderschoen restaurierten Aussenmauern. Irgendwann nachts verabreden sich alle Streunerhunde der
Stadt, um neben unserem Womo eine Heul- und Klaefforgie abzuhalten. Gegen Morgen ist dann wieder
Ruhe.
Wir besichtigen erst das Qasr. Ein ca 13-jaehriger heftet sich an uns und geht mit. Er traegt einen Strick
mit sich herum und erklaert auf meine Frage danach, sein Welpe sei ihm in der Nacht gestohlen worden
und er suche nun nach ihm. Innerhalb der Mauern sind nur wenige Haeuser. Vieles ist eingestuerzt, aber
es leben wohl noch 13 Familien hier. Und hier steht das ehemalige Riyadh, also Wohnhaus, des Vorfahren
von Koenig Hassan VI. Es verfaellt so allmaehlich, wird nicht erhalten, aber Teile sind noch intakt, und
immerhin lebt in seinen Mauern eine Frau, die irgendwie so eine Art Aufsicht fuehrt und das Ganze
sauber haelt. Sie zeigt uns den Garten, ein Majlis, also einen Wohnraum, mit Sitzkissen auf dem Boden.
An der Wand ist ein gerahmtes Poster mit Zeichnungen und spaeter Fotos aller zur heutigen allawitischen
Dynastie gerhoerigen Koenige.
Auch ein Foto ihres verstorbenen Mannes in Beduinenkriegerkluft haengt dort. Die Holzbalken und
Zwischenraeume an den Decken sind schoen verziert. Als wir wieder am Auto sind, folgt uns ein
Maedchen, die wir mit ihrer Mutter in der Festung gesehen hatten. Sie bittet uns um Medikamente fuer
ihren kleinen Bruder, der Schmerzen habe. Der Junge will nun auch Medikamente. Wir haben nur
Aspririn, was wir ihnen bedenkenlos mitgeben koennen.
Danach gehen wir in die Stadt. Heute ist Dienstag, kleiner Markttag in Rissani. Es ist sehr, sehr spannend.
Von den klebrigen selbsternannten Touristenfuehrern und Verkaeufern, vor denen unser Buch warnt,
merken wir nicht viel. Man laesst uns in Ruhe, und wir schlendern lange umher. Es gibt sooo viel zu sehen
und mutet an wie ein Film-Setting im Mittelalter. Aber es ist alles echt und lebendig, nichts gestellt,
nichts geschoent. Unfassbar: Ueberall sind Marktstaende mit Gemuese und Obst. Schlachter mit halben
Schafen und Rindern an Haken aufgehaengt, an denen noch der Kopf und der Schwanz baumeln –
vielleicht damit man gleich weiss, um welches Tier es sich handelt. Kuehlkette – was ist das?
Huehnerverkaeufer, die in ihrem Laden Freigehege haben, in denen die Huehner aufgeregt herum laufen.
Der Kunde sucht sich eines aus, es wird an den Fluegeln gepackt und gleich geschaechtet. Hab noch kein
Fleisch gegessen, seit wir hier sind. (Da vergeht es mir gruendlich, obwohl das ja viel schonender ist als
unsere elende Massentierhaltung.) Maenner beim Friseur, die ihren Kopf und Bart komplett glatt rasiert
kriegen. In einem grossen, fast leeren Raum sitzt ein Heiler an seinem Tisch und wartet auf Kundschaft. In
einem Laden sitzen 3 Maenner und werden am Ruecken geschroepft. Wenig spaeter sind wir bei den
Schmieden. Ihre kleinen, engen Werkstaetten mit Schmelzofen und Amboss sind russgeschwaerzt und
laut. Sie fertigen Hacken, Spaten, Gitter, etc. Die Blechner machen aus nagelneuem Blech aber auch aus
alten Gefahrengutfaessern Kehrbleche, Haustueren, Kisten, etc.
Einem Fliesenmacher schauen wir dabei zu, wie er die bunten Zement-Bodenfliesen macht, die man hier
allerortens sieht. Zu dritt machen sie mit ganz einfachen Geraeten in Handarbeit eine kleine
Massenproduktion.
Es gibt einen grossen Eselparkplatz, auf dem all die Haendler und Kunden der umliegenden Doerfer ihr
Vieh parken. Hier kann man Studien ueber das Sozialverhalten von Eseln, Mulis und Pferden treiben.
Einen einzigen reinen Touristenladen sehen wir. Josef findet hier ein altes Tuerschloss, ein Holzriegel, der
mit einer Art primitivem Schluessel blockiert wird. Er wuerde es gern kaufen fuer die Tuer, die er in Aich
fuer den Durchgang zwischen Haus und Garage im omanischen Stil bauen moechte. Aber der Preis ist mit
50 EUR fuer hiesige Verhaeltnisse anstronomisch. Vielleicht finden wir es noch woanders. Der Markt ist
unglaublich vielfaeltig. Tage koennte man sich hier aufhalten. Auf dem Rueckweg zum Auto treffen wir
Mohammad Nasser, einen lizensierten Guide, der in unserem Reisefuehrer gelistet ist, weil er ganz gut
Deutsch spricht, der uns gestern schon einmal angesprochen hat, uns jedoch nicht mit seinen Diensten
behelligt, weil er wohl spuert, dass wir ihn nicht brauchen, beteuert, wie gestern schon einmal, dass er
sich fuer seine palaestinensischen Brueder und Schwestern freuen wuerde wie ueber nichts anderes,
wenn sie ihre Freiheit erlangen wuerden. Er hat ein paar Deutsche im Schlepptau.
Schliesslich fahren wir die letzten 40km nach Merzouga, eventuell unser suedoestlichstes Ziel und
Marokkos groesste zusammenhaengende Duenenlandschaft: Das Erg Chebi, eine malerische Miniwueste
von 50km Laenge von Norden nach Sueden und 5 – 10 km Breite. Um Merzouga herum, wo sich die
hoechste Duene mit 150m erhebt, haben sich viele Hotels in Qasr-Form angesiedelt, die sich ganz gut in
die Landschaft fuegen; Kamele tragen Touristen zur Uebernachtung in die Duenen; Motocross- und
Quadfahrer brettern herum, jedoch nicht vergleichbar mit den Duenen nahe Dubai, die wie ein Jahrmarkt
anmuten. Hier ist alles recht beschaulich. Wir parken das Womo bei den Duenen und laufen in etwa einer
Stunde hinauf auf die grosse Duene, die letzten 30m Hoehenmeter schweisstreibend auf allen Vieren,
weil es so steil wird; sehen von oben, wie klein das ganze Gebiet ist, auf der von Merzouga abgewandten
Seite ca 20 Wuestencamps fuer die Touristen, das Ganze umgeben von brauner, flacher Geroellwueste
und kleineren braunen Bergen in der Ferne. Von der eigentlichen Sahara, wie wir uns das vorgestellt
haben, ist nichts zu sehen.
Eine der Herbergen, das Rose de Sable, hat einen Womo-Stellplatz hinter dem Haus und direkt an den
Duenen. Es stehen noch fuenf andere hier, und wir beschliessen, eine Ruhepause einzulegen. Mieten uns
fuer zwei Naechte ein, und ich koche Mujaddara.
7.3.
Ein herrlich ereignisloser Tag. Neben uns steht ein Womo aus Gross Gerau. Wir plaudern ab und zu mit
dem netten Rentnerpaar. Es ist tagsueber gut warm, in der Sonne bestimmt 30 Grad und damit Josefs
Lieblinglauftemperatur. Ich wasche ein paar Klamotten von Hand, drapiere sie nach marokkanischer
Manier zum Trocknen ueber die Palmwedel und Buesche, hole Reisebericht nach, und Josef rennt 30
Minuten auf der platten Ebene auf der anderen Seite der Strasse. Am Nachmittag laufen wir in’s Staedtel
und essen in einem, oh Wunder, von drei Frauen gefuehrten netten Lokal an der Strasse, dem Restaurant
Aicha. Muss was in Trip Advisor reinschreiben. Fragen noch in einem Laden, wo ich Postkarten kaufe, den
Eigentuemer, wo die hier das Wasser herkriegen. Uns waren bei unserer Duenenwanderung gestern
zwischen den niederen Duenen Brunnen aufgefallen, in denen in nicht einmal 5 m Tiefe Wasser stand
und sogar unten noch Wasser dazu lief! Er erklaert uns, dass unter dieser kleinen Wueste tatsaechlich
Suesswasser sei, was ganz Merzouga versorge. Wir koennen es nicht glauben. Jedes Hotel habe seinen
eigenen Brunnen und einen Wasserturm, um Wasserdruck zu erzeugen.
8.3.
Nach dem Fruehstueck gehen wir walken – etwa dieselbe Runde, die Josef gestern gerannt ist, packen
dann zusammen, obwohl wir noch nicht recht schluessig sind, wo wir hin wollen. Als wir dann losfahren,
stellen wir fest, dass wir eigentlich noch gar nicht hier weg wollen. Vor dem Fruehstueck waren ein paar
Franzosen durch unser Camp gelaufen und hatten gefragt, wo die Wuesten-Rallye startet. Wir haben sie
wohl in die falsche Richtung geschickt. Denn am Fuss der hohen Duene und oben an deren Spitze sehen
wir Fahnen und eine zunehmende Anzahl von Leuten und Fahrzeugen. Also fahren wir nach Merzouga
rein und Richtung Duenen; laufen hinauf zur unteren Rallye-Basis, schauen ein Weilchen zu, wie die
Motocrossfahrer immer wieder Anlauf nehmen, die hohe Duene rauf zu kommen. Manche schaffen es.
Die anderen muessen den Rest hoch laufen, um sich ihren Etappenstempel zu holen. Die Duene ist irre
steil, und die muessen in ihrer Motorradkluft vergehen! Es sind wieder die Leute vom Schiff und von
Midelt, die sich hier fuenf Tage aufhalten. Heute ist der letzte Tag. Folgen danach einer in der Karte als
landschaftlich reizvoll eingetragenen Strasse an den Duenen entlang nach Norden. Nach ein paar
Kilometern ist eine Piste Richtung Duenen eingezeichnet, und wir kommen an der Auberge du Sud raus,
einem wirklich sehr geschmackvoll, ganz im maghribinischen Qasr-Stil gebauten Hotel. Trinken auf der
sandigen Terrasse einen Tee, direkt an unseren Zehenspitzen beginnen die Duenen, und beschliessen,
uns ein freies Plaetzchen unter ein paar benachbarten Baeumen zu suchen. Da stehen wir nun seit
gestern am Spaetnachmittag, neben uns auf der anderen Seite noch so ein huebsches Hotel, das Dunes
D’Or, das wir uns auch anschauen. Beide Hotels haben Pools! Ob das nun so oekologisch ist bei dem
Wassermangel hier? Ein Fossilienverkaeufer, der abends bei uns vorbei kommt, bestaetigt das mit dem
Suesswasser unter den Duenen, sagt auch, unter der schwarzen Ebene hinter uns sei das Wasser salzig. Er
spricht, wie viele hier, ganz gut Deutsch, durch die vielen Touristen; Arbabisch, Franzoesisch und
Berberisch sowieso.
Gucken den zweiten Teil von der Verfilmung des Gladbeck-Geiseldramas in den 80’er Jahren. Das reisst
mich zu sehr hier raus. Lieber lese ich abends. Aber Josef macht das Fernsehen hier im RV richtig Spass.
So kenne ich ihn gar nicht!
9.3.
Waren nach dem Fruehstueck circa 2 Std in den Duenen wandern.
Die Karawanen der Touristen, die ueber Nacht in den Duenen biwakiert haben, schaukeln auf ihrem
Heimweg sehr malerisch an uns vorbei.
Haetten wir Wasser mitgenommen, waeren wir noch weiter gegangen. Seitdem sitzen wir unter unserem
Baum, der uns herrlich vor der Sonne schuetzt, und lesen abwechselnd Homo Deus und unsere jeweilige
Belletristik. Herrlich! Es ist allerdings recht windig; hoffe, es wird nicht mehr. Denn dann faengt der Sand
an zu fliegen und Josef kann sein Lieblinsspielzeug, die Sat-Antenne, nicht ausfahren. Beschliessen, uns
noch ein wenig zu ertuechtigen und laufen am Fuss der Duenen in Richtung Auberge du Sud, daran vorbei
und wollen ein paar Ruinen inspizieren, die wir morgens von den Duenen aus gesehen hatten. Kommen
an einen grossen Platz mit um die 70 gesattelten Kamele. Daneben sitzen ein paar Maenner, die eifrig
und lautstark ein in den Sand gemaltes Brettspiel, gespielt mit kurzen Zweiglein und Steinen als
Spielsteine, kommentieren. Schauen ihnen ein Weilchen zu und laufen weiter. Die Ruine war auch ein
Kasbah-Gasthaus, ist aber voellig zerstoert – wir vermuten von der Flut, die 2006 das gesamte Erg Chebi
ereilt hat und von der uns schon ein paar erzaehlt haben. Damals ist vieles zerstoert worden. Es stehen
hier in der Ebene auch grosse Zeltcamps. Ob man da auch uebernachten kann? Als wir zum Kamelplatz
zurueck kommen, fahren Dutzende von Jeeps vor, und es ergiessen sich viele Touristen ueber den Platz,
zuecken alle die Cameras und lichten Kamele und Duenen im Abendlicht ab – wie wir halt. Kommen kurz
mit ein paar aelteren Badensern ins Gespraech; da kommt ihr marokkanischer Guide und scheucht uns
sehr unhoeflich weg; ich diskutiere mit ihm auf Arabisch und verstehe dann, was sein Problem ist: er
denkt, wir seien Schlepper, die ihm seine Touris wegnehmen wollen. Offenbar ein hart umkaempfter
Markt! Wir trollen uns, nicht, ohne ihm vorher zu sagen, dass er sich was schaemen sollte, so unhoeflich
zu sein. Bestimmt hat der den alten Leutchen nachher erzaehlt, sie koennten froh sein, ihn als
Beschuetzer zu haben; wer weiss, was wir mit ihnen angestellt haetten.
Die Maenner, die brettspielend bei den Kamelen sassen, rennen jetzt hinter den Touris her, die zu Fuss
und auf Kamelen die Duenen hochlaufen, um den Sonnenuntergang von dort zu sehen. Ich frage sie, was
denn ihr Job sei, die Kamele zu fuehren? Nein, sie helfen nur denen, die nicht hoch kommen, schieben
und ziehen ein wenig und jubeln ihnen nebenbei ein paar Fossilien unter, die hier ueberall ausgebuddelt
(oder gebastelt) und dann verscherbelt werden. Hartes Brot!
Als ich sie nach der Ruine frage, bestaetigen sie, das Hotel sei bei der grossen Ueberschwemmung
zerstoert worden, es seien damals drei Menschen ertrunken, das Wasser sei den Kamelen bis zum Bauch
gestiegen. Unvorstellbar, wenn man diese Trockenheit jetzt sieht.
Laufen zurueck zum Auto und fahren dann zur Auberge du Sud zum Essen zurueck. Sitzen vor dem
Restaurant, das erst um 19:30 oeffnet, in der super gemuetlichen Lobby und schluerfen Tee, zu unserer
Linken zwei Japanerinnen, wovon die eine uns offenherzig und in erstaunlich gutem Englisch erzaehlt, sie
habe die vergangenen vier Jahre in Nebraska studiert und sei nun schweren Herzens nach Japan zurueck
gekehrt, um dort einen Job in der Werbung anzunehmen – schweren Herzens deshalb, weil sie in
Nebraska ihren Freund zurueck lassen musste. Ein Amerikaner quetscht sich zu uns auf das Sofa, fragt, ob
er auch von unseren Nuessen essen duerfe, und ich bin geneigt, ihm auch noch gleich mein Teeglas zu
reichen. „It’s a communal thing, right?“ Klar, sage ich. Er sei Kuenstler, habe mit Cristo, an dem er
anschliessend kein gutes Haar laesst, ein Projekt gemacht. Aha. Endlich gibt’s Essen. Einheitsessen fuer
alle, aber voellig ok. Neben uns sitzt ein Paar aus Hamburg, sind auch mit dem Womo unterwegs.
Plaudern recht nett und verabschieden uns dann, fahren wieder an unseren Platz unter den Baeumen.
Hatten hier, ungetruebt von kuenstlichem Licht, beide Naechte einen ganz unglaublichen Sternenhimmel
– so schoen, dass es mir wie Verschwendung vorkommt, nicht unter freiem Himmel zu schlafen. Aber wir
haben, erstens, nichts dabei zur Uebernachtung draussen, und, zweitens, wuerde ich mir wahrscheinlich
vor Angst in die Hosen machen.
Ich wache mehrmals in der Nacht auf und muss immer wieder hinauf schauen zum Sternenhimmel.
10.3.
Wollen heute Richtung Westen aufbrechen, jedoch nicht hinauf in die Berge, weil wir die Kaelte
fuerchten, entscheiden uns fuer einen Kompromiss und nehmen von Erfud aus die nicht ganz suedliche
Strasse an der algerischen Grenze entlang Richtung Westen, sondern die parallel weiter noerdlich
verlaufende Richtung Tinejdad und Trodra-Schlucht. Die Luft ist unglaublich klar und trocken, die
Fernsicht ueberwaeltigend, das Blau des Himmels unwirklich. Wir sehen weit im Norden die
schneebedeckten Berge des Hohen Atlas. An der Strasse sind ueber lange Kilometer hinweg helle
Lehmhaufen aufgetuermt. Irgendwann stehen da Schilder, die auf unterirdische Kanaele hinweisen,
daneben die obligatorischen Fossilienstaende. Wir halten irgendwo an und laufen auf einen der
zahlreichen in Reihe aufgehaeuften ca 10 m hohen und ca 20 m Durchmesser messenden Kegel hinauf.
Sie sind geformt wie kleine Krater, und in ihrer Mitte geht ein tiefes, grosses Loch hinunter in die
schwarze Tiefe. Spaeter lese ich in unserem Reise Knowhow, dass dies unterirdisch verlaufende
Wasserkanaele waren, die von Sklaven gegraben und durch die Kegel auch frei gehalten wurden von
Verschlammung. Fuerchterlich. Moechte nicht wissen, wieviele da unten lebendig begraben wurden. Wie
lange sie nicht mehr in Benutzung sind, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Allerdings sind viele schon
fast dem Erdboden gleich. (https://de.wikipedia.org/wiki/Qana)
Die Doerfer an unseren Strecke sind heute verhaeltnismaessig menschenleer. Es ist Samstag und damit
Feiertag. An der Strasse stehen drei Tramper. Wie sehen haeufig Doerfler stehen, haben aber nur einmal
welche mitgenommen. Habe immer ein schlechtes Gewissen, sie stehen zu lassen, aber wir haben ja
keine richtigen Sitze fuer sie. Halten nun dennoch an, weil wir denken, sie wollen nur ins naechste Dorf;
es sind jedoch sichtbar wohlhabende Staedter, die offenbar auf Tour sind und bis nach Ouarzazate
wollen. Das lassen wir dann doch; sie werden schon jemanden gefunden haben.
Vor uns sind riesige Staubwolken in der Luft, denen wir langsam naeher kommen. Es ist ein
ausgewachsener Sandsturm – finden wir jedenfalls.
Die Leute in den Doerfern gehen weiterhin ihren diversen Taetigkeiten nach, mauern und bauen, fahren
gegen den Sturm Fahrrad und Motorrad, laufen herum,… hart im Nehmen. Uns knirscht der Sand sogar
im Auto zwischen den Zaehnen, und am Abend ist alles mit einer Sandschicht ueberzogen. Wir fahren
durch ein Dorf namens Igli. In unserem Buch steht, es sei sehr von den saudischen Wahabiten beeinflusst
und daher sehr konservativ. Ich kann es nicht erkennen. Die Frauen sind auch nicht mehr oder weniger
verschleiert als anderswo. Aber es faellt uns auf, dass unglaublich viele Moscheen mit hohen Minaretten
gebaut werden. Entweder ist das des Koenigs Zugestaendnis an die konservativen Kraefte, oder die
Saudis unterstuetzen finanziell die Awqaf- (Religions-)behoerde, um hier Einfluss zu nehmen, was
erklaeren wuerde, warum die Wahabiten in einem total entlegenen Dorf das Klima veraendern koennen.
In Tinejdad gehen wir in einen kleinen Laden, um uns fuer das Abendessen einzudecken. Josef stellt fest,
dass das Geld in seinem Portemonnaie nicht ausreicht und geht zum Auto, um aus unserem roten
Rucksack Nachschub zu holen. Allein: Der ist nicht da! Oh, Schreck! Die Paesse, Kreditkarten, Bargeld,….
alles, was wir sicherheitshalber nie im Auto lassen, wenn es ausser Sichtweite ist,… Oh, oh! Ich lasse den
Ladenbesitzer wortlos stehen, und wir stellen das Auto auf den Kopf, wohl wissend, hier ist er nicht.
Irgendwann kommen wir drauf, dass wir ihn gestern Abend im Auberge du Sud dabei gehabt haben und
stehen gelassen haben muessen. Kann das sein?? Es muss so sein. Ich finde eine Tel-nummer im Reise
Knowhow, rufe an. Der freundlich Chef verspricht, nachzufragen und mich zurueck zu rufen. Nein, es sei
nichts abgegeben worden. Nochmal: ein kleiner roter Rucksack. Ganz sicher nicht? Er prueft es nochmals
und ruft zurueck: Er wurde gefunden und liegt in der Rezeption bereit. Uff!! Gemessen an dem Schreck
sind die 130 km, die wir nun im Sandsturm zurueck tuckern muessen, gar nichts. Ausserdem wollte Josef
sowieso noch nicht recht raus aus der Wueste. Und morgen ist in Rissani grosser Markttag, ein guter
Grund, noch eine Nacht dort zu bleiben. Finden also unseren Rucksack an der Rezeption; er hatte wohl
die ganze Nacht und den ganzen Morgen unbehelligt vor dem Sofa in der Lobby gestanden, wo wir am
Vorabend unseren Tee schluerften. Na sowas! Wir bedanken uns tausendmal und geben dem Mann an
der Rezeption einen Finderlohn. Josef meint, in seinem Gesicht Verlegenheit abzulesen. Wissen nachher
auch, warum: er hat sich vom Bargeld bedient. Wir aergern uns ein bisschen, aber wirklich nur ein
bisschen. Denn, erstens, haette er den ganzen Rucksack verschwinden lassen koennen, und zweitens, ist
es ganz allein unsere Schuld. Trinken in der kuehlen, daemmrigen Luft der Lobby noch einen Tee,
plaudern mit einem indischen Ehepaar, Boersenspekulanten und Praesident-Modi-Fans aus Bombay, die
ihren einzigen Sohn, der in Madrid studiert, besuchen waren und nun noch 10 Tage in Marokko
verbringen. Schliesslich muessen wir wieder hinaus in den Sandsturm, der im Laufe des Tages auch hier
angekommen ist. Wir beschliessen, uns ein einigermassen geschuetztes Plaetzchen vor dem Mausoleum
in Rissani zu suchen, was auch funktioniert. Der Sturm legt sich im Laufe der Nacht.
11.3.
Wachen sehr frueh auf. Der Himmel ist klar. Wo ist nur all der Staub hin? Ein Teil gewiss in unseren
Lungen. Meine Nasenschleimhaeute waren gestern den ganzen Tag zugeschwollen. Feinstaub? Was fuer
Feinstaub? Als wir in die Stadt kommen, erkennt uns schon der eine oder andere. Sind nun zum vierten
Mal hier. Es ist noch relativ ruhig. Nur dort, wo die Grosshaendler anliefern, ist Hochbetrieb. Jungen,
teilweise keine 10 Jahre alt, schieben schwer beladene Handkarren herum. Wir schlendern zwischen den
Maerkten umher, lauschen hier, gucken dort. Dann setzen wir uns am Hauptkreisverkehr in eine
Teestube und gucken dem Treiben zu. Es kommen von Minute zu Minute mehr Menschen. Aus den
Doerfern kommen sie auf Pferde- und Mulikarren, der Vater auf dem Kutschbock, die schwarz
verhuellten Frauen und Kinder hinten drauf, zwischen ihren Fuessen ein Buendel Gruenfutter als
Wegzehrung fuer das Muli. Andere kommen auf Tuktuks mit Ladepritsche, Fahrraedern, Mofas, Eseln, in
den unvermeidlichen Mercedes 800, und natuerlich zu Fuss. Ein reges und spannendes Treiben. Um uns
herum sitzen die Maenner palavernd in den Teestuben.
Halten im Rausfahren noch an einer Tankstelle, tanken nach, aber vor Allem, damit wir das Brauchwasser
auffuellen koennen. Klappt auch. Der Himmel ist wieder wie blank geputzt. Man soll nicht glauben, was
hier gestern los war! Wir entscheiden uns jetzt, fuer die Fahrt nach Westen die suedlicher gelegene
Strasse zu nehmen, die (noch) reizaermer sein soll als die noerdliche. Als wir Erfoud hinter uns lassen,
fuehlt es sich an wie die Fahrt zwischen Abu Dhabi und Salalah. Oder wie eine Expedition auf den Mars.
Um uns herum ist alles mausetot. Ein paar flache Duenen noch, danach schwarzes Geroell, links und
rechts ein bisschen weiter weg, versteinerte Korallenriffe, dunkelbraune aufgefaeltelte Berge. Unwirtlich!
Ab und zu sehen wir Ziegenhirten. Wie geht das? Was finden die bloss zu fressen? Wie kann man hier
leben? Um das heraus zu finden, biegen wir schliesslich von der Strasse ab und folgen einer Piste ca 3km
lang in ein Dorf namens Azag. Kurz vor dem Dorf durchfahren wir ausgetrocknete Palmenhaine. Da ist nur
noch Sand und die Palmen kurz vor dem Exitus. Die Leute begruessen uns freundlich, und rasch ist die
obligatorische Kinderschar um uns herum. Das Dorf sieht erstaunlich wohlhabend aus. Die alte
Lehmkasbah ist leer und verfallen; alle leben in neuen, recht schoenen Haeusern. Am Ende begleiten uns
drei Jugendliche durch die mehr oder weniger trockene Oase und beantworten geduldig alle unsere
Fragen. In der Oase sind mehrere tiefe Brunnen, alle ausgetrocknet und toedliche Stolperfallen, wie wir
finden. I wo, sagen sie. Jeder wisse doch, wo die Loecher im Boden sind. Warum sie ausgetrocknet seien?
Weil es seit den 1990’er Jahren nicht mehr so viel regnet. Frueher habe es auf das Jahr verteilt 4 -5 mal
kraeftig geregnet. Jetzt, wenn sie Glueck haben, einmal. Woher das Wasser dann jetzt kaeme? Die
Regierung habe einen 100m tiefen Brunnen gebohrt (sie zeigen nach weiter oben die Strasse hinauf),
eine Solaranlage treibe die Pumpe an. Ob viele Leute abgewandert seien? Nein, sagen sie. Manche
arbeiteten im Ausland und schickten Geld. Daher vielleicht die neuen Haeuser. Die Schule am Ort
(uebrigens landesweit leicht erkennbar an der bonbonfarbenen Bemalung des Schulhauses sowie der
umgebenden Mauern: rosa, mintgruen und lavendel in abwechselnden breiten Streifen und damit
deutlicher Kontrast zur Lehmfarbe und Rostrot der Staedte und Doerfer) gehe bis zur 6. Klasse.
Danach muessten sie bis zur 11. ins benachbarte Mssici, wenn sie Abi machen wollten, bis nach
Tazzarine, wo sie dann zu mehreren eine Wohnung mieten muessten, weil es zum Pendeln zu weit
waere. Ob die Maedchen auch alle einen Schulabschluss machen, fragen wir. Die meisten gehen bis zur
11. Abitur macht keine. Sie heiraten dann. In welchem Alter? 18, sagt der Eine, 17, sagt der andere, 16
oder 15 der Dritte. Ja, was denn nun? Gibt es ein Gesetz gegen Kinderheirat? Ja, schon, aber im Dorf
interessiert das nicht. Ob ihre Eltern lesen und schreiben koennten. Nein, alle drei schuetteln mit dem
Kopf. Wieviele Kinder sie seien. 8, 7 und 6 respektive. Da wird sich wohl schon mit der Generation die
jetzt 25 ist, einiges veraendert haben. Die Frauen sind alle zur Schule gegangen und werden sicherlich
keine fuenf Kinder mehr bekommen.
Schliesslich verabschieden wir uns und fahren zur Hauptstrasse zurueck und weiter nach Tazzarine.
Kommen ueber eine Kuppe und vor uns liegt ein dunkelgruener, sehr breiter und sehr langer Streifen, der
den Biegungen des Wadi folgt. Herrlich, nach all der Trockenheit.
Im Reise Knowhow ist ein Platz mitten in der Oase eingetragen. Wir finden ihn. Es ist ein kleines Paradies
mit ein paar Zelten, die man mieten kann und einem recht kleinen Sandplatz fuer gerade mal 6 Womos.
Fuehlen uns so wohl, dass wir direkt bleiben. Betrieben wird der Platz von einem netten, jungen und sehr
zurueckhaltenden schwarzafrikanischen Marokkaner, Salem, sowie seiner Frau und deren kleiner
Tochter, die wie ein Schatten ihrem Papa folgt. Es ist ueppig gruen und kuehl und duftet betoerend nach
den in voller Bluete stehenden Orangenblueten. Wir freuen uns diebisch, machen noch einen
Abendspaziergang durch die riesige Oase, werden von jedem, aber auch wirklich jedem, total freundlich
begruesst.
12.3.
Heute frueh sind wir ein wenig ins Staedtel gegangen, das sich auf eine ca 1 km lange Strecke an der
Hauptstrasse mit dem Notwendigsten beschraenkt. Essen zum ersten Mal gegen Mittag Fleisch, seit wir
hier sind: gegrillte Kufta mit Brot. Sehr, sehr lecker! Ich kann endlich meine Postkarten aus Merzouga
wegschicken. Fragen beim Schlachter, was Fleisch so kostet. Zwischen 40 und 65 Dirham pro Kilo, also 4
bis 6,50 EUR – egal, ob Rind, Ziege oder Hammel. Das ist richtig viel fuer hier, wenn einer EUR 150 im
Monat verdient! Huhn ist wahrscheinlich billiger. Treffen noch einen Schweizer, dessen
Expeditionsfahrzeug wir mehrmals neugierig umrunden. Unangenehmer Mensch, oller Meckerer –
erinnert an Ruadi auf den Phillippinen – aber er hat eine sehr nette Frau, und sein Womoaufbau, den er
komplett selbst gemacht hat, ist echt Klasse!
Zuckeln wieder zurueck zu unserem Platz und geniessen die nachmittaegliche Ruhe unter den Palmen.
Ich korrigiere fuer Hana einen Text fuer die Uni, und Josef liest. Am Spaetnachmittag laufen wir nochmal
los. Diesmal ins Wadi-Bett. Auch hier viele aufgegebene Palmenplantagen und Aecker! Wie traurig. Die
Wueste ist eindeutig auf dem Vormarsch. Die Regierung versucht, die Entwicklung aufzuhalten, zum
Einen durch die tiefen Brunnen und die Solarwasserpumpen, zum Anderen bauen sie aus geflochtenen
Palmwedeln Zaeune in mehreren Lagen, von oben betrachtet wabenfoermig, um den Sand aufzuhalten.
Aber die muessten immer erneuert werden, genau wie die Lehmmauern und Trockenmauern, die hier in
der Oase den Sand raushalten sollen, die aber immer mehr zerbroeckeln.
Wir kommen an einer schoenen Lehm-Wohnburg vorbei und laufen auf das Grundstueck, um sie naeher
zu inspizieren.
Im Garten ist ein junges Paar, ein paar kleine Kinder, eines mit grossen hellblauen Augen. Wir werden
sofort freundlich begruesst und in den Garten eingeladen. Eine Matte und Kissen werden herbei
getragen, Tee gekocht, und wir unterhalten uns mit Saeed und seiner Frau Warda; Saeeds Mutter und die
zweite Schwiegertochter, Hafiza, begruessen uns auch. Schiegermutter huetet eine kleine Schafherde
und sitzt mit einer grossen Schere in der Hand da. Sie wollte die Schafe scheren, aber die Schere sei
stumpf. Morgen vielleicht. Warda hat die typisch berberischen Gesichtszuege: feine Nase und sehr helle
Haut. Ihr Mann sieht arabisch aus, und die beiden Kinder aehneln ihm. Die kleine blauaeugige Noura
gehoert zu Hafiza. Warda spricht nahostarabisch mit mir, so dass ich sie sehr gut verstehe. Sie habe es
von den Fernsehserien und Filmen gelernt, sagt sie. Allerdings hat sie Abitur und anschliessend Biologie
studiert, spricht sogar ein wenig Englisch. Sie stammt nicht von hier, sondern aus Tinehir, hat hierher
geheiratet. Die Arme! Aber sie beklagt sich nicht. Saeed arbeitet im Dorf Tazzarine in einem Cafe. Wir
fragen, ob wir beim Schafescheren zuschauen duerfen und was sie mir der Wolle machen. Gar nichts. Sie
scheren die Schafe nur, damit sie den Sommer mit 50 Grad besser aushalten. Josef fragt, ob sie ihm die
Wolle geben moechten. Klar! Also verabreden wir uns auf morgen 11:00. Das Haus, das in der Tat wie
eine Festung ausieht, mit allem Drum und Dran, hat Saeeds Urgrossvater oder sogar der davor gebaut.
Nun leben noch zwei verwandte Familien hier, haben allerdings hinten neu angebaut. Ich erzaehle ihnen
von unserem Campingplatz und frage sie, warum sie angesichts ihres riesigen Gartens, eigentlich kleine
Felder mit Dattelpalmen, nicht auch so etwas machen. Oder gar im Haus wenigstens ein oder zwei
Zimmer fuer Touristen herrichten. Es waere ein tolles Plaetzchen. Aber natuerlich fehlt das Geld, und
man braeuchte dafuer viele schwer zu bekommende Genehmigungen. Schade. Waere eine gute
Alternative zur Landwirtschaft, die ob der anhaltenden Duerre ohnehin immer muehsamer wird. Hier ist
die Klimaerwaermung defintiv angekommen. Wenn es so weiter geht mit den stetig austrocknenden
Brunnen und der immer naeher kommenden Wueste, werden die Menschen wegziehen muessen.
Touristen kaemen dann auch keine mehr, wenn alles tot ist. Was von dieser wirklich riesigen Oase wohl
uebrig sein wird in 10 oder 20 Jahren?
13.3.
Tuetteln nach dem Fruehstueck ein bisschen rum, putzen den Sand aus dem Womo, Josef fuellt mit Salah
Wasser auf, und auf 11:00 laufen wir zu Saeed und Warda. Die Frauen sitzen mit den Kindern in einem
grossen Raum mit hoher Decke, der daemmrig dunkel ist und bis auf Matten, Sitzkissen auf dem Boden
und einem Fernseher nur hunderte von Fliegen enthaelt, die alle bei den kleineren Kindern auf Mund,
Nase und Augen kleben. Zwei Cousinen sind zu Besuch da, eine mit einem kranken Kind. Es hat
Mandelentzuendung und offensichtlich hohes Fieber. Ob es eine Klinik am Ort gaebe, frage ich. Ja, aber
die staatliche sei sehr schlecht ausgestattet mit nur einem Arzt und keinerlei Geraeten. Ansonsten gibt es
noch zwei Privatpraxen, wo man jedoch zahlen muesse. Die Cousine war beim Privatarzt und hat
Antibiotika bekommen.
Saeeds Mutter fragt, ob wir noch immer zusehen wollten bei der Scheraktion. Klar. Wir gehen alle mit
hinaus in den Garten, dem ersten Schaf werden die Laeufe zusammen gebunden, und dann faengt sie mit
einer kleinen Haushaltsschere an, mit geuebten Handgriffen ganz eng an der Haut entlang zu schneiden.
Es ist muehsam mit dieser winzigen Schere. Ihre Schafschere ist stumpf und kaputt. Wir bieten an, ins
Dorf zu gehen, eine groessere zu besorgen und sofort wieder zu kommen. Nach langem Hin und Her
nehmen sie unser Angebot an, und wir laufen los, klappern alle Laeden ab und fragen nach Scheren.
Schliesslich kaufen wir die groesste Haushaltsschere, die wir finden koennen, und eine neue Schafschere,
laufen wieder zurueck. Muttern hat zwischenzeitlich mit ihrer Pipischere schon fast zwei geschoren, freut
sich ueber die neue Schafschere und schert Nummer 3. Das vierte muss warten. Sie ist traechtig und in
den letzten Zuegen, und Muttern will sie nicht stressen und damit womoeglich eine vorzeitige Geburt
ausloesen. Josef packt tatsaechlich die Wolle ein. Sie koennen es fast nicht glauben. Ich frage sie
nochmals, ob sie nicht etwas damit anfangen, Wolle spinnen, etc. Nein, die haben vieles schon verlernt.
Schade. Uns fiel gestern auch auf, dass die Palmen fast ueberall nicht richtig gepflegt werden, nicht
ordentlich beschnitten sind, Nebentriebe nicht weggeschnitten werden, teilweise sogar noch Datteln
vom Vorjahr drauf sind. Saeed erklaert uns, einer der Maenner, die normalerweise die Datteln ernten, sei
letztes Jahr abgestuerzt und gestorben; seitdem traue sich niemand mehr hoch. Dieser Mangel an
Eigeninitiative ist entsetzlich. Zum Nachbar hin ist bei irgendeinem Hochwasser vor Jahren die Mauer
eingestuerzt. Niemand fuehlt sich zustaendig und berufen, sie zu erneuern. Sie wissen nicht mehr, wie es
geht und haben kein Geld, jemanden zu beauftragen. Ausserdem sei der Nachbar Schuld und muesse die
Mauer ersetzten. Alles geht langsam kaputt, und man tut nichts dagegen. Ich glaube, ich wuerde
verrueckt, wenn ich das immer um micht haette. Warda zeigt uns noch den Weg zu einer weiteren alten
Lehmqasbah um die Ecke, und wir verabschieden uns. Laufen mit unserer Schafwolle spazieren und dann
wieder zum Womo zurueck, sind platt von dem endlosen Hin- und Hergerenne und chillen ein paar
Stunden in unserem lieblichen Gaertchen, das mittlerweile von lauter Franzosen besetzt ist. Die vier
Hollaender sind heute frueh weiter gefahren, aber der Platz ist schon wieder voll. Ich bin sicher, Saeed
und Warda koennten sich damit ein Zubrot verdienen.
Laufen am Spaetnachmittag nochmal los, suchen eigentlich ein in einer Qasbah untergebrachtes Museum
und ein Marabutgrab, finden aber nur das Grab. Marabuts sind Menschen mit besonderen Gaben, die
wie Heilige verehrt werden und deren Graeber immer wie kleine Moscheen aussehen und weithin
sichtbar sind, weil sie weiss getuencht werden.
Vorhin waren ein paar Wolken am Himmel, und seit morgens ist es recht truebe. Wir dachten schon, es
wuerde vielleicht regnen. Den Menschen hier waere es dringend zu wuenschen. Aber es ist mittlerweile
wieder klar.
14.3.
Verlassen Tezzarine nach dem Fruehstueck in Richtung Nekob, also Norden. Die Strecke fuehrt durch eine
breite Ebene mit recht viel Gruen, also wohl Wasser, und damit auch recht vielen Doerfern. Nekob liegt
am Fuss des Sargro-Massivs, einem oestlichen Auslaeufer des Atlas und die kaergste Gegend Marokkos.
Das Staedtchen wird ein wenig unterbewertet. Es stehen hier 45 Kasbahs, oder Wohnburgen, z.T. super
restauriert zu Hotels.
Wir laufen einige Zeit herum, bewundern die schoenen Lehmburgen mit ihren vier Ecktuermen, teilweise
verziert. Ein Mann sieht uns wohl herumstreichen und eilt mit den Schluesseln eines Hotels vorbei, das
offenbar trotz Hauptsaison voellig leer ist. Er macht eine Fuehrung mit uns und erklaert, ein Marokkaner
und ein Deutscher haben es gemeinsam saniert und umgebaut. Unterhalb des Hotels haben sie im alten
Stil noch ein Gaestehaus mit Apartments gebaut. Na dann, viel Glueck. Das wuenschen wir ihnen wirklich,
denn nur so kann diese wunderschoene alte Bausubstanz erhalten werden.
Wir trinken an der Hauptstrasse noch den obligatorischen Tee. Eine Wand im Teehaus ist dekoriert mit
der grossen Wandmalerei zweier Felsen, die an Monument Valley erinnern, und ich frage mich, ob es sie
wohl wirklich gibt oder ob sie der Fantasie des Kuenstlers entsprungen sind.
Wir fahren in die Berge, wissen nicht so recht, was uns erwartet. Laut unserer Karte ist die 80 km lange
Strecke, die wir fahren wollen, zur Haelfte Piste und zur Haelfte asphaltiert, die Aussagen der Leute in
Nekob sind jedoch widerspruechlich. Am Anfang der Strecke liegt ein Baustellenbuero, und wir fragen
dort. Der Mann erklaert uns, ca 50 km seien noch Piste, aber mit unserem Fahrzeug gut zu machen. Wir
vertrauen ihm, lesen Gott sei Dank vorher nicht in unserem Reise-Knowhow ueber die Strecke; sonst
haetten wir uns nicht getraut; da steht naemlich drin, dass es selbst mir 4 WD eine Herausforderung sei.
Jetzt wissen wir, was unser Womo kann. War nicht so schlimm. Mussten eben sehr langsam fahren, und
an manchen ganz steilen Stuecken haben die Raeder beim Bremsen blockert und der Koloss ist ein
bisschen gerutscht…bergauf hat der Allrad seine Leistung bewiesen.
Die Fahrt ging zunaechst recht entspannt los, dann steilste Piste und in Haarnadelkurven hinunter in den
Wadi. Das war das schwierigste Stueck.
Fuhren im Wadi bis Bab ’n Ali (das Tor von Ali), einem Dorf, das nach den zwei stelenartigen Felsen, die
oberhalb des Dorfes stehen, und die ich in der Teestube in Nekob gesehen hatte, benannt ist. Also gibt es
sie tatsaechlich!
Wir kaufen am Ortseingang einem huebschen Berbermaedchen ein umd denselben Troedel ab, den uns
immer die omanischen Kinder in den Doerfern aufgeschwatzt haben und fragen das Maedchen, ob man
zu den Felsen laufen kann. Kann man. Wir stellen das Womo ab und ziehen los. Zwar gibt es da auch noch
eine Schlucht, die mich ebenfalls sehr reizen wuerde zu erwandern, aber nun einigen wir uns erstmal auf
die Felsen. Machen einen Umweg, und kommen schliesslich von hinten heran. Auf dem Weg begegnen
uns so eine Art Eichhoernchen, sehen bestimmt fuenf oder sechs von ihnen. Sie sind sandfarben.
Es stellt sich heraus, dass es nicht nur zwei einzelne Felsen sind, sondern eine ganze Gruppe. Sie ragen
mindestens 50m auf und sehen wirklich imposant aus. Und immer wieder diese herrlichen Aussichten auf
das umliegende Gebirge. Wir umrunden sie und steigen den direkten Weg wieder hinab. Uns waren von
oben mehrere grosse, weisse Zelte unten am Dorfrand aufgefallen. Als wir dort ankommen, stehen da
mehrere Maultiere und ein Berg Gepaeck. Wir fragen die Maenner, die dort herum stehen, was es damit
auf sich habe. Sie seien die Lastentraeger fuer eine Gruppe von auslaendischen Wandern. Englaender
oder so. Wir begegnen ihnen. Es ist ein bulgarischer Reiseveranstalter, aber es sind auch ein paar
Andersprachige dabei. Sie wandern zwei oder drei Wochen lang durch Marokko. Super! Beneide sie ein
bisschen um ihre langen Wanderungen.
Eigentlich wollen wir hier uebernachten und morgen die Schlucht erwandern, aber Josef draengelt’s ein
bisschen weiter, und dann kommt nochmal so ein Verkaeufer, der uns irgendeinen Kram aufschwatzen
will, und ich denke, wer weiss, wieviele da noch kommen. Wir fahren weiter. Der Track verlaesst den
Wadi und schraubt sich nach oben. Es ist unglaublich karg, die Landschaft atemberaubend schoen. Wir
suchen schliesslich einen Platz zum Uebernachten, und ich sehe auf der Karte, dass irgendwo dort oben
eine Auberge namens Tiza ist. Wir ueberholen eine Frau, die ein Kind auf dem Ruecken traegt, wie
uebrigens alle Frauen hier, denn weder gibt es fuer Kinderwagen Geld, noch ist das Terrain dafuer
geeignet. Ein zweites Kind zieht sie an der Hand hinter sich her. Alle drei haben von der Sonne verbrannte
Gesichter. Ihre Haut ist beinahe rotbraun. Wenig spaeter steht dort tatsaechlich mutterseelenallein auf
einem kleinen Plateau zwischen zwei Schluchten, direkt neben der Piste, eine kleine Ansammlung von
Steinhaeusern. Ein Junge kommt heraus und sagt, wir koennen bleiben.
Von unten ruft die Frau den Weg hinauf, er soll Teewasser aufsetzen fuer uns. Es ist seine Mutter.
Bezahlen unseren Obulus fuer den Stellplatz mit Aussicht, und ich frage den Jungen noch ein bisschen
aus. Er hat noch eine Schwester ausser den zwei Kleinen. Die lebt bei einem Onkel unten im Dorf, damit
sie zur Schule gehen kann. Er selbst fahre jeden Tag mit dem Motorrad eine Stunde runter ins Tal zur
Schule. Ob sie Ziegen und Schafe haben. Nein, nichts. Und wovon sie dann lebten? Denn dort oben gibt
es kein Wasser fuer Felder. Sein Vater verkaufe diesen Krempel an Touristen. Nicht zu glauben. Nachts
verkriechen wir uns recht bald, weil es kalt wird. Die Nacht ist so klar, dass die Sterne die Berge
beleuchten – man sieht die Konturen der Berge ganz klar gegen den Himmel, obwohl kein Mond am
Himmel ist.
15.3.
Der Junge schiebt gegen 7:30 sein Motorrad vorbei, dann kommt sein Vater hinterher; es ist der Mann,
der uns gestern Abend in Bab n Ali noch versucht hat, irgendwas zu verkaufen. Die Welt ist klein hier in
den Bergen. Laufen nach dem Fruehstueck auf eine Felsnase hinter dem Haus hinaus und schauen zu
beiden Seiten hinunter in eine Schlucht. Es gibt einen Weg hinunter. Die Frau des Hauses, das Kleine Kind
wieder auf dem Ruecken, der zweite spielt im Sand neben ihr mit eigentlich gar nichts, hockt hinter dem
Haus auf dem Boden und backt in einem aus Lehm und Stroh gemachten flachen Ofen Brot. Ich frage sie,
ob ich ihr spaeter ein Brot abkaufen kann. Dann zeigt sie uns den Weg hinunter in die Schlucht. Wir
sinnieren darueber, dass unsere Kinder nie und nimmer so klaglos den ganzen Tag auf unserem Ruecken
oder mit einer Handvoll Sand verbringen wuerden. Ich frage mich, wie die Frau es hier oben aushaelt. Ich
konnte mich nur schwer mit ihr verstaendigen. Sie spricht nur Amazigh, ganz wenig Franzoesisch und fast
kein Arabisch. Sicher ist sie nie zur Schule gegangen. Ihr Mann verlaesst offenbar morgens mit dem
grossen Sohn das Haus und versucht den ganzen Tag, unten im Tal seinen Kram unter die Leute zu
bringen, und sie ist mutterseelenallein dort oben mit den zwei kleinen Kindern. Sie stammt aus einem
anderen Dorf weiter weg, sieht wahrscheinlich nur ganz selten mal andere Menschen. Fuer sie waere es
gut, wenn die Strasse bald asphaltiert wird; dann kaemen vielleicht mehr Menschen dort vorbei.
Die Wanderung hinunter ist schoen. Wir klettern durch das ausgetrocknete Bachbett ueber Hinkelsteine,
mal groesser, mal kleiner, vielleicht ein Drittel oder noch weniger des Weges hinunter in den Wadi. Wir
koennen nicht bis ganz runter; das waere zu lang und zu anstrengend. Aber die Perspektiven und
Aussichten sind wieder grandios. Direkt neben uns immer wieder riesige Felssaeulen, weiter unten samtig
gruene, ebenere Flaechen und in der Ferne vor uns endlose Berge in allen Grau- und Blautoenen.
Darueber der tiefblaue Gebirgshimmel. Ein Traum. Wuerde hier gern noch mehr wandern. Vielleicht
spaeter. Jetzt kehren wir um, ich kaufe unserer „Vermieterin“ noch ein Brot ab, und wir erklimmen die
letzten ca 200 Hoehenmeter bis zum Hochplateau und Pass (2300 m?). Erst recht steil und engkurvig,
dann sanft geht es auf der anderen Seite wieder hinunter. Durchqueren ein breites Hochtal und sind
dann auf dem asphaltierten Teil, verlassen das Sarqro-Massiv, vor uns langweiliges Flachland und
dahinter die hoch aufragenden, schneebedeckten Berge des Atlas. Fahren zuegig bis zur
Ostwestverbindung zwischen Ouarzazate und Rashidya und auf dieser ins nahe Boumalne du Dades, dem
Zugang zur Dades-Schlucht, Teil des Atlas und unser naechstes Ziel. Decken uns wieder mit ein paar
Lebensmitteln ein und fahren in die Schlucht. Nach all dem wasserlosen Grau, Braun und Beige ist die
Schlucht ein ganz unglaublicher Kontrast: Der Dades sprudelt, viel Schmelzwasser fuehrend, braun und
schnell durch das streckenweise breite Tal mit knallgruenen Feldern, hohen Silberpappeln, Olivenhainen,
bluehenden Mandel- und Aprikosenbaeumen, dann wieder durch ganz schmale Durchgaenge mit hoch
aufragenden Felswaenden zu beiden Seiten. Die lehmroten Doerfer und die dahinter liegenden dunkel
orangefarbenen Berge bilden einen herrlichen Kontrast. Immer wieder ragen Lehmwohnburgen auf,
teilweise schoen restauriert. Wir sind zum ersten Mal in einer richtigen Touristenecke, sehen aber kaum
Touristen, nur viele, viele Unterkuenfte und Restaurants. Sie leiden hier sehr unter den Unruhen in der
arabischen Welt, obwohl es bisher friedlich ist. Es muessten viel mehr Touristen hier sein um diese
Jahreszeit. Wir fahren noch ein Stueck den Dades hinauf. Es wird immer kuehler und windiger, aber
dafuer auch weniger mit Hotels gespickt. Ein alter Mann winkt an der Strasse und bedeutet uns, er
brauche Wasser zu trinken. Ich gebe ihm eine unserer Flaschen. Da fragt er nach twas zu essen. Also gebe
ich ihm ein Brot und La Vache Qui Rit Kaeseecken. Er wittert Morgenluft und fragt nach Kleidung und
Schuhen. Nun ist dann gut. Ich gebe ihm die immer wiederholte Formel „Allah ye3ounak“ mit auf den
Weg, was soviel bedeutet wie „Gott helfe dir“, er bedankt sich mit einem „Ameen“ (Amen) und trollt sich.
Das erleben wir noch oft.
Wir finden einen netten Platz direkt am Dadesufer, lieblich mit zwei kleine jurtenaehnlichen Rundbauten
und zwei runden weissen Zelten, ansonsten Baeumchen und kleinen Sitzecken ausgegestattet. Es ist ein
wenig verwahrlost, aber sieht aus, als wuerden Hippies das Anwesen fuehren. Wir sind die einzigen
Gaeste. Ein Mann kommt und begruesst uns, er sei aber nicht der Verantwortliche; der kaeme
irgendwann.
Wir drehen noch eine kleine Runde, aber weit geht es nicht, denn die Schlucht verengt sich derart, dass
gerade mal Platz ist fuer den tobenden Fluss und eine schmale, aus dem Fels heraus gekratzte Strasse.
Trauen uns erst einmal nicht da durch. Auf der anderen Strassenseite gibt es noch zwei Restaurants, die
aber auch wie ausgestorben wirken. Dann kommt doch ein Mann heraus und begruesst uns, fragt, ob wir
essen moechten. Wir sagen ihm, vielleicht morgen, versprechen jedoch nichts, weil wir nicht recht
wissen, ob wir bleiben. Es ist naemlich so, dass wir gestern in kurzer Hose und T-Shirt bei lieblichen 20 –
25 Grad durch die Schlucht im Sargro gewandert sind, die Temperatur hinter dem Pass, also auf der
Nordseite dann jedoch schon um ein paar Grad gefallen war, und als wir hier die Dades-Schlucht hinauf
fuhren, immer mehr fiel. Und es blaest ein strammer, kalter Wind. Mal wieder. Wir stehen mit der Nase
direkt am Dades; auf der anderen Uferseite, etwas versetzt, ist ein offenkundig stillgelegtes Hotel, auf
dieser Seite das ehemalige dazugehoerige Restaurant und Parkplaetze. Ziemlich haesslich, das gesamte
Ensemble. Wir gucken halt zur anderen Seite. Irgendwann taucht der freundliche Yousef auf, der
Verwalter hier.
Das Plaetzchen gehoert einer Schweizerin, erklaert er uns; also, sie hat es gepachtet vom
Restaurantbesitzer gegenueber, der uns bekochen wollte, und hat es gestaltet, sei jedoch nur ab und zu
hier. Sie ist Lehrerin in der Schweiz. Der eine Rundbau und die Zelte werden im Sommer, wenn hier in
den Bergen wohl Touristensaison ist (drum wirkt jetzt alles so ausgestorben), vermietet. Den anderen
bewohnt er, wenn er hier ist, denn seine Familie lebt im Dorf hinter der Engstelle der Schlucht. Ansonsten
ist es das Reich der Schweizerin. Total gemuetlich, mit kleiner offener Kueche, einem vollen Buecherregal
als Raumteiler, einer netten Sitzecke und einem kleinen Holzofen.
16.3.
Morgens gehe ich zu Yousef, der hier uebernachtet hat (es laeuft „Purple Rain“ im Hintergrund), und
frage ihn, ob wir Wasser auffuellen koennen bei ihm, komme ein bisschen ins Gespraech, frage ihn, wie
er die Abende hier rum bringt, und er zeigt mir Muetzen, die er strickt. Huch! Er ist gar kein Hippie,
ausser, dass er die westliche Musik gern hoert und hin und wieder einen Joint zieht, was jedoch hier
offenbar nicht ungewoehnlich ist. Ja, also die Muetzen. Die Wolle mache seine Frau. Ob sie auch
Teppiche mache? Klar, sagt er. Ich erzaehle ihm, dass wir, seit wir hier sind, auf der Suche nach einer
direkten Teppichquelle sind. Er bietet ganz unaufdringlich an, mit uns ueber den Berg ins Dorf zu laufen,
damit wir die Teppiche seiner Frau ansehen koennen. Gesagt, getan. Josef ist etwas ueberrumpelt, findet
es aber natuerlich auch spannend. Der Wind ist eisig und es graupelt, als wir loslaufen, und wird auf freier
Strecke oben auf dem Berg so stark, dass er mich fast umweht. Aber es ist super schoen, die gefaeltelten
braunen Berge um uns herum der Hammer. Bis vor drei Jahren gab es die eroehte und befestigte Strasse
an der Schluchtenge nicht. Da sind die Leute durch den Wadi gelaufen und gefahren, und im Winter gar
nicht bzw. zu Fuss eben ueber den Bergpfad, den wir jetzt nehmen. In den USA hatten die Trails so nette
Namen wie Angel’s Landing oder Porcupine Creek. Den hier muesste man analog Dogshit Trail nennen. Ist
wie die Hunderunden ausserhalb der Staedte und Doerfer in Deutschland, nur ohne Gras, das drueber
waechst, ohne Regen, der es weg waescht, und ohne schwarze Plastiktueten. Mit uns laeuft Bruno, der
junge Mischlingshund von Yousef, der ganz ausser sich ist vor Freude ueber den „Spaziergang“ (Yousef
laeuft unlgaublich schnell und entspannt vorweg; wir haben ein wenig Muehe, hinterher zu kommen).
Nach etwa 20 Min Fussmarsch stramm bergauf, laufen uns zwei klaeffende Hunde entgegen. Bruno
versteckt sich hinter uns. Da ist am Berg eine gemauerte Einfriedung mit Ziegen und Schafen darin. Ein
recht junger Mann mit wettergegerbtem Gesicht steht dort. Daneben ist der niedrige Eingang zu einer
Hoehle. Eine Frau und ein kleiner Junge kommen heraus und begruessen uns scheu aber sehr freundlich.
In der Hoehle sitzt noch ein kleines Maedchen auf einem Deckenlager. Sie ist erkaeltet und muss das Bett
hueten. Es sind Berbernomaden, alles sehr schoene Menschen. Wir haben ueber sie gelesen. Es ist so kalt
und windig hier oben, und der einzige Schutz ist diese kleine, dunkle Hoehle. Sie besitzen fast nichts,
ziehen tatsaechlich umher: Im Winter sind sie am Fuss des Jebel Sargro unten in der weiten Ebene, die
wir durchquert haben. Jetzt im Fruehjahr ziehen sie hier rauf in die Flusstaeler, und in ein paar Wochen
gehen sie weiter hinauf in den Hohen Atlas, wo sie den Sommer verbringen.Yousef erzaehlt uns, die
meisten ihrer Familienangehoerigen seien mittlerweile sesshaft, aber sie haetten dieses Leben gewaehlt,
es gefalle ihnen. Es wirkt so hart und entbehrungsreich. Zwei ihrer fuenf Kinder sind gestorben. Den
Aeltesten sehen wir nicht, er ist mit einer Herde weiter oben unterwegs. Wir verabschieden uns und
laufen weiter den Berg hinauf, treffen nach einiger Zeit wieder auf bellende Hunde und das naechste
Lager. Diese Familie wohnt in einer Steinhuette. Die Frauen und Maedchen verstecken sich vor uns; der
Mann bietet Tee an. Wir lehnen dankend ab. Die Ziegen und Schafe laufen herum, in einer Einfriedung
ein paar der fuer den Maghrib offenbar typischen Kamele: klein und mit ganz dunklem Fell. Ihr Hab und
Gut ist hinter der Huette unter Plastikplanen verstaut. Auch sie ziehen in zwei Wochen weiter. Ich frage,
ob die Huette ihm gehoere. Yousef sagt, nein. Die habe irgend jemand irgendwann gebaut. Auch die
Hoehlen seien sozusagen Gemeinschaftseigentum. Wer zuerst kommt, bewohnt sie fuer die Zeit, die er
da ist. Der Mann bittet Yousef um eine Zigarette. Ich gebe ihm noch welche von mir, und wir laufen
weiter, kommen an Loechern im Boden vorbei, wo irgendwann Kupfer gewonnen wurde. Ploetzlich
koennen wir hinunter schauen ins Dades-Tal, und vor uns liegt das malerische alte Dorf mit seinen
lehmfarbenen Wohnwuerfeln und daneben das neue Dorf mit den rot gestrichenen, verputzten
Haeusern.
Dazwischen ganz viel Gruen. Wir durchqueren einen bluehenden Mandel- und Pfirsichhain, der an den
kargen Hang gepflanzt wurde. Hier kommt eine kleine Quelle aus dem Berg. Yousef erklaert uns, dass sich
leider niemand mehr kuemmere um das Fleckchen, die Eigentuemer im Land verstreut und zerstritten
seien. Wie bei uns mit den Streuobstwiesen. Der Weg geht in langem Zickzack hinunter ins Dorf. Yousefs
Haus bestand urspruenglich aus einer in den Berg geschlagenen Hoehle, davor ein kleiner Lehmbau als
Kueche, dazwischen ein Lichthof. Mittlerweile ist der Lichthof umbaut und ueberdacht, aber die Hoehle
ist nach wie vor das einzige richtige Zimmer mit Matten auf dem Boden, der aus gestampftem Lehm
besteht, wie die Waende. Im Dach ueber dem ehemaligen Lichthof ist eine Luecke, damit ein wenig Licht
eindringen kann. Es ist nur eine im Wind flatternde Plane darueber. Ansonsten steht im Lichthof ein
grosser Webstuhl, mit dem seine freundliche Frau Fatima die Teppiche herstellt. Sie holt einen Korb mit
gesponnener Wolle, zeigt uns wie sie die Wolle kaemmt und dann zu einem Faden spinnt. Sie macht alles
selbst – nur das Faerben nicht.
Zwei kleinere Kinder springen herum, es kommen noch zwei weitere dazu. Insgesamt haben sie neun
Kinder, wovon die vier juengsten noch zuhause leben. Das allerjuengste, gerade mal fuenf, ist das einzige
Maedchen. Die anderen sind ueberall im Land verteilt. Yousef sagt, er sei 51. Seine Frau wirkt viel aelter,
abgearbeitet. Sie haben beide sehr schlechte Zaehne. Aber sie wirken froh und zufrieden und gehen alle
sehr freundlich und respektvoll miteinander um. Es gibt den obligatorischen Tee (Seit wir hier sind, habe
ich davon bestimmt schon 100 L getrunken, obwohl wir 9 von 10 Einladungen zum Tee ausschlagen, weil
wir sonst den ganzen Tag nichts anderes machen wuerden.) Wir sitzen auf den einzigen Moebelstuecken,
kliztekleinen Hoeckerchen, und der Tee steht auf einem runden niedrigen Tablett-Tisch. Wir kommen
zum geschaeftlichen Teil, schauen uns Teppiche ueber Teppiche an, entscheiden uns fuer 3 Stueck und
legen sie zur Seite. Trinken die zweite Kanne Tee, waehrend Fatimas Mutter herein schlurft, uns
freundlich begruesst und sich dann in der duenklen Kueche neben das Fenster, das praktisch kein Licht
herein laesst, auf ein Hoeckerchen setzt. Sie lebt auch hier. Ob sie auch mit in der Hoehle schlaeft?
Wahrscheinlich. Anschliessend kommen zwei der Jungen aus der Schule. Der andere, der schon da war,
hat erst am Nachmittag Schule. Sie unterrichten hier im Zweischichtbetrieb, weil es zu viele Kinder und zu
wenige Schulen gibt. Zwischenzeitlich hat Fatima, in der Kueche auf dem Boden hockend, auf einem
gewebten Plastiksack Teiglinge zu Fladenbroten geformt und gebacken. Es gibt ein Schuesselchen
Olivenoel dazu und ist fuer uns alle das Mittagessen. So genuegsam und so lecker! Yousef erzaehlt, zwei
Fernsehsender haben schon Reportagen ueber ihn und Fatima gemacht. Er fertigt traditionelle Sandalen
und sie die Teppiche. Darueber gibt es wohl auch Filme auf You Tube. Muessen wir mal suchen.
Danach kommen wir zum geschaeftlichen Teil, und es beginnt eine lange, freundliche Verhandlung.
Yousef tut so, als sei Fatima die Strenge, als wuerde er uns gern einen besseren Preis machen. Wir
einigen uns irgendwie, wollen dann zum RV zurueck laufen, damit herfahren und die Teppiche
einsammeln. Als wir hinaus kommen, ist es sonnig und warm, nichts von dem kalten Wind zu spueren,
der uns auf dem Weg hierher die Wangen zum Gluehen gebracht hat. Yousef kommt mit uns raus und
zeigt uns den Rest seines Grund und Bodens hangaufwaerts. Und siehe da: er ist keineswegs so arm wie
es den Anschein hat. Neben dem Haus, das sie bewohnen, steht nochmal ein aelteres, ebenfalls vor eine
Hoehle gebaut, aber solider und heller. Dort hat er seine Ausstellungsraeume fuer seine Sandalen und
allerhand anderes. Oberhalb seines Hauses schlaegt er gerade mit dem Pickel eine weitere Hoehle in den
Berg. Hier soll ein weiteres Haeuschen entstehen. Und daneben hat er ein viertes Haus in Arbeit. Es
besteht aus zwei Zimmern uebereinander. Sehr schoen gearbeitet. Fuer wen das alles? Fuer seine vielen
Kinder, sagt er. Na, hoffentlich bleiben die dann auch im Dorf, und er macht nicht alles umsonst. Ich
wundere mich, dass er mit seiner Frau im dunkelsten der Haeuser wohnt. Waehrend wir das alles
bewundern, rennt Bruno, der Hund, davon und jagt eine Nachbarshenne. Josef und Yousef springen
hinterher und holen ihn zurueck. Kaum laesst Yousef seinen Nacken los (ein Halsband gibt es nicht),
springt er wieder zurueck. Die zwei Jungen rennen ihm hinterher. Schliesslich machen wir uns auf den
Weg, diesmal die Strasse entlang, zurueck zum Womo. Einer der Soehne, der sechsjaehrige Amin, und
Hund Bruno begleiten uns huepfend und taenzelnd, dass mir ganz schlecht wird, weil es direkt neben der
Strasse senkrecht runter in die Schlucht bzw den tobendes Dades geht. Packen alles zusammen, tanken
noch Wasser, lassen Bruno dort und fahren mit dem total gespannten Amin auf dem Vordersitz zurueck
ins Dorf zu seinen Eltern, laden die Teppiche ein und die Wolle aus Tazzarine aus (Hatten beschlossen, sie
Fatima zu schenken; sie faengt damit mehr an als wir) und sagen Yousef, dass wir eventuell heute Abend
zurueck kommen, jedoch zunaechst das Dades-Tal bis zum Ende der Teerstrasse hochfahren wollen. Die
Fahrt ist sehr spannend, die Doerfer ganz unwahrscheinlich, die Ausblicke unglaublich. Oben in einem
Hochtal liegt M’Samrir, ein erstaunlich grosses Dorf, sehr zersiedelt. Hier oben herrscht noch tiefster
Winter. Es sind nur 3 Grad, der Wind pfeift, und alles ist noch kahl. Das ganze Dorf ist dunkelbraun: die
Haeuser, die hier aus dunkelbraunem Stein sind, der dunkelbraune Steinboden, die dunkelbraune Erde
auf den Feldern. Es wirkt trostlos, aber die Leute sind freundlich, wie alle Berber bisher. Wir machen uns
auf den Rueckweg, kommen wieder bei Yousef an, trinken in seiner Jurte noch einen Tee mit ihm und
gehen bald ins Bett. Es ist lausig kalt.
17.3.
Verabschieden uns morgens von Yousef. Er schenkt Josef eine seiner selbstgestrickten Muetzen und mir
eine Miniaturausgabe seiner Berbersandalen. Ich haenge sie ans Autofenster zu den Troddeln, die wir
den Berbermaedchen am Sargro abgekauft haben. Moegen sie uns Glueck bringen. Wir fahren wieder die
Schlucht hinunter bis nach Ait Arbi, wo der Einstieg in die Gorge Doigt du Singe (Affenfingerschlucht) ist.
Laufen los und haben im Dorf ganz rasch zwei Jungen an den Fersen, die uns fuehren. Es sind zwei oder
drei Touristengrueppchen mit marokkanischem Fuehrer unterwegs. Die sind zu uns immer sehr
unfreundlich; die wissen, dass wir ihre Dienste nicht wollen und brauchen und sind bestimmt sauer, weil
die Dorfkinder immer Fuehrer spielen und ihnen ihr Geschaeft wegnehmen. Unsere beiden Jungs klopfen
an eine Kasbahtuer, und ein Weib, duerr mit schiefen Zaehnen und Schielaugen, aber sehr freundlich,
macht uns auf und geht mit uns durch die Wohnfestung. Sie wohnt daneben in einem neuen kleinen
zementierten Haus, und die Kasbah verfaellt allmaehlich.
Wir verabschieden uns dankend von ihr und den beiden Jungen, denn sie muessen in die
Nachmittagsschule, entrichten an alle drei einen kleinen Obulus, wie es erwartet wird, und suchen nach
dem Schluchtzugang. Kommen an einem Kindergarten vorbei, ein dunkler Raum, der nur durch die Tuer
Licht bekommt. An Schulbaenken sitzen Kinder von 3 bis 6 Jahre alt, malen oder schreiben, je nachdem,
was sie schon koennen. Es gibt keine Spielsachen, keine gemuetliche Ecke, wo die Kinder auf dem Boden
spielen koennten, nur den nackten Estrich. Wenn ich das mit unseren Kindergaerten vergleiche,….!
Der naechste Junge, Hassan, heftet sich an uns, als wir nach dem Schluchtzugang suchen. Gut so, denn
wir haetten es ohne ihn nie gefunden und, wenn doch, uns auch gar nicht weiter hinein getraut. Denn die
Schlucht windet sich ganz eng. Wir muessen durch Wasser, an glatten Waenden hoch, unter riesigen
Hinkelsteinen hindurch. Da er vorweg geht und uns immer zeigt, wo wir den Fuss hinsetzen muessen, wo
wir uns festhalten und hochziehen koennen, geht es. Nach etwa einer Stunden kommen wir aus der
engen Schlucht, und Hassan will den Trampelpfad zurueck ins Dorf laufen.
Wir wollen noch ein Stueck weiter, verabschieden uns von ihm, da der Rueckweg ueber den Pfad wohl
einfach ist, versprechen ihm einen kleinen Lohn, haben aber nicht genug dabei jetzt. Laufen weiter hinauf
und kommen in ein Hochtal mit zwar angelegten jedoch nicht eingesaeten Feldern. Sehen ein paar leere,
verlassene Behausungen, in der Ferne klaefft ein Hund. Hassan hatte gesagt, hier oben seien Beduinen
mit ihren Herden. Wir sehen nur in der Naehe des Hundes einen Menschen, drehen aber dann
irgendwann um. Von den anderen Touristen sehen wir nur ein Paerchen, aber ohne Fuehrer, die bis oben
hin durch den engen Canyon geklettert sind. Chapeau – so ganz allein.
Ein Trampelpfad fuehrt hinunter in einen Parallel-Wadi, der im gleichen Dorf endet. Wir nehmen den und
laufen, unten angekommen, ca. 2 km lang durch einen sehr breites, knochentrockenes Kies-Wadi,
kommen am anderen Ende des Dorfes raus. Hier kommt kurz vor dem Dorf und dem Dades eine Quelle
aus der Wand, und gleich sind da schoen gruene Felder. Man sieht, dass da irgendwann riesige
Wassermassen alles mitgerissen haben, armierte Felderbegrenzungen wie Deiche liegen kreuz und quer
herum. Wir fragen einen Bauern, und er zeigt uns, dass im Winter 2016/2017 das Wasser die Haelfte
seiner Felder mitgenommen hat. Da springt keine Regierung ein und zahlt Entschaedigungen, wie bei uns
den Obstbauern nach den Frostschaeden im Fruehjahr letzten Jahres. Wenn die Leute nicht mehr genug
Nahrungsmittel selbst produzieren koennen, sind sie gezwungen, abzuwandern. Denn hier gibt es keine
Jobs.
Muessen nochmal zum anderen Ende laufen, um Hassan sein wohl verdientes Entgelt fuer die gute
Fuehrung durch den Canyon zu geben. Am Ende sind wir heute ueber 5 Stunden gelaufen. Reicht dann
auch. Ueberlegen kurz, ob wir im Kies-Wadi uebernachten, verwerfen es dann jedoch und fahren ein
Stueck weiter zum einzigen Restaurant, dessen Terrasse noch in der Sonne liegt. Bis unser bestelltes
Couscous kommt, ist die Sonne allerdings hinter dem Berg verschwunden und wir muessen drinnen
essen. Schmeckt uebrigens fad, wie alles bisher, was wir nicht selbst gekocht haben, bis auf den Gockel in
Midelt und das Kebab an der Strasse. Vielleicht koennen sie nur Fleisch richtig gut.
Kurz vor Ende der Dades-Schlucht fahren wir in ein Kies-Wadi, und hier stehen wir nun und hoffen, dass
die Vorhersage mit 0% Regenwahrscheinlichkeit stimmt.
18.3.
Geregnet hat es nicht, und windig war es auch nicht. Dennoch haben wir beide ein bisschen unruhig
geschlafen – zum Einen, weil es halt doch nicht ganz ungefaehrlich ist, im Wadi zu sein; zum Anderen, weil
die Piste nach hinten in die Doerfer an uns vorbei fuehrt und mitten in der Nacht noch oder schon wieder
Wagen vorbei fahren. Aber dafuer hatten wir wieder einen ganz unglaublichen Sternenhimmel! Morgens
sitzen zwei Ziegenhueterinnen auf einer Anhoehe und schauen unverwandt und reglos bis zu unserer
Abfahrt zu uns herunter, winken auch nicht, als wir winken, was hier schon sehr ungewoehnlich ist. Denn
es gruesst uns praktisch jeder, der uns begegnet, so dass wir taeglich hunderte von Malen winken und
Salaam Aleikum rufen.
Wir fahren zurueck zum Hauptfluss, dem Dades, und den hinunter, bis wir wieder nach Boumalne du
Dades kommen. Ich sehe von der Strasse ein Hinweisschild zum Hammam. Es ist Zeit, Haare zu waschen.
Josef laeuft ins Staedtel, und ich gehe duschen.
Ist genauso aufgebaut wie das in Debdou, ausser dass es nur einen Eingang gibt und Maenner und Frauen
zu unterschiedlichen Zeiten baden. Auch hier wird das Eintrittsgeld von 1,50 EUR von einem Mann
kassiert. Dahinter eine Sammelumkleidekabine mit einer durchsetzungsstarken Bademeister-Dragonerin,
die mir Eimer und Schoepfer gibt und meine Sachen fuer mich aufbewahrt, dahinter 3 gekachelte,
vollkommen schmucklose Raeume, wovon der erste der kuehlste ist, der dritte dem Holzofen am
naechsten und also wie ein Dampfbad ist. Es ist recht voll, weil es Samstag ist und die Leute frei haben.
Wieder lauter wunderschoene Frauen und Maedchen und ein paar kleine Kinder. Schoene, sehr
beschauliche Stimmung, wie alle an sich herum schrubben.
Mit frisch gewaschenem Haar folgen wir dann der N10 Richtung Westen. Die ist richtig viel befahren,
denn es ist suedlich vom Atlas die wichtigste Ost-West-Verbindung. Trinken am Wegesrand einen Tee
und schauen dem Verkehr zu. Es sind viele Touristenbusse und Jeep-Touren unterwegs. Nach gerade
einmal 24 km, in Qala’at Al Mgouna biegen wir zum sogenannten Rosental nach Norden ab. Laut unserem
Wanderbuechlein gibt es hier ein paar schoene Touren zu laufen. Fahren bis nach Bou Thrarar auf 1600m
hoch, was eigentlich das Ende der Teerstrasse sein soll, bevor sich die Piste weiter hinauf in den Atlas
windet. Dort fliessen zwei Fluesse zusammen, und das Dreieck ist wunderschoen gruen mit Espen,
kleinen in Terrassen angelegten Feldchen fuer Weizen und Gerste, Mandel- und Aprikosenbaeumen, die
eben bluehen, sowie natuerlich Rosen, fuer die dieses Tal, wie die ganze Gegend, beruehmt sind.
Allerdings bluehen die erst im Mai. Parken an der Strasse und versuchen, den Einstieg zur beschriebenen
Wanderung um die Oase zu finden, was aber ganz unmoeglich ist, weil uns, erstens, orkanartiger Wind
aus dem Tal entgegen blaest, und weil der Fluss, zweitens, zu viel Wasser fuehrt. Also laufen wir der Nase
nach in die anderen Richtung, was auch sehr schoen ist. Erst ein bisschen durch das alte Dorf. Es
begegnen uns, wie immer, viele Kinder, auf dem Heim- oder Schulweg. Sie wollen immer „un stylo“
(Kugelschreiber), die Jungs oft einen „ballon“ (Ball), ansonsten wahlweise Bonbons oder einen Dirham.
Wir haben schon Dutzendweise Kugelschreiber gekauft und an Kinder verteilt, ab und zu auch Datteln,
aber Geld eher nicht. Man erzieht sie ja zum Betteln. Im Wadi sitzen Frauen und waschen Waesche,
ebenfalls ein omnipraesenter Anblick. Nach drei Stunden kehren wir zum Auto zurueck. Dort sitzen treu
und redlich zwei Jungen, die sich zum Parkwaechter ernannt und denen wir einen Dirham versprochen
hatten, wenn sie beim Auto bleiben – obwohl ich hier nie Angst ums Womo habe, ausser in den Staedten.
War mehr eine ABM als Notwendigkeit.
Wir beschliessen, noch ein wenig hoeher zu fahren, bis zum Ende der Asphaltstrasse und ggf zurueck zu
kommen und hier im Wadibett zu uebernachten. Die Strasse fuehrt hinaus aus der Oase und auf 1800m
hinauf. Im Hintergrund begleiten uns immer die schneebedeckten Haenge des Hohen Atlas.
Seltsamerweise wird es hier oben immer waermer und windstiller. Am Ende sind wir in einem sehr
grossen Hochtal, dass offenbar viel Wasser bietet, denn hier sind unerwarteterweise viele Doerfer, eines
huebscher als das andere, die Lehmhaeuser hier tiefrot.
Am Ende der Strasse, zwischen zwei Oasen, finden wir gleich hinter den letzten Mandelbaeumen ein
ebenes Plaetzchen – der Fussballplatz des Dorfes – mit grandiosem Blick auf die Schneeberge vor uns und
die Mandelbaeume hinter uns. Es ist Sonntag, und wir gucken Tatort – man soll es nicht glauben. Josef ist
ganz begeistert von seinem Spielzeug. Sobald wir irgendwo fuer die Nacht ankommen, faehrt er die
Antenne raus.
Ich gehe, wie jeden Abend, noch einmal raus, eine rauchen, und den Sternenhimmel geniessen. Seit
einigen Tagen haben wir keinen Mond.
19.3.
Wollen einen Spaziergang machen und laufen Richtung Schneeberge.
Kommen ueber eine Kuppe, und siehe da, unter uns ist ein breiter Wasser fuehrender Wadi, und einige
Frauen sind am waschen. Das will ich auch schon seit Tagen machen, und wir laufen zurueck, holen
Waesche, Eimer und Seife und gesellen uns zu den Waschfrauen.
Werden auf dem Weg wieder von einer Horde Jungs begleitet, die sich aber beim Waeschewaschen rasch
langweilen und trollen. Als unsere Waesche eben fertig zum Ausspuelen ist, versiegt das Wasser
ploetzlich. Erst jetzt kapieren wir, dass das Wasser nicht das Flussbett hinunter kam, sondern von den
Aeckern aus einem Bewaesserungskanal, einem Falaj. Na, super! Irgend jemand hat da oben den Kanal
einfach dicht gemacht. Wir gucken etwas ratlos, und die Frauen um uns rum brauchen auch noch Wasser.
Eine der Frauen spingt den Hang hoch und macht irgendwo einen Kanal auf, so dass nach ein paar
Augenblicken wieder Wasser leauft – zwar recht lehmhaltiges, aber immerhin. Wir warten ab, bis es
einigermassen klar wird und spuelen die Waesche aus, bedanken uns bei den Frauen laufen mit unserem
Kram wieder zurueck zum Womo, wiederum begleitet von einer Horde Kinder, diesmal Maedchen. Es ist
gerade Schichtwechsel in der Schule, und alle machen einen Umweg und stroemen an unserem Womo
vorbei, fragen nach dem Ueblichen, bis auf eine Frau, die Medikamente fuer ihre Tochter will, die
Kopfschmerzen hat. Nach einigem Nachfragen, vermute ich, dass sie eine Brille braeuchte, und die
Mutter meint, ich koennte die ja bezahlen, woraufhin ich ihr voschlage, eine ihrer Ziegen zu verkaufen
fuer die Brille. An das erste Dutzend Kinder verteilen wir Kulis, an das zweite und dritte Datteln. Josef
stellt einen Teller davon auf unseren Tisch, und sie sind schneller weg als er gucken kann: binnen zwei
Sekunden. Hier oben ist es zu kalt fuer Dattelpalmen, und so sind sie offenbar sehr begehrt. Die
Kinderschar belagert uns weiter. Schliesslich holt Josef die Camera raus und macht Anstalten, sie zu
fotografieren. Sie stieben auseinder wie ein Fischschwarm beim Anlick eines Haifischs. Das haette man
filmen muessen. Niemand laesst sich hier fotografieren, auch die Kinder nicht. Es scheint einer
Todsuende gleich zu kommen. Wir wollen noch ein bisschen unser schoenes Plaetzchen hier geniessen
und lesen, aber es gelingt nicht recht, da eine kleine Gruppe Jungen uns belagert. Endlich trollen sie sich,
aber jetzt ist es vorbei mit der Gemuetlichkeit, und wir machen uns auf den Rueckweg zum Tal der Rosen.
Irgendwo da oben in den nackten Bergen laeuft ein Mann und wartet auf eine Mitfahrgelegenheit mit
einem Sammeltaxi. Wir nehmen ihn mit bis ganz runter zum Eingang des Tales, hoeren dabei Amr Dhiab,
und er wippt entspannt zum Takt. Wir schweigen alle recht entspannt, bis er aussteigt. Kaufen noch ein
paar Stuecke von der kitschig-rosa Rosenseife und fahren auf der N10 50km weiter Richtung Westen bis
Skoura, der naechsten Oase. Hier soll es eine liebevoll restaurierte Qasbah mit Museum geben, die wir
uns morgen anschauen wollen. Skoura ist fuerchterlich schmutzig und chaotisch. Wir trinken an der
Hauptstrasse einen Tee. Neben uns hat ein Mann seinen Verkaufstisch fuer Zigaretten. Er schiebt die
Schachteln zur Seite, schneidet in der Hand eine Zwiebel ganz klein, oeffnet eine Dose Sardinen, die er
akribisch saeubert und mit den Zwiebeln vermischt, geht sich die Haende waschen, bekommt ein
Kaennchen Tee, schenkt ein Glas aus einem Meter Hoehe ein, giesst es zurueck in die Kanne, wiederholt
diese Prozedur noch dreimal – das ist das normale Teeritual hier – und faengt dann sehr genuesslich an,
seine Sardinen mit Brot aufzutunken. Wir ziehen weiter, suchen einen Schlafplatz, sehen zur
restaurierten Qasbah gehoerig einen Campingplatz, wuerden aber gern lieber wild stehen, fahren weiter,
und weiter und weiter, bis wir aus der Oase raus sind und wieder Richtung Norden auf die Berge
zufahren, bis wir nach 25 km ins naechste Dorf am Fusse der Berge ankommen. Unterwegs keine einzige
Moeglichkeit zu stehen. Mittlerweile ist es dunkel. Waeren wir mal bloss auf dem offiziellen Stellplatz
geblieben. Wir kommen mitten im Dorf an die Moschee, die einen geraeumigen Vorplatz hat, und fragen
ein paar Maenner, ob wir dort wohl stehenbleiben koennten ueber Nacht, was diese freundlich
bestaetigen. Josef faengt an, zu kochen, und als wir uns eben zum Essen hingesetzt haben, klopft es, und
der Mukhtar der Moschee bittet uns freundlich, uns woanders hinzustellen. Wir bitten, nur rasch
aufessen zu koennen. Er wartet geduldig und will uns dann auf sein Grundstueck gegenueber lotsen.
Jedoch ist die Einfahrt so schmal, dass wir fuerchten, haengen zu bleiben. Bedanken uns und fahren ein
paar hundert Meter weiter. Da stehen wir nun und hoffen, Ruhe zu haben heute Nacht. Es ist die
Hauptkreuzung des Dorfes, und wahrscheinlich sind wir morgen umringt von allen Bewohnern. Mal
sehen.
20.3.
Ganz so wild ist es dann doch nicht. Stehen wohl vor der Milchabgabestelle des Dorfes, denn es kommen
viele mit vollen Milchkanistern vorbei, und in einem Rolltor sitzen zwei Maenner, die das Ganze
bewachen. Ich schaue mich drinnen ein wenig um. Da stehen drei sehr grosse Milch-Kuehlkessel aus
Edelstahl, die jedoch ungenuetzt sind. Die wenige Milch, die die Dorfbewohner bringen, geht in eine
normale Milchkanne, wie sie bei uns in Deutschland vor den Hoefen stehen. Die Hightechbehaelter
wurden von der EU dorthin gestellt – voellig ueberdimensioniert. Wahrscheinlich wurde das Projekt zu
einer Zeit geplant, als es hier noch mehr Wasser und also auch mehr Kuehe gab. Und bis es dann endlich
durch alle EU-Gremien durch und umgesetzt war, war das Wasser versiegt und die Kuehe verkauft.
Irgendwann kommt ein Pickup, nimmt die Milchkanne mit und bringt sie zur Molkerei nach Ouarzazate;
die Maenner haben ihr Tagwek vollbracht, schliessen ab und schlurfen heim. Der Moschee-Mukhtar, der
uns gestern in seinen Garten lotsen wollte, kommt vorbei, und wir machen noch ein bisschen Smalltalk,
weil ich das Gefuehl hatte, er war ein bisschen verschnupft, dass wir sein Angebot nicht angenommen
haben.
Fahren wieder nach Skoura rein, zur restaurierten Qasbah, in der etliche Filme gedreht wurden, u.A.
„Hanna“ und „Himmel ueber der Wueste“ (ueber diesen Film lesen wir wieder und wieder; halb Marokko
muss Filmdrehort gewesen sein; muessen ihn uns dringend angucken), und zahlen Eintritt.
Nehmen zum ersten Mal einen Fuehrer, weil sich das laut unserem Reisefuehrer lohnen soll. Der gute
Mann spricht keine lebende Sprache, kauderwelscht eine Mischung aus Amazigh, Arabisch, Englisch und
Deutsch, weiss eigentlich auch nichts, zeigt uns lediglich ein paar der museumsreifen Inventarstuecke, die
wir anderswo ueberall im Gebrauch gesehen haben, und erklaert, wozu sie gut sind. Na gut. Ich denke,
dass er sich vielleicht auf Arabisch besser ausdruecken kann, aber Josef will lieber Kauderwelsch, und wir
kriegen uns, zum ersten Mal auf dieser Reise, ein bisschen in die Haare. Er bekommt am Schluss die
festgelegten 50 Dhs = EUR 10, was ein Haufen ist fuer die Leute hier. Wir streunen noch ein bisschen
herum, schauen einer Foto-Session mit einem leicht bekleideten Model und franzoesisch-marokkanischer
Crew zu, trinken im schoenen Innenhof einen gemuetlichen Tee, neben uns eine grosse Gruppe
schnatternder hollaendischer Rentner, wahrscheinlich Womo-Camper. Dann stellen wir fest, dass es noch
einen Eingang zur Qasbah gibt, laufen rein, schauen uns alles an, vor Allem die wunderschoene Aussicht
vom Dach, das wir vom anderen Eingang nicht erreichen konnten: Im Vordergrund die grosse Oase mit
ihren vielen Wohnburgruinen und Tuermen, dahinter die braunen Wuestenberge, dahinter die Kette der
schneebedeckten Atlasgipfel, darueber der unwahrscheinliche Himmel.
Als wir wieder raus gehen, fragt uns einer, ob wir bezahlt haben. Josef zeigt seine Zettel, aber sie gelten
hier nicht. Dies sei die eigentliche Qasbah und der nebenan ein Betrueger, der seinem Teil einfach den
gleichen Name gegeben habe und mit dem man deshalb einen Rechtsstreit habe. Fuehlen uns betrogen;
denn das erklaert ja auch die dilettantische Fuehrung. Aber naja,… ist eigentlich das erste Mal, dass uns
hier sowas passiert.
Wir machen uns auf den Weg nach Ouarzazate, ca 70 km weiter westlich, der Filmstadt Marokkos, die
laut Fuehrer ansonsten nicht so viel zu bieten habe, modern und sauber, ehemalige franzoesische
Garnisonsstadt, in der es wohl auch mal deutsche Kriegsgefangene gab, aber ansonsten nicht viel. Stimmt
nicht ganz. Wir finden den Camping Municipal, wie der in Midelt, geschottert und mitten in der Stadt
gelegen. Ist voellig in Ordnung. Der ganze Platz ist voller Franzosen, bis auf ein oesterreichisches
Rentnerpaar neben uns und ein juengeres Paar aus Berlin, mit denen wir spaeter ins Gespraech kommen.
Es ist wieder sehr windig, wie schon so oft und immer wieder seit wir hier sind. Wir ziehen uns warm an
und gehen Richtung Stadt; liegen schraeg gegen den Wind beim Gehen. Ein Auto haelt neben uns und
bietet an, uns mitzunehmen. Es sind die Jungs vom Campingplatz. Als wir gerade dankend annehmen
wollen, faellt Josef auf, dass er sein Portemonnaie im Auto hat liegen lassen. Wir erklaeren es ihnen, aber
sie lassen es nicht gelten, druecken uns 100 Dhs in die Hand und packen uns ein. Man stelle sich das mal
in Deutschland vor, bitte! Sie lassen uns an einer grossen Freitreppe heraus, auf der einige Touristen trotz
Wind und Kaelte in der spaeten Sonne sitzen. Hier wurde ein neuer Souq gebaut und auf alt gemacht. Auf
der anderen Strassenseite geht es in die Altstadt. Dort tauchen wir ein, gehen durch die engen Gassen,
von alten Lehmhaeusern und neuen Betonhaeusern gesaeumt. Treffen zufaellig auf die alte Synagoge,
die im Reisefuehrer als Teppichweberei erwaehnt wird. Ist aber eher ein unglaubliches Sammelsurium an
altem Kram, auch richtigen Antiquitaeten, aus irgendwelchen Doerfern zusammen geklaubt. Ein junger
Mann belegt uns sofort mit Beschlag, zeigt uns jeden Winkel dieser total verschachtelten ehemaligen
Synagoge und Tora-Schule. Das Haus atmet Vergangenheit, ist wirklich ganz unglaublich. Erst sagt der
Bursche, das Haus sei schon seit Generationen im Besitz seiner Familie, die urspruenglich mal juedisch
gewesen sei, jedoch dann irgendwann islamisiert wurde. Spaeter sagt er, die franzoesischen Besatzer
haetten die Juden in den 40’er Jahren vertrieben und gezwungen, nach Israel auszuwandern (was wir
zunaechst nicht so recht glauben wollen, das wurde aber ein paar Tage spaeter in Agzd, wo wir auch ein
paar Tage verbrachten, und wo auch eine grosse Mellah gewesen war, nochmals bestaetigt! Muessen wir
recherchieren). Die Hauseigentuemer haetten dann ihre Schluessel den Nachbarn gegeben, damit die in
ihrer Abwesenheit nach dem Haus schauen, da sie noch glaubten, zurueck zu kehren. Als sie nicht
wiederkamen, habe man ihre Haueser in Besitz genommen. Was von all dem stimmt, weiss man nicht.
Viele Staedte hier hatten ein Mellah, ein juedisches Viertel, und Israel hat ja seit der Staatsgruendung
Juden aus aller Welt nach Israel geholt, um das demographische Ungleichgewicht mit den
gebaerfreudigen Palaestinensern auszugleichen. Die arabischen Juden, die Sephardim, bilden in Israel bis
heute meistenteils die Unterschicht. Es gibt hier in der alten Synagoge viele Fotos und Dokumente aus
der Zeit vor ihrer Auswanderung – ich glaube nicht, dass hier irgend jemand den Wert dessen erkennt,
denn sie liegen offen herum, vergilben und verstauben.
Schliesslich drehen wir noch eine kleine Runde durch die Altstadt, laufen in eine Sackgasse hinein und
stehen vor dem „Rose Noire“, einem wunderhuebschen Riyadh (Gasthof um einen Garten oder Innenhof
herum gebaut), werden vom franzoesischen Verwalter zu einer Hausfuehrung eingeladen. Ich habe das
Gefuehl, sie haben ueberhaupt keine Gaeste.
Kommen recht durchgefroren zurueck, geben dem grosszuegigen Camp Host die 100 Dhs wieder und
freuen uns auf die Waerme im Womo und auf’s Essen. Kochen irgendwas Gemuesiges, wie immer, seit
wir hier sind und kuscheln uns bald ins Bett. Der Wind rauscht laut in den Eukalyptusbaeumen neben uns,
und ich bewache wieder die ganze Nacht den Campingplatz.
21.3.
Heute frueh ist es deutlich besser, nicht ganz so windig. Wir wollen in den neuen Teil der Stadt und ein
paar Sachen einkaufen. Die Berliner, die einige Jahre in Rabat gelebt haben, empfehlen uns einen
marokkanischen Wein. Wir wollen mal gucken, ob es den gibt, weil von den drei mitgebrachten Flaschen
nur noch eine da ist. Erst laufen wir durch den fuer Touristen gebauten Markt gegenueber von der
Altstadt. Er ist gaehnend leer. Wir sind die einzigen Gaeste, und jeder der Verkaeufer will uns sooo gern
was verkaufen. Am Ende findet Josef eines der alten Schloesser, mit denen er schon in Rissani
geliebaeugelt hat. Wir machen unsere Einkaeufe, finden sogar den Alkoholladen (der Verkaeufer vom
Grocery bringt uns hin), essen noch ein Kebabspiesschen mit Brot; unterhalten uns beim Essen mit einem
jungen Mann, der ein wenig Englisch kann, 27 Jahre alt, 1 Jahr Englisch „studiert“ und danach in
Casablanca ein Jahr lang was mit Tontechnik oder so gemacht hat. Jetzt schlaegt er sich mit dem
Strassenverkauf von Zigaretten durch. Es gibt einfach keine Jobs. Wenn man kein Land hat, das man
beackern kann, und auch nicht bei der Polizei oder irgendeiner Behoerde unterkommt, kann man seinen
Lebensunterhalt nicht verdienen. Er hat schon neunmal bei der Lotterie fuer die US Green Card
mitgemacht. Er traeumt davon, eine westliche Frau kennenzulernen, die ihn heiratet und mitnimmt.
Einem Freund sei das mit einer Amerikanerin gelungen, und der sei nun seit Jahren in den USA und habe
mittlerweile zwei Kinder. Diese armen jungen Menschen! Diese Perspektivelosigkeit ist so traurig! Da
geht es selbst den armen Bauern in den Doerfern besser. Die koennen ihre Nahrungsmittel selbst
produzieren (Solange es noch Wasser gibt, denn im ganzen Land wird ueber ausbleibende Regenzeiten
und sinkende Grundwasserstaende geklagt, und zwar seit ueber 20 Jahren). Und sie wissen, wen sie
heiraten werden, und dass der-/diejenige nicht mehr vom Leben erwartet als das, was ihre Eltern gelebt
haben.
Wir gehen zurueck zum Womo und beschliessen, zusammen zu packen und zu fahren, da der Wind schon
wieder loslegt. Wir wollen ins Draa-Tal, noch einmal Richtung Sueden. Die Berliner und auch die
Oesterreicher haben uns Agzd als ersten Stop empfohlen, und die Berliner uns einen schoenen Platz zum
Campen genannt. Fahren die 70 km zunaechst durch Wuestenberge. Kommen an einem gruenen Flecken
mit Wasser vorbei, was in dieser toten Oede so seltsam ist, dass wir es naeher besehen wollen. Als wir an
das Wasser kommen, sitzt da tatsaechlich eine ca 30cm lange Schildkroete auf einem Stein in der Sonne,
die sich rasch ins Wasser platschen laesst, als wir naeher kommen.
Endlich geht die Strasse in Serpentinen zum Draa hinunter, der sich als breites, gruenes, von Oasen
gesaeumtes Band durch die Wuestenberge schlaengelt, um irgendwo 100 km weiter suedlich in der
Wueste zu versickern. Wir finden den Campingplatz an der Qasbah Palmeraie, der erstaunlich voll ist, und
stellen uns dazu. Und siehe da: die Berliner sind auch da. Wir plaudern und laden sie schliesslich auf den
Abend ins Womo ein auf ein Glaeschen Wein. Sie reisen im Reisemobil, wo man sich nicht reinquetschen
kann und draussen ist es uns Mimosen zu kalt. Sie arbeitet seit vielen Jahren fuer die Heinrich-BoellStiftung (Die Stiftung der Gruenen, analog Friedrich-Ebert der SPD und Konrad-Adenauer der CDU), war
fuer sie in Nigeria und in Marokko; ihr Mann ist gelernter Landwirt aber praktizierender
Heissluftballonpilot. Unglaublich, wovon man alles so leben kann. Wir politisieren ueber Afrika, die
Kolonialpolitik des Westens, Neokolonialismus, etc. Sie wissen viel, und es ist ganz spannend.
Sie erzaehlen auch, dass die Qasbah, wo wir hier stehen, von einem Deutschen, mit Hilfe der Uni Weimar
und vielen Volontaeren, seit 20 Jahren peu a peu in Stand gesetzt wird.
22.3.
Heute morgen sind wir auf Empfehlung von Mohammad, dem freundlichen Mann an der Rezeption, auf
den Markt gegangen. Jede Stadt hat einen bestimmten Markttag in der Woche, und diese sind immer ein
Ereignis, weil die Beduinen und Bauern aus weiter Umgebung kommen, um zu kaufen und zu verkaufen.
Rissanis Markt war ja schon echt urspruenlich, aber dieser hier ist noch mal viel einfacher. Es gibt viele
Schlachter, die ihr Fleisch ganz frisch verkaufen. Also wirklich frisch. Die Rinder, Ziegen und Schafe stehen
hinter den Fleischerstaenden noch auf einem Platz und warten auf ihr Schicksal, das ihnen erst blueht,
wenn ihr jeweiliger Vorgaenger rueckstandslos verkauft ist.
Josef kauft so einen Rueckstand: Die gezwirbelten Hoerner einer Ziege, die ihm der Fleischer vom
dazugehoerigen Kopf saegt. Ich finde noch einen antiken Tuerklopfer passend zum antiken Schloss, fuer
Josefs omanische Tuer, die er uns bauen will. Treffen auf dem Markt die Volontaere von der Qasbah, die
wohl den Vormittag zur freien Verfuegung haben. Ist eine bunte Truppe aus mehreren Nationen und
allen moeglichen Disziplinen. Einige vom Bau, die hier die Lehmbauweise erlernen wollen.
Einer von ihnen, ein Belgier, junger Mann, laeuft immer mit Walking-Stoecken, und wir wundern uns,
weil es ein bisschen kauzig wirkt. Aber er erklaert uns spaeter, er hatte vor Jahren einen Gleitschirmunfall
und ist Invalide. Der arme Kerl. Er ist auch klug und belesen, spezialistiert sich auf oekologisches Bauen
und ist davon ueberzeugt, dass wir Beton nicht mehr verwenden sollten, weil es bei der Produktion
unoekologisch und teuer und nicht gesund fuer das Raumklima ist und, wenn verlassen, lange nicht
verrottet, sondern ewig die Welt verschandelt.
Hier, wie auf allen Beduinen- und Stadtmaerkten, sitzen maennliche Kraeuterhexen, Heiler, Scharlatane,
die alle moeglichen Kraeuter, Puelverchen, Strausseneier, Straussenfuesse, Straussenfedern, Igel- und
Schlangenhaeute, getrocknete Schlangen, Echsenkoepfe, getrocknete Echsen, usw. verkaufen.
Wir trinken auf dem Rueckweg an der einzigen Kreuzung in Agzd einen Tee und als wir am Womo-Platz
sind, macht Josef die Hoerner sauber und legt sie zum Trocknen in die Sonne. Eine lustige Hollaenderin
fragt, ob das unsere Suppe gibt heute Abend. (Heide fragt uns dasselbe, als ich ihr ein Foto davon
schicke). Er wickelt sie in Frischhaltefolie und friert sie ein, damit sie nicht anfangen, zu stinken.
Wir machen eine Lesestunde und dann noch einen Spaziergang durch die Oase. Die Draa ist total trocken.
In einem der Gaerten ist ein Mann, der gerade eine Dieselpumpe anwirft, um Wasser aus einem Brunnen
auf die Felder zu pumpen. Frueher brauchten sie das nicht, erzaehlt er uns in recht gutem Englisch. Da
war genug Wasser im Fluss. Jetzt muessen sie 30m tiefe Brunnen bohren, um an Wasser zu kommen. Es
ist erschreckend. Wie lange wird es diese Oasen noch geben? Wie lange werden hier Menschen leben
koennen? Wir muessen morgen mal den Deutschen fragen, der seit 20 Jahren diese alte Qasbah
restauriert, ob er es auch so drastisch sieht. Er muss die Veraenderung erlebt haben.
23.3.
Heute war einziger Programmpunkt die Besichtigung der Qasbah des Ait Caid Asslim (eigentlich Qa’id AlSalim! Die Franzosen mit ihrer komischen Umschrift), die der Deutsche Manfred Fahnert restauriert. Sein
Projekt heisst „Lehmexpress“. Schoene Idee. Kann man googeln. Wir treffen also an der Rezeption unsere
Berliner, die es zwar schon kennen, aber gern nochmal mitlaufen, was sich auch als recht spannend
herausstellt, weil sie beide viel wissen und eine sehr gruene Gesinnung haben. Und als der Guide stellt
sich der Mann heraus, den wir gestern Abend noch in den Gaerten bei der Wasserpumpe getroffen
haben.
Er macht seine Fuehrung ganz in Ruhe, erzaehlt so dies und dass aus der Erinnerung dessen, was sein
Vater und Grossvater ihm erzaehlten, denn die Qashah war bis in die 50’er Jahre von der Qa’id Al Salim
Familie bewohnt, bis das marokkanische Koenigshaus sie ins Exil schickte, weil sie eine maechtige
Amazigh-Familie sind. Mittlerweile sind sie rehabilitiert und leben zum Teil wieder hier.
Danach verabschieden sich die Berliner Richtung Zagora, was auch demnaechst unser Ziel ist. Ich lese im
Schatten der Palmen, wasche ein bisschen Waesche, und Josef geht joggen – sehr zur Freude der
Dorfkinder, die ihn vom Strassenrand anfeuern. Am Spaetnachmittag laufen wir nochmal ins Dorf und
wollen was zum Kochen und Obst einkaufen. Stattdessen essen wir am Hauptdorfplatz, wo es etliche
einfache Restaurants gibt, ein paar Kufta-Baellchen mit Brot, lassen uns ein bisschen abzocken, aergern
uns auch. Ich frage in den anderen Restaurants nach und sie nennen mir den halben Preis, so dass ich
zurueck gehe und meinen Aerger kund tue. Nuetzt natuerlich nichts, weil er eine Touristenspeisekarte
mit den Preisen zeigt, aber ganz wortlos wollte ich das nicht auf sich beruhen lassen. Naechstes Mal
fragen wir vorher. Es ist uns allerdings kaum je passiert, seit wir hier sind.
24.3.
Die Kulisse von Agdz wird dominniert vom Jebel Kissane.
Laut unserem kleinen Wanderfuehrer kann man ihn erklimmen. Wir fahren mit dem Womo recht frueh
morgens moeglichst nah zum Berg, um die langweilige Wanderung in der flachen Wuestenebene
abzukuerzen, rumpeln ueber eine Piste, aber es klappt ganz gut. Einmal bleibt unsere Bergziege mit
ihrem Hinterteil haengen und schrabbt ein bisschen ueber den Schotter, aber nicht der Rede wert. Die
Beschreibung im Wanderfuehrer ist ein bisschen duerftig. Man braeuchte wohl ein GPS, um ihr zu folgen.
Wir laufen der Nase nach ein Wadi hinauf, der naturgemaess immer enger und steiler wird, muessen ein
paar ausgetrocknete, aber hohe Wasserfaelle umklettern, sind ein paarmal unschluessig, ob das alles so
richtig ist, was wir da machen. Dann sehen wir Steinmanderl, denen wir folgen koennen, und als wir kurz
vor den steilen Felswaenden des letzten Drittels stehen, sehen wir weiter oben Leute und denken, es sind
Touristen, was uns motiviert, weiter zu laufen. Irgendwann rufen sie uns zu, bedeuten uns, welche
Strecke wir laufen sollen und warten auf uns. Es sind Einheimische aus dem Dorf unten – geborene
Bergwanderer. Sie ziehen uns die letzten steilen Stuecke hinauf, wollen nichts hoeren von Aufgeben. Hier
oben geht so ein kraeftiger Wind, dass ich immer wieder fuerchte, umgeblasen zu werden. Die
Rundumsicht waere super, wenn es nicht so diesig waere. Man sieht nur schemenhaft die Schneeberge
im Norden. Schliesslich sind wir oben in einem Hochtal, die eigentliche Spitze unwesentlich hoeher; sie
sieht von Agdz aus wie die Marzipanspitze einer etwas verrutschten Torte.
Wir lassen es ob des Windes gut sein, geniessen ein paar Kekse und Wasser im Windschutz. Ich hatte
gehofft, dass wir mit den Maennern absteigen koennen. Aber sie sind hier oben, einen „Wolf“
(wahrscheinlich Schakal) zu erlegen, der angeblich die Ziegen reisst, und werden erst am
Spaetnachmittag absteigen. Ist wahrscheinlich besser, weil sie viel trittsicherer und schneller sind als wir –
in ihren fuer den europaischen Wanderer voellig unzulaenglichen Schuhen. So koennen wir ganz langsam
absteigen. Sie zeigen uns noch einen einfacheren Weg unter Umgehung der Felswand. Finden dann auch
zufaellig den im Wanderfuehrer beschriebenen und mit sporadischen Steinmanderln markierten Weg,
der weniger beschwerlich ist, wenngleich auch ein bisschen langweiliger.
Freuen uns diebisch ueber unsere Leistung, trinken noch einen Tee am Womo, das einsam und allein
zwischen ein paar sanften kahlen Huegeln auf uns wartet, und beschliessen, Richtung Zagora
aufzubrechen. Fahren die sehr gut ausgebaute Strasse an der Draa entlang, mit wunderschoenen
Aussichten auf die kontinuierlich saeumenden Oasen, muessten eigentlich in Tamagalte schon wieder
halten und eine wunderschoene Qasbah besichtigen, aber die Luft ist bissel raus. Haben jetzt so viele
Lehmfestungen gesehen,… Sie sind alle wunderschoen, und man kann sich kaum sattsehen an der
Kombination aus gruener Oase, Lehmtuermen und kargen Bergen, aber man muss nicht in jede Qasbah
hinein kriechen. Im Nachhinein wissen wir, dass wir in Midelt was ganz Tolles gesehen haben, naemlich
bewohnte und belebte Qasbahs. Die hier im Draa-Tal sind entweder am verfallen oder wurden muehevoll
fuer den Tourismus restauriert.
Wir fahren von der Strasse ab, suchen ein Plaetzchen fuer die Nacht unten am Wadi, folgen einem
Straesschen auf die andere Seite des Wadi, finden aber nichts, wo wir entspannt stehen koennen, ohne
von 40 Kindern umringt zu sein. Irgendwann wird die Strasse zur Piste und fuerchterlich eng, so dass wir
umdrehen muessen. Finden, kurz bevor wir wieder ueber den Fluss muessten, einen brach liegenden
Acker, also eine Sandflaeche, zwischen gruenen Feldern und direkt an der Draa, die hier wenig mehr ist
als vereinzelte grosse Pfuetzen. Machen noch einen kleinen Abendspaziergang am Rand der Oase, und
ich nasche, wie schon gestern Abend, ein paar gruene Mandeln und Erbsen und Bohnen. Herrlich! Leider
sind die Feigen noch ganz klein und unreif, aber man kann nicht alles haben.
25.3.
Heute frueh defilieren die Kinder auf ihren Eseln an uns vorbei. An ihren Satteltaschen haengen die
ausgedienten orangefarbenen Speiseoelflaschen, die hier ueberall, zu Wasserflaschen umfunktioniert, in
den Maerkten verkauft werden; sie sind auf dem Weg zum Trinkwasserbrunnen, wie bei uns samstags
morgens die Ehemaenner zum Broetchenholen.
Halten auf dem Weg noch an einem Acker an, auf dem ein Dutzend Frauen und Kinder, auch der eine
oder andere Mann, arbeiten. Schauen ein bisschen zu, plaudern, werden mit frischen Pferdebohnen und
gruenen Mandeln gefuettert, ich kriege eine Handsichel in die Hand gedrueckt und soll helfen, schneide
dilettantisch, weil nicht nah genug am Boden, zwei Bueschel Klee (Viehfutter) weg; sie freuen sich und
lachen, wir bewundern alles gebuehrend und ziehen weiter Richtung Zagora, unserem ein wenig weiter
suedlich gelegenen Ziel und letztes Oasendorf. Zagora ist groesser als erwartet, hat ein richtiges
Neubaugebiet an der Stadteinfahrt, teilweise schoene Villen und mit Bougainvilla geschmueckten
Gaerten (eindeutiges Zeichen, dass wir wieder in waermeren Gefilden sind), was fast an Khawaneej oder
Hamriyya in Dubai erinnert. Wir fahren die Hauptstrasse einmal rauf und wieder runter, halten dann,
erstehen fuer Josef eine Leinenhose, die sich als Schlafanzughose sehr eignet (er besass bisher nur eine
einzige lange) und ein Touareq-blaues Turbantuch. Dann laufen wir Richtung Markt, der entgegen den
Angaben unseres Reisefuehrers nicht mehr in der Stadt liegt, sondern ausserhalb auf einem Sandplatz.
Spannend ist er dennoch wieder. Aehnlich dem in Agdz, staubig, sonnig, Stoffplanen, die ein wenig
Schatten spenden, mittelalterlich, seltsame gebrauchte Gegenstaende, von denen man sich fragt, wer die
kauft und wofuer.
Wir laufen den langen Weg zurueck; man haette die Verkehrskolonne, die an uns vorbei zieht, wieder mal
filmen muessen: Lastendreiraeder, klapprige Mofas, Fahrraeder, Esel- und Mulikarren, die
unvermeidlichen alten 800’er Mercedesbusse, Fussgaenger, hier und da ein PKW. Alle ueberholen sich
munter gegenseitig von links und rechts.
Kaufen noch unser Gemuese ein, trinken einen Tee in einer Laiterie. Er hat zwar selbst keinen Tee, macht
aber einen netten Sandwich aus Ei und Schmelzkaese und holt den Tee von gegenueber. Wir moechten
zur Nacht zum Sahara Sky fahren, einem Sternobservatorium, das uns von den Oesterreichern in
Ourazazate und dann nochmal von der Berlinern empfohlen wurde. Es liegt mitten im Nichts, zurueck
gesetzt von der Strasse nach M’Hamid in einer weiten, flachen, dunkelbraunen Ebene, ist im Stil einer
Qasbah gebaut und gleichzeitig Hotel. Es stehen noch ein paar weitere Womos herum, und als wir hinein
gehen, werden wir von Fritz, dem Eigentuemer, einem Deutsch-Amerikaner aus dem Rheinland
begruesst, der selbst Hobbyastronom ist, wohl in der Gunst des Koenigs steht und das Ding vor 15 Jahren
gebaut hat. Er ist recht plauderig und erklaert uns, er habe da einen professionellen Astronom, der
nachts mit uns auf das Dach ginge und uns bei der Orientierung helfen wuerde. Das Package koste 250
Dhs pro Person mit 3-Gaenge-Menue vorher, und es gaebe eine Bar mit Alkohollizenz, laut seiner
Aussage die einzige in ganz Suedmarokko. So machen wir es also, gehen aber vorher noch ein bisschen in
der umgebenden Wueste spazieren. In ca 500m Entfernung erhebt sich die einzige Duene weit und breit,
aussen herum ein Haufen Zelte und Kamele. Als wir darauf zu gehen, fahren eben die 18 italienischen
Wohnmobile in einem recht beeindruckenden Konvoi vor, die wir schon in Zagora bewundert hatten. Es
ist wohl eine gefuehrte Womo-Tour. Sie gruppieren sich am Fusse der Duene und machen sich bereit, die
drei Hammel zu vertilgen, die man fuer sie geschlachtet hat.
Wir trollen uns und gehen ins Haus. Dort sind etwa 15 weitere Gaeste, alles Deutsche (!), und wir
kommen mit dem einen oder anderen ins Gespraech, teilen uns schliesslich einen Tisch mit der jungen
Deutschhollaenderin, Samirah, und ihrem Freund, Veli, Deutschtuerke, die zusammen in Duisburg leben
und arbeiten. Leeren eine Flasche Wein zusammen und unterhalten uns sehr gut. Gleich nach dem Essen
geht es hoch auf’s Dach. Der Herr Astronom, Patrick aus Belgien, der voellig verpeilte Prototyp des
zerstreuten Professors, mit zersaustem Haar und erkalteter selbstgedrehter Zigarette in der Hand, springt
agil vorweg, sammelt uns um sich, beklagt sich, dass der Mond zu hell, die Luft zu truebe sei – offenbar
war die letzten zwei Tage irgendwo Sandstum, zeigt uns die beachtliche Ausruestung auf dem Dach,
richtet einige der Teleskope auf den Mond aus, und laesst uns alle mal gucken. Sehr spannend.
Zwischendrin erlaeutert er in einem kaum verstaendlichen Kauderwelsch aus Deutsch und Englisch, mit
kraeftigem flaemischem Einschlag, was seine Geraete alles so koennen. Dann verabschiedet er uns ins
Bett und bestellt uns alle auf puenktlich 3:30 morgens zum Monduntergang wieder auf’s Dach, weil erst
dann die Sterne zu sehen sein werden. Also, ab in die Kiste, Wecker gestellt und turbogeschlafen. Wir
sind alle puenktlich. Allein, wir verpassen den Monduntergang um 2 Minuten. Macht nix, denn nun ist
trotz Staub fuer uns, an Lichtverschmutzung gewohnte Bewohner der industrialisierten Welt, der
Sternenhimmel recht grandios. Patrick bricht beim Einstellen der Teleskope immer wieder in
Freudengeheul aus, und wir sehen mit blossem Auge die Milchstrasse als wolkige Gebilde, durch die
Teleskope ferne Kugel- und Spiralgalaxien, Doppelsterne, den hellen Sirius, den Skorpion, den Schuetzen
und vieles mehr,und als kroenenden Abschluss, als wir alle recht steif gefroren sind, den Saturn mit Ring
und den Jupiter mit seinen Streifen und immerhin drei seiner ueber 40 bekannten Monde. Um 5:00
koennen wir alle nicht mehr und trollen uns ins Bett. Was muss das fuer ein Spektakel sein, wenn der
Himmel richtig klar ist!
Am Morgen sehen wir alle wieder, plaudern hier und da, zum Abschied noch recht ausgiebig mit Fritz,
dem Chef, der sich recht kritisch ueber den Koenig aeussert, obwohl darauf drei Jahre Gefaengnis stehen
und uns schon aufgefallen ist, dass die Leute, wenn ueberhaupt, sehr positiv ueber ihn sprechen.
Angeblich wird man ueberall belauscht. Fritz sagt, der Koenig schaeffele sich die Taschen voll und
kuemmere sich nicht um sein Volk, verbringe ein Viertel des Jahres in Frankreich in seinem Palast bei
Paris, lasse zu, dass Black Rock das Agrarland aufkaufe, unendlich tiefe Brunnen bohre und
Wassermelonen anbaue, wobei eine Wassermelone taeglich mehr Wasser brauche als ein Mensch. Das
Schmelzwasser der Berge, wovon die Bauern bisher lebten, kaeme nicht mehr, weil die Schneefallgrenze
innerhalb von 10 Jahren um 1000m geklettert sei und das verbleibende Schmelzwasser weiter oben in
Stauseen aufgefangen wuerde. Die Bauern, die kein Geld fuer tiefe Brunnen haetten und denen ob des
Wassermangels der Hungertod drohe, verkauften bereitwillig ihr Land und bauten vom Erloes Haeuser in
den Staedten, wo es jedoch keine Arbeit fuer sie gaebe. Dasselbe geschaehe in ganz Afrika, was wohl
eher kontraproduktiv fuer die Fluchtursachenbekaempfung ist. Aethopiens fruchtbares Land sei schon zu
70% an Chinesen und Amerikaner verkauft, in Nigeria sind es 15%. Die Liste liesse sich beliebig fortsetzen.
Und die afrikanischen Regierungen und auch wir schauen zu. Das Einzige, was uns dazu einfaellt, ist die
Grenzen dicht zu machen und Erdogan Milliarden in den Rachen zu schmeissen, damit er die Fluechtlinge
bei sich behaelt, wobei wir gleichzeitig alle Augen zudruecken, waehrend er die Kurden abschlachtet.
Dann wiederum gibt es super geistreiche Entwicklunghilfeprojekte, oft von Deutschland, aber auch von
Frankreich oder der EU finanziert, die voellig sinnlos, weil nicht nachhaltig sind. So hat die deutsche GIZ
die Palmengeflechte finanziert, um die Desertifikation aufzuhalten. Super Idee, die auch wirklich
funktioniert, aber da die Deutschen nach der Fertigstellung abgezogen sind, also auch niemand mehr die
Leute bezahlt, diese Zaeune zu pflegen, wehen sie allmaehlich mit Sand zu und bringen nichts mehr. Auch
haben die Deutschen fuer Abermillionen Baeume in die Wueste gepflanzt, die zuvor zum Beheizen der
Toepferbrennoefen abgeholzt wurden, haben dann stattdessen Gasbrennoefen hingestellt. Als das Gas
alle war, haben die Toepfer die Oefen abgebaut und benutzen seither wieder ihre Holzoefen. Ein solches
Projekt hatten wir ja auch in dem Dorf bei Skoura gesehen: Die ueberdimensionierten, kuehlbaren
Edelstahlmilchbehaelter von der EU. Fritz erzaehlt uns noch, die Duene, 500m von seinem Observatorium
entfernt, sei entstanden, weil sich darunter eine alte Karawanserei befinde, in der sich der Sand fangen
konnte. Angeblich sei unter dem Sandhaufen auch ein Haufen Gold vom damaligen Sklavenhandel
vergraben, und die Leute im Dorf glauben, er habe nur deshalb das Hotel dort gebaut, damit er ueber
Tunnel an das Gold heran kaeme. Schoene Geschichte.
Wir verabschieden uns schliesslich und fahren ein paar KM zurueck Richtung Zagora. Dort gibt es das
grosse Dorf Tamegroute, in dem es abgeblich eine unterirdische Qasbah zu besichtigen gibt, die zur Zeit
des Sklavenhandels gebaut worden sein soll; unter der Erde wohnten die Sklaven, darueber die Herren.
Wir bekommen einen Fuehrer, Abdel Nabi, der mit uns durch die Qasbah geht, uns viel erzaehlt und
zeigt, jedoch nichts unter der Erde. Dort verlaufe jetzt die Kanalisation, da koenne man nicht mehr rein.
Aha. Haette er ja mal gleich sagen koennen. Aber ueberaus spannend sind die Toepfereien, eine recht
kleine Flaeche unter freiem Himmel, wo ein paar Familien mit allen Familienmitgliedern die fuer hier
typischen gruen lasierten irdenen Gefaesse herstellen. Dort stehen noch die gemauerten Gehaeuse der
Gasbrennoefen: sie sind leer und werden als Materialspeicher genuetzt. Als ich frage, warum man die
Oefen nicht weiterhin nuetzt, kommt keine rechte Antwort. Jedoch faellt mir auf, dass sie kein Holz
verbrennen, sondern vertrocknete Palmwedel. Alles findet praktisch unter freiem Himmel statt. Es wird
gearbeitet wie im Mittelalter. Unglaublich. Und hier arbeiten zur Abwechslung mal nur Maenner.
Abdel Nabi aeussert sich erstaunlich kritisch ueber die Regierung – nicht ueber den Koenig, aber ueber
alle anderen. Es sei kein Wille da, das Volk wirklich voran zu bringen. Der Koenig habe ein Budget zur
Verfuegung gestellt fuer kleine Geschaefte, aber wenn man das Geld anfrage, versande der Antrag in der
Schublade irgendeines Buerokraten. Und wenn doch mal Geld ankommt, steckt es sich die jeweilige
Regionalregierung selbst in die Tasche. Was an Sanierungen in der noch gaenzlich bewohnten alten
Qasbah je geleistet wurde, geschah durch westliche Entwicklunghilfe und Eigeninitiative der Leute.
Wir fahren schliesslich weiter auf der Strasse am Nordrand der Wueste entlang von Zagora nach Westen.
Es sind 215 km durch dunstige, sandgeschwaengerte Luft, flache Wueste; Akazien und
Tamariskenbaeume sprenkeln die Landschaft, links und rechts, mal fern, mal nah, eine Bergkette, kaum
Leben, kaum Menschen. Aber zwischendrin ploetzlich professionell angelegte Felder, umgeben von
Sandschutzzaeunen, troepfchenbewaessert und mit Folien bedeckt. Es sind Wassermelonen. Als wir
Menschen sehen, halten wir an und wollen verifizieren, was Fritz uns erzaehlt hat von Black Rock. Diese
Bauern hier sind Angestellte eines marokkanischen Landbesitzers, der auch da ist und mitnichten zu
einem grossen Agrarkonzern gehoert. Und Melonen wuerden sie schon immer anbauen. Die Haendler
kaemen aus Agadir und Marrakesch, um die Melonen fuer die dortigen Maerkte zu kaufen. Wer weiss
nun, was stimmt?
Trinken einen Tee auf halber Strecke in Fum Zguid. Dort hat ein fliegender Buecherhaendler am einzigen
Kreisverkehr im Dorf seinen Tisch aufgebaut und verkauft hunderte von Buechern, arabisch und
franzoesisch, zu allen Wissensgebieten, auch Romane und Schulbuecher, meist gebraucht. Einer der drei
Maenner, ein aelterer, sitzt im Schatten unter einem Baum und trinkt Tee. Ich frage ihn, ob stimmt, was
uns Fritz vom Sahara Sky gesagt hat, dass 70% Analphabeten seien. Er denkt nach, sagt dann, jeder
Marokkaner lese im Durchschnitt 5 Zeilen pro Jahr. Ich glaube mich verhoert zu haben; da nimmt er ein
Buch in die Hand, zaehlt fuenf Zeilen ab und sagt, so viel lese der Marokkaner im Durchschnitt. Auch eine
Antwort, wobei das nicht ganz stimmen kann, nachdem ein Drittel der Bevoelkerung unter 15 Jahre alt ist
und die Kinder praktisch alle zumindest ein paar Jahre lang in die Schule gehen. Offziell sind 33%
Analphabeten (Frauen 58%!). Er laedt uns zum Tee ein, aber wir wollen uns noch in eines der Cafes
setzen. Eine junge Frau, in das fuer hier typische bunte, duenne Tuch gewickelt, hat schon einige Tueten
voll Buecher eingkauft. Ich frage sie, ob sie die alle selbst liest. Auch, ja, sagt sie. Aber sie sei hier Lehrerin
an der Maedchenschule und kaufe die Buecher auch fuer ihre Schuelerinnen. Auf unsere Fragen hin
erzaehlt sie, sie lebe hier allein (Oh, Wunder), sei aus Qala’t Mgoun und sei wegen des Jobs gekommen.
Das ist schon aussergewoehnlich, denke ich. Aber sie sagt, die Gesellschaft veraendere sich, und
besonders die Bildung fuer Frauen und Maedchen sei Motor der Veraenderung. Klar, denke ich! Ich freue
mich jedes Mal, wenn ich die Maedchen auf ihren Fahrraedern zur Schule fahren sehe. Sie plaudern
miteinander, aber auch mit den Jungen. Die Schulen sind alle gemischt. Allein dieser natuerliche Umgang
mit dem anderen Geschlecht veraendert mit Sicherheit vieles.
Wir fahren weiter bis Tissint. Nach all der trockenen Einoede und dem Staub ist es wie ein Wunder, als
wir hier mitten im Dorf auf ein breites Flussbett treffen, in dem ueberall das Wasser plaetschert.
Parken erst auf einem offiziellen Parkplatz auf der Dorfseite des Wadi, was sich aber binnen Sekunden
anfuehlt, als stuenden wir auf dem Schlossplatz in Stuttgart an einem sonnigen Samstag Mittag: wir sind
umringt von Jungen in jedem Alter, die ausser den ueblichen „stylos“, „ballons“, „bonbons“ und Dirhams
sonst auch unsere Schuhe nehmen wuerden. Am Ende bekommen sie alle einen Kuli und trollen sich
langsam. Nur ein Mann bleibt uns erhalten und heftet sich an unsere Fersen, textet mich mit wenig
Arabisch und viel Amazigh zu; ich nicke immer freundlich, aber als er sich anbietet, ab morgen frueh um
8:00 unseren Fuehrer spielen zu wollen, lehne ich dankend ab und schicke ihn nach Hause. Stehen ueber
Nacht dann oberhalb des Tals auf der auf der anderen Wadi-Seite, nachdem ein oesterreichisches
Womopaar, warum auch immer, diesen Platz freundlicherweise geraeumt hat.
27.3.
Morgens hoeren wir auf der Piste neben uns die Schueler schnatternd vorbei ziehen. Die Umstellung auf
Sommerzeit (Ja, die Marokkaner machen diesen Bloedsinn auch mit, wie sie auch das Wochenende auf Sa
und So gelegt haben – wahrscheinlich, damit sie zeitlich moeglichst nah an Europa sind) laesst uns eine
Stunde spaeter aufwachen als sonst. Wir gehen erst in die alte Qasbah, die komplett verlassen und meist
verfallen ist. Kommen jedoch nicht weiter, weil ueberall Tueren sind. Stehen ploetzlich aus Versehen im
Kasernenhof und werden freundlich hinaus komplimentiert. Gehen im Wadi spazieren. Ist nicht ganz so
idyllisch, aber wir laufen bis zum Nachbardorf. Dort arbeitet ein Mann an seinem an den Hang gebauten
Steinhaus, plaudert gerade mit einem Nachbarn, winkt uns freundlich heran und fuehrt uns dann voller
Stolz herum. Er macht alles selbst: Betonstuetzbalken, die akribisch geschichteten Steinmauern, Elektrik,
Wasser, Abwasser. Im unteren Stockwerk will er ein oeffentliches Hammam einrichten. Er backt sein
eigenes Brot im traditionellen Lehmofen, hat seinen eigenen Brunnen. Wirklich bewunderswert! Der
obere Teil des Dorfes koennte genau so schoen sein, wenn man ein wenig initiativ waere und Geld in die
Hand naehme. Aber woher nehmen? Die Menschen haben hier kein Geld. Und initiativ sind sind sie auch
eher selten. Der junge Nachbar zeigt nach oben auf die verfallenen alten Lehmhaeuser und erzaehlt, das
er noch dort aufgewachsen sei und seine Familie die letzte gewesen sei, die das alte Dorf verlassen habe.
Warum man die Haeuser nicht restauriere, frage ich ihn. Das Dorf liegt in einem Dreieck zwischen zwei
wasserfuehrenden Wadis und koennte eine Perle sein. Er sagt, es seien so viele Erben involviert, die sich
nie einigen koennten. Ich erzaehle ihnen von unserem 500 Jahre alten Haus in Beuren, und wie diese
Dinge in Deutschland subventioniert wuerden. Spaeter stehen wir mal wieder traurig oberhalb des Wadi
und schauen auf eine Muelllawine, die die Dorfbewohner kontinuierlich und sukzessive hinunter
geworfen haben. Eben kommt eine junge Frau mit ihrem Muell aus dem Haus, und ich frage sie, ob sie
das jetzt auch da hinunter wirft. Ja, sagt sie. Aber es sei ja nur noch ein bisschen Rest, weil sie das meiste
schon verbrannt haben. Es riecht ueberall immer mal wieder nach brennendem Plastik. In Tissint stehen
Muellcontainer an der Strasse. Aber hier in Akka Sidi wird der Muell nicht abgeholt. Ich zeige ihr die
Plastiklawine am Abhang und frage sie, ob sie das nicht haesslich findet. Ich glaube, sie versteht schon,
was ich meine, findet aber nichts Schlimmes daran. Ich erklaere ihr, dass es sich im Fluss mit dem Wasser
vermischt, das sie nachher trinken, dass sie sich damit vergiften. Sie scheint verstaendig, weiss aber nicht,
wohin mit dem Muell. Lieber Koenig Mohammad VI, denke ich, du hast noch viel zu tun. Die junge Frau
hatte sechs Schuljahre, ist 25 und noch nicht verheiratet. Ich frage sie, ob sie nicht haette weiterlernen
wollen. Ich glaube, die Frage hat sich nie gestellt – weder fuer sie, noch fuer ihre Familie. Weiter hinten
im Dorf laufen Frauen, ihre riesigen Futterbuendel auf dem Kopf oder Ruecken balancierend. Eine Alte
wirft schnell ihr Buendel weg und bettelt uns an. Wir geben ihr 5 Dh. Ob es richtig ist, weiss ich nicht.
Aber ich weiss, dass manche Menschen hier einfach ueber keinerlei Bargeld verfuegen, und manche
Dinge bekommt man nicht ueber den Tauschhandel.
Wir laufen an der Strasse entlang nach Tassint und zum Womo zurueck; es begegnen uns mehrere Frauen
in ihren kunterbunten Tuechern – ein greller Farbklecks in der beige-braunen Landschaft und jede fuer
sich ein Fotomotiv. Wir muessen uns mit der Erinnerung daran begnuegen.
Fahren weiter nach Suedwesten – parallel zur algerischen Grenze, die etwa 100 km weiter suedlich
verlaeuft – ueber eine gute und fast schnurgeraden Strasse durch sanft huegelige braune Landschaft,
wieder gesprenkelt mit Akazien und Tamarisken, links von uns die niedrige Bergkette des Jebel Bani bis
nach Tata, wiederum einer Oasenstadt. Laut Reise-Knowhow eine Stadt mit engagiertem Buergermeister,
der was tut. Und tatsaechlich wirkt die Stadt aufgeraeumt, sauber und strukturiert, mit breiten Strassen
und Strassenbeleuchtung, gepflasterten Buergersteigen, einem Schwimmbad, einer Sporthalle, einer
Klaeranlage und Muell-Containern an der Strasse. Wir fahren, dem Reisefuehrer folgend, nach Sueden in
ein paar vorgelagerte Doerfer, wo es in Tazart eine Mellah (juedische Qasbah) geben soll, von der jedoch
nur Mauerreste uebrig sind, in Al Ayoun einen Gemeinschaftsbrunnen zum Waeschewaschen. Bis wir den
gefunden haben, fuehren wir einen Tross von 30 Dorfjungen mit uns, die alle durcheinander schreien und
von denen jeder der Tollste sein will. Aber sie sind wirklich lieb.
Dann kommen zwei Halbwuechsige dazu, die beide geistig ein bisschen langsam zu sein scheinen. Der
eine ist so klebrig, dass Josef auf mich aufpassen muss wie ein Leibwaechter. Ich fluechte irgendwann ins
Womo zurueck. Schade!
Fahren Richtung Tata zurueck, halten an einem franzoesisch gefuehrten Maison D’Hotes, dem Dar
Infiane, ein wirklich sehr schoen restauriertes altes Steinhaus auf einem Huegel. Versuchen erst, mit dem
Womo hoch zu kommen, weil ich nicht rechtzeitg Stopp rufe. Haetten unten wunderbar stehen koennen
und hochlaufen, was wir dann auch tun, nachdem diverse Palmwedel drohen, uns alles vom Dach zu
fegen und Josef – fluchend – rueckwaerts wieder herunter kurven muss. Trinken dort in der Stille des
Innenhofes einen Tee, erkunden die verschachtelten Hoefe und Treppenaufgaenge auf die diversen
Terrassen und Daecher. Die wenigen Gaeste sind alle Deutsche, die das Gaestehaus auch im ReiseKnowhow gefunden haben. Die franzoesische Chefin sieht uns umher wandern und guckt bisschen
genervt. Aber wir sind ohnehin auf dem Weg nach draussen. Vielleicht mag sie Deutsche nicht? Die
machen aber offenbar den Loewenanteil ihres Einkommens aus! Tough luck!
Fahren durch Tata hindurch, kaufen unser uebliches Gemuesesortiment, fahren auf der Nordseite wieder
raus und finden einen wunderschoenen Platz zur Nacht oberhalb des steil abfallenden Ufers eines
ausgetrockneten Wadi-Bettes, dass hier mehr aussieht wie ein grosser ausgetrockneter See. Auf der
anderen Seite stehen die Oesterreicher, die uns in der vorigen Nacht ihren Platz ueberlassen heben.
28.3.
Unterhalb der Oesterreicher, dort, wo das Wadi-Ufer steil abfaellt, sind Hoehlen zu erkennen. Da
muessen wir natuerlich hin. Die Oesterreicher offenbar nicht, denn sie sind schon weg. Im Reisefuehrer
stand was von Tropfsteinhoehlen noerdlich von Tata. Die haben wir nun wohl ausversehen gefunden –
nachdem wir gestern nichts von dem finden konnten, was im Buch stand. Machen einen dreistuendigen
Spaziergang, der viel spannender wird als erwartet. Das Areal mit den Hoehlen, viele davon
russgeschwaerzt, also mit Sicherheit frueher bewohnt, und teilweise untereinander verbunden, ist
weitlaeufig – das muss mal ein richtiges Dorf gewesen sein. Die Tropfsteine sind leider sehr beschaedigt,
und es liegt auch Muell herum. Schade! Wenn man das saeubern und jemanden hinstellen wuerde, der
es beaufsichtigt, meinetwegen einen Obolus kassieren, dann bliebe es erhalten. So wird es wohl mehr
und mehr zerstoert. Wir treffen auf ein kurzes, jedoch sehr dramatisch enges und steiles Wadi-Bett,
laufen an seiner Oberkante entlang und gucken in die scheinbar endlose Tiefe. Es koennte mit der Doigt
de Singes Schlucht im Dades-Tal oder Snake Canyon im Oman konkurrieren, aber es ist nur ein ganz
kurzes Stueck, dann flacht es ab und wird breit. Wir ueberqueren das Flussbett und gehen auf der
anderen Seite in einen verlassenen Weiler, das aus 10 Steinhaeusern besteht, die sich so gut in die
Landschaft fuegen, dass wir sie vorher gar nicht bemerkt haben. Wir fragen spaeter in Tata nach, wer
dort und in den Hoehlen bis wann gelebt hat, aber die jungen Leute wissen nichts ueber Vergangenes. Es
interessiert sie auch nicht, denn sie sind vorwaerts, nicht rueckwaerts gewandt. Alte, die wir fragen
koennten, treffen wir nicht. Ich sammele in einem der alten Haeuser Bruchstuecke eines Tongefaesses
auf. Vielleicht kann ich es zuhause zusammen puzzeln. (Als ich hier die Bilder einfuege, ist es schon
Monate nach unserer Reise, und die Schuessel ist zusammengepuzzelt und ziert unser Buecherregal). Der
Clan der ehemaligen Bewohner hat sich mit dickem Filzschreiber auf einer Steinplatte, an die Tuer eines
Hauses gelehnt, verewigt: Al Sha3eeb Khalid Abdel Hamid.
Wir umrunden den seeaehnlichen Wadi und kehren zum RV zurueck. Den Rest des Nachmittags brauchen
wir zum Sprit und Wasser tanken und, um eine neue SIM-Karte zu kaufen, da die INWI-Karte ablaeuft und
wir in ganz Tata keinen Laden finden, der uns Guthaben draufladen kann. Die neue Karte kostet nur 2
EUR, so dass man es verschmerzen kann. Wir essen an der Strasse noch einen Kaese-Ei-Sandwich und
trinken unseren Ritualtee dazu (Die Wuerfelzucker werden immer groesser!). Die Frauen in Tata tragen
meistenteils sehr weite, wallende, satin-schimmernde hellblau bis koenblumenblaue Roecke und oben
ein schwarzes Tuch. Sieht super aus.
Wir machen uns auf den Weg in den zentralen Anti-Atlas Richtung Tafraoute. Fahren bis Issafen. Erst ist
es kahl, nur Wuestenberge, skurrile Formationen, gestreift in allen Braun- und Beigetoenen. Sehr schoen.
Leider begleitet uns seit der 2. Nacht in Agdz Staub in der Luft, so dass alle Farben blass, die Formen
konturlos erscheinen. Wir kommen hoeher, auf ca. 1500 bis 1800m, und die Olivenbaueme von weiter
unten und auch die kahlen Berge weichen Mandelbaeumen – unendlich vielen. Hier ist ueberall
Kulturlandschaft, sind die nackten Berge, sobald sie sich zu breiten oder schmalen Taelern formen, in
Parzellen eingeteilt, offenbar Felder, die jedoch ob des trockenen Winters nicht eingesaet wurden. Von
Tata fahren wir fast 70km, und es kommen uns so gut wie keine Fahrzeuge entgegen. Hier oben sind die
Frauen von Kopf bis Fuss in Tuareq-blaue Tuecher gehuellt und tragen schoene, bunte Lederschuhe.
Herrliche Farben. Das sind die Chelhi-Berber, oder Chleuh. Wir fahren bis Issafen, weil Josef gelesen hat,
dass es dort ein Agadir zu besichtigen und morgen einen guten Markt geben soll. In Issafen gibt es laut
ein paar Maedchen keinen Agadir, und sie meinen, evtl ein Doerfchen weiter. Stellen uns dort vor eines
der Cafes, gehen noch ein wenig im Dorf spazieren, versuchen, den Agadir zu finden, das aber irgendwie
keiner kennt. Es ist nette Abendstimmung und viele Menschen, auffaellig viele Frauen, schlendern
herum; die Maenner lungern vor und in den Cafes. Josef verteilt wieder an eine Traube Kinder
Kugelschreiber. Fahren dann vor ein anderes Cafe mit ein bisschen mehr Platz, fragen, ob wir dort bleiben
duerfen und schluerfen noch einen Tee beim Wirt. Als Josef gerade Abendessen kocht und ich eben unter
die Dusche will, klopft es, und einer, der sich als Dorfautoritaet ausweist, will eine Passkopie von uns,
damit er besser auf uns aufpassen kann. Na, dann. Er schickt seinen Adlatus los, eine Kopie zu machen,
und ich unterhalte ihn so lange an der offenen Tuer. Ich glaube, er macht sich wichtig und war neugierig,
hofft vielleicht, in das Innere des Womo eingeladen zu werden. Endlich kommt der andere wieder und sie
trollen sich. Die Nacht ist ein bisschen laut wegen der direkt am Fenster vorbei fahrenden Autos und des
obligatorischen Hundegeklaeffs.
29.3.
Wir fahren am Morgen hinunter zum Markt in Issafen, und der ist wieder ganz anders als all die anderen
Maerkte. Besonders faellt auf, dass wirklich viele Frauen unterwegs sind. Ich zeige auf die schoenen
bunten Schuhe einer alten klitzekleinen Frau und sage ihr, wie schoen ich sie finde. Sie strahlt, umarmt
mich, kuesst mich, haelt meine beiden Haende. Eine andere alte Frau mit denselben Schuhe hat ein
schmerzverzerrtes Gesicht, zieht einen Schuh aus und jammert. Es guckt ein Nagel von innen raus. Josef
holt sein Messer aus dem Auto und entfernt ihn. Sie kuesst ihm die Haende, bedankt sich tausendmal. Ein
paar Jungen folgen uns unaufdringlich, und Josef kauft bei einem Popcorn-Roester zwei Tueten und gibt
sie ihnen. Es ist ein buntes Treiben, herrliche Stimmung. Vor den Gemuesehaendlern warten die Leute
auf Schuesseln, in denen man das sammelt, was man kaufen will und es dann zum Wiegen uebergibt. Wir
kaufen auch ein: Gemuese, Datteln, und Josef zwei Paare von den gelben Berberlederschuhen der
Maenner. Ich bin auch versucht, die roten Pendants fuer Frauen zu kaufen, aber ich fuerchte, sie sind zu
hart fuer mich. Schliesslich ziehen wir weiter, fahren wieder Richtung Tafraoute, wollen uns treiben
lassen und sehen, wie weit wir kommen. Hier oben ist es total gruen, alles blueht, richtig Fruehling. Uns
fallen in den Bergen viele, viele Steinmanderl auf, oft mit weisser Farbe ueberschuettet oder sogar
„bekleidet“. Wir halten im naechsten Ort, auch, um zu fragen, was es damit auf sich hat. Ein paar Frauen
sitzen im Schatten am Strassenrand, eine knackt Mandeln, die andere haekelt eine Decke. Wir gesellen
uns dazu und plaudern. Es kommen noch ein paar mehr Frauen hinzu, die eine versorgt Josef mit einem
Tellerchen Mandeln. Die andere erklaert mir, die Steinmanderl seien Grenzmarkierungen der
Landbesitzer. Josef moechte Mandeln kaufen, und die haekelnde Fatima nimmt mich mit nach Hause, um
dort Mandeln zu holen. Sie ist nicht mehr ganz jung und lebt unverheiratet mit ihren ebenfalls
unverheirateten und noch aelteren Schwestern und der Mutter. Das ist schon hart in so einer
Gesellschaft wie dieser. Der Vater ist gestorben. Sie haben ein kleines Kraemerlaedchen, eine Kuh, ein
Kalb und einen Esel. Das Haus, immerhin ein nicht uraltes und schon aus Beton, ist sehr einfach. Sie zeigt
es mir voller Stolz. Sie haben einen Innenhof und noch einen Hof aussen, wo die Tiere stehen. Ich frage
sie, warum die alle im Stall sind und nicht draussen; sie wuerden den Nachbarn die Felder leer fressen,
wenn man sie raus liesse, erklaeren sie mir. Die dunkle Kueche besteht aus einem gemauerten Thresen,
darauf ein 2-Flammen-Gasherd, darunter auf dem Boden ein kleiner Gasofen. Irgendwo im Hof steht ein
Kuehlschrank. Sie nimmt die Mandeln mit in ihr Laedchen, wiegt sie ab, wir bezahlen, verabschieden uns
von der Damengruppe und fahren weiter.
In einem Oertchen namens Issouka sehe ich auf MapsMe einen Agadir eingezeichnet. Dies sind Speicher,
in denen Dorfgemeinschaften frueher, als die diversen Berberstaemme sich immer mal wieder
gegenseitig ueberfielen, lebenswichtige Dinge bevorrateten und auch ihre Wertsachen einschlossen und
so vor feindlichen Angreifern schuetzten. Bei Ueberfaellen hat sich mitunter die ganze Gemeinschaft in
diese burgaehnlichen Gebilde gefluechtet. Wir sehen am Hang oberhalb des Dorfes ein flaches
rechteckiges, recht grossflaechiges Steingebaeude mit Wachturm, fragen im Dorf, ob man es wohl
ansehen kann, aber die Antwort ist etwas unklar. Ein Spanier, der auf dem Fahrrad unterwegs ist, hat
schon versucht, hinein zu kommen, hat aber aufgegeben und radelt nun zum naechsten Agadir ein paar
Doerfer weiter. Der Guardien, also der Waechter, sei oben und wir sollten ihn fragen, sagt uns eine Frau
(ihre kleine Tochter dolmetscht ins Arabische). (Neben ihrem Haus finde ich eine wunderschoenen
Schieferstein mit filligran gezeichnetem Urfarn.) Sein Name sei Yazid. Wir laufen hoch durch das
urspruengliche Dorf, das keine feste Strasse hat; nurdie Natursteinplatten des Berges geben ein wenig
Festigkeit; links und rechts nur schmale Gassen und um das Dorf herum alles fruehlinghaft gruen. Es
blueht alles. Oben am Agadir stehen wir und rufen nach Yazid. Er antwortet auch, oeffnet jedoch nicht.
Ploetzlich ist ueber uns eine Stimme. Wir treten zurueck vom Tor. Dort kauert er oben drauf und
bedeutet uns, dass er uns nicht oeffnen koenne.
Wir laufen noch ein bisschen im Dorf herum, plaudern dann noch einmal mit der Frau vom Dorfeingang.
Sie erklaert uns, dass sie dort noch immer ihre Wertsachen aufhebe. Es ist wie eine Art Bank mit
Schliessfaechern fuer jede Familie. Die Tatsache, dass er noch immer in Gebrauch ist, erklaert auch,
warum Yazid uns nicht oeffnen durfte. Wie sicher waere der Agadir, wenn er fuer jeden Hans und Franz
geoeffnet wuerde?
Wir fahren weiter, finden im Reisefuehrer einen Hinweis auf einen Agadir in Tasguent, den man
keinesfalls auslassen sollte. Wir fahren mit dem Womo bis unterhalb des auf einem kleinen Berg allein
thronenden, riesigen Agadirs, wollen eigentlich hier uebernachten und erst morgen hinein, weil es wohl
mit der Besichtigung nicht so einfach ist.
Gehen ein bisschen spazieren, versuchen, heraus zu finden, wo der Guardien, der Waechter lebt, um uns
auf morgen mit ihm zu verabreden. Dann sehen wir unseren spanischen Radfahrer wieder, der oben am
Eingang ist, laufen auch hoch, rufen und klopfen jedoch vergeblich. Auf einer Steintafel am Eingang steht
eine Telefonnummer in Kreide. Aber leider ist unser Telefon unten um Auto. Als wir noch unschluessig
herum stehen, kommt noch ein spanisches Ehepaar herauf. Wir verabreden, dass wir ins Womo zurueck
gehen und versuchen, die Nummer zu erreichen. Aber das Telefon ist abgeschaltet. Dann ruft der Spanier
von oben ganz laut und rudert wie wild mit den Armen. Offenbar hat jemand geoeffnet. Wir laufen den
Berg zum zweiten Mal hinauf und, siehe da, der betagte Saeed, mit Rotznase und der letzten Mahlzeit im
Stoppelbart verteilt, hat geoeffnet und ist gewillt, uns herum zu fuehren. Er spricht richtig gut
franzoesisch und weiss viel. So etwas Tolles haben wir selten gesehen. Wirklich beeindruckend! Auf fuenf
Stockwerke und vier verschiedene Hoefe verteilt, nur aus Trockenmauern und ohne Moertel oder Lehm
gebaut, gibt es hunderte von Kammern. Die oberen Stockwerke sind nur ueber in die Mauern
eingefuegte Steinplatten, die einzelnen Hoefe ueber steile Steintreppen und dunkle Durchgaenge
erreichbar.
Die meisten kleinen Tuerchen, wie fuer Zwerge gemacht, tragen noch Vorhaengeschloesser. Der Agadir
wurde vor hunderten von Jahren von zwei Doerfern errichtet, bietet jedoch 10 umliegenden Doerfern
Schutz. Ob die Kammern noch genuetzt werden, weiss er nicht genau. Er sagt, es kann durchaus sein,
dass dort noch Wertsachen lagern. In einigen der Kammern liegt noch Getreide, das von einem Dorf dort
eingelagert wurde…Wir sind wirklich tief beeindruckt. Zum Abschluss laufen wir noch auf den
baufaelligen Daechern herum. Es ist mittlerweile richtig kalt hier, und wir sind alle zu leicht angezogen.
Saeed will in seine warme Kammer – er wohnt hier oben – und ist froh, uns los zu werden. Man haette
sich noch Stunden dort aufhalten koennen, in jeden Winkel kriechen. Welch geniale Erfindung. Hier
muessten irgendwelche Millardaere, die ihre Kohle in Kunst stecken, sich engagieren. Die Spanier
erklaeren, dass alle anderen Agadire, die sie gesehen haben, am verfallen sind. Dieser sei der am besten
erhaltene. Wer weiss, wie lange noch. Saeed repariert hier und da. Aber wieviel kann das kleine
Maennchen bei diesem riesigen Bau ausrichten, so ganz allein und ohne Hilfsmittel?
Wir beschliessen, vom Dorf weg zu fahren, da ein selbst ernannter Waechter neben dem Womo steht
und nicht von unserer Seite weicht, obwohl wir ihm schon eine „Gebuehr“ entrichtet haben. An der
Strasse Richtung Tafraoute, weit oben auf einem Berg, finden wir neben der Strasse ein ebenes
Plaetzchen neben einem Strommast und bleiben dort, schlafen in der Einsamkeit wie Murmeltiere.
30.3.
Heute frueh geht ein kleines altes Maennlein um unser Womo herum, setzt sich dann mit seinem
Buendel an die Strasse und wartet auf ein Sammeltaxi oder einen Bus. Wir machen Haushaltstag, putzen
ein bisschen, versuchen heraus zu finden, warum unser Wasserdruck so niedrig ist, … Als wir losfahren,
ist das Maennlein fort. Nach ein paar Kilometern holen wir ihn ein. Er hat das Warten wohl aufgegeben.
Wir nehmen ihn mit, und er ist voellig platt. Er sitzt auf der Kante des Beifahrersitzes, beruehrt den
Bildschirm des Navi, schreckt zurueck, als der Touchscreen sich veraendert, nimmt unsere Marokko-Karte
in die Hand, beguckt sie von allen Seiten, riskiert mal einen scheuen Blick nach hinten ins Womo,
murmelt unterdessen die ganze Zeit vor sich hin. Als wir nach seinem Namen fragen, kramt er aus seiner
hinteren Hosentasche ein in Plastik gewickeltes Buendel Papiere heraus und zeigt uns voller Stolz einen
vergilbten Zettel mit einer franzoesischen Adresse darauf und seinem Namen Abdulrahman. Leider
koennen wir uns gar nicht verstaendigen. Er ist Chelhi-Berber und spricht kein Wort Arabisch. Wir lassen
ihn im naechsten Ort raus – dort wollte er hin – und er guckt uns, noch immer ganz verwundert, hinterher.
Irgendwann lassen wir die kargen, sanften Berge, in den Taelern hier und da Mandelbaeume, hinter uns,
kommen wieder in gruenere Gefilde, fahren an herrlich auf Bergkuppen und an Haengen gebauten
Lehmdoerfern vorbei, wobei weiter unten in den Taelern neue, schoene Haeuser stehen. Nun sind wir im
Herzen des Anti-Atlas, kurz vor Tafraoute. Die Landschaft ist herrlich: steile Berge, tiefe, gruene Taeler,
huebsche Doerfer. Halten in einem x-beliebigen Dorf, weil wir endlich Arganbaeume sehen und sie aus
der Naehe betrachten wollen.
Laufen drauf los, erst durch das sehr aufgeraeumt und wohlhabend wirkende neue Dorf, dann den Berg
hoch zu den verfallenen Lehmhaeusern, noch ein bisschen oberhalb des steil unter uns abfallenden
Wadis, dann jedoch zurueck, weil wir nicht ausgeruestet sind fuer eine laengere Tour. In der Moschee
laeuft, mit Lautsprecher uebertragen, damit auch wir Heiden was davon haben, das Freitagsgebet,
begleitet von monotonen Gesaengen, die eher an den christlichen Karfreitag erinnern (ist heute) oder an
die buddhistischen Gesaenge, die wir nachts in Sri Lanka gehoert haben. Auf jeden Fall klingt es ganz
anders als das Freitagsgebet in den Moscheen von Dubai oder anderen arabischen Staedten und
Doerfern. Es gibt ein Maison D’Hotes am Hang. Wir trinken einen Tee auf dem Dach mit herrlicher
Aussicht und noch immer die Freitagsgebete im Hinter-, eigentlich eher Vordergrund .
Als wir am Womo zurueck sind, beschliessen wir, es gut sein zu lassen fuer heute und uns ein
gemuetliches Plaetzchen zu suchen. Stehen mitten im Wadi, um uns rum plaetschert Wasser und quaken
die Froesche. Ueber uns tirillieren die Bienenfresser, und hier und da springt ein Hoernchen ueber die
Felsen. Die Idylle wird nur ein wenig von den Lastern getruebt, die ab und zu mit einer Ladung Kies fuer
die Strasse oberhalb des Wadis an uns vorbei rumpeln. Aber sie winken jedes Mal freundlich.
Uebrigens war es heute wieder den ganzen Tag diesig – sehr zu unserem Leidwesen, denn wir ahnen, was
hier um uns herum fuer eine grandiose Landschaft ist. Jetzt am Abend ist es ganz klar und Vollmond.
Vielleicht ist es morgen wieder gut. Inshallah!
31.3.
Wir haben seit ein paar Tagen ganz geringen Wasserdruck – so wenig, dass es versiegt, wenn Josef sich
die Brause ueber den Kopf haelt. Bei meinen 1,63m war es noch ein einigermassen brauchbares Rinnsal.
Aber heute ist der Strahl nur noch duenn wie ein Faden. Wir googlen, lesen in den Foren nach, spielen
mit der Pumpe rum, etc. Hilft alles nichts. Ich finde einen Blog von 2014 mit einem Eintrag ueber eine
WoMo-Werkstatt in Agadir, Trigame, dazu einen Namen Kareem und die Telefonnummer. Ich rufe ihn an
und siehe da, es gibt ihn, und er sagt, wir koennen jederzeit kommen. Allerdings ist Agadir 150 km weg,
und wir wollten noch hier im Anti-Atlas verweilen, wandern gehen, die herrliche Landschaft geniessen.
Also beschliessen wir, mal nach Tafraoute hinein zu fahren und dort zu fragen, ob es jemanden vor Ort
gibt, der Ahnung hat. Ein Tankwart schickt uns zu Mohammad an der Hauptstrasse, wo uns eben bei der
Herfahrt schon die vielen Womos aufgefallen sind, die vor seinem Laden rumstehen.
Wir dachten, die campen da. Weit gefehlt. Er ist mit seiner Mannschaft offenbar ein Geheimtip fuer
Karosserie- und Lackierarbeiten fuer Womobesitzer aus ganz Europa, die hierher fahren, wochenlang vor
seinem Laden wohnen, waehrend er ihnen ihr Fahrzeug aufpeppt. Da ist ein ganz junges franzoesisches
Paerchen, deren uralter Mercedes komplett „nackig“ ist und gerade gespachtelt und modelliert wird,
bevor sie ihn neu lackieren. Ein hollaendisches Paar laesst bei ihrem betagten Womo ebenfalls die
Karosserie sanieren, mit Dichtungen und allem Drum und Dran, und laesst es dann sahara-beige spritzen.
Ein Dritter, ein junger Franzose, mit Frau und kleinem Kind, hat seine Aufliegerkabine auf der anderen
Strassenseite auf Steine aufgebockt, und sie wohnen darin waehrend sein komplettes Fahrgestell, die
Fahrerkabine und der Alkoven seines Aufliegers totalsaniert werden. Und so stehen nochmal drei oder
vier Fahrzeuge herum. Mohammads Mannschaft ist gut beschaeftigt. Er doktort an unserer Pumpe
herum, telefoniert mit Kareem in Agadir, ob der ihm eine neue mit dem Sammeltaxi schicken kann, baut
dann unsere auf unser Draengen aus, haengt sie mit ein paar Draehten an seine Autobatterie, wo sie
wunderbar das Wasser aus der drunter gehaltenen Flasche ansaugt und in einem kraeftigen Strahl wieder
raussprudelt. Alles super. Lassen auch gleich noch unsere Kofferraumtuer, die uns in Midelt der Sturm
weg geblasen hat, neu befestigen. Allerdings bricht Mohammads Mitarbeiter zwei Schrauben ab,
nachdem er sie halb rein gedreht hat. Er muss sie rausbohren, faengt an, sagt immer wieder beruhigend,
es sei alles kein Problem, verkuendet dann, dass er mal kurz mittagessen geht, kommt entspannt nach 45
Min wieder – mittlerweile haben wir unsere Stuehle auf den Buergersteig gestellt und Tee gekocht –
bastelt weiter und kriegt es irgendwie hin. Wir bezahlen 200 Dh und freuen uns, weil wir die Pumpe nicht
unsinnigerweise ausgetauscht haben, fahren dann zum Campingplatz zum Dumpen, und als wir uns
anschliessend die Haende waschen wollen, geht wieder gar nix. April, April! Fahren wieder zu
Mohammad, der aber gerade nicht da ist, und beschliessen kurzerhand, doch nach Agadir zu fahren,
hoffen, dass Kareem es hin bekommt. Sonst weiss ich nicht, wie wir weiter reisen, so ganz ohne Wasser.
Mittlerweile ist es Nachmittag, und wir verabreden uns fuer morgen frueh mit Kareem. Fahren also die
wunderschoene Strecke von Tafraout ueber Ait Baha nach Agadir. Die Berge, die burgaehnlichen
Doerfchen auf kegelfoermigen Bergen, die Lehmhaeuser, das viele zarte Fruehlingsgruen – alles leuchtet
in der Abendsonne, und ich will unbedingt noch einmal hierher fahren, weil es so schoen ist.
Kurz vor Ait Baha quatscht uns eine Horde selbstbewusster junger Frauen an. Sie koennen Englisch und
sind sehr freundlich, herzlich und neugierig. Es freut mich immer, wenn wir hier Frauen sehen, die nicht
so schamhaft und schuechtern sind.
Wir halten, kurz bevor die Strasse zur Kueste abfaellt und bevor es stockdunkel ist, finden ein Plaetzchen
in einem Arganienhain und verbringen eine friedliche Nacht bei unglaublich hellem Vollmond.
1.4.
Morgens fahren wir hinunter in die Kuestenebene. Und wer steht da im Gruenen neben der Strasse? Die
Oesterreicher, die wir nun schon das dritte Mal sehen.
Der Kontrast zur Landschaft vorher koennte groesser nicht sein. Hier ist es platt und gruen wie in
Ostfriesland. Wir fahren durch die Vororte von Agadir. Tageloehner stehen mit ihren jeweiligen
Werkzeugen ausgeruestet an der Strasse und warten, dass jemand sie mitnimmt auf eine Baustelle, auf
ein Feld, sonstwohin. Esel- und Mulikarren, voll beladen, teilweise im Galopp unterwegs, Autos, MotorDreiraeder, Schulbusse – alles ist auf den Beinen. Die Taxis sind alle hellblaue Mercedes Limousinen Typ
123. Morning rush hour.
Wir sind mit Kareem am Souq Al Hadd verabredet, einem riesigen Markt, zu dem wir spaeter zurueck
kehren wollen. Fahren zu Kareems kleiner Werkstatt. Er und sein Kollege tauschen unsere Pumpe
schwuppdiwupp aus, und das Wasser kommt mit einem Druck, wie wir es noch nie hatten.
Wahrscheinlich war die Pumpe schon defekt, als wir das Womo gekauft haben. Das haben die bei
Niessmann und Bischoff mit Sicherheit gewusst – die Saeckel! Wir bedanken uns ganz herzlich –
besonders, da heute eigentlich Feiertag ist und die beiden dennoch geholfen haben.
Ich lasse mir noch den Weg zum naechsten Hammam beschreiben, weil meine Haare dringend unter
Wasser gehoeren. Josef sitzt wieder im Cafe und liest Zeitung. Das Prozedere im Hammam ist wie gehabt
und tut wiederum sehr gut.
Wir schlendern noch ausgiebig ueber den Souq Al Hadd Markt, woertlich „Der Sonntagsmarkt“. Viele
Doerfer hier sind nach dem Markttag benannt. Wahrscheinlich war das hier auch mal ein Stadtteil oder
Dorf ausserhalb Agadirs, das aus einem Markt heraus entstanden ist. Er ist wirklich riesig und sehr gut
besucht.
Ueberall sitzen Frauen und kneten Arganoelmasse zu Seife, aus Muehlen laeuft dickfluessig, fast als Mus,
Argan- und Mandeloel. Wir kaufen jeweils ein Pfund Erdnussmus mit Honig und Mandelmus pur, Oliven
und die hausgemachten Plaetzchen der Marokkaner. Sehr lecker!
Dann fahren wir im grossen Bogen durch Agardir und sind positiv ueberrascht. Alle sagten, es sei
nichtssagend und eher haesslich. Koennen wir gar nicht finden. Es ist sehr anders als der Rest dessen, was
wir bisher gesehen haben, wirkt fast ein bisschen mondaen. Es gibt die aelteren Touristenhotels, die nicht
mehr so ganz taufrisch aussehen, aber auch schoene neue, jedoch keine architektonischen
Monstrositaeten. Schliesslich verlassen wir Agadir und fahren wieder hinauf Richtung Ait Baha, daran
vorbei und fast bis zum sehr malerischen Agadir Tizrgane, aber eben nur fast, weil es beinahe dunkel ist
und Josef auch genug hat vom Fahren heute. Wir stellen uns neben der Strasse auf einen Schotterplatz,
haben eine herrliche Aussicht nach allen Seiten und schlafen wie die Murmeltiere.
2.4.
Sind als erstes zum Agadir gefahren. Tizrgane, das eigentlich kein Agadir, sondern ein Weiler ist, wurde in
Zusammenarbeit mit dem marokkanischen Kultusministerium und viel Privatinitiative zum Teil restauriert
und beherbergt eine schoene Auberge, die die Haelfte des Weilers ausmacht. Es ist, wie eine Festung, auf
einer Bergspitze, umgeben von einer kompletten Mauer und mit nur zwei Eingangtoren, wovon das erste
verschlossen ist. Wir gehen aussen um die Mauer herum und finden auf der anderen Seite ein offenes
Tor, gehen hinein, laufen durch die paar engen Gassen. Es ist noch ganz still hier; scheinen alle noch zu
schlafen. Irgendwann kommt ein Mann mit einer Schubkarre vorbei, und wir finden die Baustelle,
schauen ein Weilchen zu, wie sie Zement mit einem Flaschenzug auf ein Dach bringen, werden dann
recht unwirsch von so einer Art Vorabeiter weggeschickt. Ebenfalls recht unwirsch begegnet uns ein
junger Mann, der uns pro Person 20 Dh Eintritt abnimmt. Als ich ihm sage, dass im ganzen Weiler kein
Schild haengt, wohin man sich wenden soll, dass auch kein Mensch zu sehen war, wir aber keineswegs
die Absicht hatten, uns hinein zu schleichen, entschuldigt er sich damit, dass er eben erst aufgewacht sei.
Ist ja auch erst 10:00. Da kann man als Hotelangestellter schon noch in den Federn liegen.
Wir beschliessen, unserem „mapsme“ folgend, von dieser Seite aus, also von der Nordseite, einen
Wanderweg auf den Jebel Lekst zu finden, anstatt erst nach Tafraoute zurueck zu fahren, um vom Sueden
aus zu klettern. Fahren also von Tizrgane aus Richtung Berg, soweit es geht, finden einen guten Platz, das
Womo abzustellen, und laufen los. Ein Feldweg fuehrt an einem sehr hohen, jedoch eher leicht
rieselnden Wasserfall mit Gumpe (lerne auf dieser Reise, dass dies ein amtliches deutsches Wort fuer ein
natuerliches Wasserbecken ist), dann an mehreren, zwar gepflegten, jedoch scheinbar verlassenen
Haeusern vorbei, laufen weit hinauf bis zum letzten Weiler, wo ein paar Maenner einen Anbau an ein
Haus errichten und fragen sie nach Wegen den Jebel Lekst hinauf, folgen ihren Beschreibungen und
finden tatsaechlich einen wunderbaren Trampelpfad, parallal zum Bachbett steil hinauf fuehrend, dann in
ein weites Hochtal, weiter hinauf, jetzt durch einen Steineichenhain und schliesslich wieder ein Hochtal.
Um uns herum lauter Gipfel. Eigentlich haben wir nicht den Ehrgeiz, es bis ganz hinauf zu schaffen, aber
wir glauben im Nachhinein, dass wir doch auf ueber 2000m waren. Der hoechste Gipfel liegt bei 2200m.
Jedoch ist das gesamte Massiv so breit, dass man wahrscheinlich selbst von ihm aus nicht hinunter
schauen koennte auf die Suedseite. Wir finden eine uralte Muenze (Josef meint, den Davidstern darauf zu
erkennen) und eine 30 cm lange Stachelschweinborste! Hier oben duftet es nach allem Moeglichen, nicht
nur nach Kraeutern, sondern richtig wie Parfum. Der Himmel hat sich im Laufe des Vormittags geklaert,
und wir wandern bei schoenstem Sonnenschein durch gruene Landschaft. In einem der Hochtaeler
sammelt ein Mann wilden Thymian, waehrend sein Esel geduldig wartet.
Sind nach sechs Stunden strammen Raufs und Runters wieder am Womo, trinken einen Tee und
beschliessen, der Teerstrasse noch ein Stueck nach oben zu folgen, in der Hoffnung auf einen Schlafplatz.
Fahren an einer Stelle vorbei, primitiv mit ein paar Steinen markiert, wo die Strasse unterspuelt und
weggebrochen ist. Hier fahren taeglich die Schulbusse vorbei. Mir wird ganz anders, wenn ich da hinunter
schaue. Hier stehen wir nun auf 1700m in einem grossen Hochtal mit wiederum ganz unglaublicher
Landschaft um uns herum. Direkt neben dem Womo sind zwei grosse Loecher in der Erde. Schakal?
Fuchs? Heute Nacht mal ansitzen durch’s Fenster!
3.4.
Von wegen Ansitzen durch’s Fenster! Geschlafen haben wir, wie die Steine. Morgens hocken schon
wieder diverse Kraeutersammler im weiten Umkreis um uns herum. Wir gehen gucken, was sie da
sammeln. Alles Moegliche, was nur jetzt im Fruehjahr so schoen waechst und ein kraeftiges Aroma
versprueht. Ein Mann drueckt mir aus seinem Sack einen ganzen Armvoll Kraeutergemisch in die Hand
und als Dreingabe seine Adresse und Telefonnummer: wir seien jederzeit willkommen, auf seinem
Grundstueck ein Dorf weiter zwischen Zitrus- und Mandelbaeumen zu kampieren. Die Frauen sind hier
oben verschlossener. Wenn wir an der Strasse an ihnen vorbei fahren, drehen sie sich weg und bedecken
ihr Gesicht – selbst die ganz alten. Wir folgen einer Strasse, die uns theoretisch wieder auf die Nordseite
des Bergmassivs und Richtung Tafraoute bringen muesste, sind jedoch nicht sicher, in welchem Zustand
sie ist. Im naechsten Dorf stehen zwei Maenner auf ihrem Hausdach, und wir fragen sie. Sie kommen
runter zu uns, und es entspinnt sich, wie so oft hier, ein nettes Gespraech. Der aeltere, der Vater, lebt
hier; der juengere, sein Sohn, lebt mit Familie in Meknes weiter im Norden und betreibt dort zwei
Cafehaeuser. Auch der Vater war sein ganzes Berufsleben weg – in Frankreich, kam erst zur Rente
wieder. Die Doerfer hier sehen viel wohlhabender aus als weiter im Sueden und Osten. Die Menschen
sind abgewandert als Gastarbeiter und investieren in ihren Doerfern in neue Haeuser. Die alten
Lehmsiedlungen sind ebenso verlassen und dem Verfall preisgegeben, wie die jahrhundertelang in den
Berg gearbeiteten Terrassen. Niemand pflegt sie mehr, niemand bestellt die Felder, pflegt die
Mandelbaeumchen, noch weiter unten an den Haengen die Arganbaeume. Man kann es ihnen nicht
verdenken: es ist Schwerarbeit fuer den niedrigsten Lohn. Der Kraeutersammler erzaehlt uns, er
bekommt pro Kilo getrocknete und von den Stengeln befreite Kraeuter 10 Dh (= 1 EUR). Ein KG
getrocknete Kraeuter ist eine Riesenmenge. Was eine Arbeit fuer fast nichts! Auf dem Markt wird das Kilo
Thymian fuer 40 Dh verkauft – im Grunde auch wenig. Zum Vergleich: Obst und Gemuese kosten
zwischen 5 und 8 Dh pro Kilo. Also wollen die jungen Leute anders ihr Geld verdienen – mit dem Ergebnis,
dass die Jugendarbeitslosigkeit in der Stadt bei fast 30 % liegt, auf dem Land bei 9%.
Wir kommen ins Politisieren, und der Sohn sagt, die Araber seien selbst Schuld an ihrer Misere, sie seien
untauglich. Immerhin ein guter Anfang, die Selbstkritik! Wir verabschieden uns schliesslich, nachdem die
Maenner uns versichert haben, dass die Strasse bis nach Tafraoute geteert sei (franzoesisch „goudronee“
– ein sehr wichtiges Wort hier) und fahren dann durch diese wunderschoene Landschaft, die gruenen
Berge, kunterbunten Blumen, die huebschen an die Haenge geklebten Doerfer mit ihren, wenn auch
meistenteils neuen, so doch sehr schoenen oft dunkelrot oder rosa verputzen Haeusern, die sich
wunderbar in die Landschaft schmiegen. Die alten Terrassen ziehen sich die Haenge hinauf bis auf
2000m. Unglaublich! Was muss das fuer eine Arbeit gewesen sein, die zu erhalten und bewirtschaften. Es
geht in Serpentinen immer zwischen 1100m und 1400m rauf und runter. Der Himmel ist blitzeblau.
Dann sehen wir direkt an der Strasse einen kleinen Wasserfall, der sich in eine recht grosse Gumpe
ergiesst – der ideale Platz zum Waeschewaschen, auch, um die Fenster von ihrer Staubschicht zu befreien,
und das Bett frisch zu beziehen. Gesagt, getan.
Ich weiche alles ein, und waehrend es vor sich hin weicht, trinken wir Tee, lesen Zeitung und lauschen
dem Plaetschern. Es fahren in den Stunden, die wir dort verbringen, keine fuenf Autos vorbei. Eines
davon haelt, und zwei Maenner, mit Kochuntensilien und Strandmatte bewaffnet, verschwinden
zwischen den Felsen. Ein zweites haelt, und zwei Maenner, Fernmeldetechniker, die fuer einen
Fernsehsender arbeiten, bleiben ein Weilchen und plaudern. Irgendwann kommt ein Mann zu Fuss, der
uns ein paar aus Schilfgras selbstgemachte Koerbchen verkaufen will. Wir bieten ihm stattdessen ein paar
der leckeren marokkanischen Konditorkekse an, und er trollt sich einigermassen zufrieden. Als unsere
Waesche einigermassen getrocknet ist (das geht hier ratzfatz mit der Aufhaengtecknik der Frauen: man
legt alles ueber trockene Buesche, sodass der Wind von allen seiten drunterfahren und die Sonne voll
drauf prasseln kann), packen wir alles zusammen, lassen das Womo stehen und folgen dem Wasserlauf
nach oben, stellen fest, dass hier zwei kleine Fluesse zusammen fliessen, finden an dem einen die beiden
Picknicker, die sich an einem weiter oberhalb liegenden, sehr hohen Wasserfall ein Mittagessen gekocht
haben und uns ueberreden wollen, mit ihnen zu essen.
Wir bedanken uns ganz herzlich, moechten aber noch ein bisschen laufen. Weit kommen wir nicht, da es
ueberall sehr steil nach oben geht. Dennoch sehr schoen hier. Wir erkunden noch den zweiten Bachlauf,
der ebenfalls an einem hohen Wasserfall mit darunter liegendem Becken endet. Es ist wohl alles
Schmelzwasser, das spaetestens im Juni abgeflossen sein wird, so dass dann hier alles trocken sein wird.
Schliesslich fahren wir weiter Richtung Tafraoute. Als wir die Hoehe verlassen, kommen ploetzlich von
Westen bedrohlich dunkle Wolken. Sie quellen ueber die Berge, die wir eben hinter uns gelassen
habenund tauchen sie in Nebel. Vor uns ist noch immer beinahe dunkelblauer Himmel. Wir fahren vor
der Schlechtwetterfront her, lassen sie schliesslich weit hinter uns, und als wir wieder unten im breiten,
gruenen Ammelntal sind, wo wir ein paar Naechte vorher uebernachtet hatten, ist nichts mehr zu sehen
von den Wolken. Tafroute ist geschaeftig, wie schon vor unserem Abstecher nach Agadir. Vor
Mohammads Womowerkstatt steht wieder ein halbes Dutzend Fahrzeuge. Wir gehen auf den freien Platz
hinter der Stadt wo man offiziell „wild“ stehen darf, ziehen nochmal zu Fuss los, essen wiederum ziemlich
schlechte Hackspiesschen mit kalten Pommes und broeseligem Brot und nehmen uns zum vierten Mal
vor, hier nicht mehr essen zu gehen.
Als wir schon im Pijama dasitzen, klopft es, und ein Angestellter der Stadt kassiert 15 Dh Gebuehr,
erzaehlt uns noch, dass unser Kofferraum vorher sperrangelweit offen stand, als wir weg waren. Das
passiert uns nun schon zum zweiten Mal, dass wir weg laufen ohne ihn zu schliessen. Aber es fehlt wieder
nichts. Gott sei Dank ist das so ein ehrliches Voelkchen bisher!
4.4.
Gehen nach dem Fruehstueck nochmal in die Stadt, um zur Bank zu gehen. Es ist der Teufel los. Die
ganzen Leute aus den umliegenden Bergdoerfern sind offenbar hier. Wir postieren uns in einem Cafe an
der Strasse und beobachten das bunte Treiben. So schoen und so unterhaltsam.
Wir wollen heute den Anti-Atlas wieder verlassen und 120 km Richtung Westen bis Tiznit kurz vor der
Atlantikkueste fahren. Kurz hinter Tafraoute sieht die Landschaft ganz kurz aus wie Arches National Park
in den USA: roter Sandstein, der ueberaus bizarre Formen bildet. Aber ploetzlich sind das Gruen und der
Sandstein weg, und wir fahren wieder mal durch karge, sanft geschwungene Wuestenlandschaft, hier
und da Doerfer, wo ein bisschen Wasser an die Oberflaeche kommt oder von benachbarten Bergen
abfliesst. Die Doerfer haben weder Falajs, noch Wadis; dafuer sind ueberall Windraeder, wie im Wilden
Westen, die Wasserpumpen antreiben. Auch gibt es hier schlagartig weder Arganien noch Mandeln,
stattdessen Getreidefelder und Olivenbaeume. Wir sind noch immer auf 1300m Hoehe. Irgendwann
kommen wir an den Rand des Gebirges, und vor uns faellt eine dramatische Strasse hinunter zur
Kuestenebene ab. Dort, wo sie abfaellt, steht ein Hotel mit grandiosem Blick. Stellen das Womo auf dem
Hotelparkplatz ab und gehen ein Weilchen spazieren, um uns die Fuesse zu vertreten, bewundern ein
Holzhaus, das ebensogut im Schwarzwald stehen koennte (Bestimmt hat der Eigentuemer mal dort oder
in den Alpen irgendwo gelebt) und fahren schliesslich weiter, kommen endlich, des Fahrens muede, in
Tiznit an und stellen uns auf einen Camping-Platz gleich hinter der Stadt. Hier gibt es ganz viel Khubbese
(wilde Malve), und ich mache daraus Abendessen.
5.4.
Wir laufen morgens durch die die Stadt umgebende Ebene – sehr vernachlaessigte ehemalige Felder, jetzt
offenbar die Bauschutthalde der Stadt – dann durch ein Stadttor ins Zentrum. Tiznit ist komplett von einer
Lehmstadtmauer umgeben, die irgendwann restauriert wurde. Die Hauptstrasse ist sehr geschaeftig,
allerlei Karren mit Waren, Baumaterial, Viehfutter, etc. werden umher geschoben; Einkaeufer erstehen
Gemuese, Brot, usw. Wir schlendern einmal ganz hindurch bis zum gegenueberliegenden Stadttor,
werden von einem Schlepper angesprochen, der uns mit ein paar Brocken Deutsch – kommt haeufig vor –
unbedingt in einen Laden mit Silberschmuck und Teppichen bringen moechte. Josef erklaert ihm auf
Arabisch, dass wir mit Sicherheit nichts kaufen werden. Ueberhaupt hoert und spricht Josef hier richtig
viel Arabisch! Tiznit war frueher die Stadt der Silberschmiede, aber was sie uns dann letztendlich zeigen,
ist Krempel. Wir bedanken uns hoeflich und gehen unserer Wege. Kommen in die Strasse der
Schuhmacher. Hier sind lauter Zuliefergeschaefte fuer ebenjene, die alles Zubehoer verkaufen, was die
Schuhmacher fuer ihre kleine Massenproduktion der traditionellen Berberschuhe und auch modernerer
Sandalen benoetigen. In einem Hinterhof sehen wir in einer winzigen Werkstatt einen Mann, der nur die
Obermaterialien zusammen klebt. Im Nachbarwerkstaettchen schneiden sie zu zweit im Akkord Sohlen
zu, und so sieht man einen Arbeitsschritt nach dem anderen. Adam Smith’s Arbeitsteilung und
beginnende Serienproduktion – jeder BWL Student haette seine Freude! Josef hatte ja schon in den
Bergen zwei Paar von den Herrenschuhen in gelb erstanden, und nun kaufe ich ein paar der knallroten
Damenschuhe. Sie bestehen natuerlich nicht mehr komplett aus Leder, wie frueher, aber sie sind
tatsaechlich beinahe ganz von Hand gemacht. Wir trinken noch den obligatorischen Tee an einem kleinen
Platz, wo wir dem Kommen und Gehen zuschauen koennen, und suchen dann nach irgendeiner „Blauen
Quelle“, die es hier geben soll. Finden sie nach einigem Hin- und Hergeschicktwerden. Tatsaechlich
plaetschert da aus einer Wand Wasser in ein grosses und tiefes Becken, was wohl frueher Waschplatz
und Brunnen gewesen sein muss. Daneben steht eine alte, jedoch restaurierte Festung, von der allerdings
nur noch die Aussenmauern stehen. Der Hof wird als Amphitheater genuetzt.
Schliesslich kehren wir zurueck zum Campingplatz, nuetzen noch die sehr sauberen Duschen, fuellen
Wasser auf und machen uns am Nachmittag auf den Weg Richtung Ozean. Nach nicht einmal einer
halben Stunde Fahrt liegt er vor uns, wolkenverhangen und grau, mit sich hoch auftuermenden lang
gezogenen Wellen.
Wir sind in Aglou, einem kleinen Doerfchen, das offenbar zum Strandbad ausgebaut werden soll, jedoch
recht verschlafen wirkt. Wir drehen eine kleine Runde mit dem Auto, halten am einzigen Supermarkt,
decken uns ein bisschen ein (Warum haben wir das nicht in Tiznit gemacht, wir Dussel? Hier sind
Touristenpreise!), fahren dann weiter zum dazughoerigen Fischerhafen. Dort darf man ueber Nacht
stehen. Es sind etwa 7 oder 8 franzoesische Womos da. Zwei Grueppchen spielen, man soll es nicht
glauben, neben der Strasse im Geroell Boule. Nette Stimmung. Einer kann Deutsch und erzaehlt, er war
viele Jahre fuer die franzoesische Armee in Landau in der Pfalz stationiert war. Germersheim kannte er
auch.
Wir beschliessen, noch ein bisschen an der Kueste entlang zu fahren und finden ein sehr schoenes
Plaetzchen auf einem vorgelagerten Felsen (auch vom Reisefuehrer als Platz fuer die Nacht empfohlen,
was sich als Schuss in den Ofen heraus stellt). Das Meer ist direkt unter uns. Gehen noch ein wenig
spazieren. Wieder ist hier eine ganz andere Vegetation, andere, wunderschoene Fruehlingblumen und
exotische Kakteen. Wir haben jedoch ein ungutes Gefuehl, weil ein Motorradfahrer nah am Womo steht
und endlos telefoniert, oder so tut, als ob. Kochen uns was zu essen, waehrend diverse Autos kommen
und gehen, meist marokkanische Familien. Ein Mann postiert sich unweit von uns mit dem Ruecken zum
Meer und stiert unentwegt auf sein Handy. Fuer die Aussicht interessiert er sich nicht. Schliesslich kommt
er zu uns, fragt, ob wir hier uebernachten wollten, sagt dann, es sei nicht erlaubt, wir koennten zum
Hafen, wo die anderen stehen oder nach Mirleft ein paar KM weiter auf den Campingplatz. Er sei hier der
zustaendige Polizist (in Gellabe und mit Baseballkappe nicht als solcher erkennbar). Ich habe das Gefuehl,
er will sich nur wichtig machen, sage ihm, wir essen zu Ende, raeumen auf und fahren zum Hafen
zurueck. Er trollt sich, und als wenig spaeter ein paar Jungs kommen, frage ich sie, ob die den Mann
kennen und ob stimmt, was er sagt. Sei bestaetigen es. Also fahren wir brav zurueck zum Hafen und
stellen uns zu den Franzosen. Wir wussten schon, dass es an der Kueste meistenteils verboten ist, wild zu
campen, weil es hier im Winter wohl recht ueberlaufen ist mit franzoesischen „Snow Birds“, die die kalte
Jahreszeit hier verbringen.
6.4.
Fahren morgens weiter bis Legzira und hinunter zum Wasser, wo sich ein paar Restaurants gerade fuer
den Tagesbetrieb vorbereiten, und laufen am sehr breiten Kiesstrand entlang, wo wir praktisch allein
sind. Oben auf einer Klippe stehen ein paar Surfer, aber im Wasser ist ob der starken Brandung niemand.
Am anderen Ende des Strandes soll es zwei riesige Steinboegen geben, durch die man malerisch hindurch
schauen kann. Finden den ersten und setzen unsere Kapuzen auf, bevor wir hindurch gehen, weil vor
herabfallenden Steinen gewarnt wird. Auf der anderen Seite steht einsam in der Landschaft ein junger
Mann an einem Tisch mit Orangen und einer Presse und bietet frischgepressten Saft an. Wirkt ein wenig
deplatziert und unwahrscheinlich hier so mitten im Nichts.
Den zweiten Steinbogen finden wir nicht. Der ist irgendwann eingebrochen und liegt als gewaltiger
Geroellhaufen am Strand. Da haette die Kapuze auch nicht wirklich genuetzt, wenn man gerade drunter
gestanden haette. Auf dem Rueckweg beschliessen wir, das Unternehmen des jungen Mannes zu
unterstuetzen und lassen uns ein Glas Saft zubereiten. Er besitzt nur ein Glas, das er zwischen zwei
Kunden mit Meerwasser abwaescht. Mittlerweile sind mehr Spaziergaenger am Strand, und er erzaehlt,
dass er an guten Tagen bis zu fuenf Kilo Orangen verarbeitet. Na dann, viel Glueck!
Wir fahren weiter nach Sueden bis Sidi Ifni, einem recht huebschen Kuestenoertchen, das bis 1969
spanische Kolonie war und von Franco zu einem wichtigen Militaerstuetzpunkt ausgebaut wurde. Das
Staedtchen ist in blau und weiss gestrichen und wirkt tatsaechlich eher spanisch. Wir essen gemeinsam
mit ca 3000 Fliegen Fisch und eine maessig gute Paella und wollen eigentlich einen langen
Strandspaziergang machen. Leider haben wir die Ebbe verpennt, und als wir endlich loskommen, steigt
das Wasser schon wieder, und da rechts von uns eine steile Felswand 50m aufragt, wollen wir lieber
zurueck. Etwa 500m vor uns laeuft ein junger Mann, und wir denken, er ist Marokkaner und wird schon
wissen, wann man umdrehen muss, so dass wir ihm ein Weilchen hinterher laufen. Aber dann
beschliessen wir, uns doch auf unser eigenes Urteilsvermoegen zu verlassen. Als wir gerade umdrehen
wollen, sagt Josef, er rennt jetzt zu ihm hin und pfeift ihn auch zurueck. Ich warte und kann zugucken, wie
das Wasser steigt. Josef verschwindet in der Ferne hinter einem Felsen und kommt und kommt nicht
wieder zum Vorschein. Ich beobachte das Wasser mit Argwohn. Endlich sehe ich ihn und den jungen
Mann, und sie kommen Gott sei Dank recht schnell. Er ist Ukrainer und hat offenbar keine Ahnung von
Ebbe und Flut, bedankt sich, weil Josef ihm das Leben gerettet habe. Tatsaechlich steht das letzte Stueck
Rueckweg schon unter Wasser, und wir muessen ueber einen Felsen klettern. Zwischenzeitlich
politisieren wir mit ihm ueber die Ukraine, Russland und die EU.
Fahren weiter bis Guelmin, dem von uns angepeilten suedlichsten Punkt dieser Reise. Trauern beide ein
wenig, weil wir gar nicht recht gen Norden wollen – fuehlt sich so nach Heimweg an. Spinnen ein bisschen
rum, wir koennten ja auch nach Mauretanien und in den Senegal und Gambia weiterfahren. An Mut fehlt
es uns nicht. Aber wir fuerchten, dass der Diesel suedlich von Marokko fuer unseren Euro 6 Motor nicht
geeignet ist, finden auch nichts Abschliessendes dazu im Internet und beschliessen, es gut sein zu lassen.
Fuer Schwarzafrika brauchen wir ein einfacheres und robusteres Fahrzeug.
Die Strasse nach Guelmin fuehrt von der Kueste weg, und ploetzlich sind wir wieder in einer ganz
anderen Landschaft: Sanfte Huegel, ueberall Kaktusfeigen, auch angepflanzt als Kulturpflanze,
allmaehlich wieder Arganienbaeume, dazwischen silbrig wogende Gerstenfelder. Dann lassen wir die
Huegel hinter uns und sind ploetzlich wieder in der Wueste, fahren durch eine leer Ebene in Guelmin ein,
einer recht unattraktiven, jedoch sehr lebendigen ehemaligen Garnisonsstadt und auch jetzt ein
wichtiger Militaerstuetzpunkt Marokkos. Hier fuehrt die Hauptnordsuedachse Richtung Mauretanien
hindurch. Man spuert es am regen und halsbrecherischem LKW-Verkehr. Auffaellig ist die ungewoehnlich
grosse Anzahl alter Landrover…schaetzen Baujahr 1950…fragen und man sagt uns, man haette das Auto
1987 gekauft…wir schauen unglaeubig und finden dann raus, dass das schon damals als gebrauchtes Auto
gekauft wurde… Unser Ziel hier ist der Markt, der freitagabends (also heute) und samstags stattfindet
und auf dem noch Kamele gehandelt werden. Er liegt ausserhalb der Stadt und ist wirklich
beieindruckend: Berge von Obst und Gemuese im einen Teil und auf einem grossen ummauerten Platz
jetzt schon vier oder fuenf kleine Kamelherden. An der Mauer entlang kleine Gehege mit Schafen, deren
Eigentuemer sie fuer den Markttag morgen aufhuebschen. Sie waschen sie und schneiden ihnen die
Dreckklumpen aus dem Fell. Dann laufen junge Maenner los und fangen die Kamele ein, indem sie ein
einzelnes am Schwanz packen und sich so lange ueber den Platz ziehen lassen, bis das Kamel muede wird.
Dann zwingen sie es, sich hinzulegen, binden ihm jeweils ein Vorder- und ein Hinterbein relativ eng
zusammen, damit es sich nur noch bedingt bewegen kann. Das alles geschieht mit unnoetiger Rohheit,
und man kommt immer wieder unweigerlich zu dem Schluss, dass wir Menschen wirklich grausam sind.
Wir haben die Tiere domestiziert, sie von uns abhaengig gemacht und behandeln sie schrecklich – ob in
Massentierhaltung im Westen oder hier, wo die Tiere immerhin bis zu ihrem Schlachttag recht
unbeschwert leben.
Nachdem wir dem Treiben eine Weile zugeschaut haben, beschliessen wir, langsam wieder Richtung
Norden zu fahren – und zwar schraeg in nordoestlicher Richtung hinauf zum Atlasgebirge, unserem
naechsten Ziel. ( Josef sagt nach der Reise immer wieder, er waere gern noch ein paar Tage in Guelmin
geblieben und warum wir denn so schnell wieder weg sind. Ich fand es dort nicht so heimelig, aber Josef
hat das Abenteuer gerochen, das die Stadt fuer ihn immer noch ausstrahlt.) Nachdem wir die
Wuestenebene verlassen und wieder in die Huegel kommen, finden wir eine Seitenstrasse zu einem Dorf,
wo wir genau zur Dunkelheit neben der Strasse einen Platz finden. Draussen ist sternenklare Nacht, nur
10 Grad und sehr windig.
7.4.
Heute frueh ist es grau, kalt, windig, und es regnet leicht. Wir kommen fast nicht aus dem Bett. Wir
wollen ueber Tiznit, dann Richting Taroudant weiter Richtung Nordosten, und von dort in den Hohen
Atlas. Das Wetter klart auf, und es wird ein wunderschoener sonniger Tag. Aber zunaechst Tiznit, wo wir
noch einmal anhalten – hauptsaechlich wegen des Tuerprojektes. Josef will seit Jahren eine Tuer zwischen
Garage und Haus einbauen, um den Abgang zum Garten bei Bedarf schliessen zu koennen, und wir haben
immer wieder mit einer alten omanischen Tuer geliebaeugelt. Beim Umzug aus Dubai haetten wir eine im
Container mitbringen koennen, haben es dann aber gelassen. Hier in Marokko haben wir immer wieder
alte Tueren gesehen, sowohl in den leerstehenden Haeusern der verlassenen Doerfer, als auch bereits
ausgebaute zum Verkauf. Als wir vor ein paar Tagen in Tiznit waren, sahen wir mehrere schoene bei
einem Antiquitaetenhaendler, konnten uns jedoch nicht recht dafuer entscheiden, eine mitzunehmen.
Nun messen wir also den Kofferraum aus, gehen wir zurueck zu dem jungen Haendler und handeln wie
wild, gehen dann einen Tee trinken, plaudern mit einem Italiener, der neben uns sitzt und auch als
Tourist unterwegs ist, gehen schliesslich zurueck und kaufen eine. Josef wird noch eine Verschalung um
die Tuer herum bauen muessen, da sie recht klein ist.
Nun liegt sie im Kofferraum zuunterst und traegt endgueltig dazu bei, dass das Auto zu schwer ist.
Muessen sofort aufhoeren, einzukaufen!
Fahren schliesslich Richtung Taroudant durch die breite, sehr fruchtbare Kuestenebene, die Obst- und
Gemuesekammer Marokkos. Hier werden in riesigen Gewaechshaeusern Bananen, Paprika, Gurken,
Tomaten, usw. angebaut; ausserdem gibt es endlose Zitrusplantagen und dazwischen immer wieder
weite Flaechen mit lichten Arganienhainen, alles uralter Baumbestand, darunter teilweise Kornfelder. Wir
finden schliesslich abseits der Hauptstrasse zwischen den Arganien einen schoenen Platz fuer die Nacht.
Es duftet unglaublich nach Orangenblueten! Es stuermt schon den ganzen Tag, und das Womo wackelt im
Wind.
8.4.
Der Wind hat sich Gott sei Dank gelegt. Wir fahren nach Taroudant, wo es laut Reisefuehrer eine intakte
Stadtmauer um die gesamte Altstadt und zwei sehr schoene Souqs – angeblich die schoensten in ganz
Marokko gibt. Wir treiben uns den ganzen Tag in der Stadt herum und kommen aus dem Staunen nicht
heraus. Es fahren huebsche alte Kaleschen, leichte Einspaenner, in der Stadt herum, die nicht nur fuer
Touristen sind, sondern als normales Nahverkehrsmittel dienen. Als wir gegen 9:30 in die Stadt kommen,
ist es noch ruhig, die meisten Laeden noch geschlossen, nette Morgenstimmung. Ploetzlich hoeren wir
Musik, eine orientalische Blaskapelle mit Trommeln kommt um die Ecke, und ein Haendler, bei dem wir
gerade marokkanische Schuhe fuer Alec kaufen, erklaert uns, sie machen Werbung fuer einen so
genannten „Mawsim“, der heute Abend stattfinden soll. In Marokko werden viele Heilige verehrt, es
werden ihnen besondere Grabmale gesetzt, so genannte Marabuts, und es werden ihnen bestimmte
Tage gewidmet, wie den christlichen Heiligen, an denen zu ihren Ehren Feierlichkeiten stattfinden. So
etwas ist das wohl. Herrlich. Es klingt wie Mittelalter. Wir kommen auf einen der beiden grossen Plaetze
in der Altstadt, wo schon reges Treiben herrscht. Er ist gesaeumt von Cafes, die bereits ganz gut besucht
sind. Auch hier hoeren wir laute Musik und Trommeln. Als wir uns dorthin vorarbeiten, passieren wir
diverse andere Zeitvertreibe: auf dem Boden liegen Angeln, an deren Schnurende ein Ring besfestigt ist.
Vor jeder Angel steht eine Glasflasche, und jeder darf gegen ein Entgelt versuchen, mit der Angel den
Ring ueber den Flaschenhals zu bugsieren. Ein paar Meter weiter sitzt ein Kalligraph, der einem jeden
beliebigen Text mit einem schraeg angeschnittenen, in schwarze Tinte getauchten Bambusgriffel schreibt.
Sehr huebsch. An einer Ecke steht ein Mann mit einem tragbaren Klapptisch, auf dem die Augen eines
Wuerfels (also 1 – 6) jeweils in ein Feld gezeichnet sind. Die Leute setzen, je nach Risikofreude, 1 oder 2
Dirham, ja sogar groessere Betraege bis 10 oder 15 Dirham, auf eines der Felder, und er wuerfelt. Eine
einfache Form des Roulette, und meistens gewinnt die Bank – in diesem Fall in Form eines kleinen,
listigen Maennchens mit Turban. Dann sitzen da zwei alte Maenner auf dem Boden, der eine mit Floete
und Federschmuck an seiner Muetze, der andere mit Gesangsstimme. Es sind wohl Berber, wie alle hier,
aber sie koennten ebensogut Indianer oder Indios sein – sowohl, was die Aufmachung angeht, als auch
dem Klang der Musik nach. Der eine oder andere wirft ihnen einen Dirham in den Hut fuer die
volkstuemliche Darbietung. Den groessten Laerm verursacht eine Gruppe von Trommlern und Geigern,
wenn man sie so nennen kann. Das Instrument sieht aus wie ein Banjo mit langem Hals und nur einer
Saite (ich schaetze, Ziegenhaut) und klingt ebenfalls sehr archaisch. Dazu singen sie lauthals. Einer von
ihnen sieht sofort, wenn sich jemand neues zum Publikum gesellt und haelt den Hut hin. Niemand
entgeht ihm. Dann sitzen ueberall Zigarettenverkaeufer, die, wie so oft in der Dritten Welt, einzelne
Zigaretten verkaufen – dazu hier auch einzlene Blaettchen. Ich vermute, die Maenner drehen sich daraus
Joints. Angeblich wird hier viel und ausgiebig gekifft. Wir haben hier in Taroudant schon die eine oder
andere Wolke erschnueffelt. Weiter im Norden soll es wohl deutlich mehr sein. Wir laufen durch den
Souq, der ganz unglaublich ist – weitlaeufig, verwirrend, endlose ueberdachte Gassen mit allem nur
Denkbaren an Haushaltskram, Kleidern, Nahrungsmitteln, Gewuerzen, Kraeutern, etc. und so
urspruenglich, schoen, vielfaeltig und farbenpraechtig, dass man sich gar nicht satt sehen kann. In einem
der wenigen Laeden fuer Touristen, der jedoch wirklich hochwertige Sachen anbietet, haengen Fotos von
Francois Mitterand mit dem Eigentuemer, Farah Diba (schreibt man die so?) mit dem Eigentuemer, und
anderen Celebrities, die wir nicht kennen. Wir kaufen Berberschuhe fuer Alec und Arno in gelb, und fuer
Johann in rot. In orange, seiner Lieblingsfarbe, gab es trotz grossen Suchengagements von Seiten der
Verkaeufer keine in seiner Groesse.
Wir haben noch ein Ziel: Die Gerbereien, die wir auf der Karte im Travel Knowhow gefunden haben.
Fahren einmal rund um die Altstadt auf die andere Seite und werden fuendig. Auch hier geht es total
archaisch zu. Es ist ein grosser Hof mit lauter Zementbecken.
Es stinkt unglaublich, und die Maenner treten meistenteils barfuessig in den Becken herum, in denen die
Tierhaeute schwimmen, mal in Kalkwasser, mal in Eichenrinde, mal in Taubenmist, mal in was weiss ich.
Gesund ist das gewiss nicht. Aber sie sagen, es seien alles Naturprodukte, keine Chemie. Na, dann… Einer
der Verkaeufer spricht erstaunlich gut Deutsch, fuehrt uns herum und erklaert uns alles, zeigt uns dann
natuerlich seinen Verkaufsraum, aber „Kein Kaufdruck! Sie muessen gar nichts kaufen. Wir sind eine
Kooperative, und ich verkaufe fuer alle mit“. Von wegen. Als wir bei seinem Kumpel im Laden sind, sagt
der, es seien ihre eigenen Laeden. Am Ende kaufen wir beim Kumpel, Ziegen- und Schaffelle, Ziegen- und
Schafleder, Handtaschen….aber sie werden sich die Marge teilen, da der erste uns zum zweiten gefuehrt
hat.
Nach einem letzten Tee auf dem Platz der Gaukler machen wir uns auf, einen Schlafplatz zu suchen. Als
wir losfahren, stottert der Motor, beschleunigt nicht, schaltet nicht hoch, macht Pfeifgeraeusche. Oh,
Schreck! Wir fahren aus der Stadt hinaus, hoffen es legt sich. Aber es wird nicht besser. Ich fange an, zu
googlen, was es sein koennte und finde in Foren alle moeglichen Hinweise. Dann leuchtet die
Motorwarnleuchte gelb auf. Oh nein, oh nein! Jetzt tritt das ein, was ich immer befuerchtete: Wir haben
keine Ahnung von Tuten und Blasen und koennen nichts tun. Schliesslich rufe ich Faris, unseren
Juengsten und Kfz-Mechatroniker, an. Er meldet sich nicht. Ich lese weiter in den Foren und im Handbuch
und finde Hinweise auf Fehler in der Luftzufuhr, verstehe aber nicht wirklich viel. Beim zweiten Versuch
meldet sich Faris ganz verschlafen. Er war schon im Tiefschlaf, sagt uns aber, wo wir schauen muessen.
Noch haben wir ein wenig Tageslicht, aber bei unserem technischen Verstaendnis hilft uns das nicht viel.
Immernhin meint Faris, wir koennen damit bei unter 3000 Umdrehungen noch fahren, ohne irgend etwas
dauerhaft zu zerstoeren. In Agadir gibt es einen Mercedesvertragshaendler mit Werkstatt. Dort fahren
wir also wieder hin und hoffen, es ist nichts allzu Schlimmes. Natuerlich ist laengst Feierabend, aber wir
wollen vor seiner Tuer uebernachten und morgen danach schauen lassen. Josef hat ploetzlich die
Befuerchtung, beim Tanken in Taroudant habe der Tankwart uns, anstatt Diesel, Benzin eingefuellt. Das
waere eine Katastrophe.
9.4.
Josef hat eine schlaflose Nacht, malt sich alles in den dunkelsten Farben aus. Ich bin bisher noch recht
gelassen und habe gut geschlafen auf einem Parkplatz hinter der Werkstatt in Agadir. Stehen morgens
um 8:00 auf der Matte, ein freundlicher junger Mechaniker haengt sein Diagnosegeraet an unser Auto
und weiss schon, wo er den Fehler suchen muss, bevor das Geraet fertig ist mit Auslesen: ein Sensor, der
die Temperatur der einstroemenden Luft misst, ist abgerissen – wahrscheinlich durch Steinschlag – und
die ausstroemende Luft verursache das Pfeifen, sagt er. Er bestellt einen Sensor in Casablanca, der
morgen kommen soll, und reinigt auf Josefs Vorschlag den Luftfilter. Nun wissen wir auch, wo der ist. Wir
hatten den Pollenfilter nach dem Sandsturm gesaeubert und dachten, es sei der Luftfilter. Er klemmt den
Sensor ab, so dass wir ohne Probleme fahren koennen. Wir bedanken uns, verabreden uns auf morgen
frueh um 10:00 und haben nun den Tag zur freien Verfuegung. So sind wir nun das zweite Mal wider
Willen in Agadir, aber der Tag tut uns gut. Parken am suedlichen Ende der Strandpromenade und laufen
bei schoenstem Wetter los, an den ganzen Bettenburgen vorbei. Es sind viele Touristen und auch
Marokkaner unterwegs. Der Kontrast zu unserer bisherigen Umgebung koennte groesser kaum sein.
Immer wieder stellen wir uns vor, wie diese Stadt auf die armen Bauern in den Doerfern wirken muesste.
Wir treffen ein aelteres Ehepaar aus Frankfurt, die schon mehrfach zum Golfspielen hier waren, und auch
nicht viel Interesse an Land und Leuten haben, dafuer zu jedem der Hotels und zu Qualitaet und Preis des
Golfspielens hier und anderswo auf der Welt eine klare Ansicht haben. Wie gesagt: der Kontrast koennte
kaum groesser sein. Waehrend wir mit ihnen plaudern, machen Hotelgaeste hinter einer niedrigen
Mauer auf saftig gruenem Rasen Turnuebungen. Wir sehen immer mal wieder einzelne Beine in die Luft
ragen.
Laufen die ganzen 8 km Strandpromenade rauf und wieder runter und uns wortwoertlich die Fuesse
wund. Puenktlich um 13:00 schaltet jemand den Wind an, und es faengt an zu stuermen, dass man sich
vor herumfliegenden Gegenstaenden in Acht nehmen muss und sich fuehlt wie ein paniertes Schnitzel
von all dem Sand. Sind froh, als wir endlich wieder im Womo sind, fahren fort vom Strand und dem Wind
ein bisschen weiter in die Stadt hinein, parken neben einem Park, machen ein Nickerchen. Ich frage ein
paar Frauen nach einem Hammam. Eine faehrt mit mir im Womo, zeigt mir, wo es ist. Aber sie moechte
nicht, dass Josef mitfaehrt; das ist ihr unheimlich. Ich merke mir den Weg, bringe sie zurueck in den Park,
und Josef bringt mich wieder zum Hammam, wartet, im Womo lesend auf mich. Mittlerweile bin ich total
routinierte Hammambesucherin, wasche mir die drei Tonnen Sand aus den Haaren, und dann reicht es
uns noch, vor Sonnenuntergang auf den neben der Stadt liegenden Berg zu fahren. Dort oben stuermt es
noch, und ganz Agadir, ein paar Touristen und mindestens 5 Kamele, die die Touris zum Ablichten ueber
die stuermische Bergspitze schaukeln, sind hier oben. Wir bewundern die Aussicht auf die Bucht und der
langsam im kuenstlichen Licht erstrahlenden Stadt. Kaufen noch ein bisschen ein und gehen dann
vernuenftigerweise auf den Campingplatz, damit wir heute ruhig schlafen. Denn hier an der Kueste wird
man mit dem Womo wohl verscheucht, wenn man „wild“ steht. Es ist die teuerste Nacht hier in Marokko
mit gerade einmal 10 EUR! Das Auto macht keine Probleme. Wir hoffen sehr, dass das nach dem Einbau
des neuen Sensors morgen so bleibt.
10.4.
Punkt 10:00 heute frueh ruft die Werkstatt an, um zu sagen, dass der neue Sensor da ist. Er ist auch ruckzuck eingebaut, und wir machen uns auf der N10 wieder auf den Weg landeinwaerts nach Taroudant und
daran vorbei, bis die R203 nach Norden in den Hohen Atlas abzweigt. Sie geht bis Marrakesh und ist eine
von zwei Passstrassen durch den Hohen Atlas. Kurz vor der Abzweigung, in Oulad Berhil, halten wir an
einem Cafe an der Hauptstrasse, moechten eigentlich unser mittlerweile beinahe obligatorisches,
mittaegliches Fladenbrot-Sandwich mit gekochtem Ei und Schmelzkaese und Tee dazu, aber dieses
Armeleuteessen hat er nicht, und wir essen fuer 80 Dirham einen ziemlich schlechten Chicken-Wrap, der
irgendwie undefinierbar schmeckt, trinken unseren Tee dazu. Als ich meine mittaegliche Zigarette
rauchen will, wird mir das auch noch verwehrt. Na, sowas! Passiert mir hier zum ersten Mal. Morgen also
wieder Teebude!
Endlich verlassen wir die Ebene des Wadi Souss, die auch heute ganz intensiv nach Orangenblueten
duftet, fahren in langen dramatischen Serpentinen die Berge hinauf, wobei wir die ganze Zeit unter uns
das riesige, breite Tal sehen. Vor uns sind zwei Gleitschirmflieger ueber dem Berg. Dramatisch! Endlich
erreichen wir den Pass Tizi n Test in 2200m Hoehe. Dort gibt es eine kleine Herberge mit
Schotterparkplatz fuer Womos, genau in dem schmalen Bergeinschnitt, der den Pass bildet.
Der Wind pfeift hier oben von Norden her. Wir fragen, ob wir uebernachten koennen, ziehen uns ganz
schnell Wanderstiefel und zwiebelig geschichtet ganz viele Lagen an, denn hier oben ist es richtig kalt. Es
gibt eine schmale Piste auf der Suedseite des Berges, den wir eben hoch gefahren sind. Die Piste fuehrt,
gemuetlich ansteigend, in einer schoenen 2-Std-Wanderung zwischen licht stehenden Steineichen hinauf
zu einer Gruppe von Antennenmasten. Hier ist es windgeschuetzt und so warm, dass wir alles ausziehen
und uns um die Huefte haengen. Haben immer wieder herrliche Ausblicke hinunter auf die
Serpentinenstrasse und ins Tal. Schliesslich geht es um eine enge Kurve, ein letzter Anstieg, und dann
stehen wir auf dem Grat, neben uns die Antennenmasten, und gucken nach Norden.
Hier pfeift wieder gewaltig der Wind. Weit unter uns liegt ein wunderschoenes Flusstal mit gruenen
Terrassenfeldern und an den Berghaengen klebenden Doerfern. Wir sehen eine Teerstrasse, die hinunter
fuehrt, und nehmen uns fuer morgen vor, dort zu wandern. Spaeter finden wir das Tal auf der Karte:
Wadi Nfiss. Als wir auf dem Rueckweg sind, quellen Wolken wie dichter Wasserdampf aus dem Souss-Tal
zu uns herauf. Darueber der tiefblaue Himmel und die Abendsonne. Es sieht aus wie ein brodelnder
Hexenkessel. Tolles Schauspiel. Wir laufen zurueck und sind voellig geschafft. Vielleicht, weil wir von
Meereshoehe ploetzlich auf 2400 m sind? Mittlerweile ist es affenkalt hier oben, und wir machen die
Heizung im Womo an, gehen recht bald schlafen und haben, bis auf die Windboeen, die ab und zu das
Auto durchschuetteln, eine ruhige Nacht. Ich wache irgendwann auf und gucke raus. Was ein
Sternenhimmel!! Schade, dass es so kalt ist und ich so schlaefrig. Wuerde am liebsten rausgehen und
gucken.
11.4.
Bezahlen unsere Nacht und machen uns auf Richtung Norden, biegen nach ein paar KM ab zum Flusstal,
das wir gestern von oben gesehen haben und verbringen einen ganz herrlichen Tag dort unten in einem
Kongolmerat von Doerfern, die Aghbar heissen. Die schmale Teerstrasse, in manchen Kurven ueberspuelt
von kleinen Baechen, teilweise unterspuelt, teilweise mit Lehm bedeckt vom letzten grossen Regen,
teilweise mit Steinlawinen halb zugeschuettet, fuehrt hinunter und endet am Dorfeingang. Auf dem
gesamten Weg begegnet uns kein einziges Fahrzeug, obwohl es morgens und Wochentag ist. Wir laufen
durch das erwachende Dorf. Einzelne Maenner, auf dem Weg zu ihren Feldern, gehen freundlich
gruessend vorbei, das einzige Teehaus im Dorf mit wunderschoenem Blick hinunter auf den Fluss, der
richtig viel Wasser fuehrt fuer hiesige Verhaeltnisse, ist auch schon geoeffnet. Wir nehmen uns vor,
spaeter dort einen Tee zu trinken. Laufen durch dieses Dorf, ueberqueren auf einem schmalen
Fussgaengerbrueckchen den Fluss, laufen auf der anderen Seite weiter, begleitet – mit
Sicherheitsabstand – von einem scheuen Maedchen.
Mittlerweile sind es 13 Grad, die Sonne waermt schon richtig, und es windet kaum. Hier wachsen Aepfel,
Mandeln, Walnuesse, Kaktusfeigen und Pfirsiche. Im Tal stehen Espen. Alles ist noch im
Fruehjahrsmodus. Die Walnuss- und Affenbrotbaeume fangen gerade an, ihre Blaetter ein wenig zu
entfalten. Im naechsten Dorf sind Frauen damit beschaeftigt, in einem ummauerten Garten eine Kuhle
auszuheben. Sie erklaeren uns, das wird ein Ofen zum Brotbacken fuer eine nahende Hochzeit. Sie
schleppen Steine herbei, und eine aeltere Frau wird die Steine zu einem kleinen Iglu schichten und das
Ganze mit Lehm zuschmieren fuer das typische Brot hier. In Palaestina gibt es dasselbe in Gruen und
nennt sich „Taboun“. Sie erzaehlen, dass ihre Maenner meistenteils in Agardir oder Marrakesch arbeiten
und nur zu den Feiertagen nach Hause kommen, dass sie alles selbst machen: Kinder, Kueche, Haushalt,
Feld und Vieh. Sie laden uns ein, mit ihnen zu fruehstuecken, aber wir bedanken uns artig und laufen
weiter ins naechste Dorf. Alles ist huebsch: Haeuser aus geschichtetem dunklem Naturstein, teilweise mit
Lehm verputzt, die Daecher aus Knueppelholz und ebenfalls mit Lehm bedeckt. Zwischen den Haeusern
am steilen Hang schmale Treppen und Gassen, immer wieder ummauerte Gaerten mit einer Kuh, einem
Kalb oder einem Esel. Die Geraeuschkulisse beschraenkt sich auf Kinder- und Frauenstimmen, hier und da
meldet sich ein Esel, ein Schaf oder ein Hahn zu Wort. Die Haeuser sind zwar zum Teil verfallen, aber die
Doerfer sind lebendig und geschaeftig. Immer mal wieder laeuft eine Frau mit einem Buendel Viehfutter
oder Feuerholz vorbei, das sie entweder selbst auf dem Kopf bzw. auf dem Ruecken traegt, oder das ein
Eselchen fuer sie den Berg hinunter manoevriert. Im dritten Dorf heften sich drei Maedchen an unsere
Fersen, die uns dann begleiten. Die aelteste, Zainab, ist 14, die juengste vielleicht 8. Am Ende sind sie zu
fuenft, aber laengst nicht so laut und anstrengend wie die Jungsgruppen, die sonst unsere stetigen
Begleiter sind.
Sie antworten brav auf meine Fragen, verstecken sich ein wenig scheu, wenn ich sie direkt anspreche, bis
auf Zainab. Sie ist die aelteste von vier, ist 6 Jahre lang im Dorf zur Schule gegangen und dann noch ein
Jahr weiter weg in einer staatlichen Schule, wo sie im Internat wohnen musste. Dort wurden die Kinder
jedoch geschlagen, und sie hat es gehasst und schliesslich die Schule abgebrochen. Nein, sie langweilt
sich gar nicht im Dorf, hilft ihrer Mutter bei allem, kann schon alles selbst. Ob man sie bald verheiraten
wird, frage ich sie. Nein, sagt sie, um Himmels Willen, sie sei ja noch viel zu jung. Na, Gott sei Dank! Sie
war in ihrem ganzen Leben nur ein einziges Mal in Agadir und einmal in dem Dorf unten im breiten Souss-
Tal, wo wir gestern unseren Chicken Wrap gegessen haben – ansonsten nur hier in den Doerfern und das
eine Jahr im Schulinternat.
Wir verlassen irgendwann den schoenen Weg, der offenbar noch endlos etwa 30 Meter oberhalb des
Wadis verlaeuft und die Doerfer miteinander verbindet, gehen hinunter zum Fluss und laufen langsam
zurueck. Es geht ueber Stock und Stein, immer mal wieder ueber den Fluss – einmal werfen die Maedchen
grosse Steine fuer uns ins Wasser, damit wir keine nassen Fuesse kriegen.
Wieder faengt der Wind an, maechtig zu blasen. Als wir endlich wieder bei den Maedchen im Dorf sind,
moechte Zeinab uns zum Tee einladen, aber da wir nicht wissen, was ihre Mutter dazu sagt, lehnen wir
hoeflich dankend ab. Sie gibt mir ihre Telefonnummer und bittet mich, sie von Deutschland aus ab und zu
anzurufen. Ich verspreche ihr, ihr ab und zu auf Arabisch eine SMS zu schreiben.
Als wir endlich an unserem Ausgangspunkt zurueck sind, trinken wir vor dem Teehaus auf dem
Buergersteig sitzend, und sehr zur Belustigung und Unterhaltung der gesamten maennlichen
Bevoelkerung des Dorfes, unseren ersehnten Tee und essen das Ei-Kaese-Fladenbrot mit Heisshunger.
Wir beschliessen, nicht hier zu uebernachten, da in dem engen Tal bald Schatten sein wird. Fahren also
die schmale Teerstrasse wieder hinauf zur Passstrasse und wenden uns gen Norden. Nach ein paar KM ist
weit, weit unter uns wieder das schoene Flussbett des Wadi Nfiss – eine Augenweide! Darueber thronen
die ersten Gipfel mit ihren Schneekroenchen, der Himmel ist blitzeblau, und von Sueden quellen wieder
die Wolken ueber den Pass. Neben der Strasse verlaeuft ein Zaun, und ich sehe aus dem Augenwinkel ein
Schild mit Mufflons, denke, es muss so eine Art Schutzgebiet fuer sie sein. Und ehe ich den Gedanken zu
Ende gedacht habe, sehe ich eine kleine Herde der grossen hellbeigefarbenen Wildschafe mit ihren
beeindruckenden Hoernern. Wir finden direkt neben dem Schutzzaun, ein wenig abseits der Strasse, eine
vor dem Wind geschuetzte Senke, , wo wir gut stehen koennen fuer die Nacht. Es ist noch lange hell, und
wir koennen die Mufflons durch das Fernglas beobachten, haben Zeit zu lesen, in Ruhe zu kochen und
noch einen Film auf ARD zu schauen – unser Lieblingsritual, besonders an Tagen mit vielen, vielen neuen
Eindruecken.
12.4.
Nach unserer recht ausgiebigen Tour gestern wollen wir heute nicht so viel laufen, sehen aber zu unserer
grossen Freude noch einmal die Mufflons recht nah; sie laufen gemaechlich und ohne Angst von ihrem
Nachtquartier im Tal schraeg den Berg hinauf zu ihren Tagweideplaetzen, obgleich sie uns gesehen haben
– wahrscheinlich wissen sie, dass sie hinter dem Zaun sicher sind.
Als wir unseren geschuetzten „Mufflonplatz“ verlassen, ueber die naechste Kuppe fahren, blicken wir
wieder hinunter ins Wadi Nfiss. Die Strasse fuehrt in langen Serpentinen hinunter ins breiter werdende
Tal, und die Fahrt ist eine Augenweide! Als wir unten ankommen, windet sich die Strasse parallel zum
Wadi, der nun wieder enger wird. Wir halten an der Piste, die rechts abgeht zum Dorf und laut unserer
Karte zur Kasbah Tagoundaft. Allein die Kasbah stellt sich als Agadir heraus, ehemals auf einem kleinen
Berg ueber dem Dorf thronend, von dem jedoch nur noch ein schmales Stueck Mauer in den Himmel
ragt. Wir versuchen, einen Zugang in das Dorfinnere zu finden, weil wir denken, es ist eine Dorffestung,
wie wir sie schon haeufig gesehen haben, gehen durch eine Maueroeffnung ohne Tor, als uns ein junger
Mann entgegen kommt und meint, es sei Privatgrund. Wir plaudern ein wenig mit ihm, und, obwohl er
recht reserviert ist, laedt er uns schliesslich ein, sein Haus zu besichtigen. Er lebt in dem grossen,
weitverzweigten, zweistoeckigen Haus mit seiner Mutter und seinem, wie er selbst, unverheirateten
Bruder. Wann es erbaut wurde, weiss er nicht. Der alte Teil, den sie nicht mehr nuetzen, wurde viele
Generationen zurueck liegend gebaut, der neue, den wir nun sehen, von seinem Grossvater. Das
Wohnzimmer im Erdgeschoss, von einem quadratischen Hof in der Hausmitte abgehend, besteht aus
Sitzkissen an den Waenden entlang. Die Kueche ist dunkel und sehr einfach, mit nur einem
Zweiflammengasherd auf einem gemauerten Thresen. Daneben gibt es einen grossen duesteren und fast
leeren Raum mit gestampftem Lehmoden, der nur den Holzofen fuer das Brot beinhaltet, ueber dem ein
riesiger Kaminabzug zum Dach aufsteigt. Sonst stehen da noch vier Kochstellen: es sind aus Tonerde fest
mit dem Boden verbundene, zylindrische Gebilde mit dicken, weich geformten Waenden mit dem
Aussendurchmessers eines Topfes, ca. 60cm hoch, mit einer etwa 15 cm breiten Oeffnung ueber die
gesamte Hoehe, wie ein breiter Schlitz fuer die Luftzufuhr. Unten wird ein Holzfeuer gemacht, und oben
drauf stellt man den jeweiligen Topf. Sonst ist der Raum leer.
Zum Schluss geht es noch auf’s Dach, von dem aus man einen schoenen Rundumblick hat. Irgendwann
kommt der Bruder hinzu, und ich frage sie, ob sie, wie so viele Maenner, in einer der grossen Staedte
arbeiten. Aber nein, sie sind immer im Dorf, haben Land, das sie beackern; wahrscheinlich auch, weil die
Mutter sonst allein waere. Seltsam fuer diesen Teil der Welt, dass sie beide unverheiratet sind. Wir
bedanken uns sehr, lehnen hoeflich die Einladung zum Tee ab und gehen zum Womo zurueck.
Fahren bis nach Tin Mal. Dort gibt es eine Moschee aus dem 12 Jh. zu besichtigen, die im 13. Jh teilweise
zerstoert, dann vollends verfallen ist und 1991-94 mit Hilfe zweier Architekten aus Stuttgart und der
marokkanischen Regierung teilweise restauriert wurde. Sie ist riesig, dominiert und ueberragt, man kann
sagen, erschlaegt das Dorf. Als wir eben in das Dorf einfahren, steht da eine grosse Traube kunterbunt
gekleideter Frauen und Kinder. Eine Frau schlaegt auf ein Tambourin.
Bestimmt eine Hochzeit, denke ich, und jemand bestaetigt es. Ich fotografiere sie von fern und kriege
direkt einen Rueffel. Schade. Die Menschen hier waeren die schoensten Fotomotive, aber sie scheuen
davor zurueck wie der Teufel vor dem Weihwasser – obwohl sie sonst so offen und freundlich sind. Ich
entschuldige mich und sage, es war ja aus grosser Entfernung, und die Frauen sind nur von hinten zu
sehen. Alles klar. Vor dem Moscheebesuch gehen wir in das einzige Cafe am Platze. Neben uns ein
aelteres franzoesisches Paar, dann kommen noch ein junges italienisch-norwegisches Paar mit Kind (die
in Daenemark leben) und eine englische Familie. Offenbar ist die Moschee in jedem Reisefuehrer. Der
Cafe-Besitzer, ein sehr freundlicher Mann, fragt mich, wie jeder hier, warum ich Arabisch kann, und freut
sich, ebenfalls wie jeder hier, richtig aufrichtig, als er hoert, dass ich Palaestinenserin bin. Es ist mehr als
Freude; es ist Hochachtung. Wie, wenn ich schon was geleistet haette, nur ob meiner palaestinensischen
Wurzeln. Das Leid der Menschen in Palaestina ist offenbar so praesent in den Medien hier, dass wir alle
den Leuten hier erscheinen wie heilige Maertyrer. Es ist wirklich unglaublich. Oft kommt dann der Satz:
„Die Palaestinenser sind gute Menschen“. Meinen Einwand, dass sie nicht besser und nicht schlechter
seien als andere Voelker, lassen sie nicht gelten.
Wir kommen mit einem jungen Marokkaner ins Gespraech. Er erzaehlt in einfachem, aber
touristentauglichem Englisch, dass er hier aus Tin Mal stammt, jedoch einige Zeit in Marrakesh, das nur
ca 80 km entfernt ist, einen Riyadh, also ein Gaestehaus, gefuehrt hat, sich nun jedoch als
Touristenfuehrer selbstaendig machen moechte, um den Menschen die Kultur der Berber naeher zu
bringen. Er hat keine Website, keine Email-Adresse, weiss auch nicht, wie man so etwas erstellt. Ich rate
ihm, das mal zuerst zu lernen, dann eine Preisliste auszuarbeiten und sich bei den Verfassern der
Reisefuehrer zu melden und sie zu einer Probetour mit ihm zu ueberreden. Er meint, er wolle den Leuten
selbst ueberlassen, wieviel sie ihm bezahlen wollen, aber das reden wir ihm aus. Er bedankt sich sehr
hoeflich fuer unseren Rat und verabschiedet sich. Bei den jungen Menschen hier fehlt es an so Vielem –
man kann sich gar nicht vorstellen, wovon sie je leben. Bauern wollen sie nicht mehr sein, aber fuer mehr
fehlt ihnen das Ruestzeug.
Mittlerweile hatten die Frauen das Dorf verlassen, um die Braut irgendwo abzuholen, und kehren gerade
laermend und singend mit ihr zurueck. Alle springen auf und fotografieren das Spektakel – nur wir nicht.
Trauen uns nun nicht mehr.
Plaudern noch mit anderen Gaesten, der Wirt bittet mich, als erster palaestinensischer Gast seines Cafes
in sein „Golden Book“, sein Gaestebuch zu schreiben, und endlich gehen wir die Moschee besichtigen.
Das ist ein bisschen enttaeuschend, weil ausser den Aussenmauern und einer Reihe schoener arabischer
Boegen nichts da ist. Aber eine Gruppe von vier froehlich schnatternden Marokkanerinnen kompensieren
das eher langweilige Interieur. Sie sind ausnahmsweise mal nicht fotoscheu und lichten sich gegenseitig
in allen moeglichen Posen ab, lassen sich sogar von uns und mit uns fotografieren – der junge
Moscheeaufpasser hantiert mit ihren vier Handies und unserer Kamera und hat alle Haende voll zu tun.
Die Frauen stammen zwar von hier, leben jedoch in Rabat und Marrakesch, was ihre Offenheit erklaert.
Sie sind fuer die Hochzeit angereist. Sie verabschieden sich mit Kuesschen von mir, und wir fahren weiter
bis Ouirgane, was als Sommerfrische der reichen Marrakeshis beschrieben wird. Man sieht auch hier und
da aus den Gaerten huebsche Anwesen heraus lugen, aber es ist alles andere als versnobt oder
kommerziell. Hier ist es ueberall so gruen, so ueppig, ueberall fliesst Wasser, es ist herrlich. Wir
beschliessen, uns hier einen Platz fuer die Nacht zu suchen und morgen nach Imlil in die eigentlichen
Berge des Hohen Atlas hinein zu fahren. Finden ein wunderschoenes Plaetzchen in einem lichten
Kiefernhain auf zart gruener Wiese, neben uns ein trockenes Wadi, vor uns das saftig gruene Hochtal, im
Hintergrund die Schneeberge des Toubkal-Massivs, mit teilweise ueber 4000m den hoechsten Bergen
Nordafrikas. Um uns herum ist eine riesige Schafherde. Der Schaefer schnorrt mich um eine Zigarette an
und posititioniert sich dann ganz entspannt so auf der Wiese, dass er zu uns ins Fenster gucken kann. Ich
mache nach einer Weile die Jalousie zu, und er trollt sich. Als wir eben ins Bett gehen, faengt es an zu
regnen und hoert nicht mehr auf. Es trommelt die ganze Nacht mal sachte, mal lauter auf’s Womodach,
und ich frage micht, ob wir wohl jemals aus dieser Wiese wieder rauskommen.
13.4.
Erste Sahne, unser Womo: Kommt ganz locker raus. Der Wadi neben uns sprudelt mit braunem Wasser.
Wir wollen bei dem Sauwetter nicht nach Imlil hoch, wollen auf Sonne warten, beschliessen also, zuerst
nach Amizmiz zu fahren, einem Staedtle in der Naehe, deren Zufahrt auf der Karte als landschaftlich
schoene Route markiert ist. Allein das wird nix, denn wir stehen ploetzlich vor einer Furt, die ueberspuelt
ist von sprudelnd braunem Wasser. Eine 5m breite Betonpsite fuehrt durch die Furt, und links davon geht
es ein paar Meter steil in den Fluss hinunter. Wir wissen nicht, wie tief das Wasser in der Furt steht, und
leider kommt weit und breit kein Auto, das uns als Vorhut dienen koennte. Ich will das Risiko nicht
eingehen, sehe uns ob der starken Stroemung seitwaerts die mehrere Meter hohe Stufe im Flussbett
runterrutschen, Josef nimmt Ruecksicht, und wir drehen um. Sind nun etwas planlos, fahren weiter nach
Asni. Ueberall rinnt und brodelt das braune Wasser. Wir fahren parallel zu einem Wadi, der mit Sicherheit
gestern auch noch trocken war. Ich weiss nicht, ob das im Laufe der Nacht passiert ist, aber an mehreren
Stellen ist die Betonwand, die die Strasse zum Wadi hin abstuetzen soll, weggebrochen und liegt im Fluss.
In Asni angekommen, beschliessen wir doch, mal kurz rauf zu fahren nach Imlil. Nur mal gucken. Es
regnet nicht mehr, und wir sind neurgierig. Von hier aus starten die Touren ins Hochgebirge, und wir
moechten mal Stimmung schnuppern, bisschen laufen. In Asni laeuft auch ueberall umkontrolliert Wasser
ueber Strassen, durch Gaerten und Felder. Ein Schneepflug faehrt die Strasse hoch nach Imlil, und es
kommen uns Autos von oben entgegen, die das Dach voller Schnee haben! Leider sieht man nur die
puderbezuckerten unteren Haenge, nicht die Gipfel. Alles ist in Wolken gehuellt. Auf einem Flachdach
stehen Leute in kurzer Hose und schaufeln Schnee runter. Sie tun gut daran, dann die Lehmhaeuser
koennen dem Gesicht nicht standhalten. Aber waermere Kleidung waere schon angezeigt!
Wir parken das Auto an der Landstrasse kurz vor Imlil und laufen den Rest. Ich wuerde gern einen
Schotterweg den Berg hoch laufen, aber Josef ist nicht recht motiviert, und wir beschliessen, ins Dorf zu
laufen. Wir werden von Mulis ueberholt, die teilweise gern ihrer eigenen Wege gehen wuerden, jedoch
von ihren Eigentuemern eingefangen werden. Die Reiter, junge Maenner, singen miteinander. Schoene
Stimmung.
Von wegen Dorf. Imlil ist recht grossflaechig zersiedelt, hat jedoch immer noch Dorfcharakter. Wir laufen
einmal vor und zurueck, fragen nach den Mulis – sind Lastentraeger fuer die Touristen – und gehen dann
in eine lokale Suppenkueche, essen eine ganz herrlich heisse Suppe aus Saubohnen, so hiessen sie,
glaube ich, und trinken Tee. Das alles draussen sitzend bei kuscheligen 2 Grad. Als wir wieder runter
laufen zum Womo, kaempft sich die Sonne fuer ein kleines Weilchen durch. Wir wollen uebermorgen hier
oben wandern gehen, denn dann ist Sonne angesagt. Fahren einstweilen wieder hinunter nach Asni und
wollen dann, dem Tip unseres Wanderfuehrerbuechleins folgend, auf ein Hochplateau, das Kik-Plateau,
auf die andere Talseite fahren, finden jedoch den Einstieg zum Wanderweg nicht, wie schon zum dritten
Mal mit diesem dusseligen Buch! Fahren stattdessen endlos auf dem Plataeu umher, auf der Suche nach
einem netten Plaetzchen fuer den Rest des Tages und die Nacht. Hier oben fuehlt es sich an wie auf der
Schwaebischen Alb im Fruehling. Die Landschaft wogt sanft in sattem Gruen, nach Norden faellt das
Plateau sanft ab und geht ueber ins Flachland um Marrakesch. Wir verlassen das Plateau wieder, fahren
eine Serpentinenstrasse hinunter und finden schliesslich ein herrliches Plaetzchen am Rand des Wadi
Nfiss, der hier zwei Stauseen fuettert und als verbleibendes Rinnsal gen Marrakesch fliesst, inmitten der
gruenen Weizenfelder und Olivenhaine, mit Blick auf die andere Wadiseite, eine Steilwand mit
Sandsteinformationen, die an Bryce Canyon in den USA erinnern, und auf die Toubkal-Berge im Sueden.
Hoffen auf gutes Wetter morgen.
14.4.
Hatten wieder eine herrlich ungestoerte Nacht, obwohl wir direkt neben einem Dorf und an der
Verbindungspiste stehen. Aber es ist Samstag Frueh, also Wochenende, und niemand ist unterwegs. Die
Voegel unter uns im Wadi halten ein Morgenkonzert ab, dass es klingt wie in den Tropen. Das Wetter ist
schoen, obwohl ueber den Bergen aufgelockerte Wolken haengen. Wir beschliessen, erst ein wenig den
Wadi zu erkunden, bevor wir eventuell noch einmal Richtung Berge fahren. Laufen also Richtung Dorf
und suchen einen Abgang zum Flussbett. Dort ist schon Leben, aber es ist trotz seiner Naehe zu
Marrakesch erstaunlich arm und verwahrlost. Eine Jungenhorde droht, sich an uns dran zu haengen, aber
wir bitten sie, sich zu trollen. Ich frage sie nach einem Abgang ins Tal, und sie schicken uns falsch.
Vielleicht haben sie mich nicht verstanden. Vom Dorf aus gibt es keinen. Es thront auf einem Steilhang
etwa 30 m ueber dem Fluss, der zwar noch aufgewuehlt braun, jedoch wieder traege, direkt an der
Steilwand entlang fliesst. Wir drehen also wieder um und finden den „offiziellen“ Pfad hinunter. Es
kommt uns eine Familie entgegen, und, wie schon in Tin Mal gestern, merkt man, dass sie nicht hier
leben: Die Tochter traegt enge Jeans und die Haare offen. Sie kommen aus Marrakesch, um ihre
Verwandtschaft zu besuchen. Auf der anderen Seite des Wadi ist auch ein Dorf, und man ist miteinander
verwandt und verschwaegert, besucht sich gegenseitig. Als ich mich als Palaestinenserin zu erkennen
gebe, kuessen mich alle Frauen, wollen unbedingt, dass wir Tee trinken kommen mit ihnen. Ich
verspreche, dass wir auf dem Rueckweg nach ihnen fragen. Im Wadi ist schon rege Taetigkeit. Wie
ueberall auf der Welt, haben die Bauern hier auch kein Wochenende. Wenn es was zu tun gibt, und das
Wetter befiehlt es oder laesst es zu, wird gearbeitet. Einer saet Getreide, einer pfluegt, einer erntet
Moehren, einer teilt seinen Acker in kleine Parzellen, indem er Erde zu kleinen Waellen formt, damit das
Wasser nicht unkontrolliert abfliesst. Es ist herrlich hier unten. Wir halten auf die Sandsteinstelen auf der
andere Wadiseite zu, gehen ueber eine handgestrickte, klapprige Fussgaengerbruecke, die die
Verbindung zwischen den beiden Doerfern bildet und mit Sicherheit keinem Hochwasser standhaelt.
Als wir gerade zwischen Schilf und Wadi-Oleander verschwinden wollen, ruft jemand von hinten, wild
gestikulierend, wir sollen zurueck kommen. Wir denken, es sei vielleicht gefaehrlich oder verboten, hier
herum zu laufen. Aber nein: Als wir ihn erreichen, stellt sich heraus, er gehoert zu der Familie, der wir
eingangs begegneten. Sie haben ihn angerufen und angewiesen, uns einzufangen und Tee und
Fruehstueck fuer uns zu bereiten! Glaubt man das? Wir bedanken uns artig und wortreich, versprechen
auch ihm, auf dem Rueckweg vorbei zu kommen und gehen weiter. Er laesst uns ungern gehen.
Wahrscheinlich sind sie enttaeuscht, dass wir nicht gekommen sind. Aber diese Plaudereien, die
Lobeshymnen auf die Palaestinenser, die von uns erwarteten Lobeshymnen auf Marokko sind schon
bissel anstrengend auf Dauer. Kurz bevor wir beschliessen, umzukehren, am Ende der beeindruckenden
Stelenreihe, ist ein Tuempel mit langsam fliessendem Wasser, und als wir naeher kommen, plumsen
irgendwelche Tiere ins Wasser. Es sind nicht Froesche, sondern Dutzende von Schildkroeten, ca 25cm
lang!
Wir laufen langsam zurueck zum Womo, ueber uns sammeln sich gerade Hunderte von Kraehen oder
Dolen, wirbeln in fliegenden schwarzen Baellen umeinander herum, wie Planeten um eine Sonne. Ob das
Paarungsrituale sind? Wir machen noch eine beschauliche Teatime – zum ersten Mal draussen in der
Sonne seit zwei Wochen, weil es immer zu kalt war, schauen dem regen Treiben unten im Wadi zu, den
Besuchern aus der Stadt, die zwischen den beiden Doerfern hin und her pendeln, und den Bauern. Um
uns herum schlendern Schaefer mit ihren Schaf- und Ziegenherden umher, die einzigen Geraeusche sind
die Stimmen der Leute, das Vogelgezwitscher, Zicklein und Laemmer, die nach ihrer jeweiligen Mutter
rufen, Kuehe, die sich langweilen,…
Schliesslich fahren wir los, um den recht kleinen Stausee Lalla Takerhoust, der, wie sich herausstellt,
Spielwiese der Marrakeshis ist – ueberall Quads, auf dem Wasser Jet Skis, im dazugehoerigen Staedtchen
viele Restaurants und Unterkuenfte. Am Nordende des Sees wenden wir uns wieder nach Sueden
Richtung Berge, halten in Amizmiz, einem ziemlich haesslichen, dreckigen und verwahrlosten Staedtchen.
Es ist erstaunlich, wie unterschiedlich das sein kann. Manchen Staedte und Doerfer sind so gepflegt und
manche ganz fuerchterlich. Wir essen einen Sandwich mit frittierten Sardinen und trinken einen Tee,
aber so richtig nett ist das hier nicht, und wir suchen schnell das Weite, fahren hoch hinauf in die Berge,
haben nun einen der 4000’er direkt vor uns, halten immer darauf zu, bis wir an der Strasse, ein bisschen
zurueck gesetzt, ein schoenes Plaetzchen finden mit einem ganz unglaublichen Blick.
Allerdings muss ich erst ein bisschen Muell weg raeumen. Hinter einem Busch liegt ein aufgeplatzter
Beutel voller benutzter Windeln. Muell und Abwasser sind Riesenprobleme hier!
Als ich mir die Haende waschen will, kommt kein Wasser. Oh nein, nicht schon wieder! Wir bauen das
Bett auseinander, nehmen die Bodenplatten raus, oeffnen die Kontrollklappe des Wassertanks, und siehe
da, die nagelneue Reichpumpe ist abgebrochen – also das Plastikroehrchen zwischen Rueckstossventil
und Schlauch einfach durchgebrochen! Das glaubt man ja nicht! Wir sind keine holperigen Pisten
gefahren, und wenn mal Schlagloecher waren, dann nur im Schneckentempo durch. Und die Pumpe liegt
ja frei im Wasser, schwimmt, ist also durch das Wasser gepolstert, kann nicht irgendwo dagegen
schlagen. Wir vermuten, dass sie schon vorher nicht ganz in Ordnung war, dass der gute Kareem in Agadir
uns eine eingebaut hat, die schon eine Macke hatte. Also wieder kein Wasser. Haben unsere Notkanister
im Kofferraum und beschliessen, uns heute und morgen damit zu behelfen, damit wir die Berge noch
geniessen koennen. Versuchen, uns nicht zu aergern und gehen noch in der herrlichen Abendstimmung
spazieren, hinter dem Womo querfeldein den Buckel runter, in ein kleines Taelchen, auf der anderen
Seite wieder hoch. Mittlerweile ist unsere Bergseite im Schatten, und der 4000’er vor uns kommt immer
mal wieder zwischen den Wolken raus und leuchtet schneeweiss. Als wir aus dem Dickicht der
Steineichen auftauchen, stehen zwei Jungs ueber uns auf der Strasse. Sie laufen mit uns noch etwa 1 km
die Strasse entlang. Sie kommen aus einem der Doerfer in dem Tal etwa 300m unter uns. Wie sie hier
hoch gekommen seien, frage ich sie. Na, querfeldein zu fuss. Und runter genauso. Es wird in einer Stunde
dunkel, sagen wir. Sie braeuchten nicht laenger als eine halbe. Wir fragen sie noch, wie der Berg heisst,
auf den wir die ganze Zeit schauen, denn die einzlenen Berge des Massivs haben ja Namen. Sie gucken
mich verstaendnislos an. Ich frage noch einmal, und sie antworten „Berg“. Das hatten wir schon einmal
mit einem Fluss. Der hiess auch einfach „Fluss“. Sie kommen ja kaum je raus aus ihrem Tal; da muss man
die Namen der einzelnen Berge und Fluesse ja nicht kennen.
Irgendwann verabschieden sie sich und rennen – rennen tatsaechlich – den Berg runter! Der eine war
barfuessig in Gummischlappen! Fuer sie ist das, wie wenn wir von Aich nach Groetzingen zum Edeka
laufen, was wir degenerierten Faulpelze ja auch nicht tun.
15.4.
Ich wache im Morgengrauen auf, der 4000’er ist noch im Schatten. Es ist ganz klarer Himmel, und man
kann zuschauen, wie die Sonne langsam hinter den Bergen im Osten hervor kommt und den 4000’er
Meter fuer Meter erwischt. Als wir gerade zum Fruehstueck dasitzen, haelt ein Jeep, ein Mann springt
heraus und schenkt uns zwei frische Brote! Ich will ihm Geld geben, aber er ist fast beleidigt, dreht sich
aber schliesslich nochmal um und laechelt. Ich wuensche uns in Deutschland nur ein Zehntel dieser
Offen- und Freundlichkeit Auslaendern gegenueber! Man stelle sich das mal in Deutschland vor: Da sitzen
z.B. Spanier in einem Womo am Strassenrand und fruehstuecken, und irgendeiner haelt an und schenkt
ihnen Broetchen. Einfach so. Undenkbar!
Die Jungen gestern Abend sagten, wenn man oberhalb der Strasse auf den Bergkamm liefe, habe man
eine sehr schoene Aussicht. Das machen wir also erst einmal nach dem Fruehstueck. Laufen die 30%
Steigung querfeldein hoch. Das geht hier gut, weil die Baeume und Buesche nicht so dicht stehen, so dass
man sich gut hindurch schlaengeln kann. Und tatsaechlich: Haben beinahe einen 360-Grad-Blick: Im
Norden die Ebene Richtung Marrakesch, im Osten und Westen das Vorgebirge zum Atlas, im Sueden die
weissen Berge. Wir kraxeln wieder hinunter, fahren mit dem Womo noch ein Stueck weiter, bis zu einem
recht trostlosen Dorf in einem Hochtal, schauen uns dort ein bisschen um, fahren dann aber wieder ein
Stueck zurueck, da ich dort auf Mapsme eine Route entdeckt habe, die wir laufen koennen. Das Wetter
ist ein Traum. Endlich sieht man die Berge ganz klar. Wir parken das Womo direkt an der Strasse und
laufen los. Es geht sehr entspannt auf einer von einem Bagger ausgefahrenen Holperpiste in langen
Serpentinen den Berg hinauf und um den Berg herum. Auf der anderen Seite des Berges schlagen wir uns
ins Gelaende, laufen runterwaerts und um dem Berg herum, wieder runter, jetzt steiler, machen eine 10-
minuetige Keks- und Wasserpause, gucken auf das Dorf hinunter, wo die Jungs gestern herkamen und
machen uns an den steilen Abstieg dorthin. Um uns herum die ganze Zeit diese grandiose Berglandschaft.
Im Dorf hier unten in dem Hochtal ist gerade wieder eine Hochzeit im Gange. Die Braut sitzt in einem
Jeep, und Frauen stehen in einer Traube drum herum, schlagen auf Tambourine und singen. Eine Frau
kommt herbei, ueber dem Kopf ein Tablett balancierend, darauf zwei Riesige Zuckerhuete und diverse
andere Dinge, die sie der Braut durch das Fenster reicht. Endlich wird ihr heraus geholfen. Ihr Gesicht ist
ganz verdeckt von einem bunten Tuch, und sie stolpert, von den Frauen gehalten, einen Feldweg
hinunter zu einem Zelt, wo die Feier nun stattfinden soll. Ich frage einen Mann, wo der Braeutigam ist.
Der sei in Marakesch. Ja, und kommt er nun auch? Nein, nur die Braut sei da. Hmm… vielleicht so eine Art
Junggesellinnenabschied? Keine Ahnung. Man laedt uns mit Nachdruck ein, mit ins Zelt zu kommen und
zu essen. Wir bedanken uns artig und gehen weiter, laufen durch das Dorf und weiter auf einer Piste, die
zur Strasse fuehrt, wo das Womo steht. Es geht in recht endlosen Serpentinen den Berg hinauf, und die
letzten KM haben es in sich. Sind fast fuenf Stunden stramm gelaufen, wahrscheinlich ca 400
Hoehenmeter rauf, runter und wieder rauf und sind platt wie die Flundern. Schoene Wanderung mit
immer wieder herrlichen Ausblicken. Machen uns einen Tee, ruhen ein wenig aus und fahren dann
zielstrebig Richtung Marrakesch. Unterwegs rufe ich Kareem in Agadir an, der uns die nun kaputte Pumpe
eingebaut hat und frage ihn, wen es in Marrakesch gibt. Die suedlichen Vororte, durch die wir fahren,
sind sehr nobel. Vieles sieht aus wie die „Gated Communities“ in Dubai, aussenrum Golfplaetze, Shopping
Malls, Parks und schicke Hotelanlagen. Wir fahren seitlich am Zentrum vorbei, die Haeuser hier nicht
mehr so schick, aber alles sauber und gepflegt. Schliesslich fahren wir im Norden der Stadt ab und zum
Campingplatz Relais to Marakesh, der uns mehrfach empfohlen wurde, auch im Reisefuehrer steht und
wo morgen laut Kareem ausserdem ein Womoklempner sein wird. Sehr schoen und gepflegt, gut gefuellt.
Wir duschen uns den Wanderstaub ab und schlagen uns den Bauch voll. Josef hat schon dreimal in Reihe
gekocht. Morgen bin ich mal wieder dran.
19.4.
Eigentlich wollten wir nur eine oder zwei Naechte bleiben, uns Marrakesch angucken und dann
weiterziehen. Nun haben wir gerade die vierte Nacht hinter uns und waren lediglich vorgestern fuer ein
paar Stunden in der Stadt! Ist wohl notwendig, dass wir mal ein paar eindrucks- und erlebnisarme Tage
verbringen. Gestern haben wir uns hier sogar fuer ein paar Stunden in die Haengematte an den Pool
geluemmelt, gelesen und gedoest. Es ist auch wirklich ein netter Platz, und dadurch, dass es so gruen ist,
spuert man gar nicht, wie voll es ist. Alles ist voller Palmen, Olivenbaeume, die Mauern mit Bougainvilla
zugewachsen, Geranien ueberall, und wo immer ein wenig Wasser laeuft, spriessen Graeser. Es laufen
zwei Pfauen und eine Schar Huehner umher, die immer mal wieder abwechselnd krakeelen, und die
Voegel zwitschern in den Baeumen. Ansonsten bekommt man nicht viel mit, was ausserhalb der Mauern
vor sich geht. Haben den Tag mit Waeschewaschen und Womoputzen nett vertuettelt und waren erst am
Abend im nahegelegenen Dorf zum Einkaufen. Auf dem Weg dorthin passierten wir ein schickes HotelResort, schoene Villen und ein paar zwar brach liegende, jedoch nicht zugemuellte Felder. Umso
schockierter waren wir, dass das Dorf, obwohl ja ein Vorort von Marrakesch, aermlich, schaebig und
schmutzig ist. Es gab hier keine asphaltierte Strasse, und ueberall roch es nach Abwasser und Muell. Wir
haben unser Zeug eingekauft, dennoch eine schnellen Tee getrunken und sind dann rasch zurueck in
unser gruenes Idyll. Nicht zu glauben, dass 1. vom Reichtum Marrakeschs dort offenbar nichts ankommt,
2. die Regierung nichts tut, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern und, 3. auch die
umliegenden Hotels und unser Camping-Platz hier keine Initiative ergreifen. Schliesslich ist es das erste,
was die Gaeste sehen, wenn sie mal vor die Tuer gehen.
Am 17.4. haben wir die Mittagshitze auf dem Platz verbracht, sind erst am Nachmittag zum ersten Mal
(mit dem Taxi) in die Stadt gefahren. Der Souq, ein unendliches Gewirr an Gassen, ist ganz unglaublich!
Teile sind natuerlich fuer Touristen richtige Einkaufshotspots, obwohl die angebotenen Waren wirklich
schoen sind: Tolle Lederwaren, Schuhe, gewebte Decken, Teppiche, Lochmuster-Messinglampen, etc.
Aber der groesste Teil der alten Medina ist normaler Alltag, wenn man dieses Gewusel so nennen kann.
Sie ist nach Gilden organisiert, und ueberall sind Werkstaetten, wo ein Teil der Waren von Hand gefertigt
wird. Wir haben ja schon einige arabische Staedte, auch alte mit schoenen Marktgassen gesehen, auch
auf dieser Reise, aber diese Weitlaeufigkeit ist wirklich eine andere Dimension. Wir laufen durch die
noerdliche Medina zum Jama’a Al Fnaa, einem grossen zentralen Platz, umgeben von Cafes und
Restaurants, viele mit Dachterrassen, der die noerdliche von der suedlichen Medina trennt. Es ist zum
ersten Mal auf dieser Reise sengend heiss, und hier in der Stadt weht kein Lueftchen, so dass der grosse,
noch recht leere Platz eine riesige gleissende Flaeche ist. Es werben dennoch ein paar unermuedliche
Henna-Malerinnen auf ihren Hoeckerchen und einige der fahrenden Staende fuer frisch gepressten
Orangensaft um Kundschaft; die Garkuechen, die nachher den Platz beherrschen, bauen ihre riesigen
Schirme auf, und die Kaleschen, federleicht wirkende Zweispaenner, finden Touristen, die sich lieber
herum kutschieren lassen, als zu laufen in der Hitze. Die Schlangenbeschwoerer sitzen gelangweilt auf
Pappkartons neben den doesenden Schlangen. Wir verlassen den Platz ein wenig fluchtartig und suchen
das Mellah, das ehemalige juedische Viertel, finden es schliesslich, laufen ein bisschen unmotiviert und
ziellos herum, stolpern zufaellig ueber das Maison du Rabin, einem Riyad und eben, wie der Name schon
sagt, das ehemalige Wohnhaus eines Rabbiners, das eine ehemalige Lufthansa-Kollegin aus Stuttgart
gekauft, restauriert und zur Auberge umfunktioniert hat. Aber wir sind sogar zu muede, mal zu klopfen,
laufen zum Jama’a al Fnaa zurueck, der langsam fuer das allabendliche Spektakel warmlaeuft, stehen da
noch eine Weile als Zaungaeste herum, sehen die Schlangenbeschwoerer, die jetzt in ihre misstoenenden
Troeten blasen, die Maenner mit ihren portablen Gluecksspieltischen mit Menschentrauben um sich
herum, die Schafskoepfe, die aufgreiht in den Garkuechen auf Kundschaft warten, kleine Garkuechen auf
Raedern, wo Maenner Schnecken verkaufen, ein interessantes Ensemble mit einem Ei, das auf dem
Boden steht, daneben ein Kissen und zwei Maenner, die aussehen, als wuerden sie irgendwas planen,
und einige Menschen, die mehr oder weniger erwartungsvoll das Ei und die Maenner angucken. Wir
stellen uns dazu und warten auch. Ich frage eine Frau, was es damit auf sich hat, aber sie weiss es
offenbar auch nicht. Ein paar Meter weiter laermt eine Gnaoui-Gruppe, schwarzafrikanischstaemmige
Marrokaner, die mit Tambourinen, Trommeln und lautem Gesang alles andere uebertoenen. Ein junger
Mann installiert sich umstaendlich in ein Ensemble aus Gitarre, Keyboard, Schlagzeug, Mundharmonika
und Troete, will wohl als One-Man-Band ein ganzes Orchester sein. Aber er tuettelt so lange rum und wir
sind so am Ende, dass wir schliesslich aufgeben und weder heraus finden, was es mit dem Ei auf sich hat,
noch wie wohl die Musik des jungen Mannes klingt. Auf den Dachterrassen der umliegenden Cafes
haengen mittlerweile die Gelaender voller, mit Kameras bewehrter Menschen, die das Treiben unten
festhalten. Wir trollen uns ein wenig schweren Herzens, weil es eben doch sehr spannend ist hier. Man
muss sich wohl darauf einlassen, viel Geduld und einen wachen Geist mitbringen. Nichts davon haben wir
jetzt und sinken auf die Rueckbank eines Taxis. Geniessen dann noch die sehr gechillte Musik auf der
Pool-Terrasse, essen was Kleines und trinken ein Glaeschen Wein.
Den 18.4. haben wir ereignislos auf dem Camping-Platz verbracht. Hat soooo gut getan. Am Pool
geluemmelt, gelesen, mit Zeit-Raetseln gerungen. Nach dem Essen, Josef ist ins Internet vertieft, laufe ich
eine Runde um den Platz, bleibe bei einem Schweizer Paar, Ingrid und Georsch stehen, und ehe ich es
mich versehe, haben sie Stuehle herbei getragen und freuen sich ueber Gesellschaft. Josef kommt auf der
Suche nach mir dazu. Viele der Wohnmobilisten haben Redebedarf – besonders, wenn und weil sie sich
mit der Bevoelkerung nicht verstaendigen koennen. Ich kenne das Gefuehl von unserer Italienreise im
letzten Jahr: man fuehlt sich wie abgeschnitten, hat eigentlich viele Fragen, aber niemanden, dem man
sie stellen kann. Bin froh und dankbar, dass es uns hier nicht so geht. Wir sind viel im Gespraech mit den
Menschen, haben also auch nicht so viel Nachholbedarf, wenn wir auf Leute treffen, die Deutsch oder
Englisch sprechen. Die Franzosen sind ja hier eindeutig die Platzhirsche und finden sich immer rasch
gegenseitig auf den Campingplaetzen. Alle, die aelter sind als 30, sprechen kaum irgendein Wort in einer
Fremdsprache.
Die beiden Schweizer sind reich und konservativ und nicht sehr angenehm – besonders sie. Er hat was im
Kopf, kommt aber neben ihr nicht zu Wort. Endlich schaffen wir den Absprung, als sie gerade mal Luft
holt.
19.4.
Wollen heute schon morgens nach Marrakesch, bevor es zu heiss wird, und ein paar Must-Does
abarbeiten. Nehmen hierfuer wieder ein Taxi und muessen wieder zaeh verhandeln. Ein franzoesisches
Paar schliesst sich uns an, die auch Richtung Stadt wollen, und der Taxifahrer nimmt uns zusammen so
viel ab, wie die meisten hier an einem ganzen Arbeitstag nicht verdienen. Sei es drum. Laufen vom Bab
Al Jadid, einem der Stadttore in der fast komplett erhaltenen und restaurierten Stadtmauer, zur KutubyaMoschee aus dem 12 Jh., die man nur von aussen besichtigen kann und an der eigentlich nur das
Minarett ganz huebsch ist, wobei ich die runden Minarette anderswo in der arabischen Welt den eckigen
hier vorziehe. Die Gaerten rund um die Moschee sind ganz huebsch. An einer Ecke sitzen zwei kleine
Jungen, 3 und 4 Jahre alt, schaetze ich, und verkaufen Tempo-Taschentuecher (der Renner hier). Wir
kaufen ihnen ein Paeckchen ab, plaudern ein bisschen mit ihnen; da kommt der Vater aus dem
Hintergrund, der die Szene sicher beobachtet hat und seine Jungs beschuetzen will, erzaehlt, er sei allein
mit ihnen, die Mutter sei gestorben und sie haetten keine Verwandtschaft um sich herum.
Wahrscheinlich stammen sie aus einem der Bergdoerfer, koennen oder wollen jedoch nicht dahin
zurueck. Von der Moschee gehen wir Richtung Mellah, um es uns heute ein bisschen genauer
anzusehen. Schoene Stimmung hier, schmale Gaesschen, durch die Gott sei Dank nicht einmal
Motorroller passen.
In den breitere Gassen sind auch nur eben diese und ansonsten Eselskarren unterwegs. Alles in Allem
sehr beschauliche, leise, geschaeftige Morgenstimmung. Hier sind auch viele Frauen auf der Strasse, die
ihre Erledigungen machen oder plaudernd an Ecken und Hauseingaengen stehen. Wir suchen die
Synagoge, die man besichtigen kann, werden ein wenig im Kreis geschickt, wobei Josef auf einer
Baustelle, wo gerade ein altes Haus abgerissen wurde, eine alte Fliese findet. Noch ein Reiseandenken
fuer zuhause.
Die Synagoge ist noch in Gebrauch. Die von ehemals 40 000 verbleibenden 120 Juden Marrakeschs
versammeln sich hier noch zu Feiertagen. Wir lernen, dass es wieder in allen grossen Staedten
israelitische Schulen mit insgesamt ueber 1000 Schuelern gibt, dass in Casablanca noch oder wieder
immerhin 1200 Juden leben. Die Synagoge ist ganz in blau und weiss gehalten. Sie ist im Stil des Riyad mit
Innenhof gebaut, aussen herum auf zwei Stockwerken liegen Zimmer mit nach Themen sortierten Fotos
der juedischen Gemeinden in Marokko.
Auf einer Seite ist der Gebetssaal mit der Empore fuer die Frauen. Es sind nur muslimische Angestellte
hier, und sie gehen sehr offen mit dem Thema Israel um, fragen mich, ob ich Juedin sei, sprechen mich
sogar auf Hebraeisch an, was paradox ist zum Verhalten der Leute, wenn sie erfahren, dass ich
Palaestinenserin bin, weil sie dann sofort anfangen Israel zu beschimpfen ob des Leids, was es ueber die
Palaestinenser gebracht hat und noch bringt. Aber es geht wohl beides gleichzeitig. Auf einem Tisch
liegen fuer die Gaeste Kippas und Shofars, ausgehoehlte Widderhoerner, aus, und ein spanischer Tourist
zeigt Josef, wie man dem Horn, das in juedischen Gottesdiensten geblasen wird, Toene entlockt – einmal
lang bedeutet: der Koenig kommt, dreimal kurz: man bittet Gott um Gnade, viermal kurz: es droht
Gefahr, etc. Josef wuerde am liebsten eines kaufen, aber ich bin nicht recht ueberzeugt. Traurig laesst er
es. Aber er wird spaeter kompensiert.
Auch der juedische Friedhof, nicht weit von der Synagoge, ist gut erhalten und gegflegt, ebenfalls mit
dokumentierenden Fotowaenden. Wir sind beeindruckt. Die letzten Graeber stammen aus der Zeit kurz
nach der Staatsgruendung Israels, als die meisten Juden Marokko verliessen.
Laufen von dort zufaellig wieder am Maison du Rabin vorbei, der Herberge meiner ehemaligen Kollegin,
und klingeln dieses Mal, stellen uns der recht gut Deutsch sprechenden und sehr freundlichen
Mitarbeiterin Latifa vor, fragen, ob wir bei ihnen einen Tee trinken koennten und bekommen diesen im
herrlich kuehlen, stillen Innenhof des wunderschoen retaurierten Riyad serviert, dazu ein Tellerchen
jenes feinen marrokanischen Teegebaecks und anschliessend eine Hausfuehrung mit einem anderen
Mitarbeiter. Als wir den Tee zahlen wollen, lehnt Latifa das vehement ab. Ups! So war es nicht gedacht.
Dachte, es ist auch ein Cafe fuer externe Gaeste. Wir nehmen es herzlich dankend an und verabschieden
uns wieder. Wirklich eine sehr empfehlenswerte Unterkunft, wenn man nicht wie wir im Womo
unterwegs ist.
Laufen von der Mellah wieder ueber den Lampenmacherplatz Richtung Bahiya-Palast. Ich entdecke auf
dem Platz, weg geworfen in einer Ecke liegend, ein Widderhorn und zeige es Josef. Das ist innen schon
hohl. Liegt offenbar schon laenger dort. Nun hat er sein Shofar! Schon wieder eine Reisetrophae, die jetzt
hinten aus seinem Rucksack rausguckt und neugierige Blicke und lustige Kommentare auf sich zieht.
Der Bahiya-Palast lohnt sich. Leider sind hier wirklich zu viele Touristen unterwegs – eigentlich zum
allerersten Mal irgendwo, seit wir hier sind. Aber die Architektur, die vielen kleinen und grossen Saele,
die wunderschoenen Gaerten in den Innenhoefen, die vielen huebschen Portale, Mosaike,
Deckenmalereien, etc kaemen sicher ganz, ganz anders zur Geltung, wenn es nicht gar so voll waere.
Haetten hier morgens als erstes herkommen sollen. Aber es hat sich dennoch gelohnt!
Wir laufen weiter, gucken in viele Hinterhoefe, wo ueberall in Werkstaetten unter ganz unglaublichen
Bedingungen Maenner irgendwelche Dinge fertigen, laufen durch Nebengaesschen, esssen an einem
schmierigen Tischchen an der Gasse einen Snack und trinken Tee. Unser letztes Ziel, am
entgegengesetzen Ende der Altstadt, ist das schwer zu findende Maison de la Fotografie, eine auf drei
Stockwerken verteilte private Fotosammlung aus Marokko von 1880 bis 1960. Ganz am Schluss sehen wir
Filme, gedreht von Wanderungen in den Bergen in den 1950’er Jahren. Die beiden Maenner, die mit Zelt,
Muli und Fuehrer unterwegs sind, sehen genau die Dinge, die auch wir auf unseren Wanderungen jetzt,
70 Jahre spaeter, auch gesehen und erlebt haben! Es hat sich fuer die Menschen dort oben wenig
veraendert. Unglaublich!
Gehen voellig geschafft, aber mit dem Gefuehl, das Thema Marrakesch zumindest nicht voellig verfehlt zu
haben – wenngleich man hier natuerlich Wochen und Wochen zubringen kann – Richtung Taxi und fahren
zurueck auf den Campingplatz. Birgit und Josef, ein Ehepaar, das gestern neben uns angekommen ist,
laden sich zu einem Glas Wein ein. Wir duschen uns den Stadtdreck runter, huepfen kurz in den Pool,
essen was auf der Terrasse und sitzen den Rest des Abends mit den beiden vor unserem Womo und
trinken ihren Wein. Sie sind circa 70 Jahre alt, sie Lehrerin, er ehemaliger Forstarbeiter, dann
Grenzschuetzer, spaeter Sozialarbeiter im Innendienst – das ist mal ein Berufsleben! Sie kommen aus
Luebeck und haben vor 20 Jahren gemeinsam mit 30 anderen Menschen ein grosses Grundstueck in
Mecklenburg Vorpommern, nicht weit oestlich von Luebeck gekauft, wo sie nach wie vor in einer
Gemeinschaft leben, in der sie selbst die aeltesten sind. Chapeau. Spannendes Konzept und fuer mich
sicherlich eine gute Lebensform, wie wahrscheinlich fuer viele Frauen. Josef wuerde eher verrueckt
werden – wie die meisten Maenner. Auch bei diesen beiden war sie die treibende Kraft. Aber nun leben
sie mit allen Hoehen und Tiefen, auch oft Zweifeln, schon seit 20 Jahren in der Gemeinschaft – auch ihre
Kinder sind dort erwachsen geworden – und sie sind nach wie vor ueberzeugt, dass sie den richtigen Weg
gegangen sind. Jeder in der Gemeinschaft hat seine eigene Wohnung und verwaltet seine eigenen
Finanzen. Man teilt sich Scheune und Garten und so dies und das, und es gibt 14-taegig eine
Versammlung zur Abstimmung von gemeinsamen Anliegen und Loesung von Problemen und Konflikten.
Haben dann noch ein wenig politisiert und philosophiert, und es war recht anregend.
20.4.
Vor dem Womo liegt ein schoener Holzknueppel. Josef, der Nachbar, hat ihn auf dem Campingplatz
neben dem Wohnhaus gefunden und meinem Josef geschenkt, weil sie beide Holzfetischisten sind. Es ist
Olivenholz und kommt zur Sammlung der Reisetrophaen. Bin gespannt, wann unser Kofferraum hinten
abbricht!
Nach dem Fruehstueck verabschieden wir uns links und rechts. Zu unserer Linken standen drei
franzoesische 4-Wheeler mit Dachzelten und auf der anderen Seite eben Josef und Birgit, sowie Georsch
und Ingrid. So viel Kontakt haben wir noch nie gehabt! Ein Schwabe fragt, ob jemand Englisch spraeche
und ihm helfen koenne, mit der Mercedes Werkstatt einen Termin zu koordinieren. Ich helfe ihm noch
geschwind, waehrend Josef Wasser nachfuellt und Grauwasser entsorgt, und dann machen wir uns auf
den Weg Richtung Nordosten, also Richtung Fez. Fahren an der Medina vorbei und biegen einmal falsch
ab, muessen drehen und sehen wie Maenner, auf kleinen Eselskarren stehend und an roemische
Streitwagen erinnernd, voller Muell die Medina verlassen, ihre Fracht gleich auf der anderen
Strassenseite auf eine Haufen kippen und wieder zurueck in die Medina fahren. Muellentsorgung ist, wie
ueberall in den Schwellenlaendern und der Dritten Welt, ein schwieriges Thema im ganzen Land. Es gibt
kaum eine geregelte Muellabfuhr, wahrscheinlich so gut wie keine richtigen Deponien, geschweige denn
Recycling oder Verbrennungsanlagen. Josef meint, das waere mal ein Thema, dessen sich die UNO
annehmen koennte. Recycling waere so wichtig, wuerde viele Arbeitsplaetze und Ressourcen schaffen
und nebenbei diese Laender entmuellen.
Wir fahren zunaechst recht langweilig noerdlich des Atlasgebirges ueber die Nationalstrasse N8 durch
flaches Agrarland. Am Strassenrand verkaufen Maenner irgend etwas, und wir halten, um es zu
ergruenden. Es sind recht kleine lebende Schnecken. Sie sagen, es kommen Haendler und kaufen sie fuer
Europa – zum Essen und fuer Kosmetikprodukte. Der eine sagt, an guten Tagen, wenn die Kinder nicht zur
Schule muessen und helfen, sammelt er bis zu 500kg! Wenn er sich da mal nicht vertan hat mit einer Null.
Wir sehen ganz viel Khubbaize (von der mir Birgit gesagt hat, es sei wilde Malve!), sammeln einen Haufen
und biegen dann endlich Richtung Berge ab, um die Wasserfaelle bei Ouzoud zu besuchen, mit 100m
angeblich die hoechsten von Marokko und die zweithoechsten in Afrika nach den Victoria Falls. Wer
weiss, wer weiss? Der Kontinent ist gross!
Wir fahren durch das enge Tal des Wadi Abid, ueberqueren eine Stahlbruecke, winden uns dann den Berg
hinauf und entfernen uns vom Tal. Ueberall stehen Kinder an der Strasse, die uns fast vor das Auto
springen, um irgenwelche Kraeuter, wahrscheinlich wilden Thymian, an den Mann / die Frau zu bringen.
Wir fahren durch Ouzoud hindurch, sehen bestaetigt, was im Reisefuehrer steht, und was uns auch Stina
bei ihrem Besuch kurz vor unserer Marokkoreise gesagt hat: Hier ist normalerweise viel los – es kommen
viele marokkanische Tagesausfluegler vom ganzen Land, aber auch Touristen von Marrakesch aus. Auf
der anderen Seite der Stadt geht eine Piste rechts ab und naehert sich dem Wadi Abid, endet im Dorf
Tafaghalt oder so aehnlich. Wir halten auf dem Dorfplatz am Ortseingang, fragen, ob wir dort ueber
Nacht stehen duerfen, werden von einem Dutzen Frauen, die in einem Frauenzentrum Teppiche und
Decken weben und uns alles freundlich zeigen, willkommen geheissen, drehen dann noch eine schoene
Runde durch das Dorf, das komplett aus Lehm gebaut ist – bis auf eine voellig ueberdimensionierte
Moschee, die noch im Rohbau ist und das kleine Doerfchen erschlaegt. Uns begegnet ein junges Paar, das
aussieht, als seien sie auch Besucher. Ich frage sie auf Englisch, wie sie den Moscheeboom im ganzen
Land beurteilen und wer die Bauwerke bezahlt. Der junge Mann ist kritisch, erklaert uns in recht gutem
Englisch, die Awqaf-Behoerde (Religionsbehoerde) bezahle die Moscheen – ich weiss, dass Saudi-Arabien
und auch die VAE die Awqaf-Behoerden ueberall auf der Welt finanziell unterstuetzen. Die Moscheen
wuerden nur halb fertig gebaut, also der Rohbau, dann wuerde man von den Dorfbewohnern Spenden
erbitten fuer den Rest. Diese wuerden natuerlich aus Angst, in der Hoelle zu schmoren, nicht ablehnen,
obwohl sie fast nichts haben. Seine Begleiterin, die um einiges aelter wirkt und Kopftuch traegt, haelt sich
zunaechst bedeckt und widerspricht ihm dann auf Arabisch. Sie weiss nicht, dass ich sie verstehe und
meint, die Moscheebauten seien wichtig fuer die Menschen, besonders fuer die Aelteren, und auch fuer
die Bildung der Kinder, denn es wuerde ja auch der Koran unterrichtet. Ja, eben nur der Koran, wendet
der junge Mann ein. Ich frage, ob man das Geld nicht besser in die Infrastruktur investieren muesste, also
die Wege und Strassen im Dorf pflastern, die Abwasserentsorgung modernisieren, etc. Er nickt eifrig, sie
guckt bisschen genervt. Wir bedanken uns und gehen weiter, sehen dann, dass tatsaechliche kein
einiziger Weg gepflastert ist, dass das Abwasser, zumindest Wasch- und Duschwasser, in Rinnen in der
Wegmitte davon laeuft. Eine Frau laedt uns in ihr Haus ein, zeigt uns Handarbeiten, die sie uns gern
verkaufen wuerde. Im Nachhinein dachte ich, wir haetten ihr einfach was abkaufen sollen, auch wenn wir
es furchtbar kitschig finden. Ihr Haus ist komplett aus Lehm, einschliesslich Fussboden, und es ist dunkel,
die einzige Lichtquelle eine kleine Oeffnung im Dach, mit einer Plastikplane bedeckt. Wir sehen in einer
Wandnische einen kleinen Fernseher, es stehen ein Hocker und ein Plastikstuhl da, ferner in einer Ecke
ein einfacher aber grosser Webstuhl. Mehr gibt es nicht. Wir plaudern ueber dieses und jenes, bedanken
uns, herzen die Kinder und gehen. Ich wuerde sie gern fragen, was sie vom Moscheeneubau haelt,
verkneife es mir jedoch. Sie sind alle recht religioes hier, und ich vermute, sie heissen es gut, weil sie sich
wichtig genommen fuehlen. In den armseligen Doerfern und Staedten Europas waren die Kirchen auch
stets die prunkvollsten und groessten Gebaeude.
Wir gehen zu unserem Schlafplatz zurueck und beenden den Tag mit einem Krimi. Es nieselt die ganze
Nacht auf’s Womodach.
21.4.
Es ist bewoelkt und ziehmlich kuehl. Nach dem Fruehstueck gebe ich einem Mann, der auf dem Dorfplatz
auf irgend etwas wartet, unsere gesammelten 5-Liter-Wasserflaschen, und er nimmt sie gern. Dann
fahren wir wieder nach Ouzoud rein und machen eine Wanderung zu den Wasserfaellen, die in der Tat
beeindruckend sind, ein Eindruck, der jedoch ein wenig zerstoert wird durch die ganzen mit Plastikplanen
bedeckten Buden, Cafes und Restaurants unten neben dem Wasserfall. Noch ist es recht still hier, sind
kaum Gaeste da. Aber es ist Samstag und wird gewiss noch voller. Wir folgen dem Tip unseres
Wanderbuechleins und laufen am Ouzoud entlang bis zu seiner Muendung in den Wadi Abid, ein paar KM
westlich und einige Hoehenmeter tiefer. Es ist eine schoene Wanderung durch Oliventerrassen und
wunderschoen bluehende Wiesen. Man moechte am liebsten alles aufsaugen und fotografisch im
Gedaechtnis behalten, so schoen ist es, so vielfaeltig die Bluetenpracht. Recht weit unten pfluegt ein
Bauer mit zwei Eseln seine kleinen Aecker. Es sieht so anstrengend und muehsam aus – fuer Mensch und
Tier. Aber er gruesst ganz freundlich, laedt uns ein, ihn zu fotografieren, was wir aber nicht tun. Als wir
unten an der Muendung ankommen, ist es schon deutlich waermer. Wir sind fast niemandem begegnet.
Wir geniessen den Ausblick ein Weilchen und machen uns auf den Rueckweg. Der Bauer winkt uns
nachdruecklich zu sich herein und serviert uns einen wunderbaren Tee, der genau zum richtigen
Zeitpunkt kommt. Er raucht ein Pfeifchen mit irgendeinem gruenen Pulver – ich vermute Cannabis – ich
rauche eine Zigarette und lasse ihm noch zwei da. Er zeigt uns, was er da alles pflanzt: Weizen, Gerste,
Paprika, Chili, Auberginen, ueberdacht von Granatapfel-, Oliven-, Pfirsich- und Nussbaeumen. Er zeigt uns
sein Haus, das weit oben auf einem kleinen Plateau thront. Dort lebt seine Familie, seine Frau, einer der
Soehne mit Familie. Der andere lebt im Dorf, die Tochter ist in Rebat verheiratet, und ihr Mann arbeitet
in einer Betonsteinherstellung. Von neun Kindern haben nur drei ueberlebt, einer ist mit 25 bei einem
Autounfall ums Leben gekommen, eines ist mit 8 Monaten, ein anderes mit 4 Jahren an Krankheiten
gestorben, die anderen drei waren Fehlgeburten. Hart!
Wir bedanken uns, lassen ihm ein wenig Geld da, was er nicht will. Aber wir sagen, er soll den Enkeln was
Suesses kaufen. Gehen wieder hinauf Richtung Wasserfaelle. Mittlerweile geht es hier zu wie auf einem
Jahrmarkt. Am Fuss der Wasserfaelle sind mehrere Boote aus alten Oeltonnen mit Touristen unterwegs –
wie am Rheinfall von Schaffhausen, nur alles in klein und bescheiden. Die Restaurants sind auch gut
besucht. Die ueberwiegende Mehrzahl der Besucher sind Marokkaner. Lassen uns von einem
freundlichen Marokkaner ablichten.
Ich bin platt und will nur noch ins Womo und mich hinsetzen. Wir fahren also gleich los und nehmen die
landschaftlich reizvolle Nebenstrecke in Richtung des Stausees Bin Al Ouidane. Halten kurz in Alazali, wo
Josef einkaufen geht und ich mich fuer ein Turbonickerchen ins Bett lege. Danach geht es mir besser.
Wieder ist die Fahrt so schoen, die Wiesen saftig gruen und kunterbunt, in hoeheren Lagen die herrlichen
Euphorbien-Kakteen und Steineichen. Kommen ueber eine Passhoehe bei 1500m, und unter uns liegt der
Stausee auf 1200m. Leider ist es heute wieder einmal diesig und bewoelkt, so dass wir die Berge des
Hohen Atlas nicht sehen koennen. Aber der See ist dennoch sehr schoen. Es ist fuerchterlich windig, und
dennoch sind hier viele Wochenendausfluegler. Wir stellen uns an eine flache Stelle direkt am See,
schauen dem bunten Treiben zu, gehen eine Runde spazieren, folgen einer Gruppe von Leuten, die aus
ihrem Bus steigen und singend und tanzend und auf ihre Tabourine schlagend zum See hinunter gehen.
Waehrend ich das hier im schoenen Abendlicht bei wunderschoener See- und Bergkulisse schreibe, kocht
Josef zum ersten Mal etwas mit Fleisch auf dieser Reise: Fleischkuechle. Als er eben fertig ist und wir
essen wollen, fragen mich zwei junge Marokkanerinnen, ob ich wuesste, wo es hier eine Toilette gibt. Ich
zeige ihnen ein Hotel ca 500 m weg am Ufer. Oh, das sei aber weit, ob sie nicht bei uns auf’s Klo gehen
koennten. Nun gut! Sie wuerden es umgekehrt niemals ablehnen, also lassen wir sie natuerlich auch. Aus
zweien werden dann vier, die eine nach der anderen unsere Toilette beehrt, waehrend ich mit den
anderen Smalltalk mache und Josef die Fleischkuechle warm haelt.
Ein Mann hat einen Stand fuer Grillspiesse. Ich glaube, er wohnt hier, denn direkt neben seiner kleinen
Grillbude steht ein Zelt, und nachts lodert ein Lagerfeuerchen.
22.4.
Wir sind ein wenig unschluessig, wo wir hin moechten. Es ist Sonntag, und waehrend wir fruehstuecken,
kommen schon die ersten Ausfluegler, lassen sich mit Ruder- und Motorboten rausfahren auf den See.
Der Mann mit dem Fleischgrill erleichtert sich recht ungeniert keine 20m vom Womo weg, so dass fuer
uns besiegelt ist, dass wir hier wohl nicht den Tag verbringen wollen. Es liegen bestimmt 20 Boote am
Ufer, und die Jungs haben nicht wirklich viel zu tun. Aber keiner, auch nicht der Fleischgriller, kommt auf
die Idee, ein wenig Muell aufzusammeln. Ein Plumpsklo waere auch nicht schlecht hier.
Die Strasse geht ueber den Staudamm, flankiert von Wachsoldaten und „Fotografieren-Verboten“-
Schildern auf beiden Seiten. Weiter windet sich die Strasse um den See herum mit wunderschoenen
Ausblicken aus allen Perspektiven. Wir halten auf einer Landzunge, die weit in den See hinein ragt und
offenbar ebenfalls ein beliebter Ausflugsort ist, denn es ist schon am Vormittag recht reges Treiben hier.
Ein junges Maedchen, die mit ihrer Familie hier ist, fragt, ob sie uns beide fotografieren darf. Klar darf sie.
Dann moechte sie noch ein Selfie von uns dreien. Auch ok. Sonst sind wir immer diejenigen, die die Leute
knipsen wollen, meistens jedoch nicht duerfen.
Ein junger Englaender, der einen Anhaenger voller Zeug, einschliesslich Kayaks und Rotwein, dabei hat,
erzaehlt, er lebe in Australien, arbeite aber gerade fuer einen neuseelaendischen Anbieter von
Abenteuerreisen und organisiere hier fuer eine Gruppe, die gleich aus Marrakesch anrueckt, einen
Kayakkurs auf einem der Fluesse im Hohen Atlas. Er raet uns dringend, hinauf zu fahren nach Tilouguit
und Zaouia Temda. Dort gaebe es tolle Wandermoeglichkeiten und eines der besten Klettergebiete mit
Felsen wie im Yosemite. Wir fahren also hinauf, und allein die Fahrt ist schon richtig klasse. Weiter unten
gruene Wiesen voller Klatschmohn, einer lila Lilienart, wilden Gerbera,… eine unglaubliche Vielfalt an
Blueten, und mittendrin die kunterbunt gekleideten Maedchen und Frauen, die alle am Blumenpfluecken
sind oder mit ihren huebschen Straeussen an der Strasse entlang laufen, jede fuer sich eine kleine
Augenwaide. Dann geht es in Serpentinen steil hinauf. Kommen bei 1800 m ueber einen Pass – die
Temperaturen fallen von etwa 18 Grad am See auf 10 Grad dort oben, und es weht ein steifer Wind –
fahren dann ueber ein flaches und kahles Hochtal, wo zwei Quellen gefasst sind. An der einen sitzen zwei
Frauen und waschen in diesem eiskalten Wind Decken, Teppiche und Kleider. Ein junger Mann steht
daneben und, wie kann es anders sein, schaut ihnen tatenlos plaudernd zu. Ab hier geht es wieder
hinunter auf 1300 m, und in Tilouguite sind es ploetzlich 25 Grad, es staubt, und das Dorf ist dermassen
verratzt, dass es weh tut. Ab hier ist die Strasse nicht mehr geteert, und Josef ist zoegerlich, weiter zu
fahren. Es stehen junge Rucksacktouristen herum, die auf ein Sammeltaxi ins Klettergebiet warten. Wir
essen ein Fladenbrot mit Ei und Schmelzkaese, trinken einen Tee und ueberlegen, was wir tun sollen. Ein
Wanderfuehrer spricht uns an und fragt, ob er mit uns fahren und uns dann fuehren kann. Aber wir
beschliessen, es zu lassen – ich ein bisschen schweren Herzens – und wieder hinunter zu fahren. Den
Hohen Atlas muessen wir uns fuer die naechste Reise aufheben, aber den wuerde ich gern noch
intensiver erleben und erwandern.
Wir fahren also zurueck auf die Landzunge am See. Mittlerweile ist es spaeter Nachmittag, und die vielen
Ausfluegler packen allmaehlich zusammen und fahren heim. Gruppen von Frauen und Maedchen gehen
klatschend und singend vorbei; ein Pickup-Truck, beladen mit mindestens 20 Leuten, faehrt ebenfalls
trommelnd und singend vorbei. Der gesamte Konvoi dauert bestimmt eine Stunde, und ganz viele
gruessen uns und heissen uns willkommen – wie so oft hier! Zwei Welpen, die hier mit ihrer Mutter
leben, wuseln um das Womo herum, mal naeher dran, mal weiter weg. Es macht Spass, ihnen
zuzuschauen. Ein Mann auf einem kleinen Eselchen, die Fuesse fast am Boden schleifend, den Enkel
hinter sich geklemmt, trabt zackig vorbei.
23.4.
Heute frueh sind die Welpen und die froehlich zirpenden Voegel die einzigen Lebewesen ausser uns auf
der Halbinsel. Wir machen uns auf den Weg in die grobe Richtung von Fez, fahren ueber eine kleine
ausgefranste Teerstrasse den landschaftlich reizvolleren Weg, bis diese in Beni Mellal auf die N8 stoesst.
Kurz vor Beni Mellal, als wir von den Bergen hinunter ins Tal kommen, halten wir und machen einen
zweistuendigen Spaziergang in Richtung Berge. Es ist ein schoener Weg, wiederum zwischen
kunterbunten Wiesen und dann Aeckern. Bauern ernten auf einem Feld Erbsen und druecken uns ein
Dutzend Schoten in die Hand als Wegzehrung. Ihre Schafe grasen drum herum. Dann laufen wir durch
Macchia-Landschaft, schliesslich wieder Kornfelder. Hier sehen wir zum ersten Mal jemanden spritzen:
Unkrautvernichter. Es stinkt und, da wir in Windrichtung laufen, begleitet uns der Geruch noch eine
Wegstrecke. So kann man sich vorstellen, wie dieses Zeug wirkt. Wir laufen noch ein wenig weiter, jetzt
durch das unwegsame Wadibett. Wuerden wir hier den restlichen Tag verbringen, koennten wir in die
Schlucht hinein laufen. Aber Josef draengelt es, ein paar Kilometer weiter zu kommen. Wir machen in
Beni Mellal, einer geschaeftigen, jedoch nicht sehr ansprechenden Stadt, halt. Wir machen einen kurzen
Einkaufs- und Teestopp und fahren dann bis Khenifra, von der unser Reisefuehrer sagt, dass sie als
allerletzte Stadt unter das franzoesische Protektorat fiel, weil sich ihre Einwohner erbittert wehrten, wie
die Gallier gegen die Roemer. Vorher halten wir noch einmal bei einer Olivenpresse, probieren das Oel
und kaufen fuenf Liter, obwohl es mir nicht ganz so schmeckt, wie ich es erwartet haette. Wir kommen
ein wenig ins Gespraech mit dem Eigentuemer, Mustafa, und irgendwann steht seine ganze Familie um
uns herum. Sie machen Tee, tragen klitzekleine Plastikhocker herbei, Brot, Olivenoel und Butter, die sie
selbst machen. Nette Stimmung. Ich gebe einer der Frauen eine Tube mit Arnikasalbe, weil sie ueber
Muskel- und Sehnenschmerzen im Schulterbereich klagt. Wir bedanken und verabschieden uns
schliesslich und fahren weiter durch huegeliges, sehr fruchtbares Ackerland bis Khenifra. Josef ist ganz im
Glueck ueber diese wider Erwarten sehr lebendige Stadt. Er fuehlt sich ob der grell bunten Beleuchtung
an Seoul erinnert und will gern mittendrin sein. Wir parken also direkt vor dem Polizeigebaeude, neben
uns ein Baum voller weisser Reiher, um uns herum auf den Schornsteinen der Haeuser mit
Giebeldaechern und Dachziegeln Stoerche ueber Stoerche. Wir stuerzen uns ins abendliche Gewuehl,
essen in einem Strassenrestaurant und lauschen nun vom Bett aus den Stadtgeraeuschen um uns herum.
24.4.
Was ein Tag! Heute frueh sammeln sich auf dem Parkplatz vor der Gendarmerie, auf dem wir stehen,
viele junge Maenner. Erst denke ich, sie haben vielleicht alle eine Vorladung wegen diverser Vergehen.
Als es jedoch immer mehr werden und sie auch offenkundig ganz anstaendig und geschniegelt und
gebuegelt wirken, nehme ich an, dass es Bewerber sind. Wir koennen nicht weg fahren, weil die Ausfahrt
von parkenden Fahrzeugen blockiert ist. Als ich eben in die Gendarmerie laufen und die Fahrer ausfindig
machen will, kommt ein ganz Wichtiger in Uniform und mit viel Lametta und signalisiert mir, er habe alles
im Griff, in fuenf Minuten kaeme der eine Fahrer, so das wir raus koennen. Die jungen Leute sind
tatsaechlich Rekruten, die auf 9:00 zu einem Gesundheitscheck eingeladen sind.
Endlich kommt der Fahrer, und wir koennen los. Der direkte Weg weiter Richtung Fez ginge ueber die N8.
Es gibt jedoch parallel dazu oben in den Bergen eine schoenere, wenngleich laengere Wegstrecke, die wir
nehmen moechten, um uns noch einmal ein wenig im Atlas herum zu treiben. Das Gebiet hier und um
Ifrane und Azrou, beide Richtung Fez, waren die Sommerfrische der Franzosen. Es geht direkt von
Khenifra aus stetig bergauf bis auf ca 1800m. Erst fahren wir durch Weizenfelder, dann durch Olivenhaine
und schliesslich sind wir in richtig dichtem Wald: grosse, uralte Zedern, Laerchen, die gerade erst richtig
austreiben, Steineichen und Kiefern. Die Strasse wird schmaler und biegt dann ab zu einem kleinen See in
einem baumfreien Hochtal ab, das jetzt ganz gruen und voller Wassertuempel ist. Hier stehen lauter mit
Plastikplanen umwickelte Huetten, und als wir uns dem See naehern, springen Kinder herbei, die
Fladenbrot verkaufen, wovon wir eines kaufen. Der See reizt uns nicht, denn im Reisefuehrer steht, dass
er im Sommer ein Lieblingsausflugsort der Marokkaner und zugemuellt ist. Wir steigen aus, weil wir im
Dreck ein schoen geschnitztes Stueck Holz sehen. Wir plaudern mit den Kindern, fragen, sie, ob wir es
ihren Eltern abkaufen koennten, aber sie sagen, es wuerde noch fuer den Hausbau benuetzt. Sie
ueberreden uns, mit ihren Eltern Tee zu trinken, und wir werden zu einem im Bau befindlichen Haus
gelotst. Dort hat man rasch eine der grossen Strandmatten ausgerollt, die hier allerortens zu sehen sind,
und die Maenner und Frauen setzen sich mit uns. Wir trinken Tee und essen dazu so eine Art Paratha,
ganz frisch gebackenes fettgetraenktes Fladenbrot. Sehr lecker! Aber diese Menschen sind sehr arm, so
dass wir nur ein paar Anstandsbissen annehmen. Sie sind Chleuh -Berber (spricht sich Schluh) vom Stamm
der Ait Boumzough. Sie erzaehlen uns, dass sie dieses Haus neu bauen, weil sie ihr angestammtes, ein
bisschen weiter oberhalb im Wald gelegenes, verlassen muessen. Sie leben in einem Naturschutzpark,
und die Forstbehoerde verbietet ihnen, im Wald zu leben, denn dieses sei Staatswald. Sie duerfen hier
auch kein Holz mehr schlagen, nur aufsammeln, was auf dem Boden liegt. Als Bauholz muessen sie das
Holz ihrer alten Haeuser wieder verwenden, oder sie muessen es kaufen. Die nicht bewaldeten Gebiete
gehoeren gemeinschaftlich dem Stamm, jedoch hat niemand einen Grundbucheintrag auf ein bestimmtes
Stueck Land. Aus diesem Grund duerfen sie auch keine festen Haeuser aus Stein bauen, sondern nur
diese leicht wieder abbaubaren Holzhuetten, die sie zur Isolierung und Abdichtung mit Plastikplanen aller
Art umwickeln. Entsprechend scheusslich sehen sie aus.
Ich denke erst, sie seien Nomaden, weil diese Art Behausung darauf schliessen laesst. Aber sie sagen, sie
lebten schon seit Generationen hier und waren nie Nomaden. Nach dem Tee nehmen die Maenner, zwei
Brueder, uns mit nach oben in ihr „Dorf“, eine Ansammlung der gleichen Bretterhaeuser, allerdings mit
den Natursteinen der Umgebung ein wenig befestigte Eingangsbereiche, mit einer duennen Betonplatte
innen als Fussboden, einer kleinen Solarzelle auf dem Dach, die eine Batterie speist, die abends immerhin
zwei bis drei Stunden Strom gibt (heute vielleicht nicht, denn es ist den ganzen Tag recht dicht bewoelkt).
Zwischen den Huetten, sozusagen auf dem Dorfplatz, liegt ein totes Schaf, blutig und mit verdrehtem
Hals, offenen Augen. Josef fragt, warum es dort liegt. Naja, es sei halt tot. Aha! In einem der Zimmer liegt
der sehr alte Vater der beiden Brueder auf einem recht gemuetlichen Lager im ansonsten recht grossen
aber leeren Raum. Aus einem anderen Zimmer kommt die uebergewichtige Mutter an einer Kruecke. In
einem dritten Zimmer bullert ein kleiner Holzofen in der Mitte mit dem unvermeidlichen Tajine-Topf. Es
ist erstaunlich warm hier drin. Dann gibt es noch ein zweites Schlafzimmer mit Lager am Boden. Das alles
muessen sie nun abbauen und unten in dem offenen Tal wieder aufbauen. Es behagt ihnen nicht, weil sie
dort keinen Schutz vor Sonne und Wind haben, und weil sie dann auch den vielen Tagesbesuchern am
Wochenende so ausgesetzt sind. Ob ihr Stammesfuerst nicht etwas dagegen tun koenne, frage ich. Nein,
das ist endgueltig. Sie haben den Bescheid schon vor einem Jahr bekommen, und nun muessen alle
allmaehlich umziehen. Wir laufen wieder hinunter, und Josef ueberlaesst dem groesseren der beiden
Brueder seine Cargohose, die ihm Meilen zu gross ist, und die er hier gern jemandem, der sie braucht,
schenken wollte. Sie sind wirklich sehr arm. Dennoch geht einer der grossen Jungen in Khenifra auf die
Schule und wohnt dort im Internat. Auch eine der grossen Toechter hat immerhin neun Schuljahre
absolviert. Ob sie hier bleiben werden? Der eine der Brueder erzaehlt dann noch, die Stammesfuersten
setzen sich dafuer ein, dass am Seeufer richtige Cafes entstehen, dass Bergfuehrer zertifiziert werden,
damit die Familien ein wenig Geld verdienen koennen. Aber ob das je umgesetzt wird, sei fraglich, sagt
er. Er bietet uns an, zu bleiben, meint, er muesse noch mit seinem Bruder ca bis 14:00 an den Haeusern
arbeiten, und dann koennten sie uns in die Berge fuehren. Wir bedanken uns herzlich fuer das
freundliche Angebot – ich glaube, hier ging es jetzt nicht um Geld – und verabschieden uns, geben der
Frau, die die Teigfladen und den Tee spendiert hat, noch 10 Dh, sie uns im Gegenzug noch einen frischen
Teigfladen.
Wir fahren weiter, und kommen nun durch Steineichenwaelder. Hier wird die Strasse gerade verbreitert,
und ueberall stehen Baumaschinen herum. Da wir keine Wege entdecken, auf denen wir ein bischen
laufen koennten, halten wir an einem Bachbett und laufen ein Stueck hinauf, treffen auf einen Schaefer,
der quietschfidel, wenngleich, wie viele hier, etwas zahnlos ist und uns nach Medikamenten fragt.
Wogegen, fragen wir. Gegen Bauch-, Zahn-, Kopf- und andere Schmerzen. Wir haben ja nun auf der
Wanderung keine Reiseapotheke dabei, und da fragt er, ob wir im „Reno“ was haetten, und ich brauche
einen Augenblick zu verstehen, dass er Renault meint und dies fuer ihn das Wort fuer Auto ist. Da hat
Frankreich gute Marketingarbeit im Maghreb geleistet!
Bis auf Vogelgezwitscher ist es sehr still im Wald, und ich hoffe darauf, Berberaffen zu sehen, die es hier
geben soll. Aber wir haben kein Glueck. Was uns jedoch den ganzen Weg begleitet, ist Donnergrollen –
mal naeher kommend, mal sich entfernend. Die Wolken ziehen mal nach Osten, dann wieder nach
Westen, sind mal heller, mal dunkler. Josef fuerchtet ein Unwetter, und wir gehen wieder zurueck zum
Auto. Dort fragt uns ein junger Mann, ob er mit uns bis zum Dorf Um Al Rabia fahren kann. Es ist nicht
weit und ohnehin unser naechstes Ziel, weil es dort einen Wasserfall und Quellen geben soll. Kaum
fahren wir los, bricht das Unwetter ueber uns herein, und es hagelt dermassen, dass sich die
Hagelkoerner von einem cm Durchmesser am unteren Rand unsere Windschutzscheibe aufhaeufen und,
dass es so laut prasselt, dass ich mir die Ohren zuhalten muss. Unser Tramper ist ganz unbeeindruckt,
meint nur, wir sollen besser in der Strassenmitte fahren, falls die Boeschung wegbricht. Er erzaehlt ueber
den Krach hinweg, dass er auf der Strassenbaustelle Baggerfahrer ist, seine freien Tage gesammelt hat,
damit er jetzt fuer 10 Tage (minus 2 Tage fuer Hin- und Rueckfahrt) nach Hause kann. Er kommt aus
Rashidiya und hofft, dass er heute noch weiter kommt. Waehrend Josef ganz konzentriert ueber die
Hagelkoerner eiert, zeigt er mir voller Stolz Fotos auf seinem Handy von sich und seinem Bagger. Der
Hagel geht in Regen ueber. Wir verabschieden ihn in Um al Rabia, trinken im Womo einen Tee und
hoffen, dass es aufhoert zu regnen. Und tatsaechlich, es troepfelt nur noch, und wir laufen zum
Wasserfall, der ganz nah am Dorf ist. Der Weg dorthin, also das Ufer links und rechts des Flusses, ist
komplett zubetoniert mit lauter ueber Treppchen miteinander verbundene Bodenplatten auf
verschiedenen Ebenen – die untersten 20 oder 30 cm ueber dem Wasserspiegel des klaren Gebirgsflusses
– darauf Huetten, die eigentlich nur aus einer Rueckwand und einem Schilfdach bestehen. Es sind
bestimmt 50 oder noch mehr kleine Restaurants und Cafes. Es ist alles leer jetzt, da es noch zu kalt ist,
aber im Sommer muss hier der Teufel los sein. Ueberall plaetschert Wasser aus Quellen in den
Felswaenden an beiden Ufern, die hier zusaetzlich zu dem Wasserfall am Ende der engen Schlucht den
Um Al Rabia speisen. Wir laufen ganz zum Ende. Dort tobt der Wasserfall runter, und die ganz
wagemutigen klettern ueber glitschige Steine so nahe heran, dass man sie als Helden ablichten kann.
Aber der Fluss tobt hier ganz anstaendig, und Josef und ich laufen ueber einen handgestrickten Holzsteg
auf den ersten freiliegenden Felsbrocken, was uns an Abenteuer genuegt. Als wir wieder zurueck sind auf
festem Boden, kommt eine Gruppe junger und alter Maenner, die nun zu fuenft auf diesen glitschigen
Steinen herumstolpern. Mir wird ganz anders, und ich mag gar nicht weg gehen, bevor sie alle wieder
festen Boden unter den Fuessen haben.
Schliesslich laufen wir langsam zurueck, und als wir eben fuenf Minuten vom Wasserfall weg sind, wo die
Schlucht wieder ein wenig breiter wird, wird das Wasser ploetzlich braun und tosend! Nach dem
Unwetter, das wir etwa eine Stunde vorher erlebt haben, haben sich oberhalb des Wasserfalls die
Wassermassen gesammelt, die nun von jetzt auf nachher den Berg herunterfallen und den Fluss binnen
Minuten um 1 – 2 Meter steigen lassen. Die untere Huettenreihe steht ganz rasch unter Wasser, und
diese braunen, tobenden Massen schlagen mit Macht gegen Maeuerchen, Pfosten und Unterbau der
kleinen Restaurants. Eine Familie mit zwei Kindern, die eben noch dort unten ihren Tee tranken, sind
recht schockiert. Ich kann nicht glauben, dass wir selbst so bloed waren, da hinten rein zu gehen. Wir
wissen doch, dass man nie in ein enges Flusstal gehen darf, selbst wenn es in 20 oder 30km Entfernung
geregnet hat. Und die Leute hier aus dem Dorf schauen uns Trotteln von Touristen zu und sagen nichts,
servieren uns sogar noch in aller Gemuetlichkeit Tee! Wir stehen lange dort und gucken uns das
unglaubliche Schauspiel an. Ein Mann, der dort mit uns steht, zeigt auf ein Restaurant ganz unten am
Wasser, das schon einen Meter unter Wasser steht und sagt, das sei seines, und letztes Jahr habe es ihm
das Wasser fortgerissen. Warum er dann so dicht am Wasser baue? Weil das im Sommer, wenn es heiss
ist, der schoenste Platz sei. No risk, no fun!
Vorher
Nachher
Irgendwann ist uns kalt, und wir fluechten uns ins Womo, aber erst, nachdem wir an die ganzen
bettelnden Kinder unsere Kugelschreiber verteilt haben. Josef hat eben fuer uns gekocht, lecker wie
immer, waehrend ich all das hier in den PC gehackt habe. Mittlerweile ist es dunkel, der Fluss rauscht
laut, und ich hoffe, wir stehen hier sicher!
25.4.
Wir sind dann am spaeten Abend doch noch auf die andere Seite des Parkplatzes gefahren, denn der
ganze Platz ist im Wadibett aufgeschuettet, der tosende Fluss durch ein recht schmales Nadeloer geleitet,
und wir standen direkt ueber dem Nadeloer.
Morgens fahren wir recht bald los, in der Hoffnung, dass die Strasse nicht unterspuelt oder
weggebrochen ist. Es ist ziemlich holperig aber immerhin frei. Wir halten in Ain Leuh, einem recht
huebschen und gruenen Staedtchen an den Haengen des noerdlichen Mittleren Atlas. Es ist Markttag,
und wir schlendern durch die Hauptstrasse, kaufen Gemuese und Obst, trinken Tee und essen einen
Sandwich fuer zusammen 11 Dirham, also 1 EUR! Unlgaublich. Wie geht das bloss?
Wir setzen unsere Fahrt auf der Nebenstrasse fort, kommen am kleinen Stausee Afnourir vorbei, nehmen
direkt neben der Strasse eine Bewegung wahr: es sind Berberaffen!
Im Reisefuehrer steht, dass sie in diesem Gebiet unterwegs sind, und ich habe schon die letzten zwei
Tage immer herum geguckt. Wir parken ein wenig weiter die Strasse hinauf (unter uns am Hang
unglaublich viel Muell!) und laufen langsam zurueck. Es gibt hier ein Forsthaus aus Stein mit Giebeldach,
daneben saeuberlich aufgestapelt Feuerholz, drum herum Wiesen, so dass man wirklich vergessen kann,
wo man ist. Die Affen wirken beinahe deplatziert! Wir bewegen uns langsam und vorsichtig parallel zu
ihnen oberhalb des Seeufers. Sie buddeln dort unten Wurzeln, Wuermer und Kaefer aus. Irgendwann
schreit ein junger Affe ueber uns aus den Baumwipfeln. Wir machen ihm Angst, und er traut sich nicht
herunter, waehrend seine Familie langsam Abstand aufbaut. Wir gehen weiter weg, damit er zu ihnen
kann, was er und noch ein kleiner Naseweiss dann auch ganz schnell tun. Wir laufen weiter am Seeufer.
Da stehen zwei Zelte, und ich habe das Gefuehl, die Maenner leben dort. Irgendwann sage ich, da
koennten wieder Schildkroeten sein. Kaum mache ich den Mund zu, sehen wir Dutzende, sich auf
angeschwaemmten Baumstaemmen in der Sonne aufwaermend. Wenn wir zu nahe kommen, gleiten sie
lautlos ins Wasser. Wir sehen sie um den ganzen, recht kleinen See herum. Irgendwann kommt ein
Kuhhirte mit seinen fuenf Kuehen und drei sehr schlaefrig wirkenden Hunden vorbei. Aber ploetzlich
rennen sie los: sie haben die Affen gesehen. Aber die Affen sind gewiss schlauer und schneller. Irre
spannend!
Bis jetzt war das Wetter ganz gut, aber die Wolken ziehen schon wieder heran. Mal sehen, wie lange es
haelt. Wir fahren weiter, kommen jetzt durch schoene Zedernwaelder. Die Baeume wirken trutzig, haben
fuer ihre Groesse sehr dicke Staemme, andererseits sind die Aeste und laerchenartigen Nadeln auch
beinahe zart. Josef erinnert sich, dass er mal gelesen hat, dass Zedern eine maximale Hoehe erreichen
und dann in die Breite gehen und ihre fuer sie typische schirmartige Krone erhalten. Wikipedia sagt uns,
dass es Zedern nur in ganz begrenzten einzelnen Regionen dieser Erde gibt – und zwar in einem Guertel,
der von Marokko im Westen bis Nordindien im Osten reicht.
Irgendwo auf knapp 2000m Hoehe sehen wir im Unterholz wieder Affen, halten und laufen vorsichtig
querfeldein durch den Wald, um sie nicht zu erschrecken. Wir koennen sie lange beobachten. Es sind
huebsche Tiere mit hellem, dickem Fell, die mehr am Boden als auf den Baeumen unterwegs sind.
Die Weiterfahrt wird haarig, die Strasse immer schlechter; sie besteht nur noch aus Schlagloechern, und
Josef muss sich sehr konzentrieren und fast Schritttempo fahren. Zwischendurch ist ploetzlich kein Wald
mehr, nur noch komplett kahle Hochebenen oder flache Taeler mit einem duennen Grasflaum. Wir
fahren teilweise in den Wolken, und es regnet. Hier gibt es auch immer wieder die kleinen Hirtenweiler
mit ihren Holz- und Plastikfolienbehausungen. Es sieht so unendlich troslos aus, wie sie leben! Die
Schaefer und ihre Schafe sind klatschnass und ihre Schafe ganz schwarz vor Matsch. Hier liegen sogar
noch Schneereste!
Endlich kommen wir auf die Hauptstrasse ein Stueck oestlich von Azrou. Fahren durch Azrou hindurch
und haben das Gefuehl, im falschen Film zu sein. Es regnet, ist kalt und die Architektur ist sehr
franzoesisch: lauter rote Schindel-Spitzdaecher. Dieser Ort und auch der naechste, Ifrane, waren zur
franzoesischen Protektoratszeit Sommerfrische fuer die Franzosen, und ihr Einfluss haelt bis heute an,
denn selbst neue Haeuser werden im selben Stil gebaut. Jetzt kommen die Marokkaner her, die auch
Ferienhaeuser hier haben und im Winter zum Wintersport kommen. Wenn man als westlicher
Auslaender hier in Marokko lebt, ist es bestimmt nett, ab und zu hierher zu kommen und so zu tun, als sei
man in Europa. Aber fuer uns hat es keinen Reiz, schon gar nicht bei dem Sauwetter, denn es fuehlt sich
an wie ein franzoesischer Voralpenort im Herbst. Wir fahren weiter Richtung Fez, das nur noch 60km weg
ist. Kommen kurz vor Dunkelheit auf einem Stellplatz suedlich der Stadt an und fallen bald ins Bett. Sind
heute eindeutig zu viel gefahren, und fuer Josef war es sehr anstrengend, denke ich.
26.4.
Fez! Was fuer eine Stadt! Schon wieder so eine tolle!
Fahren heute frueh aus Spass an der Freude mit dem Bus in die Stadt. Ein Mann, den wir nach dem
richtigen Bus fragen, begleitet uns, damit wir uns nicht verlaufen. Er hatte heute frueh einen Arbeitsunfall
in seiner Firma, hat sich die Hand an einer Maschine verletzt, und ist nun krank geschrieben und auf dem
Weg nach Hause. Er verdient mit 4000 Dirham = EUR 400 fuer hiesige Verhaeltnisse ganz gut. Unser
Stellplatz liegt in einem Gebiet, dass relativ neu bebaut wird, und ueberall stehen Werbetafeln fuer die
Projekte. Es werden Wohnungen zwischen EUR 80.000 und EUR 125.000, Villen fuer EUR 450.000
angeboten. Bei einem Jahresgehalt von EUR 4800 ist das nicht astronomisch, sondern illusorisch. Aber es
gibt Leute, die so viel verdienen, dass sie so etwas kaufen koennen. Man rufe sich nochmal ins
Gedaechtnis zurueck, dass wir fuer 2 Tee und 2 Sandwiches zwischen EUR 1 und maximal EUR 2,50
bezahlen (Bis auf heute. Aber dazu spaeter). Da kann man sich vorstellen, was so ein Angestellter in
einem Cafe verdient.
Spaeter setzt sich eine Studentin einer Berufsschule im Bus zu uns. Ich frage so dieses und jenes. Sie
„studiert“ Textildesign. Die Schule kostet nichts und man kann im ganzen Land an diesen staatlichen
Berufsschulen ueber einen Zeitraum von 6 Monaten bis 2 Jahren diverse Berufe lernen, jedoch nur die
Theorie. Es ist keine duale Ausbildung, und die Jobsuche danach ist nicht einfach. Aber immerhin!
Krankenversichert ist man, wenn man angestellt ist oder irgendwie fuer den Staat arbeitet. Die
Versicherung wird vom Arbeitgeber bezahlt. Kinder unter 18 Jahren bekommen die Behandlung in
staatlichen Krankenhaeusern kostenlos, jedoch nicht die Medikamente. Die meisten Menschen hier leben
auf dem Land und sind Subsistenzbauern, also nicht angestellt, muessen demnach jeden Arztbesuch
selbst bezahlen. Meistens gehen sie deshalb nicht zum Arzt. Das erklaert auch, warum wir immer wieder
nach Medikamenten gefragt werden, meistens nach Schmerzmitteln.
Wir bedanken uns an der Endstation in der so genannten Nouvelle Cité (erbaut von den Franzosen
Anfang des 20. Jh) bei unserem Begleiter und verabschieden uns,
laufen Richtung Norden auf die Altstadt zu, die aus „Fez Al Jdida“, dem „Neuen Fez“, gegruendet im 13.
Jahrhundert, und der Medina aus dem 8. Jahrhundert besteht.
Nach einem beachtlichen Fussmarsch bis zum Eingang zur Fez Al Jdida beschliessen wir, eine Tee-
/Sandwichpause zu machen, sehen ein Schild „Panoramaterrasse“ und gehen hinauf. Da steht nur ein
einziger Tisch, an dem aber schon zwei wohlgenaehrte (sieht man nicht so oft hier, aber in der Stadt
oefter als auf dem Land) und offenbar wohlhabende Maenner sitzen und ueppig speisen. Der Kellner
bringt Tisch und Stuehle, und wir haben eine irre Ausicht auf die Stadt unter uns, dem Gewusel am
Stadttor und auf den umliegenden Dachterrassenrestaurants, auf die anderen umliegenden Daecher, wo
Waesche flattert, unendlich viele Satellitenantennen, Leute, die irgend etwas arbeiten oder einfach nur
herum spazieren, auf diverse schoene Minarette in allen Farben und Verkleidungen, auf die Fez
umgebenden Berge, etc.
Alles super, ausser, dass es erstens ewig dauert bis unsere Stulle kommt, was aber ok ist, weil wir gern
ein bisschen ausruhen, und, dass er zweitens nachher 150 Dirham will fuer dasselbe, wofuer wir gestern
noch 11 Dirham bezahlt haben. Wir diskutieren, wollen mit seinem Chef sprechen, der aber angeblich
gerade Mittagsschlaf macht, wollen eine Speisekarte sehen, aber er tut so, als kaeme er uns total
entgegen, als er auf 100 Dirham runter geht. Wir sind richtig genervt, weil wir uns total veraeppelt
fuehlen, haken es ab und schreiben es unserer eigenen Dummheit zu. (Spaeter trinnken wir nochmal Tee
und Croissants und bezahlen die ueblichen 30 Dirham…wir sind also eindeutig abgezockt worden! Wie
aergerlich…uns sogenannten Reiseerfahrenen darf sowas nicht passieren!)
Fez ist spektakulaer, unbeschreiblich und spannend, noch urspruenglicher als Marrakesch, auch
heruntergekommener, die Gassen noch schmaler, die Haeuser mit Holzbalken gegeneinander
abgestuetzt, damit sie nicht zusammen brechen. Aber es gibt so viel Schoenes, so viel schoene
Architektur, so viele der herrlichen Fliesenmosaike an oeffentlichen Brunnen, in Hausgaengen, in
Moscheen, an Toren,….
Oeffentlicher Brunnen
Wieder sehen wir ueberall Werkstaetten, wo wirklich noch in komplett mittelalterlicher Handarbeit alles
Moegliche gefertigt wird… In unserem Reisefuehrer wird man vor der Aufdringlichkeit irgendwelcher
selbsternannter Stadtfuehrer gewarnt. Aber wir werden eigentlich total in Ruhe gelassen, und wenn uns
einmal jemand etwas zeigt, und wir ihm Geld geben wollen, so lehnt er es fast beleidigt ab. Einmal
stolpern wir in eine Werkstatt, wo ein aelterer Mann auf dem Fussboden sitzt und mit einer primitiven
Konstruktion aus einer Fahrradfelge und anderen Dingen Wollfaeden auf Spindeln wickelt. Ein anderer
aelterer Mann, der unser Interesse spuert, sagt, wir sollen ihm folgen, er wuerde uns eine Werkstatt
zeigen. Wir laufen durch endloses Gassengewirr hinter ihm her, wuerden ohne ihn nie wieder hier heraus
finden. Endlich steht er vor einem Haus, schliesst die Tuer auf und fuehrt uns hinein. Hier stehen auf drei
Stockwerke verteilt mehrere riesige Webrahmen, und ein junger Mann arbeitet an einem, webt einen
recht feinen Stoff fuer die traditionellen Maennergelabas – allerdings aus Kunstfaser, weil die Kunden das
heute vorziehen. Auf einem anderen Webstuhl wird ein ganz zarter und feiner Stoff fuer die Ueberwuerfe
der Frauen gewebt. Wir sind tief beeindruckt. Als wir wieder gehen, schliesst er hinter sich ab und
erklaert uns, seine Arbeiter kaemen aus den Doerfern in den Bergen, sie arbeiteten immer fuer ein bis
zwei Monate am Stueck und fuehren dann fuer ein paar Tage nach Hause zu ihren Familien. Das sind die
Gastarbeiter, deren Familien wir in den Bergdoerfern kennengelernt haben. Der Chef schliesst sie ein –
wahrscheinlich, damit sie nicht auf die Idee kommen, in ihrer Arbeitszeit in der Stadt herum zu streunen.
Wahrscheinlich verdienen sie um die EUR 100. Das ist schon knapp an der Leibeigenschaft vorbei. Und sie
sind gewiss nicht krankenversichert.
Wir sehen die Laeden mit den traditionellen Kleidern nun mit anderen Augen, da wir wissen, dass die
Stoffe, vielleicht nicht alle, aber doch ein Teil, hier in Handarbeit gewebt werden.
27.4.
War gestern zu muede, den Rest des Tages zu schildern und bin eben im Morgengrauen aufgewacht, um
mich nochmals ausgiebig besonders ueber unsere Dummheit aufzuregen. Wir haetten diesem frechen
Kerl mit seinen Sandwiches einfach das in die Hand druecken sollen, was wir fuer adaequat halten –
meinetwegen noch ein paar Dirham mehr fuer die tolle Lage und dafuer, dass er Tisch und Stuehle 3
Stockwerke hochgetragen hat. Ich glaube, ich muss da heute nochmal hin.
Wir erwandern also gestern das ganze Fez Al Jdida und die Medina, kommen natuerlich auch an der
Kairouayna-Universitaet, nach Kairo, der zweitaeltesten der Welt, vorbei, wo heute jedoch nur noch
islamische Theologie unterrichtet wird, an der Moulay Idriss Moschee, etc. Am Najjarin-Platz, dem Platz
der Tischler und Schreiner, wird aussen herum und in den umliegenden Gassen noch fleissig
gehandwerkt. Ein Teil wird aus Zedernholz gefertigt, und es duftet herrlich danach. In ein paar
Werkstaetten bauen sie riesige Hochzeitsthrone, also hoch aufgepolsterte Sofas in silber- oder
goldschimmendem Brokatstoff, dahinter aus feinen Sperrholzplatten von Hand heraus geschnitzte und
dann weiss, golden oder silber angemalte Himmel. Hier gibt es auch in einem wohl praechtig
restaurierten Stadthaus ein Holzmuseum, das man sich noch anschauen sollte.
Immer wieder begegnet uns eine wuselige und selbstbewusste ca 35-jaehrige Frau mit afrikanischen
Wurzeln, dicker Brille, ziemlich stark schielend, aber sonst recht ansehnlich und in eine Gelaba im
Leopardenlook gehuellt, den Kopf locker mit einem kleinen Turban umwickelt. Sie schakert mit allen
Maennern, zeigt uns zwischendurch den Weg zu den Gerbereien gleich um die Ecke. Wir werden von
einem Mann in einen dunklen Gang geschickt – dort koenne man die Treppe hinauf auf’s Dach und von
oben dem Treiben im Hof der Gerber zuschauen. Der Gang fuehrt zu einer kleinen Tuer. Wir druecken sie
auf und stehen, siehe da, in einem schoenen Laden fuer Lederprodukte. Der Chef ist nicht so richtig
erfreut, schickt jedoch jemanden mit uns ueber drei Stockwerke Ausstellungsraeume mit wirklich
feinsten Lederwaren auf das Dach. Der Gestank ist beinahe unertraeglich, aber das Bild der Hammer: Da
stehen ungefaehr 50 weich und rund geformte, alle wie Honigwaben miteinander verbundene, ca. 1,50m
tiefe Bottiche, teilweise aussen geweisselt, teilweise lehmfarben, teilweise gefuellt mit Farben,
Kalkwasser, Traubendreck, etc. teilweise leer. Die Maenner stehen in den Bottichen und ziehen
Tierhaeute durch die Fluessigkeit, zwei von ihnen jagen sich gegenseitig, auf den Raendern der Bottiche
balancierend und lachend.
Ich halte leider den Geruch nicht mehr aus, sonst koennte man dem mittelalterlichen Treiben dort unten
ewig zuschauen. Wieder unten stehen da einige Maenner in der Gasse herum. Einer erzaehlt uns, dass
schon ein Teil der Haeuser restauriert wurde, teilweise von westlichen Auslaendern, die diese kauften
und Hotels oder Restaurants daraus machten, wie in Marrakesch. Ausserdem gaebe Koenig Mohammad
VI den Eigentuemern – auch den Auslaendern – aus seinem Privatvermoegen zur Restaurierung der alten
Haeuser 500.000 EUR (Da hat er sich mit Sicherheit vertan, selbst wenn die Geschichte stimmt). Nach
einem Jahr komme eine Kommission, um zu sehen, wie das Geld investiert wuerde. Ist nichts geschehen,
muesse der Eigentuemer das Haus der Regierung uebergeben. Wir konnten das nicht verfizieren, die
wuselige Fatma Zahra – wir sind nun bei der vierten Begegnung per du mit ihr – guckt jedenfalls verwirrt,
als ich sie danach frage, fliegt dann aber die Kurve und sagt, der Koenig sei klasse und habe nur das Beste
fuer sein Volk im Sinn, nur leider seien seine Vasallen korrupt und steckten sich das Geld in die eigenen
Taschen. Nun gut. Sie nimmt uns wieder mit in die dunkle Gasse und zeigt uns „ihr“ Haus. Es ist ebenfalls
ein ehemals sehr schoenes Stadthaus mit reich verzierten Innenhoffassaden, einem mit blauen Mosaiken
verzierten Brunnen an einer Wand und drei Stockwerke umfassend. Fatima Zahras Wohnung besteht aus
einem grossen Zimmer mit ca 10m Deckenhoehe. Hier ist Kueche mit Waschmaschine, Wohn- und
Schlafzimmer in einem. Angeblich hat sie sechs Kinder, der aelteste 20 Jahre alt, und ihr Mann sei
gestorben. Sie zeigt uns dann noch den sanitaeren Bereich in einem uberbauten Hof mit Lichtschacht im
Souterrain: sie hat ihre eigene Frischwasserquelle direkt unter dem Haus – wahrscheinlich ein Falaj.
Daneben ein zementiertes Becken zum Waeschewaschen und daneben ein Abtritt in Form eines Stehklos.
Hier haengen Waescheleinen voller Waesche und es riecht nach Latrine. Dieser „Sanitaerbereich“ wird
von allen Parteien genuetzt, wobei nicht recht klar ist , wieviele Menscher hier noch leben. Ich frage sie,
wieviel Miete sie hier bezahlt, und sie erzaehlt, ihre Eltern haetten diese Wohnung einst von den alten
Eigentuemern gemietet. Aber als die starben, fanden sie, sie muessten keine Miete mehr zahlen, weil ja
nun ihr Vertragspartner tot war. Die nachfolgende Generation ist, wie viele Wohlhabende, raus gezogen
aus der engen, duesteren Medina, und laesst sie offenbar in Ruhe.
Im Nachhinein denke ich, sie schafft an, ist fuer die Beduernisse der Maenner im Viertel zustaendig, denn
sie konnte mir nicht recht erklaeren, wovon sie lebt, und sie hat schon sehr offen gesckakert mit allen.
Aber welch freundliche Frohnatur. Wir geben ihr ein bisschen Trinkgeld fuer die interessante Fuehrung
und verabschieden uns.
Wieder ein Platz weiter sitzen die Kupferkesseltreiber auf dem Boden in ihren winzigen Werkstaetten
und machen einen Riesenkrach, haemmern auf Kupferblech herum und schaffen riesige Kessel, fein
gearbeitete Tabletts, Kannen, …. alles, was das Herz begehrt.
Endlich, nach acht Stunden in diesem Gewusel, die vergangen sind wie im Flug (Ich kann gar nicht
glauben, dass es schon Abend ist!), kommen wir an einen Platz raus, wo auch Autos und Busse fahren.
Wir trinken noch einen Tee und fahren wieder mit dem Bus zurueck. Auch diese Fahrt sehr interessant,
der Bus rappelvoll. Klappt alles gut.
27.4.
Heute fahren wir mit dem Auto in die Stadt, parken am Bab BouJluoud, dem Stadttor im Westen, durch
das wir gestern auch schon in die Altstadt vorgedrungen waren und wo uns gleich mal dieser Ruepel
ueber’s Ohr gehauen hat. Das hat mir ja nun partout keine Ruhe gelassen, und ich gehe als erstes in
dieses Hotel, wo wir auf der Dachterrasse sassen, und frage nach dem Chef. Der sei nicht da, sagt mir der
Aufpasser, der gestern auch da war und die ganze Geschichte nicht nur mitbekommen, sondern sicherlich
50/50 mit dem Ruepel gemacht hat. Ich ziehe ihm aus der Nase, dass der Herr am Nachmittag zugegen
sein wird. Also gut! Josef meint, ich soll es hinter mir lassen, aber das habe ich nach koreanischer Manier
heute frueh schon versucht. Ging nicht. Wir machen wieder einen sehr erbaulichen Rundgang durch die
Stadt, muessen heute ja kein Siteseeing im grossen Stil mehr machen, ausser einer der bedeutenden
Madrasas (Qur’an-Schulen), die einzige, die man als „Unglaeubiger“ besichtigen kann – und hier auch nur
den Innenhof, der aber wirklich schoen ist mit seinen Kalligraphiefriesen und Zedernholzschnitzereien.
Am Najjarine-Platz (dem Platz der Tischler und Schreiner) ist eine alte Karawanserei (Funduq) restauriert
und zum Holzmuseum umfunktioniert worden. Auf seinem Dach kann man bei schoenem Blick einen Tee
trinken, was wir dann auch erst einmal tun, um uns anschliessend pflichtschuldig durch die drei
Stockwerke zu arbeiten. Ist nur maessig spannend, weil wir die Exponate eigentlich fast alle und viel
spannender in Benuetzung im richtigen Leben gesehen haben. Ansonsten lassen wir uns heute treiben,
gucken hier und dort in Hoefe und Laeden, befingern dies und das, plaudern hier und da. Alles ist
unglaublich beeindruckend – nicht nur die oeffentlichen Toiletten!
Auf dem Rueckweg am spaeten Nachmittag gehen wir wieder am Hotel vorbei, der Aufpasser klopft an
eine der Hotelzimmertueren, und ein rundlicher Mann, der in etwa so verlottert aussieht wie das Hotel,
hoert sich meine Geschichte an, steht dabei mit dem Ruecken an einem Tuerrahmen, an dem er sich im
Laufe unseres Gespraechs immer mal wieder, wie ein alter Baer, genuesslich den Ruecken schuppert.
Vom oberen Balkon zeige ich ihm den kleinen Betrueger, der offenbar fuer das gegenueberliegende
Restaurant den Job des Kundenfaengers hat und mit uns zwei Trotteln gestern ein bissel Nebengeschaeft
gemacht hat. Waere er klug gewesen und haette 50 Dirham verlangt, waere er damit auch
durchgekommen, aber er war zu gierig. Tough luck! Er wird hoch zitiert, muss Rede und Antwort stehen,
will uns dann als Kompensation unbedingt gegenueber zum Essen einladen, was ich jedoch kategorisch
ablehne. Ich sage ihm, die Kohle sei uns egal, wir wollen nichts wiederhaben, aber ich habe wegen ihm
die ganze Nacht kein Auge zugetan (Uebertreibung macht bekanntermassen anschaulich), sei masslos
enttaeuscht, und ueberhaupt sei dies das erste Erlebnis dieser Art in 8 Wochen Marokko gewesen (was ja
fast stimmt). Der schuppernde Baer stoert sich nicht nennenswert daran, dass der Luemmel seine
Dachterrasse benuetzt, um Leute zu betruegen, guckt mehr alibimaessig ein bisschen tadelnd aus der
Waesche. Wir gehen schliesslich, lassen die drei stehen. Als wir wenig spaeter mit dem Womo noch
einmal am Stadttor vorbei fahren, drueckt mir der Luemmel durch das offene Fenster 50 Dirham in die
Hand und verschwindet zwischen den Haeusern, bevor ich protestieren kann. Hat es ihm wohl doch keine
Ruhe gelassen. Gut so. Ich fuehle mich entschaedigt, und er wird sich hoffentlich in Zukunft dreimal
ueberlegen, ob sich so’n Quatsch lohnt. Josef wundert sich, dass ich mich so echauffiere. Ich kann es wohl
nicht ertragen, wenn ich das Gefuehl habe, mir wird Unrecht getan, und ich kann es nicht richtigstellen.
Wir fahren noch in das Industriegebiet ausserhalb der Stadtmauern, wo die Mosaikkeramik gemacht
wird. Ich wuerde sie einfach gern in grosser Masse sehen, denn sie ist sehr schoen und Fez bekannt fuer
dieses Handwerk. Auch wuerde ich gern fuer Schwaegerin Tini was Schoenes fuer ihr neues Haus
mitbringen – einen kleinen Brunnen oder ein Waschbecken oder ein paar Quadratmeter Fliesen, aber es
ist illusorisch, weil alles zu gross und schwer fuer unser ohnehin uebergewichtiges Auto. Wir haben ja
andernorts schon solch Werkstaetten gesehen, aber es ist wirklich kaum zu fassen, unter welchen
Bedingungen und mit welch primitivem Werkeug die Leute hier so schoene Dinge zustande bringen.
Zum Sonnenuntergang fahren wir auf der Westseite der Stadt auf einen Huegel hinauf, auf dem
Ruinenreste von Merinidengraebern stehen. Die Meriniden waren eine Berberdynastie, die im 13. und
14. Jahrhundert Marokko beherrschte, Fez zur Hauptstadt machte und die wesentlichen Bauwerke,
insbesondere die in der ganzen islamischen Welt bekannten Qur’anschulen, eigentlich theologische
Fakultaeten, schuf. Hier oben ist genau so viel los wie vor ein paar Wochen oberhalb von Agadir zur
gleichen Uhrzeit. Auch die Stimmung ist die gleiche. Wir hatten ueberlegt, ob wir hier uebernachten,
beschliessen jedoch, auf den Campingplatz zurueck zu fahren.
28.4.
Es ist kalt (ca 15 Grad) und es nieselt. Uff! Wir gucken auf den Wetterseiten nach, wie das Wetter
noerdlich von uns ist. Sieht ueberall eher truebe aus, mit hoher Regenwahrscheinlichkeit, ob Mittelmeer,
Atlantik oder Rif-Gebirge. Da macht das Wandern nicht so richtig Spass. Wir machen uns nach dem
Fruehstueck ohne Eile auf den Weg Richtung Meknes, nehmen uns vor, nur bissel rumzuhaengen. Das
gelingt uns auch ganz gut. Finden einen Parkplatz mitten in der Stadt, neben uns der koenigliche
Golfplatz, das ehemalige Christengefaengnis, Stadtmauern mit schoenen mosaikverzierten Toren, die
Kaleschen, die wir schon aus Marrakesch kennen und viele, viele flanierende Marrokaner. Wir flanieren
auch ein wenig, trinken am Place el Hedim, dem groessten und zentralsten Platz, einen Tee und verziehen
uns dann fuer ein Weilchen ins Womo, lesen, schlafen ein bisschen. Es ist Samstag und auf dem Place el
Hedim findet nachher ein Konzert mit irgendeiner bekannten Saengerin statt. Da gucken wir nachher
noch hin.
Meknes wurde im 17. Jahrhundert von Mulay Ismail, einem prunksuechtigen Sultan der noch heute
herrschenden Alawidendynastie, betraechtlich vergroessert und mit vielen Prunkbauten versehen. Ein
riesiges Heer von Sklaven baute die 40km lange Stadtmauer, das Gefaengnis, das angeblich bis zu 50 000
Gefangene fassen konnte, die Pferdestaelle, in denen 12000 Pferde Platz hatten, ein riesiges
Wasserbecken, in dem angeblich seine Hunderte von Konkubinen planschten, etc. Sein Mausuleum wird
gerade renoviert.
28.4.
Also: es war keine Saengerin, sondern eine berberische Frauenband. Sie heissen Sheikhas, diese
Saengerinnen, und geniessen grosses Ansehen in der Bevoelkerung, sind frueher sogar nur in Begleitung
einer Anstandsdame, also einer Tante, Schwester oder der Mutter, in fremden Staedten aufgetreten, und
es hatte nichts Anruechiges. Sie singen mit sehr hohen Stimmen, begleitet von Tambourines und Tablas,
der arabischen Form des Bongos. Mit ihnen trat ein offenbar sehr bekannter berberischer Saenger
namens Abougel auf, der untypischerweise Violine spielt und diese nicht klassisch unters Kinn klemmt,
sondern den Klangkoerper einfach nach unten haelt – fast wie eine Bassgeige, ausser, dass die Geige eben
in der Luft haengt. Dazu singt er mit einem sehr tiefen Bariton, der in krassem Kontrast zu den beinahe
schmerzhaft hohen Stimmen der Frauen steht. Der Platz ist brechend voll, und es stroemen immer mehr
Leute hier hinauf; noch fliesst – besser gesagt, steht – der Verkehr mittendrin. Spaeter sperren die
Polizisten ab. Wir drehen eine Runde durch die Stadt, gehen dann am Konzertplatz in ein Dachcafe, das
ebenfalls immer voller wird, schauen und lauschen, machen uns schliesslich auf den Weg in unseren RV.
Wir hoeren zwar den Krach, schlafen aber trotzdem ein. Da es hier nur in ganz wenigen Lokalen und
Hotels und in besonders lizensierten Laeden Alkohol gibt, gibt es hier keinerlei Exzesse, kein Gegroele,
keine leeren Bierflaschen. Alle gehen um 23:00 oder so gesittet nach Hause. Da koennten wir was lernen.
29.4.
Morgens himmlische Ruhe hier mitten in der Stadt auf unserem Plaetzchen mit Aussicht. Es ist Sonntag,
die Leute haben frei und schlafen aus. Die Sonne scheint, und es ist zur Abwechslung mal nicht windig.
Wir laufen durch das Tor zum Golfplatz, duerfen dort am Eingangsbereich und bis zum Clubhaus gehen.
Eine schoene Stimmung hier. Er stammt mit Sicherheit noch aus der franzoesischen Protektoratszeit von
vor 1956. Wir nehmen uns vor, hier nachher einen Tee zu trinken. Die Kaemmerchen fuer die
Golfausruestungen der Mitglieder sind in der Stadtmauer untergebracht, und der Platzwart oeffnet voller
Stolz die huebsch bunt bemalten Holztueren, damit ich fotografieren kann. Welch Kontrast zu den
ueberkandidelten Fuenfsterneplaetzen in Dubai und Muscat!
Als naechstes schauen wir uns das so genannte Christengefaengnis an. Ich glaube eher den neueren
Theorien, wonach es sich bei den riesigen unterirdischen Hallen, deren Decken durch hohe gemauerte
Boegen getragen werden, um Lebensmittellager und nicht Gefaengnisse handelte. Fuer Gefaengnisse
waeren sie viel zu nobel, die 20m hohen Gewoelbe vollkommen unnoetig. Allerdings haben spaeter die
diversen Eroberer die Hallen tatsaechlich als Gefaengnisse genuetzt. Von den Decken haengen lange
Gemaelde auf weissen Stoffbahnen, meist sehr grob gemalte und dennoch sehr ausdrucksstarke
Portraets. Es gibt keinerlei Erlaeuterung dazu, auch die Beleuchtung ist eher duerftig, so dass diese
grossartigen Kunstwerke nicht recht zur Geltung kommen. Dennoch sind sie in diesem Ambiente sehr
beieindruckend. Der Mann am Eingang sagt uns nachher den Namen des europaeischen Kuenstlers und
erzaehlt, die Gemaelde waren Teil eines grossen Kunstfestivals im Januar, man habe die Gemaelde
einfach haengen lassen. Meknes scheint ueberhaupt kulturell sehr aktiv zu sein.
Wir machen anschliessend eine kleine Kaleschenfahrt; Josef hat noch nie in solch einem Gefaehrt
gesessen. Ich darf mit auf den Kutschbock und frage dem Kutscher Loecher in den Bauch, die er auch
gern und bereitwillig beantwortet. Er zeigt und erklaert unterwegs alles. Auf einem grossen Platz, nahe
der ehemaligen Pferdestelle, ist eine grosse internationale Landwirstschaftsausstellung, wohl die 15.
ihrer Art, die Aussteller aus der ganzen Welt anzieht. Auch Deutschland hat wohl einen sehr grossen
Pavillon. Aber diesen Programmpunkt lassen wir aus, wenngleich es sicher interessant waere. Der
Kutscher sagt, die Besucher kaemen aus Mauretanien, Mali, dem Senegal, ueberall her.
Wir drehen noch eine Runde durch die Stadt, suchen eigentlich das Juedische Viertel, die Mellah, aber
ausser der Stadtmauern ist nichts Altes zu sehen. Wir kaufen Obst und Gemuese, u.A. zu meiner grossen
Freude die ersten Mispeln (Askidinia) und Maulbeeren (Tut).
Wir verlassen Meknes, wenngleich man sich hier, wie auch schon in Marrakesch und Fes sicher tagelang
verweilen koennte. Naechstes Mal! Wir fahren bis Mulay Idriss, was nur 20 km weg ist. Die Staedte sind
nun nicht mehr lehmbraum, sondern meist geweisselt. Mulay Idriss thront auf einem Huegel, und sieht
von einer hoeher gelegenen Terrasse sehr fotogen aus.
Ein junger Mann ernennt sich zu unserem Fuehrer, und ich brauche eine Weile, ihm freundlich zu
erklaeren, dass wir lieber allein laufen. Josef gibt ihm dennoch ein paar Dirham, aber er ist beleidigt. Na,
dann… Ein australisches Ehepaar laeuft vor uns zur Terrasse hoch, sagt ihrem wahrscheinlich auch
selbsternannten Fuehrer, sie haetten gar keine Zeit, das Taxi warte auf sie. Auch ne Art, zu reisen.
Wir essen an der Hauptdorfstrasse, die ganz eingeraeuchert ist von den ganzen Fleischgrills, ein paar
Spiesse mit Brot, plaudern mit einem jungen italienischen Paar, das wir spaeter in Chefchouen noch
zweimal treffen. Dann geben wir uns als Muslime aus und besichtigen die Zawiya des Moulay Idriss. Er ist
Gruender der Stadt (788) und des marrokanischen Koenigreiches, kam direkt aus dem Hijaz, dem
heutigen Saudi Arabien, das Heilige Land der Muslime. Fuer die Menschen hier ist er ein Heiliger, und in
seinem Mausoleum ist ein Imitat der Ka’abe, das die Glaeubigen umrunden wie in Mekka. Drei
Pilgerfahrten nach Mulay Idriss sind soviel wert wie die ‚Umra, die sogenannten kleine Pilgerreise nach
Mekka – klein, weil ausserhalb der Haj-Zeit – und ist die Pilgerreise fuer die armen Marrokaner. Die
orthodoxen Saudis empfinden es wahrscheinlich als blanke Haeresie!
In der Zawiya ist viel los. Ueberall sitzen Grueppchen von betenden Menschen. Es erinnert sehr an die
Stimmung im grossen buddhistischen Tempel in Kandy in Sri Lanka, wo wir im Dezember 2017 mit
Christina waren.
2 km von Moulay Idriss ist Voloubilis, die bedeutenste roemische Ausgrabungsstaette in Marokko. Ich
mag so roemischen und griechischen Kram eigentlich nicht. Josef meint, ich sei traumatisiert, weil ich mit
Freund Erlend frueher so viele abgebrochene Saeulen, Statuen, Busen und maennliche Geschlechtsteile
angucken musste. Auf jeden Fall fehlt mir die Fantasie, mir vorzustellen, wie das alles mal aussah, bevor
es verlassen wurde und in sich zusammengefallen ist. Hier ist es nun wider Erwarten recht schoen, weil
Fruehling ist, und es ueberball zwischen den Ruinen spriest und bunt blueht in der vielfaeltigen Pracht,
die uns schon auf dieser ganzen Reise so viel Freude macht. Es ist bisher nur ein Bruchteil der ganzen
Stadt ausgegraben und auch dieser nicht wirklich geschuetzt. Die fast 2000 Jahre alten Mosaikfussboeden
in den Villenruinen sind Wind und Wetter, sowie den Schuhen ignoranter Besucher ausgesetzt, die trotz
Absperrung darin spazieren gehen. Von einem Huegel mittendrin, unter welchem wohl die ganz
urspruengliche Stadt, noch vor den Roemern, begraben ist, hat man einen guten Rundumblick, was
ausser uns auch eine laut gackernde, kunterbunt, in keinem erkennbaren Stil gekleidete, sich gegenseitig
in allen Posen ablichtende, chinesische Touristengruppe entdeckt. Ihr Reiseleiter steht am Fuss des
Huegels und ruft seine Huehner lautstark zusammen, aber sie sind zu beschaeftigt. Josef ruft ihm auf
schwaebisch zu: „Karle, komm rauf!“ Er antwortet Chinesisch. So geht es hin und her, bis schliesslich eine
der Damen sich erbarmt und die anderen mit Geraeuschen hinunter scheucht, die an ein Huhn erinnern.
Wir lachen uns kaputt.
Wir fahren weiter, um uns herum ist eine Landschaft wie am Fuss der Alpen. Es ist huegelig, saftig gruen,
die Felder sind gross und ueppig. Dahinter in der Ferne die Berge des Rifgebirges. Wir suchen einen Platz
fuer die Nacht, fahren von der Hauptstrasse ab durch die Doerfer des Rif. Hier wirkt ploetzlich alles
verlottert und arm, die einfachen, weiss getuenchten Haeuser sind mit Wellblech gedeckt, und es gibt
kaum richtige Felder und gar keine Terrassen. Endlich finden wir einen Platz gegenueber von einer
Baustelle, nicht schoen, aber immerhin eben und nicht mitten in einem Dorf. Wir verhandeln gerade mit
dem Aufseher, ob wir dort fuer die Nacht stehen koennen, als ein Polizeifahrzeug kommt und fragt, ob
alles ok sei, dann meint, wir koennten hier nicht uebernachten, es sei zu gefaehrlich. Der Kollge sagt, dass
hier ueberall Cannabis angebaut wuerde und das Pflaster gefaehrlich sei. Wir hatten dergleichen gelesen,
koennen aber nicht recht glauben, dass die Cannabisbauern von uns was wollen wuerden. Aber wir
versprechen, zur Hauptstrasse zurueck zu fahren und uns in der naechsten kleinen Stadt vor die
Polizeiwache zu stellen, was wir dann aber nicht tun. Stellen uns an einen anderen Platz, den wir vorher
schon als Notloesung ausgeguckt hatten, und schlafen, wie immer, tief, fest und gut. Keiner will was von
uns.
30.4.
Ich wache mit einer Schnupfennase auf. Wir fahren morgens bis Chefchaouen. Wollten eigentlich hier im
Rifgebirge noch wandern, heben uns das aber fuer die naechste Reise auf, da ich nicht so leistungsfaehig
bin. Wir wollen ans Meer hoch und noch ein paar Tage nichts tun, bevor wir am 7.5. auf die Faehre
gehen.
Uns faellt unterwegs auf, dass durch die radikale und totale Abholzung und die daraus resultierende
Erosion selbst hier, im fruchtbaren und regenreichen Norden, ganze Berghaenge verwuestet sind, also
richtig sandig. Wir wundern uns, dass so wenig fuer die Wiederaufforstung getan wird. Aber die
Regierung hier hat wahrscheinlich Dringlicheres zu tun bei der megaschnell wachsenden Bevoelkerung.
Die Frauen hier, die Berberinnen des Rif, laufen in ganz huebschen breit rot und weiss gestreiften
Tuechern herum, die sie wie einen Wickelrock ueber der Hose tragen, und sie haben alle huebsche
Strohhuete mit schwarzen oder knallbunten Trotteln. Mit ihren sonnenroten, kantigen Gesichtern
erinnern sie uns eher an Indios als an Menschen in Marokko.
Endlich sind wir in Chefchaaoen. Es ist der Hammer. Die ganze Stadt ist blau – zumindest die Altstadt, so
blau, dass man die ganze Zeit das Gefuehl hat, in blaue Grotten einzutauchen. Hier und da kontrastreich
weiss. Super schoen! Wir lassen uns treiben, trinken Tee, besichtigen nichts, geniessen einfach die
Farben.
Schliesslich fahren wir weiter durch eine Schlucht und bis zur Muendung Wadi Loua am Mittelmeer.
Finden einen Parkplatz direkt am Strand. Ein Junge neben dem Auto hat ein ganz zugeschwollenens
Gesicht von einem Bienenstich. Wir geben ihm Antihistamintabletten. Das Dorf ist nicht fuer Touristen
aufgehuebscht – zumindest nicht auf dieser Seite. Die ganze Dorfjugend spielt vor unserem Womo
Fussball – und zwar richtig ernsthaft und gut.
Josef kocht Linsensuppe. Ich habe einen dicken Kopf vom Schnupfen. Der Parklplatzwaechter fragt, ob
wir Kopfschmerztbletten haben. Offenbar hat sich herum gesprochen, dass wir Medizin verteilen. Er
bekommt eine Ibubrufen, und ich sage ihm, er soll sie halbieren und auf zweimal nehmen.
Am Strand sind Hilfssoldaten im Einsatz, die verhindern sollen, dass nachts Menschenschmuggler mit
Fluechlingen in See stechen.
1.5.
Wir machen einen Strandspaziergang und finden am anderen Ende der Promenade ganz abgeschieden
einen weiteren Parkplatz. Dort fahren wir hin, und ich verbringe den Rest des Tages im
Erkaeltungsdaemmerschlaf, aber mit wunderschoener Aussicht auf’s Meer. Josef laeuft bis zum Ende des
Strandes, dort hinauf auf eine Felsnase mit grandioser Aussicht auf unsere und die Nachbarbuchten, auf
die spanische Eklave Ceuta ganz an der Nordspitze Afrikas und Marokkos, und gegenueber im Dunst die
suedspanische Kueste.
Auch hier oben ist ein Militaerposten. Nachts patroullieren sechs oder sieben Soldaten neben uns am
Strand.
2.5.
Mir geht es noch immer nicht so richtig gut, aber ich bin nicht mehr so schlapp. Wir fahren ein Stueck
weiter in Richtung unseres Hafens Tanger, auf Arabisch „Tandja“, lassen Tetuan aus, obwohl es auch sooo
spannend klingt. Aber ich bin so gar nicht in der Verfassung fuer eine laute, volle Altstadt. Also fahren wir
noch ein kleines Stueck hinter Tetuan am Strand entlang, bis wir wieder einen Parkplatz direkt am Strand
finden. Wollen nicht hinueber an den Atlantik, weil es dort sicher kaelter ist als hier am Mittelmeer,
obwohl sie nur ein Katzensprung voneinander entfernt sind. Ein junges Paar aus Thueringen sitzt auf dem
Maeuerchen in der Sonne. Sie gehen heute auf die Faehre nach Genua, haben noch ein wenig Zeit. Wir
plaudern ein wenig, verabschieden uns dann und gehen in ein einfaches Fischlokal gleich hier, essen fette
Erbsensuppe, Shrimps, Fisch und Pommes. Es schmeckt ganz gut, ausser, dass wir das Essen aus den
Tajine-Toepfchen nicht gewoehnt sind und ich mir ganz fuerchterlich den Mund verbrenne, weil das
Essen in diesen Tontoepfen viel laenger heiss bleibt als auf einem normalen Teller. Uebrigens sind die
Suppen hier generell das Beste! Aber auch hier fehlen Gewuerze.
3.5.
Heute muss noch einmal eine Wanderung sein. In unserem Wanderbuechle ist eine an der Nordspitze,
den Jebel Moussa hinauf, drin, die recht spektakulaer sein soll. Jebel Moussa und das
gegenueberliegende Gibraltar (arabische: Jebel Tariq) wurden in der Antike die „Saeulen des Herkules“
genannt, und nach damaligem Wissensstand endetet hinter ihnen die Welt. Das Wetter ist herrlich,
meine Erkaeltung benimmt sich anstaendig, und wir machen uns auf den Weg zum Fuss des Berges.
Hierzu muessen wir Ceuta umrunden und sehen die Grenzbefestigungen gegen die afrikanischen
Fluechtlinge. Es ist beklemmend und erinnert sehr an den Eisernen Vorhang zwischen BRD und DDR. Es
fehlen wohl nur die Selbstschussanlagen.
Auf der Westseite von Ceuta laufen wir los, fuenf Stunden lang und 750 Hoehenmeter hinauf und wieder
hinunter, haben die ganze Zeit ganz unglaubliche Ausblicke auf den Atlantik, das Mittelmeer, Gibraltar,
die spanische Kueste, Container- und Faehrschiffe in der Meerenge, unter uns dramatische
Felsformationen in tuerkisblauem Wasser, ueber uns die Gipfel des Jebel Moussa. Immer wieder treffen
wir auf Armeeposten, die die Berge und Kuesten von hier oben aus bewachen. Wir sehen eine kreisrund
gemauerte, ca. 4 Meter tiefe Oeffnung mit ca. 10 Meter Durchmesser, zu der zwei kleine Streintreppen
hinunter fuehren. Es gehen Tunnel von hier ab, und ein Soldat erklaert uns spaeter, die stammen aus
dem zweiten Weltkrieg, und der gesamte Berg sei meerseitig durchtunnelt. Die Leute aus dem Dorf
wuerden die Tunnel alle kennen, und die Schleuer versteckten hier ihre „Kunden“. Ueber uns kreisen ,
wenn Google Recht hat, spanische Kaiseradler, spaeter auch Dolen, die omnipraesenten Ziegen begleiten
uns mit ihrem Gemecker und ihrem typischen Niesen, das mich immer an Hana erinnert, weil sie niest
wie eine Ziege! Ab und zu treten sie mit ihren Hufen einen Steinschlag los. Und dann, beim Abstieg sehen
wir sogar noch eine Berberaffenfamilie, die eine Felswand hochkraxelt und sich vor uns in Sicherheit
bringt. Haetten die Jungen nicht nach ihren Eltern gerufen, haetten wir sie gar nicht bemerkt.
Wir sind voellig platt, fahren fuer die Nacht wieder an die Strandpromenade am Mittelmeer. Es war eine
herrliche Wanderung!
Wir fahren ein bisschen weiter vor Richtung Fndiq, stellen das Auto an diesem Teil der Strandpromenade
ab, weil es hier ein wenig gepflegter ist.
4.5.
Morgens laufen wir die 2 – 3 km nach Fndiq hinein, was sich jedoch ueberhaupt nicht lohnt. Denn es ist
schmutzig und haesslich, und es ist das Sprungbrett nach Ceuta – sowohl fuer die vielen marrokanischen
Haendler, die taeglich Waren hin und her schicken (Berberfrauen tragen fuer einen Hungerlohn
unendliche Lasten auf ihrem Ruecken, weil nur das, was man tragen kann, zollfrei nach Morokko
eingefuehrt werden darf. So haben wir es gelesen, allerdings die Frauen nicht gesehen), als auch fuer die
schwarzafrikanischen Fluechtlinge, die von hier aus versuchen, den 10 km langen, in zwei Reihen
angeordneten Zaun zu ueberwinden. Dass es gar so trostlos wirkt, liegt auch daran, dass es Freitag ist und
die Stadt ein bisschen tot.
Als wir zurueck sind, fahren wir noch einmal an eine andere Ecke der Strandpromenade, weil sie hier
schon den Strand vom letzten mit den Wellen angeschwemmten Plastikmuell gesaeubert haben; es sind
unglaubliche Mengen, die am ganzen Strand herum liegen! Vertuetteln dort im Windschatten des Womo
– es zieht wie Hechtsuppe! – mit Blick auf das herrlich blaue Meer und zum ersten Mal seit Ewigkeiten in
der Sonne sitzend, den Rest des Tages lesend und doesend. Josef rennt zwischendrin 10km, kuehlt sich
hinterher mit einem Sprung ins Mittelmeer ab, waehrend ich mich schone.
Am Spaetnachmittag machen wir uns auf Richtung Tanger, fahren von Fndiz den knappen Kilometer zum
Grenzuebergang nach Ceuta, wundern uns, dass wir ueberhaupt keine Schwarzafrikaner sehen in dem
Gedraengel von Fussgaengern und Autos, fahren dann an den Grenzbefestigungen entlang nach Westen
Richtung Atlantik. Die Marrokaner haben den Wald entlang der Grenze gerodet, einen Erdwall
aufgeschuettet und alle 50m einen Grenzposten. Und die Spanier haben besagten Zaun mit
Natostacheldraht versehen. Es sieht aus wie die Grenze zwischen den USA und Mexiko bei San Diego.
Wir fahren an einem Polizeiposten vorbei, wie wir sie auf dieser Reise sehr, sehr haeufig gesehen haben.
Alle Zufahrten zu Staedten werden auf diese Weise ueberwacht. Dann sind wir auf einer Schnellstrasse
durch mit Macchia und teilweise Wald bewachsene Berge. Und hier stehen sie nun ploetzlich, die jungen
Maenner aus dem Sueden des Kontinents. Sie signalisieren uns, anzuhalten, was wir aber nicht tun. Sie
tun uns sehr leid, und wir fragen uns, was sie hier machen in diesem Niemandsland. Offenbar haelt die
Polizei sie davon ab, auch nur in die Naehe der Kueste, Fndiqs oder Ceutas zu kommen. Aber was sollen
wir ihnen bieten koennen, wenn wir anhalten? Wir haetten noch nicht einmal genug zu essen, um jedem
auch nur eine Handvoll zu geben, denn es sind Dutzende. Und ihnen Geld zu geben, waere
wahrscheinlich nicht richtig. Sie sparen es fuer Schlepper. Es ist fuerchterlich zu formulieren, aber wenn
man hier so nah dran ist an diesem Fluechtlingsthema, dann kann man sich des Gefuehls nicht erwehren,
dass es besser ist, diesen jungen Menschen die Migration derart schwer zu machen, dass es reizvoller ist,
zu Hause zu bleiben, als sich auf den Weg zu machen – jedenfalls auf diesen Weg. Die Risiken sind
schrecklich und der Preis, den sie zahlen, zu hoch. Dabei sind sie hier in Marokko noch gut dran, werden
nicht gefoltert oder versklavt, wie in Libyen oder auf dem Weg nach Nordafrika. Wenn die
industrialisierten Laender, nachdem sie sich erfolgreich abgeschottet haben gegen den Fluechtlingsstrom,
nun auch noch dem Neokolonialismus ein Ende bereiten wuerden, dann gaebe es fuer die Menschen
auch eine Perspektive in ihrer Heimat.
Mit diesen Gedanken fahren wir weiter, kommen nach kurzer Fahrt schliesslich an der Atlantikkueste an,
finden am noerdlichen Ende der Bucht von Tanger an einem Aussichtspunkt mit Leuchtturm, dem
Manara, einen Platz, wo wir die Nacht verbringen. Als wir ankommen, ist es noch voller marokkanischer
Ausfluegler, die hier Tee schluerfend und plaudernd den Sonnenuntergang geniessen. Wir tun es ihnen
gleich. Tanger liegt um die Bucht herum, aufgereit wie eine weisse Perlenkette. Am anderen Ende erhebt
sich auf einem Huegel die Altstadt. Auf der anderen Seite unseres Ausgucks sehen wir Spaniens Kueste
und Richtung Westen den weiten Atlantik mit vielen, vielen riesigen Containerschiffen, Dampfern und
Faehren.
5.5.
Morgens sind wir ganz allein. Nichts zu sehen von den hunderten von Autos vom Vorabend. Nach dem
Fruehstueck fahren wir in die Stadt hinein und stellen das Auto am Fischmarkt ab, lassen uns mal wieder
von einem selbsternannten Parkplatzwaechter abzocken, der kaum, dass wir bezahlt haben, auf
Nimmerwiedersehen verschwindet. Naja, Lehrgeld…
Mit unserem Reisefuehrer unter’m Arm tauchen ein in die Stadt, folgen einer darin beschriebenen
Marschroute und schaffen es, uns einen schoenen Ueberblick zu verschaffen ueber die wechselvolle
Geschichte der Stadt, finden die schoenen, alten franzoesischen und spanischen Kolonialbauten, die
Cafes, in denen sich alle moeglichen Kuenstler herum trieben, den alten englischen Friedhof, die Kirche
des Mutter-Theresa-Ordens, das noch immer nicht restaurierte Cervantes-Theater, in dem einst Caruso
auftrat, etc…. Es gibt hier noch viel zu tun. Hoffentlich findet sich irgendwann jemand, der Geld fuer die
Restaurierung all dieser schoenen Dinge investiert. Das alles ist jedoch nicht Teil der Medina, der Altstadt.
Das ist nun unser naechster Programmpunkt, und wir laufen als erstes zum Grabmal Ibn Battutas, das als
kleiner und unscheinbarer Kuppelbau mitten in den ganz engen Gassen versteckt liegt. Ibn Battuta war
Entdeckungsreisender im 14. Jahrhundert, bereiste die gesamte islamische Welt, aber auch Indien und
China, sogar die Malediven, und lieferte die aelteste arabische Reisebeschreibung der Welt. Eine Frau
steht im Nachthemd und mit nackten Fuessen daneben an einem oeffentlichen Brunnen und schrubbt
ihren Teppich. Eine andere plaudert mit ihr.
Ein junger Mann spricht uns an. Er ist Palaestinenser aus Nablus, studiert in Casablanca und will auch das
Grab besichtigen. Er plauderte gerade mit einer Anwohnerin, einer recht jungen Frau, die gar nicht um
die Bedeutung Ibn Battutas weiss! Der Verwalter ist ein blinder alter Mann, der wohl in dem kleinen
Mausoleum lebt. Jedenfalls schiebt er eilig seine Matratze weg, nachdem er uns geoeffnet hat.
Auf dem Weg zum Mausoleum laufen wir durch einen kleinen Park, in dem an einer Stelle die Grabsteine
einiger Deutscher, die hier gestorben sind, zusammengetragen wurden. Das wirkt schon sehr seltsam
hier. Ein paar Schritte weiter sitzt eine junge Schwarzafrikanerin, hat vor sich ein Schuesselchen mit ein
paar Muenzen stehen, bettelt jedoch nicht. Sie guckt sehr scheu. Wir fragen sie, woher sie kommt. Aus
Nigeria. Wie lange sie schon hier in Marokko sei. Seit zwei Monaten. Ob sie allein sei. Nein, ihre
Schwester sei auch hier. Ich setze mich neben sie auf den Bordstein. Sie sei 22 und ihre Schwester 25. Sie
sei zuhause in ihrem Zimmer, das sie zusammen gemietet haben, denn sie sei krank. Was Ernstes? Wohl
ja. Sie habe Kopfschmerzen. Ob sie zum Arzt koenne. Ja, sie sei im Krankenhaus gewesen. Ob sie bezahlen
musste fuer die Behandlung. Nein. Und ihre Eltern? Sie habe keine, sie seien gestorben. Sie faengt an, zu
weinen, blickt nach unten. Ob sie ermordet worden seien. Ja, sie weint noch mehr. Ich troeste sie ein
wenig, streichele sie. Wuerde sie gern fest in den Arm nehmen. Armes Kind. Josef gibt ihr 100 Dirham,
was 10 EUR entspricht. Natuerlich wollen auch sie nach Spanien, aber wie das geht, wissen sie nicht. Sie
werden sich erkundigen, wenn sie Geld zusammen gespart haben. Was soll man ihr wuenschen? Ich sage
ihr, sie soll immer hoffnungsvoll bleiben, sie sei jung und stark. Ich frage sie noch, wie die Marokkaner sie
behandeln, und sie sagt, sie seien freundlich. Wir gehen recht bedrueckt weiter. Wie kommen zwei junge
Afrikanerinnen hier durch den Tag, ohne an jeder Strassenecke in eine Falle zu laufen. Wie wollen sie je
nach Europa kommen, an all diesen Grenzschuetzern vorbei? Und was wird dort aus ihnen?? Man
moechte sie am liebsten mitnehmen und beschuetzen.
Danach laufen wir hinauf zur Kasbah, der Festung Tanger, die am hoechsten Punkt der Altstadt liegt und
die Bewohner vor Feinden schuetzte. Sie beherbergt u.A. den ehemaligen Sultanspalast, der zumindest
teilweise restauriert und in dem das Kasbah-Museum untergebracht ist. Er ist sehr schoen mit einem
herrlichen, verwilderten Garten. Hier oben ist die Altstadt licht und hell, einige der alten Haeuser sehr
schoen restauriert; es gibt schoene Maison D’Hotes (Gaestehaeuser), Cafes und Galerien. Man kann
erahnen, wie Tanger in den 1920’er und den Jahrzehnten danach auf die Auslaender, die hierher kamen,
gewirkt hat. Auf dem Weg zurueck in den unteren Teil der Altstadt spricht uns eine recht gediegen
wirkende Frau an. Sie traegt ein bodenlanges schwarzes Gewand, hat ein dunkelrotes Kopftuch um den
Kopf geschlungen und traegt eine Handtasche, fragt uns, ob wir Franzoesisch oder Englisch spraechen.
Wir denken, dass sie etwas wissen moechte, und sie bittet uns dann um 10 EUR, zeigt uns ihren Daumen
mit einer relative harmlos aussehenden Schuerfwunde und meint, wenn sie nicht zum Arzt ginge, muesse
man ihr den Finger abnehmen. Ich sage ihr, fuer 10 Dirham bekaeme sie in der Apotheke Jod und Plaster
– mehr brauche sie nicht. Sie laesst nicht locker, ist penetrant, haelt an ihrer 10-Euro-Forderung fest,
kommt ploetzlich ganz nah und kuesst mir die Stirn. Mich ekelt es. Josef gibt ihr schliesslich 20 Dirham. Im
Nachhinein denken wir, wie frech sie war: Fordert ein Maximum und bekommt das 20-fache dessen, was
wir immer den Bettlern, die an den Ecken herum stehen, geben. Als wir weitergehen, spricht sie schon
das naechste Touristenpaar mit derselben Masche an. Ich schuettele hinter ihrem Ruecken heftig den
Kopf, und die beiden schuetteln sie rasch ab. Wenn es ihr nur einmal pro Tag gelingt, jemandem 10 Euro
aus dem Kreuz zu leiern, dann noch mehrmals, so wie bei uns, einen geringeren Betrag, hat sie mehr
Einkommen als ein junger naseweisser Grenzschuetzer neulich am Strand: Er sprach mich vorgestern am
Strand an, sass dort mit einem Kollegen in einem primitiven, selbst gebastelten Unterstand, um den
Strand zu bewachen, und fragte mich, ob ich ihm dazu verhelfen koenne, nach Deutschland zu kommen.
Ich fragte ihn wieso denn, er habe doch hier einen sicheren Job bei den Hilfstruppen, ist, so haben wir
gelernt, krankenversichert und wird irgendwann eine Rente bekommen, so dass er besser dran ist als
viele seiner Landsleute. Ja, das stimme schon, aber das Gehalt sei so niedrig mit 1500 Dirham (150 EUR)
und Rente bekomme er erst nach 25 Jahren Dienst. Ich setze entgegen, dass ich nach 25 Jahren bei
Lufthansa keine Rente bekomme, und Josef nach 45 Jahren Arbeit jetzt erst. Er nimmt es zur Kenntnis. Als
ich ihm sage, dass ich ihm nicht helfen kann, nach Deutschland zu gelangen, fragt er, ob ich ihm dann
nicht wenigstens ein bisschen Geld geben kann, was ich ablehne. Ich sage ihm, dass er sich weiterbilden
soll, wenn er nicht ewig so einen Job machen will. Berufsschulen kosten nichts, haben wir erfahren. Egal
wo er lebe, ohne Ausbildung wuerde er immer schlecht bezahlte Hilfsjobs machen. Ob er versteht, was
ich sage? Wie ihm geht es wohl vielen hier.
Was die Frau mit dem aufgeschlagenen Daumen angeht, so meinte Josef salomonisch, dass es vielleicht
ihre einzige Moeglichkeit sei. Kann schon sein. Leicht ist es nicht: es gibt viel zu wenig Arbeit. Nehmen wir
mal wohlwollend an, sie ernaehrt davon Kinder.
Nun sind wir platt. Wir gehen zum Auto, ich mache da vor dem Fischmarkt mitten im Stadtverkehr ein
kurzes Nickerchen, und Josef dreht eine Runde ueber den Markt, weil wir dort vielleicht in einer der
Garkuechen essen moechten. Gehen anschliessend noch einmal gemeinsam durch, aber der Anblick der
vielen Menschen in diesen Kaschemmen, zwischen sich auf den Tischen Berge von abgegessenen Fischen
und Shrimps, auf dem Boden eine Patina von 500 Jahren, ueberall streunende Katzen, stoesst mich so ab,
dass Josef nichts anderes uebrig bleibt, als mich da rasch wieder raus zu bringen. Schade eigentlich, denn
an einem Ende des Hafens sitzen Maenner, die von Hand Baumwollfischernetze knuepfen. Was fuer
Fertigkeiten die Menschen hier haben!
Wir fahren an der Corniche, der Uferpromenade, entlang, finden einen grossen Parkplatz mit Blick auf
den Ozean, hinter uns der gruene Huegel zur Altstadt hoch, darueber die am Abend schoen beleuchteten
Kasbah-Mauern und weissen Haeuser, und beschliessen, hier ueber Nacht zu stehen. Es ist wie auf dem
Jahrmarkt, denn es ist Samstag, und ganz Tanger flaniert. Wir wollen noch etwas zu essen suchen, sehen
ueber uns hoch oben eine Dachterrasse, laufen also hinauf Richtung Kasbah, finden die Terrasse, die eine
tollen 360-Grad-Blick, ansonsten aber nur Tee, schmutzige Tische und Stuehle bietet. Wir trinken
gemeinsam mit vielen, vielen jungen Marokkanern beiderlei Geschlechts, die jungen Frauen von
hautenger Jeans bis zum bodenlangen Hijab in allen Varianten gekleidet, einen Tee, essen dazu einen
staubtrockenen Fladen mit irgendwas drin, geniessen aber doch ein wenig die Stimmung und den
Sonnenuntergang, obwohl es wieder sehr windig ist. Wir moechten noch in Kolonialnostalgie einen
Absacker in der Pianobar des alten Traditionshotels Al Manzil in der Rue de la Liberte trinken. Laufen also
hinunter in die Medina, winden uns durch die Gaesschen, zum Petit Socco, weiter zum Grand Socco und
durch den Grand Marche, dem Markt fuer Fleisch, Gemuese und Obst im Souterrain direkt am Eingang
zur Medina. Kennen uns schon richtig gut aus. Als wir am Al Manzil ankommen, ist alles dunkel und tot.
Ein Mann sagt uns, das Hotel sei geschlossen, der Eigentuemer habe das ebenfalls sehr ehrwuerdige Villa
de France Hotel, in dem illustre Menschen wie Matisse und Getrude Stein gewohnt haben, restauriert.
Wir gehen also eine Strasse weiter, finden auch die Piano Bar, die nicht sehr stilecht ist, in der jedoch
schon ein paar spannende Gestalten unterwegs sind: eine franzoesische alte Dame, die wahrscheinlich
jeden Abend kettenrauchend hier sitzt und sich die alten Zeiten zurueck wuenscht, ein franzoesisches
Schwulenpaerchen, das sehr ins Gespraech vertieft ist, vier sehr junge Marokkanerinnen, die
aufgedonnert sind ohne Ende und offenbar „a girls night out“ geniessen, drei gediegene aeltere
Marokkaner neben uns, die geflegt plaudern, und ein laermender Playboy mit Entourage, um den sich im
Laufe der Stunde mehr und mehr sehr aufgetakelte Frauen scharen. Josef meint, das seien alles
Kaeufliche. Kann schon sein. Endlich kommt der Pianist, und wirft , oh Graus seinen Synthesizer an und
verhunzt sein Klavierspiel mit nicht dazu passenden Rhythmen, so dass es klingt, als wuerde man zwei
sich gegenseitig ueberlagernde Musiken hoeren. Ziemlich schrecklich. Hoert der das nicht?
Wir trollen uns schliesslich, laufen zurueck zum Womo, womit wir heute gewiss wieder mindestens 10km
zurueckgelegt haben. Unser Schlafplatz ist im Moment noch Rummelplatz. Die ganze Jugend Tangers
treibt sich hier herum. Jungen und Maedchen poussieren im Schutz der Dunkelheit in ihren Autos (…
wenn man das so sagen kann, denn der Platz ist taghell beleuchtet!). Es bleibt Unverheirateten nichts
anderes uebrig, denn in Privatraeumen, also bei einem der Verliebten zuhause, duerfen sie sich nicht
treffen. Grueppchen junger Maenner und auch einiger junger Frauen sitzen bei laut aufgedrehter RaiMusik, maghribinischem Rap, in ihren Autos oder stehen drum herum und freuen sich des Lebens. Wenn
man all diese jungen Leute hier sieht, wenn man weiss, dass die Bevoelkerung Marokkos, wie in ganz
Afrika, rasant waechst, wenn man, besonders die Maenner tagsueber untaetig in den Cafes die Zeit
totschlagen sieht, dann fragt man sich, was aus all diesen Menschen wird. Wovon sollen sie leben? Fuer
viele ist der Sehnsuchtsort Europa. Dabei ist Marokko noch vergleichsweise gut dran. Koenig Mohammad
VI, ueberfuetterter Monarch, verbringt angeblich das halbe Jahr in Paris, stopft sich, seiner Familie und
seinen Guenstlingen die Taschen voll, hat in jeder Stadt einen Palast, der aufwendigst in Stand gehalten,
bewacht und mit Personal versorgt sein muss und kaum je genuetzt wird. Die profittraechtigsten
Unternehmen des Landes sind angeblich seine eigenen. Aber sei es drum. Sein Geld fliesst auch in
vielfacher Form zurueck an die Bevoelkerung; er scheint zu den „benevolent dictators“ zu gehoeren. Sein
Tun scheint darauf ausgerichtet, es Marokko besser gehen zu lassen – mit Sicherheit auch, um den
Fortbestand seiner Dynastie zu sichern. So tut er z.B. alles, um der EU naeher zu kommen, die
Handelsschranken von Marokko in die EU zu reduzieren. Sein aufwaendiger Grenzschutz ist Teil seiner
Gegenleistung. Und gestern haben wir in den Nachrichten gehoert, dass er die diplomatischen
Beziehungen zum Iran abgebrochen hat und sich dafuer mit den Saudis, den USA und Israel ins Bett legt.
Entweder hat Saudi ihm mit dem Entzug von Geldmitteln gedroht, oder man hat ihm noch mehr
Geldmittel bzw. mehr Geltung auf der Weltbuehne versprochen. Vielleicht ist es eine Mischung aus
Allem. Wir werden es in den kommenden Tagen hoeren.
6.5.
Heute ist unser letzter ganzer Tag in Marokko. Morgen Nacht um 23:00 laeuft unsere Faehre aus.
Wir fahren raus auf’s Land, also durch herrliche Villenviertel auf den Huegeln Richtung Sueden, dann
durch Pinienwaelder, schliesslich in eine Sackgasse, die an der Steilkueste endet. Der Wind blaest wieder
stark aus dem Osten, also ablandig ueber das Meer. Um uns herum Pinienwald und Macchiahaenge.
Unter uns der unglaublich blaue Ozean, in der Ferne Spanien. Wir laufen einsam und allein circa 3 km bis
zum Cap Spartel, wo Leuchtturm, Restaurant und Touristennippes offenbar auf dem Programm jedes
Tanger-Touristen stehen, denn hier tummeln sich Gruppen von Chinesen und Amerikanern, mitsamt ihrer
nervigen und lauten Guides, die wohl von der anderen Seite anfahren. Wir schauen dem Treiben eine
Weile zu, fotografieren auf ihr Bitten mehrere Grueppchen und laufen dann genauso einsam zurueck. Der
Wind blaest uns ab und zu fast um. Aber es ist schoen warm. Wir fahren am Cap Spartel vorbei zu den
Herkules-Grotten. Es sind zwei von der Brandung geformte Hoehlen, die bereits in der Steinzeit bewohnt
waren und zur Zeit der Roemer als Steinbruch fuer Muehlsteine benuetzt wurden. Sie ist riesig und die
Waende in kreisrunden Formen ausgemeisselt. Auch sie ist Lieblingsausflugsort der Marokkaner, und es
ist richtig viel los. Den Namen erhielten die Grotten, weil hier sowohl der griechischen als auch der
roemischen Mythologie nach Herkules sich zwischen seinen zwoelf Aufgaben ausruhte. Dringend
muessen wir uns ein Werk ueber Mythologie kaufen, damit man diese Dinge mal parat hat. Sie sind so
sehr Teil des Sprachgebrauchs (Herkulesaufgabe, die Augaeanischen Staelle, die Buechse der
Pandora,….), und wir wissen meistens nicht, wo sie ihren Ursprung haben.
Eigentlich wollen wir hier an der Kueste irgendwo am Strand den Rest des Tages verduempeln und
uebernachten, aber es ist so stuermisch, dass wir das Gefuehl haben, gleich faellt das Womo um. Wir
fluechten wieder hinauf in die Pinienwaelder, finden einen Picknickplatz mit vielen Familien, gesellen uns
dazu, packen Tisch, Stuehle, Kekse und Tee aus und lesen bis es zu kuehl wird. Dann fahren wir wieder
Richtung Stadt, halten am Stadtrand an, wo ein Wochenmarkt gerade langsam abgebaut wird, decken
uns noch mit ein paar Dingen ein, die wir mitnehmen moechten: 5 L Olivenoel, 2kg geschaelte
Walnuesse, etc. Leider finden wir die leckere Erdnussbutter mit Honig, die wir in Agadir auf dem Souq Al
Had gekauft und schon aufgegessen haben, nicht. Haben immer mal wieder danach gesucht, aber es gibt
sie wohl nur dort. Hier auf dem Markt sind viele Schwarzafrikaner, die einfache Hilfsarbeiten erledigen,
Staende abbauen helfen oder auch die Einkaeufe der Kunden zu ihren Fahrzeugen tragen. Immerhin
koennen sie hier ueberhaupt was machen. Sie alle wollen Geld zusammen sparen, um Schlepper zu
bezahlen.
Auf dem Parkplatz zwischen Stadtmauer und Corniche ist heute wesentlich weniger los. Es ist ja auch
Sonntag, und die Leute muessen morgen aufstehen. Da kommt wieder die Frau mit dem augeschlagenen
Daumen und ihrer 10-Euro-Masche, will uns eben durch die offene Womo-Tuer ansprechen, erkennt uns,
dreht schell ab und geht ein paar Autos weiter. Spaeter fragen wir den Parkplatzwaechter nach ihr. Er
kennt sie, sagt, sie sei drogenabhaengig. So sah sie eigentlich nicht aus, wenn ich es recht bedenke. Wir
werden es nicht ergruenden.
Josef kocht uns was Leckeres, u.A. eine Salatneukreation, die wir uns unbedingt merken muessen:
Makrelenfilets aus der Dose, Gurken, Zwiebeln, Avocado, Salz, Pfeffer, Olivenoel und Balsamico. Tolle
Mischung.
7.5.
Wir haben bis heute Abend Zeit. Die Faehre geht erst um 23:00 im neuen Tanger Med Hafen raus. Wir
schlendern noch einmal in die Altstadt, kaufen die restlichen Dinge auf unserer Einkaufsliste, trinken
einen letzten Tee im Cafe Central auf dem Petit Socco, schlendern zurueck und fahren ganz allmaehlich
Richtung Hafen. Halten ersten an einer grossen Shopping Mall a la Dubai. Dort stehen viele
Schwarzafrikaner, die versuchen, sich als Parkplatzeinweiser ein paar Groschen zu verdienen, denn wer
hier einkauft, hat Geld. Als ein Polizieifahrzeug neben uns haelt, verschwinden sie in alle Richtungen.
Wir halten noch einmal im Dorf Qasr Saghir, machen einen Spaziergang auf eine Landzunge hinaus – auch
hier Militaerposten, die die Kueste bewachen, und uns faellt auf, dass hier, ausserhalb der Stadt, nicht ein
Schwarzafrikaner zu sehen ist. Wir reihen uns schon um 17:00 in die Warteschlange zum Checkin ein. Als
wir gerade am allerersten Checkpoint, dem ersten Zugang zum Hafen, halten, kommt in der Parallelspur
ein Tanklastzug zum Stehen. Ein Uniformierter gibt zwei jungen Marokkanern in Zivil ein Zeichen,
woraufhin sie behende an einem Betonpfeiler mit durchbrochener Oberflaeche, der direkt neben dem ca
5 m hohen Sicherheitszaun steht, hochklettern. Ich sage noch zu Josef: Guck mal, die duerfen sich hier
was dazu verdienen. Der hat die bestimmt da hoch geschickt, um zu gucken, ob der was Verbotenes auf
dem Dach transportiert, also Menschen schmuggelt.“ Weit gefehlt. Ehe wir es uns versehen, sind sie
unter den Augen der Polizei auf der anderen Seite des Zaunes und kletterm schwupp-die-wupp runter.
Ich bin ganz sprachlos, denke noch, da ist was falsch gelaufen, frage den Polizisten, der unsere
Dokumente kontrolliert, ob er das eben gesehen habe, aber er tut es ab und meint so was wie „Sie haben
ihre Paesse jemandem gegeben.“ Haeh??! Das heisst, sie halten die Schwarzafrikaner von den Kueste
weg, lassen aber ihre eigenen Leute – wahrscheinlich nach entsprechendem Zubrot – durch die Maschen
schluepfen. Waehrend wir uns durch die Schlangen arbeiten, google ich „Hafen Tanger Med +
Fluechtlinge“ und finde eine Artikel aus der Sueddeutschen Zeitung von 2010, als der Hafen ganz neu
war, der den Hafen und die Dame, die ihn seitdem leitet, ueber den gruenen Klee lobt, insbesondere
auch die Sicherheit. Ich schreibe an sie und berichte von unserem Erlebnis, denn wir wissen, dass
Marokko viel Geld von der EU bekommt, um die „Schleusen dicht zu halten“.
Wir denken, wir sind so viel zu frueh da, dass wir nach Erledigung der Formalitaeten noch in Ruhe im
Womo etwas kochen, essen und noch einen Film gucken koennen, bevor wir an Bord gehen.
Pustekuchen! Wir verbringen die geschlagenen 5 Stunden in den diversen Warteschlangen, in denen es
zentimeterweise vorwaerts geht, so dass Josef am Ende waehrend des Fahrens was kocht und wir, uns
langsam auf das Schiff zu bewegend, essen. Naja, sind ja flexibel. Wir gehen ins Bett bevor das Schiff
ablegt, geben es auf, zu warten.
9.5.
Sind den zweiten Tag auf dem Schiff.
Die meisten Mitreisenden sind marokkanische Maenner, die hier draussen in einem ueberdachten Hof, in
dessen Mitte ein leerer und schmutziger Pool ist, ihr marokkanisches Teehaus eingerichtet haben,
rauchen wie die Schlote, sich mit dem mitgebrachten Wasserkocher Tee kochen, Karten spielen und hier
und da Shisha rauchen. Auch den einen oder anderen Joint habe ich schon gesichtet. Es sind wenige
westliche Auslaender an Bord – viele davon mit riesigen Hunden. Die sind wohl nur auf manchen Faehren
gestattet, und entsprechend sind alle hier, die zeitgleich mit uns Marokko waren.
Heute Vormittag sind wir verspaetet in Barcelona angekommen und noch viel verspaeteter wieder
abgefahren, weil jedes aussteigende Fahrzeug eingehend kontrolliert wurde.
Es kommt uns entgegen, weil wir dadurch morgen frueh zu einer christlichen Zeit, naemlich erst um 9:00,
anstatt um 1:00, ankommen. Wenn man mit der Faehre reist, darf man es nicht eilig haben. Ich finde es
auch deshalb gut, weil man Zeit hat, die Seele aus Marokko mitkommen zu lassen. Wenn man fliegt, geht
es viel zu schnell und man braucht am Zielort immer Tage und Tage, bis man mit Leib und Seele
angekommen ist.
10.5.
Am Ende sind wir heute frueh um 8:00 in Genua angekommen, waren erstaunlich schnell aus dem Hafen
raus und wollten recht zielstrebig Richtung Lago di Como, um dort noch einmal zu uebernachten. Das
Navi hatte wohl Jetlag oder was weiss ich; jedenfalls ist es fuerchterlich langsam und schickt uns
irgendwie mit der Kirche um’s Dorf. Am Ende kleckern wir viel zu lange herum und kommen schliesslich
ueber eine elend schmale Strasse erst um 17:00 in Belaggio auf dem dafuer sehr schoenen Camping
Clarke an, der, wie der Name schon sagt, von Englaendern gefuehrt wird. Wir stellen das Womo ab und
laufen hinunter ins Dorf. Haben dringenden Bewegungsbedarf. Belaggio ist nach Marokko ein wenig
Kulturschock: Wunderschoene Villen und Schloesser in riesigen gepflegten parkaehnlichen Gaerten, drum
herum der schoene Lago die Como und die Berge. Ein rechter Traum.