Palästina, Abschiedsreise Baba – März 2014
admin_q55lb1h12014 2014, Abschiedsreise, Baba, filastin, märz, palaestina, palästina, palestine
Palaestina 18. – 24. Maerz, 2014
Seit der Reise sind weniger als 2 Monate vergangen. Es war eine Abschiedsreise. Abschied von Abu
Mazen, der zwischenzeitlich seinen Krebsleiden erlegen ist, Vatis Abschied von vielen seiner Generation,
die er, wenn es das gibt, wohl erst in naechsten Leben sehen wird.
Als ich im Sommer 2013 meinem frisch operierten Fuss in Deutschland auf unserer Terrasse in Aich
auskurierte, kamen Vaters Bruder, Onkel Majed aus Kanada, und sein Cousin, Onkel Jamal aus Prag
angereist. Sie wollten Vater einpacken und mitnehmen nach Jordanien und Palaestina. Mir war klar,
dass die beiden alten Herren das nicht schaffen wuerden, und so habe ich es auch nicht forciert. Auch
Baba war klar in seiner Aussage, mit den beiden wolle er nicht reisen, wohl jedoch mit mir. So fasste ich
den Plan, diese Reise im Maerz mit ihm gemeinsam anzutreten, wohl wissend, dass es in letzter Minute
eventuell doch nicht stattfinden wuerde, dass Baba im allerletzten Moment noch einen Rueckzieher
machen koennte. Er lebt seit 2 Jahren im Voehringerheim in Nuertingen, unserem ersten Wohnsitz, da
er aufgrund einer ausgepraegten Alterdepression nicht mehr allein leben konnte und sich eine
Unterbringung im Heim in oder um Hamburg, seinem bisherigen Wohnsitz, als ueberaus schwierig
erwiesen hatte, da mein Bruder Masin und ich nicht eben um die Ecke leben: ich in den VAE, Masin am
Bodensee.
Im Vorfeld zur Reise liess ich mir von ihm immer wieder bestaetigen, dass er zu dieser Reise bereit ist,
bereitete mit Hilfe seiner liebevollen Betreuerin, meiner Freundin Basma alles vor: Reisepass
beantragen, Gebiss richten, Kleider einkaufen, bzw. waschen. Ich flog einige Tage vor dergeplanten
Abreise nach Tel Aviv nach Stuttgart, um die letzten Vorbereitungen zu treffen: Medikamente fuer zwei
Wochen in Apotheker-Boxen, Rollator von der lieben, ewig hilfsbereiten Tanja, letzte Einkaeufe, Koffer
packen, etc.
Josef sollte aus Amman dazu stossen. Er flog direkt von Dubai nach Amman und ueberquerte die Grenze
auf dem Landweg, die so genannte Allenbruecke. Ich hatte auf Anraten meines Cousins Mazen
beschlossen, nicht nach Amman zu reisen, um den Landweg zu nehmen, sondern direkt nach Tel Aviv zu
fliegen, wohin uns Mazen ein Taxi beordert hatte, das uns den ganzen weg nach Ramallah bringen sollte.
Meine letzte Reise war 2002 gewesen, und damals konnte man durch die vielen israelischen CheckPoints nicht hindurch fahren. Man musste an einer Seite aussteigen, durch in Schlangelinien aufgebaute
Panzersperren hindurch laufen, immer unter der Beobachtung diverser israelischer Soldaten auf
Wachtuermen, und auf der anderen Seite in ein anderes Taxi einsteigen. Ich hatte keine Ahnung wie es
sich nun gestalten wuerde und wie ich Baba, 2 Koffer, und den Rollator da hindurch manoevrieren
wuerde. Mich grauste davor.
Die Fluege verliefen ruhig und, Gott sei Dank, ereignislos. Ich hatte uns optimistisch Fenster und Gang in
einer Dreierreihe reserviert, in der Hoffnung, dass der Fensterplatz frei bleibt. Aber aehnlich wie
Suedkorea, dass nur per Flugzeug erreichbar ist und wo deshalb die Fluege rund um’s Jahr voll sind, ist
es auch Israel. Dieses kleine Land liegt voellig isoliert. Und aehnlich wie die Suedkoreaner, sind auch die
Israelis vielleicht gerade deshalb, weil sich das Leben so klaustrophopisch anfuehlt, sehr reiselustig. Nun
ja, es quetschte sich ein junger Israeli in unsere Mitte, und nachdem Baba am Gang sass, bot ich dem
jungen Mann meinen Fensterplatz an, damit ich ein Auge auf Baba haben konnte. Mein Sitznachbar
stellte sich als ueberaus gespraechig heraus: er arbeitet fuer Microsoft in Seattle in den USA und war auf
Dienstreise und Familienbesuch nach Israel unterwegs. So sehr ich mich um Objektivitaet im Umgang
mit Israelis bemuehe, so sehr ich versuche, in der mir anerzogenen Tradition der Demokratie und
Gleichheit zu denken, es faellt mir schwer. Der wollte mir weissmachen, dass es in der West Bank keine
Siedlungen gibt, nur Aussenposten einiger Verrueckter! Ebenfalls wollte er mir weissmachen, die
Ergebnisse der Olsoer und Madrider Friedensgespraeche seien durch die gewaltsame 2. Intifadha
ausgehoehlt worden. Es war schwer, mich daran zu hindern, ihn zu schuetteln und zu fragen, von
welchem Planeten er eigentlich kommt! Das Gespraech mit ihm verfolgte mich die ganze Reise hindurch.
Vor Baba sass ein Orthodoxer: haarig, ungekaemmt. Sie sind mir zutiefst suspekt; genau wie die
baertigen Muslime mit ihren zu kurzen Kandoras und ihren schwarzen Socken und der Gebetsschwiele
an der Stirn.
Ansonsten hatte ich nicht das Gefuehl, mit Lufthansa zu fliegen. Es fuehlte sich eher an wie German
Wings oder Fly Dubai. Alles „low budget“, bloss kein Sevice, bloss kein Komfort. Ziemlich beschaemend.
Der Weg nach Ramallah war einfacher als gedacht: Die Unfreundlichkeit des isrealischen
Flufhafenpersonals war wie immer (Da koennten selbst die angeblich so service-unfreundlichen
Deutschen noch einen Preis gewinnen im Vergleich!); auch hatte ich Baba als Rollstuhlgast angemeldet,
was in Stuttgart bei Abreise und in Frankfurt im Transit auch gut funktionierte, jedoch in Tel Aviv ein
bisschen hoperig war, denn der immerhin doch recht freundliche Herr, der uns mit einem Elektroauto
mit 50 km/h durch die Menschenmenge kurvte, schuettete uns vor der Passkontrolle aus seinem Auto
und meinte, nun sei es ja nicht mehr weit – ausser, dass ich ja nun Koffer, Baba und Rollator zu
jonglieren hatte. Baba war mittlerweile ziemlich zitterig auf den Beinen, und der Rollator kam und kam
nicht. Ich setzte Baba auf einen Stuhl und bat ihn, dringendst dort sitzen zu bleiben, bis ich alles
zusammen habe, was er prompt nicht tat. Ploetzlich sehe ich seinen Kopf in der Menschenmasse
verschwinden! Keine Ahnung, wo ich ihn haette suchen sollen, wenn ich ihn nicht, einer Eingebung
folgend, vom Gepaeckband aus im Auge behalten haette. Ich setzte ihn wieder auf seinen Platz und ging
auf die Suche nach dem Rollator. Um ihn zu bekommen, musst ich am Ende eigenhaendig mehrere
Gepaeckstuecke, die sich auf dem Sperrgepaeckband ineinander verhakt hatten, entwirren. Das
Personal interessierte es wenig, dass ich da auf ihren Baendern rum turnte. Als wir endlich aus dem
Sicherheitsbereich raus waren, stand da Gott sei Dank noch immer unser Fahrer und wartete geduldig.
Er war die Ruhe selbst, nahm mir den Wagen mit den Koffern ab, so dass ich Vati kurzerhand auf die
Sitzflaeche des Rollators setzen und durch den Flughafen kullern konnte.
Die Fahrt war entspannt, der Fahrer kannte die Schleichwege an den grossen Checkpoints vorbei, und er
nuetzte die Fahrt, uns allerlei Landeskundliches und Politisches zu erlaeutern: So kann er nach Tel Aviv
fahren, weil er ein gelbes, also ein israelisches Kennzeichen, und kein blaues, also palaestinensches hat.
Er hat auch eine in Jerusalem, nicht in den Besetzten Gebieten ausgestellte Aufenthaltserlaubnis. Beides
ist Voraussetzung, um sich in den 1948 von den Israelis eroberten Gebieten bewegen zu koennen. Das
laesst er sich auch teuer bezahlen. Wir haben fuer die auf direktem Wege etwa 45-minuetige Fahrt,
anstatt der mit normalem Taxi und mehrmals umsteigen ueblichen $40.00, $150.00 bezahlt. Jeder guckt,
wo er bleibt. Es gibt keine Industrie, wo Palaestinenser arbeiten koennten, es sei denn, sie arbeiten fuer
Israelis, was viele tun muessen, damit sie nicht verhungern. So konnte ich es dem Fahrer gar nicht
uebelnehmen, dass er uns so ausgenommen hat. Es war ja auch vorher schon angekuendigt.
Wir fuhren durch den palaestinensischen Fruehling, durch wunderschoene Landschaft; alles bluehte,
alles stand in ueppigem Gruen. Die vertraute, jahrtausende alte Kulturlandschaft aus von
handgeschichteten Mauern getragenene Terrassen mit uralten Olivenbaeumen liess mein Herz
einerseits hoeher schlagen, andererseits ganz schwer werden. Es ist wunderschoen! Getruebt wurde
dieser Eindruck einzig aber dafuer erheblich von den Siedlungen, die sich wie Krebsgeschwuere
ausbreiten auf allen Huegeln in der Westbank. Sie sind teilweise riesig, richtige Kleinstaedte,
abgeschottet durch Stacheldraht und Wachtuerme. Mit der Aussenwelt verbunden sind sie ueber ein
gut ausgebautes und beleuchtetes Strassennetz, das immer wieder das schlaglochdurchsetzte und
ungesicherte Strassennetz der Palaestinenser kreuzt. Jedoch duerfen diese guten Strassen nur die
Israelis nuetzen. Es muss ihnen nicht ausdruecklich ueber Schilder gesagt werden; sie wissen es auch so.
Umgekehrt gibt es jedoch fuer die Israelis grosse hebraeisch und englisch beschriftete Schilder, die
eindringlich und ultimativ verbieten, in die palaestinensischen Gebiete zu fahren, ja auch nur die
Strassen zu nutzen, weil Lebensgefahr bestehe.
Im Hotelzimmer angekommen, moechte ich am liebsten gleich wieder kehrt machen. Das Ansar Suites
ist kalt und duester. Haette ich nicht Hemmungen vor Cousin Mazen, der fuer uns reserviert hat, wuerde
ich mir sofort was anderes suchen. Vati sitzt auf seinem Bett und ich stehe verloren in der Gegend rum
und weiss nicht so recht, wie nun weitermachen. Ich weiss nicht genau, wann Josef kommt, und er fehlt
mir schrecklich. Da klingelt es an der Tuer und Mazen stuermt herein, und mit ihm geht die Sonne auf.
Bin ich froh, ihn zu sehen! Er packt uns ohne viel Federlesen ein und bringt uns zu seinen Eltern. Ich
kannte diese Wohnung noch nicht, denn als ich sie das letzte Mal 2002 besuchte, wohnten sie noch im
elterlichen Haeuschen gleich neben Arafats Amtssitz, das frueher die israleische Militaerverwaltung von
Ramallah und noch frueher die der Britischen Mandatsbehoerde beherbergte. Sie hatten das kalte,
dunkle Haus irgendwann verkauft und gegen eine helle, moderne Wohnung auf einer Anhoehe
eingetauscht. Obwohl ich nun also das erste Mal hier war, fuehlte ich mich, wie immer bei Dar Abu
Mazen, sofort zuhause. Es sassen noch zwei Cousins im Wohnzimmer, denn Mazens Vater, Abu Mazen
eben, ist sehr krank, und die folgenden Tage machten ihm Gott und die Welt ihre Aufwartung.
(Nachtrag: zwischenzeitlich ist er gestorben, und ich bin froh und dankbar, dass wir ihn noch sehen und
uns von ihm verabschieden konnten, dann ich hatte seit einiger Zeit das Gefuehl dort hin zu muessen,
Abu Mazen und Um Mazen dringend sehen zu muessen).
Es kamen im Laufe des Abends noch mehr Leute, und zwischendrin auch Josef, mein Retter.
Wir wurden irgendwie zwischendurch abgefuettert, und ich hab dann wiederum Josef abgefuettert.
Ging alles.
War froh, schliesslich in Josefs Arm einschlafen zu koennen!
Vatis wichtigstes Ansinnen war es, nach Rantis, unser Heimatdorf, zu gehen, den Friedhof mit den
Graebern seiner Eltern und Verwandten zu sehen. Sonst wollte er eigentlich nicht viel. Mazen bot uns
an, mit uns am Freitag dorthin zu fahren, worueber ich froh war. Wir haetten es natuerlich auch allein
gemacht und hinbekommen, aber er ist ein Urgestein hier, das jeder kennt, und er ist vollkommen
unerschrocken. Nun war es aber erst einmal Mittwoch, und wenn ich mich recht erinnere, kam gleich
frueh morgens wieder Mazen in den Fruehstuecksraum des Hotels (der einzig warme und helle Ort mit
schoener Aussicht auf die Altstadt von Ramallah, einschliesslich Friends Girls School) und brachte uns zu
seinen Eltern, was mir einigermassen peinlich war, weil die noch im Nachthemd und gar nicht auf Gaeste
eingestellt waren; aber wie gesagt: Er ist recht unerschrocken. Wir verbrachten einen Teil des Tages
dort, warteten noch auf Onkel Sakher, Babas Kumpel aus der Halleschen Studienzeit, ein Palaestinenser
mit deutscher Mutter, die zwei Drittel ihres Lebens in Palaestina verbrachte und auch dort ihre letzte
Ruhestaette hat. Sakher also, die ewige Frohnatur, kam und plauderte mit uns und brachte uns dann zu
einer Mietwagenfirma. Wir beschlossen, ein Fahrzeug mit blauem, also palaestinensischem Kennzeichen
zu mieten, was uns zwar Fahrten aus der West Bank heraus in die israelischen Gebiete unmoeglich
machte, jedoch deutlich billiger war. Ausserdem war rasch klar, dass man mit Vati keine allzu langen und
beschwerlichen Fahrten wuerde machen koennen. Wir fuhren mit unserem frisch erstandenen
Mietwagen aus der Stadt raus in Richtung Birzeit, bogen vorher rechts ab und kamen an ein
palaestinensisches Wohnbauprojekt, fuer das Thyssen die Aufzuege geliefert hat. Setzten Baba auf die
schoene Gehilfe von Tanjas Seniorenheim und genossen die Landschaft:
Oliventerrassen, einfasst von Natursteinmaeuerchen, fruehlingsbunte Blumenwiesen am Fuss der
uralten Baeume, ueberall wilde Alpenveilchen, die in Palaestina „Rehhoernchen“ heissen und deren
Blaetter mit Reis und Hackfleisch zu kleinen Rouladen gewickelt werden, wie gefuellte Weinblaetter;
ueberall Klatschmohn und wilder Thymian, dem Grundstoff jenes Innbegriffs des palaestinensischen
Grundnahrungsmittels, Sa’atar. Josef sprang sofort zum Auto und fand eine leere Tuete, so dass er
seinem Sammlertrieb nachgehen und als Reisetrophae selbstgepflueckten Thymian mitnehmen konnte.
Herrlich war diese halbe Stunde! Zurueck fuhren wir ueber Jifna, einem Vorort von Ramallah; die
obligatorische israelische Siedlung grenzt direkt an Jifna und raubt ihm den Lebensraum, die Luft zum
Atmen. Stacheldraht, haessliche hohe Mauern, Wachtuerme, dahinter die andere Welt: die der Siedler,
die keinerlei Unrechtsbewusstsein haben, die glauben, sie gehoerten dorthin, die glauben, dass
ausserhalb ihrer Mauern Wilde leben, die man nicht als Menschen betrachtet, sondern als laestiges
unzivilisiertes Geschmeiss.
Ich glaube, am Nachmittag gingen wir nochmals zu Abu Mazen und lungerten dort noch ein bisschen
herum. Onkel Samih wollte uns partout zum Abendessen in irgendein neues Restaurant in Ramallah
einladen, aber wir waren uns einig, dass wir dem wenig abgewinnen koennen und baten ihn,
stattdessen ins Hotel zu kommen. Dort sassen wir mit ihm und seiner Frau, Tante Nahida, im 9.
Stockwerk in so einer Art Shishakneipe cum Restaurant. War ein bisschen schummrig und alkoholisiert,
aber es sassen auch Frauen mit Kopftuch und Kinder herum; da dachte ich, dass man das auch dem zum
konservativen Muslim mutierten Onkel zumuten kann. Sie ruempften die Nase und fassten nichts an,
verschmaeten erwartungsgemaess das von Josef angebotene Glas Wein, blieben jedoch ein Weilchen.
Es war das Einfachste, weil wir nicht wussten, wie lange Baba durchhalten wuerde.
Onkel Sakher hatte uns fuer den Mittwoch nach Nablus eingeladen. Baba hatte auch Lust dazu. Ich hatte
vorher Kontakt mit Uschi und Abbas in Birzeit aufgenommen, und wir haben verabredet, nach dem
Fruehstueck fuer ein paar Stuendchen zu ihnen zu kommen, um dann nach Nablus weiterzufahren. Sie
hatten auch beide mit Baba in der DDR studiert, haben 6 Kinder und leben schon immer in Palaestina.
Baba und Abbas sassen auf der Holywood-Schaukel auf der Terrasse hinter dem Haus und schwiegen
sich, wie mir schien, zufrieden an, waehrend Uschi uns voller Stolz ihren Garten zeigte (Josef sammelte
wiederum: diesmal Rosmarin).
Nablus mussten wir dann am Ende streichen. Das war zu viel fuer Baba. Brachten ihn nach dem Besuch
bei Abbas ins Bett, wo er auch den Rest des Tages blieb. Ich fuhr nochmal zu Dar Abu Mazen, weil Maha,
seine Tochter, dort war und an diesem Abend wieder abreisen sollte. Als ich nach 2 Stunden wieder ins
Hotel kam, lag Baba im Bett und Josef sass an seinen Geschaeftsmails. Baba wollte nicht mehr
aufstehen, auch nichts essen. Wie holten uns die Erlaubnis, ein Bierchen trinken zu gehen und gingen ins
„Beit Anisa“, ein huebsches altes Ramallah-Haus mit rotem Pyramidenschindeldach, wahrscheinlich nach
seiner ehemaligen Besitzerin benannt, und jetzt eine nette Kneipe mit Taybe-Weizenbier. Als wir da so
gemuetlich an der Bar sassen und uns warm plauderten, kamen Maria, Omar und Shireena rein, Mazen’s
Frau und Kinder. Wir tranken mit ihnen gemeinsam noch etwas und trollten uns ins Bett.
Ich weiss nun nicht mehr, wie wir den Donnerstag verbrachten, aber abends brachte uns Mazen mit
Maria und Omar in eine gemuetliche Taverne in Birzeit, wo wir den von uns mitgebrachten WolfgangBlass-Wein koepften und uns von der Hausfrau bekochen liessen. Es war ein sehr schoener Abend. Auch
Baba fuehlte sich wohl, trank ein Glaeschen.
Am Freitag trafen wir uns wiederum morgens bei Abu Mazen. Obwohl er wirklich schon vom Tod
gezeichnet war, war er noch immer eine Authoritaet mit Ausstrahlung. Dass der Tod bereits in seinen
Augen stand, hat man nach kurzer Zeit mit ihm wieder vergessen, nicht mehr wahrgenommen. Er wies
seinen Mitarbeiter, der in Rantis lebt, kurzerhand per Telefon an, fuer uns „Imsakhan“ zu kochen, eine
echte palaestinensische Fellahi-Spezialitaet: riesige Brotfladen, bestrichen mit viel Olivenoel und
Ziebeln, die zuvor im Oel und Summak, einem Sauerpulver, geduenstet werden, dazu halbe Haehnchen,
mit derselben Mischung bestrichen, das Ganze gegart in einem speziellen Ofen, dem Tabun. Es war uns
ganz peinlich. Die Leute kennen uns nicht einmal!
Schliesslich fuhren wir los. Ich freute mich, dass Maria mit kam. Sie fuhr mit Josef und mir im Auto,
waehrend Baba bei Mazen mitfuhr. Sie erzaehlte mit ihrer gesunden Distanz viel ueber die Familie,
stopfte ein paar meiner Wissenluecken. Wir machten eine schoene Runde aussen um Rantis herum,
plauderten mit dem Sohn des Mukhtar (Dorfaeltesten) von Luban, Rantis’s Nachbardorf. Er und seine
ganze Familie standen in einem Bohnenfeld und schnasselte die frischen Bohnen. Er kannte Baba.
Weiter ging es zum Badeloch; einem natuerlichen, fast kreisrunden Felsbecken von ca 20 m
Durchmesser und 5m Tiefe, das immerhin zu einem Drittel mit Wasser aber auch mit ein bisschen Muell
gefuellt war. Mazen wusste, dass die Kinder des Dorfes frueher dorthin kamen zum Planschen. Unweit
hiervon entfernt stand ein Gasbohrturm; man hatte in Rantis schon vor Jahren Erdoel gefunden. Jedoch
hatten die Israelis die Foerderung unterbunden. Erst nachdem der Grenzzaun gebaut war, jene
Apartheid-Mauer, die ganz Palaestina durchschneidet, wobei alles von Wert auf israelischer und
trockenes, oedes Land auf palaestinensischer Seite gelandet ist. Also ist auch der Foerderturm auf der
anderen Seite. Wie kann es anders sein?
Das Essen war sehr liebevoll gemacht. Aber leider machte uns Baba einen Strich durch die Rechnung;
das Essen bekam ihm nicht. Dies sollte unserer Stimmung jedoch keinen Abbruch tun. Die Gastgeber
waren sehr freundlich und offen, und wir haben uns wohl gefuehlt.
Es stiess dann noch ein Cousin von Baba zu uns. Gemeinsam mit ihm fuhren wir schliesslich zum
Friedhof, bevor es zu spaet wurde. Ich war dankbar und froh, die Graeber sehen zu koennen und
wuenschte mir mehr Stille und Andacht. Aber wir waren ein froehlich quasselnder Haufen. Baba wurde
irgendwann muede und setzte sich auf einen Stein zwischen die Graeber seiner Eltern, Tanten und
Onkels. Josef meinte, er saehe aus als wolle er bleiben.
Unser Kneipenbesuch war vielleicht auch nach dem Tag in Rantis. Ich weiss es nicht mehr genau.
Jedenfalls stand am Samstag noch Jersalem an. Es war die letzte Moeglichkeit. Nachdem klar war, dass
wir mit Baba kaum die Grabeskirche oder die Sachra, den Felsendom, zu Fuss wuerden erkunden
koennen, man jedoch in die Altstadt mit dem Auto praktisch nicht hinein kommt, haben wir einen
Fahrer mit gelbem Kennzeichen gemietet und sind einmal zur „Fotop“ auf den Oelberg. Mehr wollte Bab
nicht. Er wollte nur einen Blick auf die Altstadt und auf die goldenen Kuppel werfen.
Auf dem Rueckweg hielten wir in Beit Hanina in einem Cafe, weil dem Fahrer leider nichts anderes
einfiel, wo wir in Jersualem selbst noch in ein arabisches Cafe haetten gehen koennen. War auch ok,
wenn auch nicht so romantisch. Jetzt im Nachhinein faellt mir ein: Wir haetten in das American Colony
Hotel gehen koennen, mit seinem wunderschoenen Innenhof. Zu spaet.
Baba war es ganz wichtig, dass wir fuer seine Lieblingsschwestern im Voehringerhaus noch etwas
mitbringen. Wir fuhren auf den letzten Druecker vor Ladenschluss noch nach El Bireh, der Nachbarstadt,
eigentlich ein Stadtteil von Ramallah, zu „In3ash al Usra“, jener Organisation, die schon seit Jahrzehnten
die Tradition der palaestinensischen Kreuzstickerei am Leben erhaelt, indem sie besonders Frauen in
den Doerfern, die nur so zum Lebensunterhalt beitragen koennen, Garnballen und Stoff gibt, die diese
dann in Heimarbeit zu wunderschoenen Kissen, Tischdecken, Tagesdecken, Wandteppichen und vor
Allem zu „Thobs“, dem palaestinensischen Dirndl, also der traditionellen Frauentracht, verarbeiten.
Dort also noch rasch einige huebsche Teile erstanden und dann nix wie ins Hotel. Baba hat super
durchgehalten.
November 2014
Nun ist es schon zu lange her; Einzelheiten weiss ich nicht mehr. Aber der Rueckflug war nochmal
dramatisch , weil der Flug ab TLV Versaeptung hatte und ich fuerchtete, den Anschluss nach STR nicht zu
bekommen. Rief dann Tanja an, die sich kurz entschlossen mit Barbara ins Insel-Buessle setzte und uns
in FRA abholte, Baba gleich aus der Ankunft holte und ihn erstmal mit reichlich Zigaretten versah,
waehrend ich das Gepaeck holte.
Im Grossen und Ganzen war es eine gute Reise. Ich weiss nicht, wie ich sie ohne Josef je durchgestanden
haette. Er war heldenhaft, und nicht nur ich, auch Baba, war ihm, ist ihm, sehr, sehr dankbar.
Wir haben ein Fotobuch von der Reise gemacht. Eine Kopie ist bei uns, eine bei Baba (Er sagt, er schaue
es sich immer wieder an), und eine haben wir nach 6 Monaten schliesslich von einem Kollegen Josefs
nach Amman mitnehmen lassen, der es dort in der Niederlassung gelassen hat, wo es wiederum Maha
abgeholt und ihrer Mama uebergeben hat.